5,99 €
William Faulkner (1897–1962) war einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts. Mit Romanen wie «Als ich im Sterben lag» (1930), «Licht im August» (1932) und «Absalom, Absalom!» (1936) hat er nicht zuletzt präzise Abbilder des Konflikts zwischen den Süd- und den Nordstaaten in den USA geschaffen. Dabei setzte er anspruchsvolle Erzähltechniken wie den Bewusstseinsstrom und universelle Symbolmittel ein. 1949 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen (1950 rückwirkend verliehen). Auf viele europäische Autoren hatte Faulkner großen Einfluss, von Gottfried Benn über Albert Camus bis zu Siegfried Lenz und Ingeborg Bachmann. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 221
Peter Nicolaisen
William Faulkner (1897–1962) war einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts. Mit Romanen wie «Als ich im Sterben lag» (1930), «Licht im August» (1932) und «Absalom, Absalom!» (1936) hat er nicht zuletzt präzise Abbilder des Konflikts zwischen den Süd- und den Nordstaaten in den USA geschaffen. Dabei setzte er anspruchsvolle Erzähltechniken wie den Bewusstseinsstrom und universelle Symbolmittel ein. 1949 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen (1950 rückwirkend verliehen).
Auf viele europäische Autoren hatte Faulkner großen Einfluss, von Gottfried Benn über Albert Camus bis zu Siegfried Lenz und Ingeborg Bachmann.
Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
Peter Nicolaisen, geb. 1936 in Hamburg, lehrte bis zu seiner Pensionierung englische und amerikanische Literatur an den Universitäten Flensburg und Kiel. Veröffentlichungen über Ernest Hemingway, William Faulkner, die Literatur der amerikanischen Südstaaten. Für «rowohlts monographien» schrieb er außerdem die Bände über Thomas Jefferson und Joseph Conrad. Peter Nicolaisen starb 2013 in Flensburg.
rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2022
Copyright © 1981 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten
Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung any.way, Hamburg
Coverabbildung picture-alliance/Keystone/Röhnert (William Faulkner, Foto aus den 1950er Jahren)
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-644-01624-8
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
William Faulkner hat sich zeit seines Lebens entschieden gegen jede Form biographischer Neugierde zur Wehr gesetzt. Es ist mein ganzer Ehrgeiz, als Privatmann aus der Zeitgeschichte getilgt und für nichtig erklärt zu werden und sie ohne Spur zu verlassen, ohne andern Abfall als die gedruckten Bücher. […] Es ist meine Absicht, und dafür scheue ich keine Mühe, daß Summe und Werdegang meines Lebens, die im gleichen Satz auch mein Nachruf und meine Grabschrift sind, dies beides sein soll: Er machte die Bücher, und er starb.[1] Als ihm eine große Illustrierte für eine Bildgeschichte über sein Leben in Oxford/Mississippi ein Honorar von 5000 Dollar anbot, telegrafierte er zurück, dass er es vorziehe, das Geld selbst zu zahlen, wenn die Zeitschrift auf ihr Vorhaben verzichte. Ich habe mich vorsätzlich in diese kleine, weltfremde, fast primitive Stadt vergraben, um mich fernzuhalten, so daß mich Zeitungsmenschen nicht bemerken und sich an mich erinnern.[2]
