Wo die Liebe Urlaub macht - Katie Fforde - E-Book

Wo die Liebe Urlaub macht E-Book

Katie Fforde

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Herzen Englands hat die geschiedene Gilly den Hof ihrer Eltern in ein kleines Urlaubsparadies verwandelt. Die einladende Atmosphäre, der Duft nach selbst gebackenem Shortbread, der Blick auf den farbenprächtigen Garten - um keinen Preis würde Gilly die gemütliche Pension aufgeben. Bis das Rendezvous mit dem charmanten Geschäftsmann Leo eine ungeahnte Perspektive eröffnet. Auch ihre Tochter Helena sieht als talentierte Webkünstlerin ihrer Zukunft erwartungsvoll entgegen. Dass ihr neuer Vermieter Jago ihr bei der bevorstehenden Handwerksmesse helfen will, ist nur ein freundschaftliches Angebot, oder nicht? Plötzlich sind manche Träume zum Greifen nah. Werden sie auch in Erfüllung gehen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 486

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. KapitelDank

Über dieses Buch

Im Herzen Englands hat die geschiedene Gilly den Hof ihrer Eltern in ein kleines Urlaubsparadies verwandelt. Die einladende Atmosphäre, der Duft nach selbst gebackenem Shortbread, der Blick auf den farbenprächtigen Garten – um keinen Preis würde Gilly die gemütliche Pension aufgeben. Bis das Rendezvous mit dem charmanten Geschäftsmann Leo eine ungeahnte Perspektive eröffnet. Auch ihre Tochter Helena sieht als talentierte Webkünstlerin ihrer Zukunft erwartungsvoll entgegen. Dass ihr neuer Vermieter Jago ihr bei der bevorstehenden Handwerksmesse helfen will, ist nur ein freundschaftliches Angebot, oder nicht? Plötzlich sind manche Träume zum Greifen nah. Werden sie auch in Erfüllung gehen?

Über die Autorin

Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.

Katie Fforde

Wo die LiebeUrlaub macht

Roman

Aus dem Englischen vonGabi Reichart-Schmitz

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Roman ist 2021 vorab als genehmigte Lizenzausgabe bei der Weltbild GmbH & Co. KG erschienen

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2020 by Katie Fforde

Titel der englischen Originalausgabe: »A Springtime Affair«

Originalverlag: Century/The Random House Group Limited, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: © Flora Press/Mina Hesse; © Artiste2d3d/Konmac/Matthew Dixon/Pitamaha/New Africa/Christian Nastase/Olga_Olechka/Potapov Alexander/Ben Schonewille/Artiste2d3d/aimful/Shutterstock

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-2081-6

luebbe.de

lesejury.de

Für Briony Wilson-Fforde, Heidi Fforde und Anastasia Fforde, meine Mädchen, deren Freundschaft und Unterstützung mir so viel bedeuten. Danke!

1. Kapitel

Helena war nicht glücklich. Sie hatte einen Überwurf mit einem ziemlich komplizierten Muster nahezu fertig gewebt, als sie von einem Klopfen an der Eingangstür unterbrochen wurde. Doch da sie eine Ahnung hatte, wer da vor der Tür stand, hatte sie das Gefühl, das Klopfen nicht ignorieren zu können. Daher löste sie das Tuch, mit dem sie sich die Haare aus dem Gesicht gebunden hatte, erhob sich vom Webstuhl und ging öffnen.

»Ja, bitte?«, fragte sie den Mann, der dort stand.

Er war erstaunlich groß und trug eine Jeans, ein Rugby-Shirt und Schuhe, die Helena für Bauarbeiterstiefel hielt. Er war von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt und lächelte ein bisschen zerknirscht, wahrscheinlich, um nicht bedrohlich zu wirken.

»Es tut mir schrecklich leid, Sie zu stören«, sagte er und strich sich die staubigen blonden Haare aus den Augen, »aber es gibt einen Notfall; es geht um ein Tier. Ich brauche jemanden, der ein bisschen kleiner ist als ich.« Rasch musterte er sie von Kopf bis Fuß. »Und Sie sind viel kleiner. Sie wären perfekt.«

Sein Lächeln war etwas schief und leicht besorgt, was es ihr schwer machte, ihm zu widerstehen.

»Geht es vielleicht ein bisschen genauer?« Helena war tierlieb, doch sie wollte ein paar Einzelheiten wissen, bevor sie sich auf die Sache einließ. Vielleicht wollte er ihre Unterstützung bei der Bändigung einer Schar wütender Gänse, wofür sie auf keinen Fall geeignet wäre.

»Es geht um ein Katzenjunges. Es gehört meiner Schwester, und Zuleika, die Katzenmutter, verzweifelt allmählich. Ich lasse sie nicht aus dem Haus, denn wenn sie zu ihrem Jungen klettert, macht sie das Ganze wahrscheinlich nur noch schlimmer.«

»Dann lassen Sie uns gehen.« Helena zog die Tür hinter sich zu, ohne sich die Mühe zu machen abzuschließen. Ihr Studio war einst ein Teil einer Scheune gewesen, die direkt neben dem Bauernhaus stand, in das ihr Vermieter vor Kurzem eingezogen war. Da alles zu ein- und demselben Anwesen gehörte, war es nicht besonders weit.

»Ich bin Ihnen so dankbar«, erklärte der Mann, als sie sich auf den Weg machten. »Ich habe wahrscheinlich schon zu lange versucht, es allein hinzubekommen, aber ich bin einfach zu groß.« Er blieb stehen. »Übrigens, ich bin Jago, Jago Pen…«

»Ich weiß, wer Sie sind«, unterbrach Helena ihn. »Ihr Name steht im Mietvertrag für mein Studio.«

»So ist es«, erwiderte er und ging weiter. »Kommen Sie, befreien wir das Katzenbaby aus seiner misslichen Lage.«

Sie brauchten nicht lange, um den Hof zu überqueren und das Haus zu erreichen, das eines Tages sicher entzückend aussehen würde. Es wirkte ziemlich zusammengestoppelt. Im Laufe der Jahrhunderte hatte man dem kleinen ursprünglichen Haus immer wieder Anbauten hinzugefügt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob nicht beispielsweise ein Gebäudeteil im georgianischen Stil neben einem Anbau aus viel früheren Zeiten seltsam aussehen könnte. Doch nach und nach waren die Unterschiede verwischt; das Ganze wirkte inzwischen bezaubernd.

Der Hof gehörte Jago Pengelly, Helenas Vermieter, aber obwohl er schon seit mehr als einem halben Jahr in seinem Besitz war, hatte er erst jetzt mit den Renovierungsarbeiten begonnen. Seine Anwesenheit bedeutete, dass Helena bald ausziehen musste. Sie arbeitete nicht nur in ihrem Studio, sondern wohnte auch dort.

Eigentlich wollte sie ihn hassen, doch ihr Sinn für Gerechtigkeit machte es ihr schwer. Eine Kündigungsfrist von sechs Monaten war mehr als großzügig. Hätte sie sich mehr Mühe gegeben, hätte sie wahrscheinlich inzwischen eine alternative Unterkunft für sich und ihren Webstuhl gefunden.

»Wir müssen hintenrum gehen«, erklärte Jago.

Enttäuscht, dass sie keinen Blick in sein Haus werfen konnte, folgte Helena ihm hinter das Gebäude. Vor einem großen Berg aus Erde und Schutt blieb er stehen. Er wirkte besorgt.

»Es hat einen kleinen Erdrutsch gegeben. Ich hätte nicht mit dem Bagger gearbeitet, wenn ich gewusst hätte, dass Zuleika und ihr Kleines in der Nähe waren. Ich dachte, Zulie wäre im Haus, aber sie muss nach mir hinausgeschlüpft sein. Das Junge ist ihr wohl gefolgt.«

»Wo ist denn das Kleine?«, fragte Helena.

»Dahinter.« Sie standen inzwischen hinter dem Haus, und er zeigte auf den großen Erdhaufen.

»Oh mein Gott! Können Sie nicht einfach zu der Katze klettern und sie rausholen?«

»Ich würde nur noch mehr Erde lostreten, die das arme Tierchen verschütten könnte.«

»Und was kann ich tun? Dasselbe könnte passieren, wenn ich zu dem Kätzchen klettere.«

»Im Haus gibt es ein Fenster, das auf den Erdrutsch herausgeht. Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen.«

Das Hausinnere war mehr oder weniger eine Baustelle, doch Helena hatte kaum Zeit, enttäuscht zu sein. Eilig folgte sie Jago in den hinteren Teil des Hauses.

»Da.« Er zeigte auf ein Fenster. »Wenn Sie rausschauen, sehen Sie die kleine Katze.«

Und da war sie, regelrecht winzig. Das rosafarbene Mäulchen war zu einem andauernden Schrei geöffnet. Das kleine Tier befand sich viel weiter unten als Helena und Jago.

