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Ein Rendezvous voller bezaubernder Missverständnisse auf dem Weihnachtsmarkt. Eine winterliche Hochzeitsreise wie im Märchen. Zwei drollige Hunde als Glücksboten für einen unvergesslichen Heiligabend.
In den englischen Cotswolds, wo beim Tanz der Schneeflocken in gemütlichen Cottages knisternde Kaminfeuer Behaglichkeit verströmen, entfaltet Katie Fforde glanzvolle Festtagsstimmung und jede Menge herzerwärmender Romantik.
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Seitenzahl: 422
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Anmerkung der Autorin
Widmung
Der Weihnachtsstrumpf
Ein Weihnachtsfest wie im Traum
Weihnachtlicher Kerzenschein
Weihnachtshunde
Weihnachten inkognito
Die Weihnachtselfe
Über das Buch
Ein Rendezvous voller bezaubernder Missverständnisse auf dem Weihnachtsmarkt. Eine winterliche Hochzeitsreise wie im Märchen. Zwei drollige Hunde als Glücksboten für einen unvergesslichen Heiligabend.
In den englischen Cotswolds, wo beim Tanz der Schneeflocken in gemütlichen Cottages knisternde Kaminfeuer Behaglichkeit verströmen, entfaltet Katie Fforde glanzvolle Festtagsstimmung und jede Menge herzerwärmender Romantik.
Über die Autorin
Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.
Katie Fforde
Weihnachtszauber im Cottage
Aus dem Englischen von Ulrike Werner
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der englischen Originalausgabe:»The Christmas Stocking and Other Stories«
Für die Originalausgabe:Copyright © Katie Fforde Ltd 2017
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven von © Sandra Cunningham / Trevillion Images; © Smileus/shutterstock; © momo design/shutterstock Illustrationen im Innenteil: © shutterstock: Natalya Levish | Alena Kaz | Babich Alexander | Afishka; Adobe Stock: jenesesimreE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-7779-8
www.luebbe.dewww.lesejury.de
Liebe Leserinnen und Leser,
wer hätte gedacht, dass es möglich ist, Weihnachten auf so viele verschiedene Arten zu begehen? Obwohl es da natürlich ebenso viele Möglichkeiten wie Menschen gibt, bin ich eigentlich nur gewohnt, auf eine Art zu feiern. Das Schreiben dieser Geschichten hat mir großen Spaß gemacht. Ich glaube fast, das Weihnachtsfest in Form einer Geschichte gefällt mir sogar noch etwas besser, denn auf diese Weise habe ich die Ereignisse wenigstens unter Kontrolle!
Hier ist also ein Buch mit Weihnachtskurzgeschichten für Sie. Zu einer von ihnen wurde ich durch meine »Enkelhunde« inspiriert, die ich so nenne, weil sie zwar meiner Tochter gehören, ich aber bei der Handaufzucht half, nachdem die Mutter der Welpen vor einem Jahr auf tragische Weise gestorben war. Sie sind eine Freude für uns alle, auch wenn sie mein Haus regelmäßig mit ihren matschigen Pfoten verunziert haben, bis wir endlich den Teich einzäunten. Die beiden lieben es auch, mich vor meiner Tochter und ihrem Mann in Verlegenheit zu bringen, indem sie auf meinen Polstermöbeln herumspringen und Dinge tun, von denen sie genau wissen, dass sie zu Hause nicht erlaubt sind! Was beweist, dass ich keine besonders geeignete Hunde-Oma bin!
Ich hoffe, dass Ihnen diese Geschichten gefallen und für ein wenig Entspannung sorgen, wenn das wirkliche Weihnachtsfest wieder einmal ein bisschen hektisch wird.
Alles Liebe und frohe Weihnachten!
Katie
Für Annie und Wilson,meine geliebten Enkelhunde
Es war Samstagmorgen. Einen Tag vor Heiligabend änderte das bis dahin milde, feuchte Weihnachtswetter plötzlich seine Meinung, und es wurde kalt. Romy fror.
Sie verkaufte Weihnachtsschmuck auf einem geschäftigen Weihnachtsmarkt in einem alten Bahnhofsgebäude in den Cotswolds und hatte sich in den ersten beiden Stunden ganz gut geschlagen. Aber nun kroch ihr die Kälte allmählich in die Knochen, und das trotz der vielen Schichten unter ihrer Lederjacke (einschließlich einer nicht gerade coolen Thermoweste), der zwei Paar Socken in den mit Schafsfell gefütterten Stiefeln, der Trapper-Mütze und der gestreiften Legwarmer über der Jeans. Die Legwarmer hatte Romy eben erst an einem der anderen Stände erworben.
Sie warf sehnsüchtige Blicke hinüber zum Imbissstand, der großartige Geschäfte machte. Romy war vor Tagesanbruch aufgestanden und hatte im Hinausgehen nur schnell nach einer Banane und einem Müsliriegel gegriffen. Zu allem Überfluss hatte ihre Heizung gestreikt, sodass die Dusche allenfalls lauwarm und die Wohnung unangenehm kalt gewesen war. Eine Tasse mit irgendetwas Heißem und vielleicht ein Schinkensandwich hätten ihr sicher wieder zu Tatkraft für den verbleibenden Tag verholfen. Wenn sie aber jetzt hinüberginge, um eine Tasse Tee zu erstehen, würde sie vielleicht ein gutes Geschäft mit der meist aus Männern bestehenden Gruppe versäumen, die soeben das Gebäude betreten hatte.
Obwohl es kaum zwölf Uhr war, kamen die Herren offensichtlich gerade aus dem Pub. Vermutlich waren sie der Meinung, dass sie ihre Weihnachtseinkäufe recht früh erledigten (schließlich war noch nicht Heiligabend), und möglicherweise fühlten sie sich sogar auf der sicheren Seite, weil ihnen klar war, dass sie nur ein einziges Geschenk zu kaufen brauchten. Zweifellos oblag es ihren liebenden Gattinnen oder Freundinnen, die Geschenke für Mütter, Schwestern, Tanten und den Rest der Familie zu besorgen.
Romy bemerkte einen Mann am Schluss der Gruppe und wusste zunächst nicht, ob er dazugehörte oder allein unterwegs war. Er trug eine Motorradkombi aus Leder, hatte dunkelblondes, längeres Haar und wirkte irgendwie stolz. Zielstrebig schritt er durch die Menschenmenge. Da er weder betrunken zu sein schien noch einen zerknitterten Anzug anhatte, entschied sie, dass er allein gekommen sein musste.
Vermutlich ist er hier, um ein Geschenk für seine Freundin oder Frau zu kaufen, dachte Romy und verbot sich, ihn attraktiv zu finden. Stattdessen dachte sie lieber über ihren eigenen Freund nach. Gus wartete zusammen mit seinen Eltern in Frankreich auf sie und bereitete dort ein großes Familienweihnachtsfest vor. Zum soundsovielten Mal schaute Romy sich an ihrem Stand um und fragte sich, ob Gus’ Familie ihre selbst gemachten Geschenke überhaupt würde zu schätzen wissen. Schließlich gab es einen Unterschied zwischen »hausgemacht« und »handgemacht«, und Romy bevorzugte den »handgemachten Look mit persönlicher Note«.
Sie hatte Gus’ Eltern bereits kennengelernt. Sie waren nach Frankreich ausgewandert, sprachen aber kaum Französisch und hatten offenbar nicht viele französische Freunde. Auf Facebook hatte sie seine beiden Schwestern gründlich ausgekundschaftet. Sie sahen gut aus, waren ordentlich gekleidet und wirkten mit ihren blonden Kindern, deren weiße Zähne von regelmäßigen Zahnarztbesuchen und eingeschränktem Zugang zu Süßigkeiten zeugten, wie der Werbung für eine Bekleidungskette entsprungen.
