Wie mir Gott abhandenkam - Wolfgang Beyen - E-Book

Wie mir Gott abhandenkam E-Book

Wolfgang Beyen

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Beschreibung

Der Autor setzt sich kritisch mit dem Christentum auseinander. Zweifel an dem von jenem propagierten Menschenbild, das ihm während seiner römisch-katholischen Sozialisierung vermittelt wurde, gaben den Startschuss hierzu. Der (sicherlich auch katholisch gefärbte) Blick richtet sich auf das christliche Glaubensgebäude mit seinen ideologischen Grundlagen, Prinzipien und Dogmen, seinen Forderungen, Verheißungen und Lehrsätzen. Es geht allerdings weniger um eine umfängliche Kritik als vielmehr darum, ausgewählte Aspekte des Christentums aus der Sicht eines religiös Erzogenen und Indoktrinierten zu beleuchten. Neben Themen wie ´Theodizee`, ´christliche Moral`, ´Jesus` oder ´Frauen und Sexualität` befasst sich Wolfgang Beyen mit dem widersprüchlichen Verhältnis von ´Vernunft und Glaube` - und dem durch ihn erworbenen Reichtum. Die christlichen Vertreter wähnen sich im Besitz der "Wahrheit". Das lehnt der Autor ab und plädiert stattdessen für die "Idee der kritischen Prüfung".

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Für Anne, Stefanie und Jennifer

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort zur 3. Auflage

1

.

Religiöse Unterweisung und erste Zweifel

2.

Risse in meinem katholischen Weltbild

3.

Über gewisse Vorzüge frühkindlicher Religionserziehung

4.

Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud - Zwei große Denker und ihr Verhältnis zum Christentum

4.1

Nietzsches Religionskritik

4.2

Freuds Religionskritik

5.

Glaube und Wissen

5.1

Der Glaube

5.2

Wissen als Gegenspieler des Glaubens

5.2.1

Die Weisen der Überzeugung bzw. des „Für-wahr-Haltens“

5.2.2

Die Fehlbarkeit des Menschen und der Verzicht auf Gewissheit

5.2.3

Dogmatische Lehre der katholischen Kirche

5.2.4

Statt Dogmatismus: Prinzip der kritischen Prüfung

5.2.5

Die „Zwei-Sphären-Metaphysik“

5.2.6

Erosion des religiösen Weltbildes

6.

Rückzug des Glaubens vor der Wissenschaft

7.

Die Heilige Schrift (Bibel) und der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) als Grundlagen des (katholischen) Glaubens

7.1

Die Heilige Schrift (Bibel)

7.2

Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK)

7.3

Ausgewählte Glaubensinhalte in der Heiligen Schrift und im Katechismus der Katholischen Kirche

7.3.1

Christliche Moral

7.3.2

Jesus

7.3.3

Das Theodizee-Problem

7.3.4

Heilslehre

7.3.5

Weitere Fragwürdigkeiten der christlichen Lehre

7.3.5.1

Frauen und Sexualität im Christentum

7.3.5.2

Sünde

7.3.5.3

Fegefeuer, Himmel, Engel, Hölle, Teufel und andere Dämonen

8

.

Das Geschäft mit dem Christentum – Fußnoten zu den Gaunern Gottes

9.

Schlussbetrachtung

Nachwort

Anmerkungen

(

Weitere) verwendete Literatur

Vorwort

Der Mensch an sich ist fehlbar! Er kann sich also irren! So oder so ähnlich formuliert es der große Philosoph Karl Popper. Macht man sich seine Mahnung zu eigen, folgt daraus umstandslos die „Idee der kritischen Prüfung“, die auch beim Schreiben dieses Buches Pate stand: Sie bestreitet absolut sichere Erkenntnisquellen, lehnt jedwede Unfehlbarkeitsforderung ab und geht von der grundsätzlichen „Irrtumsanfälligkeit“ des Menschen aus. Alle Erkenntnisse oder Überzeugungen sind nur vorläufig, eine Wahrheitsgarantie gibt es nicht! Keiner Instanz, weder der Vernunft, der Intuition, dem Gewissen oder dem Gefühl noch irgendeiner Person oder Personengruppe, wird die Kompetenz oder gar das Recht zugebilligt, dem Rest der Welt die „Wahrheit“ zu verkünden! Vor allem dann nicht, wenn diese Proklamation von Theorien, Auffassungen oder sonstigen Entwürfen zum Weltverständnis ausdrücklich mit einem solchen Wahrheitsanspruch versehen ist.

Als Musterbeispiel eines derartigen Denkens präsentiert sich die Lehre Jesu, der nach eigener Aussage die Wahrheit schlechthin ist. Die katholische Kirche, die sich als seine „Braut“ versteht und ihn als ihren Begründer preist, obwohl man ihm diese Rolle nicht zur Last legen kann, folgt ihm in seiner Einschätzung nur allzu gerne. Wird darüber hinaus diese „Wahrheit“ zur einzigen gekürt und verkündet, fühlt man sich als kritischer Geist zum Widerspruch genötigt.

So erging es mir mit „meiner“ Kirche, der römischkatholischen, die von sich in gebührender Bescheidenheit behauptet, die „einzig wahre Kirche Christi“ zu sein, deren Urheber Gott persönlich ist. Nur durch sie könne „man die ganze Fülle der Heilsmittel erlangen“ und nur sie predige „den ganzen, unverfälschten Glauben“. Diese Überheblichkeit und Selbstbeweihräucherung gipfelt in dem nicht ohne Widerspruch gebliebenen Dogma: „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil!“ Alle Menschen, die „wissen“, dass Jesus die Kirche gegründet hat und ihr dennoch nicht beitreten oder gar so dreist sind, nicht in ihr ausharren zu wollen, können nicht gerettet werden. Schlechte Aussichten für alle, die der katholischen Kirche entsagen!