Kaum einer der großen Romanschriftsteller unseres Jahrhunderts war so öffentlichkeitsscheu, kaum einer hat so beharrlich geschwiegen wie Faulkner, wenn es um seine private Person ging. Ich setze mich mit Zähnen und Klauen für meinen lebenslänglichen Ehrgeiz ein, das letzte private Individuum auf dieser Erde zu sein[3], schrieb er, und er bestand auf dem Gedanken, daß nur die Werke eines Schriftstellers der Öffentlichkeit gehören, weil der Autor sie zur Veröffentlichung vorgelegt und Geld für sie angenommen hat […]. Aber solange der Schriftsteller kein Verbrechen begangen hat oder sich um ein öffentliches Amt bemüht, gehört sein Privatleben ihm.[4]
Um sich vor der Zudringlichkeit der Welt zu schützen, entwickelte Faulkner Strategien, die ihrerseits wieder Legende geworden sind. Viele Jahre seines Lebens verbrachte er in nahezu völliger Abgeschiedenheit. Er errichtete Mauern, die ihn nicht nur im bildlichen Sinne dem Blick der Öffentlichkeit entzogen, und hüllte sich in Schweigen, wann und wo er nur konnte. Um unerwünschte Besucher fernzuhalten, pflügte er die Auffahrt zu seinem Hause um. Wütend reagierte er auf die Bitte, Angaben zu seiner Person zu machen, nachdem eine Zeitschrift eine seiner Kurzgeschichten akzeptiert hatte: Freue mich über das gute Honorar für die Geschichte. […] Wegen des Biographischen: sag den Lumpen gar nichts. […] Sag ihnen, ich sei eine Kreuzung zwischen einem Alligator und einem Negersklaven, vor zwei Jahren auf der Genfer Friedenskonferenz zur Welt gekommen. Oder was Du ihnen sonst erzählen möchtest.[5] Als er dies schrieb, war er eben über dreißig Jahre alt. Gelegentlich suchte er Zuflucht in der Maskerade, häufiger im Alkohol. Er posierte als verwundeter Fliegerheld, als barfüßiger Vagabund, als Herrenreiter. Eine Rolle, die er besonders liebte, war die des einfachen Landmanns und Farmers. Ein Selbstporträt, auf der Rückseite eines Manuskriptbogens gezeichnet, zeigt ihn in der Gestalt eines Fauns, der auf der Panflöte spielt.[6]
Ob spielerisch verkleidet oder unverhüllt vorgetragen, seine Abneigung gegen unbefugte Neugierde hat bewirkt, dass der biographische Zugriff auf den Menschen William Faulkner nach wie vor schwierig bleibt. Muss man nach einer psychologischen Erklärung suchen, um Faulkners Haltung zu verstehen? Noch in einem späten Aufsatz beklagt er den Verlust von privacy als eines der größten Übel unserer Zeit und macht die öffentliche Neugierde verantwortlich für die Zerstörung des amerikanischen Traums, der einst darin bestanden habe, dem einzelnen, individuellen Menschen eine Freistatt auf dieser Erde zu gewähren.[7] Das Plädoyer für den Schutz des privaten Bereichs ist nicht zuletzt ein Plädoyer für die Würde des Individuums.
In der folgenden Darstellung wird häufiger vom Autor William Faulkner und seinem erzählerischen Werk die Rede sein als von seiner privaten Person. Wohl geben die Selbstzeugnisse gelegentlich einen Blick auf den Menschen Faulkner frei; ihnen nachzugehen heißt aber vor allem, die Geschichte des Werkes zu verfolgen. Diese Absicht hat den Aufbau des vorliegenden Bandes bestimmt. Die verschiedenen Phasen im Schaffen Faulkners markieren die wesentlichen Einschnitte; nur die Kapitel über seine Tätigkeit in Hollywood und seine Kurzgeschichten weichen von diesem Gliederungsprinzip ab. Im Übrigen stützt sich der Band durchweg auf die große, von Joseph Blotner verfasste Biographie, orientiert sich aber auch an der sorgfältigen Chronologie von Leben und Werk, die Michel Gresset vorgelegt hat. Weitere Literatur ist im Anhang genannt. Sie hat an vielen Stellen einen Weg gewiesen, der Faulkners Welt zu erschließen hilft.
