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Liebesglück und beste Freundinnen im London der 1960er Jahre
1963. Gerade hat Lizzie ihr Elternhaus auf dem Land verlassen, um in London eine Ausbildung als Köchin zu beginnen. Zwar hält ihre Mutter schon Ausschau nach geeigneten Heiratskandidaten und schmiedet Pläne für eine romantische Hochzeit. Doch Lizzie will erst einmal Spaß haben. Bald trägt sie ihr Haar modisch kurz, kauft sich ein schickes Minikleid und ist mit ihren besten Freundinnen Alexandra und Meg in ein prächtiges, wenn auch ein wenig heruntergekommenes Haus im mondänen Belgravia gezogen. Die Hochzeitspläne ihrer Mutter geraten vollends in Vergessenheit, seit Lizzie nur noch daran denken kann, dass der gut aussehende Hugo, in den sie sich verliebt hat, mit einer anderen verlobt ist ...
»Traumhaft schön und zu Tränen rührend - wie bei einer wundervollen Hochzeit« SUNDAY EXPRESS
Die britische Bestsellerautorin Katie Fforde begeistert mit ihren romantischen Geschichten auch im ZDF Herzkino ein Millionenpublikum.
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Seitenzahl: 493
Cover
Inhalt
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Teil 1
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
TEIL 2
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
Dank
Über das Buch
Die junge Lizzie hat ihre Heimat auf dem Land verlassen, um im quirligen London der 1960er Jahre eine Ausbildung als Köchin zu beginnen. Sie ist entschlossen, ihre neue Freiheit zu genießen, auch wenn sie weiß, dass ihre Mutter bereits nach geeigneten Heiratskandidaten sucht und Pläne für Lizzies Hochzeit schmiedet. Bald trägt Lizzie ihr Haar modisch kurz und ist mit ihren Freundinnen Alexandra und Meg in ein prächtiges, wenn auch heruntergekommenes Haus im mondänen Belgravia gezogen. Die Pläne ihrer Mutter geraten vollends in Vergessenheit, seit Lizzie nur noch daran denken kann, dass der gut aussehende Hugo, in den sie sich verliebt hat, mit einer anderen verlobt ist …
Weitere Titel der Autorin
Zum Teufel mit David
Im Garten meiner Liebe
Wilde Rosen
Wellentänze
Eine ungewöhnliche Begegnung
Glücksboten
Eine Liebe in den Highlands
Geschenke aus dem Paradies
Sommernachtsgeflüster
Festtagsstimmung
Eine kostbare Affäre
Cottage mit Aussicht
Glücklich gestrandet
Sommerküsse voller Sehnsucht
Botschaften des Herzens
Das Glück über den Wolken
Sommer der Liebe
Fünf Sterne für die Liebe
Eine unerwartete Affäre
Eine perfekte Partie
Rendezvous zum Weihnachtsfest
Sommerhochzeit auf dem Land
Eine Liebe am Meer
Begegnung im Mondscheingarten
Weihnachtszauber im Cottage
Das Paradies hinter den Hügeln
Rosenblütensommer
Wo die Liebe Urlaub macht
Über die Autorin
Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.
Katie Fforde
Sommerfest derLiebe
Roman
Übersetzung aus dem Englischen von Gabi Reichart-Schmitz
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe: Copyright © 2021 by Katie Fforde Ltd Titel der englischen Originalausgabe: »A Wedding in the Country« Originalverlag: Century/The Random House Group Limited, London
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln Covergestaltung: Kirstin Osenau Covermotiv: © Flora Press/flora production; © Molly Shannon/Shutterstock E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-7517-4205-4
Sie finden uns im Internet unter luebbe.de Bitte beachten Sie auch: lesejury.de
Für all die wunderbaren Schriftsteller und Schriftstellerinnen, mit denen ich befreundet bin. Die Gemeinschaft der Schriftsteller ist so großzügig und hilfsbereit. Dieses Buch ist für euch, herzlichen Dank. Ohne euch hätte ich es nicht geschafft. Eigentlich betrifft das alle meine Bücher – ich bin nur bisher noch nie dazu gekommen, euch allen zu danken.
London, Frühling 1963
»Der Knoblauch sollte die gleiche Größe haben wie eine ’aselnuss in ihrer Schale«, sagte Madame Wilson mit ihrem ausgeprägten französischen Akzent. Sie musterte die Ansammlung von blassen, rundlichen Gebilden auf dem Teller vor ihr, die ihrem Aussehen und Madame Wilsons angewidertem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, auch abgeschnittene Zehennägel hätten sein können.
Lizzie betrachtete die kritisierten Knoblauchzehen. Sie hatte keine Erfahrung mit Knoblauch. Er gehörte zu den Dingen, die ihr Vater als »ausländisches Zeug« bezeichnete und die daher keinen Platz in der Küche ihrer Familie fanden. Und dennoch war Lizzie gerade sehr dankbar für die Vorliebe ihres Vaters für die »gutbürgerliche Küche«, denn ansonsten hätte man sie nicht nach London geschickt, um diesen Kochkurs zu absolvieren.
Hier war sie nun also im ziemlich beengten Untergeschoss eines Gebäudes in Pimlico und wurde zusammen mit neun anderen Mädchen von einer Französin unterrichtet, die ziemlich Furcht einflößend war, zumindest wenn man dem ersten Eindruck glauben wollte. Fast alle Mädchen trugen weiße, geknöpfte Arbeitskleidung unter einer weißen Latzschürze, wie im Prospekt gefordert.
Madame Wilson war zum Thema »Olivenöl« und zu der empörenden Tatsache übergegangen, dass man es in England in Drogerien kaufen musste. Lizzie schloss daraus, dass Olivenöl nicht nur zur Heilung von Ohrenschmerzen verwendet werden konnte. Madame Wilson hatte offensichtlich für die meisten in England erhältlichen Zutaten nur Verachtung übrig. Lizzie fragte sich unwillkürlich, wie die Kochlehrerin es ertragen konnte, hier zu leben – in einer kulinarischen Wüste.
Verstohlen musterte sie ihre Mitschülerinnen und hoffte, dass sich wenigstens eine von ihnen als nett herausstellen würde, denn ansonsten könnte ihre Zeit in London recht einsam werden.
Die meisten von ihnen wirkten sehr vornehm, hatten eine glatte weiße Haut und trugen ihr glänzendes Haar in eleganten Nackenknoten, dicken Pferdeschwänzen oder dezent auftoupiert, sodass es sich sanft über ihren Stirnen erhob und in perfekten Außenwellen endete – ein Stil, den Lizzie selbst nie hinbekommen hatte. Unter der Arbeitskleidung, die fast alles verdeckte, blitzten Kaschmir und Seide hervor. Die Mädchen trugen Perlen um den Hals und in den Ohrläppchen.
Lizzie besaß selbst auch eine Perlenkette, ein Geschenk ihrer Patentante, doch sie war für besondere Anlässe und nicht für den Alltag bestimmt. Sie musste ihre Mutter fragen, wenn sie die Kette tragen wollte.
Eines der Mädchen war ein bisschen anders. Sie hatte die Bitte um weiße Arbeitskleidung ignoriert und war in einer blau gestreiften Metzgerschürze über einem kragenlosen Männerhemd erschienen. Dazu trug sie eine schwarze Röhrenhose und Knöpfschuhe, die an der Spitze abgerundet waren. Ihr langes Haar (glänzend wie das der anderen Mädchen) war auf dem Kopf aufgetürmt. Außerdem hatte sie einen dicken Pony, der ihr einen Hauch von Audrey Hepburn verlieh. Sie trug ebenfalls Perlen, doch ihre waren viel größer, und die Kette war wie ein Seil um ihren Hals gewunden.
Lizzie vermutete, dass es sich um falsche Perlen handelte. Sie fand diese Mitschülerin auf Anhieb sympathisch. Zwar war sie genauso gepflegt und wohlerzogen wie die anderen, wirkte jedoch nicht so hochnäsig. Sie sah sich in der Küche um, als wüsste sie nicht genau, wie sie dort gelandet war.
Eine andere Mitschülerin erregte Lizzies Aufmerksamkeit, weil sie mit zielstrebiger Sorgfalt alles mitschrieb. Manchmal stellte sie Fragen, die anscheinend – nach Madame Wilsons Antworten zu urteilen – die richtigen Fragen waren. Offensichtlich wollte sie ernsthaft kochen lernen und überbrückte nicht nur die Zeit bis zum nächsten gesellschaftlichen Ereignis. Gemäß den Gesprächsfetzen, die Lizzie aufschnappte, war es das, was die meisten anderen Mädchen taten. Als die junge Frau Lizzies Blick auffing, lächelte sie ihr schüchtern, aber freundlich zu. Lizzies Zuversicht wuchs.
»Nun, meine Damen, wissen Sie, es ist einfacher, gutes Essen zu kochen, wenn man daran gewöhnt ist, es zu essen. Allerdings weiß ich, dass viele von Ihnen keine Erfahrung in der Küche haben. Vielleicht dürfen Sie die Küche nicht einmal betreten, weil Ihr Koch oder Ihre Köchin es nicht mag, gestört zu werden.«
Lizzie schluckte. Ihre Mutter engagierte einen Koch für einen Abend, wenn sie die Geschäftskollegen von Lizzies Vater einladen mussten, doch ansonsten kochte sie selbst, häufig mit Lizzies Unterstützung.
»Jetzt zeige ich Ihnen die batterie de cuisine. Jede von Ihnen wird sich kurz vorstellen, und dann werde ich überprüfen, ob Sie wissen, welchen Verwendungszweck die einzelnen Utensilien haben.«
Die hochnäsigen Debütantinnen zuckten innerlich entsetzt zusammen und blickten sich um. Offenbar war ihnen bewusst, wie wenig sie über die Küchenutensilien wussten. Auch Lizzie war angespannt.
