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Ein Kleinstadtidyll mit Schönheitsfehlern: Der kulinarische Sommerroman »Die Köchin und das Dorfgeflüster« von Tanja Griesel jetzt als eBook bei dotbooks. Das Dorf, in dem Träume wahr werden … Schon immer hat die Köchin Maxie davon geträumt, in ihrem Heimatort, dem beschaulichen Rothard, ein Restaurant aufzubauen. Zu ihrer eigenen Überraschung sind ihre Nachbarn aber alles andere als begeistert, als die Eröffnung zum großen Erfolg wird. Doch Maxie denkt gar nicht daran, sich von diesen Spaßbremsen die Laune vermiesen zu lassen! Als dann allerdings der Starkoch Rolf Bauer in Rothard aufschlägt, mit dem sie eine frühere Liebschaft verbindet, werden all ihre Pläne gehörig durcheinandergewirbelt … denn noch dazu scheint einer ihrer Nachbarn eine überraschende kriminelle Energie zu entwickeln! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der amüsante Wohlfühlroman »Die Köchin und das Dorfgeflüster« von Tanja Griesel verzaubert mit zahlreichen Rezeptideen; ein Lesevergnügen, dass die Fans von Anne Barns und M.C. Beaton gleichermaßen begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 269
Über dieses Buch:
Das Dorf, in dem Träume wahr werden … Schon immer hat die Köchin Maxie davon geträumt, in ihrem Heimatort, dem beschaulichen Rothard, ein Restaurant aufzubauen. Zu ihrer eigenen Überraschung sind ihre Nachbarn aber alles andere als begeistert, als die Eröffnung zum großen Erfolg wird. Doch Maxie denkt gar nicht daran, sich von diesen Spaßbremsen die Laune vermiesen zu lassen! Als dann allerdings der Starkoch Rolf Bauer in Rothard aufschlägt, mit dem sie eine frühere Liebschaft verbindet, werden all ihre Pläne gehörig durcheinandergewirbelt … denn noch dazu scheint einer ihrer Nachbarn eine überraschende kriminelle Energie zu entwickeln!
Über die Autorin:
Tanja Griesel wuchs in einem kleinen hessischen Dorf auf und ist mittlerweile so oft umgezogen, dass sie selbst sagt, sie führe ein Nomadenleben. Momentan lebt sie mit ihrer Familie in Berlin. Auf ihrem Blog rezensiert sie regelmäßig neue Bücher: www.lettergirl.blog/
Die Website der Autorin: www.tanja-griesel.de/
Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/tanja.griesel/
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane um die liebenswerte Provinz-Köchin Maxie Kaiser: »Die Köchin und das Dorfgeflüster« und »Die Köchin und der Hauptgewinn«. Ihr erster Maxie-Kaiser-Roman ist auch in dem Sammelband »Wer wird denn da gleich sterben?« zu finden.
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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Oktober 2017, Februar 2023
Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Rothard« bei Hoffmann und Campe. Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Nur eine Prise Mord« bei dotbooks.
Copyright © der Originalausgabe 2010 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2017, 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)
ISBN 978-3-98690-548-4
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Tanja Griesel
Die Köchin und das Dorfgeflüster
Roman
dotbooks.
»Ein klassisches Menü ist wie eine gut erzählte Geschichte: Das überraschende Zusammenspiel der Speisen ergibt am Ende eine raffinierte Komposition. Ich trinke vor dem Essen gern einen Anisschnaps. Wussten Sie, dass Pernod früher das Nervengift Thujon enthielt?«
Rolf Bauer
»Ein Menü besteht aus dreizehn Gängen. Ich weiß noch, wie Maxie auf diese These reagiert hat. Sie hat gelacht, mich regelrecht ausgelacht. Aber was für ein Lachen! Ihrem Lachen hätte ich stundenlang lauschen können.
Vielleicht hast du dich verzählt, sagte sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Mädchen, antwortete ich und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht. Meine Finger fuhren an ihrer Wange hinunter zum Kinn und verweilten dort.
Sie sah mich an. Ihre großen hellen Augen ließen mich nicht mehr los. In diesem Moment war sie mir verfallen. Oder ich ihr?
Also dreizehn Gänge, sagte ich. Nicht mehr und nicht weniger. Ich werde mich hier nicht auf Diskussionen einlassen, ob der Mokka am Schluss dazugehört oder nicht. Er ist unverzichtbar. In meinen besten Jahren kochte ich mehr als dreizehn Variationen hintereinander, ohne den Gaumen meiner Gäste zu langweilen. Ich setzte den Maßstab. Das ist zwanzig Jahre her. Und heute?
Fangen wir ganz klein an. Etwas Melisse. Etwas Salz. Maxie kennt sich ausgesprochen gut mit Pflanzen aus. Sie hütet ihre Wildkräuter so wie ich mein weißes Gold. Ich trage immer eine kleine Menge eines von Hand geernteten Salzes bei mir. Die fragilen Körner verströmen nicht erst beim Kauen den Duft des Atlantiks. So manches Essen konnte ich damit noch retten. Auch ein schlichter Happen kann es mit der richtigen Würze in sich haben.«
Erdäpfel rot-weiß
Blaue Schweden (Idaho Blue, Blaue Kongo)
weiße Melisse, Fleur de sel
Die Erdäpfel in hauchfeine Scheiben schneiden. Eine Stunde in kaltem Wasser einweichen, damit die Stärke ausgeschwemmt wird. • In der Pfanne zusammen mit den Melisseblättern in heißem Fett ausbacken, auf Küchenkrepp abtupfen und auf einem weißen Teller in Blumenform anrichten. • Mit Fleur de sel bestreuen.
