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Vor drei Jahren hat Bella ihre Heimatstadt verlassen, um ihren Traummann, den verheirateten Dominique, endlich zu vergessen. Nun lebt sie in den idyllischen Cotswolds, ist erfolgreich als Immobilienmaklerin - und verliebt in den raubeinigen Nevil. Doch irgendwann beschleicht sie das Gefühl, dass Nevil etwas vor ihr verheimlicht. Und als eines Tages Dominique auftaucht, den die Suche nach seinem Wunschhaus in die Gegend geführt hat, geraten ihre Gefühle erneut in Aufruhr. Dabei ist sie über Dominique doch längst hinweg. Oder nicht?
»Wegträumlektüre mit Herz und Humor.« WOMAN & HOME
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Seitenzahl: 439
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Vor drei Jahren hat Bella ihre Heimatstadt verlassen, um ihren Traummann, den verheirateten Dominique, endlich zu vergessen. Nun lebt sie in den idyllischen Cotswolds, ist erfolgreich als Immobilienmaklerin – und verliebt in den raubeinigen Nevil. Doch irgendwann beschleicht sie das Gefühl, dass Nevil etwas vor ihr verheimlicht. Und als eines Tages Dominique auftaucht, den die Suche nach seinem Wunschhaus in die Gegend geführt hat, geraten ihre Gefühle erneut in Aufruhr. Dabei ist sie über Dominique doch längst hinweg. Oder nicht?
Katie Fforde
EinePerfektePartie
Aus dem britischen EnglischGabi Reichart-Schmitz
Für meine Schwester Jane Gordon-Cummingund ihren Mann Edwin Osborn
Bella Castle atmete tief durch und setzte ein Lächeln auf, das – wie sie hoffte – ihre Enttäuschung verbergen würde. Sie stand mit zwei Interessenten vor einem kleinen Juwel von einem Haus, das die beiden trotzdem als ungeeignet abgetan hatten.
»Es wäre vielleicht eine gute Idee, einige Kästchen als optional zu betrachten, das heißt, dass sie nicht zwingend angekreuzt sein müssen«, schlug sie behutsam vor. »Natürlich ist eine Checkliste auf jeden Fall nützlich, aber man darf sich nicht zu sehr davon leiten lassen, denn sonst findet man nie ein Haus.«
Bella hatte die Agnews im Laufe der acht Monate, in denen sie nun schon versuchte, ein Haus für sie zu finden, das ihren Anforderungen entsprach, lieb gewonnen. Aber manchmal verzweifelte sie auch an ihnen. Sie waren ziemlich anspruchsvoll und suchten ein repräsentatives, herrschaftliches Haus, obwohl sie sich eigentlich nur eine Doppelhaushälfte leisten konnten. Der Wunsch nach großen Räumen, einem weitläufigen Garten, einer schönen Aussicht und einer Garage in Verbindung mit einem eingeschränkten Suchgebiet und der mangelnden Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, ließ diese Kunden zu einer echten Herausforderung werden. Dieser spezielle Garten voller Rosen und Sommerblumen wurde als »zu klein und zu eben« eingestuft, obwohl ein ebener Garten für sie oberste Priorität besaß.
Mrs. Agnew hob die Augenbrauen. Sie wusste, dass sie wählerisch und penibel war, und konnte sogar über sich selbst lachen, dennoch hatte sie es bisher nicht geschafft, Kompromisse einzugehen. »Okay, ich erkläre ›rosenbewachsene Laube‹ zu meinem optionalen Kästchen. Darling?« Fragend sah sie ihren Mann an.
»Wie wäre es mit ›wild lebende Tiere im Garten unerlässlich‹?«
Mrs. Agnew schüttelte den Kopf. »Was die wild lebenden Tiere angeht, kann ich mir keinen Kompromiss vorstellen.«
»Das ist auch nicht nötig«, schaltete sich Bella rasch ein. »In jedem Garten gibt es wild lebende Tiere.« Sie sagte es mit einer Bestimmtheit, die hoffentlich ihre Unwissenheit kaschieren würde. Aber da sie sich in einer dünner besiedelten Gegend der Cotswolds befanden, war sie recht zuversichtlich.
»Dann nehme ich ›Zimmer für Modelleisenbahn‹«, sagte Mr. Agnew, dessen Vorstellungen von einem perfekten Haus ein kleines bisschen flexibler waren.
Seine Frau schmunzelte und fragte dann wehmütig: »Werden wir unser Traumhaus so leichter finden?«
Bella lachte. »Ganz bestimmt.«
Ihr war bewusst, dass sie selbst großes Glück hatte: Sie wohnte bei ihrer Taufpatin Alice, die ein Haus besaß, für das die Agnews alles geben würden. Dadurch konnte sie es sich leisten, in dieser begehrten Gegend zu leben.
Sie stand vor dem entzückenden Haus und sah den Interessenten nach, als sie davonfuhren. Bella war überzeugt gewesen, dass das Objekt perfekt war. Als sie in ihr Auto stieg, gestand sie sich ihre Enttäuschung ein. Das Ehepaar hatte – wie so manche andere Familien auch – Pech bei einer Ausschreibung mit versiegelten Angeboten gehabt; wenn sie nur für einen dieser Interessenten ein passendes Zuhause fände, wäre Bella mehr als zufrieden. Sie wollte sich gerade auf den Rückweg ins Büro machen, als ihr Handy klingelte. Es war Nevil, ihr Freund und Chef.
