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Süß duften die wilden Rosen Neuseelands, als Rachel auf dem legendären Wohltätigkeitsball der Donovans mit Bryn tanzt. Seit sie die Geschichte seiner Dynastie aufschreibt, wohnt sie wieder auf dem weitläufigen Anwesen. Genau wie früher, als sie, die Tochter des Hausangestellten, unsterblich in ihn, den reichen Sohn, verliebt war! Und genau wie damals sehnt sie sich auch jetzt heimlich, heftig und hoffnungslos nach ihm. Bis Bryn sie zärtlich küsst - und Rachels Liebe zu ihm wie eine Rose erblüht, auf deren Blättern der erste Morgentau hell wie tausend Diamanten schimmert …
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Seitenzahl: 210
Daphne Clair
Wie eine Rose im Morgentau
IMPRESSUM
JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
© 2009 by Daphne Clair de Jong Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1887 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Rita Koppers
Fotos: RJB Photo Library
Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86295-426-1
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
„Rachel?“ Bryn Donovans dunkle Brauen zogen sich zusammen, als er dem Blick seiner Mutter begegnete. Er beugte sich ein wenig in dem altertümlichen Ohrensessel aus dunkelgrünem Samt vor. „Du meinst doch nicht Rachel Moore?“
Überrascht spreizte Pearl, Lady Donovan, die Hände. Ihre zerbrechlich wirkende Gestalt schien in dem großen Sessel zu versinken, der ihrem Sohn gegenüber neben dem Kamin stand.
„Warum nicht?“ Ihr herzförmiger Mund verzog sich auf eine Weise, die Bryn nur zu gut kannte. Hinter der zarten Fassade und den künstlich aufgehellten blonden Locken verbargen sich ein wacher Geist und ein ungebrochener Wille.
„Sie ist noch ziemlich jung, nicht wahr?“, gab Bryn zu bedenken.
Pearl lachte, wie es sich nur eine Mutter bei ihrem immerhin vierunddreißigjährigen Sohn erlauben konnte. Ein Mann, der in Neuseelands Wirtschaft fast überall große Anerkennung fand. Die wenigen Gegner, die er hatte, waren entweder frühere Angestellte, die seinen hohen Standards nicht mehr entsprochen hatten oder Konkurrenten, die es nicht ertragen konnten, dass er das Familienunternehmen seit seiner Übernahme so erfolgreich führte.
„Bryn“, tadelte sie, „es ist zehn Jahre her, seit ihre Familie uns verlassen hat. Rachel ist inzwischen eine hochqualifizierte Historikerin. Ich habe dir doch erzählt, dass sie ein Buch geschrieben hat. Ich glaube, inzwischen sind es sogar zwei.“
Er konnte seiner Mutter wohl kaum sagen, dass er alle Informationen über diese Frau aus seinem Gedächtnis gelöscht hatte.
Doch Pearl ließ nicht locker. „Du weißt, dass dein Vater immer vorhatte, eine Familienchronik zu schreiben.“
„Ja, er hat es erwähnt.“ Es war eines der Projekte, die sein alter Herr sich für den Ruhestand vorgenommen hatte, bis eine anscheinend harmlose Vorliebe für die besten Weine und Liköre plötzlich ihre todbringende Rache gefordert hatte.
„Nun, ich will es als Andenken für ihn tun“, erklärte seine Witwe und hob entschieden ihr Kinn. „Ich dachte, du würdest dich darüber freuen.“ Ein verdächtiger Schimmer verklärte ihren Blick.
Bryn, der als nüchterner, aber nicht gewissenloser Geschäftsmann bekannt war, war gegen eine solche Form des weiblichen Angriffs nicht gefeit. Nachdem seine Mutter anderthalb Jahre getrauert hatte, zeigte sie jetzt zumindest wieder aufrichtiges Interesse an einer Sache. Sie wirkte an diesem Tag auch nicht so angespannt wie sonst, und ihre Bewegungen hatten eine Entschiedenheit wie seit dem Tod seines Vaters nicht mehr.
