Wir Opfer - Kirstin Breitenfellner - E-Book

Wir Opfer E-Book

Kirstin Breitenfellner

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Beschreibung

Verkehrsopfer, Missbrauchsopfer, Opfer von Diskriminierung, Gewalt und Folter – das Opfer steht im Zentrum unserer angeblich so säkularen Kultur. Dabei wiegt kaum ein Begriff so tonnenschwer und ist dabei gleichzeitig so vertrackt.

Auf keinen anderen Umstand stürzen Medien sich so bereitwillig wie auf den, ein Opfer gefunden zu haben. Kirstin Breitenfellner legt die Wahrnehmung von Opferprozessen in der Öffentlichkeit dar, und analysiert die Interpretation und die Indienstnahme von Opfern für unterschiedlichste Zwecke. Eine ernüchternde Offenlegung unserer Opferversessenheit.

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Seitenzahl: 374

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Kirstin Breitenfellner

WIROPFER

WARUM DER SÜNDENBOCK UNSERE KULTUR BESTIMMT

Diederichs

© 2013 Diederichs Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Weiss | Werkstatt | München

unter Verwendung eines Motivs © shutterstock

ISBN 978-3-641-09684-7

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter:

www.diederichs-verlag.de

INHALT

Einleitung: Wir Opfer

1. Der Sündenbock und der Beginn der Kultur

2. Die Weltreligionen und das innere Opfer

3. Freund und Feind: Der Krieg und die Geschichte

4. Der Holocaust, das Verkehrsopfer und die Wutbürger

5. Schadensersatz: Vom Täterrecht zum Opferschutz

6. Medienskandale – oder: Wir verfolgen unsere Götter

7. Königsmord, Terroranschläge und Heldendämmerung

8. Gut ist, wer schwach ist? Was können wir tun?

Danksagung

Bibliografie

Anmerkungen

»Das Verhalten der Menschen wird nicht durch das bestimmt, was sich wirklich zugetragen hat, sondern durch die Interpretation davon.«1

(René Girard)

»Der Glaube an die natürliche Güte des Menschen ndet, weil die Realität ihn immer enttäuscht, unweigerlich in der Jagd nach Sündenböcken.«2

(René Girard)

»Es geht darum zu verstehen, dass Böses auch aus guten Ideen entstehen kann; Ideen, die wir auch weiterhin für richtig halten dürfen. Das macht die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht leichter, aber lehrreicher.«3

(Götz Aly)

EINLEITUNG: WIR OPFER

Es war der Tod eines Sechsjährigen, der aufgebrachte Angehörige nach einem Sündenbock suchen ließ. »Die 20-jährige Kepari Leniata wurde in Mount Hagen wegen angeblicher übernatürlicher Kräfte gefoltert und anschließend auf einem Abfallhaufen mit Benzin übergossen und verbrannt. Nur einige Wochen danach konnte die Polizei zwei weitere Frauen in letzter Minute retten. Auch ihnen wurde der Tod eines Kindes vorgeworfen. Die Ermittlungen ergaben dagegen, dass das Mädchen von zwei identifizierten Männern vergewaltigt und ermordet worden war, die dann selbst dem Lynchmob angehörten. Meist sind es Gruppen von jungen Männern, die auf Hexenjagd gehen, angetrieben zumeist von Angehörigen eines Opfers, die Vergeltung haben wollen oder fürchten, der böse Zauber könnte sich wiederholen. Menschenrechtsexperten und sogar die UNO sprechen mittlerweile von einem ›sozialen Terror‹, der die historischen Rituale an Brutalität weit übersteigt und auch in Gebieten vorkommt, wo es gar keine entsprechende Tradition gab.«

Die Vorfälle in Papua-Neuguinea, die Anfang des Jahres 2013 bekannt wurden4, demonstrieren nicht nur jene einzigartige Grausamkeit, die den Menschen vom Tier unterscheidet, sondern zeigen auch, wie fragil das Zusammenleben von Menschen in Umbruchzeiten ist und wie schnell kollektive Gewalt ausbrechen kann, besonders wenn sich keiner der Beteiligten Rechenschaft über deren Gründe gibt. Denn Sündenbockprozesse funktionieren nur blindwütig, wenn man nicht weiß, was man tut. Und unsere Zeit, in der sich so viele Lebensbereiche schneller verändern als je zuvor, Umbruchszeiten zu nennen, scheint doch eher ein Euphemismus als eine Übertreibung.

Wie aus dem Bericht hervorgeht, gab es auf Papua-Neuguinea auch früher schon rituelle Formen der Verfolgung, die unschuldige Opfer produzierten, also klassische Riten, die oft Sündenbockprozesse darstellen – aber sie kamen immerhin ohne stundenlange öffentliche Folter aus, waren weniger bösartig, sadistisch und voyeuristisch. Hier, bei uns, im »zivilisierten« Europa gibt es »so etwas« zum Glück ja nicht mehr. Oder?

Zumindest würde kaum jemand zugeben, sich am Leiden eines unschuldigen Opfers auszuagieren oder gar zu ergötzen. Trotzdem sprechen die Medien von nichts anderem: Welche Zeitung man auch aufschlägt, welchen Kanal man anschaltet, welche Website man anklickt, man sieht Opfer. Opfer von Naturkatastrophen, Krankheiten, Verbrechen, Wirtschaft und Politik und nicht zuletzt die Opfer zweiter Ordnung, die Opfer der Medien, die in den Medien wiederum vorgeführt werden.

Die »gefallenen« Politiker, Stars und Sternchen, die Skandale, die Hetzjagden gleichen, und Opfer wie Natascha Kampusch sowie vermeintliche Täter wie Jörg Kachelmann oder tatsächliche wie die Bombenleger des Boston-Marathon, die im April 2013 nicht nur von Polizei und FBI, sondern auch via soziale Medien mit Panik und Genuss gejagt wurden, demonstrieren eindrucksvoll, dass das Opfer lange nicht aus unserer anscheinend so säkularen Kultur verschwunden ist. Sie alle beweisen, wie sehr es immer noch ihr – irgendwie öffentliches, aber dennoch auf vertrackte Weise heimliches – Zentrum ausmacht.

Warum ist das so?

WARUM OPFER?

Etwas nicht zu verstehen kann ein hervorragender Motor sein. Am Anfang dieses Buches stand das Unverständnis. Ich saß als Kind in der Kirche, gerade durch die Kommunion zu einem vollwertigen Mitglied der Gemeinde aufgestiegen, und verstand es nicht: Warum musste Jesus sterben? Warum hat er sich geopfert? Warum muss es überhaupt Opfer geben?

Später studierte ich Literatur und Philosophie, aus der Kirche war ich schon ausgetreten, und da war sie wieder, diese anscheinende Notwendigkeit, dieser Appell, diese unverständliche Tat mit ihren schwülstigen Begründungen: das Opfer. In Sophokles’ Antigone, in Goethes Iphigenie, bei Nietzsche und Rilke. Sogar im sogenannten modernen Roman, etwa Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz, wo Franz Biberkopf, traumatisiert durch den Ersten Weltkrieg, aus dem Gefängnis entlassen wird. »Es lebe der Kaiser, lebe der Kaiser, das Opfer, das Opfer, das ist der Tod!«, hört er im Wahn die Stimmen aus dem längst vergangenen Krieg.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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