Wie lebe ich ein gutes Leben? - Albert Kitzler - E-Book
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Wie lebe ich ein gutes Leben? E-Book

Albert Kitzler

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Beschreibung

Philosophie zum Anfassen "Wie lebe ich ein gutes Leben?" verbindet die westliche mit der östlichen Philosophie und lädt ein, den Spuren der großen antiken Denker und Weisheitslehrer zu folgen: Seneca, Epikur, Konfuzius, Laotse, Patañjali, Gautama Siddharta u.v.a. Es geht um Selbsterkenntnis, den Umgang mit dem Wandel der Zeiten und die Beziehung zu anderen Menschen. Dabei erfahren wir, wie wir gelassener, glücklicher und bewusster leben können. Entlang von Stichworten wie Zeit, Schicksal, Freundschaft, Unabhängigkeit und anderen mehr präsentiert Albert Kitzler Geschichten und Texte der großen Weisheitslehrer, die auf ihre Bedeutung für unseren Alltag befragt werden. Verweise auf aktuelle Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften und anderer moderner Disziplinen schlagen eine Brücke in unsere Gegenwart. Impulse zum Weiterdenken helfen, die Erkenntnisse auf das eigene Leben zu übertragen.

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Albert Kitzler

Wie lebe ich ein gutes Leben?

Philosophie für Praktiker

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungMottoPrologDer WegPerlen der WeisheitDer EinstiegPerlen der WeisheitMerksatzKeine Zeit!Perlen der WeisheitMerksatzSammlungPerlen der WeisheitMerksatzSelbsterkenntnisAchtsamkeitAufrichtigkeitSelbstprüfungPerlen der WeisheitMerksatzWas Selbsterkenntnis bewirktPerlen der WeisheitMerksatzDie AnderenPerlen der WeisheitMerksatzSchicksalPerlen der WeisheitMerksatzVeränderungPerlen der WeisheitMerksatzDer richtige AugenblickPerlen der WeisheitMerksatzTodPerlen der WeisheitMerksatzHybrisPerlen der WeisheitMerksatzDer WagenlenkerPerlen der WeisheitMerksatzDas rechte MaßPerlen der WeisheitMerksatzHarmoniePerlen der WeisheitMerksatzNaturPerlen der WeisheitMerksatzFreiheit und UnabhängigkeitPerlen der WeisheitMerksatzFreundschaftPerlen der WeisheitMerksatzVorbildPerlen der WeisheitMerksatzPraktische AnwendungPerlen der WeisheitMerksatzHeiterkeitPerlen der WeisheitMerksatzEinfachheitPerlen der WeisheitMerksatzUnd jetzt?Perlen der WeisheitMerksatzEpilogMerksätzeBiographische Angaben zu den PhilosophenLiteraturZum EinstiegVerzeichnis der Verwendeten LiteraturDank
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Für

Gaia und Chiara

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Es heißt, dass der Weise Unglück in Glück zu verkehren vermag.

Konfuzius

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Prolog

Wenn wir

 

von keinerlei Ängsten oder Sorgen geplagt werden,

ruhig schlafen,

uns über andere nicht mehr ärgern,

keinen Zorn, Neid oder Hass verspüren,

weil uns nichts Menschliches fremd ist,

weil wir viele und vieles verstehen

und was wir nicht verstehen, gelassen hinnehmen,

uns durch Schicksalsschläge nicht aus der Bahn werfen lassen,

schwere Zeiten leichtnehmen können,

loslassen können und keinerlei Verlust fürchten,

nicht den unseres Besitzes, unseres Jobs, unserer sozialen Stellung,

nicht einmal unvorbereitet sind, einen Menschen, den wir lieben, zu verlieren,

unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte genauso gut kennen wie unsere Schwächen und Defizite,

das Gefühl haben, so zu leben, wie es unseren Vorstellungen und Wünschen entspricht,

und uns deshalb als innerlich ausgeglichen erleben,

uns nicht zu verstellen brauchen und authentisch sind,

stets sagen, was wir denken, und stets tun, was wir sagen,

aufmerksam und achtsam leben,

unseren Körper in einen guten Zustand bringen und in einem guten Zustand halten,

regelmäßig singen, tanzen, Musik hören oder ein Instrument spielen,

uns an den kleinen Dingen freuen können und dankbar dafür sind,

die Natur lieben und genießen,

die Menschen lieben und Mitgefühl empfinden,

anderen helfen, statt sie zu kritisieren,

die Kraft haben, Not und Elend der Welt zu ertragen

und die Welt so zu nehmen, wie sie ist,

ohne darauf zu verzichten, sie besser machen zu wollen,

wissen, dass wir eines Tages sterben werden

und deshalb die Angst vor dem Tod überwunden haben,

für ausreichend Ruhe, Erholung und Urlaub sorgen,

uns genug Zeit für uns selbst nehmen,

um uns immer wieder in der eigenen Mitte zu sammeln;