Es war ganz allein sein Problem, dass er mit Schuldgefühlen aufwachte, wenn er gelegentlich von der kaum siebzehnjährigen Rachel träumte, mit ihren wilden dunklen Haaren, den vertrauensvoll dreinblickenden braunen Augen und dem schockierend aufreizenden Mund. Doch all das war gewiss kein Grund, das neue Vorhaben seiner Mutter abzuschmettern.
„Ich dachte, sie ist in Amerika“, warf er ein. Nachdem Rachel ihren Magister in Englisch und Geschichte gemacht hatte, war sie für ein Zusatzstudium in die Staaten gegangen und unterrichtete nun an der Universität.
„Sie ist wieder da.“ Pearl wirkte zufrieden. „Sie hat einen Lehrauftrag in Auckland, der nächstes Jahr beginnt, aber sie braucht etwas, um die Zeit zu überbrücken. Das ist doch ideal, zudem sie ja keine Fremde für uns ist. Sie kann hier wohnen …“
„Hier? Sind ihre Eltern denn nicht …“ Als ihre Tochter mit dem Studium begann, hatten der frühere Gutsverwalter und seine Frau sich in der Region Waikato dem sogenannten Sharemilking angeschlossen, bei dem Melker und Landwirt sich den Erlös bei der Milch teilten. Bryn hatte angenommen, dass der einzige Kontakt zwischen den Familien darin bestand, sich zu Weihnachten eine Karte zu schicken und Neuigkeiten auszutauschen. Doch seine Mutter hatte von jeher gern lange Telefonate geführt.
„Sie ist im Moment bei ihnen“, erklärte Lady Donovan, „und kann in einer oder zwei Wochen anfangen. Schließlich muss sie Zugang zu unseren Familienaufzeichnungen haben, und ich möchte die Unterlagen nur ungern aus dem Haus geben.“ Sie wirkte nun ein wenig besorgt. „Natürlich wird das einiges kosten …“
„Kein Problem“, versicherte Bryn und musste sich widerstrebend geschlagen geben. „Wenn sie den Job überhaupt will.“ Mit ein bisschen Glück würde Rachel ablehnen.
Ein strahlendes Lächeln erhellte Pearls Gesicht. „Ihre Mutter und ich haben schon alles arrangiert.“
Rachel hatte angenommen, dass Bryn Donovan sich in den vergangenen zehn Jahren verändert haben musste. Vielleicht hatte sich sein dichtes, dunkles Haar ein wenig gelichtet, und er hatte einen Bauch angesetzt von den vielen Geschäftsessen. Sollte er nach seinem Vater geraten, wäre seine Nase vermutlich gerötet von all dem Wein, der bei diesen Gelegenheiten getrunken wurde. Allerdings hatte Sir Malcolm auch hart gearbeitet und war sehr großzügig mit den Früchten seiner Arbeit umgegangen. Seinen Adelstitel hatte er nicht nur seinem Verdienst um die Wirtschaft des Landes zu verdanken, sondern auch seinem sozialen Engagement.
Sein einziger Sohn und Erbe sah jedoch so gut aus wie eh und je.
Kaum war sie in Auckland aus dem Bus gestiegen, entdeckte sie ihn sofort unter all den Menschen, die Fahrgäste begrüßten oder selbst hier auf die Abfahrt ihres Busses warteten.
Jeans umschmeichelten Bryns lange Beine, und unter seinem schwarzen Hemd zeichneten sich breite Schultern und schmale Hüften ab. Eine eindrucksvolle Erscheinung, die es gewohnt war, Befehle zu erteilen.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in Rachels Magen aus, und sie zögerte, ehe sie die letzte Stufe nahm und auf den Vorplatz trat.
Bryns Augen schienen im Nachmittagslicht silbern zu schimmern, als sein Blick über die Menge schweifte. Schließlich entdeckte er sie, und seine Miene zeigte, dass er sie erkannt hatte.