Maxie hatte Rothard nie verlassen. Städter bestaunten sie wie ein exotisches Gewächs. Ihre Nachbarin hatte sie dagegen erst neulich als lästiges Unkraut beschimpft. Vermutlich hatte sie recht. Für die Bewohner von Rothard war sie Unkraut, das an der Wurzel gepackt und ausgerissen werden müsste.
Maxie schmunzelte. Keine schlechte Vorstellung. Unkraut. Sie eine stachlige Distel. Eine geheimnisvolle blaue Dolde. Tief verwurzelt in dem von Heimat durchtränkten Boden, war sie robust, langlebig und schön.
Ja, der Vergleich gefiel Maxie. Egal, was passiert, sie würde dem Dorf trotzen. Sie würde Rothard nie verlassen. Ihre Wangen glühten.
Wasserdampfschwaden waberten durch die Luft und nahmen Maxie fast den Atem. Einzelne Haarsträhnen klebten an ihrer Stirn. Das Kondenswasser an den weißen Kacheln perlte und zog lange Streifen.
Sie hielt die heiße Pfanne direkt unter den Wasserstrahl. Fett und Wasser besprenkelten ihr poolblaues Kleid. Sie zog es aus und warf es auf den Wäschehaufen vor der Tür. Später würde sie auch ihren dünnen Unterrock abstreifen. Sie sehnte sich nach einer Dusche. In dem engen Raum war es so heiß wie an Schlachttagen in der elterlichen Waschküche. Maxie ließ ungeachtet der Fliegen und Mücken, die in Scharen hereinkamen und um die Neonröhre unter der Decke surrten, Türen und Fenster offen stehen. Der erste kühle Windzug traf ihre nackte Haut. Das tat gut. Die allabendliche Routine abspulend, nahm sie ein Tuch und polierte die Kacheln.
Mannstreu nannte der Volksmund die gemeine Distel. Warum ihr das jetzt einfiel, war ihr vollkommen schleierhaft. Ohne dass sie es wollte, waren ihre Gedanken bei Rolf Bauer, und es gelang ihr nicht, sie wieder einzufangen.
***
Das musste aufhören. Er taxierte eine Weile das Pils mit der schnell einfallenden Schaumkrone. Nicht einmal das Bier kriegen die hier ordentlich gezapft. Er kippte es hinunter. Natürlich wäre ihm ein Glas kühler Hochheimer Hölle lieber gewesen.
Der herb bittere Geschmack des Bieres zerstreute seine Gedanken. Es war das letzte Mal, schwor er sich. Es stank nach altem Fett und Schweiß und, sein Blick fiel auf die Stiefel seines Nachbarn, nach Mist. Das war der Grund dafür, dass Deutschland ganz oben auf der Skala des europäischen Bierkonsums stand. An Orten wie diesem war man mit einem Bier auf der sicheren Seite.
Und es gab einfach zu viele dieser Orte.
Der Durchschnittsfranzose trank fast doppelt so viel Wein im Jahr wie der gemeine Deutsche. An jeder Ecke in Frankreich gab es ein gut zubereitetes Poulet Celestine, vielleicht sogar ein Huhn aus der wald- und seenreichen Bresse, und hinterher Poires au vin rouge. Jedes Wirtshaus von Marseille bis Nizza hatte eine schmackhafte und, Rolf Bauer hob triumphierend den Zeigefinger, »frische«, sagte er laut in den blauen Dunst, Bouillabaisse auf der Speisekarte zu bieten. Da konnte der Putz von der Decke bröckeln und die Kakerlaken auf den Tischen Tango tanzen, aber nach der feinsämigen Brühe mit Fisch, der als solcher in Form und Textur auch noch zu erkennen und zu schmecken war, leckte sich Rolf Bauer alle Finger. Er sah sich im Geist auf einem filigranen Stühlchen auf altem Marseiller Kopfsteinpflaster sitzen, wo der Patron des Bistros persönlich die dampfende Terrine kredenzte. Eine Brise Mittelmeer in der Nase und ein temperierter Chateauneuf-du-Pape auf der Zunge. Savoir vivre! Deutschland verhielt sich zu Frankreich wie Tütensuppe zu einer dreifach geklärten Rinderconsommé.
Der frankophile Rolf Bauer seufzte wehmütig, leerte sein Bier und rülpste. Nach der langen Fahrt in dieses Kaff fühlte er sich wie ausgetrocknet. Er bestellte das nächste Pils. Der Sender hat nur ein begrenztes Budget, äffte er die leitende Redakteurin nach. Na, wo leben wir denn? Seine flache Hand klatschte auf die Theke. Er war Mitte fünfzig, das Leben war noch längst nicht vorbei. Die goldenen Achtziger hatten ihn mit seiner Kolumne »Der gute Geschmack« bekannt gemacht, und er war immer noch gut, und sein Geschmack auch, verdammt noch mal. »Brillant!«, presste er hervor und trank. Seine Geschmackssensoren funktionierten tadellos. Er hatte sie jahrelang wie einen Hochleistungssportler trainiert.