Für die drei Kinder der älteren Schwester hatte Romy ein Set aus mattierten Gläsern mit den Umrissen von Mama, Papa, allen drei Sprösslingen und dem Hund (einem Labrador) gebastelt. Eigentlich hatte sie Durchschnittskinder darstellen wollen, doch jetzt hatte sie das Gefühl, eine gewisse Ähnlichkeit erreicht zu haben. Es war nicht gerade das ideale Geschenk, um es auf einen Flug mit einer Billig-Airline mitzunehmen – Romy wollte kein zusätzliches Geld für aufgegebenes Gepäck ausgeben –, aber sie fand es wirklich hübsch. Für die beiden kleinen Jungen der jüngeren Schwester hatte sie schlichte weiße Laternen mit Figuren aus Minecraft bemalt. Für die zwei Frauen und Gus’ Mutter hatte Romy selbst bemalte Seidentücher vorgesehen, die wunderbar in ihr Handgepäck passten. Die Geschenke für die Ehemänner würde sie im Duty-Free-Shop besorgen. Etwas Alkoholisches war immer ein passendes Präsent.
Während Romy im Kopf die Checkliste durchging, glitt ihr Blick erneut über ihren Stand. Sie hatte sich in dieser Saison wacker geschlagen, ihre Ware auf allen lokalen Märkten und Weihnachtsmärkten präsentiert und ihre Weihnachtsdeko verkauft. Zwar verdiente sie damit keine Unsummen, aber abgesehen von der Standmiete hatte sie kaum Kosten und machte so fast ausschließlich Profit. Und das Geld war ein willkommenes Zubrot zu ihrem Teilzeitjob, mit dem sie sich ihr Master-Studium finanzierte. Romy war stolz auf ihre Dekoartikel und hoffte nur, dass Gus’ Eltern sich freuten, wenn sie ihre Geschenke öffneten.
Wenn sie länger über die Familie ihres Freundes nachdachte, fiel ihr auf, dass sie zwar alle recht umgänglich wirkten, aber – nach den Eltern zu schließen – auch ziemlich ruppig und lärmig. Im Grunde hatte Romy nichts gegen eine gewisse Lautstärke; eher störte sie das ständige Rückenklopfen und die Spötteleien, die schnell in eine gewisse Grausamkeit abgleiten konnten. Außerdem dachten diese Leute, dass alles, was keinen unmittelbar praktischen Wert hatte (wie zum Beispiel Kunst), absolute Zeitverschwendung war. Und als wäre das noch nicht genug, wusste Romy ganz genau, dass man sie nur nach Frankreich eingeladen hatte, weil Gus seiner Familie erzählt hatte, dass ihre Eltern Weihnachten in Neuseeland verbringen würden. Eigentlich hätte Romy lieber mit Freunden gefeiert, doch es wäre ihr undankbar vorgekommen, die Einladung abzulehnen.
Gus war wirklich reizend, und Romy war in der ersten Zeit nach ihrem Kennenlernen völlig verrückt nach ihm gewesen. Aber jetzt, nach einem Jahr, fragte sie sich manchmal, ob er sie nur derart angezogen hatte, weil er sich von dem Freund, den sie vor Gus gehabt hatte, so grundlegend unterschied. Gus hatte ihr gegenüber einmal erwähnt, dass seine Freunde ein wenig schockiert reagiert hatten, als er mit einer so künstlerisch interessierten, eigenwilligen jungen Frau wie ihr angekommen war, während sie ihn jedoch gleichzeitig um seine umwerfende Freundin beneideten. Beim ersten Date hatte er sich ziemlich ängstlich erkundigt, ob sie irgendwelche Tattoos habe. Zwar hatte sie ihn diesbezüglich beruhigen können, aber seine Frage hatte sie dazu gebracht, über eine Fledermaus am Handgelenk nachzudenken. Die bevorstehende Reise nach Frankreich sah Romy gewissermaßen als Test: Wenn ihre Beziehung das Fest überlebte, waren sie wahrscheinlich füreinander bestimmt. Insgeheim wünschte sie sich, dass sie weder dem Weihnachtsfest in Frankreich noch ihrer Beziehung so zwiespältig gegenüberstünde.
»Hier«, sagte jemand. »Ich dachte, das könnten Sie brauchen. Sie sehen ziemlich verfroren aus.«
Es war der Mann in der Lederkombi, der ihr eine Tasse mit heißer, gewürzter Schokolade reichte.
Romy nahm das Getränk mit dankbarem Lächeln an. »Vielen Dank. Die kann ich gut gebrauchen. Ich hatte heute Morgen kaum Zeit für eine Tasse Instantkaffee, und obendrein ist auch noch meine Heizung zu Hause ausgefallen.« Sie nahm einen herzerwärmenden Schluck. »Schauen Sie sich doch bitte um und suchen Sie sich etwas aus. Ich schenke es Ihnen. Vielleicht eine Kleinigkeit für Ihre Freundin?«
Sie hasste sich selbst für das, was wie unverhohlenes Baggern aussehen musste, aber es war zu spät.
»Ihr Geschenk habe ich schon«, sagte der Mann. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er ziemlich sicher zu sein, dass er den Geschmack seiner Freundin getroffen hatte. Romy wusste, wie dumm ihre Enttäuschung war – schließlich war sie selbst nicht frei –, doch irgendwie machte es ihr zu schaffen.
»Ja, prima! Die meisten Männer denken erst an Heiligabend an solche Dinge. Sie haben also einen echten Vorsprung.«
»Allerdings brauche ich noch Weihnachtsdeko. Mein Haus ist im Moment eine Baustelle. Meine Freundin feiert Weihnachten mit ihrer Familie in Connecticut, und ich möchte, dass es richtig toll aussieht, wenn sie zurückkommt. Sie soll sich in das Haus verlieben.«
»Nun«, sagte Romy, nachdem sie genug heiße Schokolade getrunken hatte, um sich wieder etwas aufzuwärmen. »Weihnachtsdekos sind meine Spezialität. Das alles hier habe ich selbst gemacht. Schauen Sie sich die da mal an.« Sie zeigte auf eine Bodenvase aus Glas, die weiß bemalte Zweige enthielt. An den Ästen waren kleine Anhänger befestigt, die wie Heißluftballons aussahen. In jedem der Ballons steckte ein winziges, batteriebetriebenes Licht, sodass die Äste aus der Ferne so wirkten, als wären sie mit Sternen übersät. Aus der Nähe konnte man die liebevoll bemalten, eiförmigen Anhänger erkennen.
Der Mann neigte den Kopf. Er wirkte ein wenig zerzaust, was Romy durchaus echt und keineswegs beabsichtigt vorkam. »Also, ich muss sagen, dass Ihre Dekorationen mir gleich beim Hereinkommen aufgefallen sind.«
»Und trotzdem sind Sie zuerst zum Kaffeestand gegangen?«
»Ich sah Sie stampfen, auf und ab gehen und mit den Armen schlagen und dachte mir, dass Ihnen kalt sei.« Er zwinkerte freundlich, und es war unmöglich, nicht darauf zu reagieren.
Romy lachte. »War es so offensichtlich? Das tut mir leid. Vielleicht zieht es hier an diesem Stand ganz besonders, denn allen anderen scheint die Kälte nichts auszumachen.« Trotz seines »Bad Boy«-Looks hatte der Mann ein sehr freundliches Lächeln. Romy empfand einen Stich Eifersucht auf das Mädchen mit der Familie in Connecticut. »Also«, meinte sie knapp. »Was möchten Sie?«
»Ich glaube, ich nehme sie alle«, sagte er nach einiger Überlegung.
»Einen kann ich Ihnen gern schenken, aber nicht alle.«
»Ich bezahle dafür. Den Gratiszweig nehme ich natürlich auch. Und alles, was Sie sonst noch haben. Ich möchte einen bleibenden Eindruck hinterlassen.« Er grinste.
Romy räusperte sich und senkte den Blick auf ihre Dekoartikel. Zwar war der Mann gefährlich attraktiv, aber als Kunde ziemlich perfekt, dachte sie. »Die Heißluftballons kosten jeweils fünf Pfund«, sagte sie. Der Preis hatte die meisten Käufer abgeschreckt, obwohl in den Zweigen eine Menge Arbeit und Aufwand steckten. »Die Fledermäuse kosten vier Pfund fünfzig und die Gläser mit den Teelichtern nur ein Pfund, obwohl sie wirklich hübsch sind.«
»In diesem Fall nehme ich keinen Ballon als Geschenk an. Eine Tasse heiße Schokolade ist keinen Fünfer wert.«
»Wie wäre es denn mit einer von denen hier«, schlug Romy vor und zeigte ihm eine aus Draht und schwarzen Strümpfen hergestellte Fledermaus. Sie hatte davon mehrere gebastelt, aber sie verkauften sich nicht gut. Fledermäuse schienen eher ein Nischenprodukt zu sein.
