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Hochzeitsgefühle, nostalgisches Flair und britisches Ambiente - ein Roman zum Träumen! In den englischen Cotswolds wagen Beth, Linda und Rachel einen beruflichen Neubeginn und gründen die Agentur Vintage Wedding: Mit wenigen finanziellen Mitteln, dafür aber umso mehr Fantasie und Secondhand gestalten sie den Hochzeitstag zum unvergesslichen Erlebnis. Doch während sie voller Elan den großen Tag anderer zum Leuchten bringen, wäre ihnen beinahe entgangen, dass noch drei Hochzeiten am Horizont winken: ihre eigenen!
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Seitenzahl: 569
Cover
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
Danksagung
Katie Fforde lebt mit ihrer Familie in Gloucestershire und hat bislang 22 Romane veröffentlicht, die in Großbritannien allesamt Bestseller waren. Darüber hinaus ist sie als Drehbuchautorin erfolgreich, und ihre romantischen Beziehungsgeschichten werden regelmäßig unter anderem für die ZDF-Sonntagsserie HERZKINO verfilmt. Wenn sie nicht mit Schreiben beschäftigt ist, hält Katie Fforde sich mit Gesang, Flamencotanz und Huskyrennen fit.
Katie Fforde
Sommerhochzeitauf dem Land
Roman
Aus dem Englischen vonGabi Reichart-Schmitz
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:Copyright © 2015 by Katie Fforde Ltd.Titel der englischen Originalausgabe:»A Vintage Wedding«Originalverlag:Centura/The Random House Group Limited, London
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTitelillustration: © living4media/Great Stock!Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-3971-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für meine entzückenden Bräute,Briony Wilson-Fforde und Heidi Fforde.Ihr wart beide so wunderschön –danke, dass ihr allen so wunderbare
Beth Scott warf einen Blick auf die Uhrzeit auf ihrem Laptop, meldete sich bei Skype ab und loggte sich dann ganz aus. Ihr war klar, dass sie zu spät zur Veranstaltung im Gemeindesaal kommen würde, wenn sie sich jetzt nicht beeilte. Obwohl es nicht besonders aufregend klang und sie keine Ahnung hatte, wozu das gut sein sollte, hatte sie sich im Dorfladen ein sogenanntes »Glückslos« aufschwatzen lassen. Und um möglicherweise einen Preis zu bekommen, musste sie anwesend sein. Außerdem – und bei dem Gedanken fühlte sie sich ein bisschen jämmerlich – könnte sie dort vielleicht jemanden kennenlernen: einen potenziellen Freund oder, besser noch, jemanden, der ihr einen Job gab. Sie lebte jetzt seit einer Woche in Chippingford und hatte bislang nur mit Leuten im Geschäft und – dank Skype – mit ihrer Schwester Helena gesprochen. Über Weihnachten hatte sie weit entfernt wohnende Freunde besucht. Zum ersten Mal überhaupt war sie über die Weihnachtstage nicht nach Hause gefahren und hatte sich deshalb nicht mit ihren alten Freunden getroffen. Jetzt fühlte sie sich ausgesprochen einsam; und um ehrlich zu sein, brauchte sie einen Job. Sie war zwar noch nicht völlig pleite, musste aber mit ihrem Geld sehr sorgfältig haushalten.
Als sie ihr kleines gemietetes Cottage verließ (ein Ferienhäuschen, das man ihr dankenswerterweise überlassen hatte) und die Dorfwiese überquerte, schätzte sie sich trotz allem glücklich, an so einem hübschen Ort gelandet zu sein. Zwar war dies hier kein Postkartenidyll, aber das Dorf war recht nett. Es gab eine Kirche, einen Pub und ein Geschäft; alle drei lagen direkt an der Dorfwiese, und die Schule war auch nicht weit entfernt.
Beth erreichte das hinter der Kirche gelegene Gemeindezentrum und erkannte, dass es nicht mit dem Charme des restlichen Dorfes mithalten konnte. Schüchtern und nervös öffnete sie die Tür. Sie hatte nicht einmal einen Blick in den Spiegel geworfen, sondern sich einfach nur die Kapuze ihres Parkas über den Kopf gezogen, um ihre ungewohnt kurzen Haare zu verbergen, und war aus dem Haus gelaufen. Doch die freundliche Miene der Frau direkt hinter der Tür ließ sie das schnell vergessen.
»Oh, hallo«, sagte die Frau, »wie schön, dass Sie gekommen sind! Ich bin Sarah. Wir haben uns im Laden getroffen.«
»Und Sie haben mir ein Glückslos verkauft«, antwortete Beth. Zu dem Zeitpunkt hatte sie gezögert, ein Pfund für etwas auszugeben, was man nicht essen konnte, aber jetzt fand sie, dass sich die Investition gelohnt hatte. Sarah war eine attraktive Frau mittleren Alters und wirkte ein bisschen zerstreut. Und es hatte fast den Anschein, als hätte sie auf Beth gewartet.
»Das ist meine Tochter Lindy. Sie wird sich um Sie kümmern. Drüben in der Ecke ist noch jemand, der noch nicht das Pensionsalter erreicht hat. Vielleicht möchten Sie sich zu dieser Frau gesellen?«
»Meine Mum nimmt an, dass wir automatisch Freunde werden, weil wir hier fast die Einzigen unter fünfzig sind«, erklärte Lindy, während sie Beth durch die Menge dirigierte. »Sie meint es gut, und sie hat sich so gefreut, als sie mir erzählte, dass sie Lose an zwei Fremde verkauft hat. Sie war so entzückt, als wäre sie unter der Dorfwiese auf Öl gestoßen.«
Beth lächelte. »Ich bin Beth. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute so begeistert wären, wenn man ihren Dorfanger wegen einer Ölbohrung umpflügen würde.« Lindy gefiel ihr. Auch sie trug einfach nur Jeans und ein Sweatshirt unter ihrer Jacke. Ihre honigblonden Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengefasst, und sie hatte einen Spider-Man-Anstecker.
Lindy lachte über Beth’ kleinen Scherz. »Schlechtes Beispiel. Aber ich bin sicher, Sie verstehen, was ich meine.«
»Oh ja.« Sie dachte an ihre eigene Mutter. Auch sie fasste Menschen gern zu Gruppen zusammen. Allerdings beruhte ihre »Typisierung« auf Geld, Gesellschaftsschicht oder sozialem Stand.
Lindy fuhr verlegen fort: »Mum glaubt, ich muss dringend neue Leute kennenlernen. Wenn sie also jemanden trifft, den sie nicht aus meiner Grundschulzeit kennt, überfällt sie ihn regelrecht und stellt uns einander vor – in der Hoffnung, dass wir das werden könnten, was sie ›Busenfreundinnen‹ nennt.«
Beth lachte. »Und dabei haben Sie bestimmt schon haufenweise Freunde.« Lindy war hübsch und wirkte nett, und sie war hier aufgewachsen: Sie kannte höchstwahrscheinlich jede Menge Leute.
Lindy schüttelte den Kopf. »Eigentlich gar nicht so viele. Die meisten sind weggezogen, deshalb macht Mum sich Sorgen. Ach, da ist Rachel! Mum sagt, sie kommt aus London. Sie wohnt in dem Haus, das vor Kurzem renoviert wurde. Rachel ist noch nicht lange hier.«
»Cool! Gehen wir doch zu ihr!« Beth fühlte sich ermutigt. Sie mochte Lindy jetzt schon, und sie war bereit, Rachel ebenfalls zu mögen.
Rachel ist offensichtlich ein bisschen älter als ich, dachte Beth bei sich. Und sie wirkte sehr gepflegt, sehr »London«. Plötzlich kam sich Beth ein bisschen gammelig vor.
Doch trotz ihrer glänzenden, geglätteten roten Haare und der wahrscheinlich gebleichten Zähne lächelte Rachel, als freute sie sich über die unverhoffte Gesellschaft. »Hallo, Sie müssen Lindy sein …«
»Und ich bin Beth.«
»Rachel. Wollen wir uns nicht duzen?«
»Gute Idee!«, sagte Beth, und Lindy nickte ebenfalls zustimmend.
Jetzt aus der Nähe fand Beth, dass Rachel ebenfalls einsam sein musste. Warum sollte sie sich sonst so freuen, weil zwei Frauen sich zu ihr gesellten, die wahrscheinlich ein bisschen jünger und eindeutig weniger gut gekleidet waren als sie selbst? Wenn sie noch nicht lange in ihrem Haus wohnte, hatte sie vielleicht noch keine Zeit gehabt, Leute kennenzulernen.
Es entstand eine leicht unbehagliche Pause, dann sagte Lindy: »Ich liebe deine Frisur, Beth.«
Beth fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Der sehr kurze Haarschnitt war noch ganz frisch, und sie hatte sich noch nicht richtig daran gewöhnt. »Findest du nicht, dass es aussieht, als hätte ich mir die Haare für einen wohltätigen Zweck abgeschnitten?«
Rachel und Lindy lachten. »Nein, überhaupt nicht!«, erwiderte Lindy.
»War es denn so?«, wollte Rachel wissen.
»Nein! Allerdings wünsche ich es mir jetzt, denn dann hätte das Ganze einen Sinn gehabt und wäre keine spontane Aktion gewesen. Wisst ihr, ich hatte immer sehr lange Haare. Meine Mutter wollte nie, dass ich sie abschneiden lasse.«
»Es sieht super aus«, meinte Rachel. »Du hast das richtige Gesicht dafür. Und deine Augen wirken dadurch riesig. Entschuldigung, das war vielleicht ein bisschen zu persönlich.«
»Möchte jemand ein Würstchen im Schlafrock?«, fragte eine Frau mit einem fröhlichen Gesicht und einem beachtlichen Körperumfang und hielt ihnen eine Platte hin. »Ich habe sie selbst gebacken.«
»Sie schmecken bestimmt fantastisch«, sagte Lindy. »Mrs. Townleys Gebäck ist im ganzen Dorf berühmt.«
»Danke, Lindy. Schön, wenn es gewürdigt wird«, erwiderte Mrs. Townley.