Das Kochset ihrer Mutter bestand aus einer Schöpfkelle, einem Kartoffelstampfer, einer langen Gabel und einem Konditormesser; die Utensilien hingen in einer Halterung an der Wand. Lizzie wusste, dass das Set ein Hochzeitsgeschenk gewesen war. Wenn sie zu komplizierten Gegenständen befragt würde, könnte sie durchaus scheitern und sich Madame Wilsons Missfallen zuziehen.
Allerdings ergab sich jetzt die Gelegenheit, die Namen der anderen Kursteilnehmerinnen zu erfahren, weshalb Lizzie gut aufpasste. Das Mädchen in der gestreiften Schürze hieß Alexandra, und diejenige, die sich offensichtlich in Küchendingen auskannte (sie benannte, ohne zu zögern, eine Knoblauchpresse), war Meg, wahrscheinlich die Kurzform von Margaret. Die anderen hatten Vornamen wie Saskia, Eleanor und Jemima. Lizzies Schulfreundinnen hörten auf alltäglichere Namen: Rosemary, Anne und Jane … oder eben Elizabeth.
Lizzie dachte noch darüber nach, wie es sich wohl anfühlen musste, so zu heißen wie eine Ente aus einem Buch von Beatrix Potter, nämlich Jemima, als Madame Wilson sie aufrief. Zum Glück hielt sie eine Käsereibe in die Höhe, die Lizzie problemlos benennen konnte.
Nach dem Herumprobieren mit Schneebesen und Co. wurden die Mädchen aufgefordert, ihre Notizbücher auszupacken (was Meg schon lange getan hatte) und sich das Rezept für Sardinen-Pâté zu notieren. Danach sollten sie Steaks und Orangen mit Karamell zum Nachtisch zubereiten.
»Kommt mit!«, sagte das große Mädchen, Alexandra – die, die wie Audrey Hepburn aussah –, am Ende des Vormittagsunterrichts und eilte aus der Küche. Meg hatte das Abspülen übernommen, und Lizzie hatte sich verpflichtet gefühlt, ihr zu helfen.
Sie hatte nichts Besseres vor, und außerdem brannte sie darauf, diese junge Frau kennenzulernen, die sich nicht viel aus Konventionen zu machen schien. Lizzie selbst hatte immer getan, was ihre Eltern von ihr erwarteten, doch jetzt hatte es den Anschein, als gäbe es Alternativen.
Alexandra kannte sich offenbar in Pimlico sehr gut aus. Nach einem kurzen Fußmarsch bogen sie links ab, gingen eine Seitenstraße entlang und erreichten ein kleines Café-Restaurant.
Die Fenster waren fast vollkommen blind vor Kondenswasser, und die Dampferzeugung einer großen Kaffeemaschine verursachte mächtig Lärm und war unangenehm. Die Maschine war fast so groß wie ein Auto und klang, als wollte sie gleich explodieren. Doch da niemand auch nur im Geringsten beunruhigt wirkte, folgte Lizzie den beiden anderen in das Restaurant.
Sobald die Mädchen eintraten, kam der Mann, der hinter der Theke Brot und Baguette mit Butter bestrich, auf sie zu. »Bella!«, sagte er zu Alexandra, umarmte sie und küsste sie geräuschvoll auf die Wange. »Wo bist du denn gewesen? Wir haben dich vermisst! Maria! Alessandra ist hier!«
Eine Frau, die ihr schwarzes Haar zu einem Knoten geschlungen trug und ihre Kleidung unter einer etwas schmuddeligen Schürze verborgen hatte, tauchte aus der Küche auf und begrüßte Alexandra noch herzlicher. Dann sagte sie: »Setzt euch, setzt euch doch! Sind das deine Freundinnen? Willkommen! Und jetzt gibt es Kaffee! Und etwas zu essen, ihr müsst etwas essen!«
Es dauerte ein bisschen, bis sie schließlich in einer Nische Platz genommen hatten. Kurz darauf wurden drei Tassen Kaffee mit Milchschaum gebracht. Lizzie war nicht ganz überzeugt von Kaffee. Sie bereitete ihn zu, wenn ihre Eltern eine Dinnerparty gaben, doch sie selbst mochte ihn eigentlich nicht besonders.
»Cappuccino«, erklärte Alexandra, »er schmeckt prima, aber man braucht Zucker. Jede Menge davon.« Auf den Untertassen lagen große verpackte Zuckerwürfel, und sie begann, ihren Zucker auszuwickeln.
Die beiden anderen folgten dem Beispiel ihrer neuen Freundin, gaben Zuckerwürfel in ihre Tassen und rührten sie um.
»Du meine Güte, das schmeckt wunderbar!«, rief Lizzie verblüfft aus, nachdem sie probiert hatte. »Ich habe nicht gewusst, dass Kaffee so köstlich sein kann.«
»Das ist etwas ganz anderes als das Gebräu, das ich bisher getrunken habe«, stellte Meg fest.
»Ich kenne Maria und Franco schon seit Jahren«, erklärte Alexandra. »Sie haben mir alles über Kaffee beigebracht.« Sie zögerte kurz. »Ich hatte für eine kurze Zeit mal ein italienisches Kindermädchen. Sie hat mich immer hierher mitgenommen, als ich noch klein war.«
»Tut mir leid, dass ich darauf hinweisen muss«, erwiderte Meg, »aber du kannst auch jetzt noch nicht besonders alt sein.«
Alexandra war nicht beleidigt und lachte. »Ich bin neunzehn, also mindestens zwölf Jahre älter als bei meinem ersten Besuch hier.«
»Hast du immer Kindermädchen gehabt?«, wollte Lizzie wissen.
»Ja.« Alexandra trank einen weiteren Schluck Cappuccino und seufzte vor Wohlbehagen. »Ich bin Waise. Doch ihr müsst kein Mitleid mit mir haben! Ich habe meine Eltern nie wirklich gekannt und bin gut ohne sie klargekommen.«
»Meine Güte«, sagte Meg. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das sein muss. Meine Mutter und ich haben ein sehr enges Verhältnis.«
Alexandra zuckte mit den Schultern. »Vermutlich kommt es darauf an, woran man gewöhnt ist. Ich hatte erst Kindermädchen, später war ich dann im Internat. In den Ferien, wenn ich nicht bei meinen spießigen Verwandten war, hatte ich Gouvernanten oder Gesellschafterinnen – wie auch immer sie gerne genannt werden wollten. Meine Verwandtschaft interessiert sich bloß für mein Geld.«
Lizzie musste husten und erstickte fast. Man hatte ihr beigebracht, Respekt vor ihren Verwandten zu haben, auch wenn ihre Tante Gina, die sie am Vorabend getroffen hatte, sie etwas überrascht hatte. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater mit Gina einverstanden wäre!
»Ich bin ziemlich reich – beziehungsweise ich werde es sein«, erklärte Alexandra, als wäre ihr dieser Umstand ein wenig lästig, »allerdings kann ich mein Erbe erst antreten, wenn ich fünfundzwanzig bin. Das wurde so festgesetzt, um mir Mitgiftjäger vom Leib zu halten.«
»Ach du meine Güte!«, hauchte Lizzie.
»Meine Verwandten – und ich habe eine ganze Menge davon – haben ein großes persönliches Interesse an meinem Vermögen. Ich glaube, sie haben vor, mich mit einem Cousin zu verheiraten, der nicht zu eng mit mir verwandt ist. Auf die Weise bekämen wir keine seltsamen Kinder, doch durch die Heirat würde das Geld in der Familie bleiben.«
»Meine Mutter ist versessen darauf, mich zu verheiraten«, meinte Lizzie. »Deshalb besuche ich diesen Kurs – damit ich kochen und andere Hausfrauentätigkeiten lerne und meinen Wert als potenzielle Ehefrau steigere.«
»Hat deine Mutter einen bestimmten Kandidaten im Auge?«, fragte Meg, die das anscheinend ziemlich merkwürdig fand.
»Ich glaube schon«, erwiderte Lizzie. »Das heißt aber nicht, dass sie mich zwingen würde, ihn zu heiraten. Wir haben uns kennengelernt, als ich ungefähr sechs war. Seine Eltern sind mit meinen befreundet, allerdings sind sie weggezogen.«
»Und es macht dir nichts aus?«, fragten Alexandra und Meg mehr oder weniger gleichzeitig.
Lizzie zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, ich bin meistens mit dem einverstanden, was meine Eltern wollen, doch ich würde nie jemanden heiraten, den ich nicht liebe.«
»Aber du gehst zum selben Friseur wie deine Mutter, oder?«, wollte Alexandra wissen.
»Sieht man das?«, erwiderte Lizzie und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
Alexandra nickte. »Deine Frisur ist ziemlich altmodisch«, antwortete sie. »Und jetzt, wo ich sehen kann, was du unter deiner Küchenkleidung trägst, denke ich, dass deine Mutter wahrscheinlich auch deine Kleidung aussucht.«
Lizzie atmete aus. »Die Sache ist die: Ich glaube nicht, dass es sich lohnt, für Dinge zu kämpfen, die einem nicht so wichtig sind.« Bewundernd betrachtete sie Alexandras Hemd und die Hose. »Meine Mutter plant meine Hochzeit schon, seit ich ganz klein war. Ich glaube, wenn ich einen Mann heirate, den ich wirklich liebe, wäre mir die Hochzeitsfeier ziemlich egal. Ihr aber nicht. Ich bin schließlich ihr einziges Kind.«
»Ich bin auch ein Einzelkind«, sagte Meg. »Dennoch glaube ich nicht, dass meine Mum bisher auch nur einen einzigen Gedanken an meine Hochzeit verschwendet hat.« Sie hielt kurz inne. »Allerdings geht sie arbeiten, daher ist es für sie etwas anderes.«
»Deine Mutter geht arbeiten?«, fragte Lizzie neugierig und ein bisschen fasziniert.
