Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah - Haruki Murakami - E-Book
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Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah E-Book

Haruki Murakami

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Beschreibung

Haruki Murakamis Erzählungen haben seine deutschsprachigen Leser*innen ebenso in Entzücken versetzt wie vorher schon ein japanisches Millionenpublikum! Ungefähr zu der Zeit, als Jim Morrison »Light my fire« und Paul McCartney »Long and winding road« sangen, begegnet Haruki Murakamis Ich-Erzähler dem »100%igen Mädchen« – und lässt es fahrlässig ziehen. Er versucht so gut wie gar nicht, seiner Schwester den überaus vernünftigen Verlobten zu verleiden, tröstet sich mit virtuosem Rasenmähen über eine untreue Freundin hinweg, arbeitet in einer Fabrik, die künstliche Elefanten produziert, und träumt von einem wunderbar tanzenden Zwerg, dessen gefährliche Fähigkeiten er sich leiht. Murakamis lakonische Erzählungen kreisen um das, was man einst Schicksal nannte – eine vielleicht selbsterschaffene, stets überraschend aufschimmernde Macht. Dieser Band enthält die folgenden Erzählungen: ›Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah‹ ›Lederhosen‹ ›Familiensache‹ ›Das Fenster‹ ›TV-People‹ ›Das Schweigen‹ ›Das grüne Monster‹ ›Der tanzende Zwerg‹ ›Der letzte Rasen am Nachmittag‹ Die Erzählung ›Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah‹ wurde 1983 von Naoto Yamakawa verfilmt.

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HARUKI MURAKAMI

WIE ICH EINES SCHÖNEN MORGENS IM APRIL DAS 100%IGE MÄDCHEN SAH

ERZÄHLUNGEN DUMONT

AUS DEM JAPANISCHEN

© 1993 HARUKI MURAKAMI   © 2007 FÜR DIE DEUTSCHE AUSGABE:DUMONT LITERATUR UND KUNST VERLAG, KÖLN ALLE RECHTE VORBEHALTEN DEUTSCHE ERSTVERÖFFENTLICHUNG 1996 IM BERLIN VERLAG  

WIE ICH EINES SCHÖNEN MORGENS IM APRIL

Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah

Eines schönen Morgens im April komme ich auf einer kleinen Seitenstraße in Harajuku an dem 100%igen Mädchen vorbei.

Ehrlich gesagt, ist sie nicht besonders hübsch. Sie ist weder besonders auffällig, noch ist sie schick gekleidet. Ihre Haare sind hinten vom Schlaf verlegen. Sie ist nicht mehr jung. So an die Dreißig wird sie sein, nicht eigentlich ein Mädchen. Aber trotzdem weiß ich schon aus fünfzig Meter Entfernung: Sie ist für mich das 100%ige Mädchen. Bei ihrem Anblick dröhnt es in meiner Brust, und mein Mund ist trocken wie eine Wüste.

Vielleicht gibt es einen bestimmten Typ Mädchen, der dir gefällt, mit schmalen Fesseln zum Beispiel oder großen Augen, vielleicht stehst du auf schöne Finger oder fühlst dich, warum auch immer, von Mädchen angezogen, die sich beim Essen viel Zeit lassen. Dieses Gefühl meine ich. Auch ich habe natürlich meine Vorlieben. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich im Restaurant gebannt auf die Nase des Mädchens am Nachbartisch starre.

Aber den Typ des 100%igen Mädchens kann keiner definieren. An die Form ihrer Nase kann ich mich gar nicht erinnern. Ich weiß noch nicht einmal mehr, ob sie überhaupt eine hatte. Ich weiß nur, daß sie keine nennenswerte Schönheit war. Irgendwie seltsam.

»Gestern kam ich an dem 100%igen Mädchen vorbei«, erzähle ich jemandem.

»Hm«, antwortet er, »war sie hübsch?«

»Nein, das nicht.«

»Also dein Typ.«

»Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich an nichts. Weder an die Form ihrer Augen, noch daran, ob sie große oder kleine Brüste hatte.«

»Das ist sonderbar.«

»Ja, es ist sonderbar.«

»Na und«, sagt er scheinbar gelangweilt, »hast du was gemacht? Hast du sie angesprochen, oder bist du ihr nachgelaufen?«

»Nein, nichts. Ich bin einfach an ihr vorbeigegangen.«

Sie ging von Osten nach Westen, ich von Westen nach Osten. An einem besonders schönen Morgen im April.

Ich möchte mit ihr sprechen, und wenn nur für eine halbe Stunde. Ich möchte von ihrem Leben erfahren und ihr von meinem erzählen. Mehr als alles andere aber möchte ich die Umstände des Schicksals klären, das uns an einem schönen Morgen im April neunzehnhunderteinundachtzig in einer kleinen Seitenstraße in Harajuku aneinander vorbeigeführt hat. Bestimmt birgt es wohlige Geheimnisse, so wie eine alte Maschine aus friedlichen Zeiten.

