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"Du bist immer so empfindlich!" oder "Stell dich nicht so an …" Nicht wenige Menschen, die solche Sätze immer wieder hören, suchen den "Fehler" bei sich, glauben, dass mit ihnen etwas "nicht stimmt". Ute Wittig, die selbst zu diesen Menschen gehört und jahrelang glaubte, nirgendwo wirklich hin zu passen, hat erkannt, dass der Grund dafür auf ihrer – im Vergleich zu Freunden und Familienmitgliedern – unterschiedlichen Wahrnehmung der Dinge beruht. Schritt für Schritt hat sie sich Erklärungen erarbeitet und mithilfe vieler Erkenntnisse verstanden, wie sich ihre Sicht auf die Welt und das Leben von der anderer Menschen unterscheidet. In ihrem HSP-Tagebuch (HSP = Highly Sensitive Person) schildert sie in kurzweiligen Texten ihre persönliche Entwicklung und beschreibt ihre Erlebnisse und Einstellungen zu vielen Themen des Alltags. Mancher Leser, manche Leserin wird sich mit Sicherheit darin wiederfinden und vielleicht selbst als "hochsensible Person" erkennen. Ein Buch, das Fragen beantwortet und dabei hilft, mit der eigenen Hochsensibilität umzugehen.
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Seitenzahl: 276
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Impressum
ISBN Ebook 978-3-946723-61-5
ISBN Print-Version 978-3-946723-60-8
Wie ein Reh im Wald der Gefühle
Aus dem Leben einer Hochsensiblen
Ute Wittig
Covergestaltung: Christine Goeb-Kümmel
Korrektorat: Gisela Polnik
Verlag: Verlag Begegnungen, Schmitten
www.verlagbegegnungen.de
Copyright 2020
Alle Rechte vorbehalten
Wie ein Reh
im Wald der Gefühle
Aus dem Leben einer Hochsensiblen
Ute Wittig
Voller Dankbarkeit widme ich dieses Buch meinem Papa, Hubert-Josef „Jobert“ Hübben, der mir mit
seiner Sanftmütigkeit seinem Einfühlungsvermögen seinem Gerechtigkeitssinn seinem Harmoniebedürfnis seiner Intuition seinem Verantwortungsgefühl seinem vorausschauenden Denken seiner Kreativität seiner Liebe zum Detail …
ein paar sehr wertvolle hochsensible Eigenschaften in die Wiege legte.
Inhalt
Vorwort
Bin ich hochsensibel?
Was bedeutet HSP?
Die Erkenntnis
Heulsuse
Sinne
Schlafmütze / Spielverderber
Die Arbeit
Kreativität
Bilder im Kopf
Besondere Begegnungen
Zugehörigkeitsgefühl
Gefühle
Die Liebe zum Tier
Vorahnungen - oder einfach nur gut beobachtet?
Alkohol
Besuch
Gefühlsgedächtnis
Sicherheitsdenken
Grenzen
Das glatte Papier
Das grelle Licht
Die Geräuschkulisse
Freiraum
Die Waagschale
Genauigkeit
Das Gras wachsen hören
Zu viel des Guten
Haben Bücher Stimmen?
Anpassung
Jeder Jeck ist anders
Das Schottlandgefühl
Die Zeit …
Farben
Geräusche
Überall auf den Wegen
Kraftplätze
Symbole
Wünsch dir was / Positives denken
„Der Platz, an dem Du lebst“ – und was dieses Buch bisher mit mir gemacht hat
Gänsehaut
Anders
Meine Bücher
Besondere Kinder
Der Kettenhund
Sterne sind Hoffnung … in einem Leben ohne Namen
Ein Leben für Merlin
Selbstbetrug
Bei den Schafen …
Unaufmerksamkeit
Termine
Verkaufsdruck
Urängste
Stimmen
Verletzt
Wenn sich Wunden in Fähigkeiten verwandeln
Die Schuldfrage
Fazit
Zum guten Schluss
Ein paar Worte zum Dank
Ist es etwas Besonderes, sensibel zu sein?
Oft scheint es leider so!
Das geht sogar so weit, dass sensible Menschen an sich zweifeln, weil sie in vielerlei Hinsicht als zu schwach, zu empfindlich, zu weich etc. dargestellt werden. Dabei müssen hochsensible Menschen eigentlich nicht einmal darüber nachdenken, ob sie hochsensibel sind.
Sie sind es einfach!
Sie werden so geboren, mit empfindsamen, hochsensiblen Sinnen. In ihrem Innersten wissen sie, dass sie, so wie sie sind, genau richtig sind!
Bis das Leben versucht, ihnen etwas anderes weiszumachen …
… und für viele ist genau das der Punkt, wo sie sich verlieren und beginnen, gegen all die wundervollen Eigenschaften der Sensibilität anzukämpfen – der Punkt, an dem die Selbstzweifel geboren werden.
Aber was wäre unsere grobe, kalte Welt ohne Menschen mit einer hohen Sensibilität? Wo bliebe da der Ausgleich?
Alles wäre gut, würde es in unserer Gesellschaft nicht für jede „Art“ von Mensch eine Schublade geben – gäbe es nicht diese Erwartungshaltung, wie ein Mensch zu sein hat.
