Wo das türkisblaue Wasser den lilablauen Abendhimmel berührt - Beate Fuhrmann - E-Book

Wo das türkisblaue Wasser den lilablauen Abendhimmel berührt E-Book

Beate Fuhrmann

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Beschreibung

"... und da, wo das türkisblaue Wasser den lilablauen Abendhimmel berührt, ist eine nie enden wollende Grenze ins Traumland. Dorthin werde ich reisen, in dem kleinen Papierboot, das du mir gemalt hast", schreibt die Schriftstellerin Manu. Sie hat die Ausstellung des Malers Enver in Berlin besucht und ist fasziniert, von seinen Bildern und von ihm. Über Monate hinweg gibt es einen intensiven E-Mail-Austausch, Manu schreibt, schickt Gedichte und Texte, lässt ihn teilhaben an ihren Gedanken und Gefühlen, an ihrem Leben - bis Enver plötzlich verstummt.

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Für Enver

Inhaltsverzeichnis

TEIL 1

3 Jahre später

TEIL 2

Variante 1

Variante 2

Variante 3

Variante 4

Variante 5

Variante 6

Literaturhinweise und Empfehlungen

TEIL 1

E-Mail am 2. August

Lieber Enver,

ich möchte einfach nur Danke sagen. Danke für dein Wirken, für so wundervolle, berührende Bilder! Nur vier Tage war ich in Berlin, aber dank meiner Freundin Celine hatte ich die Gelegenheit, deine Ausstellung zu sehen – und ich bin ihr so dankbar, dass sie mich dorthin geführt hat! Nicht sattsehen konnte ich mich an deiner Kunst – Celine hatte es geahnt, sie kennt meine Begeisterung für Bildimpulse, ich würde meinen Bleistift aus der Tasche ziehen und das Heft, das ich immer dabeihabe, und ich würde mich vor Bilder setzen und die Zeit vergessen und schreiben…

„Und da, wo das türkisblaue Wasser den lilablauen Abendhimmel berührt, ist eine nicht enden wollende Grenze ins Traumland. Dorthin werde ich reisen, in dem kleinen Papierboot, das du mir gemalt hast.“

Ein Text-Schnipsel für dich…

Voller Dankbarkeit und mit herzlichen Grüßen

Manu

E-Mail am 4. August

Lieber Enver,

ganz überrascht danke ich dir für deine schnelle Antwort! Nein, es war ganz einfach, deine E-Mail-Adresse stand auf dem Kärtchen, das ich bei der Ausstellung eingesteckt habe.

Aber deine Homepage habe ich mir natürlich auch angeschaut. So gerne wäre ich dir persönlich begegnet, aber du warst nicht mehr dort.

So berührend der gewählte Text, den du mitschickst, du liebst also Gedichte. Ich möchte dich am liebsten gleich mit Fragen bewerfen, eine verwandte Künstlerseele in dir finden - so weit entfernt - doch gepackte Koffer hindern mich daran. Eine Woche Yoga, Meditation und Entspannung will ich mir erlauben; wegtauchen, offline, Pause. Ich sende dir ein Lächeln, eins für jeden Tag, bis ich dich wieder lese.

Liebe Grüße

Manu

E-Mail am 11. August

Lieber Enver,

es war schön, dass eine Nachricht von dir auf mich wartete, als ich zurückkam. Du bist also in deiner Heimat unterwegs, da ist es jetzt bestimmt sehr heiß. Du schreibst, dass Menschen, die mit Literatur und Sprachen zu tun haben, dich sofort anziehen und einen besonderen Platz bei dir einnehmen. So geht es mir auch oft, dass Künstler, vor allem Maler, mich magisch anziehen. Ich muss gestehen, manchmal gehe ich in Gedanken wieder durch die Ausstellung, sehe deine Bilder, lasse mich fallen in die melancholische Stimmung und in deine kräftigen Farben. Ja, die Bilder mit den wunderbaren Farben haben mir am besten gefallen. Und sehr gerne nehme ich dein Angebot an, mir Fotos von einigen Bildern zu schicken. Wenn du erlaubst, würde ich sie gerne als Schreibimpulse in meinen Schreibwerkstätten einsetzen.

Und jetzt gehe ich Koffer auspacken.

Manu

1. E-Mail am 14. August (21:06 Uhr)

Lieber Enver,

das war ein merkwürdiger Tag, eigentlich wollte ich dir gleich heute Morgen schreiben, dir sagen, wie sehr ich mich über deine Nachricht gestern Mittag gefreut habe und die beiden Fotos - aber dann habe ich sehr lange geschlafen (weil ich gestern noch sehr lange geschrieben habe) und dann kam meine Schwester und wir sind zusammen in die Stadt gefahren, weil ihre Freunde aus Spanien zu Besuch sind und wir haben uns in einem kleinen spanischen Restaurant getroffen, Tapas bestellt, getrunken und erzählt und ich bin die sechs Kilometer zu Fuß nach Hause gelaufen, ein schöner Spaziergang. Dann habe ich meinen Text von gestern überarbeitet und angefangen, einen neuen zu schreiben, mit dem ich an einem Wettbewerb teilnehmen möchte. Und wenn ich anfange, kann ich nicht aufhören, drei Stunden habe ich geschrieben und jetzt mache ich mir etwas zu essen und freue mich! Deine Zitate gefallen mir, das Buch kenne ich. Und ich finde es auch schön, wenn Zitate aus Büchern fallen!

