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Die 40-jährige Caro Swanson braucht dringend eine Auszeit, und die Anzeige in THE LADY schickt der Himmel: Gesellschafterin für älteren Gentleman auf dem schottischen Land gesucht. Der charmante Sir Munro lebt im Paradies und hat einen Sohn namens Alec, mit dem Caro vor 20 Jahren eine heiße Affäre hatte. Erneut knistert es, und als sich herausstellt, dass das traumhafte Anwesen hoch verschuldet ist, verspricht die Suche nach der verschollenen Rezeptur eines Rosenblütenparfüms Rettung. Für Caro nimmt damit ein magischer Sommer seinen Lauf ...
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Seitenzahl: 417
Die 40-jährige Caro Swanson braucht dringend eine Auszeit, und die Anzeige in THE LADY schickt der Himmel: Gesellschafterin für älteren Gentleman auf dem schottischen Land gesucht. Der charmante Sir Munro lebt im Paradies und hat einen Sohn namens Alec, mit dem Caro vor 20 Jahren eine heiße Affäre hatte. Erneut knistert es, und als sich herausstellt, dass das traumhafte Anwesen hoch verschuldet ist, verspricht die Suche nach der verschollenen Rezeptur eines Rosenblütenparfüms Rettung. Für Caro nimmt damit ein magischer Sommer seinen Lauf …
Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.
Katie Fforde
RosenblütenSommer
Roman
Aus dem Englischen vonAngela Koonen
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © Katie Fforde 2019
Titel der englischen Originalausgabe: »A Rose Petal Summer«
Originalverlag: Century/The Random House Group Limited, London
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titelillustration: © Drunaa / Trevillion Images;© Ronn, Johan, Carl /gettyimages; © ra3rn; Shelli Jensen; ESOlex;Triff; Konmac; Konstanttin; GarethWilley; djgis; majeczka / Shutterstock
Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0350-5
luebbe.de
lesejury.de
Meinem lieben Freund Josh Thomas, der mit mir so viele herrliche Erkundungsreisen unternommen, Schreibtage in der Einsamkeit und Gesundheitsfarmwochenenden verbracht und flaschenweise Rosé geteilt hat. Danke!
Zweiundzwanzig Jahre zuvor
Caro zog sich ihr Jerseykleid über die Knie. Es wäre vernünftig, jetzt schlafen zu gehen. Sie hatte sich von ihren Freunden verabschiedet, die in der Bar zusammensaßen, und sich für fünf Uhr früh ein Taxi bestellt, das sie auf die andere Seite der Insel zur Fähre bringen würde. Sie musste aufs Festland hinüber und zum Flughafen.
Aber der schöne Abend, so dunkel und voller Zirpen, und das sanfte Plätschern der Wellen hatten sie nach draußen gelockt. Der riesige goldene Mond leuchtete tief über dem Meer wie eine Laterne. Auf einem Felsvorsprung wuchs ein wilder Rosenstrauch, der ab und zu hellrosa Blätter seiner kleinen Pompon-Blüten abwarf und ihren Duft verströmte. Von alldem wollte sie sich noch nicht losreißen.
»Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
Caro zuckte erschrocken zusammen. Wer da fragte, war nicht gut zu erkennen, aber er klang nett, und ihre Freunde waren ganz in der Nähe, sodass sie sich sicher fühlte. »Nein. Nur zu.«
Ein paar Minuten lang sprachen sie nicht. Caro war eigentlich nicht schüchtern, doch der Mann war in ihrem Alter und schien sehr attraktiv zu sein. Nicht, dass sie Details ausmachen konnte, dazu war es zu dunkel. Groß war er und gut proportioniert. Verstohlen blickte sie zur Seite. Er hatte eine starke Nase, ein schönes Profil.
»Was ich an den griechischen Inseln vermissen werde, sind die Gerüche. Die Rosen duften fantastisch, besonders hier. Jetzt zum Beispiel.«
Das verblüffte Caro. Sie drehte den Kopf und strengte die Augen an, um vielleicht doch mehr von seinem Gesicht zu sehen. Sie selbst konnte sich auch für Gerüche begeistern. Ihre Freundinnen dagegen schienen keinen Sinn dafür zu haben und rochen nichts, es sei denn, es kam in einer Flasche aus dem Duty-Free-Shop.
»Männer bemerken Gerüche meistens gar nicht. Ich denke, sie ruinieren sich die Nase während der Schulzeit, weil sie sich ständig mit Axe einnebeln.«
Er lachte. »Ich heiße Xander, und ich interessiere mich für Parfüm, obwohl ich auch Axe benutzt habe. Du riechst übrigens gut.«
Unsicher, was für Absichten er hegte, rückte sie ein bisschen von ihm ab. Parfüm trug sie nur zu besonderen Gelegenheiten, denn ihr gefiel wirklich nur das ihrer Mutter, ein furchtbar teures, und von dem war nicht mehr viel übrig. Aber da sie hoffte, ein neues Fläschchen zum Geburtstag zu bekommen, hatte sie es heute Abend mal wieder benutzt. »Ich heiße Caro.«
Vielleicht hatte er gespürt, dass seine Bemerkung sie verunsichert hatte, und wechselte deshalb das Thema. »Und woher kommst du, Caro?«
»Aus London. Und du?«
»Aus einem Nest in Schottland, Glen Liddell.« Er seufzte. »Aber ich will erst mal noch jede Menge von der Welt entdecken, bevor ich zurückreise.«
Es mochte an der Dunkelheit liegen oder auch an der hypnotischen Nachtluft, jedenfalls unterhielten sie sich immer weiter. Xander erzählte ihr, dass er Parfümeur werden wollte und sein Vater das vollkommen ablehnte. Sie vertraute ihm an, wie sehr sie sich unter Druck fühlte, ihren Studienplatz einzunehmen, sich aber nicht sicher sei, ob das für sie das Richtige war. Sie tauschten sich über Musik, Bücher und Filme aus. Mal waren sie einer Meinung, und mal mussten sie ihren ungewöhnlichen Geschmack verteidigen. Doch Caro hatte nie das Gefühl, dass sie mit ihren komischen Vorlieben besser hinterm Berg halten sollte. Vielmehr schien Xander gar nicht werten zu wollen und hörte interessiert zu.
Dann plötzlich näherten sich auf der Küstenstraße die Scheinwerferkegel eines Autos. Das war bestimmt ihr Taxi. Es war fünf Uhr geworden, und sie musste aufbrechen.
Während der Fahrt zur Fähre kamen ihr Tränen. Sie hatte einen Mann kennengelernt, mit dem sie sich vollkommen verbunden fühlte, in jeder Hinsicht, und sie hatten nicht mal ihre Telefonnummern ausgetauscht. Wieso hatte sie das versäumt? Und würde sie das nun für den Rest ihres Lebens bedauern?
»Ein Wohnwagen.« Caro schaute sich um und versuchte, nicht enttäuscht zu klingen. Es war nicht mal ein hübscher. Die Einrichtung bestand aus lauter Kunststoff, und es roch stark nach altem Teppich.
»Ja, das tut mir leid«, sagte die Frau, die sie zu ihrem vorübergehenden Zuhause geführt hatte. »Es gibt auch ein Cottage, aber daran muss einiges getan werden, bevor es wieder bewohnbar ist. Es war vermietet und ist im Moment nicht gästetauglich.«
Für Caros Empfinden klang sie nicht angemessen bedauernd. Heather, so hatte sie sich ihr vorgestellt, war in den späten mittleren Jahren, trug ihre grau melierten Haare zu einem akkuraten Bob geschnitten und schien durchaus ein freundlicher Mensch zu sein. Sie wusste aber nicht und konnte auch gar nicht wissen, wie enttäuscht Caro über ihre Unterbringung war.