»Oh, eine Fledermaus!«, sagte er erfreut. »Ich mag Fledermäuse!«
»Ehrlich? Dann nehmen Sie doch gleich mehrere. Niemand sonst scheint etwas für sie übrigzuhaben. Ich nehme an, sie passen eher zu Halloween als zu Weihnachten, doch ich finde sie ziemlich süß.«
»Ich mag Fledermäuse, weil ich ihnen zu verdanken habe, dass ich mein Haus und mein Musikstudio so günstig bekommen habe.«
»Schlaue Fledermäuse! Wie haben sie denn dieses Kunststück fertiggebracht? Das würde ich auch gern beherrschen.«
Er lachte. »Leider haben sie es nicht durch ihre Intelligenz geschafft, sondern dadurch, dass sie im Dach der Gebäude nisten. Weil sie geschützt sind, dürfen sie nicht entfernt werden. Aber nicht jeder mag Fledermäuse.«
»Was ist das für ein Haus, in dem sich Fledermäuse wohlfühlen? Doch nicht etwa eine alte Kirche oder so?« In Gedanken sah sie Fledermäuse vor sich, die in der Abenddämmerung aus einem schmalen Bogenfenster schwärmten – dicht gefolgt von Dracula, der sich natürlich aus einem größeren Fenster stürzte.
»Es ist eine alte Mühle, die jahrelang leer stand und ziemlich von Wald eingeschlossen ist. Wenn sie erst einmal fertig ist, wird sie wunderschön.«
»Hört sich toll an! Ich wollte schon immer im Wald wohnen, mit dem Gesang der Vögel aufwachen und sehen, wie das Sonnenlicht durch die Äste der Bäume fällt.« Sie hielt inne. »Na ja. Vielleicht nicht gerade im Winter!« Romy lachte und nahm ihre Mütze ab. »Das kommt davon, wenn man mit Spitznamen ›Goldlöckchen‹ heißt«, sagte sie und schüttelte ihre blonden Locken.
»Ah, wie in dem Märchen Goldlöckchen und die drei Bären! Jetzt wird mir einiges klar«, sagte er und stimmte in ihr Lachen ein. »Sie sind dazu bestimmt, in den Wäldern zu leben!«
»Ich habe schon mal daran gedacht, mir die Haare schwarz zu färben und so zu tun, als wäre ich eine Fledermaus. Dann wäre es vielleicht einfacher, mir ein Zuhause im Wald zu suchen.«
»Tun Sie das bloß nicht!« Er klang erschrocken.
»Nein, schon gut. Eine Freundin hat es einmal gemacht, und es brauchte eine halbe Ewigkeit und viele Hundert Pfund, bis sie erkannte, dass Blondinen tatsächlich mehr Spaß haben. Aber zurück zu der Weihnachtsdeko. Was wollten Sie mitnehmen?«
»Ich nehme alles.«
»Wirklich? Ich habe hier zehn Ballons, das wären schon einmal fünfzig Pfund. Ich würde Ihnen natürlich einen Rabatt einräumen.«
»Nicht nötig. Rechnen Sie einfach aus, was alles zusammen kostet.«
Romy addierte alles. »Sagen wir: achtzig Pfund.«
Er hatte die Summe etwas schneller ausgerechnet als sie. »Bei mir kommen aber fünfundneunzig raus.«
»Nein, mit dem Mengenrabatt sind es achtzig Pfund.«
»Neunzig!«
Sie schüttelte den Kopf. »Achtzig ist mein letztes Angebot.«
»Neunzig. Ich nehme die Zweige auch gleich mit.«
»Die Zweige sind umsonst. Sie könnten sich auch selbst welche suchen – vor allem, wenn Sie im Wald wohnen!«
»Mag sein, doch dann müsste ich mich um weiße Farbe und einen Pinsel kümmern. Ich hätte lieber Ihre.«
»Na gut.« Dieser Mann hatte ihre sämtlichen Artikel gekauft, was bedeutete, dass sie gleich Schluss machen konnte. Ihr Flug nach Frankreich ging entsetzlich früh am nächsten Morgen, und vorher musste sie noch den Bus zum Flughafen nehmen.
Er runzelte die Stirn. »Mir ist gerade eingefallen: Ich bin mit dem Motorrad hier. Wie bekomme ich die Zweige nach Hause?«
»Tja, wie wollten Sie denn die Heißluftballons und die anderen Dekorationen transportieren?«
»In meiner Top-Box. Aber die Äste passen da nicht hinein.«
»Dann raffen Sie sich auf und sammeln Sie doch selbst neue. Sie müssten sie nicht einmal unbedingt weiß anmalen. Stellen Sie sie so wie ich in einen Eimer, füllen Sie ihn mit Sand, Erde oder Steinen und hängen Sie die Heißluftballons daran auf – und fertig ist Ihr Weihnachtsbaum. Sie brauchen nur noch Geschenke und Schokolade darunterzulegen.«
Er antwortete nicht, sondern schaute sie einige Sekunden lang nachdenklich an. »Ich überlege gerade, ob ich Sie um einen großen Gefallen bitten darf.«
»Fragen Sie nur. Ich kann schließlich Nein sagen.« Insgeheim jedoch wusste sie längst, dass sie vermutlich nicht ablehnen würde.
»Ich muss noch ein paar Sachen einkaufen, und zwar mehr, als ich in der Top-Box transportieren kann. Eigentlich wollte ich versuchen, mir die Einkäufe liefern zu lassen; vielleicht hätte auch ein Freund sie für mich abgeholt. Aber könnten Sie nicht die Lebensmittel und die Deko für mich mitnehmen?«
Romy dachte nicht lange nach. Abgesehen von allem anderen – und da war einiges – hatte er ihren gesamten Warenbestand aufgekauft. Ihm die Sachen zu liefern war da nicht zu viel verlangt.
»Einverstanden. Aber nur, wenn ich im Gegenzug Ihr Haus besichtigen darf.«
Er lachte laut auf. »Abgemacht! Doch erwarten Sie nicht zu viel. Es ist noch eine Baustelle. Und jetzt möchte ich Sie gern bezahlen …«
»Romy«, vollendete sie den Satz.
»Felix. Es war nett, mit Ihnen Geschäfte zu machen«, sagte er und reichte ihr das Geld.
Sie nahm die Banknoten, die er ihr in die Hand drückte, und steckte sie in die Tasche. Damit würde sie in Frankreich etwas Taschengeld zur Verfügung haben. »Dann gehen Sie mal einkaufen.«
Romy folgte Felix in ihrem Auto. Sie war ein bisschen aufgeregt. Ihm hatte sie zu verdanken, dass ihr mehr Zeit blieb, um für ihre Frankreichreise am nächsten Tag zu packen. Und die zusätzliche Zeit brauchte sie dringend. Keines ihrer Kleider erschien ihr angemessen, und die Geschenke waren doch recht sperrig. Und wenn Gus’ Eltern schon so freundlich gewesen waren, sie zu Weihnachten einzuladen, wollte sie die Leute nicht mit allzu ausgefallener Kleidung schockieren. Sie kleidete sich gern ein wenig gruftimäßig. Es fiel ihr schwer, sich mit Blusen und Kaschmirstrickjacken anzufreunden.
Während sie dem Motorrad durch die Straßen folgte, wurde ihr klar, dass sie ihre Vorfreude auf das Packen als Vorwand benutzte, um ihr schlechtes Gewissen zu verdrängen, das sie empfand, weil sie einen fremden Mann in seinem Haus besuchte – auch wenn es am helllichten Tag geschah. Wäre Felix unattraktiv gewesen, lägen die Dinge anders. In diesem Fall hätte sie sich kein bisschen schuldig gefühlt. Aber er war wirklich verflixt attraktiv.