Der Name ist «Falkner». Mein Urgroßvater, dessen Namen ich trage, war zu seiner Zeit und in seinem provinziellen Milieu ein angesehener Mann. Er war das Urbild des John Sartoris: das zweite Mississippi-Infanterie-Regiment, 1861–1862, wurde von ihm aufgestellt, organisiert, entlöhnt und befehligt. […] Er hat in unserem Bezirk die erste Eisenbahn gebaut, schrieb ein paar Bücher, machte die große Europareise seiner Zeit und starb beim Duell: der Bezirk errichtete ihm ein Marmorstandbild, das noch heute in Tippah County steht. Der Ort unserer Herkunft ist auf größeren Landkarten ersichtlich: ein Weiler namens Falkner, gleich unterhalb der Grenze von Tennessee und an seiner Eisenbahnlinie gelegen. Über den Namen heißt es weiter: Meine erste Erinnerung an den Namen bestand darin, daß ihn anscheinend kein Außenstehender aussprechen konnte, wenn er ihn las, und wenn er ihn dann doch einmal aussprach, schrieb er immer ein «u» hinein. […] Insgeheim war ich vielleicht ehrgeizig, als ich anfing zu schreiben, obwohl ich damals glaubte, zu meinem Vergnügen zu schreiben, und ich wollte nicht auf den Rockschößen meines Großvaters segeln und nahm daher das «u» an, freute mich über eine so leichte Art, selbständig zu werden.[1]
Faulkner «dehnt» in diesem Bericht die Wahrheit ein wenig, wie Mark Twain sagt, aber er hält sich im Wesentlichen an die Fakten. Seine Vorfahren waren im 18. Jahrhundert aus Schottland in den Süden Amerikas ausgewandert; der Urgroßvater, William Clark Falkner, ließ sich um 1845 in der kleinen Ortschaft Ripley im Norden von Mississippi nieder. Sein abenteuerliches, erfolgreiches, bisweilen auch gewalttätiges Leben beschreibt Faulkner in den Romanen Sartoris und Die Unbesiegten, und die erwähnte Eisenbahnlinie beschäftigt die Phantasie des Erzählers ebenso wie die militärische Laufbahn des «Old Colonel» im Krieg der Südstaaten gegen die Nordstaaten. In Sartoris heißt es über das ihm gesetzte Denkmal: Er stand auf einem steinernen Postament, in seinem Gehrock, barhäuptig, ein Bein leicht vorgestellt und eine Hand leicht ruhend auf dem Pfeiler neben ihm. Der Kopf war ein wenig erhoben, in jenem hochmütigen Stolz, der mit verhängnisvoller Regelmäßigkeit von Generation zu Generation wiederkehrte, den Rücken der Welt zugekehrt und aus gemeißelten Augen über das Tal schauend, wo seine Eisenbahn lief […].[2] Faulkner war stolz auf diesen Vorfahren, dessen Leben und Taten in der Familie durch oft erzählte Geschichten in der Erinnerung wachgehalten wurden.
Kannte er den Urgroßvater nur aus Erzählungen, so war ihm die Gestalt seines Großvaters John Wesley Thompson Falkner aus seiner Kindheit und Jugendzeit wohlvertraut. Die Familie der Falkners lebte in engem Miteinander, räumlich kaum voneinander getrennt und eingebettet in gemeinsame Beziehungen, die nicht nur bei festlichen Anlässen, sondern im täglichen Umgang gepflegt wurden. John W.T. Falkner war eine nicht minder farbige Figur als sein Vater. Als Jurist, Politiker, Geschäftsmann und Bankier war er einer der prominenten Bürger von Oxford/Mississippi; neben der väterlichen Eisenbahnlinie gehörten zu seinem Erbe freilich ebenso eine Neigung zur Gewalttätigkeit wie vor allem die Liebe zum Alkohol. Der «Young Colonel», wie er oft genannt wurde, war ein seine Umgebung beherrschender Mann und stand trotz seines exzessiven Lebens in hohem Ansehen. Viele Jahre hindurch bildete sein Haus den Mittelpunkt der Familie.
Sein Sohn Murry Cuthbert Falkner, der Vater des Erzählers, wurde im Jahre 1870 geboren. Sein Leben hat wenig von dem Glanz seiner Vorfahren; offenbar stand er ganz im Schatten seines Vaters. Bei seinen verschiedenen geschäftlichen Unternehmungen, die er, oftmals mit väterlicher Unterstützung, begann – unter anderem betrieb er eine Mühle zur Herstellung von Öl aus Baumwollsamen, eine kleine Eisfabrik, eine Lohnkutscherei und einen Eisenwarenhandel –, hatte er kaum Erfolg; schließlich fand er eine Stellung in der Verwaltung der Universität von Mississippi in Oxford. Kurz nach seiner Heirat mit Maud Butler, der Tochter eines durch den Bürgerkrieg wirtschaftlich ruinierten Mannes, der seine Frau und seine Familie verlassen hatte, zog er, damals noch im Dienst der väterlichen Eisenbahnlinie, nach New Albany im Norden von Mississippi. Dort wurde William Cuthbert Faulkner am 25. September 1897 geboren. Schon ein Jahr darauf übersiedelte die junge Familie nach Ripley, wenig später, als das Eisenbahnunternehmen verkauft wurde, wieder zurück nach Oxford.