Auch ich wurde mein ganzes Leben lang von einigen Menschen in diese eine Schublade mit der Beschriftung „ZU SENSIBEL“ gesteckt.
Aber das ist nun vorbei, denn ich habe die Beschriftung auf „HOCHSENSIBEL“ geändert!
Das hört und fühlt sich einfach besser an.
Als ich beschlossen habe, dieses Buch zu schreiben, war mir gar nicht bewusst, wie viel ich dadurch von mir preisgeben würde. Aber wie sollte ich über meine Sensibilität schreiben, ohne dies zu tun?
Oft benutze ich Formulierungen, wie „wir HSP“ oder bei „uns HSP“, beziehe das aber natürlich nicht auf alle hochsensiblen Menschen. Jeder Mensch ist ein Individuum und bei jedem sind die sensiblen Eigenschaften unterschiedlich ausgeprägt. Ich schreibe in solchen Augenblicken in der „Wir-Form“, weil ich einige Menschen in meinem Umfeld habe, die mir und meinen Empfindungen sehr ähnlich sind. So wird sich manch einer von der einen Schilderung angesprochen fühlen und eine weitere nicht ganz so intensiv nachempfinden können.
Und für vieles muss man natürlich auch gar nicht unbedingt hochsensibel sein, um es wahrnehmen und auch intensiv fühlen zu können – denn jeder hat doch seine eigenen sensiblen Themen!
Dieses Buch ist kein Fachbuch oder Ratgeber im eigentlichen Sinn – es ist ein Teil meines Lebens!
Ich möchte niemanden belehren oder ihm gar meine Meinung aufzwingen. Und natürlich möchte ich in keiner Weise die Gefühle und Empfindungen von Nicht-HSP schmälern, denn mir ist durchaus bewusst, dass auch Menschen mit einer „normalen Sensibilität“ oft sehr tiefe Gefühle haben. Die Grenzen verlaufen fließend und das Gesamtpaket von Gefühlsintensität, Reizempfinden etc. macht den hochsensiblen Menschen aus.
Vielmehr hege ich den Wunsch, mit Erzählungen – aus meinem Leben gegriffen – ein bisschen mehr Verständnis für diese Form der hohen Sensibilität zu schaffen.
Zum einen für die Menschen, die sich zu diesem Kreis zählen dürfen, es aber vielleicht noch gar nicht erkannt haben, und zum anderen für die „normalsensiblen“ Menschen, die mit uns HSP „umgehen“ müssen. Denn es ist nicht für jeden leicht zu verstehen, wenn Menschen schneller verletzt, schneller müde, schneller überreizt etc. sind.
Vielleicht schaffe ich das, indem ich euch einfach einen Einblick in mein Leben als Highly Sensitive Person – kurz HSP – gewähre …
Vor ein paar Jahren sagte mir eine Freundin, dass sie denke, dass ich hochsensibel sei. Diesen Begriff hatte ich so noch nie gehört und dann einfach mit „zu sensibel“ gleichgesetzt, denn das ist eine Aussage, die mich schon mein Leben lang begleitet.
„Du bist einfach viel zu sensibel!“
Erst Jahre später sind mir immer wieder Beiträge mit der Aussage ins Auge gefallen, dass Sensibilität eine Stärke und keine Schwäche ist. Auch weitaus informativere Texte zu diesem Thema häuften sich plötzlich in meinem Sichtfeld. Meine Neugier war geweckt, denn ich fühlte mich von sehr vielen Texten sehr angesprochen.
Das Bedürfnis, mich mit dieser Thematik zu befassen, wurde also immer größer. Ich schaffte mir einige Bücher zu diesem Thema an und auch im Internet und in den öffentlichen Netzwerken gab es viel für mich zu entdecken. Es gibt dort auch überall Tests, durch die man herausfinden kann, ob man zu dieser Gruppe Menschen gehört.
Anfangs war ich noch sehr skeptisch, ob es sich bei all dem nicht einfach nur um spirituellen Hokuspokus handeln könnte, doch bei den Tests lag meine „Trefferquote“ immer etwa bei 90 %, und auch die in den Büchern beschriebenen Eigenschaften waren ein Spiegel meiner selbst.
Die Erkenntnis: Ich bin hochsensibel!
Der Moment, in dem ich das für mich annehmen konnte, veränderte meine Welt. Ein plötzliches Verstehen und das Klären vieler Situationen, die mir schon mein Leben lang zu schaffen gemacht haben, war möglich. Viele Dinge fühlten sich dadurch auf einmal ganz anders an. Manchen Dramen hat es die Kraft entzogen und vieles ergibt für mich damit erst jetzt einen wirklichen Sinn.
Häufig hatte ich das Gefühl, nicht auszureichen oder ein Schwächling zu sein.
Dabei fühle ich einfach nur intensiver als die Menschen, die mit einer „normalen“ Sensibilität geboren wurden …
Ich sehe aber auch in meinem Umfeld so manchen Menschen, dem ich eine hohe Sensibilität zuschreiben würde, der genau wie ich erst den Zugang zu diesem Thema finden müsste.