Das Motorrad bog von der Landstraße ab. Romy folgte ihm auf einen von Bäumen gesäumten Weg. Nach und nach wurden die Bäume dicker und verdichteten sich zu einem richtigen Wald. Auch der Himmel hatte sich verfinstert, und ihr war klar, dass das Tageslicht rapide abnahm. Sie parkte in einer großen Einbuchtung, die Felix ihr zeigte.
»Oh, wow! Was für ein toller Wald!«, sagte sie beim Aussteigen. »Es ist wunderschön hier!« Es war allerdings auch deutlich kälter als in der Stadt.
»Das Haus liegt sehr einsam, aber mir gefällt es.«
Seine Betonung lag auf dem »mir«. Eigentlich hätte er sagen müssen: »Uns gefällt es«, dachte Romy. Seine Worte deuteten darauf hin, dass seine Freundin aus Neuengland offenbar ein wenig anders empfand. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein.
»Kommen Sie rein, ich zeige Ihnen alles.«
»Lassen Sie uns lieber erst Ihre Einkäufe hineinbringen.«
Nachdem Romy die Deko sicher ins Haus gebracht hatte, schleppte sie eine der Einkaufskisten in den Küchenbereich des großen, offenen Raumes. Es gab keine Einbauküche, sondern nur eine Edelstahlspüle und einen großen Herd. An den Wänden standen ein paar alte Schränke. Romy gefiel die Art, wie die Küche einerseits abgetrennt war, gleichzeitig aber ein Teil des Zimmers blieb. Der Raum hatte so viel Potenzial, dass es ihr schwerfiel, nicht vor Begeisterung aus dem Häuschen zu geraten. Die Kiste klirrte aufschlussreich, als sie sie auf einer behelfsmäßigen Arbeitsplatte abstellte.
»Sie haben nicht gerade viel zu essen gekauft, wenn man bedenkt, dass Weihnachten ist und die Leute normalerweise dreimal so viel einkaufen, wie sie vermutlich essen können«, stellte sie fest und fragte sich sofort, ob das zu neugierig oder unhöflich gewesen war.
Er schien nichts dagegen einwenden zu wollen. »Ich habe vor, die Weihnachtstage bei Freunden zu verbringen, und finde, dass man besser erst nach den Feiertagen einkaufen sollte, wenn alles nur noch halb so teuer ist.«
»Geizhals! Sie schnorren lieber Essen bei Ihren Freunden, um selbst später alles billiger zu kaufen!« Romy tat nur, als wäre sie schockiert. In Wirklichkeit hielt sie das für eine gute Idee.
»Hey! Schließlich bringe ich ihnen Brandy, Portwein, einen sehr schönen Rotwein und diesen abscheulichen Sahnelikör mit, den meine Freundin so gern mag.«
Romy liebte Bailey’s ebenfalls und fragte sich, ob Gus ihr vielleicht eine Flasche gekauft hatte. Allerdings vermutete sie, dass seine Eltern den Likör als »klebrig« bezeichnen und missbilligen würden.
»Gut«, sagte sie. »Dann wollen wir uns mal um Ihren Weihnachtsbaum kümmern.«
Sie stellten Romys bemalte Zweige in einer Ecke neben der riesigen Glaswand auf, von der aus man in den Wald hinausblickte. Es dauerte eine Weile, die Zweige zu schmücken, aber schließlich sah es wunderschön aus.
»Herrlich«, stellte Romy fest, nachdem sie alle batteriebetriebenen Teelichter eingeschaltet hatten. »Es wäre natürlich praktischer, wenn sie miteinander verbunden wären und man sie einfach mit einem einzigen Schalter anknipsen könnte, doch ich habe sie als Einzeldeko entworfen und nicht erwartet, sie als Ganzes zu verkaufen.«
»Was genau machen Sie eigentlich, wenn Sie gerade keine Teelichter verhökern?«
Sie lachte. Es gefiel ihr, dass er sie neckte. »Ich studiere Bildende Kunst und Landschaftsarchitektur und mache gerade meinen Master. Ursprünglich hatte ich andere Pläne. Eigentlich wollte ich etwas Vernünftiges studieren, aber dieser Studiengang hat es mir dann doch mehr angetan.« Sie lachte erneut. »Mein Freund hält mich für verrückt, dass ich etwas aufgegeben habe, das mir zu einer echten Qualifikation verholfen hätte – vielleicht als Lehrerin. Doch als ich herausfand, dass ich den Master in einem Fach machen konnte, das ich wirklich liebe, konnte ich einfach nicht Nein sagen.« Der Studiengang war auch ein Grund dafür, dass sie immer nach Wegen suchte, ein bisschen mehr Geld zu verdienen.
»Ich finde, das klingt ziemlich cool«, bemerkte Felix und blickte sie aufmerksam an.
Verlegen erklärte sie: »Das bedeutet natürlich, dass ich chronisch pleite bin. Doch es macht mir nichts aus.«
Er schien noch etwas sagen zu wollen und sich dann anders zu besinnen. »Ich zeige Ihnen jetzt die Mühle, ehe es zu dunkel wird.«
Das Haus war riesig und luxuriös – oder würde es zumindest einmal sein, wenn es fertig war. Die Küche war so konzipiert, dass sie von überall eingesehen werden konnte. Mit Oberlichtern in der Decke nutzte sie jedes natürliche Licht. Im Wohnzimmer standen ein riesiger Holzofen und mehrere recht schäbige alte Sofas. Viel anderes Mobiliar gab es nicht, sah man einmal von den beeindruckenden Stapeln Vinylplatten ab. Die Wände waren aus Naturstein und bedurften dringend einiger großer Kunstwerke (das war Romys Meinung, die sie aber für sich behielt).
Im Obergeschoss gab es drei Schlafzimmer mit angeschlossenen, großzügigen Bädern, von denen aus man nach draußen in die Baumkronen schauen konnte: Feuchträume mit viel Platz für zwei. Das Hauptschlafzimmer war so schön, dass Romy vor Bewunderung und Neid den Atem anhielt.
»Es ist traumhaft«, sagte sie. »Absolut traumhaft.«
»Eines Tages vielleicht«, schränkte Felix ein. »Leider ist bisher nur die Dusche im Erdgeschoss angeschlossen, das Wohnzimmer ist ein einziges Chaos, und mit der Küche habe ich noch nicht einmal angefangen.« Er klang, als zitierte er jemanden. »Ach ja, und im Schlafzimmer riecht es nach Fledermäusen.«
»Wirklich? Ist mir nicht aufgefallen. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie Fledermäuse riechen. Und mit einer hübschen Duftkerze bekäme man das doch sicher in den Griff, oder?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ganz im Ernst: Ein Raumduft oder eine Duftkerze könnten dafür sorgen, dass es im Schlafzimmer himmlisch riecht. Ihre Freundin würde es dann sicher mögen.«
Er schwieg einen Moment, ehe er schließlich antwortete: »Ich hoffe es. Möchten Sie das Studio sehen?«
Jetzt war es Romy peinlich, dass sie vorgeschlagen hatte, eine Kerze aufzustellen. Schließlich ging es sie nichts an, und sie war froh, dass er das Thema gewechselt hatte. »Oh, ja, bitte.«
»Allerdings ist es eines für Musiker, nicht für Künstler«, fügte er hinzu.
»So genau nehme ich es nicht.«
Als sie den gepflasterten Hof überquerten, fiel Romy auf, dass es viel kälter geworden war. Sie glitt auf einem Stein aus und hoffte, dass es Wasser und kein Eis war. Vorsichtshalber beschloss sie, nicht zu lange im Studio zu verweilen. Sie musste nach Hause und packen. Die Tage waren kurz, und sie hatte keine Lust, in der Dämmerung durch die dunklen Wälder zu fahren. Außerdem erschien es ihr noch weniger angebracht, sich am Abend in Felix’ Haus aufzuhalten. Vielleicht fühlte es sich gerade deshalb so falsch an, weil Felix ihr gefiel.
Anders als das Haus war das Studio beinahe vollständig eingerichtet. Es hatte wunderschöne Holzböden. An den Wänden hingen merkwürdige rechteckige Kisten, die vermutlich der Schalldämmung dienten; es gab einen riesigen, geschwungenen Tisch mit Hunderten von Schaltern und einen Flügel. An den Wänden hingen Fotos von Bands, von denen Romy eine erkannte. Die Einrichtung sah keineswegs billig aus.