In den Jahren der Kindheit und Jugend Faulkners war Oxford ein kleiner Ort mit weniger als 2000 Einwohnern. Im tiefen Süden der Vereinigten Staaten gelegen, Mittelpunkt und Sitz des Distrikts Lafayette, lebte die Stadt vorwiegend vom Handel mit den Farmern aus der näheren Umgebung, deren Baumwollfelder sich in der umliegenden flachhügeligen Landschaft ausdehnten. Lafayette wurde zum Vorbild von Yoknapatawpha County (alleiniger Besitzer und Eigentümer: William Faulkner, wie es auf der vom Autor in Absalom, Absalom! gezeichneten Landkarte heißt[3]), Oxford erscheint unter dem Namen Jefferson. Faulkner hat immer wieder den rechteckigen Marktplatz (the Square) mit dem Gerichts- und Verwaltungsgebäude und den einmündenden Straßen beschrieben:
Die Anhöhe verflachte sich zu dem Plateau, auf dem die eigentliche Stadt vor dreihundert Jahren und noch etwas früher erbaut worden war, und die Straße wurde nun entschieden städtisch mit Garagen und kleinen Läden, mit hemdsärmeligen Kaufleuten und Kunden; da war das Kino mit seinem mit buntem Leben beklebten Eingang […]. Dann kam der Platz mit seinem ununterbrochenen niedrigen Umriß alter verwitterter Backstein-Gebäude, mit verbleichenden Namen vergangener Familien, Namen, die gleichwohl unter der abblätternden Farbe ausdauerten. Auf dem Platz bummelten Neger herum, beide Geschlechter in unbestimmter und schlechtsitzender Warenhaus-Kleidung, auch Leute vom Lande, gelegentlich in Khaki; und die lebhafteren Städter, mit ihren freundlich kauenden Mienen, unhastig in ihrem Gehaben untereinander und mit den Männern, die schief auf ihren Stühlen vor den Läden saßen.
Das Gerichtsgebäude war ebenfalls aus Ziegeln gebaut, mit steinernen Bögen, von Ulmen beschattet, und zwischen den Bäumen stand der südstaatliche Soldat aus dem Bürgerkrieg, die Muskete bei Fuß, die hohlen Augen mit der steinernen Hand beschattend. Unter den Bogengängen des Gerichtsgebäudes und auf Bänken im Grünen saßen die Ältesten der Stadt und plauderten oder dösten vor sich hin.[4]
Fast die Hälfte der Einwohner des Distrikts Lafayette und der Stadt Oxford waren Schwarze. Ihre soziale Stellung unterschied sich nur unwesentlich von jener der Sklaven vor dem Bürgerkrieg, und an der unbedingten Vorherrschaft der weißen Bevölkerung herrschte kein Zweifel. Die Mehrheit der Weißen scheint Ansichten wie die des späteren Gouverneurs des Staates Mississippi, James K. Vardaman, geteilt zu haben: «Der Neger ist in der Wirtschaftsordnung der Welt notwendig, aber er ist zum Lastenträger bestimmt. Vor 6000 Jahren war der Neger in seinem heimatlichen Dschungel der Gleiche wie heute […]. Warum sollen wir also Geld für seine Erziehung verschwenden, wenn wir damit doch nur bewirken, daß ein guter Landarbeiter verdorben und eine Köchin aufsässig wird? Der allmächtige Gott hat seine Stellung vorherbestimmt […].»[5] Noch in der Kindheit Faulkners gab es mehrere Fälle von Lynchjustiz in Oxford und seiner nächsten Umgebung.
Murry Falkner überließ die Erziehung seiner Kinder – Faulkner war der älteste von vier Brüdern – fast ganz der Mutter. Er war schweigsam und neigte zu Zornesausbrüchen; auf der Jagd und in männlicher Umgebung war er zufriedener als in seinen beruflichen Tätigkeiten oder im Kreise seiner Familie. «Er war ein Mann, den man nur schwer kennenlernte», schrieb einer seiner Söhne später; «seine Gabe, sich anderen Menschen zuzuneigen, war begrenzt.»[6] Bei Tisch durfte nicht gesprochen werden, und nur unter dem Einfluss von Alkohol wurde der Vater gelegentlich mitteilsamer. Am Leben seiner heranwachsenden Kinder nahm er wenig Anteil. Inwieweit sein ältester Sohn dies als einen Mangel empfunden hat, ist schwer zu beurteilen; es fällt jedoch auf, dass Faulkner den eigenen Vater in den Selbstzeugnissen kaum erwähnt, der Konflikt zwischen Vätern und Söhnen in seinem Werk dagegen eine beherrschende Rolle einnimmt.