»Es gibt keinen Weg aus dem Keller«, fuhr er fort. »Ich bin alle Möglichkeiten durchgegangen, und das hier ist die einzige Lösung. Wir müssen eine Leiter aus dem Fenster lassen, und Sie müssen runterklettern und das Kätzchen raufbringen. Vielleicht in einem Eimer?«

Helena schluckte, während sie über ihre Aufgabe nachdachte. Abzulehnen stand nicht zur Debatte, obwohl ihr bei dem Gedanken an eine Leiter in einem beengten Raum sofort der Schweiß ausbrach. Nervös wischte sie sich die Handflächen an ihrer Jeans ab. »Okay, fangen wir an.«

Jago holte eine Leiter, während Helena tief ein- und ausatmete. Dabei hörte sie Zuleika, die verzweifelte Katzenmutter, die versuchte, aus einem Zimmer in der Nähe zu gelangen. Das Miauen und das Kratzen an der Tür waren herzzerreißend.

»So!«, sagte Jago munter, als er eine ausziehbare Leiter in den Raum trug. Von Helenas Bedenken ahnte er nichts. »Ich versuche, das Kätzchen nicht zu zerdrücken, wenn ich die Leiter hinunterlasse.«

»Ist da überhaupt genug Platz für mich und die Metallleiter?«

»Sehen Sie es sich selbst an.« Er kämpfte mit der Leiter und war offensichtlich überrascht von der Frage.

Helena rührte sich nicht, bis die Sprossenleiter an Ort und Stelle war, und auch dann warf sie keinen Blick aus dem Fenster – das würde es auch nicht besser machen. »Okay!«, sagte sie betont optimistisch. »Ich steige jetzt runter.«

Es war nicht ganz einfach, aus dem Fenster zu klettern. Sie musste auf dem Fensterbrett balancieren, weil sie zu klein war, um einfach ein Bein auf die oberste Sprosse zu stellen. Die Leiter reichte nicht ganz bis ans Fenster.

»Ich könnte eine längere Leiter holen«, bot Jago an, als Helena sich ein bisschen unelegant auf das Fensterbrett hievte und er noch mit Schieben nachhelfen musste.

»Es geht schon«, erwiderte sie keuchend, »mein Fuß steht jetzt auf der obersten Sprosse.«

»Bevor Sie zu klettern beginnen, sehen Sie noch das hier an.« Jago zeigte ihr einen flexiblen Plastikkorb, an dessen Griff ein Seil gebunden war. »Ich lasse den Korb runter, Sie legen das Tierchen hinein, und ich ziehe es rauf. Dann müssen Sie sich nur darauf konzentrieren, die Leiter wieder raufzusteigen.«

Es klingt so einfach, dachte Helena. Es war auch einfach – ein paar Sprossen abwärts, das Kätzchen einsammeln, in den Korb setzen und dann die Leiter wieder raufklettern. Und schon wäre sie wieder aus dem sargähnlichen Loch heraus und zurück im Haus. Ein Kinderspiel!

Der körperliche Anspruch ist gering, sagte sie sich, während sie ihre Angst vor beengten Räumen zu vergessen versuchte. Doch der Versuch, ihrer Furcht keine Aufmerksamkeit zu schenken, hatte den gegenteiligen Effekt. Als ihr Fuß von der matschigen Leiter rutschte, wäre sie um ein Haar auf die kleine Katze getreten. Es war zu eng, um sich zu bewegen.

Jago, der sich aus dem Fenster beugte, erkannte das Problem. »Ich muss die Leiter zurückziehen«, erklärte er. »Sonst ist da unten nicht genug Platz. Stellen Sie sich auf ein Bein, bis das Ding aus dem Weg ist. Danach lasse ich den Korb runter.«

Helena schloss die Augen und atmete tief ein, während er die Leiter hinaufzog. Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie sich dem Erdhaufen gegenüber. Sie roch die Erde und hatte das Gefühl, sie auch auf der Zunge zu schmecken. Wie ein senkrechtes Grab, dachte sie, und sie begann erneut zu schwitzen.

»Hier unten ist nicht viel Platz«, sagte sie zu sich selbst und zu Jago. »Wir müssen es ohne den Korb versuchen. Ich muss mich umdrehen.«

Als sie den Fuß ein wenig zur Seite schob, rutschte ein bisschen Erde von dem Hügel. Einen Augenblick lang wagte sie nicht nachzusehen, ob es dem Kätzchen gut ging, doch dann hörte sie ein leises Fiepen. Ein Gefühl der Übelkeit, ein weiterer Schweißausbruch und die Angst, ohnmächtig zu werden, sagten ihr, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Wenn sie hier unten zusammenbrach, würde sie das Tierchen zerquetschen, und es würde ewig dauern, sich selbst aus dem Loch zu bugsieren – vor allem, falls noch mehr Erdreich nachrutschte.

Helena schluckte, griff nach unten und tastete rund um ihre Fußknöchel, bis sie das Katzenkind fand. Erleichtert hob sie es hoch und steckte es in ihr Oberteil. »Leiter!«, rief sie mit zittriger Stimme. Ihr war bewusst, dass sie sich jeden Augenblick übergeben, hyperventilieren oder in Tränen ausbrechen könnte – oder alles gleichzeitig.

Die kleine Katze versuchte, aus ihrem Ausschnitt zu klettern, doch Helena legte die Hand über den weichen Kopf und hoffte, dass sie das Tier nicht bei ihrem Rettungsversuch ersticken würde.

Endlich wurde die Leiter heruntergelassen, und Helena machte Platz, indem sie auf einen kleinen Erdhügel stieg. Dann griff sie nach den Seitenstreben und kletterte Sprosse um Sprosse hinauf.

Als sie oben ankam, streckte Jago die Hände nach ihr aus und zog sie durch das Fenster. Um ein Haar wäre sie auf dem Fußboden gelandet, doch er fing sie auf. Rasch zog er mit dem Fuß einen Stuhl heran, und sie ließ sich daraufplumpsen.

»Hatten Sie gerade einen Anfall von Platzangst?«, fragte er.

Helena nickte schwach.

»Das hätten Sie sagen sollen! Es tut mir so leid! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich jemanden anderes gesucht. Kommen Sie mit in die Küche, ich hole Ihnen einen Schluck Brandy.«

Er legte ihr den Arm um die Schultern und trug sie fast in die Küche. Ihre Hand lag immer noch auf dem Kätzchen in ihrem Ausschnitt, das sich heftig wehrte. Als sie in der Küche waren, angelte sie das Tier aus ihrem Oberteil. »Hier, sonst bekommt die Kleine auch Platzangst.«

Jago nahm ihr das sich windende Bündel ab und führte Helena zu einem zerkratzten und mit Farbe bespritzten Tisch. »Setzen Sie sich, ich bringe diesen kleinen Schlawiner mal eben zu seiner Mutter.«

Während seiner kurzen Abwesenheit erholte Helena sich ein bisschen und sah sich um. Sie hatte unbedingt einen Blick in das Haus werfen wollen, und jetzt hatte sie wenigstens die Chance, sich in der Küche umzusehen. Allerdings wäre es ihr lieber gewesen, nicht unter Schock zu stehen und von oben bis unten mit Matsch bedeckt zu sein.

Die Küche war groß und hatte an beiden Seiten Fenster. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wären mehrere Küchen zu einer zusammengefügt worden. Helena stellte fest, dass das Prinzip, immer wieder neue Teile anzubauen, das gleiche war wie außen am Gebäude, allerdings war die Wirkung hier weniger ansprechend. Die Arbeiten würden noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Jago kehrte mit einer Flasche Brandy zurück. »Ich fühle mich schrecklich. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass Sie unter Klaustrophobie leiden könnten. Das hätten Sie mir wirklich sagen sollen.«

»Ich hatte gehofft, dass ich es vielleicht überwunden hätte«, erwiderte Helena, die sich ein bisschen lächerlich vorkam.

Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, doch sie wusste nicht, ob er sich über sie oder über sich selbst ärgerte. »Ich setze mal Teewasser auf. Das ist es doch, was man tut, wenn man nicht weiß, wie man helfen kann.«

»Eine Tasse Tee wäre auf jeden Fall hilfreich, und ich würde den Tee auch dem Brandy vorziehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Sie sah zu, wie er den Tee aufgoss. »Ich sehe, dass die Küche noch nicht mit allem Komfort ausgestattet ist.«

Er lachte. »In diesem Raum gibt es wenigstens schon mal Strom und fließendes Wasser, was man von den meisten anderen Zimmern nicht behaupten kann. Daher ist das für mich schon der pure Luxus.«

»Wie kommen Sie denn ohne Strom zurecht?«, fragte Helena, deren Interesse an ihrer Umgebung allmählich wuchs.

»Mit Taschenlampen. Und ich habe eine große Baustellenleuchte, die momentan woanders in Betrieb ist. Es funktioniert irgendwie.« Wieder lachte er. »Alle, die ich kenne, finden es verrückt, dass ich mitten in einer Baustelle hause, aber ich versuche, das Ganze so kostengünstig wie möglich über die Bühne zu bringen. Warum sollte ich Geld für Miete verschwenden?«

Helena zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Tee.