Beth fiel ein, dass sie an dem Tag noch nicht viel gegessen hatte, und bediente sich. »Nehmen Sie gleich zwei!«, forderte Mrs. Townley sie auf.
»Es wäre unhöflich, das nicht zu tun«, ermunterte auch Lindy sie.
»Na dann«, sagte Beth und nahm sich zwei Brötchen.
Während sie aß, schaute sie sich um und stellte fest, dass der Gemeindesaal ohne die Menschenmenge ziemlich trostlos aussehen würde. Die Wände waren grün und rötlich braun gestrichen und brauchten dringend eine Renovierung. Die hohe Decke hatte einen Sichtdachstuhl, müsste aber ganz dringend gründlich geschrubbt oder gleich neu gestrichen werden. »Das könnte ein schönes Gebäude sein«, sagte sie.
»Das habe ich auch gedacht«, meinte Rachel. »Doch ich neige sowieso dazu, mich in alte Häuser zu verlieben.«
»Bittte verlieb dich in das hier!«, sagte Lindy. »Die drei Gruppen, die es momentan nutzen, sind zufrieden damit, so wie es ist, aber meine Mum glaubt, dass das Dach bald einstürzt oder zumindest undicht wird. Sie sagt, wenn die Leute sich nicht zusammenschließen und etwas unternehmen, wird das Gebäude bald verfallen. Deshalb möchte sie gern ein ›Rettet den Gemeindesaal‹-Komitee ins Leben rufen.«
»Es wäre wirklich eine Schande, es einfach verfallen zu lassen«, sagte Rachel und betrachtete die Dachbalken.
Beth starrte ebenfalls zur Decke und stellte fest, dass der Dachstuhl bei näherer Betrachtung nicht besser aussah.
»Hier ist der Wein«, sagte Lindy kurz darauf. »Es könnte sein, dass er selbst gemacht ist.«
»Er ist bestimmt in Ordnung«, erwiderte Beth. Sie spürte, dass Lindy hausgemachten Wein peinlich finden würde, doch es passte vollkommen in das Bild, das Beth sich vom Leben auf dem Land machte. Sie nahm das Glas, das ihr von einer grauhaarigen Dame in einer flotten Lamee-Strickstola angeboten wurde. »Das ist mein erstes Glas Wein, seit ich hier bin.«
»Ach, dann bist du auch neu hier?«, fragte Rachel. »Ich bin erst seit zehn Tagen da. Ich meine, auf Dauer.«
»Alle waren ganz begeistert, als du eingezogen bist«, sagte Lindy. »Niemand wusste, wer einzieht. Eine Familie? Ein Paar?«
»Nur ich«, antwortete Rachel.
Beth war sich nicht sicher, ob darin nicht ein Anflug von Trotz lag. Um die Situation zu entschärfen, sagte sie: »Nun, ich wohne in einem Ferienhaus.«
»In dem hübschen mit der ein bisschen runtergekommenen Veranda?«, fragte Lindy.
»Ganz genau. Es gehört den künftigen Schwiegereltern meiner Schwester«, erklärte Beth. »Sorry, das ist ein bisschen kompliziert.«
Rachel runzelte die Stirn. »Deine Schwester heiratet, und die Eltern ihres Verlobten stellen dir ein Haus zur Verfügung?«
»Ja! Du drückst es viel verständlicher aus. Der Grund, warum sie es mir überlassen, ist, dass ich die Hochzeit organisiere.« Sie machte eine Kunstpause. »Über Skype.«
Die beiden anderen lachten überrascht. »Das klingt nach einer echten Herausforderung«, sagte Lindy.
»Das ist es auch – vor allem, weil die Feier fast nichts kosten darf. Aber meine Schwester hat das Haus für mich organisiert, nachdem ich einen größeren Krach mit unserer Mutter hatte und nach der Uni nicht mehr nach Hause konnte. Deshalb bin ich meiner Schwester etwas schuldig. Ich gebe mir große Mühe, einen guten Job zu machen.«
»Will deine Mutter die Hochzeit deiner Schwester nicht organisieren?«, fragte Lindy.
»Oh doch!«, antwortete Beth. »Sie möchte schon. Aber sie will jedes einzelne Detail in die Hand nehmen, und deshalb hat Helena mich gebeten, die Aufgabe zu übernehmen. Sie ist außer Landes.«
»Mir gefällt der Gedanke an eine Hochzeit, die über Skype organisiert wird«, sagte Rachel.
»Du könntest die Feier im Gemeindesaal abhalten«, schlug Lindy vor, »falls er rechtzeitig renoviert ist. Das wäre schön und günstig.«
»Keine schlechte Idee«, erwiderte Beth. »Wann soll das Zentrum denn fertig sein? Helena möchte Ende August heiraten.«
Lindy schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Arbeiten noch in diesem Jahr in Angriff genommen werden. Das wäre unrealistisch.«
Rachel hatte die Decke noch mal prüfend gemustert. »Schon ein bisschen Farbe würde viel bewirken.«
Beth nickte langsam, während vor ihrem inneren Auge ein Bild entstand. »Auf jeden Fall! Und massenweise Blumen und Bänder.«
»Ich könnte mit den Bändern und Fahnen helfen«, meinte Lindy. »Ich kann nähen.«
»Ist das dein Beruf?«, hakte Beth nach.
Lindy zuckte mit den Schultern. »Gewissermaßen, aber im Augenblick kümmere ich mich um meine Söhne.«
»Du hast Kinder?«, fragte Beth überrascht. Sie schätzte, dass Lindy ungefähr in ihrem Alter war, also Anfang zwanzig. Das kam ihr sehr jung vor für Kinder.
Lindy nickte. »Zwei. Drei und sechs Jahre alt. Meistens sind sie richtige kleine Frechdachse.«
Beth hatte den Eindruck, dass sie das der Form halber hinzugefügt hatte.
»Und was machst du so?«, wollte Lindy wissen. »Abgesehen davon, dass du die Hochzeit deiner Schwester organisierst?«
Beth zuckte mit den Schultern. »Im Moment nichts. Ich muss aber bald was finden. Ich habe Ersparnisse, und Dad zahlt mir immer noch einen Zuschuss wie in meiner Zeit an der Uni, was Mum nicht wissen darf. Aber ich würde ihm gern bald sagen, dass ich das Geld nicht mehr brauche.«
»Hast du gerade deinen Abschluss gemacht?«
»Im letzten Sommer. Ich habe etwas gemacht, was meine Mutter ›Facebook und Kellnern‹ nennt, auch wenn mehr dahintersteckte. Ich hatte nicht die Noten, die ich für Englisch gebraucht hätte – meine Mutter wollte, dass ich Englische Literatur belege. Ich habe mir einen Kurs ausgesucht, der mich so weit wie möglich von zu Hause wegbrachte. Und momentan bin ich arbeitslos.« Beth zögerte, weil sie Angst hatte, dass Lindy sie für eine komplette Versagerin hielt. »Bis Weihnachten habe ich in Brighton in einer Bar gearbeitet, doch dann hatte ich davon die Nase voll.« Sie zog eine Grimasse. »Meine Mutter sagte, ich sei selbst schuld, weil ich so einen lächerlichen Kurs belegt habe. Sie fragt sich, ob man wirklich einen Abschluss braucht, um Barfrau zu werden.«
»Findest du, dass die Zeit an der Uni Zeitverschwendung war?«, fragte Lindy.
»Auf keinen Fall. Ich bin zu Hause rausgekommen, habe jede Menge über das Leben gelernt, bin unabhängig, und ich hatte eine großartige Zeit.« Beth hielt inne. »Du warst nicht auf der Uni?«
Lindy schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin stattdessen schwanger geworden. Dabei habe ich auch viel gelernt!«
»Das glaub ich dir gern«, erwiderte Beth.
»Ich liebe dieses Gebäude!«, sagte Rachel, die nicht richtig zugehört hatte. »Es hat diesen rustikalen Charme.«
»Du wirst es weniger lieben, wenn du erst die Toiletten gesehen hast«, meinte Lindy.
»Ach, die Toiletten!«, warf Beth ein, der auf einmal bewusst wurde, dass sie ein gewisses Bedürfnis hatte. »Sind sie da drüben?«
Lindy nickte. »Die Tür mit der Aufschrift Toletten. Jemand fand es lustig, das i zu entfernen.«
Beth lachte und machte sich auf den Weg zu der angegebenen Tür. Als sie den anderen den Rücken zukehrte, glaubte sie, Lindy sagen zu hören: »Viel Glück.«
Wenigstens war die Toilette sauber, aber es war eiskalt, und der Sitz hatte einen bedenklichen Riss. Beth fand, dass man zumindest dieses grundlegende Teil austauschen könnte, auch wenn das Gebäude nur wenig genutzt wurde.
Als sie wieder herauskam und sich gerade die Hände an ihrer Jeans abtrocknete, wurde sie von einem nicht mehr jungen Mann aufgehalten, der ihr vage bekannt vorkam. »Hallo! Sie sind die junge Frau, die in dem Cottage oberhalb des Flusses wohnt?«
»Ja, genau.«
»Ich habe Sie schon öfter gesehen. Wie kommen Sie denn da oben klar?«
»Sehr gut, danke.« Beth lächelte.