Mit verschränkten Armen beugte er sich wieder über sein Bier. »Der König des guten Geschmacks«, so hatte ihn eine Fachzeitschrift vor vielen Jahren einmal getauft, als er sich als einer der Ersten für die Ideen Carlo Petrinis einsetzte. Heute war dieser Titel, ebenso wie der damals neu geprägte Begriff slow food, zur Worthülse verkommen. »Wag den Sprung ins neue Jahrtausend«, riet ihm sein Verleger, ein arrivierter Vertreter der kulinarischen Fachpresse, mit einem unverbindlichen Lächeln auf dem Gesicht, »dann sehen wir weiter.«
Wie gern hätte er ihm in die Fresse gehauen, stattdessen war er aus dem gläsernen Besprechungszimmer geschlichen und hatte die Tür geräuschlos hinter sich geschlossen.
Er hob sein Glas und trank. Die Bitterstoffe des Bieres hatten mittlerweile seinen Gaumen betäubt. Das machte die goldklare Flüssigkeit nicht wohlschmeckend, aber der Alkohol zeigte Wirkung: Er bestellte noch ein Pils.
»Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!«, prostete ihm sein Nachbar in dem verwaschenen Jeanshemd zu. Rolf Bauer leerte sein Glas.
Mit steigendem Alkoholpegel im Blut beschloss er, sich seinem Schicksal zu fügen. Gut, zurzeit spielte er nur in der Kreisliga. Aber das musste ja nicht so bleiben. Kochen gehörte zum Lifestyle. Die Menschen gierten nach Kochformaten, Sterneköchen und Gourmetikonen. Der Verschleiß war enorm. Er würde dem hungrigen Publikum ein neues Gesicht präsentieren.
Maxie, da war er sich sicher, konnte die Extravaganz und Einmaligkeit der regionalen Küche ganz nach vorn bringen. Ein neuer Trend. Das Konzept stand bereits. Und Maxie war formbar. Er würde sich darum kümmern, am besten heute Abend noch.
Er sah auf die Uhr. Dann fiel sein Blick auf die Frau am Zapfhahn. Zum ersten Mal an diesem Abend nahm er das hübsche Geschöpf hinter der Theke wahr. Er grinste breit. Nun gut, Maxie konnte noch ein Stündchen warten. In diesen Kuhkäffern gab es mehr als einen Diamanten zu schleifen. »Wollen Sie zum Fernsehen?«, fragte er, richtete sich auf und zog den Bauch ein.
***
Über ihrem Kopf funkelten die Sterne stecknadelgroß und zum Greifen nah. Das Telefon klingelte in der Ferne. Maxie ließ es klingeln. Ihr Bedarf an Kommunikation war für heute gedeckt. Sie legte den rostigen Hebel um und hielt den Blick auf den Großen Wagen gerichtet. Das warme Wasser war bald aufgebraucht und wurde langsam kalt, eiskalt. Sie tänzelte mit den Füßen auf der Stelle, bis der Rasen unter ihren Sohlen ganz weich war.
***
Für Rolf Bauer hatte der Abend eine unerwartete Wendung genommen. Die Frau arbeitete nicht nur im Gasthaus Specht, sie wohnte auch hier. Er folgte ihr über die rustikale Treppe nach oben. Ein schlichtes Zimmer mit einem großen Bett unter der Dachschräge erwartete ihn. Vielleicht war es ihr Pferdeschwanz. Sie mimte die Unschuld vom Lande, und das machte ihn heiß. Er hatte Freude daran, sie zu berühren. Seine Finger fuhren über ihre Haut, als testete er die Ware für ein ganz besonderes Menü. Makellos. Er küsste sie auf den Mund und fuhr mit der Zungenspitze bis zu ihren Brustwarzen. Jetzt verfluchte er die letzten drei Pils. In den penetranten Bierdunst mischte sich noch ein weiterer Geruch, der seine Nasenflügel reizte. Sie roch nach kaltem Rauch. Die Farbe ihrer Haut entpuppte sich bei näherem Hinsehen als grau, ihre Fingerspitzen waren gelblich verfärbt. Sie achtet nicht gut auf sich. Sie ernährt sich schlecht. Rolf Bauer spürte, dass er nicht mehr ganz bei der Sache war. Den Anflug von Enttäuschung versuchte er zu verdrängen, indem er die Augen schloss. Er konzentrierte sich auf die Wahrnehmung in den unteren Körperregionen. Als er in ihr kam, stöhnte sie theatralisch, und er konnte einfach nicht anders, als laut zu lachen. Sie war eine schlechte Schauspielerin. Aber er war auf seine Kosten gekommen. Als sie sich eine Zigarette anzündete, ergriff er die Flucht.