»Nun, wie können Zuleika und ich uns dafür erkenntlich zeigen, dass Sie so großmütig waren, Ihre Klaustrophobie zu überwinden, um das Kätzchen zu retten?«

»Vermutlich ist es keine Option, dass Sie mich noch drei Monate in meinem Studio bleiben lassen, oder?«

Jago runzelte die Stirn und biss sich auf die Unterlippe, dann lächelte er und schüttelte den Kopf. Sein schiefes Lächeln erhellte sein schmutziges, unrasiertes Gesicht wie eine Baustellenleuchte ein Haus ohne Strom. »Wie wäre es stattdessen mit einer weiteren Tasse Tee und einem Sandwich?«

Helena zuckte mit den Schultern und erwiderte das Lächeln. »Wenn das alles ist, was Sie mir anbieten, und da gleich Mittagszeit ist, nehme ich das Angebot an. Aber ich bin ein bisschen zu schmutzig, um zu essen.«

»Eines Tages wird es ein voll ausgestattetes Badezimmer mit einer Raindance-Überkopfbrause geben. Momentan habe ich nur einen Eimer und einen Schwamm – ich fühle mich in die Zeiten zurückversetzt, als ich mit Autowaschen mein Taschengeld aufgebessert habe.«

»Dann gehe ich in mein Studio, trotzdem danke für das Angebot.« Sie machte Anstalten aufzustehen, doch er war schneller auf den Füßen als sie.

»Gehen Sie duschen, aber kommen Sie doch bitte zurück, und essen Sie das Sandwich danach. Ich würde mich sonst schrecklich fühlen.«

Helena überlegte kurz, ob sie ihm erzählen sollte, wie schrecklich es sich anfühlte, in Kürze kein Dach mehr über dem Kopf zu haben und, in ihrem Fall, ohne Werkstatt zu sein. Zwar konnte sie jederzeit bei ihrer Mutter unterschlüpfen, allerdings nur ohne ihren großen Webstuhl – er brauchte viel mehr Platz als sie selbst. Doch was würde es bringen? »In Ordnung.«

»Also, was möchten Sie haben? Käse und Schinken auf Sauerteigbrot mit Salat, Senf und Mayonnaise? Ich könnte das Brot toasten – wäre das gut?«

»Ohne Senf bitte«, antwortete sie, »und das Brot bitte getoastet. Klingt nach dem perfekten Sandwich.«

»Vielleicht nicht perfekt, aber auf jeden Fall gut, versprochen«, sagte er. »Bleiben Sie nicht zu lange weg!«

Helenas Haare waren noch nass und verknotet, als sie zurückkehrte. Sie hatte sie zu einem lockeren Zopf geflochten und das Ende mit einem Wollfaden umwunden, da es zu lange dauern würde, bis die Haare richtig trocken wären. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, weil sie sich nicht für einen Mann zurechtmachte, wenn sie gar keinen Mann wollte. Das Sandwich allerdings wollte sie.

Sie sah, dass Jago die Küche ein bisschen aufgeräumt hatte, während sie unter der Dusche gewesen war. Auf den Arbeitsflächen lagen weniger Werkzeuge herum, und er hatte ein Küchenbrett aufgetrieben, auf dem er die Zutaten zurechtgelegt hatte.

Während sie ihm zusah, wie er eine Essiggurke in hauchdünne Scheiben schnitt, bemerkte sie: »Darf ich fragen, warum hier mehrere verschiedene Stilrichtungen vertreten sind? Es gibt sehr moderne Elemente neben interessantem, nostalgischem Astkiefernholz in Orange. Welche Optik gefällt Ihnen besser?«

Er lachte. »Das orangefarbene Kiefernholz natürlich! Nein, eigentlich habe ich hier einfach Teile aus Küchen zusammengewürfelt, die sonst niemand mehr haben will. Die Leute reißen immer ihre Küchen raus und fangen wieder von vorne an. Oft kann ich die guten Teile für andere Zwecke nutzen, doch es bleibt immer etwas übrig, was ich dann behalten kann. Ich werde dafür sorgen, dass es ein bisschen vernünftiger aussieht – wenn ich mal Zeit finde.«

Der Toast sprang in dem sehr alt wirkenden Toaster, der mit einem Muster aus Mohnblumen und Weizenähren dekoriert war, in die Höhe.

»Meine Schwester gibt mir immer ihre ausrangierten Toaster, und den hier habe ich behalten. Er ist zwar alt, aber er funktioniert zuverlässig.«

Jago belegte die zwei Sandwiches so geschickt, dass Helena vermutete, er habe schon mal in einem Sandwichladen gearbeitet. Er gab Senf auf ein Sandwich und legte das andere auf einen Teller, den er ihr reichte.

»So, essen Sie das und sagen Sie mir, ob es sich gelohnt hat, dafür ein Kätzchen zu retten!«

»Sind Sie sicher, dass ich nicht doch stattdessen eine dreimonatige Mietverlängerung bekommen kann?«, fragte Helena, obwohl sie beim Anblick des Sandwiches plötzlich einen Bärenhunger bekam.

Er seufzte. »Ziemlich sicher. Die sechs Monate waren schon großzügig berechnet, als ich das Anwesen gekauft habe. Doch Ihr Studio und das daneben …«

»Das von Amy«, warf Helena ein.

»Genau. Die beiden zusammen werden ein Cottage mit zwei Schlafzimmern für eine Familie. Sie warten schon länger darauf, endlich einziehen zu können. Ich will sehr bald mit dem Umbau beginnen, und das heißt, dass Sie ausziehen müssen.«

»Und was ist mit Ihrem eigenen Haus? Könnten Sie sich nicht zuerst damit beschäftigen und Amy und mir noch eine Schonfrist einräumen?«

Er schüttelte den Kopf. »An meinem Haus arbeite ich nur zwischen zwei richtigen Aufträgen.«

»Also wird aus meinem Studio keine Ferienunterkunft?« Helena und Amy, Nachbarinnen und alte Freundinnen, hatten sich schon oft darüber geärgert, dass ihre Studios wahrscheinlich in Ferienunterkünfte oder Zweitwohnungen umgewandelt werden würden.

Jago schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Projekte sind allesamt für Familien bestimmt, die ein Zuhause suchen. Oder – um ehrlich zu sein – auch für Alleinstehende. Doch sie müssen eine Bindung an die Region haben. Jetzt fangen Sie bitte an – ich möchte unbedingt wissen, ob es Ihnen schmeckt.«

Helena war ein wenig durcheinander, als sie in ihr Sandwich biss. Sie brauchte ein bisschen Zeit, um die Informationen zu verarbeiten. Bauträger waren selten gute Menschen, das wusste doch jeder. Warum passte dieser hier nicht ins Bild? »O Gott!«, rief sie aus, nachdem sie zu kauen begonnen hatte. »Dieses Sandwich ist tatsächlich köstlich!«

»Ich hab’s Ihnen ja gleich gesagt!« Jago biss in sein eigenes Sandwich. »Ich habe es nicht verlernt. Ich habe mal in einem Sandwichladen gejobbt.«

»Das hatte ich schon vermutet.«

»Möchten Sie ein Bier?«

Helena schüttelt den Kopf. »Nein, danke. Aber noch eine Tasse Tee wäre prima.« Vielleicht würde sie zu ihrer Mutter fahren, wenn sie den Überwurf fertiggestellt hatte, um sie in allen Einzelheiten darüber zu informieren, was sie über den Mann herausgefunden hatte, der sie vor die Tür setzen würde. Sie verzichtete grundsätzlich auf Alkohol, wenn sie Auto fuhr. Wie schade, dass Amy nicht da war – sie fände die Neuigkeiten noch faszinierender.

Sie trank ihre zweite Tasse Tee und aß weiter. Schließlich wischte sie sich mit dem Handrücken den Mund ab, um eventuelle Mayonnaise-Reste zu beseitigen, und sagte: »Wie heißt die kleine Katze?«

»Dobson«, antwortete Jago.

»Oh! Wie das Buch?«

»Genau.« Seine Miene veränderte sich, als interessierte sie ihn plötzlich. »Es gibt nicht viele Menschen, die diese Verbindung hergestellt hätten.«

Helena zuckte mit der Schulter. »Meine Mum hat mir davon erzählt. Von Zuleika Dobson, meine ich. Zuleika war einer der Namen, die sie sich für mich überlegt hatte. Sie mag den Bezug zur Literatur.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Ich sollte besser gehen. Ich war gerade dabei, einen Überwurf fertigzustellen, als Sie an meine Tür geklopft haben.« Sie zögerte kurz. »Das Sandwich war wirklich richtig gut.«

Als er lächelte, blitzten seine Zähne. »Ich freue mich, dass es Ihnen geschmeckt hat.«

Als Helena an ihre Arbeit zurückkehrte, fragte sie sich, ob es Amy an ihrer Stelle wohl gelungen wäre, für die Rettung des Kätzchens mehr als ein Sandwich herauszuschlagen. Ihre Freundin war gut darin, von Männern das zu bekommen, was sie wollte. Bestimmt würde sie sagen, Helena habe nicht genug Übung.

Während Helena arbeitete und das Webschiffchen auf eine Art und Weise hin- und herflog, die ihr dabei half, klarer zu denken, rechnete sie aus, wie viele Decken und Überwürfe sie noch fertigen musste, um eine ausreichende Anzahl an Stücken für die nächste große Wollshow zu haben.

