Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein gefährliches Spiel um Macht und Liebe – wer wird am Ende siegen?
Andriana träumt davon, Anwältin zu werden, doch ein verlockender Gewinnspielpreis führt sie in die Fänge des mächtigen Jack. Gefangen in seiner luxuriösen Villa und gezwungen, seinen düsteren Befehlen zu gehorchen, kämpft sie verzweifelt um ihre Freiheit und ihren Traum. Inmitten dieser dunklen Welt begegnet Andriana Jacks charismatischem Bruder Noah und den geheimnisvollen Bodyguards Valentin und Shane, die verborgene Leidenschaften und gefährliche Geheimnisse in ihr entfachen. Gefangen zwischen Verrat, Machtspielen und verbotener Liebe, muss Andriana ihren eigenen Weg finden, um zu überleben und ihre Träume zu retten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 384
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
EIN LETZTES WORT VON ANDRIANA
DIE WICHTIGSTEN PERSONEN UND ORTE
For Everything a Reason – Carina Round
I’m yours – Isabel LaRosa
Dirty Thoughts – Cloe Adams
Pretty In The Dark – Ashley Sienna & Ellise
Who Do You Want – Ex Habit
Aphrodite – Sam Short
Play with Fire – Sam Tinnesz feat. Yacht Money
Slayer – Bryce Savage
Coffin – PLVTINUM
High For This – The Weeknd
Stileto – Cravin’ feat. Kendyle Paige
I Feel Like I’m Drowning – Two Feet
Was? Du hast nach einem romantischen Buch gesucht? Tut mir leid, dich zu enttäuschen, Süße. Aber hier hast du dir etwas ausgesucht, das wohl das komplette Gegenteil ist. Dich erwarten viele schockierende Szenen, die nur etwas für starke Nerven sind. Hoffe gar nicht erst, dass es hier um verliebte Pärchen und Süßholzgeraspel geht. Was du in den Händen hältst, ist keine Liebesgeschichte im klassischen Sinne. Es ist vielmehr ein Sturm aus Intrigen, Gefahr und unerwarteten Enthüllungen, der dich auf eine Achterbahnfahrt der Emotionen mitnehmen wird. Hoffentlich hast du keine Höhenangst. In dieser Welt gibt es keine Zuckerwatte-Romantik, sondern harte Realität, in der die Protagonistin, Andriana, sich gegen dunkle Machenschaften zur Wehr setzen und durch ungeahnte Situationen kämpfen muss. Es ist eine Geschichte, die dein Herz schneller schlagen lässt, nicht vor Rührung, sondern wegen Spannung und Nervenkitzel. Und ganz klar durch Erregung. Also sei gewarnt, dass dieses Buch dich an deine Grenzen bringen wird. Es ist keine leichte Lektüre für einen gemütlichen Abend auf dem Sofa, sondern ein Abenteuer, das deine Vorstellungskraft herausfordern wird und dich sexuell vielleicht etwas mutiger macht. Bist du bereit, dich ins Unbekannte zu stürzen? Dann schnall dich an, denn die Reise beginnt jetzt. Und eines ist sicher: Du wirst nicht mehr dieselbe sein, nachdem du diese Geschichte erlebt hast.
Bevor ihr euch also in diese Geschichte vertieft, möchte ich euch darauf hinweisen, dass sie Themen und Szenen enthält, die für einige von euch möglicherweise belastend sein könnten. Doch eure Sicherheit und euer Wohlbefinden sind mir wichtig. Es ist ein fiktives Buch und ich wünsche mir, dass es auch so behandelt wird. Bitte passt auf euch auf.
Diese Geschichte beinhaltet:
Darstellungen von sexueller Gewalt
Szenen von Folter
Darstellungen von emotionaler Gewalt und Missbrauch
Szenen, die Diskriminierung und Rassismus thematisieren
Darstellungen von Tablettensucht und Drogenmissbrauch
Szenen, die Traumata und psychische Gesundheitsprobleme behandeln
Darstellungen von Bodyshaming und Körperbildthemen
Szenen mit der Thematik von Tod und Verlust
Dazu möchte ich noch sagen, dass ihr eure eigenen Grenzen respektieren und einhalten solltet. Wenn ihr das Gefühl habt, dass diese Themen für euch belastend sein könnten, oder wenn ihr euch während des Lesens unwohl fühlt, zögert bitte nicht und legt das Buch zur Seite.
Es ist in Ordnung, die Geschichte nicht zu lesen oder sie in einem angemessenen Tempo zu konsumieren, das für euch am besten ist. Eure Sicherheit und euer Wohlbefinden haben oberste Priorität.
Das Leben hat mir bisher nichts geschenkt. Ich habe nur schlechte Sachen erlebt. Für die Guten bin ich wohl nicht gut genug. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe mich mittlerweile mit meinem Schicksal abgefunden. Nach der Beerdigung meiner Mom habe ich mir geschworen, mein Leben auf die Reihe zu bekommen und mit meinem Jurastudium weiterzumachen. Es war nicht leicht. Ist es immer noch nicht. Aber ich quäle mich durch. Eine andere Wahl habe ich sowieso nicht, wenn ich nicht für immer rumheulen will. Nachdem meine Mutter bei einem Autounfall ums Leben bekommen ist, bin ich auf den Campus gezogen und darf nun von Job zu Job rennen, um mir das Studium zu finanzieren. Das alles wäre gar nicht so schlimm, wären da nicht die vielen Schulden, die meine Mom hinterlassen hat.
Gott, und nun fallen mir beinahe die scheiß Augen zu, obwohl ich eigentlich was essen sollte.
»Erde an Andriana.« Meine Freundin schnippt vor meinem Gesicht in die Finger. »Komm zurück in die Realität.«
Jasmine sieht besorgt aus, aber das ist sie schon seit Tod meiner Mom. Im Grunde bin ich für sie ein Welpe, der ausgesetzt wurde und aufgepäppelt werden muss. Dabei komme ich mittlerweile wirklich gut zurecht wenn man die ganzen Arbeitsstunden nicht mitbedenkt, die mich jede Nacht müde ins Bett fallen lassen.
»Sorry. Ich habe kurz überlegt, wo ich heute arbeiten muss«, murmel ich und stochere in meinem Essen herum, das hier wirklich nicht überragend ist. Auf der Green Meadows Universität gibt es zwei Orte, an denen man essen kann. Der eine ist diese Mensa, die für jedermann zugänglich ist. Und dann gibt es die exklusiven Räumlichkeiten für die Elite, also die, die genug Kohle haben, um sich einen Studienplatz, wie diesen zu erkaufen und mindestens ein Konto in der Schweiz besitzen. Auf gut Deutsch gesagt: nicht ich. Die Einrichtung der Mensa ist modern und einladend. An den Wänden hängen großformatige Kunstwerke von Studenten, die dem Saal eine kreative und lebendige Atmosphäre verleihen. Pflanzen sind in stilvollen Töpfen strategisch im Raum verteilt und bringen ein Stück Natur in den Innenbereich herein. Im Grunde genommen ist dieser Ort eine nette Abwechslung zum Studien- und Arbeitsalltag, wenn man die Gerichte außen vor lässt.