Wie aber ist dieser Ausschließlichkeitsanspruch zu begründen? Eine Antwort darauf fand ich im Alten Testament. Bekanntlich überreichte Gott am Berge Sinai Moses die zehn Gebote, deren erstes lautet: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Und da dies alles in Stein gemeißelt war, gab es auch nichts daran zu deuteln. Da stört es kaum, dass natürlich auch andere kirchliche Organisationen und Glaubensrichtungen ähnliche Forderungen für sich reklamieren. Aber die habe ich selbstverständlich zu ignorieren gelernt, wurde ich doch im Geiste der katholischen Mutter Kirche erzogen, indoktriniert und manipuliert.

Irgendwann begann ich mich freilich an gewissen Ungereimtheiten, Widersprüchen und sonstigen Aussagen des Christentums im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen zu stoßen. Das entfachte mein Bedürfnis, mich etwas näher mit meinem Glauben auseinanderzusetzen.

Nun kann man es Vermessenheit nennen, wenn ein theologisch nicht ausgebildeter Gläubiger sich auf eine kritische Erörterung „seiner“ Religion einlässt. Der Vorwurf mag berechtigt sein; aber nur dann, wenn ich so anmaßend gewesen wäre, mich über die Theologie als Wissenschaft in Gänze auslassen zu wollen; wenn ich folglich die Absicht gehabt hätte, beispielsweise die Biblische, Historische oder Praktische Theologie, ihre Dogmatik oder Ethik einer umfassenden Durchleuchtung zu unterziehen; wenn ich mich mit dem gesamten christlichen Glaubensgebäude unter Bezug auf logische Widersprüche, seinen theoretischen Gehalt oder mögliche empirische Schwächen hätte befassen wollen.

Diese kühne Idee verfolgte ich allerdings nicht! Aber als Mensch, der mit dem christlichen Glauben groß geworden und in seinem Geiste erzogen worden ist, in dessen Seele sich eben dieser Glaube eingenistet, dabei sein Denken geformt und mit seinen Gefühlen jongliert hat, nahm und nehme ich mir das Recht, gewisse Aussagen, Annahmen, Regeln oder Verheißungen kritisch zu hinterfragen. Die gelebte, von der Kirche reglementierte Glaubenspraxis ist es, die mein Leben bestimmt, dessen Sinn definiert hat und mit der ich mich auseinandersetzen wollte. Dass dabei auch theoriegeladene Aussagen ihren Niederschlag gefunden haben, gleichgültig ob bei ihrer Formulierung die universitäre Forschung oder – was wahrscheinlicher ist – die Kirche den Takt vorgegeben hat, bleibt nicht aus. Dennoch ist es eine persönliche „Abrechnung“, wenngleich natürlich theoretische Ansichten, Entwürfe oder Begriffe hierin einfließen. Das können wir auch nicht ändern, denn all unser Denken und Handeln ist nun einmal „theoriegetränkt“.

Welche Bereiche sind es, in denen der Glaube unser Leben berührt oder – so könnte man auch sagen – uns gängelt? In Anlehnung an Sigmund Freud lassen sich mindestens drei Zuständigkeitsdomänen ausmachen: Die Beantwortung der Frage nach der Entstehung der Welt, das Spenden von Trost für erfahrenes Leid unter expliziter Verheißung des Paradieses und die Reglementierung des Lebens der vom Glauben erfüllten Menschen. Ausgestattet mit dem Mandat des Himmels hat die Kirche allerdings per se die Befugnis, sich in den genannten Sphären zu tummeln.

An diesem Selbstverständnis aber darf ausgiebig gekratzt werden, wenn man bedenkt, für welche Bereiche sie ihre Autorität beansprucht. Sie verkündet „Wissen“, das man als aufgeklärter Mensch beileibe in Frage stellen darf. Sie verspricht eine bessere (jenseitige) Welt, deren Kommen wahrlich in den Sternen steht. Und sie maßt sich an, in unseren Lebensablauf durch Vorschriften, Versprechungen und Drohungen einzugreifen.

Spätestens hier entlarvt sich obiger Vorwurf als deplatziert! Wer von der Kirche ein Menschenbild vorgesetzt bekommt, dem die naturwissenschaftliche Deckung völlig abgeht; wer in Sinnfragen, die den Kern der menschlichen Seele anrühren, mit vagen und dubiosen Botschaften bedient wird; wer sich schließlich von anderen Verhaltensmaßregeln auferlegen lässt, damit ihm das versprochene Heil zuteilwird, der ist sehr wohl qualifiziert und vor allem legitimiert, diesen Glauben und die dahinter stehende Autorität auf den Prüfstand zu stellen. Dem widme ich mich in dieser Schrift. Das geschieht ebenso kritisch wie (nicht immer) behutsam – und in aufrichtiger Hochachtung vor den Gläubigen. Diese indes den Geistlichen gegenüber aufzubringen fällt mir schwer! Denn im Laufe meiner Wandlung vom Paulus zum Saulus leuchtete eine Frage immer heller auf: Was für eine Oase des Friedens und der Glückseligkeit hätte eigentlich der christliche Glaube bieten können – ohne priesterlichen Beistand?