Gut gelaunt schlenderte er die Dorfstraße hinunter, den Pullover über die Schultern gelegt. Hier gab es keine U-Bahn- oder Stadtpläne, die er hätte lesen können, noch nicht einmal Straßennamen. Allein der Mond, der hier und dort bleich zwischen den Bäumen hervorblitzte. Aber Rolf Bauer war sich seiner Sache sicher. Das Waldstück musste bald zu Ende sein. Es war nicht mehr weit. Der Weg endete so abrupt, dass er nicht mehr rechtzeitig zum Stehen kam. Nur wenige Meter nach der letzten Baumreihe ging es in die Tiefe.
Während er fiel, zog sein Leben nicht wie im Zeitraffer an ihm vorbei. Sechsundfünfzig Jahre, die in diesem Moment keine Rolle mehr spielten. Wie im Daumenkino sah er eine schnelle Abfolge von Speisen, die ihm etwas bedeutet hatten. War da nicht noch ein Hauch von Lavendel an getrüffelten Pommes de terres, die er heute Mittag in seinem Berliner Stammlokal genossen hatte? Ein Königreich für eine schnöde Kartoffel!
Rolf Bauer stürzte und brach sich das Genick.
***
Als die Redakteurin anrief, fischte Maxie gerade die letzten Walnüsse aus dem heißen Erdnussöl. Wo waren die schwarzen Sesamsamen? Eben stand die Dose noch links neben dem Herd.
»Vermutlich hat Herr Bauer schon mit Ihnen Kontakt aufgenommen …«
»Bauer?«, Maxie vergaß ihre Samen.
Die Frau am anderen Ende räusperte sich. »Ich bin die Redakteurin der Sendung ›Bauer sucht Koch‹. Und Sie sind unser Koch, pardon, unsere Köchin.«
Bingo. Ein Sechser im Lotto.
Schweigen.
»Frau Kaiser?«
Schweigen.
»Sind Sie noch dran?«
Maxies Gedanken überschlugen sich.
»Konnten Sie mir folgen?«
»Ich? Ins Fernsehen?«
Maxie nahm die Pfanne vom Herd.
»Sie sind unser Geheimtipp.«
»Ich arbeitete daran, dass sich das ändert. Schließlich lebe ich davon.«
Die Redakteurin lachte. »Wir bringen Sie groß raus. Sie werden sehen. Das Format ist hip und Sie sind es auch.«
»Hip?«
»Ja. Erfolgreich.«
»Erfolgreich«, wiederholte Maxie.
In ihrer Erinnerung sah sie Rolf Bauer vor sich, wie er prüfend, ja, geradezu herablassend seine Nase in ihre Töpfe steckte.
»Das ist Definitionssache«, antwortete sie.
Rolf Bauer hatte damals die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als er den großen schweren Emailledeckel lüftete und sah, wie sie den Fisch pochierte. »Wie kann man das einer Forelle antun?«, rief er entsetzt. »Zu wenig Säure!« Kurzerhand schüttete er die Brühe in den Ausguss, als wäre es Abwaschwasser. »Das wäre sowieso nichts geworden.« Er packte Maxie an den Schultern und sah sie eindringlich an. »Mädchen, der Fisch war lange genug im Wasser. Garen, meine Kleine, über dem Dampf garen, grillen oder gratinieren. Er muss etwas Farbe und Geschmack annehmen. Verstehst du das?« Und er berührte mit drei Fingern seiner rechten Hand zaghaft ihre Stirn. Seit diesem Moment hatte sie das Gefühl, sie sei von ihm gezeichnet, als hätte seine Berührung ein Mal auf ihrer Stirn hinterlassen. Eine Jüngerin. Maxie strich sich eine Locke aus den Augen. Dabei wäre sie gern mehr für ihn gewesen.
»Und was halten Sie nun davon, Frau Kaiser?« Laucht-Hemmers Stimme klang ungeduldig.
Maxies Blick erfasste die Dose Sesamkörner, die immer noch links vom Herd stand. »Wann wollen Sie herkommen? Oder muss ich zu Ihnen?«
»Nein, nein. Unser Experte Rolf Bauer ist schon vor Ort.«
Maxie streute Sesam über die karamellisierten Walnüsse, aber die feinen Samen hafteten nicht mehr an den Nüssen. Sie hatte zu lange gewartet.
Bis man den Toten fand, vergingen etliche Stunden. Ein Hubschrauber der in der Nähe stationierten Fliegerstaffel hatte auf einem seiner Übungsflüge den Leichnam registriert, der wie eine unachtsam weggeworfene Puppe in einer Sandkiste lag. Die Nachricht vom Tod eines Fremden in der Sandgrube verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Ort. Es kam zu einem Verkehrsstau auf der engen Zufahrtsstraße.
Als Maxie die Autoschlange sah, trat sie heftig auf die Bremse. Ihre signalrote Lederhandtasche rutschte vom Beifahrersitz, und der Inhalt verteilte sich auf der von Schlamm verkrusteten Fußmatte. Dann stand der Wagen. Maxie sah die Dorfbewohner am Rande der Grube stehen, dicht aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur. Maschinen hatten sich in den letzten Jahren tief in den Berg gefressen.