Nachdem wir uns unterhalten hätten, würden wir irgendwo zu Mittag essen, einen Woody-Allen-Film sehen oder an einer Hotelbar einen Cocktail trinken. Wenn alles gut ginge, würde ich später vielleicht mit ihr schlafen.

Die Chance pocht an die Tür meines Herzens.

Nur noch 15 Meter liegen zwischen ihr und mir.

Also, wie soll ich sie ansprechen?

»Guten Tag. Würdest du dich kurz mit mir unterhalten? Nur eine halbe Stunde.«

Das klingt ziemlich albern. Wie ein Versicherungsvertreter.

»Entschuldigung, gibt es hier in der Nähe eine 24-Stunden-Reinigung?«

Das ist genauso albern. Ich habe noch nicht einmal einen Wäschesack. Wer würde mir so etwas abnehmen?

Vielleicht sollte ich sie ganz offen ansprechen. »Hallo. Du bist für mich das 100%ige Mädchen.«

Nein, Quatsch. Das wird sie bestimmt nicht glauben. Und wenn, wird sie sich kaum mit mir unterhalten wollen. Ich mag für dich das 100%ige Mädchen sein, wird sie vielleicht antworten, aber du bist für mich leider nicht der 100%ige Mann. Das ist ziemlich wahrscheinlich. Und in einer solchen Situation käme ich bestimmt furchtbar durcheinander. Von einem solchen Schock würde ich mich vielleicht nie wieder erholen. Ich bin schon zweiunddreißig. So also fühlt es sich an, alt zu werden.

Vor dem Blumenladen gehe ich an ihr vorbei. Ein warmer Luftzug streift meine Haut. Der Asphalt ist mit Wasser besprengt, und ringsum verbreitet sich Rosenduft. Ich kann sie nicht ansprechen. Sie trägt einen weißen Pullover und hält einen weißen Umschlag in der rechten Hand, noch ohne Briefmarken. Sie hat jemandem einen Brief geschrieben. Ihre Augen wirken sehr müde, vielleicht hat sie die ganze Nacht geschrieben. Und vielleicht enthält dieser Umschlag alle ihre Geheimnisse. Als ich mich nach einigen Schritten umdrehe, ist ihre Gestalt bereits in der Menschenmenge verschwunden.

Jetzt weiß ich natürlich genau, wie ich sie damals hätte ansprechen müssen. Es wäre bestimmt lang geworden, und ich hätte nicht die richtigen Worte gefunden. Mir fällt nie etwas Brauchbares ein.

Jedenfalls beginnt es mit »vor langer langer Zeit« und endet mit »eine traurige Geschichte, findest du nicht?«.

Vor langer langer Zeit waren einmal ein Junge und ein Mädchen. Der Junge war achtzehn, das Mädchen sechzehn Jahre alt. Der Junge sieht nicht besonders gut aus, und auch das Mädchen ist nicht besonders hübsch. Ein einsamer und gewöhnlicher Junge und ein einsames und gewöhnliches Mädchen, wie man sie überall findet. Doch glauben sie fest daran, daß es irgendwo auf dieser Welt ein Mädchen oder einen Jungen gibt, der 100%ig zu ihnen paßt. Ja, sie glaubten an ein Wunder. Und dieses Wunder geschah.

Eines Tages begegnen sich die beiden zufällig an einer Straßenecke.

»Unglaublich«, sagt der Junge zu dem Mädchen, »ich habe dich schon die ganze Zeit gesucht! Ob du’s glaubst oder nicht, du bist für mich das 100%ige Mädchen.«

Und das Mädchen erwidert: »Und du bist für mich der 100%ige Junge. Genau wie ich ihn mir vorgestellt habe. Es ist wie im Traum.«

Die beiden setzen sich auf eine Parkbank, halten sich an den Händen und reden in einem fort, ohne daß ihnen langweilig wird. Sie sind nicht mehr einsam. Sie haben ihren 100%igen Partner gefunden und sind von ihm gefunden worden. Seinen 100%igen Partner zu finden und von ihm gefunden zu werden ist etwas ganz Außerordentliches. Ein Wunder des Kosmos.

Aber ihre Herzen durchfährt ein kleiner, ganz kleiner Zweifel. Durfte ihr Traum so einfach in Erfüllung gehen?

Als das Gespräch einmal abbricht, sagt der Junge:

»Wir wollen uns nur einmal noch auf die Probe stellen. Wenn wir wirklich 100%ig füreinander geschaffen sind, werden wir uns bestimmt irgendwann irgendwo wiederbegegnen. Beim nächsten Mal wissen wir, daß wir 100%ig füreinander bestimmt sind, und wollen sofort heiraten. Einverstanden?«

»Einverstanden«, antwortet das Mädchen.

