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Philosophie als Alltags- und Lebenshilfe – Albert Kitzler ist einer der erfolgreichsten Philosophie-Berater Deutschlands und zeigt in seinem neuesten Sachbuch, was wir tun können, um die eigene Glücks-Bilanz und die Zufriedenheit mit unserem Leben zu verbessern. Auf der Philosophie Senecas aufbauend, entwickelt Albert Kitzler die Regeln einer guten und glücklichen Lebensführung. Dabei werden die Universalität und Unvergänglichkeit der stoischen Philosophie deutlich, die auch in anderen Weisheitslehren zu finden sind. In leicht zugänglicher Weise geht Albert Kitzler den Ursachen persönlicher Enttäuschungen, persönlichen Unwohlseins und Ärgers auf den Grund und gewinnt mit konkreten Verweisen auf die Philosophie Senecas, des großen Stoikers, grundlegende Einsichten in die drei großen Bereiche des Lebens: "Mein Verhältnis zu mir selbst", "Mein Verhältnis zu anderen", "Mein Verhältnis zur Welt". Das Ergebnis sind 12 goldene Lebensregeln für mehr Zufriedenheit, Wohlsein und Glück, kurz: Philosophie für den Alltag mit Übungen für den Alltag. Konkreter und praxisnäher kann Lebenshilfe nicht sein! Aus dem Inhalt: • Was will ich eigentlich? • Wie gehe ich mit mir um? • Muss ich an mir arbeiten? • Wann bin ich bei mir angekommen? • Was will ich von den anderen? • Wie können sie mich bereichern? • Wie gehe ich mit meinen Gegnern und Unruhestiftern um? • Wie gehe ich mit dem um, was ich nicht ändern kann? • Wie wehre ich mich gegen Rückschläge und Niederlagen? • Gibt es auch gegen schwere Schicksalsschläge ein Rezept? • Wie gehe ich mit Verlusten um? • Wie gehe ich mit Erfolg um? • Wie verhalte ich mich gegenüber Krankheit und Tod? • Wie werde ich unabhängig? Die Philosophie-Bücher von Albert Kitzler (Philosophie to go, Weisheit to go, Denken heilt!, Wie lebe ich ein gutes Leben? sowie Vom Glück des Wanderns wurden von Presse und Publikum begeistert aufgenommen, weil sie auf eine leicht zugängliche Art Lebenshilfe für den Alltag bieten. »Albert Kitzler ist der Mann für innere Ausgeglichenheit und Seelenfrieden.« Deutschlandfunk Kultur
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Seitenzahl: 270
Albert Kitzler
Einfach gut leben mit Philosophie
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Es läuft nicht immer alles rund in der Beziehung, im Job oder bei den Kindern – Alltag, das heißt oft genug auch Ärger, Enttäuschung, schlechte Laune. Dagegen gibt es ein wirksames Rezept, weiß der Philosophie-Berater Albert Kitzler. Es hilft uns dabei, wieder in die Spur zu kommen und die eigene Glücksbilanz zu verbessern. Dieses Rezept geht den Ursachen unseres Unwohlseins mithilfe der Philosophie Senecas und anderer alter Meister auf den Grund und vermittelt grundlegende Einsichten für einen guten Umgang mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Welt – inklusive zwölf goldenen Regeln für ein gutes Leben: Philosophie wird hier zur konkreten Lebenshilfe!
Widmung
Motti
Vorwort
Unser Umgang mit uns selbst
Was will ich eigentlich?
Wie gehe ich mit mir um?
Wie schaffe ich das?
Wann bin ich bei mir angekommen?
Was bringt mir das?
Unser Verhältnis zu anderen
Was möchte ich von anderen?
Was kann ich von anderen erwarten?
Wie wehre ich mich gegen Anfeindungen?
Sind Ärger und Zorn hilfreich?
Unser Verhältnis zur Welt
Wie gehe ich mit dem um, was ich nicht ändern kann?
Wie reagiere ich auf Rückschläge und Niederlagen?
Gibt es auch gegen schwere Schicksalsschläge ein Rezept?
Wie gehe ich mit einer Trennung um?
Wie gehe ich mit einer schweren Krankheit um?
Zwölf Regeln zum gelingenden Leben
Unser Umgang mit uns selbst
Unser Verhältnis zu anderen
Unser Umgang mit der Welt
Nachwort
Danksagung
Register der Personen und Werke
Das Buch ist all denen gewidmet,
die es durch ihre Spenden ermöglicht haben,
dass ein »Haus der Weisheit« entstehen konnte
und MASS UND MITTE, die Schule für antike Lebensweisheit,
einen festen Sitz bekommen hat.
Besonderer Dank gilt Jürgen,
der die monatelangen Umbauarbeiten fachkundig,
mit großem Einsatz und stets guter Laune mitorganisierte und leitete.
Das höchste Glück des menschlichen Lebens liegt in der Seelenruhe.
Epikur1
Ist ein Tempel ohne Ruhe, werden seine Götter ihn verlassen.
Altes Ägypten2
Der Weise ist ruhig und gelassen, die anderen sind immer in Sorgen und Aufregung.
Konfuzius3
Durch Ruhe ruhig, wandelt man glückselig.
Upanishaden4
Die Aufgeregtheit aber richtet auf die Dauer zugrunde.