Die Ausstellung World of Wool fand Ende Mai statt. Da jetzt die erste Aprilwoche war, sollte sie noch genug Zeit haben. »Woolly World«, wie Helena gern sagte, war wichtiger als die meisten anderen Ausstellungen, weil neben der Öffentlichkeit auch andere Weber dort sein würden, die eigens ihretwegen kamen. Ihr Webguru, Julia Coombes, an die sie beim Weben immer dachte, hatte viel Positives über sie verlauten lassen. Sie war es ihr schuldig, gute Arbeit abzuliefern. Julia war immer ein Quell der Inspiration für sie gewesen.

Und sie würde jede Menge verschiedene Sachen zeigen müssen. Rechteckige Formen wie Decken, Schals und Überwürfe allein würden nicht ausreichen; sie brauchte auch viele fein gewebte Stoffe, aus denen man Westen, Jacken oder sogar Handtaschen fertigen konnte.

Da sie sich auf einmal ein bisschen niederschlagen und unerwartet müde fühlte, kam sie zu dem Schluss, dass es sich wahrscheinlich um einen verzögerten Schock handelte. Daher sollte sie am besten zu ihrer Mutter fahren und ihr erzählen, dass sie mithilfe einer Leiter in einen engen Raum hatte klettern müssen, um eine kleine Katze zu retten.

Zuerst war sie versucht gewesen, eine Nachricht an Amy zu schreiben, doch ihre Freundin würde es sicherlich wieder irgendwie schaffen, ihr Lieblingsthema anzuschneiden: Sie wollte Helena überreden, eine Dating-App auszuprobieren. Ihre Mutter hingegen würde sie mit Tee, Kuchen und Mitgefühl verwöhnen – und danach stand Helena momentan viel eher der Sinn.

2. Kapitel

Nie fuhr Helena die Einfahrt zu ihrem Elternhaus hinauf, ohne zu denken, wie wunderschön es war. Inzwischen war Fairacres eine exklusive Frühstückspension in den Cotwolds, und es war noch entzückender als in ihrer Kindheit. Der Garten, früher ein bisschen verwildert und überwuchert, war nun deutlich ordentlicher, um den einladenden Charakter zu verstärken. Doch die gemütliche Atmosphäre war immer noch der erste und bleibende Eindruck. Das Haus wirkte luxuriös, aber dennoch ausgesprochen gastfreundlich.

Sie fuhr hinters Haus, um die großzügige Einfahrt für möglicherweise eintreffende Übernachtungsgäste freizuhalten. Helena betrat das Haus durch die Hintertür und fand ihre Mutter in der Küche. Ein Blech mit Shortbread, köstliches Mürbeteiggebäck mit Butter, stand zum Auskühlen auf einem Rost auf dem Tisch. Offensichtlich kam das Gebäck geradewegs aus dem Backofen.

»Hi, Mum! Du hast gerade wieder gebacken? Da habe ich mir ja den richtigen Zeitpunkt ausgesucht.«

Gilly lachte. »Es gibt ein paar zerbrochene Kekse, die du essen kannst.«

»Man kann den Gästen schließlich keine kaputten Plätzchen anbieten«, sagte Helena und nahm sich zwei noch warme Stücke Shortbread. »Die schmecken so gut! Zum Glück wohne ich nicht mehr hier. Ich hätte sonst irgendwann nicht mehr durch die Tür gepasst!«

Gilly stellte den Wasserkessel zur Seite. »Es ist schön, wenn jemand gern isst. Das letzte Mal, als ich Cressida einen Keks angeboten habe, hat sie mich angesehen, als hätte ich ihr einen Hundehaufen auf einem Spitzendeckchen überreicht.«

Helena versuchte, die Stimmungslage ihrer Mutter einzuschätzen. Sie selbst war immer bereit, über ihre Schwägerin Cressida zu lästern – der Himmel würde einstürzen, wenn jemand sie ›Cress‹ nennen würde –, doch ihre Mutter zeigte sich im Allgemeinen loyaler. Generell schien Gilly sich nicht gern über die Ehefrau ihres Sohnes auszulassen, die wie ein Model aussah.

»Warum hast du sie erwähnt?«, wollte Helena wissen, steckte sich noch ein Stück Shortbread in den Mund und setzte sich an den Tisch.

»Sie hat eben angerufen. Sie möchte uns für Sonntag zum Mittagessen einladen. Das ist doch nett, nicht wahr?«

Helena fand, dass ihre Mutter eher skeptisch klang. Deshalb nickte sie auf neutrale Weise, wie sie hoffte. »Es ist schon eine Weile her. Wir können Sandwiches mitnehmen, um sie danach im Auto zu essen.«

Ihre Mutter lachte. »Helena! Ich weiß, dass sie nicht gerade eine großzügige Gastgeberin ist, aber man verlässt ihr Haus nie hungrig.«

»Ich bin sicher, wir werden genau die richtige Menge an Kalorien bekommen, die ein leichtes Mittagessen ausmachen, und es gibt immer jede Menge Kohl zum Sattessen. Doch wir haben noch nie gedacht, dass es eine köstliche Mahlzeit war, hab ich recht?« Helena hatte es aufgegeben, mit ihrer Meinung über ihre Schwägerin hinterm Berg zu halten. »Immer, wenn ich Cressida sehe mit ihren übermäßig trainierten Armen und der perfekten Solariumbräune, würde ich ihr am liebsten sagen, sie solle sich eine Strickjacke überziehen und einen Scone essen.«

Sie wechselte das Thema. »Mum, ich habe Neuigkeiten – gewissermaßen.«

»Wirklich, Liebes? Soll ich uns einen Tee kochen? Hast du schon was zu Mittag gegessen?«

»Ja, bitte, ich hätte gern Tee«, antwortete Helena und freute sich schon auf die Reaktion ihrer Mutter. »Aber kein Mittagessen. Ich habe ein riesengroßes Sandwich aus getoastetem Sauerteigbrot mit Schinken und Käse gegessen. Es war köstlich!«

Nachdem Gilly den Kessel aufgesetzt hatte, setzte sie sich zu Helena an den Tisch. »Dann erzähl mal!«

Ein großer rötlich brauner Kater, offensichtlich genauso interessiert an Informationen, landete wie ein fellbedeckter Sandsack auf Helenas Schoß.

Automatisch streichelte sie das Tier. »Nun, ich musste ein Katzenjunges mithilfe einer Leiter aus einem sehr engen Loch retten, für meinen Vermieter. Ein Kätzchen, das nur ungefähr ein Zehntel so groß ist wie du, Odysseus.«

»Aber Schatz! Du leidest doch unter Platzangst!« Gilly schob das Shortbread außer Reichweite der Katzenhaare.

»Ich weiß! Ich habe irgendwie gehofft, es hätte sich gelegt, doch es war wie ein Grab da unten. Ich war von Erde umgeben – sie hätte jederzeit abrutschen und das Kätzchen und mich verschütten können.« Bei dem Gedanken an den sehr beengten Raum fühlte Helena sich gleich wieder zittrig. Sie brach ein Stück von einem Keks ab, der eigentlich gut genug war, um in den Zimmern auf die Gäste zu warten.

Gilly runzelte die Stirn. »Sprichst du von dem Vermieter, der dich in Kürze auf die Straße setzen wird?«

»Ja. Ich habe nur einen Vermieter. Aber ich kann ja kaum ablehnen, ein Kätzchen zu retten!«

»Das war sehr mutig von dir.«

Das war genau die Antwort, auf die sie gehofft hatte. »Es war schwierig! Aber Jago – der Vermieter – war viel zu groß, um sich in das Loch zu zwängen.«

»Er hätte doch bestimmt auch jemand anderes finden können.«

»Dazu war keine Zeit. Der Erdhaufen hätte jeden Moment abrutschen können. Es gehört nicht viel dazu, um eine kleine Katze zu erdrücken.«

»Hör auf, das will ich mir gar nicht vorstellen!«, sagte Gilly und stand auf, um den Tee aufzugießen. »Möchtest du einen Brandy? Oder lieber Notfalltropfen?«

»Einen Brandy habe ich eben schon abgelehnt«, erwiderte Helena. »Doch Notfalltropfen wären vielleicht gut.«

Helena glaubte, ihre Mutter murmeln zu hören: »Es läuft auf dasselbe hinaus«, als sie die Flasche holen ging.

Nachdem Gilly ihrer Tochter, die mit einer Plastikdose voll Sauce bolognese und nicht gerade wenig Shortbread versorgt worden war, zum Abschied noch einmal zugewinkt hatte, suchte sie ihr Telefon, um einen Termin zu vereinbaren. Zwar hatte sie Helena von der Einladung zum Mittagessen bei ihrem Bruder und ihrer Schwägerin erzählt, allerdings hatte sie verschwiegen, dass Cressida hinzugefügt hatte: »Wir haben einen spannenden Plan, in den wir euch gern einweihen möchten.«

Gilly hatte eine Vorahnung, worum es bei diesem Plan gehen könnte, und wollte vorbereitet sein. Daher der Termin bei ihrem Steuerberater.

Seit sieben Jahren gehörte sie zu William Davies’ Mandanten. Er hatte sie beraten, als sie ihre Pension eröffnet hatte, und sie seitdem ständig in Sachen Buchhaltung und Steuerfragen unterstützt. William war ihr von einer Freundin empfohlen worden, die das Gefühl gehabt hatte, Gillys Ex-Mann Sebastian sei zu der Zeit klar im Vorteil gewesen. Er hatte einen Anwalt mit den Scheidungsverhandlungen beauftragt, der ein alter Schulfreund von ihm war und Sebastian einen ›Freundschaftspreis‹ gemacht hatte. Die Freundin wollte dadurch, dass sie den Kontakt zu William Davies herstellte, für Chancengleichheit für Gilly sorgen.