»Na ja, sie arbeitet eigentlich zu Hause«, erklärte Meg. »Bis vor Kurzem jedenfalls. Sie war die Hauswirtschafterin eines alten Mannes. Er war ganz reizend. Wir wohnen in seiner Wohnung, und er hat immer gesagt, er würde dafür sorgen, dass wir nach seinem Tod in dieser Wohnung bleiben können. Aber irgendwie haben seine Nichten das zu verhindern gewusst. Zum Glück hatte er einen wirklich netten Rechtsanwalt, der veranlasst hat, dass wir noch drei Monate in der Wohnung bleiben können – na ja, zwei Monate sind jetzt vorbei. Deshalb besuche ich diesen Kurs. Ich möchte so bald wie möglich damit anfangen, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.«
»Ach du lieber Himmel!«, rief Alexandra aus. »Aber nach meinen Erfahrungen verhalten Verwandte sich immer so. Wenn jemand stirbt, gibt es stets einen hässlichen Streit ums Geld, selbst wenn sie selbst schon genug besitzen.«
»Und wenn ich mit diesem Kurs fertig bin und mein Zertifikat in der Hand halte, werde ich Mahlzeiten für Geschäftsleute zubereiten«, fuhr Meg fort. »Und wenn ich kann, werde ich abends einen Partyservice oder etwas Ähnliches anbieten.«
»Warum willst du zwei Jobs ausüben?«, hakte Lizzie nach.
»Ich möchte genug Geld verdienen, um eine Anzahlung für eine Wohnung für meine Mutter leisten zu können«, antwortete Meg. »Sie wird wahrscheinlich wieder eine Arbeitsstelle mit Unterkunft finden, aber eigentlich möchten wir beide etwas Eigenes haben. Wenn wir eine Wohnung kaufen, können wir sie vermieten, falls Mum nicht darin wohnen wird.«
»Meine Mutter würde Zustände kriegen, wenn ich bloß daran denken würde, auch nur einen Job zu haben«, meinte Lizzie. »Meine Eltern erwarten, dass ich irgendetwas tue, bis ich Mr. Right finde, aber dabei geht es nicht ums Geldverdienen.«
Als Meg mit den Schultern zuckte, hatte Lizzie Angst, sie könnte sie verletzt haben.
»Meine Mutter ist schon sehr früh Witwe geworden. Sie musste immer arbeiten«, erwiderte Meg.
»Meine Mum arbeitet ausschließlich ehrenamtlich«, erklärte Lizzie. »Und ich glaube, sie tut es nur, um Kontakte zu pflegen und ein gesellschaftliches Leben zu haben.« Sie dachte an die morgendlichen Treffen zum Kaffeetrinken und die Kuchenverkäufe, bei denen die Frauen sich trafen und über andere Frauen herzogen, bis die Betreffende erschien. Dann wechselten sie das Thema und zogen über die nächste bedauernswerte Bekannte her. Sie hatte oft genug bei diesen Veranstaltungen geholfen, um zu wissen, wie es lief.
»Lasst uns was essen«, sagte Alexandra. »Ich weiß, wir haben probiert, was wir heute gekocht haben, aber das waren nur Probierportionen, und ich habe jetzt Hunger. Heute Nachmittag steht Blumenarrangieren auf dem Programm, oder? Ich wollte eigentlich einen Kurs belegen, der sich ausschließlich auf das Kochen konzentriert, doch meine Verwandten fanden, ich solle den hier besuchen.«
Lizzie nickte. »Ich arrangiere gerne Blumen, ich habe es auch schon oft gemacht. Und ich mag Schneidern und Nähen. Aber der Gedanke an französische Konversation jagt mir Angst ein!«
»Hast du schon häufig Blumen für deine Mutter arrangiert?«, wollte Meg wissen.
Lizzie nickte wieder. Ihre Mum spannte sie immer ein, wenn die Kirche mit Blumen geschmückt werden sollte. Lizzie neigte dazu, sich darüber zu beklagen, doch im Prinzip tat sie es gern und war nach Meinung der anderen auch ziemlich gut darin. »Aber ich kann kaum Französisch«, sagte sie, damit ihre neuen Freundinnen nicht glaubten, sie wolle behaupten, in allen Bereichen gut zu sein. »Ich war noch nie im Ausland.«
»Ich habe weder Ahnung von Französisch noch vom Blumenarrangieren«, erwiderte Meg. Sie sah Alexandra an. »Ist das Essen hier teuer?«
Alexandra schüttelte den Kopf. »Die Preise sind vernünftig, und das getoastete Käsesandwich macht richtig statt. Ich mag zwar eine Erbin sein, doch ich bin es gewohnt, jeden Penny zweimal umzudrehen.«
»Wieso?«, fragte Meg.
Alexandra zuckte mit den Schultern. »Ich erzähle es euch irgendwann mal. Es ist ziemlich langweilig.«
Lizzie gewann den Eindruck, dass es viele Dinge gab, die Alexandra ihnen noch nicht erzählen wollte.
Letztendlich durften sie weder die Käsesandwiches noch den Kaffee zahlen, und Lizzie und Meg fühlten sich genau wie Alexandra irgendwie als Teil der Cafébesitzerfamilie.
Danach spazierten sie zurück zur Kochschule, die sich im Keller eines Feinkostladens befand.
»Ich freue mich darauf, neben dem Kochen auch andere Dinge zu lernen«, meinte Lizzie. »Ich glaube nicht, dass ich jemals sehr gut kochen werde. Da stehen die Chancen in Bezug auf Blumen oder Nähen und Schneidern besser. Das ist mein Hobby.« Wenigstens war sie sich ihrer Fähigkeiten im Handarbeiten sicher.
»Ich mag Schneidern«, sagte Alexandra. »Es ist einfach, wenn man jede Menge Platz hat. Und wenn man eine Nähmaschine besitzt.«
Lizzie sehnte sich danach, eine Nähmaschine benutzen zu können; sie hatte ihre bei ihren Eltern gelassen. »Nähst du dir deine Kleidung selbst?«, fragte sie. Sie wollte gerne wissen, wie Alexandra an ihre recht ungewöhnliche Kleidung kam.
»Gewissermaßen ja. Hauptsächlich ändere ich Sachen und passe sie an.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Mein Leben klingt wirklich sonderbar, wenn ich mit anderen Menschen darüber rede. Obwohl es für mich natürlich ganz normal ist.«
Lizzie öffnete den Mund, um eine weitere Frage zu stellen, dann schloss sie ihn wieder. Wie konnte es sein, dass diese schillernde Persönlichkeit, dieses Mädchen, das ihnen erzählt hatte, dass sie reich war, aufs Geld schauen musste? Lizzie zuckte mit den Schultern und ging weiter. Sie war sicher, dass sie es bald erfahren würde.
Lizzie saß im Bus und fuhr zum Haus ihrer Tante Gina. Zuvor hatte sie den Fahrer gebeten, ihr Bescheid zu geben, wenn sie aussteigen musste. Müde, jedoch sehr glücklich ließ sie den Tag in Gedanken Revue passieren.
Zunächst einmal hatte sie in Alexandra und Meg potenzielle Freundinnen gefunden, was sehr wichtig war. Ihre beste Schulfreundin Sarah war weggezogen, um eine Ausbildung zur Krankenschwester zu beginnen. Lizzie vermisste sie.
Zudem hatte sie das Gefühl, im Gegensatz zu manchen der anderen Mädchen, die sich offenbar noch nie in eine Küche verirrt hatten, ein bisschen mehr über Kochen zu wissen. Obwohl Madame Wilson Furcht einflößend war, würde sie, Lizzie, daher hoffentlich nicht zum Ziel ihrer sarkastischen Bemerkungen werden.
Während der Bus durch die Straßen rollte, entdeckte sie verschiedene Wahrzeichen der Stadt. Sie sah das Warenhaus Harrods (in dem sie schon mit ihrer Mutter gewesen war) und das Victoria-and-Albert-Museum (das sie bisher noch nicht besucht hatte). Trotz ihrer Erschöpfung war sie aufgeregt und freute sich sehr auf ihre Zeit in London.
Nachdem sie an der richtigen Haltestelle ausgestiegen war, machte sie sich relativ zuversichtlich auf den Weg zu der kleinen Sackgasse, in der Tante Gina wohnte. Schon bald stieg sie die Stufen zur Haustür hinauf. Da Gina ihr keinen Schlüssel gegeben hatte, klopfte sie an.
„Schätzchen, du bist aber früh zurück!“, rief ihre Tante.
Da sich die Mädchen nach der französischen Konversation und dem Blumenarrangieren noch eine ganze Weile unterhalten hatten, war es nun halb fünf. Einige der jungen Frauen waren davongeeilt, um an Teegesellschaften teilzunehmen, die Teil ihrer Debütantinnensaison waren. Lizzie fand es daher nicht früh.
»Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«
»Mach dir keine Gedanken!« Gina lächelte, obwohl sie offensichtlich ein wenig verstimmt war. »Komm rein. Ich habe einen Freund zum Tee hier. Ich bin sicher, es wird nicht mehr lange dauern, bis du kleine französische Köstlichkeiten zubereiten und dich nützlich machen kannst!«
Ihre Eltern hatten sie am Vorabend nach London gefahren, sodass sie sich in der Wohnung auskannte, die ihre Tante vor Kurzem bezogen hatte. Gina war zwar die jüngere Schwester ihrer Mutter, doch die beiden hatten sehr wenig gemeinsam, weshalb es nur sporadische Familienbesuche gab.