Mir selbst fällt es immer sehr schwer, „trockene“ Ratgeber oder Sachbücher zu lesen. Meine Erkenntnisse reifen am besten im Vergleich, wobei mir dann Geschichten aus dem Leben anderer Menschen oder themenbezogene Romane eher helfen als irgendwelche Fakten. Und ich denke, dass es anderen vielleicht genauso geht. Darum habe ich mich dazu entschlossen, ein Buch zum Thema HSP (Highly Sensitive Person) zu schreiben, welches auf meinen Erkenntnissen und Erfahrungen basiert.
Ich fühle mich nicht dazu befähigt, einen „echten“ Ratgeber zu schreiben, und es liegt mir auch nicht, nach Textquellen und Statistiken zu suchen. Ich schreibe immer aus dem Herzen und wünsche mir, mit meiner Geschichte vielleicht ein paar Menschen zu erreichen und so eventuell dabei zu unterstützen, ihre eigene Sensibilität zu erkennen und anzunehmen.
Vielleicht kann ich auf diesem Weg aber auch für die Personen, die einen Menschen mit einer hohen Sensibilität in ihrem Umfeld haben, zu einem etwas besseren Verständnis beitragen, denn es ist nicht immer ganz leicht, mit uns umzugehen.
Aber dieses Buch lasse ich auch ein bisschen aus Eigennutz entstehen, denn durch das Schreiben kann ich mich weiter und intensiver mit diesem Thema beschäftigen, meine eigenen Gedanken sortieren und noch eine Menge über mich lernen. Ich werde es mehr oder weniger in Tagebuchform gestalten, denn einige meiner Erkenntnisse betreffen das Hier und Jetzt und andere werfen klärende Gedanken auf meine Kindheit. So werde ich durch die Zeiten springen und versuchen, alles zu erfassen, was sich gerade anbietet bzw. ergibt. Meine Gedanken chronologisch zu ordnen, würde in meinen Augen für dieses Buch keinen Sinn machen.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und eine gute Zeit mit meinem HSP-Tagebuch
Es ist gar nichts Ungewöhnliches, hochsensibel zu sein. Forschungen haben ergeben, dass etwa 15 – 20 % der Bevölkerung zu dieser Gruppe gehören. Die bisherigen Definitionen auf dem Gebiet der Forschung über Hochsensibilität gehen auf die amerikanische Psychotherapeutin und Universitätsprofessorin Dr. Elaine N. Aaron zurück. Sie fand heraus, dass hochsensible Menschen mit einem „speziellen“ Nervensystem geboren werden. Diese Menschen haben eine andere, intensivere Wahrnehmung. Laute Geräusche, grelles Licht, bestimmte Gerüche oder Ähnliches können diese Personen unter starken Stress setzten. Hochsensible Menschen haben eine sehr intensive Gefühlswelt und sind häufig sehr empathisch …
Die Liste der Eigenschaften ist lang und allzu weit möchte ich hier gar nicht ausholen. Ich komme aus dem Kölner Raum, wo es heißt: „Jeder Jeck ist anders!“
Das soll bedeuten, man kann auch die Hochsensiblen nicht über einen Kamm scheren. Die Merkmale sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt also auch eine Spanne der Intensität der Sensibilität innerhalb dieses Personenkreises.
Aber in diesem Buch wollte ich ja davon erzählen, wie mir meine Hochsensibilität bewusst wurde und zu welchen Erkenntnissen es mich bisher geführt hat …
Ich bin nicht überempfindlich, sondern HOCHSENSIBEL!
Seitdem ich das weiß und – vor allen Dingen – es auch für mich angenommen habe, fange ich an zu verstehen …
Mich zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen …
Dadurch fühle ich mich unglaublich erleichtert, denn so vieles ergibt nun endlich einen tieferen Sinn.
Ich bin DANKBAR, denn jetzt kann ich vieles für mich aufklären!
Anfangs, als ich von Hochsensibilität hörte, habe ich zwar gedacht, das könnte auch auf mich zutreffen, habe aber den Gedanken daran verworfen, weil ich viele Situationen im Kopf hatte, in denen ich sehr unsensibel mit meinen Mitmenschen umgegangen bin. Als mir aber klar wurde, dass genau dieses Verhalten durch Überreizung bei mir ausgelöst wird – und nicht weil ich gerne verbal auf andere Menschen einschlage –, begann ich, mein Verhalten zu verstehen, und konnte es auch akzeptieren.
Immer wenn ich anfange laut und ungerecht zu werden, ist ein Punkt erreicht, an dem mir alles zu viel wird oder ich vor etwas Angst habe. Wichtig wäre in diesem Moment ein Rückzug in die Stille, was aber nun mal nicht immer möglich ist. Mit dieser Reaktion habe ich einen für meine Mitmenschen sehr hässlichen Schutzmantel angelegt: „Es ist zu viel!“ „Lass mich doch in Ruhe!“ oder sogar „Du kannst mich doch mal …!“
Bisher konnte ich das leider auch noch nicht ganz abstellen, aber zumindest weiß ich nun darüber Bescheid und kann mich gegebenenfalls selbst in die Schranken weisen.