Wer in einem großen Marienwallfahrtsort lebt, kommt tagtäglich mit den Insignien des katholischen Glaubens in Berührung. Im Schatten der Basilika und der Gnadenkapelle erlebt man hautnah, wie ergriffen die gottergebene Schar der Pilger, die sich bei Wind und Wetter von oftmals weit her auf den Weg begeben haben, um einen Blick auf das Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“ zu werfen und dort ein stilles Gebet zu sprechen – sei es, um Vergangenes zu entlohnen oder Künftiges zu erflehen. Manchmal verspüre ich gar ein wenig Wehmut und Neid, wenn ich mir vorstelle, wie sicher, geborgen und behaglich es sich in einem von tiefer Frömmigkeit erfüllten Kokon des Glaubens doch leben lässt. Läuten dann auch noch die Glocken der nahegelegenen Kirche, bewegt mich eine andächtige Gottesfurcht. In solchen Momenten macht mich der feierliche Klang glauben, unser Herr mahnt mich zur Umkehr! Aber es ist zu spät – er ist mir bereits abhandengekommen!

Für die sorgfältige und kritische Durchsicht des Manuskripts gebührt meiner Frau Anne großer Dank. Hier und da noch verbleibende Unachtsamkeiten habe ausschließlich ich zu verantworten.

Kevelaer, Ende der Pilgerzeit 2023

Wolfgang Beyen

Vorwort zur 3. Auflage

Die Resonanz auf die beiden ersten Auflagen dieses Buches war überwiegend positiv. Es mangelte aber auch nicht an teils harscher Kritik – angesichts der Thematik wohl nicht verwunderlich.

Rückmeldungen lassen sich häufig mit Gewinn in die eigenen Überlegungen einbinden. So habe ich den Hinweis, den „Reichtum der Kirche“ näher zu beleuchten, gerne aufgenommen und ihn im 8. Kapitel der vorliegenden Auflage umgesetzt (wodurch sich auch der Untertitel des Buches ein wenig verändert hat). Dort werfen wir einen (nur flüchtigen) Blick auf „das Geschäft mit dem Christentum“. Wer in den Tiefen der „christlichen Moral“ bohrt, stößt irgendwann zwangsläufig auf den (nicht immer so) schnöden Mammon. Am Umgang mit ihm offenbart sich häufig erst die wahrhaft christliche Gesinnung! Wie es um diese – insbesondere innerhalb des römisch-katholischen Gemäuers – bestellt ist, wird uns gewahr, wenn wir uns kurz daran erinnern, dass Habsucht traditionell zu den Hauptlastern gehört!

Dagegen konnte ich entsprechende Anregungen zur Plage der „Wollust und Unzucht unter den Dienern Gottes“ nicht berücksichtigen. Das hätte den Rahmen des Buches empfindlich gesprengt.

Kevelaer, im Januar 2024

Wolfgang Beyen

„Unser Christentum beruht auf Trug, insoweit das Nichteintreffen der eschatologischen Erwartungen darin nicht eingestanden ist.“

(Albert Schweitzer)

1. Religiöse Unterweisung und erste Zweifel

Hineingeboren in eine katholische Welt…

In Mönchengladbach geboren war meine religiöse Ausrichtung schon vorgezeichnet. Bei den Wahlen zum Stadtrat dominierte traditionell die Christlich Demokratische Union (CDU), entsprechend war meine Geburtsstadt christlich, vor allem aber katholisch geprägt und meine Erziehung auch. Später zogen wir ins beschauliche Schwalmtal am Niederrhein, wo ebenfalls der „normale“ Glaube vorherrschte. Dieser gab dann auch für meine Eltern die Richtschnur vor bei ihren erzieherischen Bemühungen. Das war gut so, denn meine Lehrerin an der damaligen „Volksschule“ in Hehler übte einen recht engen Kontakt zum Pfarrer unserer katholischen Gemeinde. Da konnte es sicher nicht schaden ihr zu beweisen, wie man glaubensmäßig aufgestellt war.

Aber ich war beileibe nicht nur Opportunist. Ich konnte dem Katholizismus sehr wohl einiges abgewinnen, immerhin so viel, dass ich als Kind sogar Priester werden wollte. Ich erinnere mich, dass ich während des Gottesdienstes lateinische Passagen mitzusprechen versuchte. Und zuhause lud ich beizeiten meine Brüder und Freunde ein, um mit mir zusammen die Messe zu feiern, die natürlich ich zelebrierte.

Der Wechsel an die „Höhere Schule“ in Waldniel änderte nichts an meiner konfessionellen Grundausbildung. Im Gegenteil, sie wurde noch verstärkt, übernahm doch ein – auch über die Region hinaus bekannter – katholischer Geistlicher die Leitung der Schule. Er wurde schließlich mein Religionslehrer. Ergebnisoffene Diskussionen über eine Welt jenseits des katholischen Gedankengutes sind mir indes nicht erinnerlich. Dagegen erfuhr ich sehr früh, dass die Bibel „das Buch der Bücher“ ist. Und noch heute kann ich die Namen der zwölf Söhne Jakobs fließend aufzählen und Hevenu Shalom Alechem im Schlaf intonieren. Das war`s!

... und allmähliche Ernüchterung

Nach Erlangung der „Mittleren Reife“ verließ ich die „Anstalt, um einen praktischen Beruf zu ergreifen“, wie es in der damals üblichen bildungsaristokratischen Arroganz auf meinem Abschlusszeugnis vermerkt wurde. Ich ergriff in der Tat einen „praktischen Beruf“, falls man den Kaufmanns-Beruf so nennen kann. Später aber wandte ich mich – der geistigen Erbauung wegen – dem Studium diverser Wissenschaften zu. Man könnte es als Ironie meines Lebenslaufs bezeichnen, dass ich an der Universität in Bonn gar für „Katholische Theologie“ eingeschrieben war. Nur pragmatische Gründe verhinderten damals eine mögliche Priesterkarriere!

