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Alle wollen immer das Beste, das Neueste. Luxus bedeutet heute vor allem: Konsum. Doch die problematische Jagd nach Statussymbolen und das zügellose Ausleben kurzfristiger Trends sind nicht neu. Schon Seneca beklagte sich im ersten Jahrhundert über die Eskapaden und die Gier seiner Zeitgenossen. Wie viel "Luxus" brauchen wir tatsächlich für ein gutes Leben? Und vor allem: Was brauchen wir eigentlich? Wer sich heute für Nachhaltigkeit einsetzt, findet in seinen Schriften eine Fülle an Argumenten.
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Seitenzahl: 89
Seneca
Wie viel Luxus braucht der Mensch?
Ausgewählt und aus dem Lateinischen übersetzt von Marion Giebel
Reclam
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2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961679-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019665-6
www.reclam.de
Was ist Luxus? Wie unterscheidet er sich von Reichtum und Wohlstand? Ist er eine objektive Größe oder ein subjektives Empfinden? Für die Kriegs- und Nachkriegsgeneration ist eine wohlig-warme Wohnung immer noch ein dankbar empfundener Luxus – für spätere Zeitgenossen eine Selbstverständlichkeit. Die Römer sahen in Senecas Zeit (Seneca wurde um die Zeitenwende geboren und starb im Jahr 65) die zivilisatorischen Errungenschaften wie Fußbodenheizung, Wasserleitungen, öffentliche Bäder und Straßen ebenfalls als selbstverständliche Annehmlichkeiten an. Namen wie Via Appia, Via Aemilia, Agrippa-Thermen weisen darauf hin, dass römische Bürger von Rang und Namen hier von ihrem Reichtum angemessenen Gebrauch gemacht hatten: Vermögen bedeutete Verpflichtung, wie es Cicero (106–43 v. Chr.), gestützt auf Ansichten griechischer Philosophen, in seiner Pflichtenlehre De officiis eindringlich zum Bewusstsein bringt. In Griechenland waren die wohlhabenden Bürger per Gesetz verpflichtet, bestimmte kostspielige Aufgaben zu übernehmen, wie die Ausrichtung der jährlichen Theaterwettbewerbe in Athen oder Sportspiele und Götterfeste. Auch die hellenistischen Herrscher wirkten als Sponsoren mit aufwendigen Bauten oder Hilfsmaßnahmen, und die römischen Kaiser folgten ihnen in diesem Euergetismus, dem »Wohltätertum« (vgl. z. B. die Caracalla-Thermen in Rom). Bürger, die in eine Notlage geraten waren, konnten damit rechnen, dass ihnen von Staatswegen oder durch begüterte Mitbürger geholfen wurde. Doch das römische Gemeinwesen war, wie Cicero weiter ausführt, zu seiner Zeit in Schieflage geraten: Die moralischen Grundsätze sind zerrüttet – wo ist die abstinentia, die Uneigennützigkeit und Zurückhaltung? Sie ist ins Gegenteil verkehrt durch die Habsucht, avaritia, und die Bewunderung des Reichtums. Amtspersonen machen das Gemeinwesen zur Quelle des Profits, bereichern sich schamlos und geben den Bürgern ein schlechtes Beispiel.
Dabei war Rom doch groß geworden durch Tugenden wie parsimonia, Sparsamkeit, und modestia, Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit. Die Helden der Geschichte waren Personen wie jener Lucius Quinctius Cincinnatus, der 458 v. Chr. vom Pflug weggeholt wurde, um als Dictator das römische Heer aus einer Notlage zu retten (nach vollbrachter Tat kehrte er wieder auf sein Landgut zurück), oder Manius Curius Dentatus, 290, 275 und 274 v. Chr. Konsul und siegreicher Feldherr, den die Gesandten der Feinde bei einer selbst zubereiteten Rübenmahlzeit antrafen. Er wies ihr Gold zurück mit der Bemerkung, wer mit einer solchen Mahlzeit zufrieden sei, brauche kein Gold. Tempi passati – jetzt regiert das Gold, das Geld die Welt, auch und gerade die römische.
Die Historiker registrierten genau, wann die Verfallserscheinungen eingesetzt hatten: Mit der Beseitigung rivalisierender Mächte wie Karthago »wich man nicht Schritt für Schritt vom Pfad der virtus, der Tugend, man verließ ihn Hals über Kopf und betrat die Bahn des Lasters. Die althergebrachte Lebensart wurde aufgegeben, eine neue eingeführt. Die Bürger wandten sich vom Wachen zum Schlafen, von Waffenübungen zu Vergnügungen, von Geschäften zum Müßiggang« (Velleius Paterculus, Römische Geschichte2,1). Nach der Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. kam dann ein weiterer »Luxusschub« mit der Herrschaft über die östliche Mittelmeerwelt nach den siegreichen Feldzügen gegen König Mithridates von Pontos 63 v. Chr. Die orientalische Pracht des Königs, die Pompeius in seinem Triumphzug zur Schau stellte, vergiftete sozusagen die Gemüter: Das Streben nach dieser luxuria in Form der Habgier wurde von da an gleichsam zur materies omnium malorum, zum Grundstoff aller Übel (Sallust, Die Verschwörung des Catilina1,10).