»Ria. Du hast heute frei, das ist dir schon klar, oder?« Meine rothaarige Freundin hebt eine Augenbraue und sieht mich skeptisch an.
Verdammt. Das habe ich vollkommen vergessen. Gestern Nacht habe ich im Club gearbeitet und einen Tag davor in der Bar auf dem Campus. Ich bin echt durcheinander und sollte dringend schlafen. Wenn da nicht mein Studium wäre, das mein Leben bedeutet.
»Shit. Okay, du darfst … «, seufze ich und halte meinen Arm hin. Jasmine schmunzelt breit, als sie mir so fest in den Oberarm zwickt, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Blöde Kuh.
»Du solltest echt mal rauskommen. Seit deine Mutter … du weißt schon … bist du nur noch am Arbeiten oder Lernen. Du hast überhaupt kein Leben mehr.«
Da hat sie wohl recht. Um die vielen Schulden meiner Mutter zu bezahlen und einigermaßen leben zu können, arbeite ich wie verrückt. Vor ihrem Tod wusste ich nicht mal etwas von diesen Schulden. Dabei hatte sie die Miete seit fast einem halben Jahr nicht mehr gezahlt und außerdem vorher einen riesigen Kredit aufgenommen, um sich ein Auto zu kaufen. Alles in allem stehe ich nun vor einem riesigen Berg Schulden, den ich zurückzahlen muss, und hab keine Ahnung, wie ich das neben meinem Jurastudium schaffen soll.
»Leben würde ich das auch nicht unbedingt nennen. Aber was soll ich machen? Die Schulden bezahlen sich nicht von alleine.« Ich zucke mit den Schultern und nehme endlich den ersten Bissen von meinem Essen. Wenn man das überhaupt so nennen kann.
»Aber vergiss nicht, deine Pflichten was unsere Freundschaft betrifft einzuhalten.« Jasmine hebt einen Finger und tippt mit ihm gezielt auf meine Nase.
Ich hebe eine Augenbraue und gebe mir Mühe, nicht zu lachen.
»Wie bitte, was?« Ein Grinsen kann ich mir trotzdem nicht verkneifen. Jasmine ist diese Art Freundin, die ziemlich nerven kann, aber die man trotzdem extrem lieb haben muss. Als ich in ihr Zimmer gezogen bin, hat sie zwei Tage nicht aufgehört, zu grinsen, während ich mich erstmal einleben musste. Für sie ist es schön, eine Mitbewohnerin zu haben, immerhin ist sie auch eine extrem extrovertierte Persönlichkeit. Aber für mich? Na ja, ich bin das genaue Gegenteil und hab nach einem langen Arbeitstag lieber meine Ruhe, als auf irgendwelche Partys zu gehen und mit fremden Kerlen rumzumachen.
»Ich meine ja nur. Das letzte Mal, als du mit auf eine Party gegangen bist, ist jetzt schon ewig her. Du hattest Welpenschutz, aber der ist so langsam vorbei, junge Dame.« Verschmitzt grinst der Rotschopf und spielt mit seinem kleinen Nasenpiercing, was mich schon immer rasend gemacht hat. Manchmal habe ich wirklich den Drang, ihr das Ding rauszunehmen und gegen den Kopf zu werfen. Besonders wenn sie nervös ist, spielt sie damit herum und macht mich ganz kribbelig. Eins muss ich aber zugeben, es steht ihr fantastisch.
»Ich glaube, du hast zu viel Vodka getrunken«, seufze ich und lege mir ein Salatblatt in den Mund, das ich sofort wieder ausspucke. Bei Gott, das grenzt an Körperverletzung, was die hier machen. Kantine kann man das wirklich nicht nennen. Eine Uni, in der die Elite zuhause ist, und trotzdem bekommt man hier einen Salat, der offenbar schon mehrere Tage rumliegt.
»Ha! Das ist Karma, meine Liebe. Wie wärs, wenn du heute endlich mal auf eine Party mitkommst? Ich hab gehört, dass Chase’ Fußballteam ihren letzten Sieg feiern will. Alle sind eingeladen.« Und wenn sie »alle« sagt, meint sie auch alle einschließlich der Elite, die sich zu einem kleinen Teil auch auf normalen Partys herumtreibt. Zugegeben, nicht alle von ihnen sind scheiße. Mit dem einen oder anderen komme ich sogar gut zurecht. Aber es gibt da diese eine Gruppe, der ich lieber aus dem Weg gehe. Die Ladys von Green Meadows sind so etwas wie die Elite der Elite. Eine Gruppe von Mädchen, die denken, sie wären etwas Besseres, und dies natürlich auch zeigen müssen. Um ehrlich zu sein, hasse ich sie abgrundtief. Letzte Woche haben sie im Club, in dem ich arbeite, gefeiert und wunderbar ausgenutzt, dass sie mich kennen. Immer wieder musste ich ihnen zu Diensten sein und ihnen die komischsten Wünsche erfüllen. Das dumme Gelächter habe ich immer noch in meinen Ohren. Aber leider bin ich nicht die Einzige, die so von ihnen behandelt wird. Für die Ladys ist das gemeine Volk unwichtig und verzichtbar. Außer es geht um Arbeit, die sie selbst nicht machen wollen.
»Vergiss es. Ich habe echt Besseres zu tun, als meine Zeit mit den Ladys zu verbringen«, gebe ich zurück und nehme einen großen Schluck aus meinem Wasserglas, das den ekligen Geschmack des Salates wegspülen soll. Vergebens.
»Im Verbindungshaus der Fußballer ist genug Platz, um dich zu verstecken. Komm schon. Einmal. Chase hat schon nach dir gefragt«, zwinkert meine Freundin frech und bringt mich damit nur zum Seufzen.
Chase ist mein bester Freund, aber mehr auch nicht. Wir hängen oft zusammen rum oder unterhalten uns über sportliche Wettkämpfe. Während er im Fußball aufblüht, liebe ich es, Ballett zu tanzen. Schon als Kind habe ich mit meiner Mutter Ballettaufführungen angesehen und mit sieben Jahren selbst angefangen. Was auch meine dünne Statur erklärt, für die ich regelmäßig getadelt werde.
»Chase kann gerne zu mir kommen, wenn er mit mir reden will. Er findet mich an mehreren Wochentagen entweder im Vorlesungssaal oder im Wish.«
Jasmine stöhnt laut und gibt mir erneut einen Klaps.