Bei dem Vorstellungsgespräch, das in einem Londoner Hotel stattgefunden hatte, war die Rede von einem typisch schottischen Hochland-Cottage gewesen. Caro hatte sich dabei ein niedriges Häuschen aus Feldsteinen mit Ziegel- oder sogar Schilfdach vorgestellt. Schottland und Schilfdächer, dessen war sie sich nicht sicher, aber das Bild hatte ihr gefallen, und sie hatte gleich den Geruch von Torffeuer und Tannengrün in der Nase gehabt. Mrs Leonie Gordon (»Nennen Sie mich Lennie«), bei der sie sich vorgestellt hatte, war nett gewesen. Ziemlich vornehm zwar, aber doch wohlwollend und freundlich. Ein müffelnder Wohnwagen gehörte nicht zur Abmachung.
»Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie sich einrichten können«, sagte Heather, nachdem sie den Wohnbereich von der Tür aus flüchtig inspiziert hatte. »Dann kommen Sie ins Haus zum Sherry. Murdo nimmt gegen sechs immer einen Drink. Mit etwas Glück werden die anderen auch alle da sein, und Sie können sie kennenlernen. Allerdings weiß ich nicht, ob Alec kommen wird. Er ist unterwegs gewesen. Deshalb ist auch das Cottage noch nicht fertig. Also, in einer halben Stunde? Genügt Ihnen das?«
»Das sollte reichen.« Caro fühlte sich niedergeschlagen. Wahrscheinlich, weil sie eine lange Fahrt hinter sich hatte und weil es ihr schwergefallen war, sich von Posy zu verabschieden, ihrer Tochter. Und hoffentlich nicht, weil es womöglich ein schrecklicher Fehler war, die Stelle anzunehmen. Andererseits war es nur für einen Monat. Das sollte doch zu überstehen sein, oder?
Als sie das Bettzeug befühlte, um festzustellen, ob es klamm war, überlegte sie, Posy schnell ein Foto vom Wohnwagen zu schicken. Aber vermutlich würde sie es erst viel später versenden können, da sie im Wohnwagen bestimmt kein WLAN hatte (wenigstens schien das Bettzeug trocken zu sein). Das Foto würde Posy zum Lachen bringen. Sie wusste nur, dass ihre Mutter einen älteren Herrn in Schottland betreuen würde – hauptsächlich, damit er keinen Unfug anstellte, wie Lennie, seine Tochter, meinte. Caro hegte schon ihr Leben lang den Wunsch, sich mal auf eine Anzeige in der Lady zu bewerben, und davon abgesehen, wollte sie zu Beginn von Posys Australienreise einmal etwas ganz anderes machen, damit sie sich zu Hause auf ihrem Kahn auf der Themse nicht einsam fühlte.
Sie dachte nicht im Traum daran, ihrer Tochter zu erzählen, aus welchem Grund sie den Job außerdem angenommen hatte, denn den wollte sie sich selbst kaum eingestehen.
Da Caro so gar keine Lust zum Auspacken verspürte, sorgte sie nur für ein vorzeigbares Äußeres, bevor sie sich zum Herrenhaus begeben würde. Sie gab sich nicht so viel Mühe wie für das Vorstellungsgespräch (Rock, hohe Stiefel, Fönfrisur und helle Strähnchen vom Friseur), sondern vergewisserte sich nur, dass ihre Jeans sauber war und ihr Make-up halbwegs intakt, und knetete ihre Haare, die ohne Profibehandlung immer wieder lockig wurden. Sie zog sich ihren Kaschmirponcho über den Pullover, weil sie sich darin wohlfühlte und überzeugt war, in Schottland zu frieren. Es kam ihr vor wie Winter, obwohl schon Ende April war. Tatsächlich waren erste Anzeichen des Frühlings zwischen den verwelkten Farnen zu sehen, die im Schutz der großen Granitbrocken wuchsen. Auf den Bergen lag noch viel Schnee, wie sie Posy später noch berichten würde. Hier hinkten die wärmeren Jahreszeiten beträchtlich hinterher. Sie würde noch froh sein, einige Pullover mitgebracht zu haben.
Während sie den Weg entlang auf das Haus zuging, überlegte sie, wie sie es Posy beschreiben könnte. Dass ihre Tochter mit ihren zwanzig Jahren wusste, wie Schottischer Baroniestil aussah, glaubte sie nicht. Stell dir vor, wie gruselige schwarze Vögel von einem riesigen Haus mit lauter Türmen auffliegen, und lass dann die gruseligen Vögel weg, würde sie schreiben – es ist riesig, es ist grau, es hat Türme und sieht nicht anheimelnd aus.
Im Stillen hoffte Caro auf verschossene karierte Teppiche, ausgestopfte Jagdtrophäen und ein prasselndes Kaminfeuer. Sie hätte nicht mal was dagegen, wenn das Feuer ein bisschen rauchte, Hauptsache, sie sah Flammen. Auf ihrem Kahn, den sie von ihren Eltern geerbt hatte, gab es keine Heizung mit sichtbarer Flamme, und das war für ihren Geschmack einer der wenigen Nachteile. Sie glich ihn mit einer Fülle von Kerzen aus.
Jetzt wünschte sie, sie hätte sich über ihre doppelte Kaschmirschicht noch Mantel und Schal angezogen, denn der Wind wehte scharf genug, »um Mais zu schälen«, wie ihr Vater gern sagte. Außerdem hoffte sie, von neugierigen Fragen verschont zu werden. Murdo würde sie natürlich einiges fragen, aber sie wollte nicht auch noch von allen anderen gelöchert werden. Es war sicherlich keine Schande, als Verkäuferin gearbeitet zu haben, und sie war nur ohne Job, weil die Inhaber das Geschäft aufgegeben hatten, doch das klang auch nicht beeindruckend.
Im Grunde war sie für die Aufgabe in vieler Hinsicht die Richtige. Sie konnte Bridge und Schach spielen, mittelprächtig zumindest, sie konnte gut kochen (ihre Rühreier fanden viele ausgezeichnet, und Rühreier mochte Murdo am liebsten, so hieß es), und sie hatte eine angenehme Sprechstimme, wie Lennie seinerzeit beim Vorstellungsgespräch gemeint hatte. Das war ein Plus, denn schließlich sollte sie Murdo aus der Zeitung vorlesen, weil er die kleine Schrift nicht mehr erkennen konnte. Offenbar las er am liebsten die Leserbriefe, damit er sich laut ereifern oder beifällig nicken und brummen konnte. Die erste Prüfung hatte sie bestanden, und nachdem Lennie sie für gut befunden hatte, sollte sie jetzt den Mann kennenlernen, dessen Meinung wirklich zählte. Mit dem Messinghirschkopf an der Haustür klopfte sie an.
Heather öffnete und ließ Caro in einen Flur, der zufriedenstellend schottisch aussah. Er war sehr groß und machte den Eindruck, als wäre seit Generationen nichts darin verändert worden. An den Wänden hingen wie erhofft ausgestopfte Köpfe von Wildtieren, die wohl längst zu Staub zerfallene Ahnen einmal erlegt hatten, und die verschossenen karierten Teppiche hatten Risse, die mit Tape geklebt waren. Es roch durchdringend nach Torfrauch, was das schottische Ambiente vervollständigte. Caro seufzte glücklich. Das war es, weshalb sie über vierhundert Meilen weit nach Norden gefahren war.
Die Möbel stammten aus verschiedenen Epochen, aber kein Stück davon war neu. Aus einem Ledersessel quoll die Rosshaarfüllung, wo das Klebeband – damit wurde hier scheinbar alles repariert – sich wieder ablöste. Caro hätte gern ein paar Augenblicke Zeit gehabt, um sich ihre neue Umgebung anzusehen, doch Heather hatte zu tun.
»Also«, sagte die ältere Frau energisch. »Er ist im Wohnzimmer. Seien Sie so gut und stellen Sie sich selbst vor. Ich sorge derweil für die Getränke.«
Da Caro zum Personal gehörte und kein Gast war, konnte sie den Vorschlag lediglich befolgen, so schwer es ihr auch fiel. Sie war nicht schüchtern, doch der Gedanke, allein vor ihren neuen Arbeitgeber zu treten, ohne jemanden als Puffer bei sich zu haben, war entmutigend. Allerdings konnte sie unmöglich im Flur herumlungern, auch wenn sie darauf brannte, die historischen Karten und Familienporträts genauer zu betrachten. Sie holte tief Luft und ging durch zum Wohnzimmer.