Ein Anflug von Mitgefühl für Felix’ Freundin überkam sie. Seine Prioritäten lagen eindeutig in diesem Studio. Wenn er jedoch sein Geld auf diese Weise verdiente, war dagegen nichts anzuwenden.
»Sie denken jetzt sicher, dass ich zu viel für das Studio und nicht genug für das Haus ausgegeben habe«, sagte Felix. Es klang, als wollte er sich rechtfertigen. »Aber so verdiene ich nun einmal meinen Lebensunterhalt: Ich bin Musikproduzent.«
Romy nickte. »Genau das habe ich mir gedacht. Schließlich muss man Geld erst einmal verdienen, ehe man es für ein schickes Haus ausgibt.«
Plötzlich grinste er sie mit glänzenden Zähnen an. »Obwohl einer der Gründe für das unfertige Haus der ist, dass ein Kumpel die Klempnerarbeiten erledigen sollte, dann aber ein Baby bekam und plötzlich keine Freizeit mehr hatte.«
»Sehr ungewöhnlich«, erklärte Romy schmunzelnd.
»Ich meine natürlich, dass seine Frau das Baby bekam. Doch das wissen Sie ganz genau. Aber Sie haben schon recht. Ich sollte kein Geizkragen sein, sondern einen Profi beauftragen und ordentlich dafür bezahlen.«
»Ich hatte Ihnen die Absolution als Geizhals bereits erteilt, nachdem ich erfahren habe, wie viel Alkohol Sie Ihren Freunden spendieren.«
»Dann ist das also in Ordnung.«
»Hören Sie …«
Sie hatten beide gleichzeitig zu sprechen angefangen, aber Felix ließ Romy den Vortritt.
»Ich sollte jetzt wirklich losfahren«, sagte sie bedauernd.
»Sollen wir nicht erst noch einen Tee trinken? Und vielleicht ein Sandwich dazu essen?«
Romy war sich nicht ganz sicher, aber auch er schien die gemeinsame Zeit ein wenig verlängern zu wollen. Und sie hatte nun tatsächlich Hunger.
»Ich habe Schinken da«, fügte er lockend hinzu.
Romy erlag der Versuchung. »Das wäre wunderbar. Aber danach muss ich wirklich fahren.«
Auf Felix’ Anregung hin entzündete Romy ein Feuer im Holzofen, während Felix Schinkenbrötchen zurechtmachte. Er hatte Brötchen eingekauft und röstete sie leicht an, ehe er sie mit dem Schinken belegte. Er hatte auch eine große Auswahl an Soßen da, und obwohl Romy ihr Brötchen schlicht bevorzugte, war es schön, etwas angeboten zu bekommen. Sie nahm auch eine Tasse Tee an.
Sie aßen und tranken vor dem Feuer. Um Gesprächsstoff waren sie nicht verlegen, denn sie entdeckten viele Gemeinsamkeiten: die Liebe zu Natur, Fledermäusen und Musik, den gleichen Sinn für Humor und ihre Einstellung zum Leben im Allgemeinen. Romy fühlte sich richtig wohl. Kaum zu glauben, dass sie sich erst wenige Stunden zuvor kennengelernt hatten.
»Wieso haben Sie eigentlich ein Foto von den Flying Angels an der Wand in Ihrem Studio?«, erkundigte sie sich.
»Die Angels? Das sind alte Freunde von mir. Sie kommen manchmal zur Probe her und arbeiten ein bisschen am Mischpult. Kennen Sie sie?«
»Na ja, sie stammen hier aus der Gegend. Ich habe sie einmal in einem Pub gehört.« Damals hatte sie Gus mitgenommen, und obwohl er behauptet hatte, die Band zu mögen, hatte er sie nicht wirklich davon überzeugen können.
»Cool! Sie haben bald wieder einen Auftritt. Wir sollten zusammen hingehen!.«
»Das sollten wir besser nicht tun«, erklärte sie, stellte ihre Tasse auf den Boden neben den Ofen und stand auf. »Dafür sollte ich aber jetzt schleunigst nach Hause fahren.«
Romy befürchtete, dass sie es nicht schaffen würde, einfach nur mit Felix befreundet zu bleiben. Und ihm traute sie es auch nicht zu. Sie musste die Notbremse ziehen, ehe etwas passierte, was sie beide bereuen würden.
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie gehen müssen?« Er stand ebenfalls auf. Der Gedanke an den Abschied schien ihn zu bekümmern.
»Ja, bin ich. Mein Flug geht morgen früh, und vorher muss ich noch den Bus nehmen. Aber es war … wirklich schön. Ich liebe Ihr Haus im Wald, und ich finde wirklich nicht, dass es im Schlafzimmer nach Fledermauskot riecht.« Den letzten Teil hatte sie hinzugefügt, um die Stimmung ein wenig aufzuhellen. Jetzt jedoch erschien ihr die Bemerkung plötzlich etwas zu intim.
Er begleitete sie zur Tür und den Hügel hinauf, wo ihr Auto stand. Immer noch schien er nicht zu wollen, dass sie ging. Sie hingegen schritt aus, so schnell sie konnte, um ganz sicherzugehen, dass sie weder Gus noch ihren Flug nach Frankreich und schon gar nicht alles Vernünftige in ihrem Leben aufgab.
»Auf Wiedersehen«, verabschiedete sie sich und setzte die Trapper-Mütze auf.
»Auf Wiedersehen«, sagte er. Er sah aus, als wollte er ihr einen Kuss auf die Wange drücken, doch Romy trat einen Schritt zurück, um ihn daran zu hindern.
Sie stieg ins Auto und ließ den Motor an.
Als sie langsam davonfuhr, standen Tränen in ihren Augen. Vielleicht waren sie der Grund dafür, dass sie die Kurve zu spät bemerkte. Plötzlich war die Straße spiegelglatt. An der Biegung fuhr ihr Auto geradeaus, über eine leichte Böschung und gegen einen Baum. Weil sie nur langsam unterwegs gewesen war, zog sie sich keine Verletzungen zu, aber zuzusehen, wie die Motorhaube ihres Autos wie in Zeitlupe zerknautschte, war sehr schmerzlich.
Das Auto hing mit der Fahrerseite über dem Graben, doch Romy schaffte es, auszusteigen und sich herunterzuhangeln. Dann kletterte sie die Böschung hinauf und stapfte zurück zur Fahrbahn.
Felix stand keuchend vor ihr. »Ich habe Ihnen nachgeschaut und gesehen, was passiert ist. Ist mit Ihnen alles in Ordnung?« Ohne auf ihre Antwort zu warten, nahm er sie in die Arme.
Das Gefühl war zwar angenehm, aber die nette Geste half nicht. Mehr denn je fühlte sie sich den Tränen nahe. »Mir geht es gut«, stieß sie heiser hervor.
Romys Telefon meldete sich mit einem vernehmlichen »Ping«. Es lag noch im Auto, dessen Fahrertür offen stand.
»Ich hole es«, sagte Felix und marschierte davon.
Bis er wieder zu ihr zurückkam, hatte Romy sich beruhigt. Ihr Vater hatte ihr eine Mitgliedschaft in einem Automobilclub geschenkt. Ein Abschleppwagen würde sie von der Böschung ziehen; ihr Auto war vermutlich sogar noch fahrbereit. Also alles so weit in Ordnung.
»Hier ist Ihr Telefon«, sagte Felix. »Und Ihre Tasche habe ich auch mitgebracht.«
Romy hatte zwei Textnachrichten erhalten. Die erste war von der Fluggesellschaft, die ihr mitteilte, dass ihr Flug am nächsten Morgen wegen Eisbildung auf den Start- und Landebahnen ausfiel. Die zweite kam von Gus, der offenbar bereits von den Flugausfällen gehört hatte.
Flugabsage tut mir leid! Albtraum! Wirst du versuchen, umzubuchen und nach den Feiertagen zu kommen? Lohnt sich vielleicht nicht für einen Tag. Wir reisen ja bereits am 28.12. wieder ab. Vielleicht kannst du mit Freunden feiern. Wir holen unser Weihnachten dann nach, okay? Frohe Weihnachten, Süße!