Jetzt brachte Lizzie ihre Jacke in ihr Schlafzimmer und ging dann in das kleine Wohnzimmer an der Vorderseite des Hauses. Gina saß mit einem Mann auf dem Sofa. Auf dem Tischchen vor ihnen standen Teetassen, und Lizzie bemerkte, dass eine der Tassen umgefallen war.
»Darf ich vorstellen«, sagte Gina, während sie und der Mann sich erhoben. »Barry, das ist Lizzie … oder Elizabeth, wie ihre Mutter sie lieber nennt. Lizzie, das ist Barry.«
Ginas Besucher nahm Lizzies Hand und drückte einen Kuss darauf. »Und welchen Namen ziehen Sie vor?«
»Lizzie«, antwortete sie, während sie vergeblich versuchte, ihre Hand zurückzuziehen.
»Setz dich«, sagte Gina brüsk und verstärkte damit Lizzies Gefühl, etwas sehr Privates zu stören. »Erzähl uns von deinem Kurs.« Sie tätschelte Barrys Knie. »Lizzie lernt kochen – unter anderem. So amüsant! Was hast du denn heute gelernt, Schätzchen?«
Lizzie gewann den Eindruck, dass Gina das nur fragte, um Konversation zu machen, und nicht, weil es sie interessierte. »Wir haben jede Menge über Knoblauch und Olivenöl gelernt, außerdem, wie man Karamell herstellt. Man darf nie in der Pfanne rühren, sondern nur daran rütteln.« Lizzie lächelte und überlegte gleichzeitig, wie bald sie den Raum wieder verlassen konnte, ohne allzu unhöflich zu erscheinen. »Soll ich noch mehr Tee aufgießen, Tante …« Zu spät fiel ihr ein, dass Gina ihr am Vorabend erklärt hatte, sie fühle sich alt, wenn sie »Tante« genannt wurde. »Ähm … Gina, oder soll ich die Sachen einfach nur raustragen?«
»Oh, trag sie raus, danke!«
Nach ihrer erfolgreichen Flucht kehrte Lizzie nicht mehr ins Wohnzimmer zurück. Sie spülte das Teegeschirr, trocknete es ab und räumte es in den Schrank.
Irgendwann, als die kleine Küche makellos aufgeräumt war, hörte sie, wie Barry sich verabschiedete. Es schien ziemlich lange zu dauern.
»Oh, Schätzchen, du hast aufgeräumt. Wie nett! Meine Putzfrau kommt morgen, Mrs. Spriggs. Sie ist das Salz der Erde, allerdings ziemlich kurzsichtig. Übrigens, deine Mutter hat angerufen. Kannst du sie zurückrufen? Sie möchte wissen, wie dein Kurs heute gelaufen ist.« Gina lächelte. »Es ist sicher nicht einfach für sie, ihr kleines Mädchen allein nach London ziehen zu lassen.«
»Ich bin nicht allein«, protestierte Lizzie. »Ich habe doch dich, Gina!«
Lizzie saß im Flur neben Ginas Telefontischchen. »Mummy?«, sagte sie, als ihre Mutter abhob. »Ich bin’s!«
»Elizabeth!«, antwortete ihre Mutter. »Rühr dich nicht vom Fleck, ich rufe dich zurück. Wir wollen doch Ginas Telefonrechnung nicht belasten.«
Einige Sekunden später war ihre Mutter wieder in der Leitung. »Also, wie ist es gelaufen? Sind die anderen Mädchen sympathisch?«
»Ja. Ein paar von ihnen finde ich richtig nett. Die anderen sind ziemlich – na ja, hochnäsig. Das sind diejenigen, die in die Gesellschaft eingeführt werden.«
Ihre Mutter seufzte. Wenn ihre Träume wahr geworden wären, würde Lizzie jetzt ebenfalls ihre ersten Bälle, Teegesellschaften und Sportereignisse besuchen – alles mit dem Ziel, geeignete junge Männer kennenzulernen: Männer, die gute Ehemänner abgaben, indem sie für eine Ehefrau und eine Familie sorgen und ihnen allen ein angemessenes Oberschichtleben bieten konnten. Lizzie war sich dessen bewusst. Doch da sie nicht vorhatte, sich in eine Gruppe von jungen Frauen zu drängen, von denen sie keine kannte, wusste sie nicht, was sie antworten sollte, um ihre Mutter zufriedenzustellen.
»Eines der netteren Mädchen scheint aber ziemlich vornehm zu sein«, sagte sie schließlich in der Hoffnung, dass dies ihre Mutter wenigstens ein bisschen aufmuntern würde.
»Wirklich, Liebes? Wie heißt sie denn?«
»Alexandra.«
»Du musst sie so bald wie möglich mal mitbringen. Vielleicht nächstes Wochenende?«
Auch wenn Lizzie die gehorsamste und nachgiebigste Tochter war, die man sich nur vorstellen konnte, hatte sie ihre Mutter dennoch bis zu einem gewissen Grad durchaus im Griff. »In einer Woche werde ich sie noch lange nicht gut genug kennen, um sie über Nacht zu uns einzuladen, Mummy. Außerdem möchte Gina am Wochenende etwas mit mir unternehmen.« Das war geflunkert, und obwohl Lizzie sich selbst als ehrlichen Menschen betrachtete, ließen sich kleine Notlügen manchmal nicht vermeiden. Lizzie glaubte nicht, dass sie nach nur einer Woche schon bereit war, nach Hause zu fahren. Sie hatte das Gefühl, erst seit fünf Minuten in London zu sein – sie wollte ein bisschen mehr Zeit haben, um ihre Flügel auszubreiten.
Ihre Mutter, die Lizzie mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte, wie wichtig es war, Gina bei Laune zu halten – Lizzie musste nur sehr wenig Miete zahlen –, hielt nicht dagegen. »Wahrscheinlich möchte sie, dass du ihr Silberbesteck putzt. Es hatte es gestern jedenfalls nötig. Obwohl ich nur fünf Minuten im Haus war, ist mir das aufgefallen.«
Lizzie wies ihre Mutter nicht darauf hin, dass sie nicht einmal fünf Minuten gebraucht hatte, um Ginas mangelnde Fähigkeiten beim Führen ihres kleinen Haushalts zu entdecken. »Ich glaube, ich lege jetzt besser auf, Mummy. Gina kann sicher Unterstützung bei den Essensvorbereitungen brauchen.«
»Gut, Liebes. Sag mir Bescheid, ob du am Wochenende nach Hause kommen kannst. Und finde mehr über diese Alexandra heraus. Es hört sich an, als wäre sie ein sehr nettes Mädchen.«
Lizzie wusste, dass Alexandra nett war, doch wie ihre Mutter aufgrund von so wenigen Informationen zu diesem Schluss kommen konnte, war ihr ein Rätsel. Aber eigentlich war es klar. Es lag daran, dass Lizzie sie als »vornehm« bezeichnet hatte.
Sie ging hinunter in die kleine Küche, wo sie Gina vorfand. »Kann ich etwas helfen?«
»Du kannst die jungen Kartoffeln schrubben. Aber es wird ein sehr einfaches Abendessen. Anders als du, Schätzchen, werde ich nie in der Lage sein, allzu komplizierte Gerichte zu kochen.«
Lizzie war dankbar. Am Abend zuvor hatte sie Bekanntschaft mit einer Avocado gemacht – einer Frucht, die ihr vollkommen neu war. Sie war so wachsartig und cremig, dass sie einen Moment gebraucht hatte, um zu entscheiden, ob sie sie mochte oder nicht.
»Vielleicht kann ich öfter mal für dich kochen, wenn ich ein bisschen mehr gelernt habe«, schlug sie vor.
Gina lächelte und nickte, doch die Aussicht, von ihrer Nichte bekocht zu werden, schien sie nicht sonderlich zu begeistern.
Lizzie dachte an den Rat ihrer Mutter, sich nützlich zu machen, und fuhr fort: »Ich kann auch sehr gut nähen. Wenn du Sachen hast, die ausgebessert werden müssen, kannst du sie mir gern geben. Ich werde das im Nu erledigen.«
»Wirklich? Hast du das in der Schule gelernt?«
Lizzie nickte. »Zum Teil, aber Mum hat mir auch beigebracht, wie man Batist mit feiner Spitze säumt, um Taschentücher daraus zu machen. Sie verkaufen sich sehr gut bei den Wohltätigkeitsbasaren, die sie organsiert. Meine Säume sind übrigens unsichtbar, doch das habe ich in der Schule gelernt.«
»Oh. Nun ja, nach dem Essen gebe ich dir meinen Nähkorb – du kannst ja mal sehen, was du damit anfangen kannst.«
Während des Essens war Gina geistesabwesend und schenkte Lizzie – anscheinend ohne nachzudenken – aus der Weinflasche nach. Lizzies Eltern tranken zu den Mahlzeiten normalerweise keinen Wein, doch Gina war, wie ihr Vater es ausgedrückt hatte, sehr »modern«. Lizzies Vater hielt eindeutig nichts von einer modernen Einstellung.
Nachdem Lizzie den Abwasch trotz Ginas Proteste erledigt hatte, kümmerte sie sich um die Flickwäsche ihrer Tante.
Die Sachen steckten in einem Beutel, und es gab eine ganze Menge davon. Lizzie fand heraus, dass Gina kurzerhand Dinge in den Beutel schob und ihnen dann nie wieder einen Blick gönnte. Sie kaufte einfach Ersatz. Daher gab es eine ganze Reihe Kleider, die gesäumt, ein paar Knöpfe, die angenäht, und zerrissene Laken, die geflickt werden mussten.