wenn wir wenig bedürfen, aber vieles genießen,

weil wir verzichten können

und es uns leichtfällt, in allem Maß zu halten,

wenn wir zur Einfachheit zurückgefunden haben

und daher oft heiter sind und viel lachen,

dann haben wir das Ideal eines Weisen verwirklicht, wie ihn sich das Altertum vorgestellt hat. Allerdings wusste das Altertum auch, dass kein Mensch dieses Ideal erreichen wird. Für die Griechen wäre solch ein idealer Mensch in Wahrheit ein Gott, für die Chinesen ein Heiliger, für die Inder ein Erleuchteter. Trotz der Unerreichbarkeit dieses Ideals schufen sich alle frühen Kulturen unabhängig voneinander das Bild eines vollendeten Weisen. Vergleichen wir ihre Beschreibungen, so überwiegen die Gemeinsamkeiten, während die Unterschiede verblassen. In diesem Ideal drückten die Völker aus, wonach sie sich sehnten und was sie unter einem glücklichen Leben verstanden. Statt »Glück« und »Weisheit« zu definieren, beschrieben sie das lebendige Bild eines glücklichen und weisen Menschen. Den Denkern der Antike ging es weniger darum zu definieren, was Glück ist, als vielmehr Wege aufzuzeigen, wie wir uns diesem Zustand annähern können. Wichtig sei nicht, zu wissen, was Glück sei, meinte Aristoteles, sondern glücklich zu werden.

Ich gestehe, dass ich selbst noch weit von dem beschriebenen Ideal entfernt bin. Was ich dem Leser im Folgenden an alten Weisheiten mitteile, sage ich mir selbst jeden Tag. Und jeden Tag ertappe ich mich mehr als einmal dabei, den »Pfad der Weisheit« zu verlassen. Aber auch einem Konfuzius ging es nicht anders: »Zum Weg des Edlen gehört dreierlei«, sagte er, »richtiges Verhalten zu anderen Menschen, Weisheit und Entschlossenheit –, aber ich bewältige es noch nicht.«[1]

Kurz vor der Fertigstellung dieses Buches war einer meiner ältesten Freunde für mehrere Wochen zu Besuch bei mir. Weil er seit Jahrzehnten meinen Lebensweg begleitet hat, kennt er mich besser als jeder andere. Trotzdem haben wir uns in den letzten Jahren selten gesehen. Bei seinem Abschied sagte er mir, es müsse etwas dran sein an dem, womit ich mich so intensiv beschäftige, denn ich habe mich zu meinem Vorteil verändert. Ich sage das nicht aus Eitelkeit. Wie jeder andere versuche ich jeden Tag aufs Neue, das Beste aus meinem Leben zu machen – was mir keineswegs immer gelingt. Ich sage das vielmehr, um den Leser zu ermuntern, es selbst einmal mit den Weisheiten der Alten zu versuchen.

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Der Weg

Wer nicht in den Spuren anderer wandelt,

kommt nicht ans Ziel.[2]

Konfuzius

Es gibt einen sehr alten Weg zu Glück und Zufriedenheit. Keiner wurde so oft beschritten, keiner wurde so gründlich geprüft, auf keinen hat man sich so häufig berufen wie auf ihn. Und dennoch scheint er weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein.

Die Rede ist von der antiken Lebensweisheit, wie sie die großen Denker im alten Griechenland, China und Indien erstmals gedacht und aufgeschrieben haben, damals, als die Menschheit an der Schwelle von einem mythisch-religiösen Denken zu einer rationalen Lebensführung stand. In diesen frühen Zeugnissen hat sich in treffenden Aussprüchen und unvergänglichen Bildern das Erfahrungswissen der Menschen über das, was ein gutes Leben ist, verdichtet.

Diese Zeugnisse haben bis heute nichts an Gültigkeit verloren. Im Gegenteil: Mehr denn je tut eine Rückbesinnung not. Immer wieder scheinen wir Wesentliches aus den Augen zu verlieren. Und das ist der Grund für zahlreiche Probleme, die uns trotz oder gerade wegen des erzielten allgemeinen Wohlstands bedrücken und nicht selten krank machen. Geschenkt wird einem nichts auf diesem Weg, aber überfordert wird auch niemand. Fortschritte macht jeder, der sich ernsthaft mit ihm beschäftigt.

Seit mehr als 2500 Jahren werden die maßgeblichen Einsichten der alten Denker überliefert, gedruckt, übersetzt und jenseits aller Landesgrenzen und aller geschichtlichen und kulturellen Unterschiede immer wieder gelesen, studiert, bewundert und von klugen Köpfen beherzigt und gelebt.

Warum ist das so? Weil jeder, der sich damit beschäftigt, spürt, dass sie einen unermesslichen Schatz an Lebensweisheit enthalten. Es ist an der Zeit, diesen Schatz in all seinem Reichtum wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen.[3] Er gehört mit zum wertvollsten Erbe unserer menschlichen Kultur.