Zhuangzi5
Wer zu leben versteht, lebt ruhig, still und lange.
Der Gelbe Kaiser6
Wessen Sinne in Ruhe sind, den beneiden selbst die Götter.
Buddha7
Ein Kompass für ein gelingendes Leben
»Wollen wir ruhig leben, müssen wir beunruhigende Vorstellungen als Torheiten entlarven.«
Cicero8
Mein Name tut nichts zur Sache. Ich verschweige ihn, um auszuschließen, dass jemand sich oder einen Bekannten in den folgenden Dialogen, die auf tatsächlichen Beratungsgesprächen beruhen, wiedererkennt.
Ich muss ein paar Worte über die Entstehungsgeschichte dieses Buches sagen, das eher ein Bericht oder Protokoll ist und zum überwiegenden Teil gar nicht von mir stammt. Ich habe diese Gespräche nur aufgezeichnet. Lange lagen die beschriebenen Blätter in meiner Schreibtischschublade ohne Aussicht, jemals veröffentlicht zu werden. Mir kam gar nicht in den Sinn, diese Aufzeichnungen über sehr persönliche Probleme einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Als sich später dieser Gedanke einstellte, hatte ich erst einmal größte Skrupel, dies zu tun. Die Geschichte ist nämlich folgende:
Achtzehn Jahre lang war ich Sekretär einer »Lebensberaterin« in einer deutschen Kleinstadt. Ich nenne sie einmal »Diotima«, denn diesen Namen hörte ich sie öfter mit großer Hochachtung aussprechen. Es scheint sich dabei um eine weise oder heilige Frau aus dem Altertum gehandelt zu haben. Meine Chefin war zuvor lange in anderen Bereichen tätig, in denen sie sehr viel reisen musste, vor allem auch ins Ausland. Das machte ihr große Freude, denn sie war immer sehr interessiert, Neues zu erfahren. Es gab kaum ein Land, von dem sie nicht höchst bemerkenswerte Dinge erzählen konnte.
Irgendwann hatte sie genug vom Reisen und von der Tätigkeit, der sie bis dahin nachging. Sie begann mit etwas völlig anderem. Sie ließ sich in meiner Stadt nieder und machte eine philosophische Praxis für allgemeine Lebensberatung auf. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt, obwohl es eigentlich logisch ist, haben doch viele Menschen Probleme mit dem Leben. Im Laufe der Zeit hatte sie sich einen gewissen Namen gemacht, sodass Menschen aus dem ganzen Land zu ihr kamen und ihren Rat suchten. Sie hatte weder eine psychotherapeutische Ausbildung noch Wurzeln in der religiösen oder spirituellen Seelsorge. Ihre Domäne, ja Leidenschaft, war die Philosophie und hier insbesondere die praktische Philosophie der Antike. Dabei sprach sie selten von »Philosophie«, dafür häufig von »Weisheit«, was bekanntlich ein Bestandteil des Wortes »Philosophie« ist, das »Liebe zur Weisheit« bedeutet. Sie sagte immer, dass in der Antike alles gesagt worden ist, was wir für ein gelingendes Leben wissen müssen, und zwar tiefer, klarer und breiter als in jeder anderen Epoche der Menschheit. Die Erfolge ihrer Beratungspraxis schienen ihr recht zu geben.
Interessant dabei war, dass sie in den chinesischen, indischen, ja selbst in den ägyptischen und orientalischen Weisheitslehren anscheinend genauso beheimatet war wie in der abendländischen Tradition, also vor allem in der griechisch-römischen Philosophie. Sie war der Überzeugung, dass wir überall, wo kluge Köpfe tief gedacht haben, im Wesentlichen auf dieselben Lebenslehren stoßen. Dies gelte jedenfalls im Hinblick darauf, was aus diesen Lehren für unsere Lebensführung folge und ob wir aus dieser alten Überlieferung überhaupt noch etwas lernen können. Davon allerdings war sie vollkommen überzeugt. Sie hatte offenbar auch moderne Lebensratgeber gelesen, von denen die Buchhandlungen ja voll sind, aber nie sei sie auf etwas gestoßen, was sie nicht schon bei »den Alten« – so nannte sie die Philosophen, Dichter, Denker und Heilige der Antike, auf die sie sich ständig berief – gelesen habe. Häufig sagte sie, sie schaffe mit ihrer Philosophie nichts Neues, sondern liebe das Alte und vermittle es nur. Die Lehren der antiken Denker knüpften wie die modernen an der Natur des Menschen, an seinen Bedürfnissen, Sehnsüchten, Gefühlen und Ängsten etc. an, und diese Natur habe sich in den letzten 5000 Jahren nicht geändert. Deshalb seien die Lehren antiker Weiser und Heiliger so aktuell wie eh und je. Es komme nur darauf an, ihren Wahrheitsgehalt herauszuarbeiten und diesen von dem historischen, kulturellen, religiösen und ökonomischen Hintergrund zu lösen, der natürlich sehr verschieden sei, je nachdem, woher der Autor oder Text stamme.
