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Gerhard D. Schuster erzählt in diesem Band originelle Episoden aus seinem Reiseleben als Geschäftsmann, die er in mehreren Erdteilen und vielen Ländern gesammelt hat und jetzt einer interessierten Leserschaft zur Verfügung stellt.
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Seitenzahl: 167
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Hiermit verneige ich mich vor
Europachef Vince Duqué (Trane Co.),
CEO John Corry (Beneke Corp.)
und dem Verkaufsgenie Fred Herzberg.
Sie waren meine großen Förderer
(Es muss wohl die „Chemie“ gewesen sein...).
Ohne sie wären weder die eigene Firma
noch die hier beschriebenen Reisen
Realität geworden.
Gerhard D. Schuster
Einige Namen in den folgenden Geschichten sind zur Wahrung von Persönlichkeitsrechten beteiligter Personen geändert worden. Die Geschichten sind durchweg so wie beschrieben geschehen. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind rein zufällig, aber nicht beabsichtigt.
Lange habe ich überlegt, welche Momente in dem halben Jahrhundert Auslandsreisen den stärksten Eindruck auf mich hinterließen.
Abgesehen von einzelnen, fulminanten Höhepunkten wie zum Beispiel dem Ausruf des heimlichen Immobilien-Tycoons, waren es die gemeinsamen Reisen mit den absoluten Überfliegern unter den Star-Verkäufern, mit denen ich als Geschäftsmann im Laufe meines Lebens zu tun hatte.
Egal in welchem Land, es waren die Momente, wo ich mir wie der Kofferträger eines Filmstars, dem sofort alle Türen geöffnet wurden, vorkam. Deshalb wird in der Wirtschaft nichts stärker honoriert als die hohe Kunst des Verkaufens.
Gemäß der Formulierung des großen Franzosen Jacques Rigaud: „Was mich übertrifft, inspiriert mich!“, bin ich für immer dankbar, dass ich solchen „Genies des Verkaufens“ begegnen und mit ihnen arbeiten durfte.
Gerhard D. Schuster
Im Frühjahr 2021
Drei Europäer als Trainees in den USA
Mit dem deutschen „Mr. Shakespeare“ auf Amerika-Reise
Las Vegas, Tiefpunkt der amerikanischen Zivilisation
Der trinkfeste Pariser Vertreter
Der Casanova von Marseille
Wie unsere Bürochefin in New Yorks Kult-Kneipe für Furore sorgte
Angelika auf Werksbesuch in den USA
Der Hüne in der 1. Klasse neben mir
Was ich mit einem 7er BMW als Firmenwagen erlebte
Markt-Recherche am Kap der guten Hoffnung
Meine Erlebnisse an der Seite von Verkaufsgenies
Clifford Morris – Eloquenz im Geschäftsleben
Worte eines veritablen „Shooting-Stars“, neun Jahre lang mein Chef
Warum mich die Schweizer Polizei aus einem Basler Hotel holte
Im Land des nordischen Napoleon
Der südfranzösische Unternehmer mit dem Porsche
Keith Harrop - mein unvergesslicher englischer Freund
Neuntägiger Aufenthalt im „Big Apple“
Der Wirbel, den meine schöne Begleiterin in Italien verursachte
Der kleine Armani der Sanitärbranche
Wie Pariser Beine den ungarischen Zoll schachmatt setzten
Ins Venedig-Wochenende mit Italiens Elite
Zauberhafte Reise-Flirts in Köln und Vancouver
Faszination der Stradivari-Stadt
Warum „Zocca“ zum geflügelten Wort bei uns wurde
Der ugandische Importeur in Valencia, der Moise Tschombé ähnelte
Herzogstadt Ferrara - gefährliches Leben im Mittelalter
Der Weihnachtsabend im Taxi in Taipeh
Ein italienischer Bahnhof wie in einem Western
Der verkappte Slum-Lord in Stockholm
Hotel-Dramen im spanischen Sitges
Wilder Westen auf Chinas Autobahnen
Claude Chabrol filmt die berühmte Pariser „Heure Bleue“
Der ungewöhnliche Geschäftsfreund aus Montreal
Wie ich dazu kam, Pariser Lebenskunst zu studieren
Wie ich schlecht rasierte Handelsvertreter in Jeans lieben lernte!