Anders war das Verhältnis zur Mutter. Maud Falkner ermutigte den Jungen zu eigenständiger Lektüre, bestätigte ihn in seinen künstlerischen Interessen und ließ ihn schon als Kind die Werke Shakespeares, Conrads, Balzacs und Victor Hugos lesen. Ihrem Haushalt stand sie mit Strenge und Selbstdisziplin vor; ihr Wahlspruch lautete: «Klage nicht – erkläre nichts.»[7] Faulkner schrieb zwar, dass es ihm als ältestem von vier Söhnen leicht gewesen sei, sich dem Einfluß der Mutter zu entziehen[8], doch offensichtlich bestand eine enge Bindung zwischen Mutter und Sohn, die auch später nicht abbrach.
Freilich war Faulkner weder ein fügsames Kind noch ein guter Schüler. Ich wuchs mehr oder weniger im Mietstall meines Vaters auf, sagte er in einem Rückblick auf seine Kindheit; die Schule habe ich nie gern besucht, und ich hörte mit dem Schulbesuch auf, sobald ich groß genug war, um beim Schwänzen nicht erwischt zu werden. Das war ungefähr in der sechsten Klasse.[9] Tatsächlich war Faulkners Schulbesuch trotz der Bemühungen der Mutter unregelmäßig, sein Interesse an den in der Schule gelehrten Fächern so gering, dass er seine schulische Ausbildung mit siebzehn Jahren endgültig abbrach. Mit anderen Jungen seines Alters ging er auf die Jagd oder vertrieb sich die Zeit auf den Straßen und in der Umgebung Oxfords. Freunde bezeichnen ihn als faul, wenn nicht als ausgesprochen träge – es ist, als habe Faulkner die Jahre seiner frühen Jugend wie eine Zeit passiven Heranreifens erlebt, ziellos treibend und in sich gekehrt eher als nach außen gerichtet. Er las viel und begann zu zeichnen und zu schreiben.
Zu den wenigen Menschen in Oxford, die seine künstlerischen Neigungen teilten, gehörte der vier Jahre ältere Freund Philip Stone. Stone war der Sohn eines Rechtsanwalts und Bankiers in Oxford und bereitete sich auf eine juristische Laufbahn vor. Er war außerordentlich belesen und sowohl mit der klassisch-antiken wie mit der modernen Literatur vertraut. Wie immer man seinen Anspruch, der «Entdecker» Faulkners zu sein, beurteilen mag, sicher ist, dass Faulkner ihm entscheidende Anregungen verdankt. Stone versorgte Faulkner mit Büchern, lenkte seine Aufmerksamkeit auf zeitgenössische Autoren und wurde nicht müde, ihn in seinen frühen literarischen Versuchen zu ermutigen.
Inzwischen hatte Faulkner eine Anstellung in der Bank seines Großvaters gefunden, nahm sie freilich nicht ernster als vorher die Schule. Ironisch bemerkte er später: Verließ die Schule und arbeitete in Großvaters Bank. Lernte den medizinischen Wert seines Whiskys kennen. Großvater dachte, es sei der Hausmeister. Schwierig für den Hausmeister.[10] Durch Phil Stone machte er die Bekanntschaft anderer Studenten und schloss sich einem Kreis junger Menschen an der Universität von Mississippi an. Einige seiner Zeichnungen wurden im Jahrbuch der Universität veröffentlicht, die meisten seiner Verse indessen, melancholisch und voller Anklänge an A.E. Housman und Swinburne, scheinen außer Stone wenige gelesen zu haben. Nur Estelle Oldham, einer Jugendfreundin, zeigte Faulkner seine Gedichte. Estelle wurde von vielen Verehrern umschwärmt, war Faulkner aber besonders zugetan. Ihre Heirat mit Cornell Franklin, einem erfolgreichen Rechtsanwalt, traf Faulkner tief. Seiner Werbung um Estelle sollte erst spät Erfolg beschieden sein – die beiden heirateten im Jahre 1929, nachdem die Ehe der Franklins geschieden war.