Dieser Wahrheitsgehalt, die Weisheit, in der sich häufig Lebenserfahrungen vieler Generationen sammelten, sei universal und im Kern unvergänglich, meinte sie. Jedenfalls sei dieses Wissen auch für uns Heutige noch von unschätzbarem Wert. Im Grunde sei die Weisheit uralt, nur der Irrtum sei immer wieder neu, sagte sie oft. Man müsse jedoch dieses Weisheitswissen auf die heutige Zeit übertragen und den gegebenen Umständen anpassen, ohne dabei den Wesensgehalt zu verändern. Jede Übersetzung alter Texte müsse sich an die Sprache, das Denken, das Lebensgefühl und die Lebensumstände der jeweiligen Zeit anpassen, um verständlich zu sein. In einer solchen Übersetzungsarbeit sah sie ihre Aufgabe. Das überlieferte Weisheitswissen sei leider immer wieder in Vergessenheit geraten, von eifrigen Forschern aber immer wieder ausgegraben oder von tiefen Denkern neu entdeckt worden. Das soll übrigens schon in der Antike so gewesen sein, wie man, so Diotima, aus einigen verlässlichen Quellen entnehmen könne. Also auch die Weisen der Antike griffen auf ältere Quellen oder mündliche Überlieferungen zurück.
Ich bin mir sicher, dass sie alles, was sie in den vielen Beratungsgesprächen mit ihren Klienten besprach, aus solchen alten Texten gelernt hatte und man es dort finden könne, wenn man sich einmal die Mühe machte, es zu suchen. In den Gesprächen mit unseren Klienten fielen selten andere Namen als die antiker Denker, Dichter, Weiser und Heiliger. Viele bekannte Größen waren darunter wie Sokrates, Platon, Aristoteles, Epikur, sehr häufig auch Stoiker wie Seneca, Epiktet, Mark Aurel. Von den Chinesen nannte sie häufig Konfuzius und Laotse, daneben noch Zhuangzi und Liezi, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Aus Indien berief sie sich oft auf Buddha und die Upanishaden. Es fielen aber auch zahlreiche mir unbekannte Namen, an die ich mich nicht mehr erinnere. Vereinzelt war auch von neueren Philosophen, Dichtern und Denkern die Rede. Häufig dagegen kam sie auf Goethe zu sprechen, den sie offenbar sehr verehrte. Ich erinnere mich daran, dass sie einmal sagte, dass es keine antike Weisheit oder Weisheitslehre gebe, die man nicht bei Goethe wiederfinde, selbst solche, die er eigentlich nicht kennen konnte, weil sie zu seiner Zeit im Westen noch gar nicht bekannt waren. Aber das bestätige nur ihre Behauptung, Weisheit sei universal und zeitlos und werde immer wieder entdeckt von Menschen, die tief nachdachten.
Nun fragen Sie sich sicherlich, ob ich bei all den Gesprächen dabei war. Ja und nein. Ich war nicht im selben Raum. Es waren sehr persönliche, ja manchmal intime Gespräche, die Diotima mit ihren Klienten führte, natürlich unter vier Augen. Ich saß währenddessen im Nebenraum an meinem Schreibtisch und bearbeitete die Korrespondenz, kümmerte mich um die Buchhaltung und verwaltete die Veranstaltungen und Termine, wie Seminare, Vorträge und Workshops, die Diotima regelmäßig neben ihrer Beratungstätigkeit abhielt.
Es war nun aber so – und dafür konnte ich ja nichts –, dass die Trennwand zwischen dem Sekretariat und dem Besprechungsraum sehr dünn und das ganze Haus sehr hellhörig war. Offenbar war unser Büro einmal ein einziger großer Raum gewesen, der später in zwei kleinere aufgeteilt worden war. So bekam ich unfreiwillig sehr viel mit von den Gesprächen, die Diotima mit ihren Klienten führte, ja häufig hörte ich jedes Wort. Anfangs war mir das sehr lästig, und ich versuchte, mich mit Ohropax vor dieser Geräuschkulisse zu schützen. Aber ich vertrug es nicht und bekam eine Entzündung in den Ohren, sodass ich darauf verzichten musste. Als Nächstes versuchte ich, mich ganz auf meine Arbeit zu konzentrieren und gar nicht darauf zu achten, was im Nebenraum gesprochen wurde. Irgendwann aber, als ich gerade einmal nichts zu tun hatte und vor mich hin döste, lauschte ich einer längeren Passage eines Beratungsgesprächs. Nicht dass ich neugierig war oder dass es mich sonderlich interessierte. Das kam erst später. Am Anfang war es einfach der Umstand, dass ich es gar nicht verhindern konnte, die Gespräche mitzuhören.
Irgendwann geschah es, dass ich mich für die Inhalte zu interessieren begann, über die im Nachbarraum geredet wurde. Es waren weniger die Probleme, mit denen die Klienten zu Diotima kamen, als vielmehr die Ratschläge, die Diotima erteilte, und die Erklärungen und Begründungen, die sie dafür anführte. Ich verstand nicht immer alles, ich meine nicht akustisch, sondern inhaltlich. Ich konnte ja keine Rückfragen stellen. Das aber, was ich verstand, beeindruckte mich immer mehr, ja fesselte mich förmlich im Laufe der Zeit.