Ermutigt fuhr der Mann fort. »Also, ich bin Bob. Mir gehört die Autowerkstatt an der Cheltenham Road. Es ist schön, ein neues junges Gesicht im Ort zu sehen.«
Beth nickte, während sie darüber nachdachte, wie sie dazu stand, dass jeder wusste, wo sie wohnte und dass sie neu in der Gegend war. Sie kam zu dem Schluss, dass das zum Landleben dazugehörte, genau wie hervorragende Wurstbrötchen und selbst gekelterter Wein.
»Viele neue Leute haben hier nur eine Zweitwohnung«, meinte Bob. »Wir brauchen junge Menschen, die sich fest bei uns niederlassen.«
Ganz kurz fragte Beth sich, ob eine Art Rattenfänger von Hameln durch das Dorf gezogen war. Dann begriff sie, dass wahrscheinlich die meisten einheimischen jungen Leute fortgezogen waren, weil sie sich in der Region kein Wohneigentum leisten konnten. Oder vielleicht gab es keine passenden Jobs. »Die Gegend ist wunderschön. Sogar im Winter«, sagte sie.
Bob lachte laut. »Sie ziehen jetzt gleich die Lose. Haben Sie Ihres dabei? Es ist wie eine Tombola, wissen Sie?«
Beth hatte sich das schon selbst zusammengereimt. Sie nahm ihr Los aus der Jackentasche und ging mit Bob zusammen zur Bühne am anderen Ende des Saales. Er wartete gespannt, während die Losnummern bekannt gegeben wurden. Offensichtlich nahm er Beth’ Glück persönlich und wünschte sich, dass sie etwas gewann.
Natürlich war das nicht der Fall, aber dann wurden die letzten Nummern vorgelesen. Bob blickte ihr über die Schulter und rief: »Hier haben wir eine Gewinnerin!«
Beth überprüfte ihre Losnummer. Sie gehörte tatsächlich zu den Gewinnern. Hoffentlich hatte sie nicht den hausgemachten Pastinakenlikör gewonnen, der auf der Liste der Preise stand!
»Wie es scheint, gibt es ein kleines Durcheinander«, erklärte der Mann am Mikrofon. »Wir haben offenbar zwei Lose mit dieser Nummer herausgegeben.«
Beth wollte gerade sagen, dass es ihr nichts ausmachte, nichts zu gewinnen, aber Bob wollte das nicht zulassen. »Wie konnte das denn passieren?«, fragte er.
»Das müssen wir später rausfinden«, antwortete der Mann am Mikrofon. Obwohl die Leute sich inzwischen dicht um ihn drängten und das Mikro gar nicht mehr nötig gewesen wäre, hatte er es nicht ausgeschaltet. »Wer hat denn noch gewonnen?«
Lindy erschien mit Rachel an ihrer Seite. »Hier!«
Beth seufzte erleichtert. »Oh, es ist schon in Ordnung! Du kannst den Gewinn haben, was auch immer es ist, Rachel. Ich bin sicher, dass ich den Preis nicht haben will.« Aber dann hatte sie Angst, dass sie sich unhöflich angehört haben könnte.
»Weißt du denn, was es ist?«, fragte Rachel.
»Nein. Du?«
Rachel nickte. »Ein ganz entzückendes, traditionelles Teeservice. Wahrscheinlich wirst du es bereuen, wenn du den Gewinn ausschlägst.« Sie sah richtig wehmütig aus. »Ich habe zwei Teller von dem Design zu Hause. Es ist von Shelley.«
»Dann bekommst du es.« Beth blieb beharrlich. »Ich mein’s ernst.«
»Es wäre nicht richtig«, wandte Rachel ein.
»Nein, wirklich …«
Lindy mischte sich ein – wahrscheinlich hatte sie das Gefühl, dass es in dem Stil noch eine ganze Weile weitergehen könnte. »Wenn ihr meine Jungs wärt, würde ich sagen, ihr müsst teilen.«
Rachel sah sie an. »Wie bitte, ein Time-Sharing-Teeservice?«
Lindy nickte. »Wechselt euch einfach ab!«
Beth hatte mittlerweile Zeit gehabt, das Service zu inspizieren, das in einem hübschen Weidenkorb präsentiert wurde. Sie entdeckte, dass es in der Tat wunderschön war. Und vor ihrem geistigen Auge entstand das Bild von vielen hübschen alten Tellern voller Kuchen und Sandwiches. Eine Vintage-Hochzeit – das würde viel besser zu Helena passen als der glamouröse Champagner-Empfang, den ihre Mutter sich vorgestellt hatte. Und die Feier wäre außerdem viel kostengünstiger. Plötzlich wurde sie von Panik erfasst, als ihr klar wurde, wie groß die Herausforderung war, der sie sich mit dieser Hochzeit stellte. Sie hatte eigentlich keine Ahnung, was alles dazugehörte, und musste dringend das Internet danach durchforsten. Eine Sache hatte sie an der Uni auf jeden Fall gelernt: wie nützlich eBay und andere Online-Marktplätze waren.
»Warum gehen wir nicht in den Pub, um das auszudiskutieren?«, schlug Lindy vor. »Ich könnte meine Oma anrufen – sie passt auf die Jungen auf – und ihr sagen, dass ich ein bisschen später als geplant zurückkomme. Außerdem könnten wir uns die langweiligen Ansprachen ersparen.«
Kurz darauf betraten die drei jungen Frauen den Pub.
Beth schaute sich um. Einen Dorfpub hatte sie sich irgendwie anders vorgestellt. Es gab keinen dicken gemusterten Teppich, kein Messing und auch keine Ledersitzgruppen. Der Raum war vielmehr im »Shabby-Chic«-Stil gehalten, wie ein etwas größer geratenes, normales Wohnzimmer. Hinter dem Tresen stand eine glamouröse schwarzhaarige Frau, die offensichtlich das Sagen hatte.
Plötzlich fiel Beth ein, wie wenig Geld sie dabeihatte. »Ähm, darf ich vorschlagen, dass jeder für sich selbst zahlt, es sei denn, wir wollen jeder drei Getränke?«
Lindy wirkte erleichtert. »Gute Idee. Ich kann sowieso nicht lange genug für drei Drinks bleiben.«
Sie gingen zum Tresen. »Hi, Sukey!«, grüßte Lindy. »Ich habe neue Gäste mitgebracht.«
Sukey lächelte. »Cool. Was wollt ihr trinken?«
»Rotwein«, antworteten die drei im Chor.
»Kommt sofort. Und was haben Sie da unter dem Arm?«
Sie zeigte auf den Korb mit dem Teeservice, den Rachel trug.
»Das ist ein Preis der Losaktion. Beth und Rachel haben ihn beide gewonnen«, erklärte Lindy. »Es gab einen Fehler beim Drucken der Lose.«
»Oh, verzwickte Situation!«, sagte Sukey, stellte zwei Gläser mit Wein auf die Theke und griff nach einem dritten.
Sie brachten die Getränke zu einem freien Sofa neben einem Feuer, das hinter einem Kaminschirm munter vor sich hin knisterte und Funken sprühte. Vor dem Kamin lag ein Windhund, der ganz leicht die Schwanzspitze hob, um die jungen Frauen zu begrüßen.
»Tut mir leid, ich habe eben nicht richtig zugehört: Warum organisierst du die Hochzeit deiner Schwester?«, fragte Rachel.
»Unsere Mutter findet grundsätzlich, dass es ihr uneingeschränktes Recht ist, die Hochzeit meiner Schwester zu planen und alles nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten. Wenn sie zahlt, darf sie auch alles entscheiden, meint sie.«
»Eine ›Mumzilla‹.« Lindy lachte. »Von denen habe ich schon mal gehört. Sprich weiter!«
»Na ja, meine Schwester will nicht in einer riesigen Kirche heiraten, die sie noch nie von innen gesehen hat, und dann in einem Riesenhotel mit einem Haufen Leute feiern, die sie gar nicht kennt.« Sie hielt kurz inne. »Also habe ich gesagt, ich kümmere mich darum.«
»Dann gibt es bestimmt einen guten Grund, warum sie die Hochzeit nicht selbst planen kann, oder?«, meinte Rachel. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemand anderen so was Wichtiges organisieren lassen würde.«
Beth nickte. »Ihr Verlobter und sie sind auf Reisen. Sie fanden, dass sie sonst nie die Gelegenheit dazu haben würden. Jeff hat eine neue Stelle und fängt im September an, also dachten sie sich, jetzt oder nie. Sie haben beide zwischen Schule und Studium keine Zeit gehabt, sich etwas von der Welt anzusehen.« Beth bemerkte, dass es sich anhörte, als entschuldigte sie sich für die beiden. »Jedenfalls könnt ihr euch sicher vorstellen, wie meine Mutter reagiert hat. Sie war völlig entsetzt«, fügte sie hinzu. »Und ich habe derzeit keinen Job, also habe ich mich angeboten.«
»Du meine Güte!«, sagte Lindy. »Meine Mum war bei meiner Hochzeit großartig. Genauso wie bei der Scheidung.«
»Und gibt es einen Grund dafür, warum deine Mutter glaubt, sie hätte ein Recht darauf, die Hochzeit deiner Schwester zu planen?«, wollte Rachel wissen. Offensichtlich war sie eine Frau, die den Dingen gern auf den Grund ging.
»Ich glaube, sie stand vollkommen unter der Fuchtel ihrer Mutter, und jetzt hat sie die Chance, selbst Kontrolle auszuüben. Sie findet es absolut unvernünftig von meiner Schwester, dass sie das nicht zulässt.«
»Was ist mit eurem Dad?«, fragte Lindy.