»Gute Neuigkeiten?«, wollte er nach einer äußerst knappen Begrüßung wissen. »Sag nichts«, fuhr er fort, »sie haben sich ›eingeengt gefühlt‹, hab ich recht?«
Bella hatte sofort das Bedürfnis, die Agnews in Schutz zu nehmen. Sie waren ihre Kunden, und nur sie durfte sie als mäkelig bezeichnen. »Ich bitte dich, Nevil, wenn ein Haus nicht das richtige ist, dann ist es nicht das richtige. Und in dem letzten Objekt, das ich ihnen gezeigt hatte, konnte man tatsächlich ein bisschen Platzangst bekommen.«
»Was hat denn mit dem von heute nicht gestimmt?«, fragte er. Bella sah ihn vor sich, eine Augenbraue hochgezogen, während sein Stift über seinem Notizblock schwebte, auf dem er meistens nur herumkritzelte.
»Zu ebener Garten«, antwortete Bella.
»Du meine Güte!«
»Ich komme gleich ins Büro. Ich muss mich noch um ein paar Dinge kümmern«, sagte sie rasch, bevor er weiter gegen ihre Lieblingskunden stänkern konnte.
»Nein! Nicht nötig, Schätzchen«, erwiderte Nevil und schaltete im Nu vom nervenden Chef auf den versöhnlichen Freund um. »Es ist vier Uhr – fahr nach Hause. Bis morgen!«
Bella war ein wenig verblüfft. Normalerweise schlug Nevil das nicht vor. »Oh, okay.« Sie zögerte kurz. »Ich könnte noch bei Mrs. Langley vorbeifahren.«
»Gute Idee! Frag mal nach, ob sie sich endlich entschlossen hat, ihr begehrtes großes Haus mit den sechs Schlafzimmern auf den Markt zu bringen. Meine Güte, sie muss sich ja regelrecht darin verlaufen!« Er lachte leise. »Tut mir leid, Süße, ich kann nicht anders – einmal Immobilienmakler, immer Immobilienmakler! Besuch du mal deine alte Dame. Und kauf unterwegs ein paar Blumen; heb den Beleg auf und nimm dir das Geld aus der Portokasse!«
Bella wünschte, sie hätte Mrs. Langley nicht erwähnt. Nevil meinte es zwar gut, aber er verstand nicht, dass ein paar Nelken das Herz nicht schneller schlagen ließen. »Ehrlich gesagt, sie hat einen ganzen Garten voller Blumen, aber es ist ein lieber Gedanke von dir.«
»Dann besorg ihr Pralinen – irgendetwas Nettes.«
»Nevil, es ist in Ordnung. Wenn sie bereit ist auszuziehen, lässt sie es uns ganz bestimmt wissen.«
»Trotzdem ist es gut, dass du weiter Druck ausübst«, sagte Nevil. »Es zeigt, wie engagiert du bist. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
Als Bella losfuhr, dachte sie über Nevil nach. Manchmal verstand er Dinge falsch, aber er hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Sie lächelte vor sich hin. Bella hatte sehr großes Glück gehabt, eine neue Stelle in einem Immobilienbüro in einem ausgesprochen hübschen Marktstädtchen zu finden. Außerdem lag die Stadt nur fünfundvierzig Autominuten von ihrem Heimatort entfernt, und die Firma wurde von einem Mann geleitet, der zwar nicht unbedingt schön, aber doch recht attraktiv war.
Mrs. Langley war eine Kundin, die leicht zufriedenzustellen war, hauptsächlich, weil Bella in einer langen Unterhaltung herausgefunden hatte, dass sie eigentlich gar nicht umziehen wollte. Sie hatte der alten Dame erklärt, dass ein Umzug überhaupt nicht notwendig war. Mrs. Langley, die gern ihren Garten behalten wollte, den sie in fast fünfzig Jahren gestaltet hatte, war überaus erleichtert gewesen. Bella hatte ihr auseinandergelegt, wie einfach es wäre, das Wohnzimmer in ein hübsches Schlafzimmer und den Hauswirtschaftsraum nebenan in ein Badezimmer zu verwandeln. Auf diese Weise musste sie nicht mehr ins obere Stockwerk gehen, wenn sie nicht wollte. Seit dieser Zeit hatte sich zwischen ihnen eine echte Freundschaft entwickelt. Wenn Bella auf einen Sprung vorbeikam, konnte sie immer auf eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen zählen. Und in ihrem Beruf brauchte sie oft Kuchen – als Immobilienmaklerin musste sie jede Menge Geduld aufbringen.
Nevil wusste, dass Bella die alte Dame relativ oft besuchte, aber ihm war nicht klar, dass Bella das Thema »Umzug« von sich aus nicht mehr anschnitt. Sie wartete ab, ob Mrs. Langley von selbst davon anfing, und dann versicherte sie ihr, dass es nur eine gute Idee wäre, wenn sie es auch wirklich wollte – unabhängig davon, was andere sagten.
Bella und Mrs. Langley saßen inmitten blühender Blumen im Garten an dem wackeligen Eisentisch auf wackeligen Eisenstühlen, die nur dank der verblassten Kissen – die leicht muffig nach altem Schuppen rochen – nicht hoffnungslos unbequem waren. Diese Stelle, ein Stück vom Haus entfernt, war Mrs. Langleys Lieblingsplatz. Eine knarzende Gartenlaube, die von einer riesigen Kletterrose überrankt wurde, stand ganz in der Nähe. Jetzt, im Juni, trug die Rose Hunderte winziger, stark duftender Blüten, die von der Laube aus bis zu dem Baum ganz in der Nähe rankten. Wie sehr die Agnews das lieben würden, wenn sie Millionäre wären und Mrs. Langley ausziehen wollte, dachte Bella unwillkürlich.