Das Gute ist, dass eine meiner positiven Eigenschaften mein Harmoniebedürfnis ist und ich mich schnell für Ausbrüche dieser Art entschuldige, sodass solche Situationen doch recht zügig wieder geklärt und der Frieden wiederhergestellt werden kann.
Viele meiner Eigenschaften, auf die ich später noch genauer zu sprechen komme, haben durch das Erkennen der höheren Sensibilität für mich sehr an Negativität verloren. Es fühlt sich nicht mehr falsch an, „so empfindlich“ zu sein, wenn man erst versteht, warum das überhaupt so ist. Diese Dinge / Gefühle dürfen jetzt zu mir gehören und haben nun auch in meinem Kopf und nicht nur in meiner Seele eine Lebensberechtigung. Dadurch fühlt sich mein Leben tatsächlich um einiges leichter an, denn mit dem Wissen um diese Dinge kam ich nicht umhin, mich selbst zu analysieren und somit noch mehr bei mir anzukommen und mein wahres Wesen zu entdecken und zu erkennen.
Seitdem ich mich mit diesem Thema beschäftige, komme ich ganz oft in Situationen, in denen ich früher über meine „Unzulänglichkeit“ fast verzweifelt wäre. Heute stoppe ich dann erst einmal meine Gedanken, indem ich sage: „Da ist es wieder … so ein HSP-Dings!“
Diese Momente zeigen mir von nun an immer, dass es Zeit ist, mir Gedanken darüber zu machen, warum ich mich gerade so verhalte oder warum mich etwas so extrem bewegt, und so wandern meine Gedanken recht häufig zurück in meine Kindheit. Vieles, was uns heute berührt, hat ja seinen Ursprung in der Kindheit. Und so könnte es sein, dass meine Mutter sich von vielen Dingen, über die ich schreiben werde, angegriffen fühlen könnte, falls sie dieses Buch lesen sollte – was ich mit meinen Erklärungen natürlich nicht bezwecke, denn ich weiß, dass sie immer alles nur Mögliche für mich und meinen Bruder getan hat und mir niemals schaden wollte, mich oft sogar schützen wollte. Diese Gedanken bzw. Beschreibungen sind einfach notwendig, um manches richtig verstehen zu können und Verständnis dafür zu haben.
Aber um welche Eigenschaften geht es eigentlich hier bei mir?
Beim Lesen des ersten Buches über HSP habe ich das Bedürfnis verspürt, einiges für mich in einem schönen Schreibheft zu notieren …
Welche Eigenschaften machen mich zu einem hochsensiblen Menschen?
Ich habe so manches in meinem HSP-Tagebuch notiert, um mir erst einmal ein Bild davon zu machen. Als ich es mir dann ein paar Tage später noch einmal durchgelesen habe, ist mir aufgefallen, dass es sich dabei nicht mal um besondere Merkmale handelt, denn natürlich kann damit jeder gesegnet oder auch gestraft sein. Aber es sind Dinge, Gefühle, die extrem tief gehen und mein Leben stark beeinflussen.
Vieles habe ich bislang als Schwäche angesehen und bin nun dabei, es zu verstehen und nach und nach in meine Stärke umzuwandeln, denn ein sensitiver Mensch zu sein und sich nicht deswegen zu verstecken, verlangt ein gewisses Maß an Stärke.
Was mich schon von Kindheitstagen an begleitet, ist die Aussage, dass ich doch viel zu sensibel sei. Der Grund dafür ist, dass ich sehr nah am Wasser gebaut bin. Dinge, die mich bewegen, egal ob etwas sehr lustig oder sehr traurig ist, bringen mich sofort zum Weinen.
Somit bin ich als sogenannte „Heulsuse“ aufgewachsen, was bei mir immer ein Gefühl von Schwäche hinterlassen hat.
Wenn ich traurige Filme schaue, dann laufen bei mir unaufhaltsam die Tränen. Das gilt natürlich auch für den Fall der Freude. Es gibt einen Gewinner bei einer Fernsehshow und wieder schnaufe ich ununterbrochen in ein Taschentuch. Ich weiß, das geht vielen Menschen so. Und man kann es einfach so hinnehmen, mit dem Gedanken, das ist doch nichts Besonderes. Für mich ist es das aber schon, denn ich empfinde auch die Freude und die Trauer in meinem Umfeld als sehr intensiv. Wenn ich mich mit einem Menschen sehr verbunden fühle, fühle ich sein Leid, seine Trauer, seine Freude …
Teilweise sind diese Gefühle dann so intensiv, dass ich kaum noch differenzieren kann, ob sie nun zu mir oder zu meinem Gegenüber gehören. Oft ist es sogar so, dass ich es intensiver fühle als derjenige selbst, weil ich es noch an dem Punkt fühle, an dem der Betroffene sich schon vor seinen eigenen Gefühlen verschließt.
Diesen Punkt gilt es für mich zu erkennen und mich innerlich zu stoppen und mich daran zu erinnern, dass es sich hierbei nicht um mich handelt. Bei Nichterkennen falle ich ansonsten in ein Loch von Mitleid. Ich leide mit …, so als wäre ich in dieser Situation. Damit kann ich aber niemandem helfen, denn ich fühle mich in diesem Moment selbst als Opfer, weil ja gerade etwas ganz Fürchterliches geschehen ist.