»Der Gute, er hat meiner Schwester Geld für die Hochzeit gegeben, aber sie hat es für ihre Traumreise verwendet.«
»Hat ihn das nicht gestört?« Rachel schüttelte den Kopf über sich selbst. »Tut mir leid, ich stelle die ganze Zeit neugierige Fragen.«
»Schon in Ordnung. Und es hat ihm eigentlich nichts ausgemacht, doch er war überrascht. Aber Helena sagte, dass Mum trotzdem versuchen würde, die Kontrolle über die Hochzeitsvorbereitungen zu übernehmen. Also gibt sie das Geld lieber aus, um die Welt zu sehen.«
»Wie hoch ist denn dein Budget?«, fragte Lindy. »Wenn du möchtest, kann ich dir helfen – ich bin sehr gut darin, Dinge für kleines Geld zu bekommen.«
»Das ist ja super!«, erwiderte Beth lachend. »Mein Budget ist nämlich mehr als knapp.«
»Ich finde, das klingt nach einer tollen Herausforderung«, sagte Rachel. »Ich war verheiratet – für eine kurze Zeit –, und wir hatten eine sehr schicke, vornehme Hochzeit für sehr wenige, vornehme Freunde. Ich finde, eine preiswerte Hochzeit klingt nach viel mehr Spaß.«
»Meine Hochzeit war auch ziemlich klein«, erwiderte Lindy. »Aber ich war schwanger, und es war mir egal.« Sie lachte ein bisschen verlegen. »Die Ehe hat nur lange genug gehalten, um wieder schwanger zu werden.«
»Du musst es nicht erzählen, wenn du nicht möchtest«, erwiderte Beth, »aber warum bist du ungewollt schwanger geworden – du wirkst doch so vernünftig? Und dann gleich zweimal.«
»Das ist ziemlich persönlich«, warf Rachel ein und sah Beth stirnrunzelnd an.
»Nein, nein, schon in Ordnung. Mein Problem war, dass ich mit dem falschen Bruder geschlafen habe.«
»Oh, oh. Ein großer Fehler.«
Lindy versetzte ihr einen kleinen Stoß und grinste. Beth’ schlechtes Gewissen, weil sie die Frage gestellt hatte, verflog. Es schien Lindy nichts auszumachen, darüber zu reden.
»Ich war wahnsinnig verliebt – na ja, natürlich war es keine Liebe, sondern nur eine Schwärmerei, aber eine heftige – für diesen Jungen, der viel älter war als ich. Fünf Jahre.«
»Das ist nichts, wenn man erwachsen ist«, kommentierte Rachel. »Aber es ist eine Welt, wenn man … wie alt ist?«
»Sechzehn«, antwortete Lindy. »Der Bruder ging ins Ausland, um zu studieren oder zu arbeiten oder vielleicht auch beides, ich kann mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls waren sein jüngerer Bruder und ich beide ziemlich traurig und haben uns ein bisschen betrunken. Es stellte sich heraus, dass er auf mich stand, aber wegen Angus – das war der ältere Bruder – ist es mir nie aufgefallen. Wir haben uns gegenseitig getröstet.«
»Das Wort kenne ich in dem Zusammenhang noch gar nicht!«, sagte Beth in dem Versuch, die Stimmung ein wenig aufzulockern.
»Beth!« Das war Rachel.
»Tut mir leid«, murmelte Beth.
»Ich wurde schwanger – und natürlich waren seine Eltern entsetzt. Ich hätte sein Leben ruiniert …«
»Er hat deins ruiniert!«, unterbrach Rachel Lindy empört.
»Na ja, jedenfalls sind wir einigermaßen miteinander ausgekommen, bis ich wieder schwanger wurde. Seine Schwärmerei war vorbei, und wir haben uns getrennt.«
»Und, hast du deine Schwärmerei auch überwunden?«, fragte Beth.
»Beth! Ich war nur verknallt. Das hält nicht ewig an«, antwortete Lindy, doch irgendetwas an der Art, wie sie das sagte, gab Beth zu denken.
Sie seufzte; Lindys Geschichte hatte sie etwas ernüchtert. »Also seid ihr beide super Beispiele dafür, wie Ehen schiefgehen können«, meinte sie. »Vielleicht sage ich meiner Schwester lieber, sie soll sich das sparen.«
Sowohl Rachel als auch Lindy protestierten. »Nein! Ich war erst siebzehn, als wir geheiratet haben«, sagte Lindy. »Das Scheitern war praktisch schon vorprogrammiert.«
»Und ich habe geheiratet …« Rachel zögerte. »Na ja, ich habe ihn geliebt. Und ich glaube, er hat mich auch geliebt. Aber wohl nicht genug. Wir haben uns auseinandergelebt.« Wieder machte sie eine Pause. »Vielleicht war ich auch nicht die perfekte Ehefrau.«
»Ich hasse es, jemanden von der Ehe abzuschrecken, nur weil meine eigene gescheitert ist«, erklärte Lindy.
»Ich auch«, stimmte Rachel zu. Sie lächelte. »Außerdem kann ich dir nicht bei den Hochzeitsvorbereitungen helfen, wenn du deiner Schwester rätst, nicht zu heiraten.«
»Willst du denn helfen? Bist du Hochzeitsplanerin?«
Rachel schüttelte den Kopf. »Ich bin Buchhalterin und arbeite freiberuflich, aber ich würde liebend gern auch was Kreativeres machen.«
Lindy nickte. »Ich habe gehört, dass kreative Buchhalter keinen guten Ruf haben.«
Wegen ihrer ernsten Miene brauchten die anderen eine Sekunde, um zu begreifen, dass sie scherzte.
»Genau deshalb muss ich andere Ventile für meine Kreativität finden«, sagte Rachel. »Ich würde zum Beispiel sehr gern die Renovierung des Gemeindesaals in Angriff nehmen.«
»Wie denn?«, wollte Lindy wissen. »Meine Mutter würde deine Ideen bestimmt liebend gern hören.«
»Ich hatte noch keine Zeit, um Ideen zu entwickeln, doch ich finde das Gebäude großartig. Wenn es neu hergerichtet ist, könnte es sich finanziell selbst tragen. Es ist perfekt geeignet für eine Hochzeit, nur einen Katzensprung von der Kirche entfernt. Stellt euch vor, wie die Hochzeitsgesellschaft über die Dorfwiese schreitet …«
»Und die Leute ihre Kleider durch den Schlamm schleifen«, warf Lindy ein.
»… zu einem altmodischen Festschmaus, der auf Tapeziertischen angerichtet ist«, beendete Rachel ihren Satz. Dann fügte sie hinzu: »Mit Girlanden und Fahnen.«
Beth schaute sie an. »Das klingt wunderbar. Und es wäre genau das, was meine Mutter hassen würde. Ich schlage es Helena vor.«
»Ich finde, du solltest tun, was Helena möchte, nicht, was deine Mutter hassen würde«, kommentierte Lindy.
Beth nickte. »Stimmt, aber ich glaube tatsächlich, dass Helena den Vorschlag lieben wird. Ich erzähle ihr davon, wenn wir das nächste Mal skypen können. Es geht nicht immer, weil sie ständig unterwegs ist«, fügte sie hinzu.
»Würde sie denn hier heiraten wollen?«, fragte Lindy.
»Ich könnte es mir gut vorstellen. Jeffs Eltern haben Bekannte im Ort. Das Cottage, in dem ich momentan wohne, ist ihr Altersruhesitz. Irgendwann wollen sie ganz hierherziehen.«
»Aber der Gemeindesaal ist kaum für eine Hochzeit geeignet«, meinte Lindy. »Du warst nur ganz kurz drin, während er voller Menschen war. Dann zeigt er sich von seiner besten Seite. Es ist jede Menge zu tun.«
»Wann soll die Hochzeit noch mal stattfinden?«, fragte Rachel.
Beth zuckte mit den Schultern. »Es gibt noch kein konkretes Datum. Irgendwann gegen Ende August.«
»Bist du dann noch hier?«, fragte Lindy. »Wird das Haus nicht vermietet?«
»Doch, möglicherweise schon. Ich bin jetzt hier, weil ihre Gebäudeversicherung nicht greift, wenn es leer steht. Wenn ich Arbeit finde, halte ich Ausschau nach etwas anderem. Vermutlich gibt es in der Gegend nicht viele Stellen.«
»Nein«, bestätigte Lindy. »Du musst dir vielleicht kleine Jobs suchen, so ähnlich wie ich.«
Beth seufzte. »Das Problem ist, dass ich keine besonderen Fähigkeiten habe«, erwiderte sie.
»Na ja, such dir erst mal irgendwas und konzentriere dich auf die Hochzeit deiner Schwester!«, schlug Lindy vor.
»Die Planung hält mich bestimmt bis August auf Trab«, sagte Beth.
»Jede Menge Zeit, um eine Hochzeit zu organisieren, wenn du am Ball bleibst«, erwiderte Rachel.
»Nicht, wenn wir zuerst den Gemeindesaal renovieren müssen«, widersprach Lindy.