»Mach dir keine Gedanken wegen der Laken, Schätzchen«, sagte Gina sichtlich verlegen. »Ich lasse sie in der Wäscherei flicken.«
»Sind sie dort zerrissen worden?«, fragte Lizzie.
»Nein«, antwortete Gina knapp. »Nun, hast du alles, was du brauchst?«
Am Freitag nach dem Unterricht zog Gina Lizzie ins Wohnzimmer, kaum dass sie ihren Mantel ausgezogen hatte. »Hör mal, ich weiß, es ist noch nicht ganz so weit, aber welche Pläne hast du fürs Wochenende?«
Lizzie wurde klar, dass es sich um mehr als eine beiläufige Frage handelte. »Na ja, Mum möchte, dass ich nach Hause komme, aber ich habe gesagt, ich würde lieber ein bisschen London erkunden. Doch wenn dir das ungelegen kommt …«
»Nein, nein! Auf jeden Fall solltest du London kennenlernen. Ich gebe dir einen Stadtplan mit einem Straßenverzeichnis; du kannst am Samstag in London herumlaufen, und am Abend wird Barry uns ins Theater einladen.«
Das hörte sich prima an. Nach dem Abendessen, als sie den Abwasch erledigt und die Küche in einem Zustand hinterlassen hatte, der sogar ihre Mutter zufriedengestellt hätte, ging Lizzie zu Bett. Sie freute sich darauf, am nächsten Tag frei und ungebunden ihre neue Umgebung zu erkunden.
Am Samstagmorgen führte sie ein Telefonat mit ihrer Mutter, die ein wenig verstimmt war, weil sie wollte, dass Lizzie wenigstens am Sonntag nach Hause kam. Angela Spencer war immer schon gut darin gewesen, ihrer Tochter ein schlechtes Gewissen zu machen. Bewaffnet mit dem Stadtplan, den Gina ihr gegeben hatte, brach Lizzie schließlich auf. Sie war nicht daran gewöhnt, etwas allein zu unternehmen, doch es dauerte nicht lange, bis sie das Alleinsein zu genießen begann.
Sie konnte stehen bleiben und Schaufenster betrachten, oder eben nicht – je nach Lust und Laune. Sie konnte sich die Menschen ansehen, die in der King’s Road wohnten – sie waren ganz anders als die Leute in der Marktgemeinde, in der sie selbst aufgewachsen war. Es gab Obdachlose mit langen Bärten – Lizzie kannte nur einen einzigen Mann mit Bart. Er leitete den Naturkostladen in ihrem Heimatort und lief das ganze Jahr über in Sandalen herum. Doch hier trugen einige Männer Bärte und längeres Haar. Sie entdeckte eine Frau in einem Hängerchen, ein Kleidungsstil, den sie bisher nur in Zeitschriften gesehen hatte.
Sie plante, die King’s Road in Richtung Sloane Square zu erkunden und von dort aus nach Knightsbridge zu Harrods zu spazieren. Ihre Mutter und sie waren regelmäßig in das große Warenhaus gegangen, wenn sie bei Daniel Neal eine neue Schuluniform gekauft hatten. Sobald sie die Schulkleidung für ein weiteres Jahr erstanden hatten, waren sie in ein Taxi gestiegen. Wenn Angela Spencer in großzügiger Stimmung gewesen war, hatten sie etwas bei Harrods gekauft – zum Beispiel ein Paar Handschuhe oder eine Haarspange –, damit sie eine kleine grüne Tüte mit goldener Aufschrift bekamen.
Lizzie befand sich noch in der King’s Road, als sie ein Geschäft entdeckte, in dessen Schaufenster ein einziges Kleid ausgestellt war. Es war scharlachrot, sehr schlicht und kurz, hatte einen tiefen runden Ausschnitt und war ärmellos. Im Laden hatte man das Kleid über einem schwarzen Rollkragenpullover dekoriert. Das Ganze war den Hemdblusenkleidern mit weitem Rock, in denen ihre Mutter sie gern sah, so unähnlich wie nur möglich.
Nachdenklich betrachtete Lizzie das Kleid. Sie hatte ein bisschen Geld, doch wenn sie das rote Kleid kaufte, hätte sie nichts mehr übrig, bis sie ihr Taschengeld für den kommenden Monat bekam. Und musste sie es wirklich kaufen? Könnte sie nicht einfach ein Schnittmuster erstehen und das Kleid selbst nähen? Voller Sehnsucht dachte sie an die Nähmaschine zu Hause, während sie zum Friseursalon nebenan weiterschlenderte.
Das Friseurgeschäft war ebenfalls ganz anders. Zu Hause saßen reihenweise Frauen unter Trockenhauben, die wie riesige Eier aussahen, und blätterten in Zeitschriften. Dieser Salon war klein, es gab offensichtlich keine Trockenhauben, und draußen im Fenster waren Bilder von Frauen zu sehen, deren Frisuren sich sehr von den ordentlichen Locken unterschieden, die von der Generation ihrer Mutter bevorzugt wurden.
Lizzie versuchte gerade, sich vorzustellen, wie sie mit kurzem Haar aussehen würde, als ein junger Mann aus dem Laden trat.
»Entschuldigen Sie bitte! Miss!«
Er brauchte mehrere Versuche, bevor Lizzie begriff, dass er sie meinte. »Oh! Hallo!«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie Lust haben, sich das Haar schneiden zu lassen. Wissen Sie, ich bin gerade auf der Suche nach einem Modell. Ich habe eine neue Friseurin; sie ist gut, hat aber noch wenig Erfahrung mit den Schnitten, die die Leute heutzutage haben möchten.«
»Ähm …«
»Der Haarschnitt wäre kostenlos.« Er zögerte. »Könnten Sie kurz mit hineinkommen? Ihr Haar ist in einem wunderbaren Zustand. Ich würde sehr gerne …«
Ohne seinen Satz zu beenden, bugsierte er Lizzie irgendwie in den Salon und platzierte sie vor einem Spiegel.
Ein Umhang wurde ihr um die Schultern gelegt.
»Komm mal her!«, sagte der Mann zu jemandem, der sich im Hintergrund aufhielt. »Sieh dir diese Haare an! Nicht dauergewellt, nicht gebleicht, in einem wirklich exzellenten Zustand.«
Eine nervös wirkende junge Frau erschien im Spiegel und sah zu, wie der Mann mit den Fingern durch Lizzies Haare fuhr.
»Und hier!«, fuhr er fort. »Siehst du? Ein perfekter Haaransatz. Also … äh, Miss – wie heißen Sie eigentlich? Ich kann Sie nicht weiter Miss nennen.«
»Lizzie!«, antwortete sie fasziniert und gleichzeitig verunsichert.
»Und ich bin Terry. Das ist Susan; sie ist mein Lehrling. Sie ist wirklich gut, hat jedoch noch keine richtig geometrischen Schnitte durchgeführt. Ich bezahle Sie dafür, wenn Sie sich von ihr die Haare schneiden lassen.«
»Ich weiß nicht recht …«
»Zehn Pfund! Fairer geht’s nicht!«
Zehn Pfund waren mehr als ihr monatliches Taschengeld. Für Lizzie war es ein riesiger Betrag.
»Wirklich? Sie wollen mir zehn Pfund zahlen, wenn ich mir die Haare schneiden lasse?« Das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Ihr Vater pflegte zu sagen, wenn etwas zu schön klang, um wahr zu sein, dann war es wahrscheinlich auch so. »Aber wenn es nachher schrecklich aussieht?«
»Das wird es nicht«, erwiderte Terry, der immer noch mit ihren Haaren spielte, als wären sie aus feinstem Garn. »Ich werde jeden einzelnen Schritt überwachen. Sie können sich die Frisur sogar aussuchen. Wir sind nicht wie einer dieser Salons, in denen wir entscheiden, welche Frisur die Modelle bekommen. Ich bilde nur eine Friseurin aus, die ohnehin schon gut ist, nicht Dutzende. Kommen Sie zum Waschbecken, wir schneiden Ihr Haar in nassem Zustand.«
Lizzie war lange im Salon, doch sie saß nicht vor einem Spiegel. Man brachte ihr mehrmals Kaffee und Kekse und dann sogar ein Sandwich. Jeder Schnitt mit der Schere wurde abgesprochen und überwacht. Doch sie selbst konnte nicht beobachten, was Terry und Susan mit ihr veranstalteten.
»Sieht es gut aus?«, fragte sie einmal, nachdem ihr eine große Locke in den Schoß gefallen war.
»Toll! Ganz toll!«, antwortete Terry. »Sie haben etwas Besonderes, wunderbare Wangenknochen und natürlich eine perfekte Haut. Sie haben solches Glück! Ich hatte eine schlimme Akne, als ich in Ihrem Alter war.«
»Sie sehen wirklich entzückend aus«, sagte Susan schüchtern. »Fast wie ein Mannequin.«
»Nicht ganz wie ein Mannequin?« Das »fast« stellte Lizzie nicht zufrieden.
Susan schüttelte den Kopf. »Ihre Kleidung ist nicht richtig, und Sie brauchen ein bisschen Make-up.«
Lizzies Mutter trug manchmal ein wenig »Augenblau«, wie sie es bezeichnete, außerdem Lippenstift und Puder. Und natürlich zog sie sich die Augenbrauen nach. Doch all das musste sehr dezent sein, denn Lizzies Vater stand Frauen, die sich das Gesicht »anmalten«, wie er es nannte, ablehnend gegenüber. Er hätte Zustände bekommen, wenn Lizzie sich geschminkt hätte. Sie dachte an die zehn Pfund, die sie erhalten würde. Einen Teil davon würde sie definitiv in Make-up investieren.