Am folgenden Morgen nahm Gilly in Williams Büro auf dem angebotenen Stuhl ihm gegenüber Platz. Sie lächelte. »Ich freue mich, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?«

William war aufgestanden, als Gilly hereingeführt wurde, und setzte sich nun wieder hinter den Schreibtisch. »Gut, danke. Und Ihnen? Mandy wird uns gleich Tee bringen.«

Gilly nickte. Wie üblich hatte sie eine Dose mit selbst gebackenem Shortbread mitgebracht und am Empfang übergeben. Der Tee, der bei jedem ihrer Besuche unaufgefordert gereicht wurde, war zum Teil ein Dankeschön von Mandy und ihren Kollegen. Während sie auf den Tee warteten, dachte Gilly einmal mehr über die Tatsache nach, dass William sehr schönes Haar hatte. Es war voll und ergraute auf eine attraktive Art und Weise.

»Nun«, sagte er, als das Tablett auf dem Tisch stand, »was kann ich für Sie tun?«

»Ich habe mich gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, wie ich mit meinem Haus als Sicherheit Geld aufnehmen kann, jedoch ohne es zu verkaufen.«

»Warum?«

Die Frage klang aufdringlich, doch Gilly wusste, dass sie es nicht war. William war schließlich ihr Steuerberater und an die finanziellen Forderungen gewöhnt, die ihr Sohn des Öfteren an sie stellte. Helena hingegen hielt sich in der Beziehung sehr zurück.

»Ich bin am Sonntag bei meinem Sohn zum Mittagessen eingeladen. Cressida hat einen ›spannenden Plan‹, und – um ehrlich zu sein – ich glaube nicht, dass sie das erwähnt hätten, wenn sie nicht Geld von mir brauchten. Jedenfalls nicht schon am Telefon.«

William nickte langsam. »Haben Sie eine Ahnung, um welchen Betrag es sich handelt?«

Gilly schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich, doch ich könnte mir vorstellen, dass es um eine größere Summe geht. Sonst hätten sie mich nicht eigens zum Essen eingeladen und auch noch Helena dazugebeten.«

»Ich verstehe.«

Gilly hatte das Gefühl, dass William jede Menge Missbilligung in diese zwei Worte legte, und das, obwohl er nicht einmal die Stirn runzelte. Sie fuhr fort: »Es ist Helena, der ich gern helfen würde, wenn ich kann. Sie muss sehr bald aus ihrem Studio ausziehen, und sie hat Schwierigkeiten, ein neues zu finden, weil sie viel Platz braucht. Ihre Freundin Amy – sie ist ebenfalls Weberin, arbeitet aber an kleinen Webstühlen – hat das Problem nicht. Sie hat schon ein neues Studio gefunden.«

Wieder nickte William.

Gilly erklärte: »Ich überlege, ob ich Helena das Schlafzimmer im Erdgeschoss als Studio überlassen soll. Sie hat mich natürlich nicht danach gefragt, und sie bittet mich auch nie um Geld, doch wenn ich ihrem Bruder etwas geben würde, müsste ich fairerweise auch etwas für sie tun.«

William antwortete nicht sofort und vermittelte Gilly damit den Eindruck, er habe schlechte Nachrichten für sie. »Um ehrlich zu sein, Mrs. Claire, wenn Sie dieses Zimmer aufgeben, fahren Sie keinen Gewinn mehr ein. Die anderen Zimmer bringen genug ein, um für die Instandhaltungskosten des Hauses aufzukommen, doch es ist dieser zusätzliche Raum, mit dem Sie Gewinn machen. Und es ist das einzige behindertengerechte Zimmer. Außerdem lieben die Leute diesen Raum, wenn man sich die Bewertungen auf TripAdvisor ansieht.«

»Sie haben mein Haus auf TripAdvisor aufgerufen?« Gilly war überrascht und sogar ein bisschen empört.

William nickte. »Das gehört zu meinen Recherchen.« Er fuhr fort: »Sie haben einen schönen Batzen Geld investiert, um das Bad rollstuhlgerecht umzubauen. Selbst wenn Helena Ihnen Miete zahlen würde, könnte das den Einkommensverlust nicht ausgleichen.«

Die Sache mit meinem Steuerberater ist die, dachte Gilly, dass er fast immer recht hat. Im Moment fiel ihr keine einzige Gelegenheit ein, bei der er falschgelegen hatte. Sie betrachtete den Ring, den sie am Ringfinger trug. Sie hatte ihn als Symbol für ihre Unabhängigkeit erstanden, nachdem sie sich endlich von ihrem Ex-Mann befreit hatte.

»Ich kann nicht glauben, dass Sie meine Frühstückspension auf TripAdvisor gesucht haben«, wiederholte sie, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Sie seufzte. »Und Sie glauben nicht, dass es einen Weg gibt, mit dem Haus als Sicherheit Geld zu bekommen? Zum Beispiel, indem ich eine Hypothek aufnehme?«

»Ich denke nicht, dass das die passende Lösung für Sie wäre. Sie müssten das Geld zurückzahlen – oder Ihre Kinder im Falle Ihres Todes. Und ich finde, Sie sind auch ein bisschen zu jung dafür. Wenn das Geld für Sie selbst wäre, würde ich das vielleicht anders sehen. Aber denken Sie doch mal darüber nach, wie sehr Sie kämpfen mussten, um das Haus zu halten – das Haus, das Ihnen Ihre Eltern hinterlassen haben. Sie sollten das nicht aufs Spiel setzen.«

»Okay, doch wie wäre es dann mit einem Verkauf? Ich könnte mir etwas Kleineres zulegen.«

»Das könnten Sie, natürlich könnten Sie das. Aber dann müssten Sie Ihre Pension aufgeben, und Sie sind so gut darin, dass ich mir kaum vorstellen kann, Sie würden Ihre Arbeit nicht lieben. TripAdvisor«, fügte er hinzu, bevor sie widersprechen konnte. »Ihre Bewertungen. Ich glaube nicht, dass Sie wirklich verkaufen wollen.«

Gilly zeigte sich stur. »Vielleicht bin ich es leid, ein Bed and Breakfast zu führen?«

»Wenn das so wäre, sollten Sie verkaufen, doch wollen Sie das wirklich? Sie sind eine vergleichsweise junge Frau. Wollen Sie sich schon zurückziehen? Oder vielleicht reisen? Ein Jahr aussetzen? Etwas anderes mit Ihrem Leben anfangen?«

»Sie sollten es mir eigentlich ausreden, das Haus zu verkaufen – stattdessen zeigen Sie mir alternative Lebensstile auf«, erwiderte Gilly. Dann erkannte sie, dass sie ein bisschen verdrießlich geklungen hatte.

»Ich setze Sie unter Druck, weil ich weiß, dass Sie Ihre Pension und Ihr Zuhause lieben. Und dieser TripAdvisor sagt mir, dass die Pension eine der besten und beliebtesten in der Region ist.«

»Wenn Sie glauben, dass Schmeicheleien …« Doch Gilly beendete den Satz nicht. Ihr war klar, dass er das Lächeln sehen würde, das sie nicht unterdrücken konnte. Ihr Haus war in der Tat eines der besten in der Region, und sie war keineswegs bereit, ein kleines Heim zu kaufen und sich zur Ruhe zu setzen.

»Ich schmeichele Ihnen nicht, Mrs. Claire, ich teile Ihnen die Fakten mit, wie sie sich mir darstellen. Natürlich ist es allein Ihre Entscheidung.«

»Aber Sie glauben, ich sollte alle Bitten um finanzielle Unterstützung ablehnen?«

Er lächelte. »Ich finde, Sie sollten sich große Mühe geben, Nein zu sagen, doch mir ist klar, wie schwer Ihnen das fällt. Sie haben ein sehr gutes Herz.«

William hatte ihr schon mal erzählt, dass sie die einzige Mandantin war, die seinen Angestellten Shortbread mitbrachte. Sie verstand, dass ein Steuerberater ein gutes Herz aus einem anderen Blickwinkel betrachtete als beispielsweise ein Pfarrer. »Nun, ich werde versuchen, standhaft zu bleiben«, meinte sie schließlich.