Mein Interesse galt allerdings – neben den Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftspädagogik – vor allem der Philosophie, hier speziell der Wissenschaftstheorie, deren Hauptaugenmerk – einfach formuliert – darauf gerichtet ist zu fragen, wie, d. h. mit welchen Methoden, man zu Wissen über unsere Welt gelangt. Das Studium philosophischer Schriften war es schließlich auch, das mir eine neue, nichtreligiöse Perspektive auf diese Welt eröffnete – und Fragen an meinen Glauben in mir aufwarf. Den Berufswunsch „Priester“ ließ ich schließlich nicht zuletzt wegen des obligatorischen Keuschheitsgelübdes fallen.

Erste Zweifel an Gottes Existenz

Die Frage, ob es Gott tatsächlich gibt oder nicht, war für mich jahrelang tabu. Ich war von Kindesbeinen an mit ihm aufgewachsen und habe seinen Regeln entsprechend gelebt. Gerade so, wie es mich meine Eltern, die Religionslehrer in der Schule und unser Pfarrer gelehrt hatten. Ausgesprochen empfänglich war ich für schaurig-schöne Geschichten, in denen Fantasiegestalten ihr Unwesen treiben oder aber das Schicksal zum Guten wenden. Man denkt in diesem Alter gar nicht daran, die Existenz solcher jenseitigen Erscheinungen in Frage zu stellen. Und daher glaubte auch ich fest an die Hauptdarsteller frommer Geschichten, die damals neben anderen Märchen eine herausgehobene Stellung im Religionsunterricht und im Gottesdienst innehatten – an Gott, das kleine Jesuskind, seine Mutter, die Jungfrau Maria, und natürlich an Engel. (Die Rolle Josefs in diesem heiligen Schauspiel ist mir nie ganz klar geworden.) Sie alle saßen im Himmel, weit über der Erde, und schauten auf uns herab.

Manchmal zürnte Gott mit uns, obwohl wir gar nichts davon mitbekamen. Das war aber nicht schlimm, denn wir erfuhren es von unserem Priester, seinem Vertreter auf Erden. Der sagte uns beizeiten, wo`s lang geht, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Er lehrte uns übrigens auch den Teufel zu fürchten, weil dieser immer wieder versucht, uns vom rechten Weg abzubringen. Gelänge ihm das, so würden wir bei ihm in der Hölle landen. Das wollte ich natürlich nicht, weswegen ich mich erst mal an die Vorgaben unseres Geistlichen hielt.

Meine Angst vor dem Teufel wich mit der Zeit einer unstillbaren Neugier auf all das, was es abseits des (in meinem Fall katholischen) Pfades der Tugend noch zu entdecken gab. Und das war nicht ohne! Schließlich erlag ich all jenen Versuchungen, die nach biblischer Lesart satanischen Ursprungs sind. Aber das war nicht weiter tragisch, hatte doch die katholische Kirche für solche Fälle die Beichte vorgesehen. Mit dieser eingebauten Absolution ließ es sich einstweilen heiter und unbeschwert sündigen!

Dennoch plagten mich während meines frevelhaften Sturms und Drangs hier und da Gewissensbisse, schließlich hatte ich gegen die Regeln meines Glaubens verstoßen. Und wer als Christ ein gottvergessenes Leben führt, hat es im Jenseits nicht leicht, denn dort erwartet ihn ewige Verdammnis, selbst für vergleichsweise harmlose Vergehen! So wurde ich allmählich innerlich zerrissen vom Konflikt zwischen der Hingabe an irdische Sinnenfreuden und der gleichzeitigen Verpflichtung auf eine religiöse Gesinnung, welche bis dahin meinen Seelenfrieden garantiert hatte.

Irgendwann aber fragte ich mich, ob derart schöne Erfahrungen, die wir schließlich auch unserem Schöpfer zu verdanken haben, tatsächlich alle mit dem Etikett der Sünde zu geißeln sind. So forschte ich nach der Berechtigung, mit der die christlichkatholische Lehre mir und der übrigen Menschheit viele angenehme, lusterfüllte Seiten des Lebens schlechtzureden und zu verbieten suchte.

Gibt es Alternativen zur göttlichen Schöpfung?

Ich begann nun doch an meinem Glauben zu zweifeln. Mein Motiv war durchaus ehrenhaft: Denn als kritischer Geist strebte ich nur nach einer Befestigung und Erweiterung meiner Glaubensbasis, nach mehr Sicherheit in meinem Bekenntnis zu Gott. Da kann es, dachte ich, nicht schaden, sich auch mal alternative Entwürfe zur Entstehung und Entwicklung unseres Universums und zum Aufenthalt in ihm anzuschauen. Ich wollte wenigstens einmal um den Kirchturm herumlaufen, ihn nicht immer nur aus einer Blickrichtung sehen. So begab ich mich auf die Suche nach einem anderen Welt- bzw. Menschenbild, um dieses mit dem christlichkatholischen zu konfrontieren. Als Lesestoff standen vornehmlich philosophische und wissenschaftliche Werke auf meiner To-do-Liste.