Eines Tages fing ich damit an, mir Stichworte zu den Gesprächen zu machen, um mich später daran erinnern zu können. Aus den Stichworten wurden ganze Sätze, und am Ende arbeitete ich meine Notizen noch am selben Abend aus und versuchte, das Gespräch so genau wie möglich zu rekonstruieren und schriftlich festzuhalten. Besondere Sorgfalt verwendete ich auf das erste Gespräch. Das war immer das interessanteste, und eigentlich wurde dort schon alles Wesentliche erörtert, was aus Sicht der antiken Lebensweisheit dazu zu sagen war. In den Folgeterminen kam es dann zu Vertiefungen einzelner Aspekte, meistens jedoch nur zu Wiederholungen mit anderen Worten oder unter einem anderen Gesichtspunkt. Häufig wurde auch lediglich der Status des Veränderungsprozesses besprochen, den die Klienten unter Anleitung Diotimas machen sollten (richtiger müsste man sagen: unter Anleitung der antiken Philosophen, denn Diotima betonte immer wieder, dass es nicht »ihre« Philosophie sei, die sie weitergebe, sondern diejenige der alten Denker und Weisen, die sie nur mit ihren Worten wiedergebe und auf das konkrete Problem des jeweiligen Klienten anwende).
Im Laufe der Zeit kamen einige Hundert Seiten an Gesprächsaufzeichnungen zusammen. Immer wieder warf ich einen Blick hinein und fühlte mich bereichert durch das, was ich da las. Einiges davon konnte ich auch gut für meine eigene Lebenspraxis gebrauchen. Dabei konnte ich feststellen, dass Diotimas Ratschläge positive Auswirkungen hatten und ich tatsächlich mein Denken und Verhalten hier und da änderte.
Und dann starb Diotima. Sie war schon sehr alt und ahnte offenbar, dass ihre Zeit gekommen war. Denn eines Tages sagte sie zu mir: Mein Lieber, es tut mir leid, aber Sie müssen sich einen neuen Job suchen. Ich war zunächst schockiert und dachte, ich hätte etwas falsch gemacht oder sie sei irgendwie dahintergekommen, dass ich einige Gespräche mitgeschrieben hatte. Aber das war nicht der Grund. Auf meine erstaunte Rückfrage, warum sie mich entlassen wolle, sagte sie, das wolle sie gar nicht, aber sie glaube, dass sie demnächst diese Welt verlassen werde. Merkwürdigerweise kam ihr das sehr leicht über die Lippen, ja, wenn ich das richtig deutete, mit einem gewissen Ausdruck von Erleichterung.
Ihre Zeit sei um, sagte sie, ihr Leben habe ja nun schon lange genug gedauert. Ihr Körper sei müde und wolle nicht mehr so richtig. Ich solle jetzt nicht traurig sein, denn was geschehe, sei völlig natürlich und unser aller Schicksal. Sie sei sehr alt geworden, habe ein gutes Leben gehabt und wolle nicht undankbar sein, wenn es jetzt zu Ende gehe. Wer wisse schon, was darauf folge. Sie sei sehr neugierig und gespannt. Entweder sei es die große Ruhe, die sie wahrlich verdient habe, oder die Seelen leben irgendwo weiter. Vielleicht begegne sie ja einigen der großen Denker, mit denen sie sich ein Leben lang beschäftigt habe. Nichts wäre ihr lieber, als mit ihnen einige offene Fragen zu besprechen, die sie schon immer einmal mit ihnen diskutieren wollte.
In diesem Ton sagte sie noch einiges anderes, aber ich konnte nicht mehr richtig zuhören. Zum einen war ich trotz ihrer Tröstungen traurig, denn ich muss zugeben, dass sie mir im Laufe der vielen Jahre immer mehr ans Herz gewachsen war. Dann dachte ich daran, dass ich mir nun einen neuen Job suchen müsse. Am meisten aber staunte ich darüber, wie sie über ihren eigenen Tod sprechen konnte. Gewiss, ich erinnerte mich, dass sie zu ihren Klienten häufig in dieser Art sprach, wenn das Gespräch auf Tod und Vergänglichkeit kam, was oft der Fall war. Aber dass sie mit derselben Leichtigkeit und Unbekümmertheit auch angesichts des eigenen nahen Todes so sprechen konnte, das verblüffte mich doch sehr.
Zwei Wochen später starb sie tatsächlich. Sie sei eines Morgens nicht mehr aufgewacht, sagte der Arzt. Eine konkrete Todesursache habe er nicht feststellen können. Krank sei sie offenbar nicht gewesen, nur alt. Es sei sehr merkwürdig, sagte der Arzt, denn es sah so aus, als sei sie an Atemnot gestorben. Er habe aber keinen klinischen Befund zu irgendwelchen Atembeschwerden finden können. Er fragte mich, ob ich bei ihr jemals Atemnot bemerkt habe, was ich verneinte.
Als der Arzt gegangen war, schaute ich sofort in meinen Gesprächsaufzeichnungen nach und fand schließlich die Stelle, an die ich sofort dachte, als von Atemnot die Rede war. Ich erinnerte mich nämlich daran, dass sie einer Klientin einmal berichtete, dass es in der Antike einige große Denker gegeben habe, die ein sehr hohes Alter erreichten und schließlich ihr Leben selbst beendet haben sollen, durch »Luftanhalten«, wie zu lesen gewesen sei. Das hätten sie offenbar aus freien Stücken getan, ohne krank gewesen zu sein oder sonst wie unter dem Leben zu leiden. Sie hätten einfach erkannt, dass ihre Stunde gekommen sei, dass der Körper müde geworden sei, dass es nun reiche und dass sie lange genug gelebt hätten und Platz für andere machen wollten. Bevor das Leben unangenehm und leidvoll werde, wollten sie lieber aus freien Stücken »den Wohnsitz wechseln«. Das erzählte Diotima.