Eine Teetasse mit Unterteller und ein Teller standen vor Bella. »Sie müssen gewusst haben, dass ich einen Zitronenkuchen gebacken habe«, sagte die alte Dame und deutete auf den Teller.
Bella seufzte glücklich. »Wissen Sie, ich liebe alles, was aus Ihrem Backofen kommt, aber Zitronenkuchen mag ich ganz besonders gern.« Sie schob sich eine Gabel voll in den Mund.
»Mein Neffe hat sich gemeldet«, erzählte Mrs. Langley nach kurzem, zufriedenem Schweigen.
Bella schluckte den Bissen herunter und hörte aufmerksam zu. Es war Mrs. Langleys Großneffe gewesen – auch wenn sie das »Groß« wegließ, wenn sie von ihm sprach –, der gewollt hatte, dass Mrs. Langley umzog. Bella hatte gefürchtet, dass diese Sache noch ein Nachspiel haben könnte. Offensichtlich ging es Mrs. Langley genauso.
»Oh?«
Die ältere Dame nickte. »Ja. Er übernachtet bei mir und möchte mich zum Essen ausführen. Das ist doch nett, nicht wahr?«
Sie klang ein wenig bemüht, als wollte sie Bella dazu bringen, gut über ihn zu denken – einen Fremden, der wollte, dass seine Großtante ihr geliebtes Haus verließ, in dem sie seit fünfzig Jahren wohnte, um an einen »geeigneteren Ort« zu ziehen.
»In der Tat«, stimmte Bella strahlend zu. »Gehen Sie in ein richtig gutes Restaurant mit ihm. Ich würde das Dog and Fox vorschlagen. Sie haben da einen entzückenden Wintergarten, in dem man auch essen kann, mit einem wundervollen Ausblick auf die Gärten.«
Mrs. Langley ließ sich allerdings durch den Gedanken an die Blumenrabatten anderer Gärtner nicht ablenken. »Ich mache mir Sorgen, dass er wieder darauf zu sprechen kommt, ich solle umziehen.«
Bella beugte sich vor. »Hat er das erwähnt?«
Mrs. Langley schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich mache mir trotzdem Gedanken, wissen Sie.«
Bella ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie müssen nicht umziehen, es gibt keinen Grund dafür. Wenn Sie ihm klarmachen, dass Sie hierbleiben wollen, wird er bestimmt nicht noch mal davon anfangen. Schließlich war es ihm doch auch egal, als Sie es ihm zum ersten Mal gesagt haben, oder?«
Mrs. Langley nickte. »Es ist nur so, mein Bruder – sein Großvater – hatte großes Durchsetzungsvermögen. Möglicherweise hat er diesen Wesenszug ja geerbt. Letztes Mal habe ich ihm einen Brief geschrieben. Vielleicht bin ich nicht ganz so mutig, wenn ich ihm gegenüberstehe.«
Bella legte ihre Hand auf die ihrer Freundin. »Niemand kann Sie zu einem Umzug zwingen. Wenn Sie zu gebrechlich werden, um allein zu leben, könnte eine Betreuerin in Ihr Haus ziehen. Schließlich haben Sie ja jede Menge Platz.«
»Das klingt schrecklich teuer. Ich lebe zwar in einem wertvollen Haus, aber ich habe kaum nennenswertes Einkommen.«
»Sie könnten nach jemandem suchen, der mietfrei hier wohnt. Eine nette Frau, die nachts da ist, sicherstellt, dass es Ihnen an nichts fehlt, und dann zur Arbeit geht.« Bella tätschelte die weiche, mit Altersflecken übersäte Hand. »Aber davon sind Sie noch weit entfernt. Jemand, der so gut backen kann wie Sie, braucht niemanden, der ihm warme Milch serviert.«
Mrs. Langley lachte leise und wirkte wieder deutlich heiterer. »Das ist wahr!«
»Und falls er anfängt zu diskutieren, erzähle ich ihm einfach, dass es absolut keinen Markt für entzückende alte Häuser mit Charakter und wunderschönem Garten gibt.«
Mrs. Langley lächelte. »Ich bin sicher, dass er Ihnen glaubt.« Sie zögerte kurz. »Haben Sie Zeit für eine zweite Tasse Tee und noch etwas Kuchen?«
Bella warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich hole Alice gegen halb acht vom Zug ab. Also ja, das wäre sehr schön. Wenn ich Sie nicht aufhalte?«
»Ich freue mich über Ihre Gesellschaft, außerdem brauche ich später nicht mehr zu essen, wenn ich mir jetzt noch ein Stück Kuchen gönne. Eine Freude des Älterwerdens besteht darin, dass man sich nicht verpflichtet fühlt, gesund zu essen, wenn man keine Lust dazu hat.« Sie legte ein Stück Kuchen auf Bellas Teller.