Die Philosophie als „Mutter aller Wissenschaften“ konnte ich ja inzwischen gefahrlos konsultieren, stand sie doch spätestens seit Beginn der Neuzeit nicht mehr im Verdacht, weiterhin ihre Rolle als dienende „Magd der Theologie“ zu spielen; die ehemals beschworene Einheit von theologischer und philosophischer Wahrheit war längst zerbrochen.

Vor allem in der Wissenschaft sah ich einen aussagekräftigen Prüfstein für meine religiöse Überzeugung. Immerhin gilt sie als derjenige Bereich sozialen Wirkens, in dem sich das „Prinzip der kritischen Prüfung“ am meisten durchgesetzt hat. Hielte nun mein Glaube einem solchen Vergleich stand, geriete mein katholisches Sinngebäude nicht zum wissenschaftlichen in Widerspruch, sähe ich mich in meiner konfessionellen Überzeugung weiter gestärkt. Ich sah deshalb in der Beleuchtung meines Glaubens nichts Verwerfliches, hat uns Gott doch nicht nur mit Leichtgläubigkeit, sondern auch mit Vernunft ausgestattet. So gesehen wäre es sogar ein noch größeres Sakrileg gewesen, von dieser göttlichen Gabe keinen Gebrauch zu machen! Mit dieser Einschätzung lag ich nicht zuletzt mit dem heiligen Thomas von Aquin (1225-1274), dem führenden katholischen Theologen und Architekten des auch heute noch von seinen Ideen gespeisten Lehrgebäudes der „einzig wahren Kirche“, auf einer Welle. Er verkündete nämlich, Vernunft und geoffenbarter Glaube könnten sich auf ein und dieselbe Quelle berufen: auf Gott!

Schließlich begann ich wie seinerzeit Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis zu naschen und nach konkurrierenden Erklärungen für unser kosmisches Sein, unsere Menschwerdung und unser Leben überhaupt zu suchen. Käme es am Ende zu einer Versöhnung von Bekenntnis und Vernunft, von Glaube und Wissen, wären meine Zweifel behoben. So war der Plan!

2. Risse in meinem katholischen Weltbild1)

Sie zeigten sich schon vor der vertiefenden Lektüre religiöser, besonders religionskritischer Abhandlungen; diese standen bis auf weiteres nicht auf dem schulischen Lehrplan. Der Glaube daran, dass die Erde unbeweglich im Zentrum des Weltalls steht, sich über ihr der Himmel ausbreitet, während darunter – im sündigen Falle – die Hölle auf uns wartet, mithin das von der Kirche verteidigte geozentrische Weltbild, war ja spätestens mit Nikolaus Kopernikus (1473-1543) ins Wanken geraten. Der deutschpolnische Astronom und Arzt begründete das sog. heliozentrische Weltbild, wonach die Sonne (Helios, altgriechisch, deutsch: Sonne) im Zentrum des Universums steht, während alle anderen Planeten sie umkreisen. Dadurch zog er natürlich den Unmut der Kirche auf sich, denn die kopernikanische Wende bzw. die dahinter stehende Theorie widersprach der von ihr ausgegebenen Losung: Der Mensch ist die Krone der Schöpfung! Das konnte er jetzt kaum noch sein, stand doch nach der gründlich revidierten Weltsicht nunmehr die Sonne im Mittelpunkt des Universums. (Heute weiß man, dass die Sonne nicht das Zentrum des gesamten Universums, sondern nur unseres Sonnensystems ist, das wiederum nur einen Teil der „Milchstraße“ bildet.) Das ging der katholischen, aber auch der evangelischen Kirche, gehörig gegen den Strich und so setzte sie 1616 das Werk von Kopernikus auf die Liste der verbotenen Bücher. Was nicht ins eigene Weltbild passt, wird einfach gestrichen – oder passend gemacht.

Eine solche Haltung erregte mein Misstrauen, schließlich hatte Kopernikus eine fundierte, mathematisch untermauerte und daher plausible Theorie vorgelegt, die – mit entsprechenden Einschränkungen – immerhin als Keimzelle unserer heutigen wissenschaftlichen Weltschau anerkannt wird. Sie jedenfalls erklärt zahlreiche Beobachtungen besser als die in das kirchliche Welt-Modell eingelassene geozentrische Kosmologie.

Mit der Evolutionstheorie wagte Charles Darwin (1809-1882) einen für die damalige Kirche weiteren ungeheuerlichen Angriff auf ihre Autorität. Denn sein Entwicklungs-Entwurf untergrub einmal mehr den katholischen Schöpfungs-Wahn. Indem er Naturgesetze als hinreichende Erklärung allen Lebens auf der Erde bestimmte, durchlöcherte er die bis dahin hochgehaltene Mär vom göttlichen Ursprung des Seins. Denn so steht es im ersten Buch Mose geschrieben: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Danach war der Mensch dran, als Abbild Gottes und Herrscher über Fische, Vögel, Vieh und alle Kriechtiere auf dem Land. Dabei erwähnte Moses Mann und Frau sogar in einem Atemzug, was angesichts der (nicht nur) damaligen Geringschätzung des „Weibes“ schon erstaunlich war.