»Wir arbeiten effektiver, wenn wir ein Ziel vor Augen haben«, überlegte Rachel. »Eine große Hochzeit am Ende des Sommers könnte genau der richtige Ansporn sein.«
Zweifelnd sah Lindy sie an. »Ich glaube, du solltest Mums Komitee beitreten«, sagte sie dann. »Sie wird sich wahnsinnig freuen. Für das Projekt braucht man Begeisterungsfähigkeit.«
»Für mich wäre das prima«, sagte Rachel. »Ich arbeite in Letterby, aber der Weg zur Arbeit ist ziemlich weit. Ich hoffe, bald etwas in der Nähe zu finden. Ich weiß, dass es hier nicht so viele Firmen gibt, doch vielleicht brauchen welche von ihnen jemanden, der sich um die Finanzbuchhaltung kümmert. Als Mitglied eines Komitees kann ich möglicherweise wichtige Kontakte knüpfen.«
»Bestimmt. Mum wird vor Freude einen Luftsprung machen. Eine Buchhalterin? Im Komitee? Darf ich ihr sagen, dass du mitmachst?«
Rachel holte tief Luft. »Nur, wenn ich euch beide auf ein weiteres Glas Wein einladen darf. Ich glaube, ein Glas reicht nicht für so eine Sache.«
»Also, ich finde, wir sollten anstoßen«, sagte Lindy, als Rachel mit dem Wein wieder an den Tisch gekommen war. »Ich finde es wundervoll, euch beide kennengelernt zu haben!«
»Ich denke, ich sollte darauf trinken, dass ich nach monatelanger Arbeit in mein eigenes Haus gezogen bin«, sagte Rachel. »Ich wollte nicht allein darauf anstoßen.«
»Und ich finde, wir sollten alle auf Neuanfänge trinken«, schlug Beth vor. »Ich weiß, dass es für Lindy nicht das Gleiche ist, weil sie ja schon immer hier wohnt, doch Rachel und ich beginnen ein neues Leben auf dem Land.«
»Wisst ihr, was? Ich glaube, wenn wir gründlich nachdenken, finden wir ein Projekt, das wir gemeinsam realisieren können«, sagte Lindy. »Nicht nur den Gemeindesaal«, fügte sie hinzu.
»Darauf trinke ich!«, rief Rachel.
»Ich auch! Auf Neuanfänge!«
»Und auf neue Freunde!«, fügte Lindy hinzu und hob ihr Glas.
»Hurra!«, rief Beth, während sie mit einem leichten Klirren mit ihren beiden neuen Freundinnen anstieß. Das Leben wurde besser.
Nachdem sie den Pub verlassen hatten, begleitete Rachel die anderen so weit es ging, dann bog sie in die kleine Straße zu ihrem Haus ein. Sie holte ihre Taschenlampe aus der Tasche und schaltete sie ein. Die Fähigkeit, sich wie ihre auf dem Land aufgewachsenen Nachbarn in fast völliger Dunkelheit zurechtzufinden, hatte sie noch nicht entwickelt.
Sie schloss die Hintertür auf und trat ein. Zum ersten Mal empfand sie nicht das übermächtige Gefühl der Einsamkeit, das sich sonst immer beim Nachhausekommen einstellte. Vielleicht lag es daran, dass sie Leute kennengelernt hatte. Oder vielleicht waren es die zwei Gläser Wein. Oder vielleicht war das Haus nicht mehr das Einzige, was ihr hier wichtig war.
Dieses Haus und dieses charmante Dorf in den Cotswolds hatten so lange im Mittelpunkt ihrer Gedanken und Träume gestanden, aber nachdem Rachel endlich die Fesseln ihres Stadtlebens abgeschüttelt hatte, hatte sich alles ein bisschen leer angefühlt. Sie hatte das Haus teilweise von geerbtem Geld gekauft; seit ihrer Scheidung gehörte es ihr ganz und war frei von Hypotheken. Rachel war sich so sicher gewesen, dass es sie glücklich machen würde, wenn sie erst dauerhaft einziehen konnte. Und obwohl es ihr große Freude bereitet hatte, das Haus perfekt zu gestalten und jedes winzige Detail zu berücksichtigen, hatte es irgendwie doch nicht gereicht.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie das perfekte Objekt in der perfekten Lage gefunden hatte. Chippingford war charmant, aber auch authentisch; es war mehr als ein Ort für Leute mit einem Zweitwohnsitz. Von London aus war es gut erreichbar, trotzdem lag es richtig auf dem Land. Es hatte Rachel großen Spaß gemacht, den Umbau zu planen, die richtigen Handwerker aufzutreiben, das Material zu besorgen und sicherzustellen, dass alles genau nach ihren Vorgaben durchgeführt wurde, aber der Einzug war ein bisschen enttäuschend gewesen.
Doch die Begegnung mit Lindy und Beth, der etwas merkwürdige Abend und der Besuch im Pub waren positiv gewesen. Das Anstoßen auf »Neuanfänge« hatte Rachel optimistischer gestimmt, als sie sich seit einer Ewigkeit gefühlt hatte.
Sie ging in die Küche, um sich eine Tasse Tee aufzubrühen. Auf ihr Drängen hin hatte Beth das Teeservice mitgenommen. Sie wohnte näher am Pub, und das Geschirr war recht schwer – daher hatten sie sich darauf geeinigt, dass Beth es zuerst haben konnte. Jetzt jedoch betrachtete Rachel die beiden Teller, die an dem Regal ihrer kleinen, aber vollkommenen Küchenanrichte lehnten, und bewunderte sie. Wie würde es ihr wohl gefallen, weitere Teller, Tassen und Unterteller in demselben Design zu haben? Wäre ihr das zu bunt? Oder würde die Tatsache, dass alles zusammenpasste, das Bild akzeptabel machen? Rachel hatte das Geschirr noch nicht auf Macken hin untersuchen können. Wenn nur ein Teil davon nicht vollkommen war, konnte Beth das Service behalten.
Ganz am Anfang hatte sie das ganze Haus weiß streichen lassen. In den zwei Jahren, seit sie es besaß, hatte sie sich für keine andere Farbe entscheiden können, die ihr genauso gut gefiel.
Später hatte sie auch die Holzdielen weiß lasiert. Sie waren neu – wesentlich jünger als das Haus, das aus der Zeit Eduards VII. stammte –, und ihr gefiel der saubere Look. Als sie jetzt ihren Tee ins Wohnzimmer trug, stellte sie fest, dass es kalt wirkte.
Natürlich war es kalt – es gab einen nicht genutzten Holzofen, und sie schaltete die Heizung nur selten ein. Aber sie hatte das Gefühl, dass das Haus an sich kalt war, und das lag nicht nur an der Temperatur. Anfangs hatte sie das reinigend gefunden. Jetzt war sie bereit, ihrem Leben etwas Farbe zu verleihen.
Sie war ein bisschen befangen gewesen, als sie sich Lindy und Beth vorgestellt hatte. Lindys Mutter, über die sie sich kennengelernt hatten, glaubte offensichtlich, dass Rachel etwa im gleichen Alter war wie ihre Tochter, dabei war sie fünfunddreißig – gut zehn Jahre älter als die beiden anderen. Allerdings spielte das offensichtlich keine Rolle, und sie hoffte sehr, dass es so blieb. Oft hatte sie daran gezweifelt, ob es weise gewesen war, ihr Leben in London für dieses Haus auf dem Land aufzugeben, doch es war ihr jedes Mal gelungen, sich selbst von der Richtigkeit ihrer Entscheidung zu überzeugen.
Sie spülte die Tasse aus, trocknete sie ab und räumte sie weg, damit nichts die perfekten Linien ihrer Einbauküche beeinträchtigte, wenn sie am nächsten Morgen herunterkam.
Als sie nach oben ins Bett ging, fragte Rachel sich, ob sie wirklich ein bisschen an einer Zwangsstörung litt, wie Graham, ihr Exmann, behauptet hatte. Zu der Zeit hatte sie geglaubt, dass sie einfach einen Teil ihres Lebens unter Kontrolle haben wollte. Jetzt hielt sie es für möglich, dass der Wunsch, Ordnung zu halten, sich allmählich zur Besessenheit auswuchs. Während sie das Waschbecken nach dem Zähneputzen gründlich mit einem alten Handtuch polierte, das sie zu diesem Zweck aufbewahrt hatte, verstärkte sich ihr Verdacht.
Als sie zwischen den frisch gebügelten Perkal-Laken mit sehr hoher Fadendichte lag, versuchte sie, sich die Wohnsituation ihrer neuen Freundinnen vorzustellen. Bei dem Gedanken an mögliches Chaos schauderte sie leicht. Aber sie hatte die Zeit mit ihnen sehr genossen und stellte überrascht fest, dass es ihr egal war, wie andere Menschen ihr Leben führten, solange ihr eigenes Leben wohlgeordnet war.
Am nächsten Morgen klingelte das Telefon, als Rachel gerade eine dünne Schicht Politur auf ihre Küchenarbeitsplatte auftrug.
Obwohl sie die Nummer im Display nicht kannte, nahm sie den Anruf an.
»Guten Morgen! Hoffentlich rufe ich nicht zu früh an! Hier spricht Sarah Wood, Lindys Mum. Sie hat mir Ihre Visitenkarte gegeben.«
Rachel hatte beiden Mädchen je eine der Karten in die Hand gedrückt, die sie in der Hoffnung hatte drucken lassen, auf diesem Wege Aufträge als Buchhalterin zu bekommen.
»Hallo. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Na ja«, sagte Sarah, die erleichtert war, dass Rachel so positiv klang. »Lindy hat erwähnt, dass Sie vielleicht dem Komitee beitreten wollen, das ich ins Leben rufen möchte? Für den Gemeindesaal. Ich wäre so dankbar, ein so junges Mitglied zu haben, das auch noch ein Außenstehender ist.« Sie zögerte. »Das ist nicht unfreundlich gemeint, aber wenn Menschen sich so sehr an etwas gewöhnt haben, können sie sich nur schwer eine Veränderung vorstellen.«
Rachel erwiderte: »Ich mag Herausforderungen.« Diese verstaubten Balken zu säubern und frisch anzustreichen wäre äußerst zufriedenstellend.