Reglos blieb er stehen, als sie auf ihn zukam. Anerkennend schweifte sein Blick über ihre jadegrüne Leinenjacke, die weiße Batistbluse, den dazu passenden Rock und die geflochtenen Lederschuhe. Ihr dunkles Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengefasst, der sie wohl größer wirken lassen und ihr ein geschäftsmäßiges Aussehen verleihen sollte.
Erst als sie vor ihm stehen blieb, bemerkte sie die feinen Linien um seine Augen und die leichte Falte auf seiner Stirn.
„Rachel.“ Seine Stimme klang tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte. „Du siehst sehr … elegant aus.“
Womit er wohl andeuten wollte, dass sie nicht mehr der ungestüme Teenager war, den er gekannt hatte. „Es ist viel Zeit vergangen.“ Sie war froh, dass ihre Stimme fest klang, so wie es sich für eine erfolgreiche Frau ziemte. „Ich bin inzwischen erwachsen.“
„Das sehe ich“, bemerkte er vielsagend.
Ein Schauer durchlief Rachel, der sie zutiefst beunruhigte. Zehn Jahre waren vergangen, und Bryn hatte immer noch die gleiche Wirkung auf sie wie damals. Das war doch lächerlich!
Nachdem sie ihr Gepäck in dem glänzend polierten BMW verstaut hatten und sich auf dem Weg hinaus aus der Stadt befanden, wandte Rachel ihren Blick von dem glitzernden Wasser des Waitemata-Hafens ab. „Danke, dass du mich abgeholt hast. Ich hoffe, es war kein Umstand für dich.“
„Überhaupt nicht“, entgegnete er höflich.
„Aber du wohnst nicht mehr zu Hause auf Rivermeadows, oder?“, fragte sie, darum bemüht, sich ihre Beklemmung nicht anmerken zu lassen. Hatte ihre Mutter nicht erzählt, dass Pearl allein in dem riesigen Haus leben würde?
„Ich habe ein Apartment in der Innenstadt“, erklärte er. „Aber seit mein Vater tot ist, bin ich am Wochenende meist bei meiner Mutter, manchmal auch unter der Woche. Eigentlich hatte ich gedacht, dass sie wegziehen würde, aber sie scheint sehr an diesem Haus zu hängen.“
Das Anwesen der Donovans war früher der Mittelpunkt einer kleinen ländlichen Gemeinschaft gewesen. Als Rachel und ihre Eltern wegzogen, hatte es sich bereits zu einer grünen Insel inmitten der Vororte entwickelt, die sich am Rande der Hauptstadt immer weiter ausdehnten.
„Aber es ist ja nur eine halbe Stunde von der Stadt entfernt“, meinte sie. „Fährt deine Mutter denn noch mit dem Wagen?“ Sie erinnerte sich, dass Lady Donovan mit ihrem geliebten kleinen Sportwagen manchmal eine Fahrweise an den Tag gelegt hatte, gegen die ihr Mann und ihr Sohn heftig protestierten. Pearl hatte gelacht und gemeint, dass die beiden nur etwas gegen Frauen am Steuer hätten.
Bryn runzelte die Stirn. „Seit mein Vater tot ist, hat sie das Haus kaum mehr verlassen.“ Er stockte und fuhr dann mit unbewusster Abwehr fort: „Vielleicht tut es ihr gut, wenn du bei ihr bist.“
Die Aussicht schien ihm nicht besonders zu gefallen, und auch Rachel hätte eine andere Lösung vorgezogen. Doch weil ihr keine passende Ausrede eingefallen war, als ihre Mutter ihr mitteilte, auf Rivermeadows warte der perfekte Teilzeitjob auf sie, hatte sie akzeptiert. Zudem lag der Stundensatz weit über dem, was sie sonst für einen vergleichbaren Job bekam.
„Ich freue mich, Rivermeadows wiederzusehen“, sagte sie und hoffte, dass sie Bryns wenig begeisterten Ton missverstanden hatte. „Für mich sind ein paar wundervolle Erinnerungen mit diesem Haus verbunden.“
Er warf ihr einen seltsamen Blick zu, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte.