Und so trennten sie sich. Nach Westen und nach Osten.

Doch es war in Wirklichkeit vollkommen unnötig, das Schicksal auf die Probe zu stellen. Sie hätten es nicht tun dürfen. Sie waren wirklich 100%ig füreinander bestimmt. Ihre Liebe war ein Wunder. Da sie aber noch zu jung waren, konnten sie es nicht wissen. Und so wurden sie von der immerwährenden, unbarmherzigen Welle des Schicksals fortgerissen.

Eines Tages im Winter erkrankten beide an einer in jenem Jahr grassierenden schweren Grippe. Wochenlang schwebten sie zwischen Leben und Tod, und als sie wieder genesen waren, war ihr Gedächtnis an ihr früheres Leben ausgelöscht. Wie soll ich es sagen, als sie wieder aufwachten, waren ihre Köpfe so leergefegt wie die Spardose des jungen D. H. Lawrence.

Aber da er ein intelligenter und ausdauernder Junge und sie ein intelligentes und ausdauerndes Mädchen war, scheuten sie keine Mühe, erwarben von neuem Bewußtsein und Gefühle und kehrten erfolgreich in die Gesellschaft zurück. Ja, bei Gott, sie waren richtig ordentliche Bürger. Sie wußten, wie man in der U-Bahn korrekt umsteigt und wie man bei der Post einen Eilbrief aufgibt. Sie liebten auch, mal 75%, mal 85%.

Der Junge war zweiunddreißig, das Mädchen war dreißig geworden. Die Zeit war im Fluge vergangen.

Und eines schönen Morgens im April geht der Junge von Westen nach Osten durch eine kleine Seitenstraße in Harajuku, um einen Kaffee zu trinken, und das Mädchen geht, um Briefmarken für einen Eilbrief zu kaufen, die gleiche Straße von Osten nach Westen. In der Mitte der Straße kommen sie aneinander vorbei. Für einen Moment blitzt der schwache Schein verlorener Erinnerung in ihren Herzen auf. Es dröhnt in ihrer Brust. Und sie wissen.

Sie ist für mich das 100%ige Mädchen.

Er ist für mich der 100%ige Junge.

Aber der Schein ihrer Erinnerung ist zu schwach, ihre Sprache besitzt nicht mehr die Klarheit wie vor vierzehn Jahren. Beide gehen, ohne ein Wort zu sagen, aneinander vorbei und verschwinden in der Menge. Auf immer.

Eine traurige Geschichte, findest du nicht?

Ich weiß, so hätte ich sie ansprechen müssen.

Lederhosen

Es war vor einigen Jahren im Sommer, als ich auf die Idee kam, eine Reihe von Erzählungen zu schreiben, wie sie jetzt in diesem Buch versammelt sind. Bis dahin hatte ich diese Sorte Texte nie in Erwägung gezogen, und hätte sie mir nicht jene Geschichte erzählt und mich nicht gefragt, ob man daraus einen Roman machen könne, hätte ich dieses Buch vielleicht niemals geschrieben. So gesehen, war sie es, die das Streichholz zündete.

Doch es dauerte eine ganze Weile, bis mein Körper Feuer fing. Manche der Zündschnüre an meinem Körper sind sehr lang. Zuweilen sogar so lang, daß sie die gewöhnliche Dauer meiner Handlungen und Gefühle überschreiten. In solchen Fällen kann es passieren, daß ich, wenn der Funke endlich meinen Körper erreicht, keinen Sinn mehr darin zu entdecken vermag. In diesem Fall aber entzündete sich das Feuer noch innerhalb der bewußten Zeitspanne, und ich schrieb diesen Text.

Eine ehemalige Klassenkameradin meiner Frau erzählte mir diese Geschichte. Sie und meine Frau waren zwar während der Schulzeit nicht sonderlich eng befreundet gewesen, mit etwa dreißig aber sind sie sich zufällig wiederbegegnet und pflegten seither einen vertrauten Umgang. Manchmal habe ich das Gefühl, als gäbe es für einen Ehemann keine merkwürdigeren Gestalten als die Freundinnen seiner Frau. Für sie aber empfand ich von Anfang an Sympathie. Sie war eine ziemlich große Frau, fast so groß wie ich und auch fast so kräftig gebaut. Sie unterrichtete elektrische Orgel, da sie aber ihre Freizeit größtenteils mit Schwimmen, Tennisspielen und Skifahren verbrachte, war sie muskulös und immer braungebrannt. Sie war so begeistert von ihren verschiedenen Sportaktivitäten, daß man sie fanatisch nennen konnte. An freien Tagen absolvierte sie als erstes ihr morgendliches Jogging, schwamm dann im nahegelegenen beheizten Schwimmbad ein paar Runden, ging nachmittags zwei bis drei Stunden Tennis spielen und machte schließlich noch Aerobic. Auch ich treibe gern Sport, mit ihr konnte ich aber weder qualitativ noch quantitativ mithalten.