Besuch bei Asiens Holländern
Der Adlige im Pariser Feinkostladen
Wiedersehen mit der „Windy City“
Boomtown des 21. Jahrhunderts
Wie ein indischer Global Player zu meinem Butler mutierte
Der neuseeländische Crocodile Dundee nickte mir zu
Der englische Investment-Banker in der Hotel-Bar von Dubai
Wie Scotland Yard einen Mordfall noch während unserer Reise löste
Wie ich entdeckte, dass Engländerinnen keineswegs spröde sind
Ein dramatischer „High Noon“ in der Lombardei
Das Aufstellen der Ibsen-Statue genau abgepasst
Der amerikanische Schulden-Student im Osloer Airport-Express
Ein IQ von 143 auf dem Sitzplatz neben mir
Der von unseren zwei Pariser Online-Shops entfesselte Wirtschaftskrieg
Im Landhaus der „Jenseits von Afrika“ Autorin
Das Museum in Oslo - Edvard Munch und die Frauen
Ein wenig Marco Polo - 11 Begegnungen auf einer China-Reise
Blitz-Reise zu Europas Boomtown
Holländer - die cleversten Geschäftsleute Europas
James Bond Autos im belgischen Dauerregen
Côte d´Azur - im Land der Reichen und Schönen
Warum wir aus einem Geschäft in der Grazer Altstadt flüchteten
Der anglophile Chefarzt im Frühflug nach London
Nachwort - Wie mein Faible für gediegene Hotel-Bars entstand
Das Amerika der Sechziger Jahre hatte seine ersten wirklichen Dellen bekommen (Sputnik, Kennedy-Attentate), hielt sich aber immer noch für „Gottes eigenes Land“, wie eine feine ältere Dame nur wenige Jahre zuvor im Schnellzug Toronto-New York mir, dem Abiturienten, allen Ernstes versichert hatte.
In den 60ern erblühte eine ganz neue Industrie: die Klimatechnik. Sie sollte dem bisherigen Armenhaus der USA, den Südstaaten, einen bis dahin unvorstellbaren Boom bringen.
An der Spitze dieser vom amerikanischen Ingenieur Willis H. Carrier begründeten Industrie standen damals zwei Konzerne: die Carrier Corporation in Rochester/New York und die Trane Company. Jobs waren nach meinem Ingenieur-Studium an der „University of Toronto“ rezessionsbedingt Mangelware. Mein Vater entdeckte die Information in einem winzigen Text in einer Fachzeitschrift, dass die Trane Company in Frankfurt ihr erstes deutsches Verkaufsbüro eröffnet habe.
Denkwürdig bleibt die beeindruckende Gründlichkeit des Selektionsverfahrens von Trane: Sage und schreibe sieben Top-Manager aus Toronto und La Crosse prüften alle Bewerber - mich unter ihnen - in Einzelgesprächen auf Herz und Nieren. Zwei dieser Manager sind mir bis heute unvergesslich: der Harvard-Absolvent und Vizepräsident im Hauptwerk sowie ein ehemaliger Oberst, später CEO der Tochterfirma in Toronto.