Diesem Glauben an Gott als den Schöpfer unseres Lebens und – damit verbunden – auch an das abendländisch-christliche Menschenbild machte Darwin nunmehr den Garaus. Er legte in seinen Ausführungen überzeugend dar, dass der Mensch nicht vom Allmächtigen oder irgendeinem anderen jenseitigen Wesen erschaffen wurde, sondern dass sich einzelne Arten – vermutlich ohne göttlichen Beistand – entwickelten. Insbesondere die Behauptung, dass Mensch und Affe die gleichen Vorfahren aufzuweisen, sich nur je verschieden – durch Selektion – herausgebildet hätten, führte nicht nur zu Unmut in der hohen Geistlichkeit, sondern auch unter zahlreichen treuen Gläubigen. Man war empört und sprach von Gotteslästerei. Das muss Darwin wohl sehr getroffen haben, war er doch ein bibelgläubiger Christ, der sogar mal anglikanischer Priester werden wollte. Dennoch änderte das nichts an der Überzeugungskraft seiner Forschungsergebnisse, die eine weitaus plausiblere Erklärung der Entwicklung aller Lebewesen bietet als der auch „Kreationismus“ (zu dem sich immerhin rund 40 % der US-amerikanischen Erwachsenen bekennen!) genannte römisch-katholische Schöpfungsmythos. Folgerichtig bildet – trotz einiger kontrovers beurteilter Thesen – die darwinsche Theorie das Fundament der heutigen Biologie.

Das wiederum konnte den Heiligen Stuhl nicht kaltlassen. Erst spät, sehr spät, im Jahre 1996 nämlich, rang sich Papst Johannes Paul II. endlich dazu durch, die Evolutionstheorie als „mehr als eine Hypothese zu sehen.“ Offenbar wollte der Heilige Vater angesichts der erdrückenden Beweislast der darwinschen Forschungsresultate damit den Kritikern an der biblischen Schöpfungsversion ein wenig Wind aus den Segeln nehmen. Wie aber nicht anders zu erwarten, verwässerte er rasch sein Zugeständnis an die Naturwissenschaften und verkündete, dass allerdings eine rein materialistische Evolutionstheorie mit der Wahrheit nicht vereinbar sei. Solches für die gesamte Geistlichkeit typische Lavieren versuchte er dann mit der Aussage: „Die Geistseele ist unmittelbar von Gott geschaffen.“ gleich wieder auf (biblisch) befestigten Boden zu stellen: Ein Rückzieher vom Rückzieher! An Gott geht eben kein Weg vorbei!

Diese Überzeugung begann allmählich in mir zu bröckeln! Erst recht, nachdem mir gegen Ende der sechziger Jahre eine Ausgabe des „Spiegel“ von 1958 in die Hände fiel. Dort las ich in einem Übersichtsartikel von den zahlreichen wissenschaftlichen Bemühungen um Aufklärung über das Leben Jesu. Vorangetrieben wurde die sog. „Leben-Jesu-Forschung“ maßgeblich von dem deutschen Schriftsteller, Philosophen und evangelischen Theologen David Friedrich Strauß (1808-1874). In seinem zweibändigen Werk „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ bezweifelt er die Wundertaten Jesu und verweist diese ebenso wie alle weiteren mehr oder weniger mirakulösen Ereignisse (z. B. Jungfrauengeburt, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt) in den Bereich der Mythen. Das allerdings wurde im Religionsunterricht nie so kommuniziert!

Der Philosoph, evangelische Theologe und Arzt Albert Schweitzer (1875-1965), der das „Leben Jesu“ als literarisches Werk zum „Vollendetsten“ zählt, „was die wissenschaftliche Weltliteratur kennt“, erweitert auf der Basis seiner eigenen „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ das Wissen um den historischen Jesus. Schweitzer kommt in seiner Schlussbetrachtung zu dem Fazit: „Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat, die Sittlichkeit des Gottesreiches verkündete, das Himmelreich auf Erden gründete und starb, um seinem Werke die Weihe zu geben, hat nie existiert.“2) Zwar interpretierte der Autor des Spiegel-Artikels diese Bemerkung weder als Leugnung der Person des Jesus von Nazareth noch als Ablehnung seiner Thesen durch Schweitzer; aber sie stand nun mal im Raum.

Das rüttelte einmal mehr an meinem ohnehin schon leicht ramponierten katholischen Glaubensbekenntnis. Hierzu trugen auch andere Passagen aus dem erwähnten Spiegel-Bericht bei, ausdrücklich solche wie die folgenden:

„Es hat in der Geschichte der christlichen Kirche nie eine tendenzfreie Berichterstattung über Jesus von Nazareth gegeben“, so wird einer der prominentesten deutschen Leben-Jesu-Forscher, der Theologie-Professor Ethelbert Stauffer, zitiert; bereits die Verfasser der Evangelien seien „ungenierte und drastische Tendenzautoren“ gewesen; die Wundertaten Jesu würden selbst von Theologen angezweifelt, zumindest aber hätten sie kein Interesse daran, sie als wahr zu verteidigen, letztendlich wurden sie ausgelegt als „symbolische“ Phänomene (weshalb wir sie in dieser Schrift auch vernachlässigen).

Die Figur „Jesus Christus“, wie sie uns im Gottesdienst, im Kommunionunterricht oder anderswo in den bildkräftigsten Farben gezeichnet worden war, verlor für mich zunehmend ihre Strahlkraft. Sicher, ich war naiv gewesen, hatte wie andere Kinder auch an Märchen und übersinnliche Gestalten geglaubt. Aber das war etwas anderes. Jetzt ging es doch um etwas „Höheres“, um himmlischeWesen, denen wir unsere Existenz zu verdanken hatten, für die es sich lohnte, selbst den verlockendsten irdischen Versuchen zu entsagen und sein diesseitiges Dasein ganz auf den Himmel auszurichten, kurzum: Der Sinn unseres Lebens stand auf dem Spiel.