»Gut. Aber da Sie schon mal hier sind, frage ich mich, ob ich mir Ihr gutes Herz zunutze machen und Sie um Ihren Rat bitten könnte. Es geht um eine Party, die ich zum achtzigsten Geburtstag einer Tante organisieren möchte.«

»Oh?«

»Wissen Sie etwas über die January Barn? Wäre das ein geeigneter Ort für ein Familienfest, bei dem viele der Gäste schon älter sind?«

»Oh ja! Ich habe ziemlich oft Pensionsgäste, die Veranstaltungen in der January Barn besuchen; allen gefällt es da sehr gut.«

»Das bringt mich zu meinem zweiten Anliegen. Könnte ich alle Zimmer Ihrer Pension reservieren?«

Gilly war etwas verblüfft. »Natürlich geht das, aber es hängt natürlich sehr vom Termin der Feier ab. Es könnte sein, dass ich schon Reservierungen für den Zeitraum habe.« Sie lächelte entschuldigend. »Ich bekomme oft Buchungen weit im Voraus. Ich weiß, ich sollte meinen Terminplaner auf dem Handy haben, doch obwohl Helena mir erklärt hat, wie das funktioniert, vergesse ich ständig, ihn zu aktualisieren. Und offengestanden ist es manchmal auch ganz nett, sich Zeit zum Überlegen zu verschaffen.«

William nickte. »Ich fürchte, der Termin ist ziemlich bald – noch diesen Monat. In der January Barn wurde eine Hochzeitsfeier abgesagt, und sie haben die Lücke noch nicht gefüllt. Sie waren sehr darauf erpicht, eine weniger arbeitsaufwendige Veranstaltung an Land zu ziehen, auch wenn sie offensichtlich weniger lukrativ ist.«

»Warum schicken Sie mir nicht die Daten per E-Mail, und ich melde mich dann bei Ihnen? Ich würde Ihre Familie sehr gern beherbergen.« Gilly dachte bereits darüber nach, eventuelle Buchungen an ihre Freundin weiterzugeben, deren Pension in der Nähe lag und fast so gut war wie ihre eigene.

»Und ich weiß, dass sie liebend gern bei Ihnen übernachten würden«, erwiderte er. »Es handelt sich um meine Tanten und ein paar Cousinen. Ich mag sie alle sehr.«

»Ich würde Ihnen natürlich einen Sonderpreis machen, wenn Ihre Familie alle Zimmer bucht«, sagte Gilly.

»Als Ihr Steuerberater muss ich Ihnen davon abraten«, erwiderte er mit Nachdruck, doch sie entdeckte ein Augenzwinkern, das er sich nicht verkneifen konnte.

Ein warmes Gefühl der Zuneigung für diesen netten Mann erfasste sie, der etwas Schönes für seine älteren Verwandten auf die Beine stellen wollte. »Aber als Ihre Freundin glaube ich, dass Sie es mir überlassen müssen, was ich für einen geeigneten Preis halte.«

Er lachte. »Ich freue mich, dass Sie sich als eine Freundin von mir betrachten, Mrs. Claire.«

»Das tue ich tatsächlich, und ich finde, es ist höchste Zeit, dass Sie mich Gilly nennen.«

»Und Sie müssen William zu mir sagen.«

Gilly lächelte und stand auf. »Ich muss los, William. Vielen Dank für Ihren Rat, und schicken Sie mir so bald wie möglich diese Daten.«

Er erhob sich ebenfalls und begleitete sie zur Tür.

Sie blieb stehen und zeigte auf die Wand. »Wissen Sie eigentlich, dass ich diese Fotos liebe? Sie sind wunderschön – diese mit Raureif bedeckten Hügel, die gerade vom Sonnenschein erfasst werden, der Fluss, der einfach traumhaft aussieht.«

»Sie gefallen Ihnen? Ich habe sie von meinem Segelflugzeug aus gemacht.«

»Segelflugzeug? Sie haben ein Segelflugzeug?«

Er nickte und öffnete die Tür.

Das ist eine Überraschung, dachte Gilly, während sie das Haus verließ.

3. Kapitel

Am folgenden Abend kam Helenas beste Freundin Amy vorbei. Helena hatte ihr eine Nachricht geschickt – Habe unseren neuen Vermieter Jago Pengelly kennengelernt –, war jedoch nicht weiter ins Detail gegangen. Sie wusste, dass sie Amy nicht täuschen konnte, indem sie sich kurzfasste. Helena war nicht daran interessiert, mit ihm auszugehen, doch bei ihrer Freundin sah die Sache wahrscheinlich anders aus.

»Also?«, meinte Amy, stellte den Wein auf Helenas winziger Arbeitsfläche ab und holte zwei Gläser. Sie wusste ganz genau, in welchem Schrank sie nachsehen musste. »Wie ist er denn so?«

»Er ist ein Gentleman-Bauunternehmer«, antwortete Helena. Sie teilte die Menschen gern in Kategorien ein. Eine kurze und knackige Typbeschreibung, und schon war er in einem Teil ihres Gehirns abgelegt, den sie nicht oft besuchte.

»Und, sieht er gut aus?« Amy reichte ihr ein Glas Wein und setzte sich neben sie auf das Schlafsofa.

Helena überlegte kurz. »Er sieht nicht umwerfend aus, ist aber durchaus attraktiv.« Sie zögerte kurz. »Ich versuche, mir vorzustellen, wie du ihn sehen würdest.«

»Und du hast es nicht auf ihn abgesehen?« Amy kannte natürlich die Antwort, doch sie konnte nie einem Versuch widerstehen, Helena zu ihrer Sichtweise zu bekehren.

»Nein, ich konzentriere mich auf meinen Beruf, auf die Suche nach einem neuen Studio und darauf, genug Stücke für die Woolly World zu fertigen«, antwortete Helena gewissenhaft, als redete sie mit einem kleinen Kind, das das alles nicht schon oft gehört hatte. »Das sind meine Prioritäten.«

»Und wie steht es mit Multitasking? Ich kümmere mich auch um meinen Beruf, doch ich schaffe es trotzdem, parallel ein paar Dating-Apps am Start zu haben.«

»Ach, Amy! Ich bin bereit, dir alles, was ich weiß, über einen Mann zu erzählen, der dir gefallen könnte. Jetzt geh mir nicht ständig auf den Wecker!« Sie trank einen Schluck Wein.

»Du musst endlich deine Vertrauensprobleme lösen. Nur weil dein Vater ein Hallodri war, gilt das nicht für alle Männer«, sagte Amy und setzte sich zu Helena.

»Bestimmt lerne ich den richtigen Mann kennen, wenn ich Zeit habe, mich intensiv damit zu beschäftigen, aber momentan konzentriere ich mich eben auf meine Arbeit. Ich habe dir das schon tausendmal erklärt. Und jetzt habe ich einen Mann getroffen, von dem ich glaube, dass sich jemand für ihn interessieren könnte. Du zum Beispiel.«

»Okay.« Amy deckte sich mit einer von Helenas handgewebten Decken zu. Das Halbgeschoss von Helenas Studio war in eine winzige Wohnung umfunktioniert worden, doch obwohl es jetzt, im April, draußen nicht mehr besonders kalt war, wurde es drinnen nie richtig kuschelig warm. »Wie groß ist er ungefähr?«

»Groß, jedenfalls größer als ich. Deshalb hat er mich gebraucht, um die Babykatze zu retten.«

»Du bist ziemlich klein, Helly«, erwiderte Amy und betrachtete ihre Freundin von Kopf bis Fuß. »Er müsste nicht besonders riesig sein, um größer als du zu sein.«

»Na ja, er sieht aus, als könnte er Rugby spielen.«

»Was? Er hat ein Blumenkohlohr?« Der Gedanke brachte Amy aus der Fassung.

»Nein.« Helena rief sich Jagos Ohren in Erinnerung. »Mit seinen Ohren ist alles in Ordnung.«

»Du solltest in der Lage sein, mir alles über ihn zu erzählen – du mit deinen unheimlichen Superfähigkeiten«, konterte Amy.

Helena war eine sogenannte ›Super-Recognizerin‹, was bedeutete, dass sie ein fotografisches Gedächtnis für Menschen besaß. Es funktionierte sogar, wenn sie nur einen kurzen Blick auf jemanden erhascht hatte. Amy wusste zwar davon, war jedoch ein bisschen skeptisch.

»Ich könnte ihn in einer Menschenmenge sofort rauspicken, doch momentan sind es meine Fähigkeiten, jemanden zu beschreiben, die mich im Stich lassen.« Sie dachte nach. »Er hat eine kleine Narbe über einer Augenbraue, und sein Haar sieht ein bisschen so aus wie Stroh. Es ist natürlich nicht wie Stroh, aber die Farbe stimmt überein.« Helena stellte fest, dass sie eine gewisse Wärme empfand, wenn sie an ihn dachte. Sie war durchaus in der Lage, Männer als Freunde zu betrachten und sie zu mögen, doch von Jago fühlte sie sich angezogen – was selten vorkam.

»Und seine Stimme?«, hakte Amy nach.