Der Wald wurde mehr und mehr zurückgedrängt, Felder nicht länger bewirtschaftet. Riesige Sandkrater waren entstanden. Und der Hunger war noch lange nicht gestillt. Die Firma Eckstein & Sohn hatte bereits weitere Wiesen und Äcker gekauft. Maxie ließ ihren Blick über die zerklüftete Landschaft schweifen. Sie sah die feinen Adern, die sich durch das Gestein zogen, die Farbschattierungen des Sandes von Kalkgrau bis Goldgelb. Instinktiv legte Maxie die Hand auf den Bauch. Damals hatten sie in der Sandgrube gespielt.
»Du traust dich nicht!« Juliane hatte laut gelacht, so provozierend, wie nur sie es konnte.
Maxie stand am Rand eines Sandplateaus.
»Das traust du dich niemals.«
Maxie sah sie an.
Juliane grinste.
Sie sprangen synchron.
Der freie Fall dauerte nur einen Wimpernschlag. Juliane hatte laut geschrien, aber es klang nicht ängstlich.
Sie hatte kein Recht dazu, mutig zu sein, dachte Maxie zornig.
Wie ein Stein lag Maxie auf dem Sandboden. Sie hatte versucht, den Sprung mit den Knien abzufangen, war aber von der Wucht des Aufpralls zu Boden gerissen worden.
Sie unterdrückte einen lauten Schrei und hielt sich den schmerzenden Knöchel.
»Ich habe gestern mit Reiner geknutscht.«
Maxie starrte ins Leere, konzentrierte sich darauf, die Tränen zurückzuhalten.
Juliane grinste. »Dann hat er mir unter mein Shirt gefasst. Hättest du das gedacht?« Sie kicherte.
»Da hat er ja nicht viel gefunden«, presste Maxie hervor und betastete ihren Fuß.
»Mehr als bei dir, sagt Reiner. Und der muss es ja wissen, oder?«
Juliane winkte den Jungs zu. Dann sah sie Maxie aus ihren unschuldigen Puppenaugen an: »Dann habe ich sein Teil berührt.« Sie lachte. »Und stell dir vor, er kam sofort. Sekundenorgasmus.«
Maxie schloss die Lider und spürte die salzige Tränenflüssigkeit. Es brannte. Diese Demütigung würde sie ihr nie verzeihen. Am liebsten hätte sie Juliane gleich hier in der Sandgrube lebendig begraben.
»Schon die Römer schätzten Vorspeisen. Obst und Käse galten als Appetitanreger für zwischendurch. Aber die Speiseabfolge war noch recht einfach. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis Raffinesse und Vielfalt in der europäischen Küche Einzug hielten. Den Franzosen, wem sonst, haben wir das zu verdanken: Entenleber mit Trauben und Weißweingelee, Gänseleber mit Périgord-Trüffel in Madeira, Stopfleber roh mariniert auf Blattsalat. Ach, das Périgord ist meine Welt! Aber warum in die Ferne schweifen? Das Gute liegt so nah.«
Fruchtiger Liebessalat mit Gewürzlachs
Kapuzinerkresse, Brunnenkresse, Sauerampfer, glatte Petersilie, Kerbel, Ringelblume (Calendula), Heidelbeeren
Vinaigrette
Johannisbeeren, Balsamico, Dijon-Senf, Olivenöl,
Pfeffer und Salz
Gewürzlachs
frisches Lachsfilet, Salz, Pfeffer, Senfkörner, Nelke, Piment, Thymian, Fenchel, Anis, Lorbeer, Wacholder, Koriander
Beeren und Salat gut waschen und trocken tupfen. Alle Zutaten für die Vinaigrette mit dem Stabmixer pürieren und mit etwas Zucker abschmecken. • Den Lachs zehn Stunden im Kühlschrank zusammen mit den Gewürzen marinieren. • Der Salat wird auf dem Teller aufgefächert, dazu Heidelbeeren und zwei Löffel Vinaigrette, den Fisch in die Mitte betten, dann eine dunkle Blüte der Kapuzinerkresse dazulegen. Das Tellergericht können Sie am Ende mit den Blüten der Calendulablume garnieren.
Rolf Bauer. Der Mann, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Seine Haare an den Schläfen immer etwas zu lang und seit Jahren grau, das dunkle Deckhaar aus der Stirn gegeit. Unrasiert, aber nicht ungepflegt. Weißes Hemd, Manschettenknöpfe, Sakko. Durchdringende helle Augen, sein prüfender Blick, spitze Lippen, Finger, die alles, was sie kriegen können, in den Mund schieben. Unersättlich. Maxie angelte sich einen Lippenstift. Sie verteilte die Farbe auf der vollen Unterlippe und presste die Oberlippe darauf. Mit dem Finger zog sie den Amorbogen nach. Ihre Augen wanderten dabei zwischen Rückspiegel und Unfallstelle hin und her. Nirgendwo ein weißes Hemd zu sehen. Was hatte sie auch erwartet?
Maxie erkannte den hochgewachsenen Ortsvorsteher, daneben ihren Nachbarn. Der eine sah durch einen Feldstecher und reichte ihn nun dem anderen, der sich strecken musste, um einen Blick in die Grube werfen zu können.