Als Lizzie schließlich in den Spiegel sehen durfte, erkannte sie sich selbst fast nicht wieder. Ihre Augen wirkten riesig, ihr Gesicht elfenhaft und zart, und der schräge Pony und die geometrischen Konturen der Haare auf ihren Wangen ließen sie sehr modern aussehen.
»Ach du meine Güte!«, stieß sie hervor. »So kann ich nie wieder nach Hause gehen! Mein Vater wird verrückt.«
»Ich mache noch schnell ein paar Fotos«, sagte Terry.
Als er fertig war, holte er zwei Zehn-Pfund-Noten hervor. »Ich weiß, ich habe Ihnen zehn versprochen, aber es hat so gut funktioniert …« Er reichte Lizzie das Geld. »Darf ich Ihnen noch einen Rat geben? Gehen Sie auf direktem Weg nach nebenan und kaufen Sie dieses Kleid aus dem Schaufenster. Sie werden es nicht bereuen.«
Lizzie befolgte seinen Rat. Sie erstand das Kleid, das ihr so gut gefallen hatte, und auch den schwarzen Rollkragenpullover. Damit sie ihr neues Outfit sofort tragen konnte, ließ sie ihr eigenes Kleid in eine Tragetasche packen. Dann marschierte sie zu Peter Jones und fand einen Rest Gabardine-Stoff in einem dezenten Dunkelgrün. Ein Schnittmuster brauchte sie nicht – sie würde einfach das Kleid kopieren, das sie nun besaß.
Auf dem Rückweg zu Ginas Haus hüpfte Lizzie praktisch die King’s Road entlang. Sie summte einen Popsong, schwang ihre Tasche und fühlte sich wie in einem Film. Jetzt war sie eine richtig moderne Londonerin, nicht mehr das langweilige Mädchen vom Land wie noch bei ihrer Ankunft. Sie sprang die Stufen zu Ginas Haustür hinauf und klingelte. Hoffentlich gab ihre Tante ihr bald einen Hausschlüssel! Sie lebte in London, sie hatte tolle Freunde hier gefunden, und auch ihr Äußeres passte zu ihrem neuen Leben.
Als Gina ihr die Tür öffnete, starrte sie sie ein paar Sekunden lang verblüfft an. »O Gott! Ich habe dich kaum erkannt!«, rief sie. »Du hast dir das Haar schneiden lassen.« Dann runzelte sie die Stirn. »Tut mir leid, wie dumm von mir! Du weißt das natürlich. Komm rein.«
»Was denkst du?«, fragte Lizzie. »War es ein schrecklicher Fehler? Ich habe mir ein Schaufenster angesehen, und da kam dieser Friseur heraus und hat mich gebeten, mich als Frisurenmodell zur Verfügung zu stellen.«
»Dein Vater wird deine neue Frisur hassen«, antwortete Gina, »aber wahrscheinlich heißt das, dass du genau das Richtige getan hast. Komm, trink eine Tasse Tee. Barry wird uns bald abholen, um ins Theater zu gehen. Ich frage mich, was er von dir halten wird – mit dem kurzen Kleid, das deine Knie frei lässt, und mit dieser modernen Frisur.«
Barry war beeindruckt. Er machte so viel Aufhebens um Ginas »kleine Nichte«, dass Lizzie sich ziemlich unwohl fühlte. Er reichte ihr ein großes Glas Sherry – nicht nur einen Fingerhut voll, wie Lizzies Vater es für das schönere Geschlecht für angemessen hielt. Dann dachte er laut darüber nach, ob sie nicht nach dem Theater noch zu dritt in einen Nachtclub gehen wollten. Ins Ad Lib, sagte er; er kannte da angeblich jemanden, der dafür sorgen würde, dass sie eingelassen wurden.
Gina war nicht gerade begeistert von der Idee, und obwohl Lizzie irgendwann einmal einen Club besuchen wollte, hatte sie keine Lust, zusammen mit Barry und einer schlecht gelaunten Gina hinzugehen.
Das Vergnügen des Theaterbesuchs wurde etwas getrübt durch Barrys übertriebene Aufmerksamkeit und die Tatsache, dass auch andere Leute – fremde Leute – ihr Beachtung schenkten. Es gefiel Lizzie nicht wirklich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Im Waschraum der Toilette bewunderte eine Frau ihre Frisur und wollte wissen, wo sie sich das Haar hatte schneiden lassen. Bereitwillig gab Lizzie Auskunft. Sie hatte nur wenige andere Frauen mit einem ähnlichen Kurzhaarschnitt gesehen, und alle wirkten sie dennoch sehr modisch und elegant.
Am Sonntagnachmittag war Gina gereizt und angespannt. Als Lizzie von ihrem Spaziergang im Park zurückkehrte, toastete sie Brot zum Tee und trug das Tablett ins Wohnzimmer, wo Gina neben dem gasbetriebenen Kaminofen saß. Sie lächelte flüchtig und machte Platz für das Tablett, indem sie die Sonntagszeitung vom Tisch auf den Fußboden beförderte.
»Ich werde diese kleinen Aufmerksamkeiten vermissen«, sagte sie. »Ich muss zugeben, dass du ein gutes Mädchen bist.«
Lizzie war beunruhigt. Ihre Tante neigte nicht zu Gefühlsduseleien. Sie schenkte eine Tasse Tee ein und reichte sie Gina. Dann bot sie ihr den Teller mit dem gebutterten Toast an.
»Wie würden deine Eltern reagieren, wenn du ihnen eröffnest, dass du nicht mehr bei mir wohnen möchtest?« Gina wischte sich die buttrigen Finger an einem Taschentuch ab.
Lizzie wurde erst heiß, dann kalt. »Ich … ich weiß nicht, ich kann es mir nicht vorstellen.« Dann dachte sie scharf nach. »Sie würden von mir verlangen, nach Hause zu kommen. Sie würden mich nicht in London bleiben lassen.«
»Okay, dann werden wir ihnen das nicht erzählen. Aber, Schätzchen, du kannst nicht hierbleiben. Ich habe einen Fehler gemacht. Du musst dir mit anderen Mädchen eine Wohnung teilen. Das machen viele so, es ist in Ordnung. Ich helfe dir. Ich unterstütze dich auch bei der Miete.«
»Aber warum kann ich denn nicht hierbleiben?«
»Du bist viel zu hübsch! Ich bin davon ausgegangen, dass du wie deine Mutter aussiehst, doch du bist viel hübscher, als sie jemals war.«
Lizzie wurde rot, schwieg jedoch.
»Die Sache ist die, Barry meint es zwar gut, aber falls er dir Avancen machen würde, müsste ich ihm den Laufpass geben. Allerdings unterstützt er mich großzügig bei der Zahlung von Rechnungen und so weiter.«
Lizzie war ein bisschen schockiert, doch sie verstand, was Gina ihr sagen wolle. Es war sehr schade, dass ihre Tante es offensichtlich einfacher fand, ihre Nichte vor die Tür zu setzen, als Barry unter Kontrolle zu halten.
»Wann soll ich ausziehen?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Der Gedanke, Ginas gemütliches Häuschen in einer der besten Gegenden Londons verlassen zu müssen, war niederschmetternd. Und wie würde sie damit zurechtkommen, mit Mädchen zusammenzuwohnen, die sie nicht kannte?
Doch dann holte sie tief Luft und erinnerte sich an die neuen Erfahrungen der vergangenen Tage – war sie wirklich erst eine Woche hier? Sie sah anders aus, und sie war anders, als sie je zuvor in ihrem Leben gewesen war. Alles wird gut, sagte sie sich. Natürlich würde sie das hinbekommen.
Zum Glück bemerkte Gina nichts von der Mischung aus Begeisterung und Angst, die in Lizzie miteinander rangen.
»Nun, ich werde dich nicht einfach so vor die Tür setzen! Ich gebe dir mindestens zwei Wochen.« Gina lächelte und war ganz offensichtlich froh, diese schwierige Unterhaltung hinter sich gebracht zu haben. »Ich habe noch die Abendzeitung von letzter Woche. Wir finden eine schöne Unterkunft für dich. Es wird viel lustiger sein, als mit deiner alten Tante zusammenzuwohnen.«
»Du bist überhaupt nicht alt!«, widersprach Lizzie.
»Ich bin älter als du, Süße, und das ist der Grund, warum du nicht bei mir wohnen kannst.«
Lizzies neue Frisur und das kurze Kleid erregten jede Menge Aufmerksamkeit, als sie am Montagmorgen die Kochküche betrat. Nicht alle Reaktionen ihrer Mitschülerinnen waren positiv.
»Wie willst du dein Haar hochstecken, wenn du ein Diadem trägst?«, fragte ein Mädchen namens Saskia, deren lange, kastanienbraune Locken im Augenblick zu einem Knoten aufgesteckt waren. Sie war eine der Hochnäsigsten hier, und Lizzie fühlte sich geschmeichelt, dass sie überhaupt mit ihr sprach, obwohl ihr Kommentar negativ war. Saskia erwähnte Lizzies kurzes Kleid nicht.
»Ich glaube nicht, dass ich je ein Diadem tragen muss«, antwortete Lizzie. Allerdings hatte sie das Gefühl, ihre Mutter würde wahrscheinlich sehr ähnliche Einwände erheben wie Saskia.
Das Mädchen fuhr fort: »Ich meine, ich lasse bald Fotos anfertigen, und der Fotograf hat explizit gesagt, ich solle mir davor das Haar nicht schneiden lassen. Ich hoffe, die Aufnahmen werden in Country Life veröffentlicht. Es ist der Fotograf von Girls in Pearls. Ich habe allerdings Diamanten.«
»Diamanten sind nicht angemessen für eine sehr junge Frau«, schaltete sich Madame Wilson in die Unterhaltung ein. »Und können wir jetzt bitte zur Ruhe kommen? Es ist Zeit für den Unterrichtsbeginn.«
»Du siehst ganz toll aus!«, flüsterte Meg Lizzie zu, als alle zu ihren Plätzen gegangen waren. »Der neueste Chic.«
»Nicht ein bisschen zu modisch?«, fragte Lizzie.