Versonnen schaute Rachel aus dem Fenster. An einen besonderen Vorfall dort wollte sie sich aber nur ungern erinnern. Und ihr Verstand hatte ihr eingeredet, dass Bryn ihn sicher schon lange vergessen hatte. Für sie mochte es ein entscheidender Moment gewesen sein. Sie war damals noch jung, ein verblendeter Teenager mit überschäumenden Gefühlen, während Bryn schon ein erwachsener Mann für sie gewesen war.
„Tut mir leid, was mit deinem Vater passiert ist. Ich habe deiner Mutter eine Karte geschickt“, sagte sie.
Bryn nickte. „Sein Tod hat sie tief getroffen.“
Wieder bemerkte Rachel die Falte auf seiner Stirn. „Du machst dir Sorgen um sie?“
„Ist das so offensichtlich?“
Nur für die Menschen, denen du etwas bedeutest, wollte sie schon sagen, hielt sich jedoch zurück. Sie konnte ohnehin nur hoffen, dass er damals nicht mitbekommen hatte, dass sie über mehr als ein Jahr jede seiner Bewegungen beobachtet hatte, wenn er in ihrer Nähe war.
Seitdem war viel passiert. Sie hatte sich verändert, und er sich vermutlich auch. Mit fünfundzwanzig war ihm die volle Verantwortung für einen neuen Sektor des Donovan-Unternehmens zugefallen. Er war erfolgreich und hatte den Namen Donovan auf dem internationalen Markt der Holzverarbeitung etabliert, sowie Tochterfirmen in verschiedenen Ländern aufgebaut. Inzwischen war er für das gesamte Unternehmen verantwortlich. Kein Wunder, dass er wie ein Mann wirkte, der Macht in Händen hielt und sie zu seinem Vorteil zu nutzen wusste.
Das Haus sah genauso aus, wie Rachel es in Erinnerung hatte. Ein sehr gut erhaltenes, wunderschönes zweistöckiges weißes Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert aus dem Holz des Kauri-Baums erbaut, das aus dem Sägewerk der Donovans stammte. Eine große Veranda, von Säulen getragen, bildete die Vorderfront.
Alte Eichen und ein mächtiger Magnolienbaum mit großen, cremefarbenen Blüten warfen ihre Schatten auf die ausgedehnten Rasenflächen und den Blumengarten. Die halbrunde Auffahrt war gesäumt von Lavendel und Rosen.
Bryn hielt vor der breiten Steintreppe. Wenig später öffnete sich die massive Eingangstür, und Pearl Donovan erschien in einem hellgrünen Kleid. Einen Moment blieb sie auf der Schwelle stehen, ehe sie die Stufen hinuntereilte und Rachel in ihre Arme zog.
„Wie schön, dich zu sehen.“ Lady Donovan trat einen kleinen Schritt zurück. „Und so hübsch bist du geworden. Ist sie nicht entzückend, Bryn. Wirklich schön.“
„Stimmt“, bestätigte er kurz angebunden. „Wo soll ich ihre Sachen hinbringen?“
„Ins Rosenzimmer“, erklärte seine Mutter. „Ich setze inzwischen Wasser auf. Wenn du fertig bist, Rachel, können wir auf der Terrasse Kaffee trinken.“
Rachel folgte Bryn die Treppe hinauf zu den großen, kühlen Schlafzimmern. Eine Tür war angelehnt. Bryn stieß sie mit der Schulter auf und ging über den dicken Teppich zu einer geschnitzten Truhe, die am Fuß des Doppelbettes mit dem dunkelrosa Brokatüberwurf stand. Den Koffer legte er auf die Truhe, die kleinere Tasche mit ihren Fachbüchern stellte er auf den Boden. „Willst du deinen Laptop hier aufstellen?“, fragte er. „Allerdings könntest du auch unten im Raucherzimmer arbeiten.“
Wie Rachel wusste, war es schon viele Jahre her, dass jemand in dem Raum, der eigentlich eine Privatbibliothek war, geraucht hatte. Doch der Name hatte sich in der Familie gehalten.