Wenn ich sie fanatisch nenne, bedeutet das jedoch keineswegs, daß sie irgendwie krankhaft, borniert oder aggressiv gewesen wäre. Im Gegenteil, sie war eigentlich ein ausgeglichener Mensch und setzte ihre Freunde niemals emotional unter Druck. Einzig und allein ihr Körper (und wahrscheinlich auch die diesem Körper zugehörige Psyche) verlangte, einem Kometen gleich, nach permanenter Verausgabung.

Ich weiß nicht, ob es daran lag, aber sie war nicht verheiratet. Natürlich hatte sie – trotz ihrer Größe war sie durchaus hübsch – mehrere Liebesverhältnisse hinter sich. Einmal hatte ihr jemand einen Heiratsantrag gemacht, und sie hatte eingewilligt. Aber immer wenn es konkret wurde, tauchte irgendein unerwartetes Hindernis auf, und die ganze Geschichte verlief im Sande.

»Sie hat einfach kein Glück«, sagte meine Frau.

»Ja, wahrscheinlich«, stimmte ich ihr zu.

Aber nicht in allem teilte ich die Ansicht meiner Frau. Mag sein, daß bestimmte Lebensbereiche tatsächlich dem Schicksal unterliegen. Und vielleicht überzieht dieses Schicksal unser Leben mit dunklen Sprenkeln, wie fleckige Schatten den Erdboden. Doch wenn es einen Willen gibt – einen starken Willen, der zwanzig Kilometer laufen und drei Kilometer schwimmen kann –, müßten sich meiner Meinung nach die meisten Probleme, gleichsam wie auf einer Leiter, Stufe für Stufe lösen lassen. Ich vermute, daß sie deswegen keinen Mann fand, weil sie im Grunde ihres Herzens nicht heiraten wollte. Heiraten lag gewissermaßen nicht auf der energetischen Umlaufbahn ihres Kometen, zumindest nicht unmittelbar.

Sie lehrte also weiter elektrische Orgel, trieb in jeder freien Minute eifrig Sport und litt in regelmäßigen Abständen unter unglücklichen Liebesaffären.

Seit der Scheidung ihrer Eltern – sie ging gerade das zweite Jahr auf die Universität – lebte sie allein in einer Mietwohnung.

»Meine Mutter hat meinen Vater verlassen«, erzählte sie mir eines Tages. »Wegen eines Paars kurzer Hosen.«

»Wegen eines Paars kurzer Hosen?« fragte ich überrascht.

»Das ist eine komische Geschichte«, sagte sie. »Sie ist so absurd, daß ich sie fast noch niemandem erzählt habe, aber vielleicht kannst du als Schriftsteller etwas damit anfangen. Möchtest du sie hören?«

»Unbedingt«, sagte ich.

Als sie an diesem verregneten Sonntagnachmittag zu Besuch kam, war meine Frau gerade einkaufen gegangen. Sie kam zwei Stunden früher als erwartet.

»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Mein Tennis ist wegen des Regens ins Wasser gefallen, und ich hatte auf einmal so viel Zeit. Alleine zu Hause zu sitzen ist langweilig, und deshalb dachte ich, ich könnte schon ein bißchen früher kommen. Ich hoffe, ich störe nicht.«

»Überhaupt nicht«, antwortete ich. Ich hatte keine Lust zu arbeiten und sah mir gerade, mit unserer Katze auf den Knien, einen Videofilm an. Ich bat sie herein und machte uns einen Kaffee. Während wir Kaffee tranken, guckten wir noch die letzten zwanzig Minuten von Der weiße Hai. Wir hatten den Film beide schon mehrmals gesehen und entwickelten keine besondere Begeisterung. Aber da er nun mal lief, sahen wir ihn uns an.

Als der Abspann des Films erschien, war meine Frau noch immer nicht zurück. Wir redeten eine Weile über dies und das, über Haie, das Meer und über Schwimmen. Meine Frau kam noch immer nicht. Wie bereits gesagt, war diese Freundin mir keineswegs unsympathisch, doch gab es offensichtlich nicht genügend gemeinsame Gesprächsthemen, um sich eine Stunde lang zu unterhalten. Sie war nun mal mit meiner Frau befreundet und nicht mit mir.

Als mir schon langweilig wurde und ich überlegte, noch einen Film anzusehen, begann sie plötzlich von der Scheidung ihrer Eltern zu erzählen. Mir war nicht klar, warum sie ohne jeden Zusammenhang dieses Thema aufbrachte (ich konnte jedenfalls zwischen Schwimmen und der Scheidung ihrer Eltern keinen Zusammenhang erkennen). Aber wahrscheinlich gab es irgendeinen Grund.