Erkenne ich aber, dass es sich nicht um meine Gefühle handelt, dass nicht mir selbst etwas Fürchterliches, z. B. ein schwerer Schicksalsschlag, geschehen ist, kann ich die Notbremse ziehen und wahres Mitgefühl empfinden. Ich fühle, wie der andere leidet, kann aber selber in meiner Stärke bleiben und ihm Trost schenken.
So kann dieses tiefe Mitfühlen auch eine wahre Stärke sein. Denn wenn ich einen klaren Kopf bewahre, also bei mir bleibe, aber mich dennoch in den anderen hineinfühlen kann, besteht so häufig die Möglichkeit, die Situation etwas aufzulockern, eine Lösung zu finden oder ganz simpel den anderen aufzuheitern. So manche Opferrolle ist auf diesem Weg schon zerbröselt.
Also: Wenn ich weinen muss, dann werde ich weinen, denn es sind Gefühle, die im Fluss sind und gefühlt werden möchten.
Wie kann das Erkennen und Zeigen seiner Gefühle eine Schwäche sein?
Es gibt aber noch weitere Dinge, die mich schnell weinen lassen. So vertrage ich keine „harte“ Ansprache. Wenn jemand mit mir meckert oder mich anschreit, laufen bei mir sofort die Tränen. Ich kann dann auch nicht mehr kommunizieren, meine Stimme erstickt förmlich.
Was für eine Schwäche?!
Außerdem kann ich es nicht ertragen, bei Diskussionen zugegen zu sein. Den dabei häufig lauteren Tonfall empfinde ich ebenso als extrem unangenehm, beherrschend, oft böse.
Was für eine Schwäche?!
Nein, es ist keine Schwäche. In Diskussionen und harter Ansprache stecken immer in irgendeiner Weise irgendwelche Vorwürfe. Diese müssen mich nicht mal betreffen, weil ich ja fühle, was sie mit dem anderen machen.
Auf diese Weise habe ich erkannt, dass eine meiner sensitiven Eigenschaften mein großes Harmoniebedürfnis ist. Streit und Ungerechtigkeiten in jeglicher Form belasten mich. Früher war das teilweise so stark, dass ich mich für Dinge entschuldigt habe, für die ich nicht mal etwas konnte, nur damit wieder „Frieden“ herrschte.
Aber auch heute versuche ich solche Situationen zu meiden, denn sie rauben mir unglaublich viel Kraft. Und wenn ich persönlich in eine Diskussion verwickelt werde, kommt oft noch dieses Gefühl des Unverständnisses hinzu, das mich dann natürlich schon wieder weinen lässt. Viele Diskussionen sind nicht nötig, denn die Frage, wer nun im Recht ist, muss gar nicht immer geklärt werden. Meinungen können und sollten einander nicht aufgezwungen und Situationen nicht verbal hochgeschaukelt werden.
Ich stecke in einem solchen Fall oft lieber zurück. Schwäche? Nein, ich habe für mich entdeckt, dass man in solchen Situationen meist sowieso nichts regeln kann. Ich suche dann lieber die Ruhe und versuche die Dinge von außen zu betrachten oder einfach so sein zu lassen. Dadurch habe ich eine gewisse Stärke entwickelt, denn oft ist es mir möglich, sobald ich die Ruhe in mir gefunden habe, bei solchen Gelegenheiten zu vermitteln oder der Situation ein wenig die Dramatik zu nehmen. Denn auch bei Diskussionen oder Streitigkeiten kann ich mich recht gut in beide Parteien versetzten, die sich ja im Recht fühlen und auf ihre Weise schließlich auch Recht haben, weil sie es ja so empfinden … Jeder agiert doch aus einem Gefühl heraus. Und zu erkennen, was der andere gerade fühlt, führt wiederum zu mehr Verständnis füreinander.
Zum Beispiel gab es zwischen zwei meiner ehemaligen Kolleginnen immer wieder kleine Streitigkeiten. Wegen jeder Kleinigkeit regte sich die eine über die andere auf. Mit beiden sprach ich auch über die andere und konnte dem Gesagten oft einfach nur beipflichten, denn sie hatten beide auf ihre Weise recht.
Das belastete mich damals sehr, denn eigentlich wollte ich einfach nur in Frieden arbeiten. Auch hier war mein Harmoniebedürfnis gestört. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich das alles noch nicht, habe mich immer wieder mitreißen lassen und mit „gelästert“. Ich fühlte alles, was die beiden fühlten, ertrug alles, was an Unmut von ihnen ausging, und nahm alles viel zu persönlich. Letztlich hat es mich sehr geschwächt, denn ich litt gemeinsam mit beiden. Aber es lag nicht an mir, diese Streitigkeiten beizulegen.
Heute erkenne ich solche Situationen, kann mich distanzieren und das Ganze von außen betrachten. So komme ich wieder vom Mitleid zum Mitgefühl, weiß, ob es sich lohnt zu vermitteln oder ob ich mich lieber fernhalten sollte – was dazu geführt hat, dass ich weniger Tränen für andere vergieße und dennoch für sie da sein kann. Ich bin nicht mehr Opfer einer solchen Begebenheit.