Das Erste, was sie beeindruckte, war das große Erkerfenster mit der wunderbaren Aussicht über den Loch. Die Hügel und Berge dahinter waren wahrlich majestätisch, und Caro hätte auch sie zu gern länger bestaunt. Doch sie war nicht wegen der Landschaft hergekommen, und am Kamin stand ein beeindruckender alter Herr, der von Kopf bis Fuß in Tweed gekleidet war.
Er kam ihr vage bekannt vor, und dann stellte sie fest, dass er ihrem Vater ein bisschen ähnelte. Durchdringend blaue Augen unter buschigen rotblonden Brauen, wettergebräunte Haut und ein resoluter Mund. Dass er kaum noch etwas sah, änderte an seinem stechenden Blick offenbar nichts.
Ihr war sofort klar, dass sie nur diese eine Chance hatte, es richtig anzugehen. Wenn sie jetzt Angst zeigte, würde er sie permanent einschüchtern und herumschubsen. Davor hatte Lennie sie beim Vorstellungsgespräch gewarnt, und sie selbst hatte mit Herren der alten Schule, die es gewohnt waren, ihren Willen zu bekommen, schon ähnliche Erfahrungen gemacht.
»Hallo!«, grüßte sie und ging auf ihn zu. »Ich bin Caro Fitzwarren.« Sie schüttelte ihm die Hand.
»Sie sind also meine Aufpasserin, hm?«
Schon halb darauf gefasst, weggeschickt zu werden und mit dem nächsten Zug nach London zurückzufahren, fällte sie eine Entscheidung. »Ihre Aufpasserin? Ach herrje! Ich dachte, ich soll hier ein bisschen harmloses Rummy spielen und Ihnen beim Patiencen-Legen über die Schulter blicken. Oder die weniger unfreundlichen Leserbriefe in der Times vorlesen. Ich wusste nicht, dass Sie eine Aufpasserin brauchen!«
Darauf folgte eine quälend lange Pause, dann nickte er. In den hellen Augen funkelte es, und sie beide entspannten sich ein wenig. »Ich denke, mit Ihnen könnte es gehen. Murdo McLean. Alle nennen mich Murdo.«
In dem Moment kam eine Promenadenmischung ins Zimmer und flitzte auf Murdo zu.
»Das ist George«, sagte er. »Ein Scheusal, das partout nicht hört, aber zu klein ist, um großen Schaden anzurichten.«
George kam auch gleich zu Caro und beschnupperte sie. Dann hob er ein Bein und erleichterte sich auf ihre Jeans.
»Oh, mein Gott!« entfuhr es ihr, ehe sie sich zurückhalten konnte.
»Er hat doch nicht schon wieder …?«, fragte Murdo, und dann brüllte er: »Heather! Der kleine Mistkerl! Hat einen Gast angepisst! Man hätte ihn erschießen sollen. Ich wusste, er ist ein böser Junge.«
Seiner Schmährede war anzuhören, dass er George verfallen war und hoffte, sie werde dem Hündchen mit der Zeit verzeihen.
Heather kam hereingelaufen, mit einer Sprühreiniger und einem Tuch bewaffnet. »Das Problem ist, er hat es seit Monaten nicht mehr getan. Deshalb glaubt man, jetzt käme es nicht mehr vor.«
»Das heißt, er mag Sie«, brummte Murdo unwirsch und mit einem Anflug von Verlegenheit.
Caro sprühte und rieb, war sich aber darüber im Klaren, dass nur eine gründliche Wäsche etwas nützen würde.
»Eigentlich würde ich mich gern umziehen. Wenn Sie nichts dagegen haben? Es dauert nur eine Minute.«
Heather nickte. »Bringen Sie die Jeans wieder mit, ich werde sie in die Waschmaschine stecken.«
Als Caro ein wenig außer Atem ins Haus zurückkehrte, hörte es sich an, als wäre das Wohnzimmer voller Leute. Zum Glück, oder vielleicht mit Absicht, nahm Heather sie in Empfang.
»Das mit George tut mir sehr leid!« Sie nahm ihr die Jeans ab. »Murdo liebt ihn natürlich abgöttisch, und es scheint, als fühlte George sich dadurch ein bisschen als Herr im Hause. Aber im Grunde ist er ein großartiger kleiner Hund.«
»Mir ist gleich aufgefallen, wie sehr Murdo an ihm hängt. Ein typischer Fall von ›Wer mich liebt, muss auch meinen Hund lieben‹. Ich bin sicher, wir werden uns anfreunden, irgendwann.«
Heather seufzte, und es klang erleichtert. »Nicht jeder kann es einem Hund verzeihen, wenn er ihm ans Bein gepinkelt hat.«
Caro zuckte mit den Schultern. »Mir wird nichts anderes übrig bleiben, wenn ich nicht wieder heimfahren will.«
Heather bestätigte das nickend. »Nun will ich Sie aber mit der Familie bekannt machen.«
»Da drinnen sind lauter Verwandte?« Caro fühlte sich plötzlich ein bisschen überwältigt von der Schar, die da auf sie zu warten schien.
»Nicht alle. Ein oder zwei arbeiten auf dem Anwesen.« Sie gingen zum Wohnzimmer und hielten in der Tür inne.
Caro schaute zu einem jungen Mädchen mit einem langen rotgoldenen Zopf, der ihr über die Schulter nach vorn hing. Das Mädchen war auffallend schön und sah durch und durch schottisch aus.
»Das ist Rowan, Murdos Enkelin«, sagte Heather, die ihrem Blick gefolgt war. »Ich mache mir Sorgen, dass es hier oben zu einsam für sie ist. Wenn man siebzehn ist, reicht eine schöne Landschaft einem nicht.«
Caro nickte. Sie hätte Rowan auf fünfzehn geschätzt. »Sind ihre Eltern hier? Ich versuche gerade, sie jemandem zuzuordnen.«
»Skye und Alec werden später kommen, denke ich. Skye ist ein bisschen …« Heather überlegte wohl, wie sie sie beschreiben könnte, ohne illoyal zu sein. »… eine Künstlerpersönlichkeit.«
Caro lachte. »Ich habe lange in einem Geschäft für Künstlerbedarf gearbeitet. Von unseren Kunden waren einige ziemlich versponnen.«
Heather nickte. »›Exzentrisch‹ nennen wir sie hier. Alec ist eher reserviert, also nehmen Sie es nicht persönlich, wenn er unfreundlich erscheint. Er ist sehr beschäftigt und geht selten unter Leute. Er lebt oben im Tal in einem winzigen Cottage.«
»Er ist also Murdos Sohn?«
»Ganz recht. Ich werde Sie auch mit Rab bekannt machen. Er betreibt die Räucherei. Und dann wäre da noch Ewan, mein Mann. Er erledigt auf dem Anwesen alles, was kein anderer tun will, und noch mehr. Also, was möchten Sie trinken? Whisky oder Sherry?«
Caro zögerte. Eigentlich hätte sie gern etwas Starkes zum Aufwärmen und Entspannen, aber sie sollte sich vielleicht zurückhalten, bis sie sich ein Weilchen mit ihrem Arbeitgeber unterhalten hatte. »Besser, ich spreche erst mal mit Murdo«, sagte sie. »Vorhin blieb mir dazu keine Gelegenheit.«
Heather schüttelte den Kopf. »Dieses Hündchen! Doch Murdo wird von Ihnen eine gewisse Geselligkeit erwarten. Also, nehmen Sie ein Schlückchen. Ich bringe es Ihnen gleich.«
Als Caro zu Murdo hinüberging, wurde ihr bewusst, wie dankbar sie Heather war. Obwohl der Familie offensichtlich ergeben, würde sie ihr helfen, die Klippen zu umschiffen.