»Okay, wir schauen mal, ob wir einen Termin finden. Ria, im Ernst, komm bitte mit. Es wird dir gut tun. Ich erinnere mich an wilde Nächte, in denen du viel Spaß hattest.«
Und ich erinnere mich an die Tage danach, die ich im Bett verbracht habe, weil mein Kater so extrem war.
»Gib mir einen Tag Ruhe. Heute kommt ein Auftritt von Marianela Nuñez. Den will ich nicht verpassen.« Wobei ich dabei wohl eher einschlafen werde.
»Ich würde mich auch freuen, wenn du kommst.« Meine Augen drehen sich zu der Person, die sich zu uns gesetzt hat. Und als wäre mein Tag nicht schon schlecht genug, muss er natürlich jetzt noch beschissener werden.
»Verpiss dich, Gael«, knurrt Jasmine und schmeißt eine Tomate nach ihm, der er jedoch sehr geschickt ausweicht.
Ich persönlich habe aber gehofft, dass sie trifft. Gael und ich kennen uns bereits seit der Highschool und waren ein halbes Jahr zusammen. Er hat nie aufgegeben sich um mich zu bemühen, nur sind diese Bemühungen etwas anders, als man sich vorstellt oder es gern hätte. Im Grunde ist er der typische Bonzensohn, der immer einen hässlichen Wollpullover trägt und sich selbst als viel zu wichtig ansieht. Oft musste ich mir anhören, wie froh ich doch sein kann, seine Freundin sein zu dürfen. Er interessiert sich nur für sein Studium, seine Zukunft und seine Mom. Bevor wir zur selben Universität zugelassen wurden, habe ich mit ihm Schluss gemacht, doch bis heute versucht er, mich zurückzubekommen, was ich jedes Mal mit einem Korb bestrafe.
»Ich bitte dich. Ich bin doch auch nicht so unfreundlich zu dir, Jasmin«, lächelt Gael frech und legt sein Gesicht auf seiner Hand ab. Ekelpaket.
»Jasmine. Warum kannst du dir nicht endlich meinen Namen merken, Arschgesicht?« Als Jasmine davon erfuhr, dass wir mal ein Paar waren, sind ihr fast die Augen aus dem Gesicht gesprungen. Und ja, ich würde das auch nicht glauben, wenn ich nicht selbst mit ihm zusammen gewesen wäre. Nicht jeder ist fehlerfrei, oder wie war das?
»Wie auch immer. Kommst du auch?« Gael ignoriert meine Freundin und lächelt mich an, während er auf meine Lippen starrt. So langsam weiß ich wirklich nicht mehr weiter mit ihm.
»Gael«, fange ich an und lächele ihm sarkastisch ins Gesicht.
»Ja?« Ich sehe die Hoffnung in seinen Augen, während Jasmine sich ein Lachen kaum verkneifen kann. Sie weiß genau, was ich vor habe.
»Verpiss dich«, knurre ich und wende mich von ihm ab. Das ist ja nicht zu fassen. Wie kann ein Mensch nur so nerven? Habe ich ihm nicht deutlich gesagt, dass ich nichts mehr von ihm wissen will? Wie hieß nochmal der eine Kerl von Disneys große Pause? Chase vergleicht Gael immer wieder mit ihm und ich gebe zu, dass gewisse Parallelen zu erkennen sind.
»Tu dir selbst einen Gefallen und spring über deinen Schatten, Mondschein. Mir fehlt dein schwarzes Haar in meinem Gesicht, wenn es im Winde … «, beginnt er und wird sofort von Jasmine unterbrochen.
»Sie hat gesagt, dass du dich verpissen sollst. Meine Fresse.«
Wenn meine Freundin sauer wird, sollten die Leute um sie herum schnell das Weite suchen. Sie ist dann wie eine Bombe. Wenn sie platzt, zerstört sie alles um sich herum. Und dafür liebe ich meine verrückte Jasmine.
Gael scheint zu überlegen, was er meiner Freundin entgegnen soll, entscheidet sich aber dafür wieder aufzustehen und sich leise zu räuspern. »Wir sehen uns auf der Party.«, verabschiedet er sich und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist.
»Wohl kaum«, murmel ich ihm hinterher und lege mein Gesicht in meine Hände. Als hätte ich nicht schon genug Probleme. Jetzt muss ich mich auch noch mit meinem komischen Ex auseinandersetzen, der alles andere als gut für mich war und ist.
Jasmine verdreht die Augen und sieht auf mein Essen. »Isst du das noch?«, fragt sie, doch bevor ich antworten kann, hat sie meinen Teller schon zu sich gezogen und verputzt fast alles, was ich mir draufgelegt habe. Um genau zu sein, bin ich ganz froh, dass sie es isst. Es ist wirklich der Horror. Da bleibe ich lieber hungrig oder esse im Wish.
»Also hör mal. Du hast gar keine andere Wahl, als zu kommen. Noah Drayton wird ebenfalls da sein.«
Mein Mund öffnet sich und meine Augen springen mir fast aus dem Gesicht. »Was wirklich? Gott, warum sagst du das nicht gleich? Vergiss meinen Plan, ich komme auf jeden Fall mit!«, gebe ich aufgeregt zurück und klatsche in die Hände, was Jasmine breit grinsen lässt.
»Wirklich?« Mit vollem Mund setzt sie sich etwas gerader hin und hüpft etwas auf und ab.
»Nein.« Emotionslos sehe ich sie an und kann die Enttäuschung in ihrem Blick erkennen. »Ich kenne den Kerl nicht mal.«
Noah Drayton. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, wenn ich seinen Namen höre. Es gibt wohl keinen Kerl, der bekannter auf dem Green Meadows Campus ist als er. Dabei habe ich ihn noch nie in meinem Leben gesehen. Das liegt aber womöglich auch daran, dass ich nicht in seinem Semester bin und mich anderen Dingen widmen muss. Ich weiß nur, dass er mit einer der Ladys liiert ist und verdammt heiß sein soll. Nicht, dass ich keine heißen Typen mag, aber im Augenblick habe ich wirklich Besseres zu tun, als mich irgendwelchen Kerlen zu widmen, die eine Freundin haben. So, wie Jasmine, die so sehr in Noah verknallt ist, dass es beinahe lästig ist.
»Wenn du ihn sehen würdest, könntest du mich und die anderen Mädchen verstehen, Ria. Allein seine Tattoos und diese schwarzen Haare, die in sein Gesicht fallen, und … «
Abwehrend hebe ich die Hand und schließe genervt die Augen.