»Dann kommen Sie also zum Treffen? Ich habe es für morgen Abend geplant. Ich hole Sie ab, dann müssen Sie nicht nervös sein, wenn Sie einen Raum voller Fremder betreten.«
»Oh, in Ordnung. Das würde mir passen.«
»Gegen halb acht? Haben Sie dann schon gegessen?«
Sarah war anscheinend sehr bemüht, die Dinge für Rachel so unkompliziert wie möglich zu gestalten. »Halb acht ist gut.« Wenn sie um sechs zu Abend aß, hatte sie bis dahin wieder aufgeräumt. Und sie müsste Sarah nicht ins Haus lassen, also war das in Ordnung.
Als sie aufgelegt hatte und sich fertig machte, um zu dem einige Kilometer entfernten Altenheim aufzubrechen, um dessen Buchführung sie sich kümmerte, stellte Rachel fest, dass sie sich sogar auf das Treffen freute. Es war eine gute Sache, mehr Ortsansässige kennenzulernen, und vielleicht fand sie dadurch sogar in der Nähe ihres Wohnortes Arbeit.
Sarah war am folgenden Abend pünktlich gekommen. Rachel fand ihre Stiefel super. Als sie einen Kommentar darüber machte, hob Sarah ein Bein an und bewunderte ihren Stiefel ebenfalls.
»Ja, schön, nicht wahr? Ich habe sie in einem Geschäft in Cheltenham gekauft, sie waren reduziert. Ich habe immer das Gefühl, ich kann besser mit dem Winter umgehen, wenn ich ein Paar tolle Stiefel habe. Die und einen guten Mantel.« Sie trug einen mit Schafsfell rund um die Kapuze. »Sind Sie fertig? Es ist so schön, dass Sie mitkommen!«
»Na ja, jeder möchte einen Beitrag leisten. Und man kann nie wissen, vielleicht braucht jemand eine Buchhalterin.«
»Ich hoffe, das ist keine blöde Frage, aber wie ist es dazu gekommen, dass Sie Buchhalterin geworden sind? Sie sehen aus, als sollten Sie eine Kunstgalerie oder eine ganz reizende Boutique leiten.«
Rachel zuckte mit den Schultern. »Ich habe Zahlen immer schon gemocht. Sie machen, was ich will, ich kann sie in ordentlichen Kolonnen anordnen. Ich glaube, das habe ich von meinem Vater.« Ihm hatte es auch gefallen, wenn die Dinge ordentlich und sauber waren.
Doch als Rachel und Sarah den Raum über dem Pub betraten, begriff Rachel schnell, dass die drei älteren Frauen und der eine Mann wohl kaum Hilfe bei ihrer Tabellenkalkulation oder bei der Verringerung ihrer Steuerschuld benötigen würden. Wahrscheinlich hatten sie es ihr ganzes Leben lang mühelos geschafft, ihre Finanzen mithilfe eines Stiftes und eines kleinen Notizblocks zu verwalten.
Rachel sah sich um, als zwei weitere Personen eintrafen. Sie entschuldigten sich ausgiebig, weil sie zu spät kamen. Es handelte sich um ein Ehepaar Anfang vierzig, das aufgrund seiner Kleidung ein bisschen städtischer als die anderen Anwesenden wirkte.
Sarah übernahm die Regie. »Okay, wahrscheinlich sind wir nun komplett. Ich habe auf ein paar mehr Interessierte gehofft, aber ich weiß, dass manche Leute abends nicht gern aus dem Haus gehen.« Sie lächelte Rachel zu. »Bevor wir anfangen, stelle ich euch Rachel vor – sie ist neu im Dorf, doch sie wird bestimmt einen großartigen Beitrag leisten.«
Rachel schluckte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob das nun eine Herausforderung oder eine Bestätigung war. »Hallo«, sagte sie.
»Gut, also …«
Sarah stellte alle der Reihe nach vor. Da waren Ivy, Audrey und Dot. Es stellte sich heraus, dass das jüngere Paar – Justin und Amanda – aus London kam. Der andere Mann hieß Robert.
Alle lächelten Rachel freundlich, aber auch neugierig an. Schüchtern erwiderte sie das Lächeln.
»Also«, fuhr Sarah munter fort. »Wenn wir unser Komitee gegründet haben, werden wir unsere Treffen wahrscheinlich tagsüber abhalten.« Sie hielt inne und seufzte. »Ich dachte, wenn wir dieses erste Meeting um diese Zeit ansetzen, würden vielleicht ein paar mehr Interessenten kommen. Na ja, ihr wisst schon … Wir müssen wirklich mehr Leute zusammentrommeln.«
Rachel verstand. Sarah hoffte auf Mitglieder, die arbeiteten, Geschäfte leiteten oder Erfahrung mit Komitees hatten und wussten, wie man Geld beschaffte und Abläufe organisierte. Sie begriff auch, warum Sarah so scharf darauf gewesen war, Rachel zu rekrutieren. Es war ein Dilemma. Die älteren Leute wollten abends nicht ausgehen, aber die Berufstätigen hatten tagsüber keine Zeit, an Treffen teilzunehmen.
Vor Sarah lagen ein Block, ein Stift und ein paar Zettel. »Wir müssen einen Vorsitzenden wählen.«
»Ich würde sagen, du übernimmst das Amt«, sagte Audrey prompt, und alle anderen stimmten zu.
»Wir sollten eine Wahl abhalten …«
»Sarah, meine Liebe«, fiel ihr Ivy ins Wort, »wir wollen nicht den ganzen Abend hier sitzen. Alle sind einverstanden.«
Sarah seufzte und notierte sich etwas. »Okay. Kassenführer?«
Niemand stellte sich zur Verfügung. Schließlich meinte Sarah: »Kann ich Rachel vorschlagen? Sie hat mir erzählt, dass sie Buchhalterin ist.«
Dot, die neben Rachel saß, lachte leise. »Oh, oh, das hätten Sie ihr nicht erzählen dürfen, meine Liebe! Es war klar, dass sie sich auf Sie stürzt.«
»Und genau das habe ich getan«, sagte Sarah. »Also, brauchen wir eine Grundsatzerklärung?«
»Wozu das denn?«, fragte Dot, die offensichtlich erfrischend direkt war.
»Grundsatzerklärungen sind immer gegen irgendwas«, meinte Audrey. »Das habe ich gelernt, als ich im Schulbeirat war.«
»Ich finde, wir brauchen keine«, sagte Sarah. »Wir wollen ja nur genug Geld auftreiben, um den Gemeindesaal zu renovieren und in einen Zustand zu versetzen, in dem wir ihn vermieten und ein wenig Ertrag abschöpfen können.«
»Das ist gar nicht nötig«, nörgelte Dot. »Er ist im Grunde prima, so wie er ist.«
»Er wird einstürzen, wenn wir nichts unternehmen«, widersprach Justin. »Man sieht es ihm an.«
»Und ich glaube nicht, dass er sicher für Kinder ist«, fügte seine Frau Amanda hinzu. »Ich würde meine nicht dort spielen lassen. Der Saal ist schmutzig und extrem schäbig. Wir dachten, er wäre vielleicht ein guter Veranstaltungsort für eine Geburtstagsfeier, aber wir hatten auch Gäste aus London und konnten ihn zu dem Zweck nicht nutzen.«
Diejenigen, die den Saal vollkommen in Ordnung fanden, äußerten murmelnd ihr Missfallen. »Für die Party unseres kleinen Otto war der Saal gut genug«, sagte einer.
»Wissen wir denn, was getan werden müsste, um den Gemeindesaal zumindest sicher zu machen?«, fragte Rachel. »Und ich muss sagen, wenn er renoviert und verschönert würde, könnte er viel öfter gebucht werden. Ich meine, wie viele Reservierungen sind es denn momentan?«
Wieder war allgemeines Gemurmel zu hören, aber keine konkreten Antworten.
»Die Pfadfinder nutzen den Saal«, sagte Robert.
»Und manchmal campen die Jungpfadfinder darin«, erklärte Ivy. Sie machte eine Pause. »Aber letztes Mal haben die meisten ihre Mütter angerufen, weil sie nach Hause wollten.«
»Ist das Dach undicht?«, fragte Justin.
Sarah räusperte sich. »Wir brauchen ungefähr hunderttausend Pfund, um das Gebäude instand zu setzen.«
Über das entsetzte Raunen hinweg wandte Rachel sich an Sarah: »Ist das Dach denn nun undicht? Wenn das Gemeindezentrum ansprechender aussähe, könnte man es trotzdem vermieten, ein bisschen Geld einnehmen und die Reparaturarbeiten nach und nach durchführen.«
Sarah schlug auf den Tisch. »Entschuldigt, können wir aufhören, alle durcheinanderzureden? Rachel hat ein sehr gutes Argument vorgebracht. Rachel, würde es Ihnen etwas ausmachen zu wiederholen, was Sie vorgeschlagen haben?«
Rachel hatte Sarah gegenüber deutlich gemacht, dass sie nicht die junge Frau aus London sein wollte, die dachte, sie wüsste alles besser als diejenigen, die schon ihr ganzes Leben hier verbracht hatten. Aber offensichtlich konnte sie der Rolle nicht entkommen.