»Kurze Hosen ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck«, sagte sie. »In Wirklichkeit waren es Lederhosen. Weißt du, was Lederhosen sind?«

»Du meinst diese kurzen Hosen, in denen die Deutschen rumlaufen? Die mit den Trägern?« fragte ich.

»Genau. Mein Vater wollte welche mitgebracht bekommen. Solche Lederhosen. Er war für seine Generation relativ groß, ihm standen kurze Hosen gut. Wahrscheinlich wollte er sie deswegen. Meiner Meinung nach passen Lederhosen nicht zu Japanern, aber das ist wohl Geschmackssache.«

Um das Gespräch etwas mehr auf den Punkt zu bringen, fragte ich sie, von wem und unter welchen Umständen ihr Vater diese Lederhosen mitgebracht haben wollte.

»Entschuldigung. Ich bringe immer alles durcheinander. Du mußt nachfragen, wenn du irgend etwas nicht verstehst«, sagte sie.

»Werde ich tun«, sagte ich.

»Damals lebte die jüngere Schwester meiner Mutter in Deutschland, und sie lud meine Mutter ein, sie dort zu besuchen. Meine Mutter sprach zwar kein Wort Deutsch und war auch noch nie zuvor im Ausland gewesen, aber sie hatte längere Zeit Englisch unterrichtet und wollte schon immer einmal ins Ausland reisen. Außerdem hatte sie meine Tante seit langem nicht mehr gesehen. Sie schlug meinem Vater also vor, zehn Tage Urlaub zu nehmen und mit ihr zusammen nach Deutschland zu fahren. Aber mein Vater konnte sich nicht freinehmen, also fuhr meine Mutter allein.«

»Und dein Vater hat sich als Mitbringsel Lederhosen von ihr gewünscht?«

»Ja, genau«, sagte sie. »Als meine Mutter ihn fragte, was er mitgebracht bekommen möchte, antwortete er, daß er sich Lederhosen wünsche.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

Ihrer Erzählung zufolge war das Verhältnis ihrer Eltern zum damaligen Zeitpunkt relativ gut. Zumindest stritten sie sich nicht mehr mitten in der Nacht lauthals, und ihr Vater verließ auch nicht mehr wütend das Haus und kam tagelang nicht zurück. Früher, als der Vater eine Freundin hatte, war das des öfteren vorgekommen.

»Er hatte keinen schlechten Charakter und war zuverlässig, was seine Arbeit anbelangt, aber in bezug auf Frauen ließ er sich ziemlich gehen.« Ihr Tonfall war nüchtern, als handele es sich um einen Fremden. Einen Moment lang glaubte ich, ihr Vater sei bereits gestorben, aber er lebte noch und war wohlauf.

»Damals aber war mein Vater schon älter, und die Streitereien waren bereits vorbei. Meine Eltern schienen sich gut zu verstehen.«

Doch in Wirklichkeit stand es nicht so gut. Ihre Mutter dehnte ihre zehntägige Deutschlandreise fast ohne jede Mitteilung auf eineinhalb Monate aus und zog, nachdem sie endlich nach Japan zurückgekehrt war, zu einer in Ōsaka lebenden weiteren Schwester. Sie kam nie wieder nach Hause zurück.

Wieso dies geschah, blieb ihr, der Tochter, und ihrem Vater, dem Ehemann, ein Rätsel. Auch wenn ihre Eltern sich bis dahin öfters gestritten hatten, war ihre Mutter im Grunde eine sehr geduldige Frau – so geduldig, daß man zuweilen meinen konnte, es fehle ihr an eigenen Vorstellungen. Sie war eine Frau, für die die Familie an erster Stelle stand und die ihre Tochter abgöttisch liebte. Beiden war daher völlig unverständlich, warum sie nicht wieder nach Hause kam und auch sonst kaum mit ihnen in Verbindung trat. Sie hatten keine Ahnung, was überhaupt vorgefallen sein könnte. Sie und ihr Vater riefen wiederholt bei der Tante in Ōsaka an, aber ihre Mutter kam fast nie ans Telefon. Sie hatte sie daher noch nicht einmal nach ihren wahren Gründen fragen können.

Erst Mitte September, etwa zwei Monate nach ihrer Rückkehr aus Deutschland, teilte ihnen die Mutter ihre Absichten mit. Eines Tages rief sie plötzlich an und sagte zu ihrem Mann: »Ich schicke dir die notwendigen Unterlagen für die Scheidung. Bitte schick sie mir unterschrieben und mit deinem Siegel versehen zurück.« Ihr Vater fragte, was denn der Grund dafür sei. »Ich empfinde keine Liebe mehr für dich, in welcher Form auch immer«, hatte ihre Mutter geantwortet. Als ihr Vater fragte, ob es denn keine Möglichkeit gäbe, sich wieder näherzukommen, antwortete sie entschieden: »Nein, das ist vollkommen ausgeschlossen.«

Es folgten zwei oder drei Monate hartnäckiger telefonischer Verhandlungen zwischen den Eltern. Da ihre Mutter jedoch bis zuletzt zu keinen Konzessionen bereit war, willigte ihr Vater schließlich resigniert in die Scheidung ein. Auch aufgrund früherer Begebenheiten war es ihm unmöglich, sich härter gegen seine Frau durchzusetzen. Außerdem neigte er zu Resignation.