»Murdo? Ich bin’s, Caro.«
Der alte Herr wandte sich ihr zu. »Ich bin nicht völlig blind, wissen Sie? Ich kann nur nicht mehr so scharf sehen wie früher. Und verblödet bin ich auch nicht.«
»Selbstverständlich nicht. Wir hatten vorhin keine Gelegenheit mehr, uns zu unterhalten.« Sie wartete einen Moment lang ab, ob er dazu etwas sagen wollte. »Wie wird der Alltag aussehen? Um welche Zeit soll ich morgens erscheinen?«
»Gegen neun. Ich frühstücke, und dann lese ich gern die Zeitung. Dabei können Sie mir helfen. Danach fahren wir vielleicht über das Anwesen. Nach dem Rechten sehen, wissen Sie? Können Sie einen Land Rover fahren?«
»Habe ich noch nie getan, aber ich werde es wohl hinbekommen.«
»Unserer ist fast museumsreif, doch es steckt noch viel Leben in ihm. Er nimmt jeden Hügel und jede Uferböschung ohne Schwierigkeiten und fährt durch Bäche, als wäre es nichts.«
Als Lennie sie im Vorfeld gefragt hatte, ob sie Auto fahren könne, hatte Caro an Fahrten zu Geschäften und zur Arztpraxis gedacht, nicht an Ausflüge querfeldein. Aber sie würde ihr Bestes geben. Und falls sie doch einen Crashkurs brauchte, würde sie Ewan oder jemand anders darum bitten.
»Sind Sie meinem Sohn schon begegnet?«
»Nein, nur Ihrer Tochter. Sie hat in London das Vorstellungsgespräch mit mir geführt.«
»Lennie? Die ist jetzt nach Kanada gereist, um bei ihrer Tochter zu sein. Sie bekommt ein Baby.«
»Das hat sie mir erzählt. Für ihre Tochter wird es sicher schön sein, die Mutter bei sich zu haben.« Caro überlegte kurz. »Lennie – so wollte sie von mir angesprochen werden – hat mir erklärt, dass Sie nur ein bisschen Unterstützung brauchen und nicht gegängelt werden dürfen.«
Murdo stieß ein lautes, raues Lachen aus. »Ich wünschte, sie würde ihren Rat auch selbst befolgen! Eine herrische Frau ist sie, meine Tochter.« Er hielt kurz inne. »Aber besser als mein Sohn. Der interessiert sich keinen Deut für das Anwesen.«
Während er redete, wunderte sich Caro, warum er keinen schottischen Akzent hatte – er hätte kaum englischer klingen können. Wahrscheinlich eine Frage des Standes.
»Ich bin zwar gerade erst angekommen, aber das scheint mir eine sehr schöne Gegend zu sein. Ich kann es kaum erwarten, sie zu erkunden.«
»Ich werde Ihnen alles zeigen«, versprach er zuversichtlich. Da sie nicht sofort darauf einging, fuhr er fort: »Meine Sehkraft ist nicht so schlecht, wie die Leute meinen. Außerdem kenne ich auf unserem Land jeden Stein. Bin hier geboren und werde auch hier sterben.«
»Erstaunlich«, sagte Caro, unsicher, ob das angemessen war.
Erleichtert sah sie, dass Rab zu ihnen trat. »Guten Abend, Murdo. Wie geht es Ihnen – Caro, nicht wahr?«
»Ja, kurz für Caroline«, erklärte sie.
Rab nickte. »Ich hoffe, Sie kommen sich die Räucherei mal ansehen, während Sie hier sind. Sie entwickelt sich recht gut.«
Er sprach mit einem hübschen schottischen Akzent, fand Caro und lächelte ihn herzlich an. »Das werde ich gern tun. Räuchern Sie Lachse? Oder Heringe? Oder andere Fische«
»Hauptsächlich Lachse und Heringe, ja, doch wir wollen das Sortiment erweitern.«
Murdo schnaubte. »Zeitverschwendung. Das bringt kein Geld ein.«
Rab schaute Murdo unwillig und verärgert an. »Da müsste man nur ein wenig investieren.« Würde er seinen Boss auch so anblicken, wenn der besser sehen könnte?, fragte sich Caro.
»Das ist ein Jagdgut«, erwiderte Murdo. »Wir brauchen keinen modischen Firlefanz. Lachse räuchern – lächerlich! Wir sind keine gottverdammten Fischhändler!«
Rab lächelte Caro verlegen an. »Sie sehen, wir stimmen in diesem Punkt nicht überein.«
»Ich wüsste nicht, was am Handel verkehrt sein sollte«, entgegnete Caro und merkte zu spät, welchen der beiden Männer sie sich gewogen machen sollte. »Ich habe selbst bis vor Kurzem im Verkauf gearbeitet.«
»Tatsächlich?« Murdo klang verärgert. »Wenn ich das gewusst hätte …«
»Die geforderten Fähigkeiten habe ich trotzdem«, unterbrach Caro ihn ruhig, aber bestimmt. »Also ist meine vorige Beschäftigung nicht wirklich relevant.«
Als sie sich das sagen hörte, fiel ihr ein, dass sie eigentlich gehofft hatte, niemand würde sie danach fragen, und nun erwähnte sie ihre vorige Stelle schon zum zweiten Mal von sich aus. Es war ihr herausgerutscht, weil sie Rab hatte unterstützen wollen. Murdo konnte in der Tat ein despotisches Benehmen an den Tag legen. Nun ja, sie würde ihn nur für ein, zwei Monate ertragen müssen. Und vielleicht würde sie ihn freundlich stimmen können. Sie wollte Posy nicht erzählen müssen, bei dem Job versagt zu haben. Und außerdem war sie auf die Stelle versessen gewesen, weil dabei vielleicht ein im Grunde kindischer, aber lange gehegter Wunsch in Erfüllung gehen würde.
Gerade überlegte sie, was sie sagen könnte, um Murdo wieder zu versöhnen, als es an der Tür unruhig wurde. Ein Hund trabte herein, fand George unter dem Tisch und fing mit ihm ein Gerangel an.
Dann erschienen ein Mann und eine Frau: Er setzte dem Hund sogleich nach, während die Frau verträumt in die Runde lächelte, als fände die Streiterei gar nicht statt.
Rowan, die den Zank der beiden Hunde ebenfalls nicht beachtete, stand auf und ging zu der Frau, die wohl ihre Mutter war. Wenn sie nebeneinander standen, sah man ihre Ähnlichkeit umso mehr – und ihre Schönheit.
Der Mann griff unter den Tisch und zerrte den größeren Hund hervor, einen offenbar noch jungen Spaniel. »Zeig’s ihm, George!«, sagte er. »Skye, du musst lernen, deinen Hund in den Griff zu bekommen.«
»Er ist Rowans Hund«, erwiderte die Frau. »Sie muss lernen, für ihr Tier Verantwortung zu übernehmen.«
Rowan warf ihrer Mutter einen resignierten Blick zu, und der Spaniel wand sich aus dem Griff des Mannes.
Da Caro sah, dass der Lärm gleich weitergehen würde (obwohl die Hunde eigentlich nicht rauften, sondern George bloß einen jüngeren in die Schranken wies), rief sie den Spaniel zu sich. »Komm her, Kleiner!«
Der Spaniel – und er war fast noch ein Welpe, wie sie jetzt sah – kam zu ihr, vielleicht weil er in ihrer lockenden Hand etwas Leckeres zu finden hoffte. Sie griff um sein Halsband und kraulte ihm den Nacken. Er war hinreißend.
Der Mann kam zu ihr. »Es tut mir leid. Er ist noch völlig unerzogen.«
Caro schaute zu ihm hoch. Er war es. Das hatte sie sofort gesehen. Er dagegen schien sie nicht wiederzuerkennen, zum Glück. Natürlich war es dunkel gewesen, als er sich damals neben sie gesetzt hatte, und in den zweiundzwanzig Jahren hatte sie sich ja auch verändert. »Alles gut. Er ist hübsch, und er hat mich nicht angepinkelt.«
Alec lachte, und Caros Herz machte einen Sprung. »O Gott, das hat George getan? Wie peinlich! Mein Vater macht sich bei der Hundeerziehung wohl nicht besser als Rowan. Übrigens, ich bin Alec.« Er drehte sich zu seiner Tochter um. »Rowan? Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen – Caro, nicht wahr? Hat Heather mich da richtig informiert?«
»Ja, das stimmt.« Caro wunderte sich, warum Alec sie zuerst mit seiner Tochter anstatt mit seiner Frau bekannt machte.