Ich weiß nicht, ob das stimmt. Kann man durch »Luftanhalten« sein Leben beenden? Ich habe da so meine Zweifel. Von den Indianern in Nordamerika, aber auch von anderen Naturvölkern wird erzählt, dass sie spürten, wenn ihre Zeit zu Ende ging. Sie zogen sich dann einsam in die Natur zurück, um zu sterben.
Diotimas Todestag liegt jetzt schon ein paar Jahre zurück. Briefe an sie und Anrufe von Ratsuchenden wollen aber immer noch nicht abreißen. Da Diotima keine Verwandten hatte und sie mich zum Nachlassverwalter einsetzte, landet alles bei mir.
Nun saß ich da mit meinen vielen Aufzeichnungen ihrer Gespräche und fragte mich, ob das auch ein Teil des Nachlasses sei und was ich damit machen sollte. Früher kam mir gar nicht der Gedanke, diese Mitschriften zu veröffentlichen. Ich hielt das für pietätlos gegenüber den vielen Klienten, deren persönliche Probleme behandelt werden. Andererseits hatte Diotima ihr enormes Wissen über die alten Weisheiten nie in einem Buch niedergeschrieben oder auf andere Weise der Allgemeinheit mitgeteilt. So kam mir irgendwann der Gedanke, dass mit ihrem Tod vieles von diesem Weisheitswissen wieder in Vergessenheit geraten werde, denn ich wüsste nicht, wo es noch gepflegt wird. Was das spezifisch Philosophische angeht, das System und die Theorie der Ethik, so wird das an unseren Universitäten gelehrt. Worauf Diotima aber größten Wert legte – worin sie mit den Alten auch vollkommen übereinstimme, wie sie öfter betonte –, waren Fragen und Methoden der Vermittlung und insbesondere der Umsetzung dieser Erkenntnisse im Alltag, im Alltag der Philosophen und noch mehr im Alltag all jener Menschen, die nicht philosophisch vorgebildet seien, also Menschen wie Sie und ich. Erst wenn es uns gelinge, dieses Weisheitswissen für alle Menschen nutzbar zu machen, so Diotima, sei die Aufgabe des Philosophen erfüllt.
Hier erst, sagte sie, in der praktischen Anwendung, komme die philosophische Gedankenarbeit zu ihrem eigentlichen Ziel und Abschluss. Die Umsetzung von Einsichten der praktischen Philosophie oder Weisheitslehre aber werde in den philosophischen Fakultäten der Universität nicht gelehrt. Nicht in der Universität, nicht in den Schulen, nicht in der Familie, nicht in den Kirchen (hier noch am ehesten, aber wer geht noch in die Kirche und kommt als ein Geläuterter wieder heraus?). Dabei gebe es nichts Hilfreicheres, um die Sehnsucht der Menschen nach einem gelingenden, glücklichen Leben zu erfüllen. Kein Wissen sei wertvoller als Weisheitswissen, sagte sie, weil doch alles, was die Menschen täten und erfänden, nur Sinn mache, wenn es letztlich dazu diene, dass die Menschen in den Jahren ihres Erdendaseins glücklich und zufrieden mit sich und den anderen leben könnten. Um dieses Ziel und wie man es erreichen könne, habe aber das Denken aller antiken Denker und Weisen gekreist. Nur die größten Philosophen der Neuzeit hätten noch gewusst, was in der Antike in Orient und Okzident eine Selbstverständlichkeit gewesen sei, nämlich dass der eigentliche Philosoph der praktische Philosoph sei als Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel.
Diotima war im Allgemeinen stets sehr ruhig und gelassen, aber wenn es zu diesem Thema kam, meinte ich bei ihr so etwas wie eine starke Emotion bemerken zu können. Sie müssen jetzt nicht meinen, Diotima sei emotionslos oder gefühlskalt gewesen. Ich kannte kaum einen Menschen, der so viel Mitgefühl mit anderen Menschen hatte wie sie. Aber sie ging damit nicht hausieren. Äußerlich machte sie den Eindruck, als befinde sie sich in einer ununterbrochenen Meditation. Stets strahlte sie eine große Gelassenheit und stoische Ruhe und Unerschütterlichkeit aus, war aber stets vollkommen präsent. Sie konnte selbst schwierigste Klienten durch ihre ruhige und souveräne Ausstrahlung für sich einnehmen. Ich glaube, es gab einige Menschen, die ihren Rat nicht deshalb annahmen, weil sie die philosophischen Argumente einsahen, mit denen sie jeden ihrer Ratschläge zu begründen wusste, sondern weil sie von der Aura Diotimas in ihren Bann gezogen wurden, sodass sie keinen Zweifel daran hatten, dass wahr oder doch heilsam sein müsse, was Diotima ihnen riet.