Auch Juliane war da. Sie ist wie Maxie in Rothard aufgewachsen. Die meiste Zeit ihres Lebens haben die beiden zusammen verbracht, ob sie nun wollten oder nicht. Als Juliane arbeitslos wurde, hat Maxie ihr einen Job als Aushilfskellnerin in der Rothardhöhe angeboten. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Frauen war nicht immer einfach.
Juliane warf ihre strohgelbe Mähne in den Nacken und legte die Hand auf die Hüfte, als probte sie eine Pose. Grußlos taxierte Maxie ihre Freundin. Überall Schaulustige. Ganz Rothard war auf den Beinen. Waren Erwins Rinder ausgebüchst? Gab es ein neues technisches Ackergerät zu bestaunen? Oder hatte die Firma Eckstein über Nacht einen neuen Krater gerissen? Maxie konnte nichts erkennen. Die Gaffer versperrten ihr den Weg. Sie sah auf die Uhr. Ihr Zeitplan geriet durcheinander. Sie konnte es sich nicht leisten, hier herumzutrödeln. Energisch wendete Maxie ihren schwerfälligen Kastenwagen, ruderte mit dem Lenkrad rechts, links, wieder rechts über Fahrbahnränder und Schlaglöcher, als säße sie in einem schwankenden Kahn. Sie ärgerte sich über ihr ungelenkes Wendemanöver.
Maxie stieß einen Schrei aus und trat auf die Bremse. Beinahe hätte sie Martin über den Haufen gefahren. Er hob die Arme hoch und schimpfte.
»Martin!«, herrschte sie den schlaksigen Mann mit den braunen schulterlangen Haaren an. »Du stehst mitten auf der Straße!« Typisch, Martin!
Martin zeigte seine fast perfekte Zahnreihe, nur ein Eckzahn stand immer noch etwas schief. »Du meinst, ich hätte lieber den Hochstand nehmen sollen, wie damals.«
»Lass die alten Kamellen!« Maxie hatte nun wirklich keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. »Was ist denn hier eigentlich los?«
Martin hob die Schultern und sagte: »In der Sandgrube ist irgendetwas passiert.«
Maxie hakte nicht weiter nach. »Ich muss los!«
»Sehen wir uns die Tage?«
»Komm vorbei, Herr Landschaftsarchitekt. Ich habe eine Menge Arbeit für dich.«
Martins dunkle Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen.
»Es ist spät.«
Ohne Martin noch einmal anzusehen, ließ sie die Kupplung kommen. Sie fuhr ein Stück geradeaus und bog dann scharf rechts in einen Feldweg ein. Die Räder rutschten weg, sie nahm den Fuß vom Gas, der Wagen hoppelte über ein Schlagloch. Dann trat sie das Pedal durch.
Die schmale Straße grub sich durch Senken, stieg an, fiel wieder ab. Schnell konnte sie nicht fahren. Irgendwann teilten sich die Baumreihen und gaben den Blick ins Tal frei. Nichts erinnerte mehr an das Unglück in der Grube. Alles war wie immer. Rothard lag Maxie zu Füßen. Bevor sie ins Dorf hinunterfuhr, streifte ihr Blick den Waldrand. Das Rothardplateau war umgeben von Bäumen, schlank und hochgewachsen, die wie Wachsoldaten das Dorf umringten. Wenn man nichts in Rothard verloren hatte, verirrte man sich auch nicht hierher. Es gab eine Straße in den Ort hinein und wieder hinaus. Eine Sackgasse. Das Ende der Welt. Und zugleich exklusiv. Keine Bundesstraße, die sich fadengerade durchs Land zog und von unbedeutenden Käffern am Straßenrand gesäumt wurde. Wer einmal nach Rothard gefunden hatte, vergaß den Namen nicht wieder.
Als Maxie von der Hauptstraße rechts abbog, um dann von hinten auf den Hof der Rothardhöhe zu fahren, trat sie zum zweiten Mal an diesem Tag heftig auf die Bremse. Ein parkendes Auto versperrte ihr den Weg. Maxie ließ das Fenster herunter und rief laut: »Juliane!« Juliane hatte die schlechte Angewohnheit, ihren klapprigen Fiat Panda an den unpassendsten Stellen zu parken. Mitten auf dem Hof! Sie rief noch einmal laut nach ihr. Aber es half nichts, Maxie musste heute vor dem Haus die Einkäufe ausladen. Kaum hatte sie die Heckklappe geöffnet, spürte sie auch schon Elvira Böhms Blick im Nacken. Nicht nur die Bäume hielten hier Wache. Ihre Nachbarin pflegte seit dreißig Jahren ein konstantes Übergewicht, trug die immer gleichen Lockenwickler im Haar und bis heute die Kittelschürzen, die Maxie schon aus ihrer Jugend kannte: die unifarbene blaue in der Woche, die geblümte am Wochenende und die weiße mit Spitze an Festtagen. Elvira Böhm lebte allein mit ihrem Sohn in dem verklinkerten Haus an der Dorfstraße. Der Maurer, Fliesenleger und Tapezierer Kurt Böhm hatte das Haus mit seinen eigenen Händen erbaut. Maxie erinnerte sich vage an den schmächtigen Mann mit dem schütteren Haar und den verstaubten Klamotten. Eines Morgens stand er vom Frühstückstisch auf, wünschte Elvira und dem kleinen Erwin einen schönen Tag und fiel auf die frisch importierten italienischen Fliesen. Er war sofort tot.