»Danke, das reicht. Ich habs verstanden. Aber ich würde trotzdem lieber meinen freien Abend genießen. Erholung werde ich auf jeden Fall brauchen, wenn ich das erledigt habe. Kennst du das Wort Verständnis?«
Aus Jasmines sonst schon so hellem Gesicht, verschwindet die Farbe. Anscheinend hat sie vergessen, dass ich heute einen wichtigen Termin habe, den ich nicht verschieben kann. Die Wohnung von meiner Mutter und mir wurde neu vermietet und das bedeutet, dass ich heute den Schlüssel abgeben muss. Mein Herz bricht, wenn ich daran denke. Dort haben meine Mom und ich viele Jahre gelebt und schöne Zeiten gehabt. Wir waren ein Team. Und dann ist sie einfach so gestorben. Manchmal weiß ich nicht, ob mir das bis heute überhaupt richtig bewusst geworden ist. Aber wenn ich den Schlüssel abgebe, werde ich es realisieren müssen, ob ich will oder nicht.
»Scheiße. Fuck. Gott, tut mir leid, Ria. Ich … hab das total vergessen.«
Dadurch, dass ich mir die Wohnung nicht mehr leisten kann, bin ich auf den Campus angewiesen. Aber auch das ist ziemlich teuer. Wenn auch nicht ganz so teuer wie die Drei– Zimmer–Wohnung im Zentrum von Atlanta, in der ich nichts weniger als einen Teil meiner Kindheit verbracht habe.
»Ach, schon okay. Danach will ich jedenfalls nicht mehr auf irgendeine Party. Thema durch?« Mein Blick wird versöhnlicher und auch Jasmine wirkt erleichtert angesichts meiner Reaktion. Ich hab sie wirklich gern, aber manchmal denkt sie einfach erst nach, nachdem sie etwas ausgesprochen hat. Das bricht ihr oft das Genick. Und ich kann nicht immer auf sie aufpassen.
»Thema durch. Danach … soll ich vielleicht doch auf dem Zimmer bleiben? Dann können wir uns deinen Ballett–Sender anschauen.«
»Du hast doch gar keine Ahnung von Ballett?« Es ist nett gemeint, dass Jasmine bei mir bleiben will, aber sie will einfach nicht verstehen, dass ich mich am besten ausruhen kann, wenn ich alleine bin. Längere Zeit kann ich nicht unter vielen Menschen sein. Zumindest im Moment.
»Ja und? Du kannst es mir doch erklären«, grinst sie unschuldig und spielt mit ihren wirren roten Haaren. Wie immer, wenn sie nervös ist.
»Schon okay, geh auf deine Party. Ich bin froh, wenn ich meine Ruhe haben kann. Danach kannst du mir gerne erzählen, ob du diesen Noah getroffen hast oder nicht.« Denn darauf arbeitet sie immer wieder hin. Allerdings scheint es schwer zu sein, an ihn ranzukommen. Offenbar lebt er in der Villa seines Bruders, die am Rande des Campus liegt. Ich hab sie schon von Weitem gesehen und muss zugeben, dass ich beeindruckt von der Aufmachung war. Sie ist zwar ganz schön protzig, aber was will man von der Elite auch anderes erwarten?
»Klingt nach einem schönen Deal«, lächelt sie und steht langsam auf. Ich mache es ihr nach, doch ehrlich gesagt würde ich es gerne vermeiden zu unserer alten Wohnung zu fahren. Es ist, als würde ich meine Vergangenheit auslöschen. Als würde ich alles, was ich einst geliebt habe, hinter mir lassen. All die Erinnerungen an die schönen Zeiten, weg. Für immer.
Mom? Ich bin wieder zuhause!«, rufe ich, als ich nach meinen Vorlesungen in die Wohnung komme. Endlich habe ich dieses schwierige Thema verstanden. Außerdem habe ich heute einen schönen Tag mit Jasmine und Chase verbracht, der lustiger kaum hätte sein können. Na ja, wenn man die vielen Schwärmereien meiner Freundin nicht mitrechnet. Ich verstehe immer noch nicht, wie man so auf einen Kerl abfahren kann.
»Mom?«, rufe ich ein zweites Mal und lege meinen Rucksack auf einen Stuhl beim Esstisch ab. Ich frage mich, ob meine Mutter überhaupt zuhause ist, aber eigentlich hat sie heute frei. Ich schaue auf mein Handy und gehe unsere Nachrichten durch. Nicht eine Antwort hat sie mir auf meine Nachrichten gesendet und so langsam mache ich mir wirklich Sorgen. Ich wähle ihre Nummer und warte darauf, dass sie ans Handy geht. Fehlanzeige. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht nur die Mailbox an. Na super. Wo ist sie denn auf einmal hin?
Ich lege mein Handy neben mich und widme mich vorerst dem Abendessen. Ich habe meiner Mom versprochen, heute zu kochen, da sie im Moment krank ist und viel Unterstützung braucht. Und gegen meine Spaghetti Bolognese gewinnt nicht einmal die härteste Grippe. Ich beginne also das Fleisch vorzubereiten und Tomaten zu schneiden. Dabei frage ich mich die ganze Zeit, wo meine Mutter sein könnte. Die Arztpraxen haben um diese Uhrzeit bereits zu, genau wie die Apotheken. Ob sie einen Spaziergang macht? Das sähe ihr aber nicht ähnlich und falls doch, hätte sie mir eine Nachricht hinterlassen. Nie geht sie irgendwohin, ohne Bescheid zu sagen. Das war schon immer eine ungeschriebene Regel unter uns.
Ich beginne die Knoblauchzehen zu schneiden, als mein Handy klingelt. In der Hoffnung, dass es meine Mom ist, schnappe ich es mir. »Ja?«
»Du hast meine Nachrichten ignoriert«, knurrt Jasmine ins Telefon und bringt mich dazu, zu seufzen. Ich lehne mich an die Küchenzeile und klemme mein Handy zwischen mein Ohr und meine Schulter.
»Tut mir leid, ich hatte viel zu tun. Außerdem ist im Bus kein Empfang.« Jasmine ist eine gute Freundin für mich geworden. Wir sind zwar nicht im gleichen Semester, doch sie hat denselben Lieblingsplatz wie ich. Und seit wir uns immer unter dem Baum treffen, versucht sie mich zu überreden, mit ihr auf eine Campusparty zu gehen.
»Ich verzeihe dir«, murmelt die Rothaarige. Gerade in diesem Moment finde ich es schade, dass sie nicht sieht, wie ich skeptisch eine Augenbraue nach oben ziehe und die Augen verdrehe. Jasmine ist gewöhnungsbedürftig und doch muss ich sagen, dass ihre Art ziemlich erfrischend ist. Zumindest meistens. »Also. Gehen wir heute Abend einen draufmachen?«
Wieder seufze ich. »Ja, aber lass mich erst mal den Abend mit meiner Mom verbringen. Ich bin gerade dabei zu kochen.« Jasmine weiß, wie viel mir meine Mutter bedeutet, weshalb sie auch immer ruhig bleibt, sobald ich diese Karte ausspiele. Im Telefon höre ich zunächst nur ein Brummen.