„Hier, bitte“, sagte sie, und Bryn stellte den Computer auf den eleganten Tisch aus Walnussholz, der zwischen den hohen Fenstern mit den gerafften Vorhängen stand, die zu dem Bettüberwurf passten.
Er sah zu der Tapete mit den hellrosa Rosen. „Ich hoffe, du fühlst dich hier wohl.“ Seine Miene verriet, dass es ihm in diesem Raum nicht behagen würde.
Lächelnd nickte Rachel ihm zu, und sein Mund verzog sich. „Meine Mutter hat recht“, sagte er. „Du bist schön geworden.“
Dann wandte er den Blick ab. „Dein Badezimmer ist dort drüben.“ Er deutete mit dem Kopf zu einer Tür. „Es steht dir allein zur Verfügung. Solltest du noch etwas brauchen, kann meine Mutter dir sicherlich aushelfen. Wir sehen uns dann gleich.“
Er ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. „Herzlich willkommen, Rachel.“
Nachdem sie sich frisch gemacht hatte und in flache Sandaletten geschlüpft war, ging Rachel nach unten, durchquerte das große Speisezimmer und trat auf die Terrasse, die von einem natürlichen Dach aus Weinreben beschattet wurde.
Bryn und seine Mutter saßen an einem Tisch aus Rohrgeflecht, auf dessen Glasplatte ein großes Tablett mit Kaffeegeschirr stand. Sofort stand Bryn auf und zog für Rachel einen weiteren Stuhl heran.
Während Lady Donovan Kaffee einschenkte und erzählte, lehnte Bryn sich in seinem Stuhl zurück. Ein geruhsamer Nachmittagskaffee war nicht eben nach seinem Geschmack, weil er viel zu energiegeladen war. Amüsiert begegnete er Rachels Blick, während seine Mutter sie mit einer Flut von Fragen über das Leben in Amerika bombardierte.
Nachdem sie ausgetrunken hatten, bot Rachel an, beim Abwasch zu helfen. Doch Pearl, die beteuert hatte, Rachel sei nun alt genug, um sie bei ihrem Vornamen zu nennen, schüttelte den Kopf. „Ich mache das schon. Wir haben dich ja nicht für die Hausarbeit engagiert. Bryn, führe Rachel doch bitte durch den Garten und zeige ihr, was wir alles verändert haben.“
Bryn war bereits aufgestanden und sah Rachel fragend an. Als auch sie sich erhob, legte er seine Hand leicht unter ihren Ellbogen.
„Wer macht denn sonst die Hausarbeit?“, fragte sie, als sie die breite Treppe hinuntergingen. Für eine Person war es sicherlich viel zu viel.
„Eine Haushälterin.“ Auf dem Rasen unten ließ er ihren Arm los. „Sie kommt an drei Nachmittagen die Woche, allerdings nicht am Wochenende.“
Sie überquerten den Rasen und gingen an dem Swimmingpool vorbei, der ein wenig versteckt hinter Büschen lag.
Die Donovans hatten Rachel und ihren Brüdern früher freien Zutritt zu ihrem Garten erlaubt, unter der Bedingung, dass sie die Blumenbeete nicht zerstörten. Liebend gern hatte Rachel hier Verstecken gespielt, vermeintlich wilde Tiere gejagt oder war bis hoch oben in die Bäume geklettert.
Sie gingen weiter, beschattet von hohen Bäumen, und kamen schließlich zu einer Ziegelmauer. Einst hatte sich hier ein Durchgang zum Haus ihrer Familie befunden.
„Weißt du, dass wir die Farm und das Landhaus verpachtet haben?“, fragte Bryn. Sie nickte und verkniff sich ein Lächeln. Nur ein Mensch wie er, der in einem Herrenhaus lebte, würde das Haus des Gutsverwalters ein Landhaus nennen.
Der Weg führte von der Mauer zu einem recht versteckt liegenden Sommerhaus, dessen Dach von Moos bedeckt war, während Efeu an den Wänden hochrankte.