Ich lade den Leser ein, dieses Weisheitswissen in seinen Grundzügen kennenzulernen und zu prüfen, was er davon für sein Leben gebrauchen kann. An Gelegenheit dazu wird es nicht fehlen. Denn dieses Wissen betrifft alle Facetten unseres alltäglichen Lebens wie Beziehung, Beruf, Familie, Freunde, Wünsche, Sehnsüchte, Freiheit, Ängste, Sorgen, Schicksalsschläge, Trauer und Tod. Erwarten Sie keine trockene, schwermütige Philosophie: »Die Weisheit ist nicht finster und düster …, sondern im Gegenteil heiter und freundlich, voller Fröhlichkeit und guter Laune.«[4]

Perlen der Weisheit

Studiert man die Schriften der alten Weisen und sinnt nach über die tiefe Bedeutung des Rechten Weges, so wird alles erkennbar … Sie stellen die Essenz dessen dar, was die Weisen auf der Suche nach dem Rechten Weg gefunden und in ihrem eigenen Handeln erprobt hatten.[5]

Wang Fu

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Der Einstieg

Das Lernen allein genügt nicht,

hinzukommen müssen Übung und Gewöhnung.[6]

Epiktet

Beginnen wir unsere Reise durch die antike Lebensweisheit mit einem Beispiel aus der Praxis, damit deutlicher wird, wovon die Rede ist. Wenn wir uns körperlich unwohl oder erschöpft fühlen, wissen wir, was wir zu tun haben (und tun es meistens doch nicht): Sport treiben, zum Arzt gehen, weniger arbeiten, mehr schlafen, in den Urlaub fahren usw. Wenn wir uns seelisch unwohl fühlen, wenn wir mit unserem Leben nicht zufrieden sind, wenn uns Ängste und Sorgen belasten, wenn wir keinen Sinn in unserem Tun sehen oder eine Perspektive vermissen: Wissen wir dann, was zu tun ist? Periander, einer der sogenannten »Sieben Weisen«, mit denen im alten Griechenland die abendländische Philosophie begann, gab eine knappe Antwort, die sich in drei Worten erschöpfte:

Alles ist Übung.[7]

Statt »Übung« können wir auch übersetzen: »Gewohnheit«[8]. 250 Jahre später knüpfte Aristoteles daran an: Der Mensch habe zwei Naturen. Eine Natur, sagte er, sei uns durch die Geburt mitgegeben, die zweite schaffen wir uns selbst, nämlich durch unsere Gewohnheiten. Denn unsere Gewohnheiten können wir steuern durch Übung, oder – wie Aristoteles sich ausdrückte – durch »häufiges vernunftgesteuertes Bewegtwerden«. Damit hob er hervor, worauf es ankommt: auf die Überwindung der eigenen Trägheit, des sprichwörtlichen inneren Schweinehunds. Die Schlussfolgerung in diesem Zusammenhang lautet: Willst du etwas an deinem Leben ändern, was dich belastet oder stört, ändere deine Gewohnheiten, sonst ändert sich nichts.

Damit ist freilich noch nicht gesagt, was wir konkret ändern sollen, um uns besser zu fühlen. Aber immerhin ist gesagt, wie wir es tun müssen. Eine Bestätigung dieser Erkenntnis finden wir an prominenter Stelle bei den alten Chinesen. Die einzige einigermaßen authentische Schrift des Konfuzius, die »Gespräche«, beginnt mit den Worten:

Etwas lernen und sich immer wieder darin üben, schafft das nicht Freude?[9]

Statt »Freude« können wir auch sagen »Glück«, »Zufriedenheit« oder »Erfüllung«. Zu lernen und sich immer wieder darin zu üben, so dass das Gelernte ein Teil unserer selbst wird, führt nach Konfuzius zu Glück und Erfüllung. In diesem Zitat ist das ganze Bildungskonzept des Konfuzius enthalten, eines der großartigsten, das je entwickelt worden ist. Bildung meint hier nicht Bücherwissen, sondern die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit hin zu einer selbstbestimmten, weisen Lebensführung. Diese Bildung hilft uns, die Herausforderungen und Belastungen des Alltags zu bewältigen, damit wir uns geistig-seelisch gut fühlen. Dabei können Bücher hilfreich sein, doch sie sind längst nicht alles, vielleicht nicht einmal das Wichtigste.

Aber spricht Konfuzius nicht eine Banalität aus? Nur auf den ersten Blick. Immerhin hat ein zeitgenössischer Philosoph über diese scheinbare »Banalität« des Übens ein mehr als 700 Seiten starkes Buch geschrieben mit dem Titel »Du sollst dein Leben ändern«[10]. Das Buch hat viele Leser gefunden, aber vermutlich haben nur wenige nach der Lektüre tatsächlich ihr Leben geändert. Obgleich es zahllose tiefe Gedanken und geistreiche Bemerkungen enthält, bleibt es überwiegend auf der Ebene des Intellekts und fokussiert weniger die Frage, wie wir das vermittelte Wissen umsetzen können. Aber gerade diese Umsetzung ist es, die uns so große Schwierigkeiten bereitet. Was können wir tun, um diese Schwierigkeiten zu überwinden? Der Beantwortung dieser Frage dienten in der Antike die Spruchweisheiten. In ihnen verdichtete sich Lebenserfahrung in einfachen und eingängigen Sätzen, die wir uns merken können und die »zur Hand sind«, wenn wir sie brauchen. Die scheinbare Einfachheit dieser Weisheiten darf nicht über den Reichtum ihres Gehalts hinwegtäuschen. Wer sie als banal abtut, hat ihren Sinn und ihre Tragweite nicht tief genug erfasst. Tatsächlich gelingt die Umsetzung solcher Weisheit den wenigsten. Seneca zog daraus die Schlussfolgerung:

Niemals wird zu oft gesagt, was niemals gründlich genug gelernt wird.[11]