»Für mich war das ein großer Schock«, sagte sie. »Nicht allein die Scheidung. Ich hatte mir schon oft vorgestellt, daß sich meine Eltern trennen könnten, und hatte mich sozusagen seelisch darauf vorbereitet. Es hätte mich wahrscheinlich nicht so verwirrt, hätten sie sich einfach scheiden lassen. Das Problem war, daß meine Mutter nicht nur meinen Vater verließ, sondern daß sie auch mich verließ. Das hat mich ziemlich verwirrt, es hat mich sehr verletzt. Kannst du das verstehen?«

Ich nickte.

»Ich hatte immer auf der Seite meiner Mutter gestanden und lebte in dem Glauben, daß auch sie mir vertraute. Aber meine Mutter hat mich ohne jede Erklärung verlassen, sozusagen im Set mit meinem Vater. Für mich war das Verhalten meiner Mutter ungeheuerlich, und ich konnte ihr lange nicht verzeihen. Ich schrieb ihr Briefe und verlangte nach einer Erklärung, aber meine Mutter beantwortete meine Fragen nicht und äußerte nicht einmal, daß sie mich sehen wolle.«

Sie hatte ihre Mutter erst drei Jahre später wiedergesehen, auf der Beerdigung eines Verwandten. Damals war sie bereits mit dem Studium fertig und verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Orgelunterricht. Ihre Mutter arbeitete als Englischlehrerin an einer privaten Sprachschule. Nach der Beerdigung hatte sie sich der Tochter zum ersten Mal anvertraut. »Ich konnte einfach nicht mit dir darüber sprechen. Ich wußte ja noch nicht einmal, wie ich überhaupt darüber sprechen sollte. Ich verstand selbst nicht, was damals eigentlich passierte«, sagte ihre Mutter. »Aber im Grunde hat alles mit einem Paar kurzer Hosen seinen Anfang genommen.«

»Mit einem Paar kurzer Hosen?« fragte die Tochter, genauso überrascht wie ich zuvor. Sie hatte nie mehr ein Wort mit ihrer Mutter wechseln wollen, doch schließlich siegte die Neugier über die Wut. In ihren schwarzen Kleidern gingen sie in ein nahes Café, und dort hörte sie sich bei einem Glas Eistee die Geschichte von den kurzen Hosen an.

Das Geschäft, das die Lederhosen verkaufte, befand sich in einer kleinen Stadt, etwa eine Stunde mit dem Zug von Hamburg entfernt. Die Schwester der Mutter hatte es ausfindig gemacht.

»Alle meine deutschen Bekannten sagen, dies sei das beste Geschäft für Lederhosen. Die Hosen sind gediegen gearbeitet und auch nicht zu teuer«, sagte die Schwester.

Die Mutter stieg also allein in den Zug und fuhr in die Kleinstadt, um für ihren Mann als Mitbringsel Lederhosen zu kaufen. In ihrem Abteil saß ein deutsches Ehepaar mittleren Alters, und zu dritt unterhielten sie sich über alles mögliche auf Englisch. Als sie sagte: »Ich bin unterwegs, um Lederhosen als Mitbringsel zu kaufen«, fragte das Ehepaar: »In welches Geschäft gehen Sie denn?« Sie nannte den Namen des Geschäfts, und sofort riefen die beiden wie aus einem Munde: »Da sind Sie richtig. Das ist die allerbeste Adresse.« Sie fühlte sich sehr ermutigt.

Es war ein wunderschöner Nachmittag im Frühsommer. Der Bach, der quer durch den Ort floß, plätscherte kühl, und das grüne Gras am Ufer wogte im Wind. Alte Straßen mit Kopfsteinpflaster beschrieben sanfte Windungen und verliefen sich in der Ferne, und überall gab es Katzen. Sie trat in ein kleines Café, das ihr gefiel, und aß Käsekuchen zu Mittag und trank dazu ein Kännchen Kaffee. Die Häuser an der Straße waren hübsch, und rundherum war es ganz still.

Als sie mit ihrem Kaffee fertig war und gerade mit einer kleinen Katze spielte, kam der Besitzer des Cafés und fragte sie auf Englisch, was sie hier in der Stadt vorhabe. Sie antwortete, daß sie Lederhosen kaufen wolle, und der Besitzer holte ein Blatt Papier und zeichnete ihr die Lage des Geschäfts auf. »Vielen Dank«, sagte sie.