Rachel hoffte, dass Bryn ihr Zögern nicht bemerkt hatte, ehe sie daran vorbeigingen. Sie wagte es nicht, ihn anzusehen und gab stattdessen vor, die Rührmichnichtan zu bewundern, die auf der anderen Seite des Weges blühten, bis sie zu einer von duftendem Jasmin verzierten Pergola kamen.
Vorsichtig berührte Rachel einen Zweig und atmete den Duft ein. Eine schlanke Hand griff an ihr vorbei und umfasste den Stängel.
Erstaunt sah sie, dass Bryn ihr den Jasminzweig reichte. „Danke“, sagte sie, plötzlich atemlos, weil er so dicht vor ihr stand. Sein eindringlicher, fragender Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Schnell senkte sie den Kopf, doch als sie weiterging, strich ihre Brust an seinem Oberkörper vorbei.
Röte stieg in ihre Wangen, und als Bryn wieder neben ihr war, hielt sie den Blick auf den Jasmin gesenkt. Plötzlich stolperte sie über eine Baumwurzel, da sie vor lauter Aufregung nicht auf den Weg geachtet hatte.
Sofort umfasste Bryn ihre Arme, während sein Atem eine lose Haarsträhne aus ihrer Stirn blies. „Ist alles in Ordnung?“
„Ja, danke.“ Ihre nackten Zehen schmerzten, doch sie schaute nicht hinunter, sondern schenkte Bryn ein Lächeln, in der Hoffnung, dass es ihn beruhigen würde.
Besorgt warf er einen Blick auf ihren Fuß und zog scharf die Luft ein.
„Du blutest ja.“ Er ließ ihre Arme los, ging in die Hocke und umfasste sanft ihren Knöchel. „Halt dich an mir fest“, befahl er und stellte ihren Fuß auf sein Knie, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihre Hand auf seine Schulter zu legen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
„Es ist doch nicht schlimm“, protestierte sie und versuchte, ihren Fuß wegzuziehen.
Dies hatte zur Folge, dass Bryn seinen Griff verstärkte. „Das sieht schmerzhaft aus. Wir sollten dich zurück zum Haus bringen.“ Nachdem er sich erhoben hatte, legte er wieder stützend seine Hand unter ihren Ellbogen. Im Haus führte er sie gleich zu dem Badezimmer im Parterre. Obwohl sie behauptete, allein zurechtzukommen, drückte er sie sanft auf den breiten Rand der altmodischen Badewanne. In einem Schränkchen fand er einen Verbandskasten, und nachdem sie ihren Knöchel gereinigt hatte, tupfte er ihn mit einem Handtuch trocken, trug Desinfektionsmittel auf und klebte ein Pflaster auf die Wunde.
Rachel bedankte sich, nahm ihre Sandalette in die Hand und stand auf, während er wieder den Verbandskasten verstaute.
Vorsichtig griff er den Jasmin, den sie auf dem Waschbecken abgelegt hatte. Doch statt ihn ihr zu geben, steckte er ihn mit geheimnisvollem Lächeln in ihren Haarknoten. Dann legte er die Hand auf ihren Rücken und führte sie hinaus.
Pearl kam gerade aus der Küche. „Bleibst du hier, Bryn? Ich habe einen Krustenbraten im Ofen.“
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ja, zum Abendessen gerne. Aber danach muss ich weg.“
Jetzt erst bemerkte Pearl das Pflaster auf Rachels Zeh. „Oh, hast du dich verletzt?“
„Nur den Zeh angeschlagen.“ Nachdem Rachel bestätigt hatte, dass alles in Ordnung sei, ging sie nach oben in ihr Zimmer, um auszupacken.
Als sie wieder nach unten kam, saßen Bryn und seine Mutter in dem „kleinen Wohnzimmer“, wie es von der Familie genannt wurde, im Gegensatz zu dem viel größeren Zimmer vorne, das für besondere Anlässe vorgesehen war.