»Gut. Ich erwarte dich um elf Uhr auf dem Campus. Hast du ihr gesagt, dass du bei mir schlafen kannst?« Schon oft hat sie versucht, mich zu überreden ins Wohnheim zu ziehen. Sie hat zwar kein Einzelzimmer, aber das andere Bett steht schon die ganze Zeit leer. Und da die Uni niemanden mehr annimmt, bleibt das wohl auch vorerst so.
»Ja, ja, hab ich. Ich muss jetzt weitermachen, die Pfanne ist heiß. Bis später.« Ich lege auf, ohne auf eine Antwort von ihr zu warten. Nachher sehen wir uns ja sowieso noch. Eigentlich ist mir im Moment nicht nach Party. Gerade die Ladys sind mir ein Dorn im Auge. Aber vielleicht tut es mir ganz gut, mal rauszukommen, nachdem ich meine Mom mit Essen versorgt habe.
Als das Fleisch in der Pfanne brutzelt, höre ich, dass mein Handy schon wieder klingelt, weshalb ich sofort alles stehen und liegen lasse, um ranzugehen. »Mom?«, frage ich reflexartig, doch erschrecke, als ich eine männliche Stimme am anderen Ende vernehme.
»Spreche ich mit Andriana Fleming?«, will der Mann wissen und lässt mich genervt aufstöhnen. Sicherlich ist das wieder ein nerviger Werbeanruf, den ich schon seit Wochen bekommen.
»Ja, richtig«, antworte ich und laufe zurück zu meiner Soße, die bereits hervorragend aussieht. Mom wird sich freuen, wenn sie reinkommt und riecht, was ich hier vollbracht habe.
»Hier spricht das Emory University Krankenhaus. Es geht um Ihre Mutter Karen Fleming.« Mein Blick erstarrt. Das Krankenhaus?
So schnell ich kann, laufe ich durch die Gänge des Emory University Krankenhauses. Ich habe den letzten Bus genommen und muss wahrscheinlich die fünfzehn Kilometer zurücklaufen. Doch das ist mir völlig egal. Der Arzt am Telefon hat mir nicht gesagt, was Sache ist. Nur, dass ich so schnell, wie möglich kommen soll. Außer Atem erreiche ich die Information. »Entschuldigen Sie? Mein Name ist Andriana Fleming. Sie haben mich angerufen, wegen meiner Mutter.« Ich spüre kleine Schweißperlen auf meiner Stirn, die langsam, aber sicher in mein Gesicht laufen.
Die Frau an der Information wird etwas blass, als sie auf ihren PC sieht. »Ja, äh … bitte gehen Sie in den ersten Stock zu Mister Coleman.«
Schnell bedanke ich mich und renne die Treppen hoch in den ersten Stock. Nur der Adrenalinschub sorgt dafür, dass ich nicht vor Sorge in Ohnmacht falle oder mich übergebe.
Ich sehe schon bald einen älteren Mann, der auf irgendwelche Papiere starrt.
»Hallo. Ich bin Andriana Fleming. Sie haben … Sie haben mich angerufen.« Meine Brust senkt und hebt sich, doch ich kann mich nicht beruhigen. Nicht, solange ich meine Mom nicht gesehen habe.
Auch Doktor Coleman wird etwas blass um die Nase, als er mich sieht. Sein Räuspern macht mir allerdings die meiste Angst.
»Ja. Gut, dass Sie gekommen sind. Ihre Mutter hatte einen Autounfall. Sie … wurde aus einem brennenden Wagen gezogen und …« Meine Mutter hatte einen Autounfall? Sie ist die sicherste Fahrerin, die ich kenne. »Es tut mir leid, aber wir konnten Ihre Mutter nicht retten.«
Kaum hat Coleman diesen Satz ausgesprochen, höre ich das Blut in meinen Ohren rauschen. Mir wird schwindelig und schlecht zugleich. Ich weiß nicht, ob ich mich nicht gleich übergeben muss.
»Miss Fleming?« Die Stimme des Arztes höre ich kaum noch. Ich fühle mich, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Meine Mom ist … tot?
Nachdem ich mich etwas frisch machen konnte, gehe ich auf direktem Weg zu der Wohnung, in der meine Mom und ich gefühlt ewig gelebt haben. Ich will den Schlüssel nicht abgeben, aber ich muss es tun, um mein neues Leben zu starten. Wenn ich eine erfolgreiche Juristin werden will, heißt das auch, dass ich gewisse Dinge gehen lassen muss. Die Beerdigung meiner Mutter liegt nun schon länger zurück und doch habe ich nicht das Gefühl, dass ich damit abgeschlossen habe. Wir waren das Team schlechthin und nun bin ich alleine. Ich habe keine Geschwister oder Verwandten in der Nähe. Auch meinen Vater kenne ich nicht und wollte ihn auch nie kennenlernen. Dieses Arschloch hatte meine Mutter schon verlassen, als ich noch in ihrem Bauch war. Laut ihr war er nichts weiter als ein One–Night–Stand, der sich sofort aus dem Staub gemacht hat, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. Tja, und das machte die große Karen Fleming zu einer alleinerziehenden Mutter. Trotz der Umstände hat sie mich aber sehr gut großgezogen. Ich bin selbstständig aufgewachsen und kam gut damit klar, dass sie ständig arbeiten war, um die Miete zahlen zu können. Mir schon mit sieben Jahren selbst die Schulbrote zu machen, war für mich also eine Selbstverständlichkeit. Aber wie selbstständig ich auch bin, ich fühle mich nun so allein, so hilflos. Besonders was mein Studium betrifft, zum Beispiel, dass ich meiner Mom nicht sagen kann, wie gut ich in den Prüfungen abgeschnitten habe. Doch ich ignoriere meinen Schmerz und mache weiter. Etwas anderes bleibt mir sowieso nicht übrig.
Im Bus herrscht wie immer, eine große Unruhe. Die Kinder streiten sich, die Mütter sind überfordert und der Busfahrer sieht aus, als würde er gleich einschlafen. Nur ein paar alte Männer beschweren sich über den Lärm und versuchen sich die Ohren zuzuhalten. »Können Sie ihr Kind nicht ruhig halten?«, fragt ein alter Mann, eine Frau, die offensichtlich mit der momentanen Lage überfordert ist.
»Entschuldigen Sie, aber meine Kinder müssen selbst lernen, wann es an der Zeit ist, ruhig zu sein«, knurrt sie zurück, was mich überrascht. Eigentlich sieht sie für mich nicht wie ein dummer Mensch aus, aber das hier zeigt mir mal wieder, dass man niemals vom Äußeren ausgehen sollte. Ich kann mir ein Schnauben nicht verkneifen und sehe aus dem Fenster, in der Hoffnung, dass mich der Anblick der Bäume und Gebäude etwas ablenkt. Fehlanzeige.