»Was ist los?«, erkundigte sich Felix.
»Mein Flug ist wegen Glatteis gecancelt. Und Gus, der offensichtlich Bescheid wusste, schlägt vor, dass ich Weihnachten lieber mit Freunden feiern soll.« Sie unterbrach sich. »Vermutlich kann ich nicht einmal zu ihnen fahren. Ob ich ein Taxi nehmen soll?« Wenn es überhaupt möglich war, würde es ein Vermögen kosten.
»Ist doch eine geniale Idee, mit Freunden zu feiern«, sagte Felix. »Feiern Sie mit mir! Wir sind doch Freunde, oder?«
Romy musste unwillkürlich lächeln. »Geht nicht. Sie wollen doch auch zu Ihren Freunden.«
»Das kann ich absagen – sie haben mich ohnehin nur eingeladen, weil sie dachten, ich wäre allein. Warum wollen Sie Weihnachten nicht mit mir verbringen? Ihr Flug ist abgesagt. Was wollen Sie sonst tun? Ihr Auto ist nicht fahrtüchtig, und ein Taxi kostet viel zu viel.«
»Sie haben eine Freundin. Ich sollte zumindest versuchen, nach Hause zu kommen.« Plötzlich fiel ihr die defekte Heizung ein. Keine Wärme, kein heißes Wasser und kein Hauswirt, der die Heizungsanlage reparieren konnte. (Er war über Weihnachten verreist.)
»Schon, aber sie kommt erst kurz vor Neujahr zurück, und wir beide wissen uns zu benehmen. Sie haben mein absolutes Wort darauf – großes Pfadfinderehrenwort. Wir werden Weihnachten als Freunde zusammen feiern.«
Sie unterdrückte ein Kichern bei der Vorstellung, dass dieser Biker und Musikproduzent ein Pfadfinder war, suchte aber fieberhaft weiter nach einem Grund zu gehen. »Was ist mit meinem Auto? Ich kann es doch nicht einfach mit der Nase im Baum stehen lassen.«
Er lächelte. »Ich habe nicht nur ein Motorrad, sondern auch einen Land Rover. Wenn man hier wohnt, braucht man so etwas. Sobald es nicht mehr glatt ist, ziehe ich Sie damit von der Böschung. Das ist überhaupt kein Problem.«
»Morgen ist Heiligabend. Wenn das Wetter besser wird, schaffe ich es vielleicht nach Hause.«
»Sagten Sie nicht, Ihre Heizung sei kaputt? Wollen Sie wirklich in eine kalte Wohnung zurückkehren?«
»Ich habe auch kein heißes Wasser«, musste sie zugeben.
»Dann bleiben Sie doch! Ich verspreche, dass nichts geschehen wird, was unsere jeweiligen Partner beunruhigen könnte. Ich respektiere Ihre Vorbehalte und denke ebenfalls so. Untreue geht gar nicht.«
Sie spürte, wie sich ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Es gab tatsächlich keine Alternative. Sie schob das Schuldbewusstsein beiseite und gestattete einer Glücksblase in sich, an die Oberfläche zu steigen. Sie musste Weihnachten nicht mit der ungehobelten Familie ihres Freundes verbringen, sondern durfte mit einem netten, fröhlichen Mann feiern, der sich für die gleichen Dinge interessierte wie sie. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
»Um ganz ehrlich zu sein«, erklärte sie, während sie Arm in Arm zum Haus gingen (für den Fall, dass sie nach dem Unfall noch etwas wacklig auf den Beinen war), »ich habe mich ein wenig vor dem Aufenthalt bei Gus’ Familie gefürchtet. Sie sind sehr freundlich, doch ich glaube nicht, dass ich zu ihnen passe. Sie stehen auf Quizspiele.«
»Ich quizze auch gern«, sagte Felix. »Sie etwa nicht?«
»Doch, schon. Aber ich bin manchmal wie vor den Kopf geschlagen bei Dingen, die ich eigentlich wissen sollte. In Kunst, bei Künstlern und bei Indiebands und solchen Themen macht mir keiner was vor. Doch Gebirgszüge? Da komme ich ins Schleudern!«
»Aber wenn ein Rätsel in der Zeitung ist, versuchen Sie doch sicher auch, es zu lösen?«
»Nur wenn die Spielregeln nicht gelten.«
»Sie meinen, Sie googeln die Antworten?« Er schien ein wenig schockiert zu sein.
»Nein. Allenfalls, wenn ich wirklich daran verzweifle und nicht selbst darauf komme. Aber diese Quizspiele in geselliger Runde mag ich nicht. Ich will vermeiden, dass jemand sagt: ›Hattest du an deiner supertollen Schule etwa keinen Geografie-Unterricht?‹«
»Das haben diese Leute nicht gesagt!« Felix war entsetzt.
»Um fair zu sein: Nein, haben sie nicht. Aber ich hatte Angst, dass sie es tun würden.«
Er zog sie näher an sich. Es war fast wie eine kleine Umarmung. »Kleine Spinnerin. Wenn wir zwei allein sind, wird es bestimmt nicht so laufen. Oh …« Er hielt inne und gestattete Romy ein paar Sekunden lang, den Teil »wir zwei allein« seines Satzes zu genießen.
»Was ist?«
»Ich habe Sie ›kleine Spinnerin‹ genannt. Das war nicht sehr freundlich.«
»Aber Sie haben es freundlich klingen lassen. Schon okay.«
Es fühlte sich fast ein bisschen nach Verlust an, als sie das Haus erreichten und er sie losließ.
»Da ist allerdings noch eine Sache«, begann er, während sie eintraten. »Ich muss morgen ein Album fertigstellen. Ich kann mir den Tag nicht freinehmen. Ist es in Ordnung, wenn ich Sie sich selbst überlasse?«
»Klar, das ist absolut okay«, sagte sie. Dann fiel ihr etwas ein. »Wie wäre es«, fragte sie begeistert, »wenn Sie mir etwas im Haus zu tun gäben? Ich bin ganz gut in praktischen Dingen – viel besser als in Quizfragen.«
»Aber nein. Sie können doch ganz gemütlich vor dem Fernseher abhängen.«
»Nein, viel lieber würde ich etwas tun. Weihnachtsdeko zu fabrizieren macht jetzt keinen Sinn mehr, und meine Klempnerfähigkeiten sind arg begrenzt, doch vielleicht haben Sie irgendetwas, das ein bisschen zu knifflig für Ihre Handwerker ist? Das könnte ich übernehmen.«
»Tatsächlich«, sagte er langsam und nachdenklich. »Ich habe da ein paar schöne Jugendstilfliesen, die aus einem zerbombten Haus in London stammen. Auf der Rückseite ist noch Zement, und sie sind alle ziemlich beschädigt, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie im Bad hübsch aussähen. Dort ist alles im Moment sehr modern und High End, doch ein Hauch von Kunsthandwerk würde dem Badezimmer eine besondere Note verleihen.«
»Liebend gern! In der Aufarbeitung alter Dinge bin ich wirklich gut. Und wenn ich etwas für Sie tun kann, fühle ich mich weniger … schuldbewusst.«
»Ich gebe Ihnen ganz bestimmt keinen Grund, sich schuldbewusst zu fühlen – oder dass ich mich schuldbewusst fühlen muss. Versprochen.«
»Trotzdem würde es mir besser gehen, wenn ich irgendwie helfen könnte. Meine Anwesenheit hier wäre dann eher gerechtfertigt.«
»Ich finde, wir sollten eine der Flaschen aufmachen«, meinte Felix. »Um zu feiern. Dann sollten wir vielleicht auch etwas essen.«
»Ich weiß schon, was ich gern hätte!«, freute sich Romy. »Diesen ungesunden Sahnelikör, den Ihre Freundin mag und den Sie offensichtlich nicht ausstehen können.«
»Dem kann ich nicht widersprechen, aber darüber wollen wir nicht streiten. Mit oder ohne Eis?«
»Für Eis ist es zu kalt. Bitte pur.«
»Ich mixe mir einen Whisky-Mac. Das ist mein ganz persönlicher Weihnachtsdrink.«
Sie nahmen ihre Drinks mit zum Feuer und setzten sich jeder auf ein Sofa. Romy hatte die Stiefel an der Tür ausgezogen und war froh, sich einkuscheln zu können.