Aber ich schweife ab. Was ich sagen wollte, ist, dass in mir irgendwann der Gedanke kam, jedenfalls eine Auswahl meiner Gesprächsnotizen zu veröffentlichen. Wie bereits erwähnt, hatte ich anfangs Bedenken und meinte, das ginge nicht, weil es ja teilweise sehr Persönliches betreffe. Aber dann machte ich mir bewusst, dass es doch meistens um Probleme ging, die wir alle kennen, die nicht auf einzelne Personen beschränkt waren, sondern mit denen wir alle irgendwann einmal konfrontiert werden. Schließlich wurde der Gedanke immer stärker, dass es doch sehr schade wäre, wenn das Wissen Diotimas und der alten Denker, das sie so gekonnt und überzeugend weitergab, wieder in Vergessenheit versinke und versäumt werde, es einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ich bin sicher, dass es auch Menschen helfen kann, die nie bei Diotima in der Sprechstunde waren. Zwar reicht die Wirkung des geschriebenen Wortes nicht an die Wirkung des gesprochenen heran, das von Angesicht zu Angesicht weitergegeben wird, zumal kein Buch die Aura Diotimas wiedergeben kann. Aber sie selbst hat ja auch nicht den Sokrates, Konfuzius oder Buddha persönlich erlebt und hat dennoch viel von ihnen gelernt.
Sie müssen jetzt nicht denken, es gehe hier um ein spezielles Geheimwissen, das in diesen Gesprächsnotizen zum Ausdruck komme. Bestimmt erscheint Ihnen das eine oder andere sogar ganz banal zu sein. Mir jedenfalls ging es am Anfang so. Lediglich der Umstand, dass sich Diotima bei ihren Ratschlägen und Überlegungen immer wieder auf die größten Denker der Antike in Ost und West berief, die noch heute im allerhöchsten Ansehen stehen und deren Bücher in jeder Buchhandlung stehen, machte mich stutzig und ließ mich länger über die scheinbaren Banalitäten nachdenken. Und tatsächlich erkannte ich im Laufe der Zeit bei wiederholter Lektüre, dass viel mehr dahintersteckte, als man beim ersten Hören vermuten könnte. Weisheit, so sagte Diotima einmal, sei wie das Wasser eines Sees: klar, aber tief, unerschöpflich und unergründlich.
Ich musste mir eingestehen, dass mir zwar vieles von dem, was Diotima sagte und anriet, bekannt vorkam, dass aber doch die wenigsten Menschen es wirklich umsetzen und danach leben. Und dass das vielleicht der Grund dafür ist, dass immer noch so viele Menschen auf dieser Welt leiden, obwohl sie in guten äußeren Verhältnissen leben. Dabei haben sie es nach dem, was Diotima lehrte, doch selbst in der Hand, etwas zu ändern, was das Leiden beendet. Das würde auch erklären, warum die Menschheit ethisch keine Fortschritte zu machen scheint und quasi auf der Stelle tritt, obgleich die Weisheiten, auf die sich Diotima immer wieder berief, schon seit Jahrtausenden bekannt sind. Man kann natürlich bezweifeln, dass wir als Menschheit keine Fortschritte machen, aber schauen Sie sich die Welt an, wie sie ist; oder schauen Sie nur auf das vergangene Jahrhundert mit den entsetzlichen Kriegen und dem unvorstellbaren Leid, das durch sie verursacht wurde!
Manchmal kommt es mir so vor, als dienten unsere ganzen Erfindungen, die unglaublichen technischen Fortschritte der letzten zwei Jahrhunderte und die digitale Revolution der letzten Jahre nur dazu, unser Leben komplizierter und beschwerlicher zu machen. Äußerlich sieht es aus wie eine grandiose Entwicklung, aber innerlich kommen mir die Menschen leerer und ärmer, gehetzter und orientierungsloser vor als in früheren Zeiten, die ich natürlich nur aus Büchern kenne. Aber auch was das rein Äußere angeht, ist keineswegs alles Gold, was glänzt. Äußerlich ist das Leben tatsächlich bequemer, angenehmer, luxuriöser geworden, die Weltreichweite ist für viele Menschen nahezu grenzenlos geworden – aber ich fürchte, über all dem Fortschritt geht die Welt zugrunde. Und niemand scheint das aufhalten zu können. Diotima sagte einmal, schon im Industriezeitalter hätten viele Menschen ein Maschinenherz bekommen, im digitalen Zeitalter aber ersetzen Algorithmen die Gefühle, und ein tieferes menschliches Miteinander ist selten geworden in den Großstädten unserer Industrienationen.
Aber ich schweife wieder ab. Jedenfalls habe ich mich nach langem Nachdenken dazu entschlossen, eine Auswahl der Gesprächsnotizen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Namen habe ich natürlich nicht genannt. Deshalb nenne ich meine Meisterin nicht bei ihrem richtigen Namen, sondern verwende einen, den ich öfter bei ihr gehört habe und der mir immer gut gefallen hatte. Ich nenne die Kunden einfach »Klienten« oder kürze sie in der direkten Rede mit »K« ab, Diotima mit »D«. Die Charakteristiken der Klienten, ihre Lebensgeschichten und Probleme habe ich manchmal etwas abgewandelt, um auszuschließen, dass sich jemand wiedererkennt oder von Dritten wiedererkannt werden könnte. Das geschah natürlich, ohne den sachlichen Gehalt oder die Problemlösungen zu ändern, die Diotima vorschlug. Mir würde für solche inhaltlichen Eingriffe auch jegliches Wissen fehlen. Ich war ja nur Diotimas Sekretär und weiß von der Philosophie nur das, was ich von ihr gehört habe.