Das Leben der Böhms war seitdem wie konserviert.
Erwin war zwar mittlerweile erwachsen und in die Höhe geschossen, aber das war auch schon die tiefgreifendste Veränderung im Hause Böhm.
Jeden Samstag putzte Elvira Böhm auf den Knien die Marmorfliesen, damit die Zeit hier keine Spuren hinterlassen konnte. Maxie war sich sicher, dass auch die Sitzgarnitur im Wohnzimmer noch mit Decken verhüllt war, so wie früher, um das Polster zu schonen. Sogar die Holzbank vor dem Haus wurde durch einen Plastiküberwurf geschützt. Bestünde die Möglichkeit, Elvira Böhm würde das gesamte Haus mit einer Wetterschutzfolie versiegeln. Christo und Jeanne-Claude hätten ihre wahre Freude daran. Der einzige Haken an einer solchen Verhüllungsaktion: Der Ausblick auf die andere Straßenseite wäre getrübt. Kaum auszudenken. Elvira Böhm schätzte die unverstellte Sicht auf ihre Nachbarn.
Ob Maxie das Haus verließ oder betrat, morgens die Fenster zum Lüften öffnete oder die Post entgegennahm: Frau Böhm war immer auf ihrem Posten. Ihr Blick ließ sie nicht los. Eine Palette Sahne. Eine Kiste Tomaten. Darauf stapelte sie Pasta, Rucola, Fenchel. Unter Frau Böhms Beobachtung hatte sie immer das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Ich habe dafür bezahlt, ehrlich«, rief sie über die Straße. Elvira Böhm schüttelte empört den Kopf und knallte das Fenster zu. Jetzt fehlte nur noch Werner Schmidts Höllenhund. Aber von dem ewig schlecht gelaunten und psychisch labilen Hund mit traumatischer Tierheimvergangenheit war nichts zu sehen. Noch nicht. Maxie schaute sich noch einmal um, bevor sie die nächste schwere Einkaufskiste die Stufen hinauf schleppte. Zanderfilet, Kalb, Kräuter. Sie hatte das ungute Gefühl, etwas vergessen zu haben. Ihre grauen Zellen arbeiteten, aber ihre Synapsen fanden den Anschluss nicht. Sie klemmte sich die Kiste zwischen Armbeuge und Hüfte, dabei kullerten ein paar Zitronen auf die Straße. Was hatte sie bloß vergessen? Sie konnte so viele Einkaufszettel schreiben, wie sie wollte, im Labyrinth der hoch aufgetürmten Waren ließ sie sich doch von Angeboten locken, vom Strom der Einkaufenden treiben, von Menge und Masse anziehen. Maxie prüfte, roch, schmeckte und strapazierte ihre Sinne aufs Äußerste. Sie dachte an die runzligen Kartoffeln im Keller ihrer Eltern. Gammelige Reste, die bis zur neuen Ernte hartnäckig aufgebraucht sein mussten. Sie schmeckten bereits im Januar fade und muffig.
Maxie kochte mit erstklassiger Ware. Sie ließ die Kartoffeln durch ihre Hände gleiten, spürte Unebenheiten, Augen, Verwachsungen und sortierte die schönsten aus. Heute hatte sie eine alte deutsche Sorte gekauft. Ein seltener Fund. Nirgendwo sonst wurde der Verlust der Vielfalt so deutlich wie bei Kartoffeln. Viele regionale Sorten waren einfach verschwunden. Die Blaue Schweden fiel Maxie sofort ins Auge. Dunkelviolett stachen die Knollen auf dem grünen Flies des Marktstandes hervor. Sie sahen aus wie angemalt. Maxie schätzte den kräftigen Geschmack der ovalen Knolle, auch wenn die Farbe gewöhnungsbedürftig war. Der Zellfarbstoff Anthozyanin verflüchtigte sich noch nicht einmal beim Kochen. Violette Kartoffelscheiben in Fett frittiert. »Ein eyecatcher«, hatte Rolf Bauer die Chips genannt und einen nach dem anderen bedächtig in den Mund geschoben, als hätte er einen Löffel feine kaspische Perlen vor sich oder eine andere Sorte teuren Kaviars. Maxie hatte noch nie einen Mann erlebt, der sich dem guten Essen so verschrieben hatte wie Rolf Bauer. Alles an ihm, jede einzelne Pore, atmete Genuss pur. Maxie seufzte.