»Natürlich nicht«, verkündete Alexandra. »Du bist sehr modern!«
Madame Wilson war weniger beeindruckt. Sie sah Lizzie bloß an und schlug vor, sie solle rasch ihre Arbeitskleidung anziehen, um ihre Knie zu bedecken.
»Ich kann leider nicht länger dort bleiben«, erklärte Lizzie, als sie am Ende des Tages auf der Straße standen. »Ich muss mir eine Wohnung ansehen. Meine Tante Gina will, dass ich ausziehe.«
»Wirklich?«, fragte Meg. »Warum denn?«
Lizzie zögerte kurz, bevor sie antwortete. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, Gina wäre nicht nett oder sie selbst wolle ihrer Verwandten den Mann ausspannen. »Weil meine Tante einen Freund hat und glaubt, dieser Mann könnte sich zu sehr für mich interessieren.« Lizzie biss sich auf die Lippe. Sie fand es vollkommen unwahrscheinlich, dass Barry sie – jung und naiv, wie sie war – ihrer flotten Tante Gina vorziehen könnte. Doch bei dem Theaterbesuch hatte er tatsächlich versucht, mit Lizzie zu flirten, daher war es wohl möglich.
»Wie unangenehm«, meinte Meg. »Und deshalb willst du dir jetzt eine Wohnung ansehen?«
Lizzie nickte. »Gina scheint ganz scharf darauf zu sein, mich aus dem Weg zu haben, obwohl ich mich bei ihr richtig nützlich gemacht und sogar ihre Flickarbeiten übernommen habe!«
Alexandra lachte. »Wie undankbar von ihr!«
Lizzie stimmte in das Lachen ein. »Ich weiß! Unerhört!«
»Wo ist die Wohnung?«, wollte Alexandra wissen.
»In Tufnell Park. Bist du schon mal da gewesen?«
Alexandra schüttelte den Kopf. »Leider nein. Es liegt ziemlich weit außerhalb.«
»Ich komme mit dir zur U-Bahn«, entschied Meg. »Die Haltestelle ist ganz in der Nähe.«
Doch die Wohnung lag schrecklich weit von der U-Bahn-Station entfernt, an der sie aussteigen musste, wie Lizzie bereits nach einem Blick in den Stadtplan feststellte.
Die Umgebung war deprimierend. Die großen viktorianischen Häuser wirkten ungepflegt und heruntergekommen. Dieser Teil von London unterschied sich sehr von Chelsea. Und wie lange würde sie brauchen, um von hier aus zur Kochschule zu gelangen? Vermutlich mehr als eine Stunde. Eine Stunde entfernt von Gina und ihrem gemütlichen kleinen Haus … und von ihren neuen Freundinnen. Und eine halbe Weltreise von ihrem Zuhause in Surrey entfernt.
Lizzie war zwar naiv, jedoch nicht dumm. Sie verstand, warum Gina nicht wollte, dass ihre hübsche junge Nichte bei ihr wohnte. Sie akzeptierte auch, dass Gina es sich nicht leisten konnte, Barry den Laufpass zu geben – er war zu wohlhabend und zu großzügig. Dennoch wünschte Lizzie sich, dass ihre Tante sich nur noch ein bisschen länger mit ihrer Anwesenheit abgefunden hätte. Der Kochkurs dauerte bloß ein paar Wochen, und danach würde sie ohnehin nach Hause zurückkehren.
Allerdings reifte in Lizzie der Gedanke, dass sie sich – entgegen ihren ursprünglichen Plänen – vielleicht lieber eine Arbeit in London suchen und hierbleiben wollte. Meg würde nach dem Kurs arbeiten. Warum sollte sie das nicht auch tun? Sie war als Köchin natürlich nicht so talentiert wie ihre neue Freundin, doch auch sie kochte ganz passabel – besser als die Debütantinnen, die anscheinend nie aufpassten und nur über die nächste Party, über Wochenenden auf dem Land oder gesellschaftliche Veranstaltungen reden wollten, während sie sich danach verzehrten, ein Foto von sich im Tatler zu entdecken.
Die Straße war sehr lang, doch endlich näherte Lizzie sich der Hausnummer, die sie sich auf einem Zettel notiert hatte. Noch zwei Häuser, und sie war am Ziel.
Die Haustür war nicht eben verheißungsvoll. Sie war ausgesprochen schmutzig, und über einer zerbrochenen Glasscheibe hatte jemand ein Stück Pappe befestigt. Als Lizzie klingelte, hoffte sie, dass niemand öffnen würde. Dann könnte sie nach Hause fahren und Gina berichten, dass sie es versucht hatte. Bevor sie einen neuen Versuch unternahm, würde sie sehr sorgfältig die Lage der Wohnung überprüfen. Allerdings wurde ihr jetzt klar, dass die sehr moderate Miete wahrscheinlich ein Indiz dafür war, wie abgelegen und auch heruntergekommen die Wohngegend war.
Eine junge Frau öffnete die Tür. Das lange Haar hatte sie sich wie Vorhänge hinter die Ohren gestrichen, und ihre Haut war fettig. Sie lächelte nicht. »Du bist wegen dem Zimmer hier? Komm rein, doch ich warne dich: Jede Menge Leute sind scharf drauf.«
Lizzie hatte das Gefühl, es wäre unhöflich, sich wieder zu verabschieden, bevor sie überhaupt einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Daher folgte sie der Aufforderung.
Ein undefinierbarer, aber sehr starker Geruch stieg ihr in die Nase: eine Kombination aus altem Bratfett, Kohl und Abwasser war alles, was sie identifizieren konnte. Vielleicht auch noch Schweißgeruch, doch der konnte auch von der jungen Frau stammen.
»Es ist oben, komm mit«, sagte die Frau. »Ich bin übrigens Monica.« Sie öffnete eine Tür auf dem ersten Treppenabsatz. »Hier.«
Monica hatte recht gehabt mit ihrer Bemerkung, dass sich noch weitere Personen für das Zimmer in der Wohnung interessierten. Lizzie fand sich in einem winzigen Flur wieder, von dem mehrere Türen abgingen, und stieß beinahe mit einem anderen Mietinteressenten zusammen.
»Es tut mir leid!«, meinte ein sehr großer, adrett gekleideter junger Mann. »Bin ich Ihnen auf den Fuß getreten?«
»Nein, alles in Ordnung, sind Sie nicht.« Hätten sein ansprechendes Äußeres und sein gut geschnittener Anzug nicht noch ihre natürliche Schüchternheit verstärkt, hätte sie ihn angelächelt. Seine Sprechweise klang sehr nach Oberschicht.
»Das Wohnzimmer ist da drüben«, erklärte Monica, die sich jetzt an Lizzie vorbeischob.
Der Mann ging voraus, und Lizzie folgte ihm.
Es gab ein Erkerfenster mit vergilbten Gardinen, ein großes schwarzes Sofa mit Plastiküberzug, in dem ein Riss klaffte, zwei Sessel und einen kleinen zerkratzten Sofatisch. Im Kamin brannte ein elektrisches Feuer. Ihre Mutter, die einen untrüglichen Sinn für solche Dinge besaß, hätte sicherlich gesagt, die Wohnung sei feucht – und ja, die Tapete löste sich tatsächlich von der Wand, und hinter der Tür entdeckte Lizzie Schimmel.
»Es gibt einen Stromzähler«, bemerkte Monica. »Das Schlafzimmer ist hier.«
Lizzies Zimmer bei Gina war nicht groß, doch neben dieser kleinen Rumpelkammer wirkte es regelrecht geräumig. Es gab keine Fenster und – abgesehen von dem Bett – keine weiteren Möbelstücke.
»Es ist ein Einzelzimmer«, sagte Monica und sprach damit das Offensichtliche aus, »deshalb ist es ein bisschen teurer. An der Tür sind Haken für Kleidung.«
»Und die Küche?«, fragte der Mann.
Ein schmutziger Gasherd, eine Spüle und ein Tisch mit Resopalplatte sowie zwei Stühle bildeten die Einrichtung, doch zumindest verfügte der Raum über ein Fenster.
»Die Milch kann man aufs Fensterbrett stellen und die Flasche beschriften«, erklärte Monica.
»Und das Badezimmer?«, erkundigte sich Lizzie. Sie wusste, dass sie das Zimmer nicht nehmen würde – lieber würde sie wieder nach Hause ziehen und die tägliche Fahrt nach London auf sich nehmen, als hier zu wohnen. Dennoch wäre sie sich unhöflich vorgekommen, wenn sie nicht die ganze Wohnung besichtigt hätte.
»Das Bad teilen wir uns mit den Mietern über uns. Es gibt einen Nutzungsplan.« Als es an der Tür läutete, verließ Monica den Raum.
»Wollen Sie das Zimmer haben?«, fragte der Mann.
Lizzie schüttelte den Kopf. »Es gehört Ihnen.«
»Es ist fürchterlich, nicht wahr? Aber günstig.«
Lizzie fand, er sah aus wie jemand, der sich eine viel hübschere Unterkunft leisten könnte. Er wirkte wohlhabend und kultiviert – eigentlich war er genau der Typ Mann, der ihren Eltern gefallen würde. Ihr selbst gefiel er auch, er war durchaus attraktiv.
»Und wie war die Wohnung?«, wollte Alexandra am folgenden Morgen wissen, während sie ihre Jacken und Mäntel aufhängten.
»Grässlich«, antwortete Lizzie. »Es wäre angenehmer, zu Hause zu wohnen und täglich nach London zu pendeln.«
»Willst du das denn machen?«, hakte Alexandra nach.