Ich gebe die Gespräche nicht immer wortgetreu wieder, obwohl ich mich darum ernstlich bemüht habe. Ich glaube aber, nirgendwo den Sinn verstellt zu haben. Im Anschluss an jedes Gespräch gebe ich einige Zitate wieder, die Diotima in den Gesprächen angeführt hat und die mir besonders gut gefallen haben. Aber wie ich bereits erwähnte, ich denke, dass alles, was Diotima sagte, voller Zitate großer Denker, Weiser und Heiliger aus der Antike war, ohne dass sie dies stets ausgewiesen oder den Autor genannt hätte.
Am Ende findet sich ein Text mit zwölf »Regeln der Lebenspflege«, der auf einem großen Plakat in unserer Praxis hing. Ich weiß nicht, ob er von Diotima selbst stammt und die Quintessenz ihrer Erkenntnisse darstellt oder ob es sich um antike Aussprüche handelt. Ich glaube aber, er stammt von ihr, denn die Sprache und Formulierungen klingen moderner als Zitate aus antiken Schriften.
»Das Schlimmste ist, wenn man sich selbst vergisst.«
Konfuzius9
Eines Tages kam ein gut aussehender, salopp gekleideter Mittvierziger in die Praxis, ein sportlicher Typ mit wachen Augen und einem verbindlichen Lächeln. Er sagte meiner Chefin nicht, was er beruflich mache und wo er arbeite, nur, dass er ein sehr erfolgreicher Manager sei und dafür in den letzten zwanzig Jahren hart gearbeitet habe. Er habe drei wunderbare Kinder, die studierten. Er sei verheiratet, lebe aber seit einiger Zeit getrennt von seiner Frau. Er habe eine neue Partnerin. Beide achteten auf eine gewisse Distanz und ließen dem anderen große Freiräume. Auch sie sei eine erfolgreiche Führungskraft in der Industrie. Sie kämen gut miteinander aus. Er habe in der Vergangenheit viel Geld verdient. Wenn er jetzt seine Firma mit einer entsprechenden Abfindung verließe, bräuchte er nicht mehr zu arbeiten. Müsse man ihn nicht für einen glücklichen Menschen halten, den das Schicksal mit allem großzügig beschenkt habe, wonach sich viele Menschen sehnten?
D: Wenn es so ist, wieso sind Sie dann hier?
K: Sie haben den Ruf einer weisen Frau. Vielleicht frage ich das, damit Sie mich in meiner Vorstellung bestätigen.
D: Ich bin alt und habe in meinem eigenen Leben vieles gesehen und erlebt. Durch die Lebensgeschichten meiner Besucher, die ich manchmal bis zu ihrem Ende begleitete, zunächst als Ratgeber, später als Freund, habe ich viel über den Lauf der Dinge erfahren, der für jeden von uns immer wieder Überraschungen bereithält. Dadurch bin ich vorsichtig geworden, ein Menschenleben für glücklich zu halten, bevor es nicht zu Ende ist. Manche hat das Schicksal noch im letzten Lebensabschnitt hart getroffen.
K: Aber es geht doch nur darum, das zu beurteilen, was im Moment und vielleicht in den letzten zwei, drei Jahren passiert ist, wie sich die konkreten Lebensumstände in dieser Zeit darstellten, wie man sich dabei gefühlt habe und wie man sich im Augenblick fühle.
D: Wie Sie sich fühlen, wissen Sie selbst am besten. Aber so einfach ist das nicht mit der Frage nach dem glücklichen Leben. Zum einen kann der Schein trügen. Manche wohnen in Schlössern und haben keine ruhige Nacht vor Sorgen und Ängsten. Andere wissen nicht, wohin mit ihrem Geld, und meinen, immer noch nicht genug zu haben. Schließlich gibt es Menschen, denen alles zu gelingen scheint und die äußerlich in den beneidenswertesten Umständen leben, gleichwohl sind sie missmutig und übellaunig, können nicht gut allein sein und an nichts mehr tiefe Freude empfinden. Gerade hier in Deutschland leben Hunderttausende von Menschen in einem Wohlstand, der dem von Renaissancefürsten nur wenig nachsteht, und dennoch klagen sie und sind unzufrieden, leiden seelisch und körperlich und lachen viel weniger als die Menschen in ärmeren Regionen der Welt. Ich habe diese Erfahrung in Asien gemacht, wo ich eine Zeit lang gelebt habe. Das trifft natürlich nicht auf alle Deutschen oder Mitteleuropäer zu, vielleicht nicht einmal auf die Mehrzahl. Aber im Verhältnis zu dem, was sie haben, zu den Möglichkeiten, über die sie verfügen, zu dem Frieden, der Freiheit und der Sicherheit, die sie nun schon seit Jahrzehnten umgibt, bleibt der Grad ihrer seelischen Zufriedenheit häufig zurück. Viele scheinen sich gar nicht bewusst zu sein, wie gut es ihnen geht, jedenfalls den äußeren Umständen nach.
K: Aber zu denen gehöre ich nicht, im Gegenteil: Ich freue mich meines Lebens und genieße meine Freizeit, wenn ich auch nicht allzu viel davon habe.