»Wann kommt er denn, Ihr Neffe?«
»Irgendwann nächste Woche.« Mrs. Langley streckte eine Hand aus. »Sie möchten uns nicht zufällig begleiten? Ich könnte vorschlagen …«
»Ich würde wirklich sehr gerne mitkommen«, antwortete Bella, »aber würde es nicht seltsam wirken, wenn Sie Ihre Immobilienmaklerin mitbringen wollen?«
Mrs. Langley lachte. »Wenn man es so formuliert, würde es in der Tat einen sehr seltsamen Eindruck machen. Natürlich würde ich Sie als Freundin vorstellen. Was Sie ja auch definitiv sind.«
»Sie könnten behaupten, Sie bräuchten mich als Begleitung, wenn Sie zur Toilette gehen. Dann würde er sicherlich Ja sagen. Doch ich finde, Sie sollten ihm zuerst eine Chance geben. Falls er sofort anfängt, Räume auszumessen und gegen Wände zu klopfen, rufen Sie mich an. Dann kann ich ihm immer noch erzählen, dass Sie hin und wieder meine Hilfe brauchen.«
Mrs. Langley seufzte. »In dem Fall würde er sagen, dass ich eindeutig umziehen muss.«
»Nein, nein«, erwiderte Bella. »Man könnte Haltegriffe und Haltestangen anbringen. Ihr Haus ist perfekt für Sie geeignet, wenn es der Ort ist, an dem Sie leben möchten.« Sie warf wieder einen Blick auf ihre Uhr. »Jetzt muss ich aber bald aufbrechen. Gibt es noch etwas, was ich für Sie tun kann, solange ich noch hier bin?«
Bella hatte es Nevil gegenüber nicht erwähnt, doch einer der Gründe, warum sie Mrs. Langley so oft besuchte, war, dass sie dies und das erledigen konnte, kleine Handgriffe, die ihrer alten Freundin schwerfielen. Er fände es wahrscheinlich nicht gut, wenn er wüsste, dass sie dafür sorgte, dass eine sehr gute, potenzielle Kundin länger als nötig in ihrem Eigenheim blieb.
»Na ja, der Schlauch hat sich wieder vom Wasserhahn gelöst. Wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
»Natürlich macht es mir nichts aus. Ich gieße im Gewächshaus, und dann schließe ich den Schlauch wieder an. Ich wünschte, Sie würden mich ein besseres Bewässerungssystem für Sie austüfteln lassen.«
Mrs. Langley sah angespannt aus. »Sie wissen doch, dass ich Veränderungen hasse.«
Bella lächelte mitfühlend. »Aber wenn es bedeutet, dass Sie länger Tomaten züchten können, dann wäre es das doch wert, oder etwa nicht?«
»Ich nehme es an. Ich will bloß nicht, dass mein Neffe glaubt, ich käme mit dem Gießen nicht mehr zurecht.«
»Ich mache mir mal Gedanken. Aber ich verspreche, dass vor dem Besuch Ihres Neffen nichts passieren wird.«
»Ich muss zugeben«, meinte Mrs. Langley nach kurzer Überlegung, »wenn es eine Möglichkeit gibt, mein Gewächshaus ohne Gießkannen weiterzubetreiben, bin ich interessiert.«
»Natürlich gibt es eine Möglichkeit. Ich erkundige mich und sage Ihnen Bescheid.«
Kurz darauf setzte sich Bella – nur ein bisschen nass – in ihr Auto und fuhr zum Bahnhof. Sie wusste schon ganz genau, wen sie darum bitten würde, ein Bewässerungssystem für Mrs. Langley zu ersinnen, bei dem die alte Dame nur noch den Wasserhahn aufdrehen musste.
Zufrieden seufzend lehnte Alice sich gemütlich in ihrem Sitz im Zug zurück. Sie hatte ihren Reader und ihre Sachen in Reichweite, und bald würde ihr jemand eine Tasse Tee bringen. Oder sogar ein Glas Wein. Das Reisen Erster Klasse – zumindest mit der Bahn – lag innerhalb ihres Budgets, und sie liebte es. Als sie sechzig geworden war, hatte sie beschlossen, ihr Fernweh nicht länger zu unterdrücken, sondern mehr zu reisen. Sie musste nur noch überlegen, wie sie das anstellen wollte. Öfter nach London zu fahren war schon mal ein Anfang.
Da der Zug angenehmerweise schon früh zum Einsteigen bereitgestanden hatte, war sie mit der Buchauswahl ihrer Lesegruppe für diesen Monat schon recht weit gekommen, bevor die Menschen, die ihre Vorstellung von Pünktlichkeit nicht teilten, allmählich einstiegen.
Alice hatte ihre Taschen so verstaut, dass sie nicht zu viel Platz in Anspruch nahmen, und las weiter. Sie blickte nicht auf, bis sie bemerkte, dass sich jemand auf den Sitz gegenüber plumpsen ließ und eine Aktentasche auf dem Tisch landete. Flüchtig hob sie den Blick und lächelte, um zu zeigen, dass sie sich nicht als Besitzerin aller vier Sitzplätze fühlte, und vertiefte sich sofort wieder in ihren Roman.
Es dauerte eine Weile, bis der Mann sich häuslich eingerichtet hatte. Alice unterbrach ihre Lektüre, um ihn genauer zu betrachten. Sie war eine passionierte Menschenbeobachterin und stellte bald fest, dass sich der Blick durchaus lohnte. Vermutlich war er jünger als sie – wahrscheinlich in den Fünfzigern –, aber er strahlte eine Energie aus, die ihn noch jünger wirken ließ. Er trug einen gut geschnittenen Anzug und eine Krawatte, die den Anzug mit ihren auffälligen Farben und ihrem leicht schiefen Sitz herausforderte.
Alice überlegte, ob man wohl von einer Sechzigjährigen erwartete, dass sie dem anderen Geschlecht kein Interesse mehr entgegenbrachte. Sie kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich so war, was sie wirklich schade fand. Es war zwar nicht etwa so, dass sie ständig nach attraktiven Männern Ausschau hielt; dennoch hatte sie das Gefühl, dass sie das Schauen jüngeren Frauen überlassen sollte, wenn ihr ein gut aussehender Mann auffiel.
Allerdings lenkte der Mann ihr gegenüber sie von ihrer Lektüre ab. Er war rastlos, öffnete seine Aktenmappe, nahm Dinge heraus, schloss die Tasche wieder, blickte auf seine Uhr. Als er ihren Blick auffing, lächelte er entschuldigend.