So sind viele Tränen geflossen, weil ich ein großes Harmoniebedürfnis habe und mich bei dem Gefühl, vermitteln zu müssen, immer wieder verrannt habe. Heute weiß ich, dass ich manche Probleme auch mal da lassen muss, wo sie gerade sind, weil sie einfach nicht zu mir gehören. Ich bin da, wenn jemand meine Hilfe möchte, aber ich sehe mich nicht mehr dafür zuständig, die Harmonie meines gesamten Umfelds in den Griff zu bekommen. Das ist nämlich das, was mich in solchen Momenten schwächt, mich müde macht, mich weinen lässt. Wie heißt es so schön? „Nicht meine Affen, nicht mein Zirkus!“
So gehören Mitgefühl und Harmoniebedürfnis zu den Gefühlen, die mich zum Vermittler werden lassen. Einst als Schwäche angesehen, kann ich es heute als eine Stärke betrachten, mit der ich zu einem friedlichen Miteinander beitragen kann.
Natürlich gibt es für mich aber immer noch die Situationen, in denen ich in die Opferrolle falle und mich in den Schutzmantel der verbalen Aggression hülle, weil ich schlicht und ergreifend überfordert bin und mir in einem solchen Moment nicht anders zu helfen weiß.
Dann bin ich wieder hochsensibel-unsensibel.
Für mich ist wichtig, solche Situationen zu erkennen und ihnen mit Bedacht zu begegnen. Denn wenn sie mich einmal gefangen nehmen, ende ich in einem ewigen Gedankenkreislauf, der mir den Schlaf raubt, während die Betroffenen schon lange wieder miteinander lachen …
Viele Hochsensible haben sehr ausgeprägte Sinne. Ich zum Beispiel bin sehr geruchsempfindlich. Das äußert sich nicht dadurch, dass ich besonders feine Gerüche wahrnehme, sondern dadurch, dass es sehr viele Gerüche gibt, die ich nicht ertragen kann. Es gibt so viele schöne Düfte, die ich für einen kurzen Moment auch sehr genießen kann. Aber sobald ich ein Parfum auflege, ist es für mich, als ob ich an der Flasche getrunken oder ein Stück Seife gegessen hätte. Ein unerträgliches Gefühl, was mich den ganzen Tag begleitet. Dafür reicht auch schon der Duft einer Creme oder eines Deos. Deshalb bin ich sehr wählerisch, was Deos, Seifen, Cremes etc. betrifft, denn sie können mir, wenn ich die falsche Wahl treffe, schlicht und ergreifend den ganzen Tag versauen, weil ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren kann als auf diesen Störfaktor.
Genauso habe ich aber auch ein sehr starkes Geruchsgedächtnis, was bedeutet, dass ich mit Düften bestimmte Ereignisse in Verbindung bringe.
Auf diesem Weg wird mancher Duft ein Auslöser für Erinnerungen, egal ob für gute oder schlechte Ereignisse. Wobei schlechte Erinnerungen eine Art Starre bei mir hervorrufen, aus Angst, eine solche Situation noch mal erleben zu müssen.
Es sind sehr intensive Gefühle damit verbunden, was jemandem, der so etwas nicht so tief erlebt, wie eine Lappalie erscheinen mag.
Ähnlich ist es mit meinem Schmerzgedächtnis. Wenn jemand von Schmerzen redet, die ich selbst auch schon einmal hatte, sind die in dem Moment des Gesprächs für mich sehr präsent. Genauer gesagt, sie sind für den Moment wieder da! Bei solchen Gesprächen wird es mir mulmig und ich möchte einfach nur noch weglaufen. Ich möchte davon nichts hören, nicht weil ich kein Interesse an meinem Gegenüber habe, sondern weil ich einfach in einem ganz fürchterlichen Gefühl verweile und es manchmal fast unerträglich wird.
Bereits wenn jemand über eine Knieoperartion redet, spüre ich wieder, wie sich ein ausgekugeltes Knie aus Kindertagen anfühlte. Wenn ich heute Stiche ins Knie bekomme, steigt in mir eine riesengroße Angst auf, nicht mehr laufen zu können, sodass ich jeden Schritt „bewache“. Es dauert dann immer eine geraume Zeit, bis ich wieder einen Schritt vor den anderen setzen kann – ohne darüber nachzudenken.
Na ja, wie ich das als meine Stärke nutzen kann, ist mir im Moment tatsächlich noch nicht klar. Ich versuche einfach nur, Gespräche über Krankheiten, so gut es geht, zu meiden und dem so wenig Energie wie möglich zu geben.
Womit ich auch nicht wirklich gut zurechtkomme, ist Zugluft. Das Empfinden ist nicht jeden Tag gleich, aber häufig ist es so, dass mir Zugluft regelrecht Schmerzen auf der Haut verursacht. Selbst im Sommer bei starker Hitze muss ich z. B. meinen Nacken bedecken, sobald etwas frische Luft aufkommt, weil es mich sonst schmerzt. Ganz schlimm empfinde ich Lüftungs- oder Klimaanlagen. Während andere sich in den Wind eines Ventilators stellen, ertrage ich lieber die Wärme, weil jeder dieser „Windzüge“ mir eine Migräne zum Geschenk macht. Genauso ist es mit Heizungsanlagen, die warme Luft durch einen Raum pusten. Für mich unerträglich.