Nun aber begann ich schweren Herzens all das Mythische und Mystische, all die schönen Erzählungen von und mit unserem Heiland und Erlöser, all die rosigen Versprechungen von einem glücklicheren Leben im Himmelreich, das uns dereinst entschädigen soll für auf Erden erfahrenes Leid, ad acta zu legen. Enttäuscht, ernüchtert, aber auch verärgert fragte ich mich, wie man – nicht nur – uns Kinder derartig hinters Licht führen konnte. Aber das war erst der Anfang meiner Glaubenskrise! Sie stellte sich nicht zuletzt auch deshalb ein, weil die bereits im frühen Kindesalter einsetzende religiöse Gehirnwäsche ganz andere Bilder in unsere Köpfe eingepflanzt hatte! Dazu jetzt mehr.

3. Über gewisse Vorzüge frühkindlicher Religionserziehung

Religiöse Erzählungen vermögen speziell im Kindesalter ihren ganzen Zauber zu entfalten. Auch die dabei angesprochenen Werte und Normen werden in der frühkindlichen Sozialisation – gegebenenfalls gestützt durch eine zielgerichtete Peitsch- und Prügelpädagogik – grundgelegt und verfestigt. Unter „Sozialisation“ versteht man einen das gesamte Leben währenden Prozess, in dem u. a. Verhaltensmuster, Werte, Motive oder Einstellungen erworben werden. An diesem Vorgang sind die Familie und die Schule maßgeblich beteiligt, aber auch der Freundeskreis, die Verwandten und natürlich die Kirche leisten ihren Beitrag. In Bezug auf die Internalisierung (Verinnerlichung) von moralischethischen Leitlinien und Maßstäben spielt die Familie eine herausragende Rolle, sie gilt folgerichtig auch als zentrale Sozialisationsinstanz. Die hier hochgehaltenen Güter, Normen oder Verhaltensweisen werden entweder durch ausdrückliche Thematisierung und/oder vorbildhaftes Verhalten der Eltern, sozusagen nebenbei, vermittelt oder vorgelebt. Wir nehmen bevorzugt als Kind und gerade im familiären Kontext vieles unbewusst auf. Sowohl die bewusste als auch die unbewusste Informationsverarbeitung (man spricht in dem Zusammenhang oft von einem „zweigleisigenVerstand“) tragen gleichermaßen zu unserer Persönlichkeitsentwicklung bei und steuern unser späteres Verhalten.

Mit hinreichend überzuckerten, religiöse Tugenden und Normen transportierenden Geschichten und entsprechend dargestellten biblischen Persönlichkeiten lässt sich die Seele des Kindes im Handumdrehen erobern. Die in solchen Erzählungen angeschnittenen Wert- und Verhaltensvorgaben können so leicht in seine Gefühls- und Gedankenwelt eingebettet werden. Natürlich halten auch unangenehme Emotionen Einzug in sein Inneres. Vor allem dann, wenn nur klar genug zum Ausdruck gebracht wird, welche Folgen ein Verstoß gegen die biblische Gesinnung hat. Denn wie immer in katholischen Moralpredigten darf neben der Verheißung eines ewig währenden Glücks im „Himmel“ die Androhung von negativen Sanktionen bei Regelverstößen nicht fehlen. Zuckerbrot und Peitsche bahnen unseren Weg nach oben – oder nach unten! Wer sich der von Gott bzw. dem Klerus gebastelten Satzung entsprechend verhält, wird belohnt; im gegenteiligen Fall erfolgt die „gerechte“ Bestrafung – und die kann oft grausam sein, wie wir später noch erfahren werden.

Was in der zarten Seele des Kindes angesichts des Gehörten und Gelesenen im Detail vorgeht, erschließt sich uns nur bruchstückhaft. Fest steht aber, dass es zu einer „emotionalen Konditionierung“3) kommt. Dabei verbindet man mit bestimmten Personen, Ereignissen oder Objekten positive und negative Gefühle. So dürften Berichte über die wundervollen Taten Jesu das kindliche Herz höherschlagen lassen, während die Androhung vom Schmoren im ewigen Feuer der Hölle, wo „Heulen und Zähneknirschen“ herrschen wird, eher für Furcht und Panik sorgt.

Das alles kann – wie angedeutet – völlig unbewusst geschehen, sodass wir später mit Gott, Jesus oder der Heiligen Jungfrau Maria angenehme oder auch unangenehme Gefühle verbinden, je nachdem, in welchem biblischen Zusammenhang man uns von ihnen erzählt hat. Und häufig wissen wir noch nicht mal warum! Solche Kopplungen von Emotionen und wie auch immer gearteten Sachverhalten, Situationen, Personen oder Gegenständen sind dabei relativ stabil, und zwar umso mehr, je intensiver die entsprechenden positiven oder negativen emotionalen „Aufheizungen“ sind. Man vergisst sie unter Umständen nie, dafür sorgt schon das „emotionale Gedächtnis“, in dem unsere emotionalen Bewertungen mehr oder weniger langfristig „abgelegt“ werden.

Neben dieser gefühlsmäßigen Verankerung sorgt auch das begriffliche Denken für Nachhaltigkeit. Denn alles, was ein Mensch bisher auf einem bestimmten Gebiet gelernt hat, dient ihm als Grundlage für das Verstehen oder Erlernen neuer Informationen. Wenn nun später der Jugendliche oder Erwachsene mit religiösen Botschaften konfrontiert wird, dann übt sein bisher aufgebautes biblisches Wissensgerüst die Deutungshoheit aus. Und was nicht dieser „Wahrheit“ entspricht, wird einfach ausgeblendet, bleibt erst einmal außen vor. Zu stark ist doch die religiöse Gerichtetheit und Prägung seines Denkens. Einmal aufgebaute und verinnerlichte Begriffe lassen sich so leicht nicht zum Einsturz bringen. Von diesem Problem wissen Lehrer oftmals ein trauriges Lied zu singen, die ihren Schülern falsche oder unpassende Begrifflichkeiten „austreiben“ wollen. Jedenfalls beschert die durch emotionale und kognitive (geistige) Einflüsse begünstigte „doppelte Fixierung“ dem Menschen ein stabiles Glaubensbild.