»Ich frage mich, wann der Wagen mit den Snacks vorbeikommt«, sagte er.
»Wahrscheinlich erst, wenn der Zug losgefahren ist«, meinte Alice. »Das kann nicht mehr lange dauern. Ah, jetzt geht’s los.« Sie sah aus dem Fenster und genoss den Augenblick, in dem man nicht genau unterscheiden konnte, ob sich der Zug oder der Bahnsteig bewegte.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Wagen mit den Snacks vorbeigerollt wurde. Als er mit einem Klappern bei ihnen anhielt, wirkte Alice’ Reisegefährte ganz enthusiastisch. Erwartungsvoll sah der Zugkellner Alice an, aber sie brauchte noch etwas Zeit, um eine Wahl zu treffen, weil dieser Service am Platz neu für sie war. Daher schlug sie vor, dass der Mann zuerst bestellte.
»Was kann ich kostenlos bekommen?«, fragte er.
Beeindruckend, dachte Alice. Sie hätte wesentlich subtiler agiert.
»Tee oder Kaffee, heiße Schokolade, Kuchen, Kekse und Kartoffelchips«, antwortete der Kellner.
»Kein Sandwich und eine Flasche Wein?«
»Nein, Sir«, sagte der Kellner. »Dafür müssen Sie zahlen.«
»Aber ich habe meine Brieftasche im Büro vergessen, und jetzt habe ich nicht genug Geld dabei.«
Alice versteckte sich hinter ihrem Reader. Trotz seiner Unbekümmertheit musste es für den Mann peinlich sein, sich auf diese Weise mit kostenlosem Essen und Getränken einzudecken.
»Das tut mir sehr leid, Sir, doch leider kann ich Ihnen da nicht helfen.«
»Und kann ich auch kein Sandwich bekommen, wenn ich nichts von diesen anderen Dingen nehme?«, fragte er und deutete mit einer abfälligen Handbewegung auf die Kekse, den Kuchen, das Obst und die Kartoffelchips. »Die Kosten für diese Snacks sind bestimmt genauso hoch wie die für ein Sandwich.«
»Es tut mir leid, Sir, nur diese Sachen sind gratis. Für den Rest muss man bezahlen.«
»Aber die Sandwiches sind nicht lange haltbar – wahrscheinlich müssen Sie am Ende der Reise einige wegwerfen. Die anderen Lebensmittel halten sich eine Ewigkeit.«
»Ich habe gesagt, es tut mir leid …«
Alice hielt es nicht mehr aus. »Kann ich bitte ein Sandwich und eine Flasche Wein haben? Ich habe meine Geldbörse dabei.«
Als der Mann sie ansah, entdeckte sie, dass seine Augen blau waren. »Das kann ich nicht annehmen.«
»Warum nicht? Es geht nicht gerade um ein Viergangmenü im Ritz. Die Weinflaschen sind winzig. Lassen Sie mich bezahlen.« Alice bemühte sich um einen leicht autoritären Ton. Sie fand, ihr Alter sollte ihr ein wenig Durchsetzungsvermögen verleihen. Allerdings beeinträchtigten ihre frisch gesträhnten Haare diesen Eindruck ein wenig.
Voller Sehnsucht betrachtete der Mann die belegten Brote, dann warf er Alice einen Blick zu. »Nein, das wäre nicht richtig.«
Alice beschloss, sich auf keine weitere Diskussion einzulassen. »Okay.«
Erleichtert, sich nicht mehr mit dem Mann befassen zu müssen, der alles umsonst haben wollte, drehte der Kellner sich zu Alice um.
»Also, ich hätte gern zwei Sandwiches, zwei Flaschen Wein« – sie warf ihrem Reisegefährten einen kurzen Blick zu –, »Rotwein, denke ich. Oh, und außerdem ein paar Chips und eine Flasche Wasser.«
Nachdem sie bezahlt hatte und der Wagen weitergerattert war, reichte sie dem Mann ein Sandwich und eine Flasche Wein.
Er seufzte. »Ich gebe mich geschlagen«, sagte er, »weil ich vor Hunger sterbe. Aber ich bestehe darauf, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin Michael McKay.«
»Alice Aster«, entgegnete sie und schüttelte die ihr dargebotene Hand. Er musterte sie einen Augenblick lang sehr intensiv. Alice fiel auf, dass es lange her war, seit ein Mann sie wirklich angesehen hatte. Und es gefiel ihr.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich anfange?«, fragte er.
»Nicht im Geringsten.« Sie erwiderte sein warmes Lächeln und fand, dass das auch Frauen über sechzig nicht verboten war. Siebzig war vielleicht eine ganz andere Sache.
Michael McKay riss die Verpackung auf und verschlang das Sandwich mit drei Bissen. Alice, die zuvor zu Mittag gegessen hatte, rührte ihres nicht an. Vermutlich würde Michael es gern haben wollen. Aber sie öffnete ihre Weinflasche und eine Packung Kartoffelchips.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin«, erklärte er, als sie ihm auch das zweite Brot reichte. »Ich war so hungrig! Mir ist schon an der Tür des Bürohauses aufgefallen, dass ich meine Brieftasche in der Schreibtischschublade vergessen habe. Doch ich hätte den Zug verpasst, wenn ich sie noch geholt hätte.« Er zog eine Grimasse. »Na ja, wahrscheinlich hätte ich ihn gar nicht verpasst, aber ich habe es befürchtet.«
Alice nickte. »Ich bin auch gern zeitig am Zug. Das haben wir gemeinsam.«
»Wohin fahren Sie denn? Nach Reading? Oder in den fernen Westen?«
Alice lachte leise. »Na ja, nicht wirklich in den fernen Westen, doch immerhin bis hinter Swindon. Nach Stroud, um genau zu sein.«
»Ich steige in Kemble aus.«
»Oh, das vornehme Kemble«, sagte Alice und schmunzelte. »So ein hübscher Bahnhof!«
»Die Landschaft rund um Stroud ist aber auch ganz reizend«, erwiderte er höflich.