Rowan stellte sich zu ihnen. »Hallo«, sagte sie leise und mit demselben weichen Akzent wie Rab.
»Ist das dein Hund?« Caro lächelte sie aufmunternd an.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Mum hat ihn mir geschenkt. Er heißt Galahad.«
»Kurz Gally«, erklärte Alec.
Skye gesellte sich ebenfalls dazu. »Sie müssen Caro sein, die Hilfe für meinen Schwiegervater. Wie ich höre, kommen Sie aus London. Bitte setzen Sie meine Tochter nicht den Einflüssen der Großstadt aus.« Sie lächelte gewinnend. »Wir haben sie extra behütet aufwachsen lassen. Ich kann Ihnen hoffentlich vertrauen, dass Sie meiner Tochter keine Flausen in den Kopf setzen?«
Es würde zu Skyes Schönheit beitragen, wenn ihr Lächeln aufrichtig wäre, dachte Caro, und anstatt auf die Frage einzugehen, wandte sie sich Rowan zu. »Du hast sehr schöne Haare.«
Rowan lächelte, doch ihre Mutter schritt augenblicklich ein. »Wir ermutigen sie nicht, an oberflächliche Dinge wie äußere Schönheit zu denken. Rowan ist sehr empfindsam – falschen Einflüssen gegenüber wehrlos. Darum haben wir sie zu Hause unterrichtet. Wir wollten sie auf den richtigen Weg bringen. Wir bauen darauf, dass sie ihm jetzt folgt.«
»Verdammter Blödsinn!«, warf Murdo ein, dem es erstaunlicherweise gelungen war, von der Unterhaltung etwas aufzuschnappen. »Sie ist siebzehn, also kein Kind mehr! Sie sollte ihre schulische Ausbildung woanders beenden und wegziehen.«
»Sie ist viel zu jung, um von zu Hause auszuziehen!«
»Blödsinn!«, widersprach Murdo. »Ich bin schon mit sieben ins Internat gekommen. Hat mir kein bisschen geschadet!«
Das war offenbar ein häufig vorgebrachtes Argument. »Wenn man über deinen Mangel an Feingefühl und Einsicht hinwegsieht«, sagte Skye, aber so leise, dass Caro, die nur einen Schritt entfernt stand, es gerade noch verstehen konnte. »Er ist ein grässlicher alter Mann«, flüsterte Skye weiter. »Furchtbar dominant. Sie müssen aufpassen, sonst schikaniert er Sie.«
Obwohl Caro das selbst vor Kurzem noch befürchtet hatte, nahm sie Murdo jetzt in Schutz. »Ich bin sicher, ich werde mit ihm zurechtkommen.«
Ihrem Gefühl nach würde sie ihm gewachsen sein – er war schließlich genau so wie erwartet. Aber wie stand es mit den übrigen Mitgliedern der Familie? Die waren noch mal ein ganz anderes Problem.
Als Caro wieder in ihrem Wohnwagen war, hatte sie nur noch sehr wenig Energie, um eine E-Mail zu schreiben, aber Posy war sicher schon gespannt zu erfahren, wie ihre Mutter in Schottland zurechtkam. Und nachdem sie einmal mit Schreiben angefangen hatte, fand sie es erlösend, ihre ersten Eindrücke zu schildern.
Aber sie würde achtgeben müssen, wie sie sich über Rab äußerte, der sie freundlicherweise den Hügel hinauf bis zu ihrem kleinen Plastikheim begleitet hatte. Posy würde sofort wissen wollen, ob sie ihn »mochte«, denn ihre Tochter wünschte sich sehr, dass sie wieder einen Lebenspartner fände. Caro mochte Rab zwar, jedoch nicht auf jene Art, die Posy sich erhoffte, und wahrscheinlich hatte er ohnehin Frau und Kinder.
Dagegen durfte sie sich über ihr neues Zuhause, das nicht wie angenommen aus Stein erbaut war und nach Torffeuer roch, sondern aus Plastik bestand und einen muffigen Geruch ausdünstete, ungebremst auslassen. Und dann streute sie noch ein, dass der Hund ihres neuen Arbeitgebers ihr ans Bein gepinkelt hatte. Das würde Posy zum Kichern bringen. Sie schloss die E-Mail mit einer kurzen, treffenden Beschreibung ihres Arbeitgebers, dann sank sie ins Bett. Fast fühlte sie sich verpflichtet, ein PS zu schreiben – denn jemand hatte ihr eine heiße Wärmflasche ins Bett gelegt, und das war wunderbar. Heather zweifellos, dachte Caro, als sie sich einkuschelte.
Rab hatte ihr vorgeschlagen, mit dem Land Rover eine Probefahrt zum Eingewöhnen zu unternehmen, bevor sie Murdo über das Anwesen kutschierte. Das sei vielleicht eine gute Idee, hatte er gemeint und gleich ein Treffen mit ihr vereinbart. Das war, nachdem sie eingestanden hatte, wenig Auto zu fahren, da sie in London lebte, und wenn sie es mal tat, dann auf gewöhnlichen asphaltierten Straßen.
»Murdo wird mit Ihnen überall fahren wollen«, hatte Rab gesagt, »und manche Wege sind in einem sehr schlechten Zustand. Er wird fluchen, wenn Sie die Gangschaltung misshandeln oder an einem steilen Hang zurückrollen.«
Dennoch hatte sie gut geschlafen und freute sich auf ihre erste Fahrt. Sie trug fast ihre gesamte Kleidung übereinander, als sie den Wohnwagen verließ und zum Treffpunkt ging.
»Also, das hat Spaß gemacht!«, verkündete sie. Eine halbe Stunde lang war sie über das Gelände geholpert, mit Rab an ihrer Seite, der Anweisungen gebrüllt hatte, um das laute Dröhnen des Motors zu übertönen.
»Nun gehen Sie besser ins Haus und essen Ihren Porridge«, meinte Rab lachend. »Sie sind wirklich gut gefahren.«
»Wirklich gut für eine Frau?«, fragte sie, wollte ihn aber nur necken.
Er schüttelte den Kopf. »Für jemanden, der noch nie einen launischen alten Defender gefahren hat.«
Caro blieb stehen. »Ich dachte, das ist ein Land Rover?«
»Ist er! Machen Sie sich keine Gedanken. Jetzt muss ich zur Räucherei.«
»Kommen Sie denn nicht mit uns frühstücken?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich war zu dem Dinner nur eingeladen, um Sie mit den anderen willkommen zu heißen. Ich wohne nicht im Herrenhaus. Außerdem habe ich schon vor Stunden gefrühstückt. Doch vielleicht sieht man sich zur Mittagszeit.«
Caro ging durch die Hintertür, die Rab ihr gezeigt hatte. Er war ihr sympathisch, er wäre ein guter Freund, aber zwischen ihnen knisterte es nicht. Auch war er für ihren Geschmack zu bärtig. Und außerdem interessierte sie im Augenblick nur ein bestimmter Mann, so unvernünftig sie das selbst fand: der Mann, dem sie an einem Abend vor zweiundzwanzig Jahren begegnet war. Dass Alec verheiratet war, änderte nichts daran, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, doch es würde sie davon abhalten, sich das anmerken zu lassen, falls ihr Stolz mal versagen sollte. Alles in allem war sie realistisch und zudem überzeugt, dass ihre Schwärmerei sich in Wohlgefallen auflösen würde, sobald sie ihn besser kennenlernte. So etwas hatte sie in der Vergangenheit immer wieder erlebt.