»Wenn Sie so Ihre Kinder erziehen, sind wir verloren, Mädchen!«, zischt der alte Mann jetzt und tatsächlich muss ich ihm recht geben. Manche Eltern erziehen ihre Kinder wie die letzten Idioten. Immer wieder bekomme ich im Bus mit, wie sich Jugendliche oder Kinder, wie Arschlöcher benehmen. Meine Mutter hatte mir damals noch gezeigt, wie man sich anständig verhält, und mir dann den Arsch gepudert, wenn ich es auch verdient hatte. Gute Noten, den Haushalt machen – ich konnte viele Punkte sammeln, wenn ich wollte. Wurde ich frech, gab es eine Menge Verbote und andere Strafen.
Als ich aus dem Bus steige, sehe ich sofort das große Mehrfamilienhaus, in dem immer sehr angenehme Menschen gelebt haben. Das alles ist jetzt vorbei. Für immer. Ich werde nie wieder hierher kommen, um etwas zu holen. Nie wieder Miss Evans begrüßen, die mir vom Fenster aus zugewinkt hat. Auch jetzt ist sie nicht da, um mich zu begrüßen. Um diese Uhrzeit ist sie immer im Bett, nachdem sie den ganzen Vormittag den Haushalt gemacht hat. Sie hat uns immer die leckersten Kuchen gebacken, weil wir den Flur sauber gehalten haben.
Unsere Wohnung war nicht die größte. Die kleinen Fenster und die knapp geschnittenen Räume haben es uns schwergemacht neue Möbel zu kaufen, um sie zu platzieren. Aber all das war mir egal, ich war glücklich an diesem Ort. Wir haben die schönsten Zeiten gehabt und nun gebe ich das alles ab an fremde Menschen, die in unserer Wohnung ihre eigene Geschichte schreiben werden.
Leise seufze ich, ich ziehe meinen Rucksack etwas höher auf meine Schultern und steuere unsere Wohnung an. Die vielen Treppenstufen bin ich mittlerweile nicht mehr gewohnt und schon nach einigen Schritten außer Atem. Erst oben, kann ich mich etwas beruhigen.
»Miss Fleming, Sie sind etwas zu spät«, murmelt mein Vermieter und legt sein Klemmbrett auf dem Treppengeländer ab, um mir die Hand zu schütteln.
Ich mochte ihn eigentlich immer. Wenn es Mängel gab, hat er sich schnell darum gekümmert und war auch sonst ziemlich freundlich. Er ist zwar sehr trocken in seiner Art, aber dennoch war ich froh, dass er unser Vermieter war. Ihn jetzt zu verlassen, tut irgendwie weh. Dabei hatte ich nicht mal viel mit ihm zu tun. Nur an eine Situation werde ich mich immer erinnern. Meine Mutter und ich hatten gerade das Abendessen vorbereitet, als wir hörten, wie Mr. Collins draußen laut fluchte. Neugierig schauten wir aus dem Fenster und sahen, wie er versuchte, eine riesige, aufblasbare Giraffe in seinen winzigen Kofferraum zu quetschen. Unser normalerweise so ernsthafter und strenger Vermieter, hatte dieses riesige Gummitier anscheinend auf dem Flohmarkt ergattert. Trotz seiner trockenen Art war er ein liebender Onkel, der alles für seine Nichte tat. Doch die Szene war einfach zu komisch, um sie zu ignorieren. Die Giraffe war mindestens drei Meter hoch und weigerte sich, in den kleinen Kofferraum zu passen, wie sehr er auch drückte, an ihe zerrte oder fluchte. Als das Wetter umschlug, luden wir ihn ein, sich in unserer Wohnung auszuruhen. Und zu unserer Überraschung saßen wir stundenlang zusammen und unterhielten uns viel netter als sonst. Ja, er wird mir fehlen.
»Tut mir leid. Der Bus hatte Verspätung«, sage ich außer Atem und lasse den Rucksack von meiner Schulter gleiten.
»Schon okay. Die neuen Mieter sind …«, beginnt er und verstummt, als ein Pärchen aus meiner Wohnung kommt, das sehr glücklich aussieht. Die junge Frau und der etwas ältere Mann sehen mich an und haben dieses gewisse Leuchten in den Augen, was mir sagt, dass es die Richtigen für die Wohnung sind. Hoffentlich fügen sie sich gut hier ein. Ich hätte nicht damit leben können, wenn irgendwelche Arschlöcher hier einziehen würden. Gerade für Miss Evans, die es schon immer geliebt hat, anderen eine Freude zu machen. Sie freute sich beinahe mehr darüber, uns etwas zu backen, als wir.
»Ah, Sie müssen Miss Fleming sein. Unser Beileid zu Ihrem Verlust. Wir … sind sehr froh, dass wir in diese schöne Wohnung ziehen können«, lächelt die junge Frau sanft und gibt mir direkt ein besseres Gefühl, weshalb auch ich anfange zu lächeln.
»Danke, ich … hoffe, Sie fühlen sich hier wohl.« Mehr weiß ich nicht zu sagen. Trotz allem tut es weh, diesen Teil meines Lebens zurücklassen zu müssen. Immerhin bin ich hier aufgewachsen. Die Nachbarn waren ein Teil meiner Familie und haben sich oft um mich gekümmert, wenn meine Mom bis spät in die Nacht arbeiten musste. Ich hatte so gut wie jede Handynummer und wenn ich mal ein bisschen Geld brauchte, durfte ich mich um die Haustiere kümmern, um etwas hinzuzuverdienen.
»Bitte unterschreiben Sie hier. Den Schlüssel haben Sie dabei?«
Ich erinnere mich noch gut daran, als unser Backofen kaputt war und unser Vermieter einen Tag später mit einem neuen vor der Tür stand. Da wir aber nicht wussten, wie man so ein Ding einbaut, hat er sich einige Stunden dafür Zeit genommen, um ihn uns einzubauen. Dabei entstanden die lustigsten Gespräche und da er so gut in Mathe ist, half er mir sogar bei den Hausaufgaben.
Ich nicke und hole den Schlüssel aus meinem Rucksack, um ihn der jungen Frau in die Hand zu drücken. Dankbar lächelt sie mich an, was mir beinahe das Herz bricht. Doch ich behalte meine lächelnde Miene bei und wende mich wieder zu meinem Vermieter, der mir weiterhin Stift und Zettel entgegenhält. Nach dieser Unterschrift wird meine Zukunft besiegelt und die Vergangenheit mir genommen sein. Doch ich weiß, dass ich nur so damit abschließen kann. Dass ich nur so in die Zukunft schauen kann.
Meine Hand zittert, als ich unterschreiben will.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
Die sanfte Stimme meines Vermieters gibt mir ein bisschen Halt, aber trotzdem kämpfe ich gegen die Tränen an. In meinem Kopf höre ich die Stimme meiner Mom, die mir Mut macht, dass alles gut werden wird und sie nicht sauer oder enttäuscht von mir ist.