Wie wundervoll es ist, allein zu reisen, dachte sie, als sie die Kopfsteinpflasterstraße entlangging. Es war das erste Mal in ihrem fünfundfünfzigjährigen Leben, daß sie allein reiste. Sie war auf ihrer ganzen Reise in Deutschland nicht einmal einsam, ängstlich oder gelangweilt gewesen. Jeder Anblick war neu und anregend, und alle Menschen waren freundlich. Jedes Erlebnis rief Gefühle wach, die über lange Zeit unberührt in ihrem Körper geschlummert hatten. Alles, was ihr bis dahin in ihrem Leben wichtig gewesen war – ihr Mann, ihre Tochter, ihre Familie –, befand sich auf der anderen Seite der Erdkugel. Es war unnötig, sich irgendwelche Sorgen zu machen.

Das Lederhosengeschäft war leicht zu finden. Es war ein kleiner alter Laden ohne prächtiges Ladenschild oder Schaufensterauslage, aber als sie durch die Scheibe lugte, konnte sie die aufgereihten Lederhosen sehen. Sie öffnete die Ladentür und trat ein.

Im Laden arbeiteten zwei alte Männer. Sie maßen Stoffe ab und schrieben irgend etwas auf ihre Notizblöcke, wobei sie leise miteinander sprachen. Im hinteren Teil des Ladens, der durch einen Vorhang abgetrennt war, schien es noch einen größeren Arbeitsraum zu geben, und man hörte das eintönige Klappern einer Nähmaschine.

»Womit kann ich Ihnen dienen, gnädige Frau?« Der größere der beiden Männer war aufgestanden und sprach sie auf Deutsch an.

»Ich möchte ein Paar Lederhosen kaufen«, sagte sie auf Englisch.

»Sollen sie für die gnädige Frau selbst sein?« fragte der alte Mann in einem eigenartigen Englisch.

»Nein, das nicht. Ich möchte sie meinem Mann nach Japan als Geschenk mitbringen.«

»Aha«, sagte der alte Mann und überlegte eine Weile. »Ihr werter Gatte weilt also momentan nicht hier.«

»So ist es. Natürlich«, antwortete sie, »er ist in Japan.«

»Wenn das so ist, gibt es ein Problem.« Der alte Mann wählte seine Worte mit Bedacht.

»Wir dürfen nämlich keine Waren an Kunden verkaufen, die nicht existieren.«

»Aber mein Mann existiert«, sagte sie.

»Das stimmt schon. Ihr werter Gatte existiert. Selbstverständlich«, beeilte sich der Alte zu sagen.

»Entschuldigen Sie bitte mein schlechtes Englisch, aber was ich sagen wollte, ist, daß wir nun einmal, wenn ihr werter Gatte selbst hier nicht anwesend sein kann, ihrem werten Gatten keine Lederhose verkaufen können.«

»Warum nicht?« fragte sie verwirrt.

»Es ist die Maxime unseres Geschäfts. Unser Prinzip gewissermaßen. Erst wenn unsere Kunden die ihrer Figur entsprechenden Lederhosen anprobiert und wir die notwendigen kleinen Veränderungen vorgenommen haben, dürfen wir sie verkaufen. Seit über einhundert Jahren betreiben wir nun schon unser Geschäft auf diese Weise. Mit dieser Maxime ist es uns gelungen, das Vertrauen unserer Kunden zu gewinnen.«

»Aber ich bin extra einen halben Tag von Hamburg hierhergefahren, um in Ihrem Geschäft ein Paar Lederhosen zu kaufen.«

»Das tut mir sehr leid, gnädige Frau«, sagte der alte Mann mit offenbar echtem Bedauern. »Aber wir können keine Ausnahme machen. Nichts ist in dieser unzuverlässigen Welt so schwer zu erwerben und so leicht zu zerstören wie Vertrauen.«

Sie stieß einen Seufzer aus und blieb eine Weile in der Tür stehen. Angestrengt dachte sie über einen Ausweg nach, während der größere alte Mann dem kleineren alten Mann auf Deutsch die Situation erläuterte. Der Kleine murmelte mehrmals zustimmend »Ja, ja«. Obwohl die beiden Alten so unterschiedlich groß waren, hatten sie fast den gleichen Gesichtsausdruck.

»Also, wie wäre folgendes?« schlug sie vor. »Ich finde jemanden, der die gleiche Figur hat wie mein Mann, und bringe ihn hierher. Sie probieren diesem Mann die kurzen Hosen an, nehmen Ihre notwendigen Veränderungen vor und verkaufen mir dann die Hosen.«

Der Größere der beiden Alten starrte sie völlig verdattert an.