Murdo hatte beim Frühstück keine Lust, über belanglose Dinge zu reden, so hatte man ihr gesagt. Stattdessen las er lieber die Zeitung. Da er das selbst nicht mehr konnte, musste Caro einspringen.
»Guten Morgen, Murdo!«, grüßte sie beim Hereinkommen munter.
George, der unter dem Stuhl seines Herrchens schlief, wurde wach und richtete zur Begrüßung seinen Stummelschwanz auf. Na, das ist doch schon eine Verbesserung, dachte Caro.
»Morgen? Könnte auch mitten in der Nacht sein, nach allem, was ich sehe. Ich bin fast blind, wissen Sie?«
Caro seufzte frustriert, aber fast unhörbar. Offenbar beschrieb Murdo die Stärke seiner Sehbehinderung immer so, wie es ihm gerade passte. »Ich verspreche, kein Wort mehr zu sagen, wenn Sie das so mürrisch macht.«
»Wer sind Sie denn, dass Sie mich mürrisch nennen können?«, erwiderte er.
»Ich bin die Frau, die Ihre Tochter eingestellt hat, zu hohen Kosten übrigens, damit ich Sie bei Laune halte, solange sie verreist ist. Falls Sie das wirklich vergessen haben.«
»Schluss mit dem Unsinn!«, meinte Heather, die gerade eine große Platte mit Bücklingen vor Murdo hinstellte. »Und lassen Sie die arme Frau einen Happen essen, bevor Sie sie anschnauzen.«
Heathers Art, über Murdos schroffes Benehmen hinwegzugehen, bestärkte Caro in ihrer Ansicht, dass sie sich bei ihm nicht anbiedern sollte. »Oh, keine Sorge, ich bin an mürrische alte Männer gewöhnt.«
»Was?« Murdo war empört.
»An mürrische alte Männer, die sehr charmant sein können, wenn ihnen danach ist«, sagte sie, und nach einer Kunstpause fügte sie hinzu: »Für die habe ich ein Faible.«
Wie sie erfahren hatte, war es tatsächlich Heather gewesen, die ihr die Wärmflasche ins Bett gelegt hatte. Darauf angesprochen, wehrte Heather ihren Dank ab, als wäre es nicht der Rede wert, freute sich aber sichtlich, weil Caro ihre Fürsorge zu schätzen wusste. Denn sie war eigens den ganzen Hügel hinauf zum Wohnwagen gelaufen, obwohl sie das Haus voll hungriger Leute gehabt hatte.
Während Caro auf ihren Porridge wartete, beäugte sie skeptisch die Platte, die vor Murdo stand.
»Werden Sie mit den Bücklingen zurechtkommen, oder soll ich sie Ihnen entgräten?«
»Das ist schon geschehen. Ich kann sie so essen«, antwortete er. »Sie können den Kaffee eingießen, wenn Heather ihn bringt. Ich bin nicht völlig hilflos.«
Nachdem beide Tassen gefüllt waren, wandte Caro sich ihrem Porridge zu und fragte sich, warum an dem großen runden Tisch nur für zwei gedeckt war. Am gestrigen Abend war viel Familie beim Essen zusammengekommen.
»Werden Alec, Skye und Rowan auch mit uns frühstücken?«
»Ganz sicher nicht. Die haben ihr eigenes Zuhause. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, wer gerade wo wohnt.« Er beförderte einen Bissen Bückling erfolgreich zum Mund und verlor dabei nur ein winziges Stück. »Gott weiß, welches Haus die Frau jetzt hat«, fuhr er fort. »Sie hat meinen Sohn verlassen, wissen Sie? Aber sie wohnt noch hier. Das ist für Rowan vermutlich praktisch. Auf dem Anwesen stehen viele Häuser.« Er schwieg, während er sich das nächste Stück Bückling auf die Gabel schob. »Zufrieden mit Ihrer Unterbringung, ja?«
Mit einem Mal war Caro tatsächlich damit zufrieden. Alec und Skye waren kein Ehepaar mehr. Das machte sie geradezu glücklich. Ihre Enttäuschung über den Wohnwagen erschien ihr gar nicht mehr wichtig. »Die ist prima, danke.« Sie nahm den letzten Rest Porridge auf den Löffel. »Sagen Sie, wann soll ich anfangen, Ihnen aus der Zeitung vorzulesen.«
»Sie essen bloß Porridge, ja? Ich stelle immer fest, dass mir um zehn Uhr schon wieder der Magen knurrt, wenn ich mich darauf beschränke.«
»Dann werde ich vielleicht noch etwas Toast essen.« Sie wollte eigentlich weniger Kohlenhydrate zu sich nehmen, doch ihre guten Vorsätze waren ihr gleichgültig, seit sie von Alecs Single-Status wusste. Sie schob den Gedanken beiseite und besann sich auf ihre Aufgabe. »Also? Inlandsnachrichten? Auslandsnachrichten? Was möchten Sie?«
»Die Todesanzeigen. Ich will wissen, wer seit gestern den Löffel abgegeben hat.«
»Verstehe.« Caro fand die Seite. »Das bedeutet, Sie haben gewonnen.«
Danach wandten sie sich den internationalen Ereignissen zu, und Caro musste sich Murdos Ansichten über die Regierung anhören (allerdings wurde ihr dabei klar, dass es keine Rolle spielte, welche Partei gerade an der Macht war, Murdo hatte von allen eine geringe Meinung). Nach den Todesanzeigen durfte Caro gehen.
»Wir treffen uns um zehn beim Wagen«, sagte Murdo. »Sie können mich über das Anwesen fahren. Ich werde Ihnen alles Wesentliche zeigen.«
Während des Frühstücks hatten sich die Wolken verzogen, und als Caro beim Land Rover ankam, herrschte schönstes Wetter.
Sie genoss es wahrhaftig, das große, dröhnende Auto zu steuern – fühlte sich ein bisschen wie die Queen in den diversen Filmporträts, in denen sie allein und wie ein Profi über ihr Privatgelände fuhr. Murdo war trotz seiner absonderlichen und antiquierten Meinungen ein unterhaltsamer Begleiter. Wie wenig oder viel er auch tatsächlich sehen konnte, er ließ sie überall an der richtigen Stelle anhalten, damit sie zwischen den Bäumen hindurch auf den Loch und die verschneiten Berggipfel schauen konnte.
»Das ist wirklich ein schönes Stück Land«, sagte sie, nachdem sie an einer besonders malerischen Stelle gehalten hatten.
Murdo brummte: »Gehört meiner Familie schon seit über vierhundert Jahren. Ich bin damit verwachsen.«
»Ich verstehe, warum. Sie hängen sicher sehr daran.«
»Mit Leib und Seele«, bekräftigte er. »Nur schade, dass es der nächsten Generation nicht genauso viel bedeutet.« Er räusperte sich, was bei ihm ganz unterschiedlich motiviert sein konnte, wie Caro inzwischen wusste. Oft hieß es: »Ich will darüber nicht weiter sprechen.« Jetzt hieß es offenbar, dass er sich ärgerte.
»Oh, sehen Sie! Ein rotes Eichhörnchen!« Caro war entzückt. Es sprang durch die Zweige der Bäume und hielt in einem inne. »Da vor uns in dem Baum! Ich habe noch nie eins in freier Wildbahn erlebt. Es ist so hübsch!«
»Erstens kann ich es nicht sehen, weil ich praktisch blind bin.« Murdo ritt offenbar gern auf dem Thema herum. »Und zweitens haben wir hier oben nur rote. Deshalb nennen wir sie einfach Eichhörnchen.«
Da sie sich dumm vorkam und sich ärgerte, weil er ihr die gute Stimmung verdorben hatte, ließ sie den Motor an und fuhr weiter.