Ich muss an dieser Stelle beichten, dass ein kleiner Bluff meinerseits u. a. eine solche Einigkeit zwischen den Interviewern zur Folge hatte, wie sie zuvor noch nie vorgekommen sein soll. Als Autor für Fachzeitschriften hatte mein Vater einen seiner Aufsätze unter meinem Namen laufen lassen… Bis heute weiß ich die (damaligen) Kennziffern des von französischen Pelztierhändlern direkt am Mississippi gegründeten Städtchens La Crosse auswendig: 50.000 Einwohner, 50 Kirchen und 128 Kneipen (dort „Bars“ genannt), aber nur ein einziges Kino. Wir drei Europäer, die sich bei Trane Technologies Inc. beworben hatten, hatten uns noch nie im Leben derart gelangweilt.
Frank Janssen war Holländer, Alphonse Iven Belgier und ich Deutsch-Kanadier. Als einziger von uns dreien schaffte sich Frank ein gebrauchtes Auto an, das Al und ich gelegentlich borgen durften. Wichtigstes Utensil im Kofferraum: Ein Besen, um im Winter die Schneemassen vom Auto herunterzufegen.
Der Winter im Mittleren Westen hat es in sich! Beim täglichen Fußmarsch zur Firma über 12 Häuserblocks hatte ich nach fünf bis sechs Straßen einige Male das Gefühl, ich müsse mich dringend in einem der Wohnhäuser aufwärmen, damit meine Nase nicht abfriert!
Das Trainee-Programm „Grundlagen der Klimatechnik“ für die angehenden Verkaufsingenieure war schulmäßig aufgezogen, der Dozent vor allem fit in der in Amerika so wichtigen Eigenschaft - einem flapsigen Humor. Infolge des in den USA viel häufigeren Job-Wechsels - geschuldet dem brennenden Ehrgeiz junger Amerikaner, aber für Trane kein Nachteil, weil die Wechsler die Daten der Trane-Maschinen im Kopf hatten - schulte dieses Unternehmen für seine zahlreichen Verkaufsbüros jedes Halbjahr 100 neue College-Absolventen.
Zu meiner Verblüffung war die Hälfte der amerikanischen Kollegen (Durchschnittsalter 22) bereits verheiratet, einige hatten sogar schon Kinder. Ich kam mir mit meinen 24 Jahren bereits wie ein Methusalem vor. Da die State University in Madison nur eine Autostunde entfernt war, wimmelte es in La Crosse am Wochenende von heimgekehrten Studenten. Vor den angesagtesten Bars bildeten sich jedes Mal zwei Menschenschlangen: Die eine robbte sich langsam hinein, die andere heraus. Die Devise lautete: „Bloß keinen Date-Kandidaten verpassen!“ Wie mir schon aus Toronto geläufig, tobte in Nordamerika um die begehrtesten jungen Frauen ein ganz anderer Wettbewerb als in Europa. Für die Mädchen galt: Ab Donnerstag bluffen, dass das Wochenende schon verplant sei. Sonst könnte man, oh Schreck, nicht gefragt sein!
Da wir schon beim Thema sind: Beim spröden, staubtrockenen Frank tat sich trotz eigenen Autos in Bezug auf Frauen rein gar nichts. Unser verheirateter Freund Al mit dem augenzwinkernden Auftritt eines Latin-Lovers hatte dagegen sofort eine verliebte Amerikanerin am Hals, der er tüchtig was vorlog.
Ich selbst verlegte mich erstmal aufs Beobachten und stellte bald fest, dass eingewanderte Europäerinnen, denen der Mann irgendwie abhandengekommen war, mangels Seele bei den Amerikanern lieber nach europäischen Männern Ausschau hielten.
Es kam, wie es kommen musste: Ich wurde das (durchaus willige) Opfer einer wunderschönen, deutschen Endzwanzigerin, die den Haushalt in einer Millionärsvilla schmiss. Irene wurde meine unvergessliche Lehrmeisterin in Sachen Liebe.