»Eine nette Stimme, ohne erkennbare Färbung.«

»Augen?«

»Ja, er hat definitiv Augen.«

»Hey! Welche Farbe?«

»Nicht leicht zu beschreiben. Blaugrün … oder vielleicht auch grünblau.«

»Sonst nichts, was du mir über ihn erzählen könntest?«

Helena zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, ich war hauptsächlich mit meiner Platzangst beschäftigt.«

Amy warf ihr einen Blick zu. »Helena! Was um Himmels willen hast du getan?«

Sie berichtete, wie sie die kleine Katze hatte retten müssen. »Also wissen wir, dass er auf jeden Fall tierlieb ist.«

Amy war nicht sonderlich beeindruckt. »Ja, aber will er Kinder haben? Manche Menschen ziehen es vor, stattdessen Haustiere zu haben.«

»Seltsamerweise haben wir uns nicht darüber unterhalten, ob er einmal Kinder will. Allerdings weiß er jetzt, dass ich meinen Tee ohne Zucker trinke«, erwiderte Helena sarkastisch. »Er übrigens auch.«

»Ach!«, sagte Amy triumphierend. »Eine Gemeinsamkeit!«

Helena seufzte. »Aber mal im Ernst, ich glaube, er ist ein netter Kerl. Er wandelt unsere Studios in bezahlbaren Wohnraum für eine Familie um und sagt, dass ihm viel daran liegt. Du solltest ihn definitiv mal kennenlernen.«

»Werde ich bestimmt«, meinte Amy. »Wenn du dich nicht für dieses Goldstück interessiert.«

»Er gehört dir. Jetzt erzähl mir von dem Workshop. War es in Ordnung, dass du ihn allein abgehalten hast? Tut mir leid, dass ich nicht mitkommen konnte.«

»Schon gut. Ich weiß, dass du arbeiten musstest. Und es lief gut, auch wenn es besser ist, wenn man zu zweit ist. Die Leute müssen nicht so lange warten.« Sie spielte mit den Fransen der Decke herum. »Was weißt du noch über diesen Jago Pengelly? Stammt er aus Wales, was meinst du?«

»Ich glaube, aus Cornwall, doch ich bin mir nicht ganz sicher. Amy, warum gehst du nicht rüber und fragst ihn?«

»Er ist bestimmt nicht mehr da. Es ist schon fast neun Uhr. So lange wird auf dem Bau nicht gearbeitet.«

»Er wohnt in der Baustelle! Deshalb konnte er sich auch um die Katze seiner Schwester und ihr Junges kümmern. Obwohl ich denke, dass sie jetzt nicht mehr da sind. Ich habe gesehen, wie Jago einen Katzenkorb in seinen Pick-up gestellt hat.«

Amy hatte das Interesse an den Katzen verloren. »Aber kann man denn in dem Haus schon wohnen? Von außen wirkt es nicht so.«

»Er ist hart im Nehmen. Spring rüber und leih dir eine Tasse Zucker, oder vielleicht besser Quinoa, weil wir ja wissen, dass er keinen Zucker im Tee nimmt.« Ihre Freundin sah sie zweifelnd an. »Oder bring ihm etwas von Mums Shortbread vorbei. Das liebt jeder.«

Amy legte den Kopf schief und musterte Helena mit einem Stirnrunzeln. »Weißt du, so langsam verstehe ich, warum du keine Dates ausmachen willst. Du hast keine Ahnung von normalem Sozialverhalten.«

Helena winkte ab. Sie sah sich in ihrem Verhalten bestätigt, was sie jedoch nicht zeigte.

»Aber morgen«, fuhr Amy fort. »Ich gehe rüber, sobald es der Anstand zulässt. Wie geht’s denn deiner Mum?«

Alle liebten Gilly, weil sie immer leckere Sachen backte und ziemlich entspannt gewesen war, während Helena und ihr Bruder heranwuchsen. »Gut, glaube ich«, antwortete Helena. »Die Bohnenstange und mein Bruder haben uns am Sonntag zum Mittagessen zu sich zitiert.«

»Du redest sehr unfreundlich über Cressida«, meinte Amy, die Helenas Schwägerin kannte. »Sie ist doch nett.«

»Ich weiß, dass sie im Grunde genommen in Ordnung ist, doch ich könnte sie besser leiden, wenn sie nicht ganz so besessen von Joggen und gesunder Ernährung wäre. Sie ist aggressiv dürr«, Helena hob eine Hand, »was an und für sich ja in Ordnung ist! Aber sie will, dass alle anderen Menschen genauso dünn werden.«

»Ich glaube nicht, dass man aggressiv dürr sein kann.«

Helena zog die Augenbrauen hoch. »Verbring ein bisschen Zeit mir ihr, und du wirst sehen, dass es wahr ist.«

»Aber Gilly versteht sich mit ihr?«

»Du kennst Mum, sie versteht sich mit jedem – obwohl sie gern alle füttert. Cressida jedoch findet, dass jeder Mensch sich von schlammig grünen Smoothies ernähren sollte.«

»Ich habe in einem Bed and Breakfast übernachtet, als ich unterwegs war«, meinte Amy. »Es hat nicht gerade Gillys Maßstäben entsprochen!«

Helen lachte. »Sie ist besessen. Sie zeichnet immer diese Reality Show Four in a Bed auf und wischt Staub an den unmöglichsten Stellen. Ich sage ihr andauernd, sie soll doch mal an dieser Sendung teilnehmen.«

»Sie ist so stolz auf Fairacres, nicht wahr? Und wenn man irgendwo übernachtet, wo das nicht der Fall ist, merkt man das auch.« Amy war ein Versuchskaninchen gewesen, als Gilly den Komfort der Zimmer getestet hatte.

»Sie hat Glück, dass sie so gern backt«, sagte Helena. »Sie liebt es, ihre Gäste damit zu verwöhnen.«

»Und die Bettwäsche in Topqualität macht so einen Unterschied!«, fügte Amy hinzu. »So luxuriös!«

Helena wurde kurz ernst. »Die hatte sie schon, bevor sie die Pension eröffnet hat. Sie hat mit erzählt, dass sie sich damit getröstet hat, wenn Dad sich so schrecklich aufgeführt hat. Sie kaufte Bettwäsche.«

»Das war wirklich eine schlimme Zeit für euch alle«, sagte Amy.

»Aber deine Mutter und du, ihr wart uns eine große Stütze.«

Amy lächelte. »Ich erinnere mich, dass meine Mutter Panik bekam, nachdem sie euch angeboten hatte, bei uns zu übernachten. Gilly ist so eine brillante Köchin, und meine Mum dachte, deine würde alles hassen, was sie kocht.«

»Das wäre ihr egal gewesen!«, erwiderte Helena.

»Sie hat sich nach der Scheidung wacker geschlagen«, bemerkte Amy. »Du musst stolz auf sie sein.«

»Absolut! Und ich werde dafür sorgen, dass mein Bruder und seine Frau sie nicht ausnutzen werden, nachdem sie so viel für ihren Erfolg gearbeitet hat.«

»Du glaubst doch nicht, dass sie das versuchen wollen, oder etwa doch?« Amy war entsetzt.

Helena zuckte mit den Schultern. »Warum sollten sie uns sonst beide zum Sonntagsessen einladen? Ich glaube, Mum weiß mehr, als sie mir erzählt, weil sie Angst hat, ich könnte bei dem Gedanken ausrasten.«

Amy schüttelte den Kopf. »Nun, dann halte mich auf dem Laufenden. Ich würde liebend gern schlecht von einer Person denken, die süchtig nach grünen Smoothies ist.«

4. Kapitel

»Soll ich fahren?«, fragte Helena. Es war Sonntagvormittag, und sie hatte den Wagen vor Fairacres geparkt und war ins Haus gegangen, um ihre Mutter abzuholen. »Dann kannst du ein Glas Wein trinken.«

»Ein ganzes Glas? Das glaube ich kaum. Das wären mehr Einheiten, als gesund sind«, antwortete Gilly augenzwinkernd und überprüfte, ob sie die Haustür abgeschlossen hatte. »Cressida möchte immer, dass alle gesund leben.«

»Mum! Es sieht dir gar nicht ähnlich, so was zu sagen. Ich liebe es, wenn du dein inneres Biest findest.«

Gilly lachte. »Ich bin immer ganz erleichtert, wenn ich feststelle, dass ich eins habe, muss ich zugeben. So, habe ich alles dabei?«

»Ich weiß nicht, ob Cressida selbst gemachte Backwaren schätzt, Mum.« Helena betrachtete die Kollektion an Tupperdosen, die ihre Mutter in ihrem Korb verstaut hatte.

»Ich weiß, dass sie es nicht tut, aber Martin mag das Gebäck und nimmt es mit zur Arbeit. Er sagt Cressida, er würde es seinen Kollegen geben, doch ich weiß, dass er auch was davon isst.«

»Aber meinst du nicht, dass sie ihn bei seiner Heimkehr in ein Röhrchen pusten lässt, um seinen Verzehr von Kohlenhydraten und Zucker zu überprüfen?«

»Wahrscheinlich schon. Meistens nehme ich Plätzchen mit, damit Issi etwas zu essen hat, wenn sie aus der Schule kommt. Ich glaube nicht, dass das kleine Mädchen genug Kalorien bekommt. Ständig Gurken, Karotten und seltsame Körner. Doch vermutlich hast du recht, ich sollte sie nicht beeinflussen …«

Helena kicherte. »Und auf selbst gebackenes Shortbread konditionieren! Oh, was bist du nur für eine böse Oma!«

Während der Fahrt dachte Helena darüber nach, ob sie ihren Verdacht in Bezug auf das Motiv hinter der Einladung zum Mittagessen erwähnen sollte. Sie würde gern herausfinden, ob Gilly ähnliche Gedanken hegte. Doch sie wusste, dass ihre Mutter es nicht mochte, wenn sie schlecht über Cressida sprach. Daher beschloss sie, sich zurückzuhalten. Vielleicht würde sich ihr Verdacht ja gar nicht bestätigen.

Sie stellte den Wagen vor dem gepflegten modernen Haus ab, dessen steile Einfahrt nicht einladend für Besucherautos wirkte. Helena und ihre Mutter blieben kurz im Auto sitzen und wappneten sich für den Besuch.