»Aber, gnädige Frau. Das verstößt gegen die Regel. Dieser Mann ist nicht der, der die Hosen anziehen wird. Das ist Ihr werter Gatte. Und wir wissen das. Das ist leider unmöglich.«

»Und wenn Sie so tun, als wüßten Sie es nicht? Sie verkaufen diesem Mann die Lederhosen, und ich kaufe sie ihm wieder ab. Auf diese Weise nimmt Ihre Maxime keinen Schaden. Nicht wahr? Überlegen Sie es sich noch einmal, ich bitte Sie. Ich werde wohl kaum je wieder nach Deutschland kommen. Wenn ich jetzt keine Lederhosen kaufe, werde ich nie wieder die Gelegenheit dazu haben.«

»Hm«, sagte der alte Mann und dachte einen Moment nach. Dann begann er auf Deutsch auf den Kleineren einzureden. Nachdem der Größere mit seinen Erklärungen zu Ende war, sprach der Kleinere eine Weile. So ging es noch mehrmals hin und her. Als sie fertig waren, wandte sich der Größere an die Mutter und sagte: »Einverstanden, gnädige Frau. Ausnahmsweise – wirklich ausnahmsweise – wissen wir nichts über die Einzelheiten dieser Angelegenheit. Nicht viele Kunden kommen extra aus Japan, um unsere Lederhosen zu kaufen, und wir Deutschen sind nicht stur. Bitte finden Sie jemanden, dessen Figur der Ihres werten Gatten möglichst nahe kommt. Auch mein Bruder ist dieser Meinung.«

»Vielen Dank!« sagte sie. Und an den Bruder gewandt, sagte sie auf Deutsch: »Dasu isto soo furoindolichi fon iinen.«

Sie – die Tochter, die mir diese Geschichte erzählte – faltete, an dieser Stelle angelangt, ihre Hände auf dem Tisch und seufzte. Ich trank den Rest meines kalt gewordenen Kaffees. Es regnete immer weiter, und meine Frau war noch nicht zurück. Ich hatte keine Ahnung, wie die Geschichte weitergehen könnte.

»Und dann?« fiel ich ein, neugierig, das Ende der Geschichte zu erfahren. »Fand deine Mutter schließlich jemanden mit einer ähnlichen Figur wie der deines Vaters?«

»Ja«, sagte sie ausdruckslos. »Sie fand jemanden. Meine Mutter setzte sich auf eine Bank und betrachtete die Männer, die vorbeikamen. Sie wählte einen aus, dessen Figur mit der meines Vaters übereinstimmte und der ein freundliches Gesicht hatte, und schleppte ihn ohne jede Widerrede – dieser Mann sprach nämlich kein Wort Englisch – in das Geschäft.«

»Deine Mutter scheint ja eine resolute Person zu sein«, meinte ich.

»Ich weiß es nicht. In Japan war sie eher still und konventionell«, sagte sie und seufzte. »Auf jeden Fall setzten die beiden Alten in dem Geschäft dem Mann die Einzelheiten der Angelegenheit auseinander, und er erklärte sich gern dazu bereit, Modell zu stehen. Die Lederhosen wurden also anprobiert, und die beiden aus dem Geschäft machten sie hier etwas weiter und kürzten sie dort etwas. Dabei scherzten der Mann und die beiden Alten auf Deutsch und lachten. Und als sie nach einer halben Stunde fertig waren, hatte meine Mutter den Entschluß gefaßt, sich von meinem Vater scheiden zu lassen.«

»Ich kann der Geschichte nicht ganz folgen«, sagte ich. »Ist in dieser halben Stunde irgend etwas passiert?«

»Nein, nichts. Nur daß die drei Deutschen einträchtig miteinander scherzten.«

»Aber wieso beschloß dann deine Mutter in dieser halben Stunde, sich scheiden zu lassen?«

»Das hat sie selbst die ganze Zeit nicht verstanden. Sie war ganz durcheinander deshalb. Das einzige, was sie wußte, war, daß, während sie diesem Mann in Lederhosen zusah, ein fast unerträglicher Haß wie Schaum tief aus ihrem Inneren hervorquoll. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Dieser Mann in Lederhosen sah, abgesehen von seiner Hautfarbe, meinem Vater verblüffend ähnlich. Die Form seiner Beine, der Bauch und sogar das dünne Haar. Und wie er die Lederhosen probierte und sich fröhlich vor Lachen schüttelte. Beim Betrachten dieses Mannes spürte meine Mutter, wie ein in ihrem Inneren bis dahin nur vage existierender Gedanke immer deutlichere und festere Gestalt annahm. Und zum ersten Mal wurde meiner Mutter bewußt, wie sehr sie ihren Mann haßte.«

Als meine Frau von ihren Einkäufen zurückgekehrt war und die beiden zu reden begannen, mußte ich immer noch an diese Geschichte mit den Lederhosen denken. Wir aßen zu dritt zu Abend und tranken noch etwas, aber mir gingen die Lederhosen nicht aus dem Kopf.

»Und nun haßt du deine Mutter nicht mehr?«