Das »gründlich genug« bezeichnet ein Lernen, das nicht nur im Kopf stattfindet, sondern den ganzen Menschen ergreift und zu einer gelebten Haltung wird, so dass wir das Gelernte im täglichen Leben auch anwenden können und dies tatsächlich tun. Seneca teilte die Philosophie daher in zwei Teile ein. Der eine beschäftigt sich mit der theoretischen Herleitung und Begründung von Erkenntnissen, der zweite mit der praktischen Umsetzung, also mit der Frage, wie diese Erkenntnisse vermittelt werden können, damit sie auch gelebt werden. Zum letzten gehört, dass die Einsichten in griffige und einprägsame Spruchweisheiten, Ausdrücke oder Bilder gefasst werden, die aufscheinen, wenn wir sie brauchen. Weisheit sei nicht eine Kunst des Disputierens, sondern die »Kunst des Lebens«[12]. Beide Seiten, die theoretische und die praktische, seien gleich wichtig und müssten gemeinsam gelernt werden, »denn ohne Wurzel taugen die Zweige nichts«[13]. Nur wenn wir etwas gründlich verstanden haben, können wir es auch anwenden. Umgekehrt nutzt uns keine Einsicht, wenn wir nicht gelernt haben, wie wir sie umsetzen. Das aber lernen wir, indem wir das Verstandene so einüben, dass es im Laufe der Zeit zu einer festen Gewohnheit wird: »Alles ist Übung.« Dieses Buch versucht, beides zu verbinden, Theorie und Praxis. Die erläuternde Darstellung der alten Weisheiten, die zugegebenermaßen eine gewisse geistige Anstrengung erfordert, ist das Fundament ihrer erfolgreichen praktischen Umsetzung.

Wie sieht es aber mit der Umsetzung aus? Wer von uns übt sich regelmäßig in der »Kunst des Lebens«? Wer beschäftigt sich ebenso planvoll und regelmäßig mit der Verbesserung seiner Gewohnheiten und der Entwicklung seiner Persönlichkeit, wie er an seiner beruflichen Karriere arbeitet oder seine Laufschuhe anzieht? Häufig fehlt uns bereits die Erkenntnis, dass wir etwas dafür tun müssen, wenn wir unser geistig-seelisches Wohlbefinden und unsere Zufriedenheit mit dem Leben verbessern wollen. Schließlich wissen wir in etwa, welche Übungen unserem Körper guttun –, aber welche Gewohnheiten sollen wir ändern, damit wir uns auch seelisch gut fühlen, weniger Probleme und dafür mehr Freude am Leben haben? Was steigert wirklich und auf Dauer unsere Zufriedenheit? Da gehen die Meinungen heutzutage weit auseinander, was nicht zuletzt an der Vielzahl der Lebensratgeber deutlich wird. Bei den großen Denkern der Antike in West und Ost war das anders. Dort stellen wir kulturübergreifend eine weitgehende Übereinstimmung fest, jedenfalls was die Ergebnisse und die praktischen Ratschläge für eine gelungene Lebensführung angeht.[14] Vielleicht taugen ihre Ratschläge auch heute noch?

Bevor wir versuchen, diese Essenz des antiken Weisheitsdenkens herauszufiltern, sei vorab auf Folgendes hingewiesen: Die Philosophen des Altertums waren sich durchaus bewusst, dass keiner ihrer praktischen Ratschläge absolute Gültigkeit beanspruchen kann. Es handelt sich lediglich um Leitsätze, die zwar von großer Bedeutung für unser Leben sein können und einen hohen Geltungsanspruch haben. Aber der Einzelne muss entscheiden, wann, unter welchen Umständen und in welchem Maße er der einen oder anderen Weisheitsregel folgen soll. Unsere jeweiligen Lebensumstände sind komplex und einmalig. Aristoteles meinte deshalb, die konkrete Lebensführung lasse sich nicht »wissenschaftlich« bis ins Kleinste erfassen und festlegen. Man könne hier nur »umrisshaft andeuten«, wonach wir uns richten sollten. Was die konkrete Entscheidung in einem bestimmten Augenblick angehe, sei jeder »auf sich selbst gestellt«[15]. Das ist auch gut so, denn wo bliebe sonst unsere Freiheit und Eigenverantwortlichkeit? Allerdings macht das die Sache nicht einfacher: Patentrezepte gibt es nicht. Was hier dargestellt wird, sind Leitlinien, Anregungen und Hilfsmittel. Was der Einzelne davon nutzen kann und will, in welchem Maß, wann und wie, muss jeder selbst entscheiden.

Eine weitere Schwierigkeit, die mit der zuvor beschriebenen eng verwandt ist, besteht darin, dass kein Individuum dem anderen gleicht. Die in der Antike entwickelten Ratschläge bedürfen auch aus diesem Grunde stets einer Anpassung an die persönlichen Verhältnisse des Einzelnen, eines »Feintunings«. So meinte Aristoteles zum »Goldenen Mittelweg«, der eine Vermeidung von Extremen empfiehlt, man könne hier nur begrenzt allgemeine Regeln angeben, denn die »Mitte« liege bei jedem woanders. Sie hinge nämlich von der jeweiligen individuellen Persönlichkeit ab.[16]