»Das ist sie. Ich lebe – von einigen Unterbrechungen abgesehen – seit mehr als dreißig Jahren da.« Sie merkte, dass diese Bemerkung sie furchtbar alt wirken ließ, aber es spielte keine Rolle. Oder etwa doch? Ganz kurz fragte sie sich, ob das Geld für die französischen Schönheitsprodukte, die sie im Internet bestellte, um jünger auszusehen, nicht eine sinnlose Ausgabe war, wenn sie mehr oder weniger jedem erzählte, dass sie beim Busfahren ein Anrecht auf Seniorenermäßigung hatte.
»Kann ich dann bitte Ihre Adresse haben?«, bat er.
Alice war keine ängstliche Frau. Sie vertraute den Menschen und fand, dass die meisten es gut mit ihr meinten. Aber ihr war klar, dass sie großen Ärger bekommen würde, wenn jemand erfuhr – vor allem ihre Patentochter Bella, die ihr gegenüber ein leicht mütterliches Verhalten an den Tag legte –, dass sie einer männlichen Zugbekanntschaft einfach so ihre Adresse gegeben hatte.
»Warum denn das?«
Er sah sie an, als wäre sie etwas begriffsstutzig. »Damit ich Ihnen einen Scheck schicken kann.«
»Sie wollen doch jetzt nicht ernsthaft vorschlagen, mir einen Scheck über die Kosten eines Sandwiches und einer kleinen Flasche Wein auszustellen?!«
»Doch, genau das habe ich vor.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Schließlich waren es zwei Sandwiches.«
Alice musste lachen. »Das ist doch lächerlich. Sagen Sie mal, wie kommen Sie denn morgen zurück nach London, wenn Sie Ihren Geldbeutel nicht dabeihaben?«
»Sie wechseln das Thema.«
»Jep.« Sie lachte freundlich. »Sie müssen doch einsehen, dass es lächerlich ist, sich wegen so einer kleinen Summe Gedanken zu machen.«
Seine blauen Augen schienen sie zu durchbohren. »Ich kann niemandem Geld schuldig sein, ich bin einfach nicht dazu in der Lage.«
»Nun, das ist ganz schön töricht!«
Sie erkannte sogleich, dass er nicht daran gewöhnt war, ausgelacht zu werden. Trotzdem fand sie, dass es ihm nicht schadete, diese Erfahrung zu machen.
»Tatsächlich? Die meisten Frauen, die ich kenne, sind hocherfreut, wenn jemand für sie zahlt.« Er wirkte nicht mehr beleidigt, und ein schwaches Lächeln wanderte von seinen Lippen zu seinen Augen.
»Und manche sind absolut zufrieden damit, für sich selbst und andere Leute zu zahlen – sogar für Männer.«
»Dann sind Sie also eine dieser modernen Frauen?«
Es fühlte sich großartig an, als »modern«, bezeichnet zu werden. Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln.
In diesem Moment tauchte der Fahrkarten-Kontrolleur neben ihnen auf, und Alice – gesetzestreu und unsicher hinsichtlich der Vorschriften – fühlte sich verpflichtet, ihre Seniorenvorteilskarte vorzuzeigen. Bella hatte die Karte sehr respektlos »Altenkarte« genannt. Jetzt war Schluss damit, mit jüngeren Männern zu flirten, sagte Alice sich.
»Na ja, wenigstens fühlen Sie sich nun besser bei dem Gedanken, dass ich Ihnen einen Snack gekauft habe«, sagte sie, »jetzt, da Sie wissen, dass ich alt genug bin, um … hm, zumindest Ihre Tante zu sein.«
Der intensive blaue Blick traf sie wieder. »Oh, ich könnte in Ihnen niemals eine Tante sehen.«
Alice ertappte sich dabei, dass sie errötete. Es war lange her, seit jemand ihr Avancen gemacht hatte, und sie war sich nicht mal sicher, ob es tatsächlich ein Anmachversuch war. Weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, nahm sie ihren Reader zur Hand. »Ich glaube, ich sollte jetzt weiterlesen. Meine Lesegruppe findet bald wieder statt.«
»Gefällt Ihnen das Buch?«
Alice überlegte kurz. »Nicht besonders.«
»Dann lesen Sie es nicht!«
»Das wäre zu viel der Anarchie«, erwiderte sie trocken und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Buch, das im vergangenen Jahr lange auf der Bestsellerliste gestanden hatte. Innerlich grinste sie.
Bella wartete schon auf Alice, als der Zug ein wenig verspätet in den Bahnhof von Stroud einfuhr.
Sie entdeckte ihre Taufpatin in der kleinen Gruppe, die aus dem Bahnhofsgebäude strömte, und winkte. Alice war leicht auszumachen – sie trug ein türkisfarbenes Seidenoutfit, das gleichzeitig elegant und lässig wirkte. Sie hatte eine gute Figur und sehr gepflegte Haut – Bella war stolz auf sie.
Sie gab ihrer Patin einen Kuss auf die Wange. »Hattest du einen schönen Tag? Ich muss gar nicht fragen. Man sieht dir an, dass du dich bestens amüsiert hast! Es tut mir leid, aber ich habe nichts gekocht. Hast du Lust auf Fish and Chips?«
»Klingt prima!«
»Wie war es, in der Ersten Klasse zu reisen?«
»Wunderbar!«, antwortete Alice.