Es leuchtet ein, dass der noch überwiegend von Emotionen, Gefühlen erfüllte Geist des Kindes empfänglich ist für derartige Verführung, Manipulation und Indoktrination.4) Und sie ist, wie gerade dargelegt, äußerst veränderungsresistent. Freud (1856-1939) formuliert es so: „Wer sich einmal dazu gebracht hat, alle die Absurditäten, die die religiösen Lehren ihm zutragen, ohne Kritik hinzunehmen, und selbst Widersprüche zwischen ihnen zu übersehen,dessen Denkschwäche braucht uns nicht arg zu verwundern.“5)

Die römisch-katholische Mission findet folglich einen fruchtbaren Boden vor, den sie nach Gutdünken beackern kann. Die darauf gedeihenden geistigen Früchte haben erst mal einen sicheren Platz im Kopf und im Herzen des Zöglings – und daraus verschwinden sie so schnell nicht mehr. Erst später, zu Beginn des Erwachsenenalters, wenn der sog. „orbitofrontale Cortex“ (die für Intelligenz und Vernunft zuständige Hirnregion) ausgereift ist, „ist der junge Mensch endlich ´zur Vernunft` gekommen“6), wie es der renommierte Bremer Neurowissenschaftler Gerhard Roth (1942-2023) ausdrückt. Erst dann setzt das kritische, abstrakte Denken ein. Allerdings verbürgt auch dieses noch keine hinreichende Einordnung dessen, was einem so alles im Religionsunterricht und anderswo vom „lieben Gott“ erzählt wurde.

Bis dahin aber erfasst das Kind das ihm von Eltern oder Lehrern Vermittelte zumeist in einer konkretanschaulichen Weise. Es wird von ihm so real gedeutet, wie es seinem Vorstellungsvermögen eben entspricht. Der Vater im Himmel, sein Sohn Jesus und der Heilige Geist sowie die übrigen jenseitigen Figuren und Heerscharen, aber auch Satan und seine finsteren Gesellen sind für den jungen Menschen tatsächlich existierende und oftmals auch furchteinflößende Gestalten, keine Fiktionen oder Fantasiegebilde. Sie existieren leibhaftig, so hat er es schon früh gelernt.

Und nachher dann, wenn er älter ist, erfährt er auf einmal, dass sich die Geschichten in der Bibel in Wirklichkeit vielleicht doch nicht ganz so zugetragen haben, wie er es inniglich geglaubt hat. Man dürfe, so heißt es jetzt aus verschiedenen Richtungen, die Heilige Schrift nicht wortwörtlich nehmen; man müsse mehr Sinn für ihren symbolischen Gehalt entwickeln. Wenn aber plötzlich Träume dahinschweben, kann der eine oder andere auch rasch in ein tiefes seelisches Loch fallen! Es ist nicht leicht, all das Gelernte, das, wonach man sein bisheriges Leben ausgerichtet hat, plötzlich aufzugeben, weil sich jetzt alles nur als Lug und Betrug herauskristallisiert!

Glaubensvermittlung anhand des „Grünen Katechismus“ und des Jugendkatechismus „Youcat for Kids“

Um die vorangegangenen Ausführungen ein wenig mit Leben zu füllen, möchte ich – in angemessener Kürze – anhand zweier Schriften aus unterschiedlichen Epochen die Herangehensweise sowie die Inhalte der Glaubensvermittlung schildern. Ich greife zurück auf den im Volksmund so genannten „Grünen Katechismus“7), Ausgabe von 1956, (Inzwischen gibt es den neuen Katechismus der Katholischen Kirche [umgangssprachlich auch als „Weltkatechismus“ bezeichnet], approbiert durch Papst Johannes Paul II., künftig als KKK zitiert, in der Version von 2018; den Katholischen ErwachsenenKatechismus, herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz, Band I 1985, Band II 1995, künftig als KEK zitiert, beide auch online verfügbar.) sowie den Katholischen Katechismus für Kinder und Eltern, „Youcat for Kids“, Ausgabe von 2018.8)

Der „Grüne Katechismus“ dominierte die religiöse Unterweisung seit den fünfziger Jahren, für viele Erwachsene bildet er noch immer den Leitfaden ihres Glaubens; der „Youcat for Kids“ erschien erstmals 2011 und wird hier gemäß der Ausgabe aus dem Jahre 2018, herausgegeben von der Österreichischen Bischofskonferenz, zitiert. Er behandelt, nach eigenen Aussagen, „in kindgemäßer Sprache das Ganze des katholischen Glaubens“.

Der „Grüne Katechismus“ (1956)

Beginnen wir mit dem „Grünen Katechismus“. Wir wollen ihn unter inhaltlichem und methodischem Blickwinkel betrachten. Er richtet sich sowohl an Kinder als auch an Erwachsene. Im Vorwort des Bischofs von Münster ermuntert dieser die Gläubigen zur „wirklichen“ Auseinandersetzung mit dem heiligen Text und fordert die Älteren auf, den Kindern dabei zu assistieren. „Als Nachfolger der