Mit dem Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg wuchs die Unruhe Faulkners. Wie seine Brüder Jack und Johncy meldete er sich zum Militärdienst, wurde aber von der Luftwaffe, bei der er sich beworben hatte, wegen seiner geringen Körpergröße (er maß nur 1,67 m) abgelehnt. Im Juli 1918 schließlich akzeptierte die Royal Air Force in Toronto Faulkner als Kadetten. Zahlreiche Legenden um Faulkner haben ihren Ursprung in seiner militärischen Laufbahn, die, beendet durch den Waffenstillstand, nur ein knappes halbes Jahr dauerte. Faulkner hat viele von ihnen erst spät, manche gar nicht korrigiert, denn er fand sichtlich Gefallen an der Rolle des verwundet aus dem Kriege heimgekehrten Helden, die ihm sein Gastspiel bei der R.A.F. ermöglichte. Noch Jahre nach dem Krieg trug er stolz seine Uniform zur Schau, verbreitete das Gerücht von einer Silberplatte in seinem Schädel oder gab vor, am Bein verwundet worden zu sein. Wenngleich er in Toronto über das Bodentraining wahrscheinlich nicht hinausgekommen ist, wird man in dieser Zeit den Beginn seiner Passion für das Fliegen zu suchen haben.
Im Januar 1919 wurde Faulkner mit anderen Kadetten zusammen demobilisiert und kehrte nach Oxford zurück. Als ich aus der R.A.F. zurückkam, begann die Gesundheit meines Vaters nachzulassen […]. Ich wollte keine Arbeit annehmen; auf Bitten meines Vaters schrieb ich mich an der Universität ein, was ich auch nicht wollte. Das war 1920 […]. Ein Jahr lang besuchte ich die Universität von Mississippi, unter besonderen Bedingungen, die für die zurückgekehrten Truppen erlassen waren. Ich studierte europäische Sprachen, mochte das Studium immer noch nicht und gab’s auf. Der Rest meiner Erziehung beruht auf zufälliger Lektüre.[11]
Faulkner belegte zwar einige Kurse, war aber höchstens ein Gelegenheitsstudent. An Prüfungen nahm er grundsätzlich nicht teil; dagegen trug er erneut verschiedene Zeichnungen zum Jahrbuch der Universität bei und veröffentlichte Gedichte und einzelne kurze Prosatexte in der studentischen Zeitung «The Mississipian». Eines seiner Gedichte, L’Après-Midi d’un Faune, war in der Zeitschrift «The New Republic» erschienen, jetzt folgen, wenn auch in wesentlich beschränkterer Verbreitung, Titel wie Cathay, Sapphics, Une Ballade des Femmes Perdues, Naiads. In ihrer Weltmüdigkeit und Melancholie, ihrer Dekadenz und blassen Erotik atmen Gedichte wie Zeichnungen den Geist des Fin de Siècle. Der Einfluss Verlaines (von dem Faulkner mehrere Gedichte übersetzte) und der Symbolisten, aber auch der T.S. Eliots und William Butler Yeats’ ist allenthalben spürbar.
In das Jahr 1920 fällt wahrscheinlich auch die Entstehung des Einakters The Marionettes, der, nur in vier von Faulkner selbst angefertigten und reich illustrierten handschriftlichen Exemplaren überliefert, ähnlich wie die Gedichte das Bild einer äußerst artifiziellen, stilisierten Welt entwirft. Die Figuren erinnern an die Commedia dell’Arte; das Geschehen – die Verführung des jungen Mädchens Marietta durch Pierrot – vollzieht sich vor dem Hintergrund einer kunstvoll verfremdeten Szenerie: Der Himmel ist ein dünnes durchsichtiges Blau, ein sehr helles Blau, das übergeht in Weiß, mit gleichmäßig geordneten Sternen, und Vollmond. […] Im Hintergrund hebt sich eine marmorne Kollonade gegen ein regelmäßiges schwarzes Band von Bäumen ab; auf jeder Seite steht die schlanke, anmutige Silhouette einer einzelnen Pappel. […] Ein unbeweglicher Pfau, ein Teich mit einem Brunnen vervollständigen das Bild.[12] Noch bewegt sich die Vorstellung Faulkners ganz im Reich der Kunst, das bevölkert ist von Faunen und Nymphen, allegorischen Figuren und antiken Heroen. Dabei bildet die erwachende Sexualität Mariettas einen Gegenpol zu der eigenartig starren, statischen Szenerie – der frühe Einakter verweist auf ein Thema, das Faulkner noch oft gestalten wird: auf den Gegensatz von Zuständlichkeit und Bewegung, von Kunst und Leben.