Am Wochenende gab es neben einem einzigen Kino und den hundert Kneipen lediglich das berühmte „Cruising“ auf der Main Street, von George Lukas unnachahmlich in seinem berühmten Kultfilm „American Graffiti“ über Amerikas Jugend dargestellt. Spaziergänger gab es in La Crosse nicht, sogar durch den Stadtpark wurde mit dem Auto gefahren. So fieberten wir drei Europäer dem Ende unseres Aufenthaltes entgegen und konnten unsere Rückkehr nach Europa kaum erwarten. Aber die Lockerheit und Hilfsbereitschaft der Amerikaner würden uns für immer unvergesslich bleiben.
Fred Herzberg war der wortgewaltigste Handelsvertreter, dem ich je begegnet bin. Weil uns eine ganze Generation trennte, entwickelte er mir gegenüber irgendwie väterliche Gefühle. Und da er ein so großes Herz hatte und zudem ungewöhnliche Herausforderungen liebte, wurde er mein Mentor für den Aufbau einer amerikanischen Vertriebsgesellschaft in Deutschland.
Nachdem er seine Kollegen, die Elite der Vertreter der Sanitärbranche, mit ins Boot geholt hatte, explodierten unsere Umsätze regelrecht, und mein Job war bei den höchst ungeduldigen US-Chefs gesichert. Die Belohnung für Fred waren ein Werksbesuch in den USA, inklusive Stopover in New York, sowie der Besuch einer Fachmesse in Las Vegas. Ihn auf seiner ersten Amerika-Reise begleiten zu dürfen, war grandios. Diese Reise wurde zur schönsten aller meiner USA-Reisen.
Freds Begeisterung war ansteckend. Ich entwickelte eine Methode, seine temperamentvollen Ausrufe heimlich auf Servietten zu notieren. Hier sind seine 20 besten:
DIE REISE
„Amerika gibt mir die vierte Dimension!“ (Ankunft)
„Wie die das aufeinandergetürmt haben, sprengt die menschliche Vorstellungskraft!“ (Rockefeller Center)
„Unglaublich diese Organisation - hier steht schon wieder ein Wagen mit laufendem Motor bereit!“
„Wenn man 1. Klasse fliegt wie wir, ist das doch selbstverständlich, das ist man sich doch schuldig!“ (Zwei wartende Cadillacs)
„Hier rast man mit fast tausend Stundenkilometern stundenlang durch dieses Land!“ (Flug von Memphis nach Los Angeles)
„So oft wie diese Woche habe ich meine Uhr noch nie verstellt!“
„Zwischendurch muss ich auch mal kurz runter, um den Überblick zu behalten!“
„Das müssen wir unbedingt fotografieren, das glaubt in Europa sonst kein Mensch!“ (Kino - großes Schild „Welcome Fred Herzberg“)
„Eine Postkarte an mich können Sie sich echt sparen, weil ich hier alles hautnah miterlebe!“
„Wer mit diesem Land anbindet, muss wissen, dass er den Kürzeren zieht!“
LAS VEGAS
„Weiße Berge am Rand, wir selbst sitzen in der Wüste - alles irre hier!“
„Was die Amis sich hier zurechtgezimmert haben, ist unglaublich!“
„Die essen hier Krebse paketweise, wo unsereiner noch checkt, ob das überhaupt zu zahlen ist!“
„Die sind hier steinhart, wenn’s an Geldverdienen geht. Junge, Junge, dagegen sind wir Waisenknaben!“
„Es gibt hier keine Lücken mehr, wo nicht abkassiert wird. Diese Lücken sind ausgemerzt, davon bin ich überzeugt!“
„Ohne einen Dollar ist man hier tot, ein toter Mann!“ (bündelweise Dollarscheine als Trinkgelder in der Hosentasche)
„Hier laufen ja jede Menge Sheriffs mit durchgeladenen Pistolen herum!“
„Die alten Frauen mit ihren Pistolen, das ist gar nicht gut. Das gefällt mir überhaupt nicht!“
„Fünfundvierzig Grad im Sommer, das ist das Ende! Da kann man nur noch im klimatisierten Raum sitzen und auf den Winter warten!“
„Oha, da haben wir eine Weile zu knacken, an dem Ding, das die uns hier serviert haben! Oh Mann!“
Auf der nächsten Verkaufskonferenz in einem Frankfurter Hotel schenkte ich ihm seine eingerahmten Zitate als Andenken an die gemeinsame Amerika-Reise.