»Ich finde bloß, dass der Saal vermietet werden könnte, wenn er ansprechender aussähe und es nicht reinregnen würde. Dann käme ein bisschen Geld in die Gemeindekasse, und wir könnten die Reparaturen nach und nach durchführen, so, wie wir es uns leisten können.« Das »wir« war ihr so herausgerutscht. Sie wusste nicht, ob sie die Leute möglicherweise verärgerte, wenn sie sich so besitzergreifend über ihren Saal äußerte. Rachel selbst war jedenfalls verunsichert. Hatte sie sich wirklich gerade öffentlich für ein baufälliges Gebäude eingesetzt? Dann fiel ihr wieder ein, wie sie bei der Veranstaltung lange Zeit die Dachbalken betrachtet und im Geiste weiß gestrichen hatte. Sie konnte so einem Projekt nicht widerstehen, das war ihr Problem.
Rachel senkte den Blick auf den Tisch, weil sie nicht wagte, sich davon zu überzeugen, ob ihre Ängste berechtigt waren und die anderen sie mit Misstrauen und Argwohn musterten.
»Ich stimme voll und ganz zu«, sagte Justin. »Erst so herrichten, dass der Saal vernünftig aussieht und trocken ist, und dann vermieten.«
»Woher bekommen wir das Geld für die Verschönerungsmaßnahmen?«, fragte Robert.
»Ich habe noch ein bisschen wunderschöne grüne Farbe, die ich spenden könnte«, meinte Dot.
»Oh, jetzt, da du es sagst, ich habe auch noch welche, aber gelbe.«
»Nein«, sagte Rachel energisch trotz ihrer Bedenken, als versnobte Londonerin abgelehnt zu werden. »Wir müssen alles in derselben Farbe streichen. Am besten weiß«, fügte sie hinzu.
Die anderen gaben missbilligende Laute von sich. »Da sieht man den Dreck so«, war anscheinend die vorherrschende Meinung.
»Ich kann so viel weiße Farbe besorgen, wie ihr wollt«, sagte jemand von der Tür her.
Rachel blickte auf und sah einen leicht ungepflegt wirkenden Mann, dessen schwarze Locken dringend geschnitten werden müssten und dessen Lederjacke wie ein Überbleibsel aus einem vergangenen Jahrhundert aussah. Eine Rasur würde auch nicht schaden. Auf keinen Fall kommt er auf ehrlichem Weg an die Farbe, dachte Rachel.
Sarah teilte ihre Meinung offensichtlich, doch sie lächelte trotzdem freundlich. »Schön, dass du da bist, Raff, aber von welchem Lkw ist die Farbe gefallen?«
Raff schenkte ihr ein schiefes Grinsen. »Du bist zu misstrauisch, Sarah. Das ist alles vollkommen koscher, versprochen.«
»Das würde eine Menge Geld sparen«, sagte Rachel, die den finanziellen Vorteil nicht ignorieren konnte, obwohl sie dem Mann durchaus krumme Geschäfte zutraute.
»Raff hat einen Gebrauchtwarenhof rund um Haus und Garten«, erklärte Sarah.
Raff betrat den Raum »Wer ist das denn?«, fragte er Sarah und sah Rachel an. »Ein neues Gesicht? In mehr als einer Hinsicht.«
»Das ist Rachel, und sie ist tatsächlich neu in der Gegend«, antwortete Sarah.
»Ich bin Raff«, stellte er sich vor und schaute Rachel auf eine Art und Weise in die Augen, die ihr großes Unbehagen verursachte.
»Hüten Sie sich vor dem jungen Raff!«, sagte Dot. »Ich war mit seiner Oma befreundet, und nicht mal sie hat ihm getraut.«
»Glauben Sie bloß nicht all die schlechten Dinge, die Sie über mich hören!« Raff sprach Rachel direkt an und betrachtete sie immer noch auf diese verstörende Weise. »Ich verdiene meinen schlechten Ruf nicht.« Als er ihr zuzwinkerte, bestätigte er damit Rachels Meinung: Er war ein Mann, dem man um jeden Preis aus dem Weg gehen musste.
Als er sich zwischen Ivy und Audrey niederließ, kicherten die beiden geziert. Anscheinend setzte Raff seinen Charme bei allen Frauen ein, gleichgültig, wie alt sie waren.
Rachel schrieb weiße Farbe in ein Moleskine-Notizbuch, das sie aus ihrer Handtasche zog. Dabei dachte sie, dass es nicht schwierig sein würde, sich von ihm fernzuhalten. Raff war absolut nicht ihr Typ. Ihr Exmann war viel »metrosexueller«. Er legte großen Wert auf sein Äußeres und nahm sich viel Zeit dafür: Enthaarung, Feuchtigkeitspflege der Haut und so weiter. Er machte generell das Beste aus sich. Vielleicht war Rachel unfair, aber sie fragte sich, ob Raff überhaupt regelmäßig duschte.
Das Treffen ging weiter, und die Anwesenden machten Vorschläge zur Geldbeschaffung. Selbst wenn sie die Farbe kostenlos bekamen, entstanden in Verbindung mit dem Projekt noch viele andere Kosten.
Schließlich einigten sie sich darauf, im Pub ein Quiz zu veranstalten und alle Einnahmen in Verschönerungsmaßnahmen zu stecken. Eine Stunde war vergangen, und Rachel wäre gern nach Hause gegangen. Sie hatte sich für das Team gemeldet, das sich um die Verschönerung kümmern würde, begriff aber nun, dass ihre hohen Ansprüche an die Malerarbeiten nicht erfüllt werden konnten. Daher würde das Ganze sehr aufreibend für sie werden. Wenn sie eine Aufgabe übernahm, musste sie nach ihren Maßstäben erfüllt werden.
»Okay, Leute. Sollen wir uns nächste Woche wiedertreffen? Um darüber zu reden, wann der Gemeindesaal gestrichen wird?«, rief Sarah über den Lärm hinweg, als alle ihre Jacken und Mäntel anzogen.
»Ach, Sarah, meine Liebe«, sagte jemand. »Müssen wir uns treffen? Könnten wir nicht einfach telefonieren?«
»Es ist besser, wenn ein fester Termin im Kalender steht«, widersprach Sarah. »Mittwoch?«
Sie einigten sich schließlich auf den kommenden Dienstag.
»Gut«, sagte Sarah. »Wir bringen so viele Leute wie möglich mit. Ich versuche, Lindy zu überzeugen. Rachel, ich schicke Ihnen die vorläufige Aufstellung der Handwerkerkosten per E-Mail zu. Dann wissen Sie, womit wir es zu tun haben.«
»In Ordnung. Dann erstelle ich daraus eine Tabelle.«
»Ausgezeichnet! Herzlichen Dank.«
Als Rachel in ihren Mantel schlüpfte, dachte sie an ihr weiß gestrichenes Haus und schauderte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte sie: »Äh, Sarah? Was ganz anderes, wissen Sie jemanden, der mir ein bisschen Brennholz verkaufen kann? Sie kennen ja offensichtlich jeden hier.«
Sarah warf Raff einen kurzen Blick zu und runzelte leicht die Stirn. »Oh ja, auf jeden Fall. Überlassen Sie das nur mir! Ich überlege mir, wer ihnen schönes, trockenes Holz verkaufen kann.« Sie lächelte. »Ich finde, es ist ganz gut gelaufen, oder?«
»Um ehrlich zu sein«, antwortete Rachel, »ich war noch nie zuvor auf einem Meeting ohne PowerPoint-Präsentation.«
Sarah lachte. »Oh, oh, wozu brauchen wir das denn? Das würde man hier dazu sagen!«
Rachel musste auch lachen. »Dafür sind Treffen wie das hier viel amüsanter.«
»Manchmal können sie auch ein Albtraum sein«, meinte Sarah, »aber es war super, dass Sie gekommen sind. Das gibt mir Hoffnung, dass der Gemeindesaal eines Tages wieder richtig zum Leben erwacht. Vielleicht nicht mehr zu meinen Lebzeiten, doch irgendwann mal.«
Rachel drückte Sarah aufmunternd den Arm. »Ich glaube, Sie sind ein bisschen zu pessimistisch, aber ich muss zugeben, dass es wahrscheinlich in diesem Jahr nicht mehr klappen wird.«
»Ich bringe Sie nach Hause«, sagte Raff, während alle auf die Treppe zusteuerten.
»Nein danke. Ich komme allein zurecht, vielen Dank.« Rachel hatte keinesfalls die Absicht, mit Raff zusammen nach Hause zu gehen.
Sarah, die sich von den anderen verabschiedet hatte, kam zu ihnen. »Habe ich dich sagen hören, dass du Rachel begleitest, Raff? Das wäre gut. Ich muss schnell nach Hause, ich habe einen Schinkenbraten im Backofen, und James – mein Mann – hört bestimmt den Küchenwecker nicht. Der Braten wird sonst trocken.«
»Wirklich, ich komme zurecht.« Rachel blieb beharrlich.
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich hätte kein gutes Gefühl, wenn Sie allein gingen. Der Weg ist voller Schlaglöcher.«
Raff hielt ihr den Arm hin, doch Rachel ignorierte ihn. Auch wenn ihr nichts anderes übrig blieb, als seine Begleitung zu akzeptieren, musste sie sich nicht an ihm festhalten. Schweigend stiegen sie die Treppe hinunter. Als sie am Pub vorüberkamen, sagte Raff: »Wie wär’s mit einem schnellen Bier?«
Rachel schauderte. »Nein danke. Aber bitte, wenn Sie eins wollen, lassen Sie sich nicht aufhalten! Ich passe schon seit ein paar Jahren auf mich selbst auf. Ich kann durchaus ohne Aufpasser nach Hause gehen.«
»Dann eben ein anderes Mal«, sagte Raff und ignorierte ihren Vorschlag. »Kommen Sie! Es ist dunkel.«
Weil sie ihn nicht davon abhalten konnte, gingen sie Seite an Seite weiter. Als sie die Dorfwiese hinter sich ließen, wurde der Weg schmal.