»Nein«, sagte Lizzie. »Bestimmt nicht. Ich meine, meine Eltern sind sehr nett, aber ich möchte in London bleiben! Wenigstens so lange, wie der Kurs dauert.«
»Ich habe eine Idee«, meinte Alexandra. »Ich erzähle dir in der Mittagspause davon.«
Obwohl Lizzie ziemlich mit ihren eigenen Problemen beschäftigt war, fiel ihr dennoch auf, dass Meg an diesem Vormittag ein bisschen unaufmerksam war – nicht so konzentriert wie sonst. Madame Wilson musste sie zweimal auffordern, das Rezept für Mürbeteig wiederzugeben. Sie reagierte erst beim zweiten Mal, bekam es aber dann hin.
»Mein Rat, meine Damen«, sagte Madame Wilson, »lautet, dieses Rezept für alle Gerichte zu verwenden, die nach einem mürben Teig verlangen. Das Eigelb sorgt dafür, dass der Teig leicht zu verarbeiten ist.«
»Lasst uns ins Café gehen«, sagte Alexandra, nachdem alle drei Mädchen Quicheböden zubereitet und blindgebacken hatten – ein für Lizzie neues Verfahren.
»Ich habe mir gedacht«, fuhr Alexandra fort, als jede einen Cappuccino vor sich stehen hatte und die Zuckerwürfel darin versenkte, »warum kommst du nicht zu mir und wohnst in meinem Haus? Es ist albern, dass ich fast allein darin lebe, während du wieder zurück zu deinen Eltern oder in eine schreckliche Wohngemeinschaft ziehen musst.«
»Ach du meine Güte! Das wäre ja fantastisch!«, rief Lizzie aus. »Aber was würden deine … deine Vormunde davon halten?«
»Sie würden es nicht erfahren, und überhaupt, warum sollten sie Einwände haben? Dass ich mit einem netten Mädchen vom Lande zusammenwohne, wäre genau das, was sie sich für mich wünschen würden, wenn sie sich je Gedanken darüber gemacht hätten.«
»Das wäre perfekt!« Lizzie dachte an die Reaktion ihrer Mutter, wenn sie ihr erzählen würde, dass sie bei einer vornehmen jungen Frau in einem repräsentablen Haus in der allerbesten Gegend Londons wohnen würde. Sie wäre so begeistert, dass sie ihrer Tochter wahrscheinlich sogar den geometrischen Haarschnitt verzeihen würde.
»Hervorragend!« Alexandra klatschte in die Hände.
Meg räusperte sich. »Ist in deinem Haus vielleicht noch Platz für eine weitere Person?«
»Natürlich«, antwortete Alexandra. »Es ist riesig. Warum?«
»Ich brauche jetzt auch eine neue Unterkunft. Dringend.«
»Aber weshalb?«
»Meine Mutter hat eine neue Stelle gefunden, was an und für sich großartig ist, und sie kann auch dort wohnen, was ebenfalls großartig ist, doch ich werde dadurch praktisch obdachlos«, erklärte Meg.
»Dann zieh auch zu mir! Wir können alle zusammenwohnen, das wäre so schön! Es ist ziemlich einsam, mehr oder weniger allein in diesem Riesenhaus zu wohnen.«
»Es gibt nur ein Problem«, meinte Meg, die, wie Lizzie fand, nicht angemessen entzückt von der Aussicht wirkte, ihr Wohnungsproblem so schnell und glücklich lösen zu können.
»Und das wäre?«, fragte Alexandra.
»Da ist noch Clover.«
»Wer ist Clover?«, sagten Alexandra und Lizzie gleichzeitig.
»Meine Hündin. Na ja, eigentlich ist sie nicht meine Hündin. Sie hat dem alten Mann gehört, um den meine Mutter sich gekümmert hat – der, bei dem wir in den letzten fünf Jahren gelebt haben.«
»Und er hat dir den Hund in seinem Testament hinterlassen?«, hakte Lizzie nach.
Meg reagierte ein bisschen emotional. »Die Sache ist die, die Familie des alten Mannes – entfernte Verwandtschaft – kam ihn nie besuchen. Sie wollten, dass der Hund eingeschläfert wird. Clover ist nicht mehr jung, sieben Jahre, aber das ist auch nicht wirklich alt!«
»Oh, wie schrecklich!«, rief Alexandra. »Natürlich kann sie auch bei uns wohnen.« Sie zögerte kurz. »Es gibt da allerdings noch eine Sache.«
Lizzie und Meg sahen Alexandra beunruhigt an. Würde sich die Lösung für ihre Probleme so bald schon wieder zerschlagen?
»Ich habe euch gesagt, dass ich mehr oder weniger allein wohne … na ja, das ist streng genommen eine Lüge. Ich habe mir angewöhnt, Menschen anzulügen – aus Selbstschutz –, allerdings ist es eine scheußliche Angewohnheit.« Sie holte tief Luft. »Ich wohne mit David zusammen. Er ist der liebste, netteste Mensch, den man sich nur vorstellen kann, und er hat sich immer um mich gekümmert – na ja, jedenfalls in den letzten drei Jahren. Er ist Antiquitätenhändler und Schauspieler.«
»Warum sollte das ein Problem sein?«, wollte Meg wissen.
Alexandra ließ sich mit ihrer Antwort einen Moment Zeit. Dann sagte sie: »Er ist homosexuell.«
Lizzie und Meg schluckten.
Alexandra fuhr fort: »Wie ihr wisst, verstößt es gegen das Gesetz, schwul zu sein. Falls ihr glaubt, ihr könntet ein Problem damit haben, das Haus mit einem Homosexuellen zu teilen, oder falls ihr es den Behörden mitteilen wollt, könnt ihr nicht bei mir einziehen.« Wieder machte sie eine Pause. »Und ich weiß auch nicht, ob ich in dem Fall mit euch befreundet sein kann.«
»Für mich ist das kein Problem«, erklärte Meg. »Es wurde zwar nie ausgesprochen, aber ich bin sicher, dass William, der alte Mann, um den meine Mutter sich zuletzt gekümmert hat und bei dem wir gewohnt haben, ebenfalls homosexuell war. Er war auch ein unglaublich lieber, netter Mensch.« Sie lächelte schüchtern.
»Es tut mir leid, dass ich so dumm bin«, sagte Lizzie. »Doch ich weiß gar nicht richtig, was ›homosexuell‹ bedeutet.« Sie wurde rot, weil sie so unwissend und naiv war. »Ich bin sehr behütet aufgewachsen«, fügte sie als Entschuldigung hinzu.
»Es ist, wenn Männer nicht auf Frauen stehen, sondern andere Männer mögen«, erklärte Meg. »Ich weiß nicht, warum das gegen das Gesetz verstößt.«
»Okay«, meinte Lizzie. »Ich glaube nicht, dass ich schon mal einem Schwulen begegnet bin.«
»Wahrscheinlich schon«, erwiderte Alexandra. »Du hast es nur nicht gewusst. Kommt mit, ich zeige euch das Haus. Wir können zu Fuß gehen, wenn ihr nichts dagegen habt«, fügte sie etwas nervös hinzu. »Vielleicht hasst ihr mein Zuhause ja auch!«
»Aber dann würden wir den Polsterkurs versäumen«, wandte Lizzie leicht schockiert ein.
»Ich glaube nicht, dass das schlimm wäre«, entgegnete Meg. »Die Debütantinnen verpassen ziemlich häufig den Nachmittagsunterricht. Die Stunden am Nachmittag sind nur zum Füllen da, damit der Kurs sein Geld wert ist.«
»Sie hat recht«, sagte Alexandra. »Doch wir könnten auch erst nach dem Polsterkurs zu mir gehen, wenn dir das lieber wäre, Lizzie.«
»Lasst es uns so machen«, meinte Meg, die sie beobachtet hatte und vermutlich erriet, dass Lizzie sich mit dieser Lösung wohler fühlen würde.
Als der Arbeitsraum am Ende des Tages sauber und ordentlich aufgeräumt war und die jungen Frauen gehen konnten, verloren sie keine Zeit. Alexandra wies ihnen den Weg. Plötzlich zeigte sich London von seiner besten Seite: Die Kirschbäume entlang der Straße standen in voller Blüte, Blumenkästen voller Narzissen, Tulpen und Hyazinthen schmückten die hübscheren Häuser. Erst säumten kleine Läden ihren Weg, später, als sie Victoria erreichten, größere, dann folgten wieder Wohnstraßen.
Lizzie war so begeistert, dass sie ununterbrochen vor sich hin lächelte. London schien so voller Möglichkeiten und Verheißungen zu sein. In dieser Gegend zu leben wäre wunderbar und ganz anders als die schreckliche Wohnung in Tufnell Park und noch besser als Chelsea.
Alexandra führte sie zu einer Reihe von im Halbkreis angeordneten, großen, hochherrschaftlichen Häusern mit mindestens vier Stockwerken. Vor einem Haus mit Vorgarten, der von einem Drahtzaun umgeben war, blieb sie stehen. Lizzie vermutete, dass es wahrscheinlich vormals einen schmiedeeisernen Zaun gegeben hatte, der während des Krieges entfernt worden war. Der Garten stand voller alter Bäume, und durch den Zaun konnte man Blumen, Pfade, Sitzgelegenheiten und eine kleine Hütte sehen.
»Ist das der einzige Garten?«, fragte Meg sorgenvoll. Sicher dachte sie an Clover.
»Nein, nein, es gibt noch einen kleinen hinter dem Haus. Lasst uns reingehen. Ich muss euch allerdings vorwarnen – das Haus ist seit Jahren nicht mehr ordentlich renoviert worden.«