Gerade meine ehemaligen Kollegen „durften“ einige Ausbrüche von mir erleben, sobald die Heizung bzw. Lüftung in unserem Laden eingeschaltet wurde. Ich fühlte mich dann total unverstanden, weil ich dachte, es sei normal, auf diese Weise zu empfinden, und die anderen müssten das doch auch merken. Ich denke, ich reagierte einige Male sehr unfair, weil ich meinen „Schutzmantel“ angezog, und hoffe, sie mögen mir verzeihen.
Ich denke, heute wüsste ich das zu erklären und wir würden einen gemeinsamen Weg oder zumindest wirkliches Verständnis füreinander finden. Darum sollte man manche Dinge auch wirklich kommunizieren, denn jeder empfindet die Dinge anders, und oft weiß der eine gar nicht, mit den Gefühlen des anderen umzugehen, weil er diese einfach nicht erahnen kann.
Auch auf grelles Licht reagiere ich schnell überreizt, weil ich weiß, wie flott es bei mir zur Migräne führt. Im Ganzen bin ich sehr empfindlich, was meine Augen betrifft. Ein Fleck auf der Brille kann mich in den Wahnsinn treiben.
Während viele Menschen mit Vorliebe 3-D-Filme anschauen, kann ich diese nicht ertragen, kann die Reize nicht verarbeiten, sodass es mich ohne Umwege in eine Panikattacke führt.
Genauso geht es mir z. B. im Kino mit der Lautstärke. Zusammen mit den Lichteffekten kann ich keinerlei Freude mehr bei einem Film im Kino empfinden. Die Geräuschempfindlichkeit hat aber nicht einmal etwas mit der Lautstärke zu tun, sondern immer mit der Art der Geräusche. So kann ich lautstark Musik hören, die ich liebe, ohne dass es etwas bei mir auslöst, aber beispielsweise bei einem leisen Summen fast den Verstand verlieren.
Mit der richtigen Musik kann ich mich sogar super regenerieren. Ich kann mich einfühlen, regelrecht eintauchen und damit eine Menge Gefühle fließen lassen. Dadurch kann ich auftanken und eine unglaubliche Kraft schöpfen.
Es gab auch Zeiten, da gab es für mich nichts Schöneres als ein gutes Rockkonzert. Doch mittlerweile wird es mir von manchen Lichteffekten regelrecht schwindelig. Außerdem nerven mich die vielen Menschen, die auf ein Konzert gehen, um es sich mit dem Handy in der Hand anzugucken. Wie kann man Musik fühlen, wenn man mit Filmen, Posten etc. beschäftigt ist? Das fühlt sich für mich dann so falsch an, dass ich die Musik gar nicht mehr richtig wahrnehmen kann.
Aber deshalb brauche ich nicht auf Filme oder gute Musik zu verzichten, denn das alles kann ich auch zu Hause haben und für mich so gestalten, dass es sich gut anfühlt und mir Freude bereitet.
Leider musste ich feststellen, dass viele dieser Dinge für „Normalsensible“ unverständlich erscheinen und Erklärungen mit einem „Stell dich doch nicht so an!“ abgetan werden.
Dennoch habe ich gelernt, dass es besser für mich ist, auf meine Belange zu achten.
Nach außen wirkt es vielleicht so, dass ich mich von vielem zurückziehe und nicht mehr so bin wie früher. Aber ein Abend im Kino oder auf einem Konzert schwächt mich über Tage, sodass ich in Müdigkeit versinken könnte oder mein Körper schon wieder mit Migräne reagiert. Diese Reize erschlagen mich förmlich und heute weiß ich, wie wichtig es für mich ist, die Stille zu suchen. Ich gewinne nichts dabei, mich zu Ereignissen zu zwingen, nur weil alle anderen dort ihren Spaß haben.
Mit dem Wissen um meine Hochsensibilität hat sich für mich etwas ganz Gravierendes bei diesen Dingen verändert. All das darf so sein, weil es ein Teil von mir ist. Es gehört zu mir und ich fühle mich nicht mehr anders oder komisch und auch nicht zu empfindlich … Im Gegenteil, ich kann Filme, Musik, gute Bücher viel intensiver aufnehmen und fühle mich dadurch reich beschenkt!
In den letzten Jahren habe ich gelernt, meine Sinne, so oft es geht, zu nutzen und bin z. B. bei jedem Spaziergang in der Natur förmlich auf der Suche nach schönen Momenten, sei es das Gezwitscher der Vögel oder das Wolkenspiel am Himmel. In solchen Momenten kann ich abtauchen und Kraft schöpfen und die schöne Seite meiner „empfindsamen“ Sinne genießen.