Keine zehn Pferde hätten mich normalerweise in die schillernde Welthauptstadt des Glücksspiels gebracht.
Aber dann ergab sich doch ein Besuch, und zwar aus rein beruflichen Gründen: Mein damaliger amerikanischer Arbeitgeber hatte einen Messestand auf einer dortigen Fachausstellung.
Die schier überwältigende Neonreklame der Spielpaläste und Riesenhotels sowie deren gigantische Spielsäle kennt wahrscheinlich jeder aus Film, TV und Printmedien. Aber in welchem Ausmaß diese Metropole gleichzeitig die Welthauptstadt des Edelkitsches ist, begreift man erst vor Ort.
Die geschäftlichen Ergebnisse bzw. Erkenntnisse einer Messe wurden diesmal komplett überdeckt von den Abenden im Unterhaltungsmekka Amerikas, die einen Neuankömmling glatt aus den Schuhen hoben. „Caesars Palace“ und „The Venetian“ waren nur zwei Beispiele einer total verkitschten Sehnsucht nach Europas großer Geschichte.
Lassen Sie mich nur den Show-Abend mit Wayne Newton herausgreifen, für den die Firmenleitung Monate vorher die Eintrittskarten bestellt hatte. Dieser hünenhafte Sänger mit teilweise indianischer Abstammung lag - damals in Gage und Renommee gleichauf mit Frank Sinatra - an der Spitze der Begehrlichkeiten der Wüstenstadt, trat allerdings ausschließlich in Vegas auf.
Unvergesslich, wie das Dutzend Manager und Gäste unserer Firma in vor Ehrfurcht leicht gebückter Haltung (wegen der Ikone Wayne Newton) - eine Art Bückling vor dem in Amerika fast mit Besessenheit ersehnten Erfolg - den dunklen Flur entlang gingen, bis sich eine Tür auftat, und wir im großen Konzertsaal erstmal zum Abendessen Platz nahmen.
Nachdem das Geschirr wieder abgeräumt war, begann der erste Teil der Show. Und zwar trat ein untersetzter Komiker auf die Bühne und gab eine geschlagene halbe Stunde lang anzügliche Witze zum Besten, die in Deutschland höchstens in Lokalen wie in Hamburgs Reeperbahn möglich wären, aber auf keinen Fall vor dem Auftritt eines Popsängers der Extraklasse. Fast peinlich, wie das Publikum dabei johlte.
I. Das erinnerte mich an zwei Dinge:
Nur ein halbes Jahr später beendete ich im Sommer meinen MBA in Toronto. Unser 14-jähriger Sohn war deshalb für die Dauer der Schulferien aus Europa herübergekommen. Eines Abends lud ich ihn ins Konzert des berühmten Popsängers Engelbert ein. Bei dessen Anfang gab‘s zu meinem Schrecken analog zu Las Vegas einen Possenreißer schmuddeliger Witze samt entsprechendem Gejohle. Ich saß wie auf Kohlen und überlegte fieberhaft, ob wir nicht besser gehen sollten. Wir hielten durch, und mein Sohn sprach danach den denkwürdigen Satz: „Die sollen in Amerika bleiben, und wir bleiben in Europa!“
II. Nach einer Messe in Frankfurt saßen die deutschen Mitarbeiter und die US-Chefs am Abend noch gemütlich in einer der bekannten Äppelwoi-Kneipen des Vororts Sachsenhausen zusammen. Als gegen 23 Uhr das bekannte Schunkeln einsetzte, war der direkt neben mir sitzende Firmenchef erst erstaunt und meinte schließlich: „In the States this would get seedy very quickly!“ (In den Staaten würde so etwas schnell primitiv werden!). Trotz allem wurde der Auftritt von Wayne Newton dann ein voller Erfolg. Nicht nur konnte er (entsprechend kostümiert) als Sänger mühelos mit den Pop-Ikonen seiner Zeit mithalten, sondern er führte zusätzlich seine Fähigkeiten auf gleich mehreren Musikinstrumenten vor - wirklich ein erstaunliches Allroundtalent!