Bella runzelte leicht die Stirn. Hatte Alice etwas mit ihrem Make-up gemacht, oder wurde sie tatsächlich rot?
Einige Tage später saßen Nevil und Bella in Alice’ Garten. Sie tranken eine Flasche Wein und aßen die Pizza, die sie sich bestellt hatten. Da Alice sich in ihr Wohnzimmer zurückgezogen hatte, waren sie allein.
»Na, wie geht’s meinem kleinen Lockenschopf?«, fragte Nevil und füllte Bellas Glas.
Soll ich Nevil sagen, dass ich diesen Spitznamen hasse?, überlegte sie, erkannte jedoch gleichzeitig, dass er sehr guter Laune war. Daher beschloss sie, über die Anspielung auf ihre Haare hinwegzusehen, zumal sie ja tatsächlich Locken hatte.
»Mir geht’s gut – was du ja auch weißt, da wir den ganzen Tag zusammen gearbeitet haben.« Sie lächelte.
»Und du weißt, dass ich Privatangelegenheiten und Job gern trenne.« Er erwiderte das Lächeln.
Nevil sah sehr gut aus, fand Bella. Er hatte angenehme, gleichmäßige Gesichtszüge, und seine Haare, die ihm immer in die Stirn fielen, wenn er sich für etwas begeisterte, waren dunkelblond. Außerdem wirkte er sehr gepflegt. Er war ein Stück größer als sie, und zusammen gaben sie ein hübsches Paar ab. Ihre dunklen Locken bildeten einen schönen Kontrast zu seinen helleren Haaren.
»In letzter Zeit hast du ziemlich gute Laune«, meinte sie. »Du hast nicht gestöhnt, als kein Papier mehr im Kopierer war. Du hast dich noch nicht mal beklagt, als du selbst kopieren musstest!«
Nevil lachte. »Ich habe mich ein bisschen darüber geärgert, aber da ich Tina gebeten hatte, Sandwiches zu besorgen, konnte sie ja nichts dafür.«
Bella staunte ein wenig darüber, dass er so milde gestimmt war. Er war sehr gut in seinem Job. Und wie er ihr häufig erklärte, wurde man nicht mit nicht mal dreißig Jahren Chef eines Immobilienbüros – auch nicht im Rahmen eines Franchise-Vertrags –, indem man im Büro den netten Kerl gab. Der nette Kerl war er nur für Kunden.
»Ich glaube, du wirst auf deine alten Tage noch sanftmütig, Nevil«, sagte sie schmunzelnd.
»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte er und ging gar nicht auf ihre Neckerei ein. Er war schließlich erst zweiunddreißig. »Ich freue mich, dass es nicht mehr lange dauert, bis wir beide zusammenziehen können.«
»Super!« Bella verbarg ihre Bestürzung, indem sie nach der Weinflasche griff und ihnen nachschenkte.
»Macht es dich nicht verrückt, mit deiner Patentante zusammenzuleben? Ich meine, sie ist ja ganz reizend, aber – na ja …« Nevil besaß gute Manieren, das war Teil seines Berufsimages, weshalb er den Satz nicht zu Ende brachte.
Bella überlegte, wie sie das erklären sollte, obwohl sie eigentlich der Meinung war, dass sie keinen Grund hatte, sich zu rechtfertigen. »Das ist okay für mich. Es gibt jede Menge Platz, und sie kontrolliert mich auch nicht.« Genau genommen gefiel es Bella ausgesprochen gut, sich das Haus mit Alice zu teilen. Sie harmonierten wunderbar miteinander. Wenn man bedachte, wie lange Alice allein in ihrem Haus gelebt hatte, war das eine Überraschung für sie beide gewesen. Alice war Bellas Rettungsanker gewesen, als sie einen gebraucht hatte, und jetzt war sie hocherfreut, dass ihre Patentante ihr Heim so gern mit ihr teilte. Das Zusammenleben mit Nevil könnte sich wesentlich komplizierter gestalten. Angesichts seiner Abneigung gegenüber kleinen Verpflichtungen im Büro war es kaum vorstellbar, dass er beispielsweise bereit war, selbst den Staubsauger zu schwingen.
»Na, was soll’s, du musst ja nicht mehr lange hierbleiben.«
»Wieso?«
»Ich könnte es dir erzählen, aber dann könnte ich dich nicht am Leben lassen. Es ist nämlich noch streng geheim.« Nevil grinste.
Bella unterdrückte ihren Ärger und beschloss, ihn nicht zu drängen. Er würde sie einweihen, wenn er so weit war. »Okay. Möchtest du den Rest Pizza haben?«
»Willst du ihn nicht? Es ist dein Stück.«
»Nur zu! Ich versuche, ein bisschen weniger zu essen.«
Nevil nahm das Pizzastück, biss kräftig hinein und lächelte sie an. »Gute Entscheidung.«
Bella sah ihm beim Essen zu und fragte sich, ob es nicht seltsam war, dass es ihr besser gefiel, mit einer älteren Dame zusammenzuleben, als mit ihrem Freund einen eigenen Hausstand zu gründen. Und während sie darüber nachgrübelte, überlegte sie, ob er etwa hatte andeuten wollen, sie sei zu dick. Sie wusste, dass es nicht so war, aber als sie damals auf der Suche nach Arbeit in sein Büro spaziert war, war sie geradezu klapperdürr gewesen – aus Gründen, die sie täglich zu vergessen versuchte. Vielleicht stand er auf knochige Frauen.