»Halten Sie hier an!«, sagte Murdo kurz darauf. »Da unten sieht man jetzt das Cottage, in dem Sie untergebracht sind, stimmt’s?«
Caro schaute in die angedeutete Richtung und entdeckte genauso ein Cottage, in dem sie während ihres Schottlandaufenthaltes gern gewohnt hätte. Grauer Feldstein, Schieferdach, lackiertes Holz. Offenbar wusste Murdo nicht, dass sie in einem alten Wohnwagen untergebracht war. »Hm, ja. Mir war nicht klar, dass wir ganz in der Nähe sind.«
»Ich habe Sie einen Kreis fahren lassen«, sagte Murdo zufrieden mit sich selbst.
»Offenbar ja. Ich kann auch das Haupthaus sehen.« Sie fällte eine Entscheidung. »Da wir gerade hier sind, Murdo, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich rasch hinunterspringe? Ich möchte mir eine Strickjacke holen.«
»Gut. Aber bleiben Sie nicht so lange weg.«
Entschlossen, ihr eigentliches Zuhause wenigstens für ein paar Augenblicke zu inspizieren, lief sie los. Wieso war ihr das Häuschen nicht vergönnt? Heather hatte etwas von Bauarbeiten gesagt, aber da standen weder ein Gerüst noch eine Leiter oder dergleichen. Sie umrundete es einmal ganz. An der Rückseite gab es ein Gärtchen mit bemoosten Felsbrocken und einer niedrigen Mauer. Flechten hingen nicht nur von den Bäumen, sondern auch von einer alten Wäscheleine. Es sah geradezu verwunschen aus, so als wartete ein Zauber darauf, gebrochen zu werden, damit der Garten wieder blühen konnte. Aber wahrscheinlich war das noch der winterliche Zustand. Selbst Ende April zeigte sich der Frühling noch kaum – verglichen mit dem Süden Englands ließ er hier wirklich lange auf sich warten.
Da ihre Zeit begrenzt war, spähte sie nur durchs Fenster. Sie hielt die Hände an die Schläfen und drückte die Nase an die Scheibe. Das war das Wohnzimmer, und darin waren bloß Möbel zu sehen.
Sie lief zur Küchenseite und schaute hinein. Keine Anzeichen für Handwerkerarbeiten. Doch wo sie eine Anrichte erwartet hätte, befand sich ein Regal, und darauf aufgereiht waren lauter gelbbraune Fläschchen, die sie an das Labor ihrer alten Schule erinnerten. Sie beschloss, noch einmal wiederzukommen und mehr herauszufinden. Ja, diese Neugier gehörte sich nicht, trotzdem fand sie, ein Recht zu haben zu erfahren, warum ihr dieses Hochlandjuwel vorenthalten wurde.
»Haben Sie Ihre Strickjacke gefunden?«, fragte Murdo, als Caro sich, außer Atem von ihrem Sprint den Hang hinauf, hinters Steuer schob.
»Wie bitte? Oh, ja, danke.«
»Aber Sie scheinen sie nicht bei sich zu haben.«
Von wegen praktisch blind! Das war ihm nicht entgangen. »Nein! Also, ich habe sie gestern Abend gewaschen, und sie ist noch nicht ganz trocken.«
»Was für ein blödsinniger Einfall! Wer wäscht denn nachts seine Pullover?«
»Ich habe sie während der Reise bekleckert«, erklärte Caro säuerlich. Es war zwar irrational, doch sie ärgerte sich, weil sie für etwas kritisiert wurde, das sie nicht einmal begangen hatte.
»Geben Sie sie Heather, die soll sich darum kümmern. Sie macht so was gut.«
»Ich bin mir sicher, sie hat auch so schon mehr als genug zu tun«, erwiderte sie.
»Werden Sie nicht schnippisch, Missy!«
»Entschuldigung«, sagte Caro automatisch, aber das durfte ihr nicht zur Gewohnheit werden. Murdo würde sie sonst nicht mehr respektieren. »Ach, sehen Sie, da ist Alec. Wartet er etwa auf uns? Oder soll ich den Land Rover lieber hinters Haus fahren?«
»Schauen wir mal, was er will, der nichtsnutzige Bengel.«
Während sie vor dem Haus anhielt, fiel ihr auf, dass sein Tonfall mehr Bedauern als Kritik ausdrückte.
Alec trat an die Fahrerseite, und Caro kurbelte die Scheibe herunter.
»Guten Morgen«, sagte er. »War es eine schöne Fahrt?«
»Eine sehr schöne! Es ist herrlich hier. Murdo hat mich an den besten Stellen anhalten lassen, damit ich die Aussicht bewundern konnte, und ich habe ein rotes Eichhörnchen gesehen – oder vielmehr ein Eichhörnchen.«
Alec runzelte die Stirn. »Verzeihung?«
»Murdo hat mich zurechtgewiesen, weil ich es als ›rotes Eichhörnchen‹ bezeichnet habe, wo es doch hier gar keine anderen gibt.« Caro war ein bisschen nervös, weil er ihr plötzlich so nahe war.
»Wir haben auch bei ihrem Cottage angehalten«, erzählte Murdo. »Sie brauchte eine Strickjacke.«
Alec riss alarmiert die Augen auf.
»Aber sie war noch nass, und ich habe sie hängen lassen«, erklärte Caro rasch. »Die Strickjacke.«
»Oh. So ein Pech.« Alec schaute bei jedem Wort ein bisschen verwirrter drein.
»Das alberne Mädchen hat sie gestern Nacht noch gewaschen«, erzählte Murdo weiter, damit Alec nur ja nicht entging, wie ungeheuer dumm sie war.
»Ich habe sie bekleckert und …«
Ehe sie die Lüge weitertreiben konnte, fiel Murdo ihr ins Wort. »Aber das Cottage gefällt ihr, nicht wahr?«
»Sehr sogar«, bestätigte sie und sah, dass Alec sich vor Verlegenheit wand. »Doch jetzt sollte ich Murdo mal ins Haus bringen.«
Alec, der sich ans Fenster gelehnt hatte, trat zurück, jedoch nicht, ohne Caro sonderbar anzusehen. Hatte er sie endlich erkannt? Nein, dachte sie, so hat es eigentlich nicht ausgesehen, sondern eher, als fühlte er sich äußerst unbehaglich. Alec war also der Grund, weshalb sie nicht in einem liebenswerten Hochland-Cottage schlafen durfte, und er hatte deswegen ein schlechtes Gewissen.
»Vielleicht können wir uns später unterhalten, Caro?«, fragte er. »Ich könnte Ihnen etwas mehr vom Anwesen zeigen.«
Murdo lachte auf. »Wusste gar nicht, dass du Interesse dafür aufbringst.«
»Nein, aber vielleicht Caro.« Alecs Ton blieb gelassen. »Und schließlich verwalte ich es«, fügte er hinzu, aber leise, damit Murdo es nicht hörte.
»Bei einem hübschen Mädchen fällt es wohl leicht, freundlich zu sein«, stichelte Murdo weiter.
»Murdo! Sie weisen ständig darauf hin, dass Sie praktisch blind sind«, erwiderte sie verärgert. »Sie können gar nicht so genau wissen, ob ich hübsch bin oder nicht.«
»Sie haben eine sehr schöne Stimme, meine Liebe. Und damit ist die Schlacht schon halb gewonnen.«
Caro schloss die Augen und seufzte. »Kommen Sie. Gehen wir ins Haus.«
Sie stieg aus, vergaß, dass der Land Rover höher war als gewöhnliche Autos, und knickte fast mit dem Fuß um. Alec fing sie am Arm ab. »Bitte entschuldigen Sie. Politische Korrektheit ist nicht sein Ding.« Das Lächeln in seinem Blick machte vieles wett.
»Ist schon okay«, erwiderte sie leise. »An alte Männer wie ihn bin ich gewöhnt.«
Nachdem Alec seinem Vater aus dem Wagen geholfen hatte, wandte er sich Caro noch einmal zu. »Wir machen eine Zeit aus, wo wir beide freihaben. Gehen Sie gern zu Fuß?«
»Ja, durchaus.« In London traf das zu, aber wahrscheinlich verstand er unter »zu Fuß gehen« etwas ganz anderes als sie.