Doch wurden auch Stimmen gegen solche Dekadenzvorstellungen laut. In einer Senatssitzung unter Kaiser Tiberius (reg. 14–37) sollten Gesetze gegen den Luxus erlassen werden. Dagegen wandte sich ein Senator (Tacitus, Annalen2,33): Die Vergrößerung des Reiches hat auch ein Anwachsen des privaten Wohlstandes mit sich gebracht. Als der Staat noch klein war, waren auch die Häuser der Bürger eng; nun, da er in herrlicher Größe dasteht, dehnen sich auch die Besitzungen der Einzelnen aus. Man kann doch beim privaten Aufwand heutzutage nicht von den Vermögensverhältnissen vergangener Zeiten ausgehen – sollen die Männer von Rang und Stand heute leben wie in grauer Vorzeit? Ja wie sollten sie nicht Anteil haben an den divitiae, den Reichtümern, und dem damit verbundenen savoir vivre, wie es aus den eroberten Gebieten in die Hauptstadt floss? Schließlich muss man doch durch die Teilhabe daran seine Stellung in der Gesellschaft dokumentieren, kann nicht hinter den anderen zurückstehen. Wer wollte und könnte schließlich, selbst wenn er sich als modestus, als Anhänger althergebrachter Sparsamkeit versteht, auch die Seinen auf dieses Ideal verpflichten? Würden sie nicht vielleicht einen Prestigeverlust der ganzen Familie befürchten, geminderte Aufstiegschancen für die jüngere Generation? Und was half es, dass Scipio Africanus der Jüngere (185–129 v. Chr.) kein Stück der karthagischen Siegesbeute anrührte, wie es heißt – seinen Soldaten und dem ganzen zivilen Tross konnte er das nicht anbefehlen. Selbsternannte Feldherren wie Sulla (138–78 v. Chr.) mussten ihre Soldaten bei der Stange halten, indem sie ihnen immer größere Schenkungen machten; Sulla plünderte dafür sogar die Göttertempel. Welcher Krieger wollte sich da noch mit der üblichen Löhnung zufrieden geben? Konnte man es von ihm verlangen?
Die Integrität Einzelner rettet die Welt nicht – es ergibt sich ein gewisses Dilemma, das auch uns Heutigen nicht fremd ist, die wir mit einem System ständigen Wirtschaftswachstums und dessen Folgen konfrontiert werden und nolens volens damit leben müssen. Systemzwang – gibt es das – kann man nicht aussteigen? Diogenes (400/390 – 328/323 v. Chr.) konnte es, er lebte in der Tonne, aber schon wenn er Frau und Kinder gehabt hätte, wäre es schwierig geworden.
Mit Seneca haben wir einen Gewährsmann, bei dem die Gegensätze zwischen persönlich angestrebter modestia und gesellschaftlich gelebter luxuria offen zu Tage treten, der sie theoretisch und praktisch thematisiert hat und uns an seinen Versuchen, diese Spannung zu bewältigen, Anteil nehmen lässt. Für ihn war Luxus nicht so sehr das Anschaffen und Besitzen von Gütern, sondern ein stetes Mehrhabenwollen, da der Luxus ständig neue Reizmittel braucht. Dadurch wird der Mensch unfrei: Er ist keine autonome Persönlichkeit, sondern ein Sklave der Verhältnisse. Das galt besonders für die Neureichen, die Emporkömmlinge (wie sie Petron in seinen Satyrica so anschaulich darstellt), aber Seneca hatte auch Nachfahren alter römischer Familien im Visier, die glaubten, den Trend zum »Immer mehr« und zu einer glänzenden Fassade unbedingt mitmachen zu müssen. Und er nahm sich auch selbst nicht davon aus, wie er uns wissen lässt. Wenn auf seiner Reise ins einfache Leben die Luxuskarossen an seinem Maultierkarren vorbeirauschten, hatte er doch ein gewisses Gefühl des Unbehagens …
Lucius Annaeus Seneca ist um die Zeitenwende im spanischen Corduba geboren, als Sohn einer angesehenen Familie des römischen Ritterstandes. Die Familie zog mit ihm nach Rom, wo er eine gründliche Ausbildung erhielt, die ihn für die Senatorenlaufbahn vorbereitete. Sein Vater war ein Kenner und Liebhaber der Rhetorik und verfasste Schriften dazu, die Controversiae und Suasoriae – sie sind heute noch interessant zu lesen. Vom intensiven Studium der Philosophie hielt er offenbar nicht so viel, vermutlich weil es dem Aufstieg in der römischen Gesellschaft nicht förderlich war (Diogenes als Leitbild?). Die Mutter Helvia scheint dagegen der Philosophie zugeneigt gewesen zu sein, wie Senecas späterer Brief an sie zeigt.