Antikes Weisheitsdenken war, und darin unterscheidet es sich von vielen Religionen, nicht dogmatisch. Im Gegenteil: »Die Harten sind des Todes«, meinte Laotse, der Sieg komme stets dem »Weichen« zu oder, wie es auch heißt (mögen es manche Männer nicht gerne hören): dem »Weiblichen«[17]. Dabei war dieses Denken keineswegs beliebig. Die Antike hatte eine sehr genaue und im Ergebnis verblüffend übereinstimmende Vorstellung davon, worauf wir zu achten haben, wenn wir gut leben wollen. Von diesen übereinstimmenden Vorstellungen handelt das vorliegende Buch. Es versucht, die wesentlichen Einsichten des alten Weisheitsdenkens auf die Bedürfnisse des heutigen Menschen zu übertragen und ihre Kernsätze in unsere Sprache zu übersetzen. Hier wird nichts Neues mitgeteilt. Neues gibt es im Weisheitsdenken nicht. Es kommt alles darauf an, das Alte zu verstehen und es so wiederzubeleben, dass der Leser in den Stand gesetzt wird, es für sein Hier und Jetzt zu nutzen. Das Buch folgt damit einem Weg, den schon Konfuzius vor 2500 Jahren beschritten hat:

Ich übermittle, aber ich schaffe nichts Neues. Ich glaube an das Alte und liebe es.[18]

Ein letzter Hinweis: Da es in der Philosophie wie im Weisheitsdenken stets darauf ankommt, selbst zu denken und das Gelesene eigenständig nachzuvollziehen, sei empfohlen, dieses Buch Kapitel für Kapitel zu lesen und dazwischen Pausen zu machen, um das Gelesene zu reflektieren und zu verinnerlichen. Das ist auch deshalb angezeigt, weil das Verstehen und Erlernen von Lebensweisheit eine Anstrengung des Denkens erfordert, die wir niemandem ersparen können, der ernsthaft etwas hinzulernen will.

Perlen der Weisheit

Mir wenigstens scheint alles Schöne und Gute durch Übung erreichbar zu sein,

nicht zuletzt kann man sich in der Selbstbeherrschung üben.[19]

Sokrates

Merksatz

Der Weise lernt stets dazu, indem er das Gelernte in seinem Denken und Verhalten einübt.

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Keine Zeit!

Das Leben geht mit Aufschieben dahin, und jeder von uns stirbt,

ohne Muße gefunden zu haben.[20]

Epikur

Eines unserer großen Probleme ist, dass wir uns keine Zeit für uns nehmen. Es erscheint absurd. Der ganze technische Fortschritt sollte uns Zeit und Mühen bei der notwendigen Lebensbewältigung ersparen, damit wir mehr Zeit für uns haben und das Leben in Ruhe genießen können. Bei vielen scheint er das Gegenteil bewirkt zu haben. Wir arbeiten viel und genießen wenig. Und der Genuss, den wir dann haben, ist häufig nichts als Konsum und hat allenfalls oberflächlich etwas mit uns zu tun. Wir kümmern uns um alles, nur nicht um uns selbst. Ganztägig sind wir mit der Organisation des Äußeren beschäftigt und vernachlässigen die Pflege unseres Inneren. Weise Lebensführung aber bedeutet, auf sein Inneres zu achten und für seelisches Wohlbefinden zu sorgen. Das schließt keineswegs die Sorge für das Wohl anderer aus, im Gegenteil.

Aber machen wir nicht alles nur für uns? Irrtum! Wir tun es für unser Ansehen, für Macht, Besitz, Libido, Sicherheit oder aus Angst. Das gehört zwar alles zu uns, betrifft aber immer nur einen Teil unserer Persönlichkeit, nicht den Menschen als Ganzes. Dass wir uns jeweils nur um einen Teil von uns kümmern und diesen Teil für das Ganze nehmen, darin liegt unser Problem. Und dieser Teil ist keineswegs immer der wichtigste. Wir übertreiben das eine und vernachlässigen alles andere.

Unsere Seele ist ein vielköpfiges Ungeheuer, meinte Platon, und mancher Kopf hat den Drang, die anderen zu unterdrücken. Eine der grundlegenden Einsichten der Antike, zu der Chinesen, Inder und Griechen gleichermaßen gelangt sind, ist, dass unsere Persönlichkeit noch etwas anderes ist als die Summe der einzelnen Seelenkräfte und dass alles auf die Erkenntnis, die Bildung und Pflege dieses »anderen« ankommt.

Die Antike nannte es »Seele«, »Selbst«, »Atman«, »Ich«, »Geist«, »Bewusstseinsstrom« oder »Natur«. Es ist das, was wir im Blick haben, wenn wir danach fragen, was unsere »eigentlichen Bedürfnisse« sind, was wir »wirklich wollen«, was unsere »Mitte« ist, was den »Sinn« unseres Lebens ausmacht.