»Haben Sie Wanderschuhe mitgebracht?«
»Äh, nein.«
»Macht nichts. Wir können Ihnen sicher welche leihen. Rowan hat mehrere, soviel ich weiß.«
»Okay«, sagte Caro, plötzlich atemlos.
»Also abgemacht.«
»Okay.« Sie fühlte sich wie ein Teenager und nicht wie die selbstbewusste Frau, als die sie hier angekommen war.
Caro und Murdo gingen zur Hintertür hinein, wo sie von Heather begrüßt wurden. »Sie kommen genau richtig. Ich habe gerade Kaffee aufgebrüht. Gehen Sie durch und machen Sie es sich am Feuer gemütlich.«
Murdo war bereits ins Wohnzimmer verschwunden, und Caro wartete auf das Tablett, damit sie Heather einen Gang abnehmen konnte, als Rowan mit ihrem Hund in den Flur kam. Der flitzte einmal mit fliegenden Ohren durch die Küche und schlitterte dann auf Caro zu, um für seinen eleganten Auftritt gelobt zu werden.
»Hallo, Gally«, sagte sie. »Was hast du denn vor?« Dabei fiel ihr auf, dass sie die typische Art der Engländer an den Tag legte, die es in manchen Situationen einfacher fanden, mit dem Hund zu reden als mit seinem Besitzer. Sie hätte Rowan auf keinen Fall direkt gefragt, was sie vorhatte. Glücklicherweise gab das Mädchen das freiwillig preis.
»Wir langweilen uns«, antwortete Rowan mit einem schüchternen Lächeln.
»Oh, na, dann komm doch mit und unterhalte dich mit uns«, schlug Caro vor. »Heather, ich werde den Kaffee reintragen. Es ist nicht nötig, dass Sie mich bedienen.«
Sowohl bei Rowan als auch bei Heather spürte sie Widerstreben.
»Murdo wird nach seinem Kaffee ein Nickerchen machen«, erklärte Heather. »Wenn Sie Lust haben, können Sie sich mit Rowan in die Küche setzen. Ich bringe ihm den Kaffee.«
So schüchtern Rowan war, freute sie sich doch über den Vorschlag, und Heather war wohl zu Recht der Meinung, das Mädchen sei ein bisschen einsam. Das Anwesen lag doch fernab der Zivilisation, und es musste für sie schwierig sein, wirkliche Freundschaften zu pflegen und nicht bloß Online-Kontakte zu unterhalten. Dabei schien sie nicht einmal der Typ zu sein, der haufenweise Online-Bekanntschaften hatte. Sie war überhaupt nicht so erwachsen wie Posy mit siebzehn. Caro hatte es immer genossen, junge Leute um sich zu haben, daher freute sie sich über die Gelegenheit, sich mit Rowan zu unterhalten.
»Also, kann ich gegen die Langeweile helfen? Wie es scheint, habe ich für ein Weilchen freibekommen.«
Rowan seufzte. »Vermutlich nicht. Außer Sie sind Kunstlehrerin und können mir was Neues zeigen.«
»Hm. Ich hatte auf dem Abschlusszeugnis eine Eins in Kunst, falls das hilft.«
»So?« Rowan wirkte ehrlich interessiert. »Vielleicht ja. Ich wurde immer zu Hause unterrichtet, doch meine Mum – na ja, bei Kunst ist sie komisch.«
Weil sie hoffte, mehr darüber zu hören, hielt Caro an dem unbeschwerten Plauderton fest. »Ach, Kunstlehrerin bin ich nicht – nichts dergleichen –, aber zuletzt habe ich in einem Geschäft für Künstlerbedarf als Verkäuferin gearbeitet. Ich könnte dich fachmännisch bei der Auswahl von Material beraten.« Sie grinste schief, um klarzumachen, dass sie sich nicht einbildete, tatsächlich von Nutzen zu sein.
Rowan lachte. »Material habe ich genug, danke. Meine Familie versorgt mich liebend gern mit wunderbaren Aquarellfarbkästen und Pastellkreiden, nur einen Lehrer wollen sie mir nicht besorgen, und sie lassen mich erst recht nicht von hier weg an irgendeine Kunstakademie gehen.« Sie biss sich auf die Unterlippe und wandte den Blick ab, als fürchtete sie, vor einer fremden Person zu viel preisgegeben zu haben.
»Dafür ist doch bestimmt noch viel Zeit. Dein Großvater hat gestern erwähnt, dass du siebzehn bist.«
»Das stimmt. Und damit alt genug, um wegzuziehen und Kunst zu studieren.«
Caro nickte. »Ganz sicher alt genug, um darüber nachzudenken. Ich hoffe, du hältst mich nicht für aufdringlich, aber meine Tochter ist zwanzig, und daher bin ich mit allen Überlegungen zur Wahl der Uni vertraut.«
Rowan horchte auf. »Und wohin ist sie umgezogen?«
»Am Ende gar nicht. Sie hat eine sehr gute Stelle bei einem Londoner Künstler bekommen, und jetzt ist sie gerade nach Australien unterwegs, um ihren Dad zu besuchen.«
»Du meine Güte! Wie geht es Ihnen damit?«
Caro zuckte mit den Schultern. Es berührte sie, dass Rowan begriff, wie schwer das für sie tatsächlich war. »Eigentlich ganz gut. Natürlich vermisse ich sie. Sie wohnt noch bei mir auf dem Kahn – aber die Reise war für sie jetzt genau das Richtige.« Caro lachte. »Dabei hat es ihr Sorgen gemacht, mich allein zu lassen.«
»Sie dachte, Sie werden ihr fehlen? Sie wird Heimweh haben? Das wird mir jedenfalls immer prophezeit. Genau genommen, von Mum.«
»Überhaupt nicht! Es hat ihr Sorgen bereitet, wie ich klarkommen werde, wenn sie nicht auf mich aufpasst. Ich habe den Job hier auch deshalb angenommen, damit sie beruhigt gehen konnte und nicht denkt, dass ich mich auf meinem Kahn gräme.«
Rowan setzte sich an den Küchentisch und stützte das Kinn in die Hand. Ein bisschen wie Gally, dachte Caro. Der Spaniel lag jetzt zu ihren Füßen und zerkaute etwas. Sie waren beide langbeinig und schlaksig, besaßen jedoch eine natürliche Anmut, die sehr einnehmend wirkte.
»Wohnen auf einem Kahn, das klingt großartig!«, meinte Rowan. »Erzählen Sie mehr davon.«
Caro war immer wieder überrascht, wie interessant das jeder fand. Sie wohnte schon so lange auf dem Wasser, für sie war das nicht mehr aufregend. Sie liebte den Kahn und würde nicht in Erwägung ziehen, sich eine Wohnung zu mieten, selbst wenn sie sich das leisten könnte, doch er war für sie ein ganz normales Zuhause.
»Tja, es ist eine holländische Schute, ein Flusskahn. Ziemlich groß. Nicht unbedingt im Vergleich mit anderen Kähnen, aber jedenfalls geräumiger als ein Kanalboot beispielsweise.« Rowan konnte sich unter einem Kanalboot offenbar nichts vorstellen. »Ich habe Fotos auf meinem Laptop. Soll ich sie dir zeigen?«
Das Mädchen nickte. »Dann gehe ich auch von meinen Bildern welche holen, wenn Sie die sehen möchten.«
»Nur zu gern! Das ist zwar nicht mein Fachgebiet, aber ich kann ein gutes von einem schlechten Bild unterscheiden. Ich würde mich wahnsinnig freuen, deine Arbeiten zu sehen.«
»Und wenn Sie sie schlecht finden?« Doch Rowan wirkte gerade ein bisschen übermütig und strahlte ein Selbstvertrauen aus, das völlig klarmachte, dass sie von ihrem Können überzeugt war.
Eine halbe Stunde später saßen sie wieder in der Küche und begannen mit der »Bildershow«, wie Caro es nannte.
Rowan fand die Fotos faszinierend. »Unglaublich, dass man auf einem Kahn so viel Platz haben kann!«, sagte sie immer wieder. »Und dazu noch einen Garten obendrauf.«