Als wir nach dem umjubelten Ende inklusive mehrerer Zugaben schließlich gingen, war Newton seiner Reputation als Superstar von Las Vegas voll gerecht geworden.
Nachdem ich begonnen hatte, für die Amerikaner ein Netz von französischen Vertretern aufzubauen, sollte schließlich ein solcher auch für den Großraum Paris engagiert werden. Es galt, den vom bereits erfolgreich in der Normandie operierenden Verkäufer Daniel Adam empfohlenen Jacques Boneuil zu interviewen. Folglich flog ich nach Paris und wurde von Monsieur Boneuil am Inlandsflughafen Flughafen Orly (damals auch für Auslandsflüge genutzt) abgeholt.
Nachdem wir gemeinsam ein paar Badgeschäfte besucht hatten, wobei unter Mr. Boneuils Assistenz auch mein damals recht holpriges Französisch zum Einsatz kam, hatte ich mich längst daran gewöhnt, dass mich französische Gesprächspartner schon nach wenigen Sätzen mit einem „Ah, vous êtes Américain!“ unterbrachen. Ich hatte mein erstes Schulfranzösisch auf einer Torontoer Highschool gelernt und wurde den kanadischen Akzent nie wieder los, wäre somit auch als Spion geeignet? Auch in England würde man mich nicht im Traum für einen Deutschen halten...
Danach war Mr. Boneuil so aufmerksam, mich kurz in sein Privathaus mitzunehmen. Das sollte sich jedoch als Fehler herausstellen, denn er wohnte nicht nur in einem recht bescheidenen Pariser Vorort, sondern seine bessere Hälfte gab, als ich kurz allein im Wohnzimmer blieb, eine Schimpfkanonade von sich, dass mir Hören und Sehen verging!
Nach diesem kurzen Abstecher fuhren Boneuil und ich zu einem Restaurant unweit des Hotels. Bei einem ausgedehnten Abendessen verlief unser Gespräch besser als erwartet, und ich begann, ihn als hochsympathischen Geschäftspartner zu akzeptieren, ja fing an, ihn regelrecht zu mögen – auch wenn er einen „Drachen“ im Hause hatte.
Leider weiß ich nicht mehr genau, ob wir eine oder gar zwei Flaschen Rotwein leerten. Auf jeden Fall war ich noch ziemlich fit und im Gegensatz zu meiner cleveren Ehefrau recht ahnungslos, als Boneuil zum Abschluss Calvados, einen edlen französischen Apfelbranntwein vorschlug. Schon nach dem ersten kräftigen Schluck verlor ich – obwohl sitzend – beinahe das Gleichgewicht. Aber ich verordnete mir die Durchhalte-Parole eines russischen Wodka-Trinkers und blieb aufrecht. Es mochte gegen 23.30 Uhr gewesen sein, als ich neben unserem neuen Pariser Vertreter zu seinem Auto wankte. Wie es ihm ohne Unfall gelang, mich bis zu meinem Hotel zu fahren, ist mir bis heute ein Rätsel.
Der Tagebuch-Eintrag jenes Abends zeigt jedenfalls die gleiche, völlig krakelige Handschrift, die ich auch 30 Jahre später nach einer dramatischen Blutvergiftung zeitweilig hatte, die mich um ein Haar ins Jenseits befördert hätte.