An diesem Kern unseres Ichs leben wir häufig vorbei, bekommen ihn nicht in den Blick, verfehlen ihn und vernachlässigen damit wesentliche Bedürfnisse. Das hat seinen Grund darin, dass wir uns keine Zeit für uns nehmen oder den wirklich spannenden Fragen ausweichen, nicht selten, weil sie uns Angst machen. Das Ergebnis ist dasselbe: Wir finden keinen richtigen Zugang zu unserem Selbst und unserer Mitte. Das war in der Antike nicht anders als heute. Als wichtigsten Ratschlag empfahlen die Weisen daher: »Erkenne dich selbst!« Von wem genau der Ausspruch stammt, wissen wir nicht. Er wird verschiedenen der sogenannten »Sieben Weisen« zugeschrieben und war in der Eingangshalle des Apollon-Heiligtums in Delphi eingemeißelt. Sokrates machte ihn zu einer Maxime für die persönliche Lebensführung und sagte in unübertroffener Einfachheit:

Ist es nicht offensichtlich, dass die Menschen am meisten Gutes dadurch erfahren, dass sie sich selber kennen, am meisten Schlechtes aber dadurch, dass sie sich in sich selbst täuschen? Denn die, welche sich selber kennen, wissen, was für sie gut ist … Diejenigen aber, welche sich nicht selbst kennen … täuschen sich in allem, sie verfehlen das Nützliche und geraten ins Übel.[21]

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auf die Verkennung der ureigenen Bedürfnisse und – daraus folgend – auf eine mangelhafte Gewichtung der Lebensinteressen können eine Vielzahl von körperlichen und seelischen Leiden des Menschen zurückgeführt werden. Zu dieser Verkennung und mangelhaften Gewichtung kommt es, weil wir keine Zeit für uns haben, genauer: Wir nehmen uns keine Zeit für uns. Im Vergleich schneidet das Zähneputzen besser ab als die Sorge für den eigenen psychischen Haushalt. Wen wundert es? Wer hat uns denn beigebracht, wie wir uns um unser Seelenleben kümmern sollen? Im Elternhaus, in der Schule, in der Universität wird alles Mögliche unterrichtet und anerzogen, nur nicht, wie wir mit uns und dem Leben am besten umgehen und was wir zu tun haben, damit wir uns nachhaltig wohl fühlen. Warum ist das so? Weil das Bewusstsein dafür fehlt, dass die Sorge für das eigene seelische Wohlbefinden, neben der Sorge für andere, das Wichtigste in unserem Leben ist.

Aber auch in der Antike war dieses Bewusstsein keineswegs allgemein verbreitet. Antisthenes, ein Schüler des Sokrates, berichtet über seinen Lehrer:

Sooft Sokrates mehrere Menschen am selben Ort versammelt sah, fuhr er sie unwillig, vorwurfsvoll an, mutig und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: »Wohin, ihr Menschen? Ist euch nicht bewusst, dass ihr anders handelt, als ihr müsstet? Ihr kümmert euch [nur] ums Geld, und euch ist jedes Mittel recht, zu Geld zu kommen, damit ihr es in Hülle und Fülle besitzt und euren Kindern noch mehr hinterlasst! Aber eure Kinder und vor allem euch selber, die Väter, habt ihr vernachlässigt, alle, ohne Ausnahme. Denn ihr habt nicht die Erziehung, die Ausbildung gefunden, die dem Menschen genügt, die nützlich ist und ihn befähigt, mit dem Geld zweckmäßig und rechtmäßig umzugehen …«[22]

Im alten China sah es nicht besser aus, weshalb Konfuzius die rhetorische Frage stellte: »Wer nicht sein Inneres pflegt, sondern sein Äußeres, macht der es nicht verkehrt?«[23] Sein Nachfolger Menzius zog einen Vergleich heran:

Wenn den Leuten wirklich daran liegt, Paulownia- oder Katalpenbäume[24], die ein oder zwei Spannen im Umfang haben, zu ziehen, so wissen alle, wie man sie pflegen muss. Das eigene Leben aber, das wissen sie nicht zu pflegen. Lieben sie etwa das eigene Leben weniger als jene Bäume? Nein, es ist Gedankenlosigkeit.[25]

Wir halten fest, was wir schon immer wussten, leider häufig ohne daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen: Bei all unserem Leben kommen wir selbst zu kurz – das ist unser Problem.

Perlen der Weisheit

Versäume also das ja nicht, sondern strenge dich vielmehr an,

auf dich selbst achtzugeben![26]

Sokrates

Merksatz

Der Weise nimmt sich Zeit für sich.

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Sammlung

Sein Wille ist einer. Sein Herz ist beisammen.

Der Weise ist eins und gesammelt.[27]

Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die antike Weisheitslehre in West und Ost warnte stets davor, sich vollständig von den eigenen Geschäften vereinnahmen zu lassen. Der Mensch solle immer wieder »den Schritt anhalten«[28] (Seneca), sich periodisch aus der Geschäftigkeit herausziehen, sich besinnen und aus der Distanz auf sein Leben und seine Arbeit schauen. Er solle dem »betäubenden Trubel der Stadt« den Rücken kehren und in der Natur Ruhe und Erholung suchen, um sich sammeln und über sich nachdenken zu können. Das ist die Pflege des Selbst. Denn »wenn man den Bogen immer gespannt hält, dann bricht er eines Tages«[29]. Was der Skythe Anarcharsis hier mit »der Bogen bricht« umschreibt, heißt heute »Burn-out«. Ohne ausreichende Entspannungsphasen, in denen wir uns mit unserem Seelenhaushalt beschäftigen, unser tägliches Verhalten, unsere Anschauungen, unsere Werte überprüfen, gibt es kein Weiterkommen, weder in der Selbsterkenntnis noch in der Persönlichkeitsentwicklung. Die Idee zu einer der einflussreichsten und bis heute wirksamen Weltanschauungen kam Buddha in dem Moment, als er sich nach sechsjähriger Daueraskese erschöpft unter einen Baum legte und ausruhte. Das ist der einfache Ratschlag der Weisheit: sich regelmäßig unter einen Baum legen und ausruhen! Wer viel arbeitet, muss viel ruhen – wer intensiv arbeitet, muss intensiv ruhen. Manchmal hat man den Eindruck, als gebe es keine Weisheit, die von modernen Menschen in anstrengenden Berufen mehr vernachlässigt wird als die Notwendigkeit des Ausruhens. Diese Vernachlässigung aber rächt sich eines Tages umso bitterer.