»Ich hole Ihnen noch ein Paar Socken, falls Ihnen kalt ist«, sagte Felix sofort und sprang auf.
Romy gefiel die Art, wie er sich bewegte: schnell und anmutig. Gus war ein wenig schwerfällig für einen Mann seines Alters.
Felix kam nicht nur mit Socken, sondern auch mit einer hübschen Mohairdecke zurück. »Die habe ich hier im Ort gekauft«, erklärte er. »Es fühlte sich irgendwie falsch an, sie im Laden zurückzulassen. Sie ist so wunderschön. Leider scheint sie nicht die richtige Farbe zu haben«, fügte er hinzu und hielt inne. »Das falsche Grün.«
»Als Künstlerin muss ich widersprechen. Es ist ein perfektes Grün. Ich werde wohl nie verstehen, warum Leute immer alles Ton in Ton haben wollen.« Sie schüttelte den Kopf.
Felix blickte sie überrascht an. »Dann denken Sie also nicht, dass alles zusammenpassen muss?«
»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte sie, »allerdings muss ich Ihnen gestehen, dass bei Gus’ Eltern auch alles genau aufeinander abgestimmt sein muss, zumindest wenn man den Bildern auf Facebook glauben darf.« Sie errötete, weil sie sich plötzlich unloyal gegenüber diesen Leuten fühlte, die immerhin so freundlich gewesen waren, sie zu Weihnachten einzuladen. »Apropos Facebook: Ich sollte vielleicht mal nachschauen, wie es ihnen da drüben im schönen Frankreich geht.« Sie hielt inne. »Dürfte ich vielleicht Ihren Computer benutzen?«
Als er nicht sofort antwortete, fragte sie sich, ob sie ihn auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Manche Leute mochten es nicht, wenn andere ihren Rechner benutzten.
»Selbstverständlich dürfen Sie meinen Computer benutzen, logisch, aber wenn Sie nicht gerade einen Roman schreiben oder Solitär spielen wollen, nützt er Ihnen nicht viel.«
»Was soll das heißen?«
»Hier gibt es kein Internet. Mit dem Handy bekomme ich nur mobile Daten, wenn ich oben auf den Hügel steige, auf einen Baum klettere und der Wind in die richtige Richtung weht. Aber nicht hier unten.«
Romy lachte. »Wirklich? Das gefällt mir!«
»Es mag komisch klingen, ist jedoch verteufelt unbequem. Normalerweise gehe ich einfach in den Pub, da gibt es freies WLAN. Aber ich bleibe am Ball«, fuhr er immer noch verlegen fort. »Allerdings fehlt noch die Verkabelung. Ist das ein Problem?«
Romy dachte nach. Normalerweise wirkte es schon fast schockierend, keinen Zugang zu den sozialen Netzwerken zu haben, doch gerade jetzt erschien es ihr völlig in Ordnung.
»Eigentlich nicht.«
»Sie können immerhin SMS schreiben. Auf diese Weise sind wir nicht völlig von der Welt abgeschnitten. Trotzdem funktioniert Online-Shoppen natürlich nicht. Daher vorhin mein Trip in die Stadt.«
»Mit anderen Worten, ich kann am Weihnachtsmorgen keine Sonderangebote einkaufen?«
Er ließ sich auf ihren Humor ein und lachte. »Leider nein. Sie können nur Ihren Weihnachtsstrumpf öffnen, wie jeder andere zivilisierte Mensch auch.«
»Aber ich habe keinen Strumpf. Der Weihnachtsmann denkt doch, ich wäre in Frankreich.«
»Dieses Jahr kommt er eben später zu Ihnen.«
Sie nickte. »Und was ist mit Ihnen?«
Er runzelte die Stirn. »Zu mir auch. Ich habe einen Strumpf im Gepäck meiner Freundin versteckt – vergangenes Jahr haben wir beide viel Zeit damit verbracht, die Strümpfe zu füllen.«
»Vielleicht bringt sie ihn mit zurück, wenn sie nach Hause kommt.«
Wieder runzelte er die Stirn. »Eigentlich denke ich, sie ist jetzt zu Hause.«
Nach einigen Augenblicken entgegnete Romy: »Sie meinen … bei ihren Eltern?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt bei ihren Eltern. Aber in Connecticut. In Amerika.«
»Ich glaube, es würde mir schwerfallen auszuwandern. Also, Gus’ Eltern leisten sich eine Villa in Frankreich, die wirklich fantastisch aussieht, aber ich würde mich von Familie und Freunden und von meiner eigenen Kultur abgeschnitten fühlen.«
»Lauren schien gern ganz Britin sein zu wollen, als sie das erste Mal herüberkam. Sie entstammt einer bedeutenden Familie, die vermutlich schon mit der Mayflower oder einem der anderen frühen Schiffe nach Amerika kam. Ich glaube, sie hatte zunächst das Gefühl, wieder in die alte Heimat zurückzukehren. Doch in letzter Zeit – nun, jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.«
»Sollen wir uns vielleicht etwas Nettes im Fernsehen ansehen?«, schlug Romy nach einer Weile vor. Die Gespräche über Gus und Lauren waren eine notwendige, aber unwillkommene Erinnerung daran, dass Felix und sie nicht ungebunden waren.
»Oder einen Film!« Seine Begeisterung kehrte zurück. »Ich habe Massen von DVDs. Schauen Sie sich die Auswahl an. Danach sollten wir über unser Essen nachdenken. Schließlich steht Weihnachten vor der Tür, und leckeres Essen gehört in diesen Tagen einfach dazu.«
»Ich habe einen wunderbaren Cheddar-Käse im Auto«, sagte Romy. »Er sollte ein Geschenk für Gus’ Eltern sein.«
»Ich habe die üblichen Grundnahrungsmittel im Haus – Kartoffeln und ein paar Konserven.«
»Das kriegen wir hin!« Romy war sicher, dass sie aus den zusammengewürfelten Zutaten etwas Leckeres zaubern konnte. »Gut, dann lassen Sie uns mal einen Blick auf diese DVDs werfen.«
Felix besaß eine riesige Sammlung, die in Schuhkartons untergebracht war. Es gab einige reizende alte Filme, die Romy entweder noch nie oder jahrelang nicht mehr gesehen hatte, und Boxsets mit Fernsehserien, die anzuschauen sie nie Zeit gehabt hatte.
»Ich glaube, wir nehmen Das Wunder von Manhattan«, schlug Felix vor. »Schließlich ist Weihnachten. Und danach kochen wir.«
Nachdem er die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte, ließ er sich neben ihr auf das Sofa plumpsen. »Keine Sorge, ich will nicht kuscheln, aber wenn ich da drüben sitze, muss ich meinen Hals so verdrehen.«
Romy wünschte sich, er würde kuscheln wollen. Sie konnte sich nichts Netteres vorstellen.
»Wissen Sie, dass ich diesen Film noch nie gesehen habe?«, meinte Romy nach dem Abspann. »Er ist wunderschön!« Sie bemühte sich, ihre Augen abzutupfen, ohne dass er es sah, wurde aber kalt erwischt.
»Ist doch in Ordnung. Man darf ruhig dabei weinen.«
»Ich konnte auch nicht anders. Und nun habe ich Hunger!«
»Gut, dann machen wir uns jetzt etwas zu essen.«
Gus war nicht geeignet für gemeinsames Kochen. Er kochte gern, schärfte ständig Messer, polterte in der Küche herum und warf gebrauchte Pfannen in die Spüle, aber er wollte Romy dann nicht dabeihaben. Felix war in der Küche viel entspannter. Gern überließ er Romy das Schälen und Hacken oder, wenn es um die Currysoße ging, auch das Rühren und das Abschmecken mit Gewürzen. (Gus verachtete es, Speisen abzuschmecken, wenn jemand anderes kochte. »Wenn man weiß, was man tut, weiß man auch, wie das Essen schmeckt«, lautete seine Theorie.)
Felix gab sich sogar nachsichtig, als Romy viel zu viel Chilipaste in die Soße rührte, und erklärte zwischen zwei hastigen Schlucken Wasser überzeugend, wie gern er scharfes Essen mochte.