D: Das will ich nicht bestreiten. Ich sehe es Ihnen an. Aber so manchen Menschen hat das Schicksal hoch über alle anderen erhoben, nur um ihn dann umso tiefer stürzen zu sehen. Schauen Sie auf unsere Politiker und das Auf und Ab ihrer Karrieren. Auch über Unternehmer, Manager und Banker kann ein widriges Schicksal mit großer Gewalt hereinbrechen, denken Sie nur an die Bankenkrise von 2008. Die alten Weisen im Orient und Okzident meinten, zu großem Reichtum komme man häufig nur auf krummem Wege. Das ist aber ein sehr unsicherer Pfad, den wir in aller Regel nicht unbeschadet begehen. Die Zeitungen sind voll davon, weil die neidischen Menschen solche Geschichten lieben. Wen die Götter vernichten wollen, den überhäufen sie zuvor mit Glücksgütern, sagten die alten Weisen. Deshalb sollen wir auf das Ende sehen und nicht zu früh eine Bilanz unseres Lebens ziehen. Schließlich steigt übermäßiges Glück zu Kopf und macht uns überheblich. Eine solche Geisteshaltung, das lehrt die Erfahrung immer wieder, führt über kurz oder lang zum Scheitern.
K: Aber mit solchem Pessimismus verdirbt man sich die Freude am Hier und Jetzt.
D: Nur wenn wir die falschen Schlussfolgerungen aus dieser Einsicht ziehen. Gerade indem wir uns immer wieder bewusst machen, dass alles einem ständigen Wandel unterliegt, dass alles kommt und geht, dass sich die Phasen des Glücks und des Unglücks abwechseln, dass wir »im Unversicherbaren« leben – solche Vorstellungen im Hinterstübchen unseres Bewusstseins lassen uns einerseits dankbar das genießen, was wir haben. Denn wir wissen um seine Vergänglichkeit und nehmen es nicht als selbstverständlich. Manchmal lässt uns das Bewusstsein der Vergänglichkeit überhaupt erst erkennen, dass das Glück vor uns liegt und bloß darauf wartet, ergriffen, genossen und wertgeschätzt zu werden. Die Selbstverständlichkeit ist der Tod vieler Freuden des täglichen Lebens. Andererseits werden wir durch eine Haltung der Bescheidenheit und Achtsamkeit demütig im Hinblick auf die Zukunft, unsere Sehnsüchte und Erwartungen. Wir sind uns stets bewusst, dass nicht immer alles so läuft, wie wir uns das wünschen, und dass auch härtere Zeiten kommen können. Das ist eine gute Zurüstung, die uns auf alles vorbereitet und uns aufmerksam sein lässt auf das Hier und Jetzt. Wer vorbereitet ist, den wirft nichts um.
Kurzum: Fragen Sie nicht andere nach Ihrem Glück, sondern schöpfen Sie das Glück aus sich selbst, freuen Sie sich und genießen Sie es, solange das Schicksal es gut mit Ihnen meint … Aber warum sind Sie denn eigentlich zu mir gekommen, wenn Sie ein glückliches Leben führen? Menschen, denen es rundum gut geht, brauchen meine Ratschläge und meine Hilfe nicht.
K: Gut, lassen wir das. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie ein wenig auf die Probe stellen wollte. Tatsächlich bin ich mit einem konkreten Anliegen hier. Da ist eine Sache, die ich immer wieder einmal in mir wälze und bei der ich das Gefühl habe, da ist etwas noch nicht so, wie es sein sollte.
D: Nur eine Sache? Da sind Sie noch sehr gut dran. Eine aufgeschlossene Seele, ein offenes Leben, das sich in seiner ganzen Fülle entwickeln und erfahren will, ist wie eine stetig wachsende Großstadt mit vielen Baustellen und sozialen Brennpunkten.
K: Ich habe beruflich alles erreicht, finanziell geht es mir gut, ich genieße hohes Ansehen im Unternehmen und in der Gesellschaft, an äußeren Gütern fehlt mir nichts. Ich habe gesunde Kinder, die ich sehr liebe und die mir viel Freude bereiten. Aber wenn das Rad der Betriebsamkeit einmal stillsteht, wenn ich irgendwo im Ausland fernab von zu Hause allein in einem Hotelzimmer bin oder abends ein Glas Wein trinke, erschöpft von der Arbeit, dann kommt manchmal eine Unruhe in mir auf. Ich frage mich dann: War das schon alles? Kommt da noch etwas? Oder wiederholt es sich nur noch? Ein Gefühl der Leere meldet sich. Auch habe ich schon lange ein paar Ideen in meinem Kopf, die ich gerne verwirklichen möchte, die aber nichts mit meiner gegenwärtigen Arbeit zu tun haben. Dazu bräuchte ich Zeit, die mir mein Beruf augenblicklich nicht gibt. Mit einem Vertrauten im Vorstand meines Unternehmens habe ich darüber gesprochen und gefragt, ob ich mehr Zeit für meine privaten Interessen haben könnte. Er war sehr aufgeschlossen. Sie haben meinen Vertrag so geändert, dass mir theoretisch die gewünschte Zeit eingeräumt wird. Aber es ist schwer, dies in der Praxis umzusetzen. Immer wieder tauchen unvorhergesehene Probleme im Unternehmen auf, um die ich mich kümmern muss.