Genuss war nur in Verbindung mit Qualität zu haben. Leider konnte sie niemanden in Rothard überzeugen, die Blaue Schweden für sie anzubauen. Immerhin eine alte Sieglinde und eine milde Granola waren hier aufzutreiben und Maxie eine dankbare Abnehmerin dieser festkochenden Kartoffel. Es wäre schön, alles frisch und in erstklassiger Qualität ins Haus geliefert zu bekommen, vielleicht sogar direkt aus dem Ort. Aber dieses Nest hatte den Anschluss verpasst. Niemand hatte die Weichen für die Zukunft stellen wollen. Ökologischer Landbau? Die Bauern hatten sie ausgelacht. Für eine pestizidfreie heimische Gartenfrucht musste sie wie für eine ungespritzte Zitrone oder eine Biotraube eine halbe Stunde Fahrtzeit in Kauf nehmen. Maxie fühlte sich ausgelaugt. Sie schnaufte, als sie die letzte Kiste hochhob. Mit dem Fuß stieß sie die Autotür zu. Da stand er, der Rottweilermischling, und sah ihr herausfordernd in die Augen. Er schob ihr seine feuchte Nase zwischen die Beine. Maxie wehrte die Attacke mit der Kiste ab. Der Hund schnappte nach ihr. In Zeitlupe bewegte sich Maxie rückwärts auf die Haustür zu. Der Hund knurrte. In Gedanken ging sie ihre Möglichkeiten durch. Ein Schlag auf die empfindliche Nase? Wohin dann mit der Kiste? Die Hundeschnauze bohrte sich wieder in ihre Waden. Ihm die Kiste überbraten? Dafür war ihr der Inhalt zu kostbar. Sie wich aus. Er blieb dran. Maxie spürte die leichte Vertiefung in der Mitte der Steinstufen. Ein einziger Schritt trennte sie noch von ihrer Haustür. Sie ließ den Hund nicht aus den Augen. Dann setzte sie kräftig ein Bein vor. Ihr Knie schlug gegen seinen Unterkiefer, und sie hörte sein Gebiss knacken. Sie nutzte den Moment, um ins Haus zu kommen, und knallte ihm die Tür direkt vor der Nase zu. Sein Gebell schlug an wie die Schimpftiraden des Herrchens. »Man muss auch mit Enttäuschungen leben lernen, Fiffi!«
Mit jedem Schritt fing Maxie die Geschichte dieses hundert Jahre alten Hauses ein. Hier hatte Minna ihr gesamtes Leben verbracht. Mit dem Haus und mit Minna war Maxie eng verbunden. Schon als Kind hatte sie sich hierher geflüchtet, wenn es ihr zu Hause zu eng wurde. Minnas Tür stand immer für sie offen.
Auch wenn es nicht Maxies Elternhaus gewesen ist, war ihr doch jeder Winkel vertraut. Sie wusste, dass man sich nur ins Haus schleichen konnte, wenn man die siebente Parkettdiele im Flur übersprang: Sie knarrte zu laut. Sie wusste, dass sich die Schokolade in der alten Brotdose neben dem Herd befand und dass Minna sofort merkte, wenn etwas fehlte. Sie wusste, wie wunderschön der Ausblick aus dem runden Dachfenster war, das man nur über einen schmalen Stieg erreichte. Und sie wusste auch, dass Minna all ihre Schätze im alten Gewölbekeller aufbewahrte. Unzählige Kräuter hingen hier von der Decke. Gewürze, Heilkräuter, Giftpflanzen. Es wurden kaum Worte darüber verloren, und doch lernte Maxie alles, was sie wissen musste, von der alten Minna. Maxies Mutter interessierte sich nicht für Kräuter und Pflanzen. Sie schimpfte über das Unkraut im Garten und auf den Wegen und riss achtlos alles aus, was Minna liebevoll sammelte und sorgfältig trocknete. Die Mutter hatte keine Zeit für diese Dinge. Sie arbeitete auf dem Feld, im Wald, in der Stadt. Gekocht wurde ohne viel Aufwand. Kartoffelbrei mit brauner Soße gehörte zu den frühen kulinarischen Erinnerungen ihrer Kindheit. Grobgekörntes Pulver aus der Tüte, Bockwurst aus dem Glas, Hühnerbrühe aus der Dose. Die zweifelhaften Errungenschaften der modernen Küche hatten in den siebziger Jahren auch Rothard nicht verschont. Die alte Minna aber blieb ihrem Kochstil treu. In der Küche wurde immer noch verarbeitet, was der Garten hergab. Dazu wurde an Sonntagen ein Stück Fleisch gereicht, natürlich von einem Tier, das sie großgezogen und am Ende selbst geschlachtet hatte. Ein Essen zuzubereiten verlangte Handarbeit. Zeit und Geduld waren die Tugenden, die man vor allen anderen dafür benötigte.
Damals wie heute fiel die Außenwelt von Maxie ab, sobald sie nur die Schwelle überschritten hatte. Ihr Reich. Ein Hauch Politur wehte ihr in die Nase, mit der schon die alte Minna den hellen Holzboden behandelt hatte. Stundenlang durfte der Boden nicht betreten werden. Wachs und Spiritus. Als Kind hatte Maxie den Geruch aufgesogen. Die Fliesen glänzten bis zur nächsten Behandlung, als wären sie mit Schwarte gefettet.
Maxie wollte das Haus endlich kaufen. Die alte Minna hatte es ihrem Neffen, Georg Böhm, hinterlassen. Der wusste nicht recht, was er mit dieser Erbschaft anfangen sollte. Ein schiefes altes Fachwerkhaus am Fuße des Rothardhügels war nicht gerade eine gefragte Immobilie.
Maxie hätte es längst kaufen sollen.