Roger Thomas war das, was man eine „Verkaufskanone“ nennt. Sein phänomenaler Ruf in der französischen Sanitärbranche reichte bis nach Paris, wie ich einmal feststellte. Und er bereiste ganz Südfrankreich, mit einer jährlichen Fahrleistung von sage und schreibe 120.000 Kilometern.
Damals baute ich die kleine europäische Niederlassung einer US-Firma aus den Südstaaten auf. Im wichtigen Pariser Raum hatten wir bereits mit Vertriebspartnern Fuß gefasst.
Normalerweise wäre unsere vergleichsweise kleine Firma für einen sogenannten Star-Vertreter wie Roger Thomas nie infrage gekommen. Aber der Zufall wollte es, dass wir genau die Produkte im Programm hatten, die auch sein bisheriger Arbeitgeber, der Marktführer darin, produzierte.
Mit 65 Jahren hatte Thomas das Ruhestandsalter erreicht und mit einer Betriebspension oder zumindest Abfindung gerechnet. Die Firma ließ ihn jedoch wissen, dass er als freier Vertreter und Mitarbeiter ohne jeden derartigen Anspruch sei.
Damit war unsere Stunde gekommen, denn Thomas wollte den immens starken Marktführer für diese - aus seiner Sicht - Ungerechtigkeit „bestrafen“, indem er dessen Umsatz durch einen neuen Konkurrenten senkte.
Der magische „Touch“ dieses Verkaufsgenies zeigte umgehend Wirkung, in kürzester Zeit schoss Thomas an die Spitze sämtlicher europäischer Vertretungen unserer Firma. Höchste Zeit also, ihn zu besuchen, und zwar in Begleitung der einfühlsamen Menschenbeurteilerin neben mir, meiner Frau Ingvild.
Uns Nordeuropäer begeistert das Klima der Mittelmeerländer jedes Mal aufs Neue, trotz der schon aus dem Flieger zu erkennenden, kargen Landschaft. Den Taxifahrer verstanden wir nur mit Mühe. Später erfuhren wir, dass er einen südfranzösischen Dialekt, das sogenannte „Marseillais“ sprach.
Die Begegnung mit Roger Thomas war die erste wirklich große Überraschung dieser Reise. Statt des erwarteten Strahlemannes stand uns ein kleiner, rundlicher Typ, ein regelrechter „Kartoffelbauer“ samt der obligaten Knollennase gegenüber. In den ersten Jahrzehnten seines Berufslebens war dieser temperamentvolle Schnellredner Zirkusartist. Dann entdeckte jemand sein Verkaufstalent.
Beim ersten Kunden, den wir gemeinsam besuchten, bat uns Thomas, draußen zu bleiben, weil zeitgleich sein Nachfolger auf dem Posten seines bisherigen Arbeitgebers eingetroffen war. Wir waren gespannt! Es kam in der Tat so, wie wir es beinahe mit Sicherheit erwartet hatten: Thomas kam mit einer neuen Bestellung zurück, sein Nachfolger ging leer aus!
Ich fragte meine Ingvild nach der Lösung dieses, für mich unbegreiflichen Rätsels: „Gerhard, das verstehst du nicht. Dieser Mann hat ein inneres Feuer!“. Später ergänzte Thomas, dass wir uns über die Zustände in seinem Haus nicht wundern sollten: „J´avais trop de Noces!“, zu Deutsch: „Ich hatte zu viele Hochzeiten!“.
Mit anderen Worten, der Testosteron-Spiegel des ehemaligen Zirkusartisten musste beträchtlich sein. Einmal zeigte er hinter Ingvilds Rücken eine Faust mit dem Daumen nach oben, und flüsterte mir zu: „Votre femme est comme ça!“. Lob vom Meister persönlich.
Der absolute „Hammer“ dieser Reise war der Besuch seiner Villa direkt an den Klippen zum Mittelmeer - wir glaubten zu träumen! Roger Thomas