»Was möchten Sie dazu trinken?«, fragte er Romy, nachdem sie hinten im Kühlschrank einen Becher Joghurt gefunden hatten, mit dem sie die Soße ein wenig entschärfen konnten.
»Haben Sie Bier?«
Er nickte. »Drüben im Studio. Ich gehe und hole es. Es ist bestimmt schön kühl.«
Während er das Bier besorgte, nahm Romy ihren Teller mit zum Sofa. Es war so gemütlich dort. Sie fragte sich, ob sie so etwas auch mit Gus hätte machen können. Mit einem Currygericht auf dem Schoß vor dem Fernseher zu sitzen wäre so kurz vor Weihnachten für ihn ein absolutes No-Go gewesen.
Felix setzte sich neben sie und drückte ihr eine Flasche Bier in die Hand. »So, jetzt trinken wir erst einmal Brüderschaft.« Sie stießen an. »Und was machen wir mit dem angebrochenen Abend? Kennst du Ausgerechnet Alaska? Die Serie ist einfach super! Ich musste sie aus Deutschland kommen lassen, um den Original-Soundtrack dabeizuhaben.«
»Musik ist wichtig, nicht wahr?« Romy aß einen weiteren Happen Curry und trank sofort einen Schluck Bier nach, um ihren Mund zu kühlen.
»Sehr. Aber nicht jeder versteht das.«
Romy fragte nicht, ob Lauren es verstand. Sie hätte auf die Antwort »Nein« gehofft, und das wäre aus sehr vielen Gründen falsch gewesen.
Romy gähnte. »Oh, Entschuldigung!« Sie blickte auf die große Wanduhr. Es war erst zehn Uhr. Schuldbewusst sagte sie sich, dass es unhöflich war, so offen zu gähnen.
»Früh aufgestanden? Wegen des Marktes?«
»Ja, ziemlich früh. Und gestern war ich lange auf, um die Sachen fertig zu machen.«
»Es hat sich jedenfalls wirklich gelohnt.« Felix zeigte auf die Zweige mit den kleinen Ballonlichtern. »Ich glaube, du gehörst wirklich ins Bett. Ich muss nur noch schnell die Bettlaken wechseln.«
»Ich würde lieber auf dem Sofa schlafen«, erklärte Romy schnell. »Ich glaube, hier würde es mir gefallen. Das Sofa ist gemütlich und das Feuer so heimelig. Ich wollte schon immer mal vor einem offenen Kamin schlafen, und hier kann ich das.«
Alles, was sie gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Hinzu kam, dass sie ihm keine Mühe machen wollte. Außerdem würde sie in seinem Bett unweigerlich auf gewisse Gedanken kommen, die sie gar nicht erst aufkommen lassen wollte.
Felix runzelte die Stirn und dachte nach. »Oh, okay. Es wäre auch einfacher, weil ich nicht sicher bin, ob ich noch passende saubere Bettwäsche habe. Wenn Lauren kommt, wasche ich sie immer, stecke sie in den Trockner und ziehe sie sofort wieder auf.«
»Das weiß sie sicher zu schätzen.« Romy jedenfalls würde sich darüber freuen. Es war die Art von Geste, die Gus nie in den Sinn käme.
»Ich kümmere mich mal um einen Schlafsack und Decken.«
Es dauerte einige Zeit, bis Romy bettfertig war. Sie hatte keine Zahnbürste dabei und musste sich mit ihrem Zeigefinger und etwas Zahnpasta behelfen. Von Lauren lieh sie sich einen Tupfer Feuchtigkeitscreme. Doch sofort wünschte sie, sie hätte es gelassen. Es erschien ihr zu intim, als der feine Duft ihr in die Nase stieg.
Das Ausknipsen der Ballonlichter im Wohnzimmer dauerte eine halbe Ewigkeit. Als das letzte Licht erloschen war, standen sie plötzlich im Dunkeln ganz nah beieinander. Romy fühlte sich seltsam verlegen.
Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als sich einen Zentimeter vorwärtszubewegen. Sie wusste, dass Felix dann die Arme um sie legen und sie küssen würde. Und sie sehnte sich geradezu verzweifelt danach. Aber es würde alles zwischen ihnen verändern und die Unschuld ihrer gemeinsamen Zeit erschüttern. Bisher war nichts geschehen, worüber sie nicht mit ihren Partnern hätten sprechen können. Felix und sie hatten ferngesehen, gekocht, wieder ferngesehen und ein paar Drinks genossen. Alles war in bester Ordnung.
Romy spürte, dass es Felix ähnlich erging, denn er stand einige Sekunden sehr still ganz nah bei ihr in der Dunkelheit. Sie konnte sich nicht bewegen, weil sie das große, raumhohe Fenster im Rücken hatte.
Er räusperte sich. »Manchmal, wenn alle Lichter aus sind, kommen Rehe aus dem Wald.«
»Das würde ich gern einmal sehen!«, sagte sie schnell.
»Wenn die Straßen länger vereist sind und du noch hierbleiben musst, können wir vielleicht Futter auslegen. Ich möchte zwar nicht, dass sie sich daran gewöhnen, doch sie mögen es.«
»Was fressen sie denn?«
Er verzog das Gesicht. »Rehfutter. Ich kaufe es extra für sie.«
»Oh ja, können wir das bitte tun? Ich würde sie so gern sehen.«
»Es ist wie verzaubert.«
Draußen wurde es etwas heller, als der Mond für einen Moment hinter einer Wolke hervorkam.
»Ich mache kurz Licht an«, sagte Felix. »Dann können wir zu Bett gehen.«
Romy wurde bewusst, wie sicher sie sich fühlte. Sie hatte keine Ahnung, warum das so war, doch sie spürte mit absoluter Gewissheit, dass Felix nichts tun würde, was sie nicht wollte.
Obwohl es auf dem Sofa sehr bequem war – ihr Kopf ruhte auf einem Berg aus Kissen, von denen eines einen Seidenbezug hatte, ihre Füße streckten sich in die Nähe des warmen, tröstlich glühenden Feuers –, schlief Romy trotz ihrer Müdigkeit nicht sofort ein. Zwar fühlte sie sich sehr glücklich, doch sie war sich auch bewusst, dass sie dieses Glück nur jetzt und vielleicht noch am folgenden Abend auskosten durfte, falls sie es auch morgen nicht nach Hause schaffte. Aber in diesem Moment lag sie da und genoss den schönen Tag, das Feuer, und – so stellte sie erschrocken fest – sie genoss es auch, nicht bei Gus zu sein. Gus war ein netter Kerl, daran war nicht zu rütteln. Doch er war nicht der Richtige für sie.
Am nächsten Morgen stand Romy früh auf, damit sie geduscht und angezogen war, bevor Felix erschien. Am Abend zuvor hatte sie ihre Unterwäsche kurz durchgewaschen und zum Trocknen vor den Ofen gehängt. Erfreut stellte sie fest, dass sie tatsächlich trocken war. Als Felix kurz darauf auftauchte, fühlte Romy sich durchaus salonfähig.
»Du wirkst frisch und munter, was hoffentlich nicht bedeutet, dass du nicht geschlafen hast und bei Tagesanbruch aufgestanden bist?«
»Nein, nein. Ich bin früh auf, weil heute für mich ein Arbeitstag ist und ich etwas daraus machen möchte.« Sie hielt inne. »Ich hätte gern einen eigenen Platz, wo ich arbeiten kann. Du musst mir nur zeigen, was ich tun soll.«
»Aber bitte nicht vor dem Frühstück.«
»Okay, okay, du Faulpelz.«
Der Tag wurde wunderschön. Neben Felix’ Studio gab es eine Scheune, in der Romy arbeiten konnte. Er lieh ihr Schutzhandschuhe und einen Kopfhörer, um bei der Arbeit Musik zu hören. Ein Stapel bildhübscher William-De-Morgan-Fliesen wartete auf ihre Bearbeitung.
Felix hatte gesagt, dass er nur sechs Fliesen brauchte. Als um die Mittagszeit die sechs Exemplare bereits fertig waren, beschloss Romy, von sämtlichen Fliesen den alten Zement abzuschlagen und sie zu kleben.