Bis nachher, ich schreibe später noch mehr! Liebe Grüße erst einmal...

Manu

2. E-Mail am 14. August (23:33 Uhr)

Das ist Leben

Wie sehr ich mir auch manchmal wünschte, dass etwas bleibt – nichts bleibt.

Die Freude nicht. Die Traurigkeit nicht. Die Sorglosigkeit nicht.

Aus schwer wird leicht, aus leicht schwer.

Aus nichts wird etwas, aus etwas wird nichts.

Aus morgen wird heute, aus gestern vorgestern.

Aus Abschied wird Wiedersehen, aus Leben wird Tod.

Aus immer wird manchmal, aus manchmal nie.

Der Anfang findet ein Ende. Das Ende findet einen neuen Anfang.

Genau so. Immer wieder.

Das Gedicht habe ich im Juli geschrieben, kurz nachdem mein Vater gestorben war. Wie lange wirst du noch auf Reisen sein? Und was machst du dort? Ich halte mich mal zurück mit Fragen, erzähle mir, was du erzählen magst. Heute Abend geht es mir endlich mal wieder richtig gut - so ist es, wenn ich alles wegschiebe und mich ganz dem Schreiben hingebe.

Ganz herzliche Grüße und ein liebevolles Lächeln für dich!

Manu

E-Mail am 18. August

Lieber Enver,

danke für das Kompliment – ich freue mich, dass dir mein Gedicht gefällt. So als hätte ich eine direkte Leitung bis in dein tiefstes Innerstes, schreibst du, und dass es dich getröstet hat – es berührt mich, dass du Trost brauchst. Es ist bestimmt anstrengend mit deiner Mutter, und jetzt, wo ihr nicht mehr am Meer seid, ist die Hitze tagsüber sicher unerträglich. Kein Wunder, wenn dir das Malen schwerfällt. Und dann bedankst du dich für die neuen Lächeln, weil die anderen allmählich zur Neige gingen, trotz deines sparsamen Umgangs damit - was Lächeln angeht, weißt du, damit bin ich sehr großzügig, ich habe gleich wieder mehrere auf die Reise zu dir geschickt, wie schön, dass du sie gebrauchen kannst und meine Worte dir guttun. Lange Zeit hatte ich keine Lächeln, keine für mich und keine zum Verschenken, aber das ist zum Glück wieder anders. Deine Nachricht zu lesen, hat mein Herz gewärmt und ich werde dieses schöne Gefühl mit in einen ausgefüllten Tag nehmen. Erzähl mir mehr von dir!

Herzliche Grüße

Manu

E-Mail am 21. August

Lieber Enver,

weiße dünne Wolkenschleier haben sich über den Himmel gelegt und ein kühler Wind hat mich begrüßt, als ich die Balkontüren öffnete. Die Sonne wirkt noch kraftlos und wird sich heute wohl zurückhalten, Regen ist angesagt. Ich lasse meinen Blick schweifen, am Ende meiner Aussicht treffen Nadelbäume auf den Himmel, dahinter verstecken sich Laubbäume, kaum zu sehen, die eine Ahnung von Herbst aussenden. Blüten, gelb, orange und lila zittern im Wind. Meine Gedanken gehen spazieren, fliegen zu dir. Wer bist du? Wie heißt die Stadt der unerträglichen Hitze? Was hat dich traurig gemacht? Schick mir von der Sonnenwärme!

Ich denk an dich

Manu

E-Mail am 24. August

Lieber Enver,

du schreibst so schön! Es ist, als ob ich ein Buch aufschlage und mich in ein anderes Leben hineinziehen lasse: die weit aufgerissenen Augen des kleinen Jungen angesichts der Schneemassen in Berlin, die stark geschminkte Hauswirtin beim Schnee schaufeln, das verschlossene Gesicht, weil der Hass auf die Schule so schwer zu schlucken ist und die Flucht ins Paradies, ein Garten, der in der Erinnerung unsterblich ist. Ich möchte die Hand ausstrecken und dich berühren... Du bist also damals zunächst zurück in die Türkei - und doch lebst du jetzt in Berlin?

Dein Bericht über deine Kindheit hat meine Dichterseele berührt und ich schrieb einen Text, den ich dir anhänge. Ich bin müde und morgen muss ich früh raus. Aber ich freue mich auf deine nächste Nachricht. Ich habe übrigens auch drei Geschwister... Smile!