Von Sokrates wird überliefert, dass er bisweilen mitten auf der Straße in tiefes Nachdenken verfiel und auf derselben Stelle unbeweglich wie eine Säule »von einem Sonnenaufgang bis zum andern«[30] stehen blieb, um dann wieder seine philosophischen Gespräche auf dem Marktplatz von Athen fortzusetzen, als sei nichts geschehen. Die altindischen Meditationstechniken, die später von anderen asiatischen Kulturen übernommen und weiterentwickelt wurden, hatten zum Ziel, den Gedankenfluss zum Stillstand zu bringen, einen inneren Zustand zu erreichen, »in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen«[31]. Werde der Strom der Gedanken angehalten und ruhen die Sorgen des Alltags, dann melde sich das eigene Selbst und mit ihm unsere ureigensten Bedürfnisse und Wünsche.

Es ist ein einfacher Sachverhalt, der vielen bekannt sein dürfte. Ziehen wir uns aus einer anstrengenden Tätigkeit für zwei, drei Wochen zurück, so geschieht es häufig, dass wir erst einmal in ein dunkles Loch fallen. Wenn wir das zulassen und aushalten, ohne in einen permanenten Vergnügungstaumel zu fliehen, dann kommen uns plötzlich Gedanken und Einsichten, die im Alltagsstress gar keine Chance hatten, in unser Bewusstsein zu treten. Unser Kopf war überfrachtet mit drängenden Tagesproblemen. Erst wenn wir Abstand von unseren akuten Sorgen gewonnen haben, kehrt eine innere Ruhe ein, aus der heraus wir häufig zu neuen und guten Einsichten gelangen. Für die alten Chinesen waren solche Ruhephasen eine zentrale Energiequelle, zu der sie bei aller Geschäftigkeit immer wieder zurückkehrten. Laotse hat das bildhaft so ausgedrückt:

Schaffe Leere bis zum Höchsten!

Wahre die Stille bis zum Völligsten!

[…]

Ein jedes kehrt zurück zu seiner Wurzel.

Rückkehr zur Wurzel heißt Stille.

Stille heißt Wendung zum Schicksal.

Wendung zum Schicksal heißt Ewigkeit.

Erkenntnis der Ewigkeit heißt Klarheit.[32]

Das mag schwülstig und nebulös klingen. Dennoch sagte ein bedeutender Kulturhistoriker des 20. Jahrhunderts über diese Sätze, es gebe wohl keine weisere Stelle in der gesamten Weltliteratur.[33] Wenn wir versuchen, den Text zu verstehen, dann ahnen wir, warum er zu diesem Urteil gekommen ist. In den ersten beiden Zeilen wird ein Weg gewiesen, wie wir zu uns selbst kommen und uns über unsere Gedanken, Wünsche und Ziele klar werden können: »Schaffe Leere bis zum Höchsten! Wahre die Stille bis zum Völligsten!« – »Abschalten« würden wir heute sagen. Mit »Leermachen« ist gemeint, dass wir alle unsere beruflichen und persönlichen Probleme und Gedanken einmal beiseitelassen und aus unserem Kopf verbannen. Wir sollen eine Auszeit nehmen, in der wir von den täglichen Sorgen und Unternehmungen nichts mehr hören, »still« werden. Dann kommen wir zu uns selbst (»Rückkehr zur Wurzel«) und finden unsere eigentlichen Ziele und Bedürfnisse wieder (»Wendung zum Schicksal«, nämlich unserem eigenen[34]). Da sind wir zugleich bei der eigenen Natur angelangt, die Teil der ewigen Natur ist (»Ewigkeit«), und sind zu unserer tiefsten Kraftquelle vorgestoßen. In aller Deutlichkeit erkennen wir, was wir wollen (»Klarheit«). Haben wir uns auf diese Weise gesammelt und wiedergefunden, können wir gestärkt in unseren Alltag zurückkehren und uns mit neuem Selbstvertrauen den täglichen Herausforderungen des Lebens stellen.