Ich habe nie verstehen können, wie man Nächte durchfeiern und danach zur Arbeit gehen kann. Für mich hat eine durchgemachte Nacht immer mindestens eine Woche „Schlafwandeln“ bedeutet. Mich von so einer Nacht zu erholen, hat tatsächlich Tage gedauert, und wenn ich zwischendurch keinen freien Tag zum Ausschlafen hatte, habe ich mich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten können.
Für mich ist ein geregelter Schlafrhythmus extrem wichtig, wenn ich bei Kräften bleiben und meine Tage nicht wie im Nebel erleben möchte.
Wie oft habe ich mich gefragt, wieso die anderen das können und ich nicht. Aber auch das hängt mit meiner hohen Sensibilität zusammen. Wie häufig war ich die „Spaßbremse“, weil ich das Bedürfnis hatte, eine Feier um spätestens Mitternacht verlassen zu müssen, nicht weil ich keine Lust mehr hatte, sondern weil ich einfach zum Umfallen müde war.
Das hat sich natürlich mit dem Wissen über HSP nicht geändert. Was sich jedoch durch dieses Wissen geändert hat, ist das Gefühl, das ich dabei empfinde. Ich fühle mich nicht mehr schuldig, wenn ich müde bin und nach Hause möchte, denn diese Müdigkeit ist ein Teil von mir. So kommt es inzwischen nur noch selten vor, dass ich mich über Stunden durch eine Feier quäle, nur um – wie die anderen – bis zum Schluss dabei zu sein.
Größere Gesellschaften sind einfach nicht mein Ding. Da kommen wieder meine sensiblen Sinne ins Spiel. Es ist mir schnell zu laut, zu eng, es gibt zu viele Gerüche etc. Wenn viele Menschen durcheinanderreden, verliere ich die Konzentration, oft wird mir sogar schwindelig.
Ich bin nicht der Mensch, der viel unter Leute geht. Ich ziehe es vor, mich mit ein paar lieben Menschen zu treffen, etwas Leckeres zu essen und mich gut und in Ruhe zu unterhalten.
Schon in der Schule war es so, dass ich mich nie wirklich zugehörig fühlte und nur immer ein paar wenige Freunde hatte, mit denen ich aber dann auch sehr gerne zusammen war. Für mich war es stets ein Graus, wenn wir in der Pause die Klasse verlassen und auf den lauten Schulhof mussten. Ich wäre lieber im Klassenraum geblieben, hätte mit ein paar Freundinnen gequatscht und ganz in Ruhe mein Butterbrot gegessen.
So war ich für einige Mitschüler immer ein komisches Kind und habe nie wirklichen Anschluss an die ganze Klasse gefunden – so empfand ich es zumindest.
Aber auch später auf der Arbeit ging es mir nicht anders. Ich habe mich stets mit allen gut verstanden, aber ich habe nie wirklich dazugehört. Denn während alle Spaß auf gemeinsamen Weihnachtsfeiern, Karnevalsfeiern oder Sommerfesten hatten, waren das für mich immer pure Pflichtveranstaltungen. Das hatte nichts damit zu tun, ob ich die Leute mochte oder nicht. Ich habe solche Veranstaltungen immer nur als Stress empfunden – der vielen Eindrücke wegen.
Oft war ich regelrecht wütend auf mich selbst, denn natürlich habe ich den Spaß der anderen wahrgenommen und mich ausgeschlossen gefühlt, obwohl ich es ja selbst war, die sich ausgegrenzt hat.
Heute verstehe ich, warum ich so gehandelt habe.
Dennoch hat es mir nie an guten Freunden und schönen Momenten gemangelt.
Ich ziehe ruhigere Begegnungen einfach vor und die Menschen, die mich mögen, wissen das auch zu akzeptieren. Es stört mich jetzt nicht mehr, wenn andere denken, „mit der kann man keine Feten feiern“.
Mittlerweile ist es also für mich vollkommen in Ordnung, so zu sein, wie ich bin, weil ich weiß, dass auch das „normal“ ist. Ich glaube, das ist eins der größten Geschenke, die mir die Erkenntnis, hochsensibel zu sein, gebracht hat – zu wissen, dass mein anders Sein nichts mit Schwäche zu tun hat oder gar bedeutet, verrückt zu sein.
Hochsensible Persönlichkeiten haben natürlich auch so manche Talente vorzuweisen. Sie sind oft sehr strukturiert, können gut planen und organisieren.
Ich habe eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel gemacht, doch das Verkaufen an sich war nie mein wirkliches Talent. Ich bin kein großer Redner und vor allen Dingen sieht man es mir an der Nase an, wenn ich etwas „verkaufen“ soll, von dem ich nicht überzeugt bin.
Heute ist es so, dass man als Verkäufer häufig an Schulungen teilnehmen muss, die einen in meinen Augen für „Psychospielchen“ trainieren. Der Kunde soll manipuliert werden und alle Natürlichkeit geht bei dem Ganzen verloren. Ich kann und möchte in diesem Beruf schon allein aus diesen Gründen nicht mehr arbeiten, weil mir dabei die Selbstbestimmung fehlt. Das ist heute in vielen Betrieben nicht mehr erwünscht und die Verkäufer werden gezwungenermaßen zu Schauspielern. Mir fehlt es da an Herz und Möglichkeiten.