»Wir sollten hintereinander gehen«, sagte Rachel, nachdem sie Raff mindestens zweimal angerempelt hatte. »Oder Sie lassen mich einfach allein. Mir passiert schon nichts. Sie könnten hier warten, wenn Sie sich Sorgen machen, und aufpassen, dass niemand aus dem Büschen springt.«
»Sie sind ziemlich stur, stimmt’s?«, kommentierte er.
»Ja«, erwiderte Rachel rasch. »Ich betrachte das als Tugend.«
Er lachte. »Ich mag Herausforderungen.«
Rachel wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie wünschte, sie könnte ihn davon abhalten, sie zu begleiten. Als sie ihr Gartentor erreichte, blieb sie stehen. »Okay, ich bin sicher angekommen. Jetzt können Sie gehen.« Sie merkte, dass sie unhöflich klang, doch schließlich hatte sie ihn nicht um seine Begleitung gebeten.
»Gut. Dann bis bald.«
Rachel drehte sich nicht um, um ihm nachzublicken. Sie hörte, wie er summend den Weg entlangmarschierte. Sie konnte Summen nicht ertragen, es war zu disharmonisch.
Wenig später betrat sie das Haus und betrachtete die weiße Vollkommenheit. Sie hatte einige Wochenenden damit verbracht, die Farbschichten vieler Jahre zu entfernen, bis die Schnitzereien wieder zum Vorschein gekommen waren. Jetzt sah sie ein, dass sie darüber ihren Mann vernachlässigt hatte. Es war, wie er behauptete: Sie hatte tatsächlich dieses Haus wichtiger genommen als ihre Ehe. Und jetzt war es ihr Zuhause. Sie würde ihr Leben hier zu einem Erfolg machen, was auch immer passierte.
Später an diesem Abend, bevor sie zu Bett ging, öffnete sie den Schrank neben dem Badezimmer und betrachtete die sorgfältig gestapelten Laken, Bettbezüge, Kopfkissenbezüge und Matratzenauflagen. Dieser Schrank war eine Spezialanfertigung. Rachel brauchte Stauraum für das, was sie als kleinen Spleen betrachtete. Wenn sie gestresst war, kaufte sie Bettwäsche. Als sie noch in London lebte, hatte sie davon geträumt, eines Tages einen Wäscheschrank voller wunderschöner, perfekt gestapelter Bettwäsche zu besitzen. In ihrem Kopf stellte so ein Schrank einen Ort der Sicherheit dar. Jetzt gehörte er ihr im wirklichen Leben. Sie lächelte.
Am nächsten Tag war Rachel oben in dem Zimmer, das sie als Arbeitszimmer auserkoren hatte, und überprüfte ein letztes Mal die vor ihr liegende Tabelle. Ihr Kunde wollte seine Unterlagen gern in Papierform haben, und sie war gerade im Begriff, sie in den bereitliegenden Umschlag zu stecken, als eine Bewegung im Garten ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie schaute aus dem Fenster und sah Raff auf ihr Haus zukommen.
Ohne nachzudenken, stürzte sie die Treppe hinunter, um ihn aufzuhalten. Sie wollte ihn nicht in ihrem Haus haben.
Rachel hatte die Tür schon geöffnet, bevor er anklopfen konnte.
»Oh, hallo!«, sagte er und lachte überrascht. »Haben Sie nach mir Ausschau gehalten?«
In seiner Stimme und in seinem Akzent war irgendetwas, was sie nicht einordnen konnte. Es passte nicht so recht zu seiner zerschlissenen Jeans, den Arbeitsstiefeln aus Leder und den zu langen Haaren. Es brachte sie aus der Fassung.
»Ich bin gerade am Fenster vorbeigekommen und habe Sie gesehen«, erklärte sie und hoffte, er würde nicht bemerken, dass sie ein bisschen außer Atem war.
»Ich habe Brennholz für Sie. Sarah hat mir gesagt, dass Sie welches brauchen.«
»Meine Güte! Ich habe sie erst gestern Abend deswegen angesprochen.«
»Und sie hat sich heute Morgen bei mir gemeldet.«
»Warum sie Sie wohl gestern Abend nicht gefragt hat?«
»Wahrscheinlich dachte sie, ich hätte kein trockenes Holz. Aber ihr gewohnter Lieferant hatte offensichtlich nichts mehr, also musste sie sich an mich wenden. Und hier bin ich. Mit dem Holz.«
»Oh ja.« Rachel wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich konnte sie ihn nicht bitten, wieder zu verschwinden, bis sie Zeit gehabt hätte, sich psychisch auf seinen Besuch vorzubereiten. »Nun, vielleicht könnten Sie das Holz hinters Haus bringen?«
Er runzelte die Stirn. »Warum das denn?«
»Na ja«, sagte Rachel, der keine vernünftige Antwort einfiel. »So wird das doch gemacht. Die Holzscheite werden durch die Hintertür ins Haus getragen.« Hoffentlich bemerkte er nicht, dass sie zum allerersten Mal eine Brennholzlieferung in Empfang nahm.
»Und wo steht Ihr Ofen?«
»Im Wohnzimmer.«
»Und das liegt im vorderen Bereich des Hauses. Es wäre besser, das Holz in der Nähe des Ofens zu stapeln. Von hier aus muss es weniger weit geschleppt werden.«
Rachel öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Raff ging schon den Gartenweg entlang zu seinem Land Rover, an dem sich, wie sie jetzt bemerkte, ein Anhänger befand.
Instinktiv wollte Rachel ihr Heim beschützen, und rasch überlegte sie, wie sie das bewerkstelligen könnte. Vielleicht könnte sie ihn bitten, die Holzscheite neben der Haustür zu stapeln, damit sie sie selbst ordentlich ins Haus tragen konnte, aber ihm würde bestimmt ein Grund einfallen, warum das nicht funktionierte.
Sie sah, wie er eine Schubkarre vom Anhänger hob, und ihr war bewusst, dass sie nur noch wenige Augenblicke Zeit hatte, um sich einen anderen Plan zurechtzulegen. Im Geiste ging sie verschiedene Tücher und alte Stoffe in ihrem Wäscheschrank durch, mit denen sie den Fußboden abdecken könnte, doch dann fiel ihr ein, dass sie vor ihrem Umzug gründlich ausgemistet hatte und keine Tücher mehr besaß, die nicht makellos waren. Und der Gedanke an eine Schubkarre, die über das wertvolle Gewebe fuhr, ließ sie beinahe in Ohnmacht fallen.
Jetzt hörte sie, wie Holzstücke in die Schubkarre geworfen wurden. Wie lange es wohl dauern würde, bis sie voll war?
Es gelang ihr, ein kleines Stück ihres weißen Wollteppichs aufzurollen, bevor die erste Holzladung anrollte. Die Schubkarre hielt an. Rachel versuchte, den Teppich weiter aufzurollen, doch er war so breit, dass sie es allein nicht schaffte. Sie überlegte, ob sie Raff darum bitten sollte, aber irgendwie war die Vorstellung, wie er in seinen Stiefeln ihren Teppich aufrollte, schlimmer als alles andere.
»Was machen Sie da?«, fragte er.
Sie sah aus ihrer knienden Position zu ihm auf. Ihr war klar, dass er sie für eine komplette Idiotin halten musste. »Ich will nur den Teppich aus dem Weg räumen, damit er nicht schmutzig wird.«
»Und wie soll ich die Schubkarre über den aufgerollten Teppich bekommen? Lassen Sie ihn einfach liegen und machen Sie sich keine Gedanken wegen des Drecks! Es ist übrigens gar keiner da.«
Als sie den Läufer losließ, rollte er sich von selbst wieder zurück, und Raffs Schubkarre fuhr darüber. Rachel schauderte. Neben dem Ofen hielt er an und stapelte die Scheite in die Kaminecke. Sie musste zugeben, dass er das ziemlich ordentlich machte. Natürlich würde sie das Holz noch mal neu aufstapeln, sobald er fort war, aber das war in Ordnung.
»Das ist der perfekte Platz, um Holz aufzubewahren«, sagte Raff. »Hier liegt es wunderbar trocken und griffbereit.« Er legte das letzte Holzstück auf den Stapel. »Gibt es draußen einen Ort, an dem ich den Rest der Lieferung lagern kann? Hier passt noch eine Schubkarre voll hin, aber nicht die gesamte Anhänger-Ladung.«
Wie hatte sie bloß den Holzschuppen vergessen können? Rachel war ärgerlich auf sich selbst, weil sie so ein Stadtmensch war und die Ansammlung von Schuppen hinten im Garten vergessen hatte. Ihr Bauunternehmer aus London hatte gemeint, sie könnten nützlich sein, und Rachel teilte diese Meinung. Sie plante, sie bei nächster Gelegenheit weiß zu streichen und so als Strandhütten zu tarnen.
»Dorthin hätten Sie das Holz von vorneherein bringen sollen«, sagte sie. »In den Holzschuppen.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Und wie viel Dreck würden Sie dann jeden Abend verursachen, wenn Sie Körbe voller Holz ins Haus tragen müssten, um Feuer zu machen?«
Zwar war Rachel angespannt, gereizt und ein bisschen eingeschüchtert, aber die Worte »Körbe voller Holz« besänftigten sie. Das war einer der Träume, die sie in London gehegt hatte: auf dem Land zu leben und Körbe voller Holz neben einem Ofen stehen zu haben, in dem ein Feuer prasselte. Und in ihrem Traum hatte sie sich keine Gedanken über Schmutz gemacht.
»Ich hole den Schlüssel und schließe die Tür auf.«
»Und setzen Sie bitte den Kessel auf, diese Arbeit macht durstig!«