»Ich hoffe, du bist warm genug angezogen«, sagte Gilly schließlich.

»Mum! Es ist April!«

»Gerade deshalb! Und in diesem Haus ist es immer kalt. Aber Cressida friert nicht, es muss am Laufen liegen.«

Helena schauderte. Die Sucht ihrer Schwägerin nach Joggen irritierte sie jedes Mal. »Lass uns reingehen.«

Ihr Bruder Martin begrüßte sie mit einer kurzen Umarmung und einem: »Hey, Schwesterherz.«

Seine Frau, groß und dünn, war komplett schwarz gekleidet. Ihr Haar war zu einem sehr ordentlichen Pferdeschwanz zurückgebunden, und sie trug Silberschmuck. Ihr Make-up war blass, und entweder benutzte sie keinen Lippenstift, oder aber er hatte dieselbe Farbe wie ihre Foundation.

Ihre Begrüßung war ein bisschen überschwänglicher als die ihres Mannes. Sie lächelte Helena an, küsste Gilly auf beide Wangen und tätschelte ihr die Schulter.

Ihre Tochter Ismene war fünf Jahre alt und ein ernstes kleines Mädchen. Sie sagte: »Guten Tag, Oma und Tante Helena.«

Helena zuckte innerlich zusammen. Gilly war eine hingebungsvolle Großmutter, doch sie hasste es, »Oma« genannt zu werden. Aber obwohl sie ihre Abneigung gegen die Bezeichnung zum Ausdruck gebracht hatte, als Ismene noch ganz klein war, hatte Cressida darauf bestanden, dass sie so angesprochen werden sollte. Cressida legte großen Wert auf die richtige Anrede.

»Kommt rein«, meinte Martin und ging voraus ins Wohnzimmer.

Obwohl es kühl war, gab es kein Feuer in dem supermodernen Kamin. Doch selbst wenn die Fußbodenheizung eingeschaltet wäre, würde es sich dennoch frostig anfühlen. Helena vermutete, es hatte etwas mit der Einrichtung zu tun, die in Weiß und Malve gehalten war – mit ein paar schwarzen Akzenten.

Der Blick, den Cressida auf Helenas Füße warf, war eindeutig – sie wollte, dass Helena die Schuhe auszog. Helena ignorierte den stummen Hinweis. Sie fror jetzt schon, obwohl sie eine warme Strickjacke trug. Nur in Socken würde sie es nicht aushalten. Hätte man ihr kuschelige Hausschuhe angeboten, hätte sie nichts dagegen gehabt, die Schuhe auszuziehen, doch in diesem Haus gab es nichts Kuscheliges.

Ihr fiel auf, dass Cressida ihrer Mutter keine »Zieh-deine-Schuhe-aus«-Botschaft zukommen ließ. Ganz kurz wünschte Helena sich, dass einer von ihnen in einen Hundehaufen getreten wäre.

»Sherry, Martin!«, befahl Cressida knapp.

Helena lehnte den Sherry ab, ordnete das Anbieten eines Aperitifs aber als Hinweis ein, dass es sich nicht nur um ein ganz normales Mittagessen handelte. Sie stellte fest, dass ihre Mutter den Sherry annahm – offensichtlich brauchte sie die Unterstützung durch den Alkohol.

»Das ist doch schön!«, bemerkte Gilly, nachdem sie ihr winziges Glas zur Hälfte geleert hatte. »Wann waren wir zuletzt alle zusammen?«

»Weihnachten?«, meinte Helena. »Ismene ist jedenfalls gewachsen. Hey?« Sie hockte sich hin, um das kleine Mädchen direkt anzusprechen. »Wenn du aus deinen Schuhen rausgewachsen bist, kann ich sie dann haben? Sie sind so cool!«

Ismene runzelte die Stirn. »Sei nicht albern, Tante Helena, deine Füße sind viel größer als meine.«

Helena betrachtete ihre Sneaker. »Oh, das stimmt. Wie schade!«

»Mum«, sagte Martin. »Wir möchten dich etwas fragen.«

»Warte bis nach dem Essen, Martin!«, warf Cressida ein. »Das haben wir doch besprochen!«

»Vielleicht sollten wir dann besser essen, wenn es fertig ist«, erwiderte Gilly.

»Trink doch noch ein Glas Sherry, Mum«, schlug Martin vor.

»Aber das Essen ist fertig«, meinte Cressida. »Es gibt nur Suppe und Salat.«

»Ich nehme sehr gern noch einen Sherry, Martin«, erklärte Gilly.

Helena wünschte, sie könnte sich ihrer Mutter anschließen, aber sie würde dieses Risiko niemals eingehen, wenn sie noch fahren musste.

Gilly trank ihr zweites Glas Sherry ziemlich schnell aus. Danach wurden sie ins eiskalte Esszimmer mit seinem wunderbaren Ausblick geführt. Die Tischplatte des Glastischs war so kalt, dass Helena sie nur ungern mit ihren Handgelenken berührte. Vielleicht war der Tisch ein wohlüberlegter Trick, um gute Tischmanieren zu fördern. Cressida legte großen Wert auf Tischmanieren.

Sie begannen mit einer Suppe, die vielleicht noch heiß war, als sie aus dem Topf geschöpft wurde. Doh als sie in riesigen, eiskalten Suppentellern serviert wurde, war sie nur noch lauwarm. Außerdem war sie offenbar nicht gewürzt. Doch da die Suppe mit Sicherheit gesund war, konnte Helena später auf jeden Fall ein Brötchen mit einer ganz normalen fetthaltigen Wurst oder fast alle anderen Gerichte zum Ausgleich essen.

»Wusstet du«, sagte Cressida, »dass man abnehmen kann, indem man einfach nur nach sieben Uhr abends nichts mehr isst und morgens nicht vor neun Uhr frühstückt? Meiner Meinung nach ist das nicht so wirkungsvoll wie vierundzwanzigstündiges Fasten, aber vielleicht findest du das hilfreich.« Sie lächelte Helena zu, als hätte diese sich gerade erkundigt, wie es Cressida gelang, ihre reizende Figur zu halten – natürlich hatte Helena die Frage nicht gestellt.

»Ich freue mich, dass das bei dir funktioniert, Cressida«, antwortete Helena zuckersüß, »doch du hast es ja schon öfter bei mir probiert. Ich bin nicht an Diäten interessiert, die mich die ganze Zeit an Essen denken lassen. Eigentlich bin ich überhaupt nicht an Diäten interessiert. Ich bin vollkommen zufrieden mit meiner Figur.«

Cressida zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nur helfen.«

»Das wissen wir.« Gilly tätschelte ihrer Schwiegertochter die Hand. »Und du siehst immer so schlank und fit aus, offensichtlich funktioniert es bei dir.«

»Ich persönlich interessiere mich nur für Diäten, die Würstchen in Blätterteig beinhalten«, bemerkte Helena. Als ihr bewusst wurde, dass alle, einschließlich ihrer fünfjährigen Nichte, sie entsetzt ansahen, fuhr sie fort: »Ich meine bloß, wenn ich ein Würstchen in Blätterteig essen möchte, dann tue ich das auch.«

»Kein Wunder, dass du ein bisschen …«, setzte Cressida an.

»Fett bist?«, schlug Martin vor.

»Ich bin nicht fett!«, widersprach Helena empört.

»Kinder!«, rief Gilly. »Helly, dein Bruder wollte dich bloß aufziehen. Lass dich nicht provozieren.«

Martin grinste. »Wenn man Schweinefleisch isst, sieht man aus wie Schweinchen Dick.«

»Wie auch immer!« Cressida stand auf. »Weiter geht’s. Ich hole den Salat.«

Der Salat war bunt und schmeckte gut mit seinem »Spritzer Zitronensaft anstelle eines öligen Dressings«, wie Cressida stolz verkündet hatte. Allerdings machte er nicht sonderlich satt. Deshalb fragte Helena sich, ob sie wohl unauffällig die Dose mit dem Shortbread plündern konnte, wenn sie beim Aufräumen half. Vielleicht würde sich das anbieten, während Cressida – oder Martin – die schmutzigen Teller vom Tisch räumten und in die Küche trugen. Doch sie verlor die Hoffnung, als ihr aufging, wie wenige Teller für fünf Personen in Gebrauch waren.

Cressida stellte eine Schüssel mit Obst auf den Tisch. »Wir essen normalerweise nie Nachtisch. Aber bedient euch doch.«

Helena nahm sich eine Orange und stellte ihren Beilagenteller vor sich. »Ich liebe Orangen«, erklärte sie, »doch kann man sie wirklich als Nachspeise bezeichnen?«

»Früchte enthalten jede Menge Zucker«, antwortete Cressida, »deshalb schränke ich die Menge ein.«

Gilly schwieg, aber Helena bemerkte, dass sie die Lippen zusammenpresste und dann tief Luft holte, um etwas zu sagen. »Also, Cressida, worin besteht dein ›spannender Plan‹?«, fragte sie und sorgte dafür, dass die Anführungszeichen zu hören waren.

Cressida lachte. »Oh! Ich wollte eigentlich damit warten, bis wir später eine schöne Tasse Tee zu uns nehmen. Ich habe einen neuen Biokräutertee, der super entgiftet.«