Faulkners Gedichte, mehr aber noch sein Auftreten in Oxford und auf dem Campus der Universität trugen ihm den Spitznamen «the Count» ein, den witzige Mitbürger bald in «Count No ’Count», Graf Nichtsnutz, abwandelten. Man parodierte seine Gedichte und mokierte sich über sein Benehmen, das in die Enge der kleinen Stadt und der gewiss eher provinziellen Universität nicht passen wollte. Ich las und schrieb Verse, berichtete Faulkner später, einmal um meine verschiedenen Liebeleien […] voranzutreiben, zum anderen um die typisch jugendliche Geste zu vollenden, die mich damals beschäftigte, nämlich in einer Kleinstadt anders zu sein als die anderen.[13] Er kränkte auch gute Bekannte, indem er grußlos an ihnen vorüberging oder sie kaum eines Blickes würdigte. Seine häufige Gedankenverlorenheit ist ein Zug, den erstaunte Einwohner Oxfords immer wieder notiert haben. Bisweilen sicherlich auch eine Allüre des Poeten, passte sie in das Bild des Exzentrikers Faulkner und trug dazu bei, dass man ihm in seiner Heimatstadt nicht nur wohlwollte. Der junge Mann schien seine Zeit zu vergeuden, spielte Golf, wenn es ihm beliebte, oder verschwand für einige Tage im nahe gelegenen Memphis. Sein Taschengeld verdiente er sich mit Gelegenheitsarbeiten, wohnte aber noch immer im elterlichen Hause.
Ein Aufenthalt in New York im Herbst des Jahres 1921 und die Beschäftigung in einer dortigen Buchhandlung brachten Abwechslung, doch schon nach wenigen Wochen kehrte Faulkner nach Oxford zurück. Auf Drängen und mit der Hilfe seines Freundes Phil Stone wurde er schließlich Leiter der kleinen Poststelle der Universität. Bis zum Herbst des Jahres 1924 blieb er «postmaster», stand im Dienst der Regierung und war verantwortlich für alle in seinem Amt anfallenden Postgeschäfte. Ein weniger geeigneter Kandidat hätte sich schwerlich finden lassen. Als sich die Klagen häuften, kündigte Faulkner, froh, seinen Pflichten entronnen zu sein. Seinen Freunden, die ihn oft in der kleinen Poststelle besucht hatten, erklärte er: Wahrscheinlich muß ich mein Leben lang nach der Pfeife von Leuten tanzen, die Geld haben, aber Gott sei Dank brauche ich nie wieder nach der Pfeife eines jeden Hundesohns zu tanzen, der 2 Cents hat und eine Briefmarke kaufen will.[14]
Zu den Vorwürfen, die ihm von der Postverwaltung gemacht wurden, zählten unter anderem seine Nachlässigkeit und Unachtsamkeit im Umgang mit den ihm anvertrauten Sendungen, wobei die offizielle Klageschrift eine Begründung für ein derartiges Verhalten gleich mitlieferte. Man hielt Faulkner vor, «daß gegenwärtig ein Buch von Ihnen gedruckt wird, dessen größter Teil während Ihrer Dienstzeit im Amt geschrieben wurde»[15].
Dieses Buch ist ein Band mit Gedichten, der unter dem Titel The Marble Faun (Der Marmorfaun) am 15. Dezember 1924 in einer Auflage von 1000 Exemplaren und versehen mit einem Vorwort von Phil Stone in Boston erschien. Faulkner hatte sich mit 400 Dollar an den Druckkosten beteiligt. Der Gedichtband ergänzt das Bild, das wir aus The Marionettes und anderen frühen Veröffentlichungen gewinnen. Die oft etwas holperigen Verse schildern die vergeblichen Versuche eines in Marmorgestalt gefangenen Fauns, an dem ihn umgebenden natürlichen Leben teilzuhaben. Wehmütig lauscht er den Klängen der Panflöte und beobachtet den Wechsel der Jahreszeiten und das Werden und Vergehen in der Natur, ein trauriger, gefesselter Gefangener, dessen Herz nur den Winterschnee kennt.[16] Die Natur freilich, die Faulkner besingt, ist nicht die «seines heimatlichen Landes», wie Phil Stone in seinem Vorwort meint.[17] Ihre Beschreibung entstammt vielmehr spätromantischer Schäferdichtung und bestätigt abermals, wie stark der junge Faulkner noch von seinen literarischen Vorbildern geprägt war. Er selbst war sich dessen wohl bewusst: Als Sechzehnjähriger entdeckte ich Swinburne. Oder besser gesagt, Swinburne entdeckte mich, sprang aus dem gequälten Dickicht meiner Jugend auf mich zu wie ein Straßenräuber und machte mich zu seinem Sklaven. Nach Swinburne nennt er A.E. Housman, in dessen «The Shropshire Lad» er das Geheimnis entdeckte, dem alle Modernen nachjagen; es folgen Keats und Shelley, Shakespeare und die elisabethanischen Lyriker.[18] Seine Begeisterung für Keats, insbesondere für dessen große Ode «Auf eine griechische Vase», hat noch in seinen späten Romanen ihre Spuren hinterlassen.