Liebe Grüße von Manu

Anhang

Flucht ins Paradies

Die alten Obstbäume

Blüten und Blätter, dann Früchte

Feigen, Granatäpfel, Maulbeeren

Erinnerungen

unter jedem herabfallendem Blatt

hinter jedem Stamm,

eingeritzt in die Rinde

versteckt in der Süße des Obstes

das ich in der Großstadt esse

nicht nur ich, auch die Bäume sind gewachsen

die, die bleiben durften

stärker geworden, vielseitiger

die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen

aber wenn ich die Augen schließe

höre ich unser Lachen

Frühstück unter dem Feigenbaum

es ist das Kind

das durch den Garten tobt

nicht wissend, nur ahnend

gelernt habe ich hier, mich zu kümmern

zu schützen und zu verteidigen

was mir gehört

Erinnerungen an ein Paradies

das mir keiner nehmen kann

und Halt habe ich gefunden

gestern wie heute

die Sonne scheint zwischen Wolken

und die Erinnerung schmeckt bittersüß

E-Mail am 30. August

Lieber Enver,

deine Gedanken fliegen zu mir, schriebst du, Enver - sie kommen nicht an! Ist es zu heiß zum Schreiben? Hat dir mein Gedicht nicht gefallen? Vielleicht braucht dich die Malerei, haben dich deine Farben gepackt, neue Ideen sind aufgetaucht, halten dich fest, halten dich fern von mir…

Ich sehne mich nach Worten von dir

Manu

Keine Nachricht

Sie musste heute nicht früh aufstehen. Sie hatte einen freien Tag. Deshalb war sie auch nicht so früh schlafen gegangen. Sie hatte noch eine E-Mail verschickt, kurz nach Mitternacht. Am Morgen schrieb sie wie jeden Morgen ihre Seiten, schnell und ohne Pause mit der Hand, trank den Kaffee, wurde langsam wach. Das Wetter war nicht sommerlich, nein, dicke Regenwolken machten sich am Himmel breit. Sie duschte, kleidete sich an, fuhr den Rechner hoch. Nein, er hatte nicht geschrieben. Zu früh für eine Antwort. Ihre Schwester kam vorbei, eine Kollegin erschien zu einer kurzen Besprechung. Am Nachmittag machte sie sich auf den Weg in die Stadt, einkaufen, zur Post, beim Optiker vorbei. Es regnete. Es machte ihr nichts aus. Sie betrachtete die mürrischen Gesichter der Menschen, die ihr entgegenkamen. Regenschirme stießen aneinander, das Prasseln des Regens wurde stärker, sie zog ihre Kapuze über den Kopf. Sie hasste Regenschirme. Ihr Gesicht blieb freundlich und neugierig. In der Buchhandlung gab sie ihren Wettbewerbsbeitrag ab. Ein heiliger Moment, verbunden mit viel Hoffnung. Es wäre einfach zu schön, wenn ihr Text Beachtung finden würde.

Auf dem Nachhauseweg überlegte sie, was heute noch wichtig war. Als sie zuhause ankam, schaute sie als erstes in den Computer. Keine Nachricht von ihm. Sie seufzte. Wie schnell man in so eine Hoffnungsschleife gerät, überlegte sie und kochte Tee. Sie kannte ihn nicht. Sie wusste fast nichts von ihm. Das, was sie zu wissen glaubte, war doch Einbildung. Eine Illusion. Aber Illusionen hatten auch etwas Schönes. Die Illusion, dass da jemand war, der sich interessierte. Dass die Worte genau die Bedeutung hatten, die sie ihnen beimaß. Geschriebenes erhalten. Selber schreiben.

Sie arbeitete dann doch ein wenig an einem Auftrag, als sie keine Lust mehr hatte, checkte sie noch schnell die E-Mails. Er hatte nicht geschrieben. Bestimmt hatte er anderes zu tun. Sie dachte an den Garten, von dem er erzählte hatte. Die Worte, die ein Gedicht sein sollten, wollten sich nicht auf dem Papier festhalten lassen. Sie blieben im Kopf mit so viel Nicht-Geschriebenem. Eine merkwürdige Melancholie versperrte ihren Worten den Weg. Sie wollte nur schreiben. Am liebsten hätte sie alle Termine ignoriert, To-do-Listen verbrannt, Aufgaben übersehen – einfach nur schreiben. Dem Regen beim Regnen zuschauen und Worte finden für alles im Außen und im Innen. Das Licht beobachten, wie es hinter den Bäumen verschwindet und verfolgen, wie weiße Wolken hellgrau werden, dann dunkelgrau und dann aufgefressen werden von der Dunkelheit.

Am nächsten Morgen war ein Schreibfrühstück. Sie freute sich auf diese Schreibtreffen; wie immer begann ihr Tag mit Kaffee und drei Seiten schreiben, erst dann schaute sie kurz in ihr E-Mail-Postfach. Keine Nachricht von ihm. Vielleicht fand er ihre letzte Nachricht blöd. Vielleicht schrieb er noch anderen. Vielleicht mochte er sie nicht mehr, vielleicht…