Bryn hielt einen Drink mit zerstoßenem Eis in der Hand, während Pearl an einem Sherry nippte. Sofort stand Bryn auf und bot Rachel seinen Ohrensessel an, doch sie schüttelte den Kopf und setzte sich stattdessen auf das kleine, verschnörkelte Sofa.
„Möchtest du einen Drink?“, fragte Bryn. „Ich glaube, du bist jetzt alt genug dafür.“
„Natürlich ist sie das“, sagte Pearl, und an Rachel gewandt, fügte sie verschwörerisch hinzu: „Er hält dich immer noch für ein kleines Mädchen.“
„Aber das stimmt doch nicht, Mutter“, widersprach er, warf Rachel jedoch trotzdem einen verwirrten Blick zu. „Obwohl das Pflaster mich an früher erinnert. Als Teenager warst du in deiner Abenteuerlust ja kaum zu bändigen“, zog er sie auf.
„Darüber bin ich längst hinaus“, entgegnete sie schnell. „Jetzt hätte ich gerne einen Gin Tonic.“
Wortlos ging er zu der alten Vitrine aus Kauriholz, in der sich die Minibar befand. Er mixte ihren Drink, gab eine halbe Zitronenscheibe hinein, dann überreichte er ihr das Glas.
Nachdem Rachel erklärt hatte, wie schön der Garten geworden sei, sagte Pearl: „Einmal in der Woche kommt ein Mann aus dem Dorf und hält ihn instand, und ich kümmere mich um die Blumen. Bryn hatte ja vorgeschlagen, das Anwesen zu verkaufen“, fügte sie mit empörtem Blick auf ihren Sohn hinzu, „aber ich hoffe doch, dass ich eines Tages Enkel bekomme und das Haus in der Familie bleibt. Schließlich lebten die Donovans von Anfang an hier, und der Grund gehörte schon der Familie, ehe das Haus überhaupt gebaut wurde.“
„Es ist ein wundervoller Ort für Kinder“, meinte Rachel, ohne Bryn dabei anzusehen. Seine ältere Schwester war nach England gezogen. Sie lebte dort mit einer Frau zusammen. Mit Nachwuchs war von ihrer Seite her wohl nicht zu rechnen. Und Bryn hatte es offensichtlich auch nicht eilig, den Namen der Familie fortzuführen. Mit seinen vierunddreißig Jahren hatte er ja noch genug Zeit, und mit seinem Aussehen und all dem Geld vermutlich genügend Auswahl unter den Frauen.
Der Gedanke versetzte ihr einen seltsamen Stich. Sie überlegte, ob er wohl eine Freundin hatte. Ungeduldig schüttelte sie den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen.
„Stimmt was nicht, Rachel?“, wollte Bryn wissen.
„Nein. Ich dachte nur … da wäre ein Nachtfalter gewesen …“
„Vielleicht irgendein Insekt, das du dir im Garten eingefangen hast.“
Er stand auf und trat zu ihr.
In diesem Moment trank Pearl ihr Glas aus und erhob sich. „Ich schau mal nach dem Abendessen.“
„Kann ich dir helfen?“, fragte Rachel, doch Bryn verstellte ihr den Weg.
„Nein, nein“, wehrte Pearl ab „Du bleibst hier. Ich komme wunderbar allein zurecht.“
Rachel spürte, dass Bryn ihre Locken berührte. „Ich kann keine Krabbeltiere entdecken“, versicherte er. „Seit wann trägst du die Haare denn so lang?“
„Schon seit Beginn des Studiums.“ Es war einfacher gewesen, sie wachsen zu lassen, statt jemanden zu finden, der auch nur etwas halbwegs Vernünftiges aus ihren wilden Locken hätte machen können.