»Schon gut. Ich … bin nur etwas kaputt von der Uni«, lüge ich und sehe die mitleidigen Blicke der neuen Mieter. Zitternd setze ich den Stift an und atme noch einmal tief durch. Das kann doch nicht so schwer sein. Unterschreib endlich, Andriana.
Nachdem ich meine Unterschrift auf das Papier gesetzt habe, höre ich schwere Schritte im Treppenhaus, die mich aus meiner Starre holen. Ein Postbote, der genauso schwer atmet wie ich vorhin, bleibt vor uns stehen und braucht einige Sekunden, um sich zu beruhigen.
»Können wir Ihnen helfen?«, will mein Vermieter wissen und hebt eine Augenbraue.
»Ich suche Miss Fleming. Ist sie zuhause?«, fragt der junge Mann und sieht uns der Reihe nach an.
Mir wird übel. Eigentlich sollten doch alle Unternehmen wissen, dass meine Mom schon seit Monaten tot ist.
Gerade will mein Vermieter das Wort ergreifen als ich ihm zuvorkomme: »Ich bin Miss Fleming.« Ich habe keine Kraft mehr, zu erklären, dass meine Mutter nicht mehr unter uns weilt, deswegen nehme ich den Brief an mich, um ihn später im Kamin unseres Wohnhauses auf dem Campus zu verbrennen. Natürlich erst, wenn ich geklärt habe, welche Firma jetzt noch was von meiner Mom will. Dabei habe ich wochenlang immer wieder erklärt, was passiert ist, bis ich weinend zusammengebrochen bin. Nochmal kann ich das nicht.
»Oh, das ist gut, hier«, lächelt der Mann und hält mir einen Brief hin, der allerdings nicht so aussieht, wie Werbung oder irgendetwas in der Art. Seine Hände sind tätowiert und auch sein Gesicht ist voller Piercings, was ihn wie einen Punk aussehen lässt. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag«, grinst er und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist.
Moment, möchte er keinen Ausweis sehen? Dieser Brief scheint nämlich streng vertraulich zu sein.
Mit großen Augen sehe ich ihm hinterher und wende dann meinen Blick auf den Brief. Ja, ganz sicher. Er hätte meinen Ausweis gebraucht. So einen Brief bekommt man nicht, ohne sich auszuweisen. Er muss neu in seinem Beruf sein.
»Erledigen wir den Rest in der Wohnung?«, fragt mein Vermieter, doch ist diese Frage ist nicht an mich gerichtet. Ich bin nun offiziell raus, weshalb ich mich leise räuspere, bevor ich anfange zu heulen.
»Gut, ich … wünsche Ihnen alles Gute.« Mir fällt das Lächeln schwerer als vorhin. Das letzte Mal stehe ich vor meiner Wohnung. Das letzte Mal in diesem Treppenhaus. Mir wird schlecht.
»Das wünschen wir Ihnen auch. Vielen Dank nochmal und viel Glück mit Ihrem Studium.« Die junge Frau scheint ein guter Mensch zu sein und offensichtlich ist sie schwanger, was ein kleines Gefühl des Glücks in mir erzeugt. Es ist das Richtige. Ja, das ist es. Muss es sein.
Nachdem ich mich von allen verabschiedet habe, laufe ich die vielen Stufen hinunter zum Ausgang und bleibe vor einer Bank stehen, die direkt vor meiner ehemaligen Wohnung steht. Hier saß ich immer, wenn ich mich mit meiner Mom gestritten hatte und Luft brauchte. Hier habe ich auch die merkwürdigsten Menschen getroffen, von denen einige sogar so etwas wie Freunde von mir wurden. Darunter ein Obdachloser namens Bruce, der mir beinahe ein Ohr abgekaut hat, als er mir immer wieder sagte, wie wichtig es sei, seinen Träumen zu folgen. Das habe ich natürlich getan. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Mom, die nicht die beste Schulbildung hinter sich hatte. Bruce hörte mir zu, wenn ich eine schlechte Note nach Hause brachte, und dafür brachte ich ihm jeden Donnerstag das leckerste Sandwich der Stadt. Als er starb, war ich viele Wochen traurig und habe diese Bank gemieden. Doch nun sitze ich wieder hier und schaue auf das, was dieser Postbote mir in die Hand gedrückt hat.
Der Brief macht mich neugierig. Wieso sollte meine Mom streng vertrauliche Post bekommen? Sie hatte schon vorher keine Abrechnungen oder sonst was mehr bekommen. Außerdem weiß ich genau, wo sie angemeldet war und wo nicht. Immerhin habe ich mich eine lange Zeit um ihren Papierkram gekümmert.
Die Neugierde in mir gewinnt und ich sehe mich noch einmal um, bevor ich den Umschlag öffne. Es kann nichts Offizielles sein, denn ich sehe kein Siegel oder irgendein Logo auf dem Briefbogen, als ich ihn entfalte. Es wundert mich auch, dass kein genauer Absender vermerkt ist. Im Grunde sieht es eher aus, als wäre es nichts weiter als ein persönlicher Brief. Aber alle Freunde von meiner Mom waren mir bekannt, genauso wie die kleineren Liebschaften, die sie zwischendurch immer mal hatte.
Als ich aber lese, was auf dem Blatt steht, fallen mir fast die Augen aus dem Gesicht. Das soll wohl ein Witz sein! Völlig baff, wird mir klar, dass meine Mom scheinbar etwas gewonnen hat. Sie wurde in einem Gewinnspiel ausgelost und darf sich nun über eine halbe Million Dollar freuen. Ich habe nicht mitbekommen, dass sie an Gewinnspielen teilgenommen hat, und nun soll sie auch noch gewonnen haben? Nach ihrem Tod? Herrgott.
Ich fahre mir über das Gesicht und starre fassungslos auf das Schriftstück in meiner Hand. Es sieht nicht danach aus, als wäre es ein Fake. Dazu ist die Aufmachung einfach zu professionell. Ob ich den Gewinn für sie annehmen darf? Immerhin bin ich auch eine Fleming.
Als ich höre, dass einige Menschen an mir vorbeilaufen, halte ich den Brief fest an meinen Körper, um ihn niemandem zu zeigen. Es wird darin genau angegeben, wohin ich gehen muss. Tatsächlich kenne ich den Ort. Auch die umliegenden Gebäude sind mir nicht fremd, genauso wenig wie der öffentliche Platz davor, den immer viele Menschen benutzen. Scheinbar soll ich von einem Chauffeur abgeholt werden. Ob das Ganze mit rechten Dingen zugeht? Meine Mutter war ein guter Mensch und hat sich mit jedem gut verstanden, niemals wäre sie in komische Dinge verstrickt gewesen. Und da der Treffpunkt sowieso öffentlich ist, brauche ich mir doch keine Sorgen machen, oder? Das hier scheint offiziell zu sein, also kein Grund zur Sorge. Ich werde mit den Veranstaltern sprechen und hoffen, dass sie mir den Gewinn zukommen lassen.