Alle Wellnessprogramme, Meditationsworkshops, Erlebnisevents etc. haben, ohne dass die Anwender sich dessen immer bewusst sind, ein ähnliches Ziel wie die soeben beschriebene Wiedererlangung des eigenen Selbstgefühls, der Klarheit über sich selbst und der eigenen inneren Kraftquellen. Ihr Sinn liegt in dem, was die Alten als Sammlung, Versenkung oder Selbsterkenntnis beschrieben haben, als »Rückkehr zur eigenen Wurzel«. Von der antiken Weisheitslehre können wir lernen, welche enorme Bedeutung eine regelmäßige Sammlung und die damit verbundene philosophische Reflexion für Selbsterkenntnis, Persönlichkeitsentwicklung, Ausgeglichenheit, für Selbstsein, Freiheit und für andere Aspekte einer weisen Lebensführung haben. Philosophie, die in der Antike noch ganz Streben nach Lebensweisheit war und die »Kunst der Lebensführung«[35] lehrte, macht damals wie heute diese Zusammenhänge deutlich und stiftet auf diese Weise Sinn. Ihr geht es um eine ganzheitliche Erfassung unserer selbst und unserer Lebenswelt und um die Auflösung von einseitigen Fixierungen wie etwa auf den beruflichen Erfolg. Wer aber die Zusammenhänge erkennt, hat die Grundlage erworben, die eigene Lebenspraxis zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Weisheit als Kunst der Lebensführung setzt Wissen voraus und zielt auf eine kontinuierliche Erweiterung dieses Wissens. Mit zunehmendem Wissen wächst unsere Fähigkeit, die gewonnenen Einsichten über das eigene Leben bewusst und zielgerichtet in den Alltag zu integrieren und unser Verhalten danach auszurichten. Dass diesem Wissen Grenzen gesetzt sind, weiß keiner so gut wie die Philosophie selbst, bedeutet doch ihr Name »Liebe« zur Weisheit oder »Streben« nach Weisheit (von griechisch: philein = lieben, lieb haben und sophia = Weisheit) und nicht den Besitz der Weisheit. Aber jedes Streben nach Wissen führt zu mehr Klarheit und zur Auflösung von Irrtümern und Vorurteilen. Damit wir dahin kommen und mehr Wissen über uns selbst erlangen, müssen wir uns periodisch aus unseren Lebensbezügen herausziehen und den Blick auf uns selbst richten: re-flektieren.

Eigentlich sollte diese Übung des regelmäßigen Rückzugs eine der leichtesten sein. Gibt es etwas Angenehmeres als eine besinnliche Stunde in einem Café, einen Tag für sich allein, ein freies Wochenende in harmonischer Zweisamkeit, einen Urlaub? Tatsächlich jedoch scheint diese Übung für viele von uns schwierig zu sein. Was wir dabei neben der Selbsterhellung und anderen Annehmlichkeiten verpassen, hat Seneca einmal so formuliert:

Man muss mit dem Geist schonend verfahren und muss ihm bisweilen Ruhe gönnen, die ihm Nahrung und Kraft gibt. Auch muss man sich an der freien Luft ergehen, damit die Seele in vollen Zügen die frische Luft genieße und sich dadurch kräftige und erlabe. Zuweilen tut auch eine Spazierfahrt wohl, eine Reise und Ortsveränderung, Geselligkeit und voller Becher; das frischt den Geist auf. Zuweilen mag es auch bis zu einem Räuschchen kommen, nicht bis zum Untertauchen, aber doch bis zum Eintauchen. Denn der Wein spült die Sorgen weg, greift tief ein ins Gemüt und ist ein Mittel wie gegen manche Krankheiten, so auch gegen den Trübsinn, und der Erfinder des Weines ist Liber genannt worden (lat. »frei«, der »Freie«; A.K.), nicht wegen der Ungebundenheit der Zunge, sondern weil er die Seele erlöst von der Knechtschaft der Sorgen, sie frei macht, belebt und ihr frischen Mut gibt zu jedem Vorhaben.[36]

Weisheit ist also auch Frohsinn und Heiterkeit. Vielleicht ist das sogar eines ihrer Hauptziele. In diesem Zusammenhang führt Seneca einige Beispiele »großer Männer« an, die es verstanden haben, für ausreichende Erholung von ihrer schweren Arbeit zu sorgen, indem sie sich »für gewisse Tage des Monats Ferienurlaub« verschrieben haben oder »nie über die zehnte Stunde hinaus« gearbeitet haben und dann auch keine Briefe mehr lasen, »um sich nicht neue Sorgen zu schaffen«[37]. E-Mails und Handys kannten die Römer nicht, wohl aber das Problem, das mit Arbeitsüberlastung und ständiger Erreichbarkeit verbunden ist.

Perlen der Weisheit

Darum, wer sich nur nach außen wendet, ohne zu sich selbst zurückzukehren, der geht als Gespenst um, und hat er, was er da draußen sucht, erreicht, so zeigt sich, dass, was er erreicht hat, der Tod ist. Und wenn er trotz dieser Vernichtung seines Geistes noch körperlich weiterbesteht, so ist er doch nichts weiter als ein lebendes Gespenst.[38]

Zhuangzi

Merksatz

Wer viel arbeitet, muss viel ruhen – wer intensiv arbeitet, muss intensiv ruhen.

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Selbsterkenntnis

Daher kann, wer sich selber nicht kennt,

mit sich selber auch nicht umgehen.[39]

Dion Chrysostomos

Wir haben von Sokrates gelernt, dass es weise ist, sich selbst besser kennenzulernen. Nur so können wir wissen, was gut für uns ist und was uns schadet. Laotse erinnert daran, wie wichtig es ist, dass wir uns immer wieder sammeln, um zu uns selbst zurückzukehren und herauszufinden, was unsere eigentlichen Bedürfnisse sind.