Statt zu seinem Sessel zurückzugehen, ließ er sich neben sie auf das Sofa fallen, legte einen Arm über die Rücklehne und sah Rachel an. „Und wie geht es deinem Zeh?“
„Gut. Ich habe ja gesagt, dass es nicht schlimm ist.“
„Du warst schon immer hart im Nehmen.“ Sein Mund verzog sich. „Kaum zu glauben, dass du mal ein dürres kleines Mädchen mit wildem Haarschopf warst, das immer barfuß herumgelaufen ist und ständig aufgeschlagene Knie oder Ellbogen hatte.“
„Kinder werden eben irgendwann erwachsen.“
„Ja. Das ist mir auch schon aufgefallen …“ Abrupt brach er ab und starrte missgelaunt zum Kamin. Als er weitersprach, klang er ein wenig angespannt. „Das, was passiert ist, ehe du deine Familie verlassen hast … es tut mir leid, wenn ich dich verletzt oder geängstigt habe, Rachel. Ich war …“ Er fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar und sah sie eindringlich an. „Ich war nicht mehr ich selbst. Das soll jedoch keine Ausrede sein. Jedenfalls möchte ich mich dafür entschuldigen.“
Rachel senkte den Kopf. „Nicht nötig. Du warst ja nicht allein verantwortlich.“
„Aber du hattest gerade erst die Highschool abgeschlossen. Ich hätte … es wirklich besser wissen sollen.“
Sie sah hoch und bemühte sich um einen sorglosen Ton. „Nun, das ist schon Jahre her. Und ich bin sicher, dass wir beide es längst vergessen haben.“ Noch während sie sprach, wandte sie schnell den Blick ab.
Sein schlanker Finger unter ihrem Kinn brachte sie dazu, Bryn wieder anzusehen. „Stimmt das? Hast du es wirklich vergessen?“
In den vergangenen zehn Jahren hatte Rachel sich eine gewisse Gelassenheit angeeignet und konnte ihm daher jetzt ein Lächeln schenken, das Überraschung, aber auch Herablassung zeigte. „Männer glauben doch tatsächlich immer, dass man sie nie vergisst“, meinte sie neckisch. „Natürlich habe ich mich daran erinnert, als ich dich wiedergesehen habe. Ganz so, als ob ich wieder das siebzehnjährige Schulmädchen wäre, das in einen älteren Mann verliebt ist.“ Ohne auf seine gerunzelten Brauen zu achten, lachte sie hell auf. „Was für ein Klischee. Es ist ja schon peinlich.“
Ein Muskel zuckte in seinem Kiefer, und ein seltsamer Glanz erschien in seinen Augen, als er sie forschend ansah, ehe er selbst auflachte. „Na schön“, meinte Bryn. „Ich vermute, dass ich in diesem Fall noch einmal glimpflich davongekommen bin.“
Rachel hätte gerne das Gleiche von sich selbst behauptet.
Beim Abendessen erkundigte Bryn sich interessiert nach Rachels Arbeit und wie viel Erfahrung sie auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und beim Schreiben hatte.
„Die Aufgabe, die hier auf dich wartet, ist ein bisschen anders, nicht wahr? Was meinst du, wie lange du brauchen wirst?“
„Ich hoffe, dass ich den ersten Entwurf in drei bis vier Monaten fertig habe“, antwortete sie zuversichtlich. „Es gibt ja genügend
Rohmaterial, sodass ich nicht erst alle Informationen zusammensuchen muss.“
Bryn sah seine Mutter an. „Hast du einen genauen Überblick, was alles da ist?“
Pearl schüttelte den Kopf. „Vielleicht stoßen wir ja auf einen alten Familienskandal. Wäre das nicht lustig?“
„Du findest es vielleicht nicht mehr so lustig, sollte es tatsächlich so sein“, mahnte Bryn.
Seine Mutter wirkte kaum beeindruckt. „Ach, sei doch nicht so spießig, mein Lieber! Diese Chronik soll doch keine langweilige Aufzählung von Geburten, Todestagen, Hochzeiten und Erfolgsrechnungen werden.“
„Sicherlich gibt es viele interessante Ereignisse, mit denen man die nackten Fakten lebendig gestalten kann“, warf Rachel ein. „Gibt es hier übrigens einen Scanner und einen Drucker? Ich möchte die alten Dokumente nicht öfter als nötig anfassen.“