Mein Herz pumpt, als mir klar wird, dass genau das schon immer der Traum meiner Mutter war. So oft hat sie mir ins Ohr geflüstert, wie unser Leben aussehen würde, wenn wir reich wären. Dass wir das beste Essen genießen könnten und keine Sorgen mehr haben werden, dass sie nicht mehr so viel arbeiten muss und wir viel zusammen unternehmen könnten. Nun, da sie nicht mehr da ist, wird das wohl ein Traum bleiben, aber den Rest könnte ich alleine wahr machen. Für mich und für sie.
Ich nehme mir vor, die Einladung anzunehmen. Keine Ahnung, ob ich am Ende wirklich die Möglichkeit haben werde, den Gewinn zu erhalten, aber ich muss es versuchen. Den Haufen Schulden, den es gibt, kann ich niemals alleine und auf einen Schlag begleichen. Und auch für mein Studium wäre es besser etwas auf der hohen Kante zu haben. Das würde mir alle Sorgen nehmen, ohne, dass ich etwas dafür tun muss. Vielleicht bin ich naiv, vielleicht bin ich auch absolut dämlich, so etwas zu tun, aber mein Plan steht. Egal, was kommt, ich werde heute Abend zu diesem Ort gehen und mir das Ganze anschauen. Und wenn ich das Pfefferspray mitnehme, das mir Jasmine geschenkt hat, bin ich bestimmt auf der sicheren Seite.
Ich reibe mir die Augen, als ich zurück in mein Zimmer komme. Am liebsten würde ich mich hinlegen, aber dafür habe ich keine Zeit. Den Brief habe ich in meinem Rucksack. Ich nehme mir vor, Jasmine vorerst nichts davon zu erzählen und erstmal alleine zu schauen, was es damit alles auf sich hat. Denn meine Freundin kann den Mund nicht halten, wenn man ihr etwas sagt, deshalb werde ich sie dann doch lieber vor vollendete Tatsachen stellen. Außerdem ist sie anscheinend gerade so vertieft sich zu schminken, dass sie mir eh nicht zuhören würde.
»Hey«, begrüße ich sie und werfe meinen Rucksack in eine Ecke, um mich danach auf mein Bett zu legen. Der Weg zur alten Wohnung hat mich müde gemacht. Schön wäre es, eine Stunde zu schlafen, aber das kann ich mir wohl abschminken.
»Du kommst gerade richtig. Ich werde mich gleich verpissen und auf Noah–Suche gehen«, grinst sie und zieht ihren Lidstrich zu Ende, bevor sie zu mir schaut. »Und du verbringst also den Abend alleine?«
Mist, ich muss mir etwas einfallen lassen, um ebenfalls raus zu können. Ich weiß nämlich genau, dass sie mich sonst mit auf die Party schleppen wird, auf die ich absolut keine Lust habe. »Sieht so aus, als müsste ich heute noch arbeiten.« Das ist alles, was mir einfällt.
Laut atmet Jasmine ein und steht abrupt auf. »Was? Sind die bescheuert? Du brauchst auch mal einen Tag Pause. Hast du denen das gesagt?«
»Regelmäßig. Aber du weißt, dass ich das Geld brauche. Außerdem gibt es am Wochenende immer extra Kohle.« Es tut mir leid, meine beste Freundin anlügen zu müssen. Etwas anderes bleibt mir aber nicht übrig.
»Du willst ja auch das Geld nicht annehmen, das meine Mom dir anbietet. Das würde so vieles leichter machen, Ria.«
Gott, fängt das schon wieder an. Ja, Jasmines Eltern haben viel Geld und könnten mir eine große Last von den Schultern nehmen, aber ich bin einfach zu stolz. Schon von klein auf habe ich alles alleine machen müssen und das wird nicht aufhören, nur weil es gerade in meinem Leben schwierig ist. Das bin ich nicht und so will ich auch nicht sein.
Ich hebe eine Augenbraue und hoffe, dass das für sie die Antwort darauf ist.
Jasmine versteht sofort, was ich an ihrem lauten Seufzen merke.
»Du bist unverbesserlich, Fleming. Aber bitte, dann arbeite dich halt kaputt. Ich werde hier sein und dir so oft gegen die Stirn schnippen, bis du es verstanden hast.«
Ich weiß, dass sie es nur gut meint und dass sie es als ihren Job sieht, mich zu belehren. Dabei vergisst der freche Rotschopf gerne mal, dass ich mit meinen 21 Jahren durchaus in der Lage bin, selbst zu entscheiden.
»Hab dich auch lieb«, schmunzele ich und gehe zu meinem Schrank, um mir ein paar Kleidungsstücke zurechtzulegen. Da Jasmine glaubt, dass ich heute im Club arbeite, muss ich wohl oder übel etwas in der Art tragen. Also hole ich ein schwarzes Crop Top und eine enge Jeans heraus, die übliche sexy Arbeitskleidung für den Club. Ich hasse es. Gerade durch meine italienischen Wurzeln werde ich immer wieder angebaggert und muss beinahe jeden Abend die Security zur Hilfe holen, da viele Männer einfach nur widerlich sind. Gut, dass ich heute von dem Laden fern bleiben darf.
Nachdem Jasmine endlich fertig damit ist, ihr Gesicht zum Glitzern zu bringen, umarmt sie mich noch einmal und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Morgen gehen wir einen Kaffee trinken. Keine Widerrede!«, grinst sie.
Ich verdrehe schmunzelnd die Augen. »Gut, aber nur, wenn ich bezahlen darf.« Ich habe zwar nicht viel Geld zur Verfügung, aber mich durchfüttern lassen will ich auch nicht. Diesen Deal musste Jasmine mit mir eingehen, auch wenn sie mehrmals gesagt hat, was sie davon hält.
»Gott, manchmal könnte ich dich … aber gut. Machen wir so. Pass auf dich auf und wünsch mir Glück.« Sollte Jasmine wirklich die Chance haben, diesem Noah näher zu kommen, glaube ich kaum, dass sie weit mit ihm gehen wird. Sie hat zwar immer eine große Klappe, aber wenn es darauf ankommt, zieht sie gerne mal den Schwanz ein. Außer es geht um hübsche Jungs.
Ich nicke und nehme meinen Rucksack, um ihn über meine Schulter zu legen. »Klar doch. Viel Glück.« Hoffentlich komme ich nie in so eine Lage. Allerdings habe ich gerade den Kopf sowieso woanders. Lieber bezahle ich meine Schulden, als mich hoffnungslos in einen beliebten Idioten zu verlieben, der denkt, er sei was Besseres, weil er Kohle hat.
Aber das soll nicht mein Problem sein. Heute ist meine Chance an so viel Geld zu kommen, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss. Ich muss das Geld bekommen, koste es, was es wolle.
A