Wie andere frühe Versuche lässt Der Marmorfaun von der erzählerischen Kraft Faulkners und seiner Sprachgewalt wenig ahnen. Faulkner hat seine Anfänge als Lyriker allerdings nie verleugnet, sondern sie im Gegenteil sehr ernst genommen. Bei vielen Gelegenheiten bekannte er, dass er im Grunde ein gescheiterter Lyriker (a failed poet) sei, und wie sehr ihm seine Gedichte am Herzen lagen, geht auch daraus hervor, dass noch 1933 ein weiterer Band mit zumeist in den frühen zwanziger Jahren entstandenen lyrischen Arbeiten erschien. Im Rückblick wird man die Bedeutung von Faulkners lyrischer Produktion dennoch eher zu relativieren haben. Wohl stößt man hier und da auf Themen und Motive, die auf das spätere Werk vorausweisen, anders aber als etwa sein Zeitgenosse Ernest Hemingway brauchte Faulkner eine längere Zeit, um, nach weiteren Umwegen, seine eigene Stimme zu finden.
Leidenschaftlich von seiner Bestimmung als Autor überzeugt, ließ sich Faulkner durch das geringe Echo auf seine Gedichte nicht entmutigen. Er suchte nicht länger nach weiteren bürgerlichen Erwerbsquellen, sondern machte sich auf den Weg nach New Orleans, um sich dort für eine längere Reise nach Europa einzuschiffen. Zunächst jedoch blieb er in New Orleans. Er lernte Sherwood Anderson kennen, den Autor von «Winesburg, Ohio», «Horses and Men» und anderen Werken, einen Wortführer der modernen Erzählliteratur in Amerika, dessen Ruhm weit verbreitet war. Faulkner war beeindruckt. Bei aller späteren Distanz gegenüber dem Werk Andersons blieb die Bewunderung für den Menschen: Ich wußte, daß ich einen Giganten gesehen hatte […], einen Giganten auf einer Erde, die zum großen, zum allzu großen Teil von Zwergen bevölkert war.[1] Anderson ermutigte Faulkner zum Schreiben und überzeugte ihn gerade in seiner unbedingten Hingabe an die schriftstellerische Arbeit. Er sagte mir einmal: «Du hast zu viel Talent. Du kannst es zu leicht, auf zu viele verschiedene Weisen. Wenn Du nicht achtgibst, wirst Du nie etwas schreiben.» Und Anderson lenkte den Blick des jüngeren Autors in eine neue Richtung: Ich lernte, daß man, um ein Schriftsteller zu sein, zunächst derjenige sein muß, als der man geboren ist […]. Man mußte sich daran erinnern, was man war.[2]
Faulkner hatte begonnen, an dem Manuskript eines Romans zu arbeiten. Die Atmosphäre in New Orleans schien ihn zu beflügeln. Er lieferte Beiträge an Zeitungen und literarische Zeitschriften – Gedichte, Skizzen, Reportagen, aber auch erste Erzählungen. Schon im Mai 1925 schloss er das Manuskript seines Romans ab und schickte es auf Andersons Empfehlung an den Verlag Boni & Liveright in New York. Ich schrieb ein Buch, und als ich angefangen hatte, merkte ich, daß das Schreiben Spaß machte […]. Ich hatte nicht daran gedacht, es irgendjemandem zu zeigen […], und dann machte Sherwood ein Geschäft mit mir. Seine Frau sagte, wenn er es nicht zu lesen braucht, sagt er seinem Verleger, er solle es annehmen. Gemacht, sagte ich. Und auf diese Weise […] wurde mein erstes Buch veröffentlicht.[3]
Natürlich hatte Anderson zumindest Teile des Manuskripts gelesen, doch wie oft vereinfacht Faulkner um der Pointe willen. Man kann Soldatenlohn (Soldiers’ Pay)