Seneca erfüllte die Voraussetzungen für einen Aufstieg in der Ämterlaufbahn: Er gewann bald Ansehen als Redner und Anwalt, doch zog er auch die Aufmerksamkeit des Kaisers Caligula (reg. 37–41) auf sich, der sich selbst für den besten aller Redner hielt und den Konkurrenten aus dem Wege schaffen wollte. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser Epoche kaiserlicher Willkür, dass ausgerechnet das Wort einer Kurtisane des Kaisers den späteren Philosophen vor dem Tod bewahrte: Der junge Mann hätte es an der Lunge und werde es eh nicht mehr lange machen … Seneca litt in der Tat an Asthma und Bronchialkatarrhen; Ersteres kurierte er weitgehend aus durch einen längeren Aufenthalt in Ägypten unter der Pflege einer Tante, das andere Übel aber blieb ihm und quälte ihn immer wieder. Man kann annehmen, dass die häufige Beschäftigung mit dem Tod in seinen Schriften davon nicht unbeeinflusst ist.1
Caligulas Ermordung 41 n. Chr. und der Regierungsantritt seines Onkels Claudius (reg. 41–54) schienen bessere Zeiten einzuleiten, doch nicht für Seneca. Die Kaisergattin Messalina sah ihren Einfluss bedroht durch ihre Nichte Iulia Livilla und räumte sie aus dem Weg, indem sie sie wegen Ehebruchs anklagen ließ – ein seit den Zeiten des Augustus probates Mittel, unliebsame Mitglieder der Kaiserfamilie zu eliminieren, wie es mit den beiden Iulien, Tochter und Enkelin des Augustus, geschehen war. Die Anklage gestattete ein internes Verfahren ohne ordentlichen Gerichtsentscheid mit folgender Verbannung. Als Ehebrecher oder Sympathisant eignete sich ein Intellektueller, der per se aufrührerischer Ansichten verdächtig war – bei der jüngeren Iulia war es Ovid, der in ihren Sturz hineingerissen wurde und sein Leben in der Verbannung am Schwarzen Meer verbringen musste. Hier war es Seneca, den durch Kaiser Claudius die Strafe der Verbannung traf. Er sprach später von Verbindungen zu Personen, deren Freundschaft kein Glück brachte. Es heißt auch, er sei quasi conscius adulteriorum Iuliae verurteilt worden, »als ob er Mitwisser ihrer Ehebruchsaffären gewesen sei«2. Auf politische Intrigen und Machtkämpfe im Hintergrund deutet schon die Tatsache, dass Iulia Livillas Schwester keine andere war als Agrippina, die nach Messalinas Tod die nächste Gattin des Claudius werden und Seneca aus der Verbannung zurückholen sollte.
Die Jahre 41–49 musste Seneca auf der damals recht unwirtlichen Insel Korsika verbringen, die noch nicht von den Segnungen römischer Zivilisation, von Infrastruktur und römischem Siedlungsbau profitiert hatte. Den mit kaiserlicher Ungnade belasteten Verbannten werden die Einwohner eher mit Zurückhaltung aufgenommen haben, auch war es seit Tiberius üblich, Verbannte zu bespitzeln. Isolation galt seit jeher als drückendste Last des Exils. Wie ertrug Seneca sein Schicksal? Er verfasste einen Brief an seine Mutter Helvia. Darin belehrt er sie in Form einer Trostschrift darüber, dass er in der Lehre der Stoa inneren Halt gefunden hat: Sie muss ihn daher nicht beklagen, denn er ist nicht unglücklich. Helvia und alle, die sich für sein Schicksal interessierten, erhielten sozusagen einen Kompaktkurs in philosophischer Lebenslehre: Die Verbannung ist kein Unglück, der Mensch kann überall leben, die ganze Erde ist ihm Vaterland (das stoische Weltbürgertum), und er kann sich erfreuen an der Beobachtung des Himmels und der Gesetzmäßigkeit im All, in die er gewissermaßen hineingenommen ist. Wenn man als Verbannter über geringere Mittel verfügt, lernt man, wie wenig der Mensch eigentlich für sein Auskommen braucht. Seneca