Ihre Gedanken sprangen in die Zeit zurück, zu der sie so dünn gewesen war. Sie hatte ihren Heimatort ziemlich überstürzt verlassen, um mit ihrer Taufpatin zu leben und einen Job anzunehmen, über den sie sehr froh war. Großer Kummer oder eine neue Liebe waren die beste Diät. Jetzt allerdings war sie zufrieden und ausgeglichen. Bella liebte ihre Arbeit, hatte Kollegen, mit denen sie prima auskam, und … na ja, Nevil, der – meistens – ein richtig guter Freund war.
»Hat Alice schon mal darüber nachgedacht, wie viel dieses Haus einbringen würde, wenn man es verkauft?«, fragte Nevil und kaute auf der Peperoni-Salami herum.
»Ich glaube nicht. Sie will bestimmt nicht umziehen. Nein, ich weiß ganz sicher, dass sie das nicht will. Das Haus ist groß für uns beide, aber es ist ihr Elternhaus. Und sie hat im Laufe der Jahre so viel Zeit und Mühe in den Garten gesteckt.«
»Wie kommt es, dass diese Frauen – genau wie deine Mrs. Langley – darauf beharren, allein in riesigen Häusern zu wohnen? Es ist verrückt, welche enormen Summen in diesen Anwesen gebunden sind.«
»Aber es gibt keinen zwingenden Grund, warum sie umziehen sollten, wenn sie nicht wollen. Der Zeitpunkt dafür muss stimmen.« Bella lachte. »Obwohl es natürlich fantastisch wäre, diese Häuser auf unserer Liste stehen zu haben.«
Nevil hatte ihr offensichtlich nicht zugehört. »Kommt Alice allein zurecht, wenn du ausziehst?«
»Natürlich! Sie ist schließlich erst sechzig.« Sie war drauf und dran zu sagen: Außerdem ziehe ich ja gar nicht aus. Doch es gelang ihr gerade noch, sich zu bremsen. Wenn Nevil das richtige Haus für sie beide fand, wäre es nur natürlich zusammenzuziehen.
»Ich habe nur darüber nachgedacht, was für sie am besten wäre.«
»Klar.« Sie lächelte, doch ihr war klar, dass er im Geiste schon die Provision ausrechnete, die der Verkauf eines so großen Hauses einbringen würde. »Hast du Lust, was Nettes im Fernsehen anzuschauen? Wir könnten uns in meinem Wohnzimmer aufs Sofa kuscheln.«
Nevil fand den Vorschlag, es sich gemütlich zu machen, offenbar nicht verlockend. »Lieber nicht. Ich glaube, ich sollte besser aufbrechen. Ich hab noch Einiges zu tun.«
Nachdem sie einen Kuss mit Peperoni-Geschmack ausgetauscht hatten, fiel ihr auf, dass Nevil in letzter Zeit nach Feierabend immer noch ziemlich beschäftigt war. Flüchtig fragte sie sich, ob er sich vielleicht mit einer anderen Frau traf. Warum sonst sollte er ein Angebot ausschlagen, das auf eine Übernachtung hinauslaufen könnte? Er war bereits öfter über Nacht geblieben und wusste daher, dass keine peinliche Situation daraus entstand. Aber dann machte Bella sich klar, dass Fremdgehen zwar kein Ding der Unmöglichkeit wäre, er dann allerdings bestimmt nicht so gute Laune hätte. Außerdem würde er sie verlassen, wenn er das Interesse an ihr verloren hätte. Stattdessen sprach er von einem gemeinsamen Heim. Ach was, sie wollte sich nicht länger darüber den Kopf zerbrechen.
»Oh, ich bin froh, dass Sie anrufen, meine Liebe«, sagte Mrs. Langley am nächsten Nachmittag. »Mein Neffe möchte Sie kennenlernen!«
Bella hatte einen Mann aufgetrieben, der ein Bewässerungssystem installieren konnte. Jetzt rief sie an, um Mrs. Langley über die Einzelheiten zu informieren – sie hatte nicht mit dem Wunsch des Neffen gerechnet.
»Wirklich? Warum denn?« Aber dann meinte sie, den Grund zu kennen. Bestimmt glaubte er, sie wolle seine Großtante überreden, in ihrem Haus zu bleiben und nicht zu verkaufen. »Will er mich ausschimpfen?«
»Das glaube ich nicht, meine Liebe. Er hat bloß gesagt: ›Ich würde diese junge Frau, von der du so viel sprichst, gern mal kennenlernen.‹«
»Oh.« Sie wunderte sich zwar, dass Mrs. Langley oft über sie redete, war jedoch gerührt. »Wie läuft es denn so?«
»Na ja, wir sind übereingekommen, dass er bei mir übernachtet, wenn er in der Gegend zu tun hat. Vielleicht wird er sogar auf Dauer hier arbeiten. Er ist jetzt schon seit drei Nächten hier.«
»Und ist das für Sie in Ordnung?«
»Wissen Sie was, es gefällt mir sogar! Es macht Spaß, nicht nur für mich allein zu kochen, und er ist sehr geschickt, was kleine Arbeiten im Haus angeht.«
»Das klingt gut. Dann kommandiert er Sie also nicht rum und ist nicht anmaßend?«
Eine kurze Pause entstand. »Nein, ist er nicht, auch wenn er durchaus eine gewisse Autorität ausstrahlt, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Aber er versucht nicht, Sie zu einem Verkauf zu drängen?«, hakte Bella nach.
Wieder antwortete ihr Schweigen. »Nein. Er will wissen, wie gut ich zurechtkomme. Doch auf eine besorgte Art und Weise, verstehen Sie?«
Bella verstand zwar nicht, war jedoch beruhigt.
»Und ich fände es sehr nett, wenn Sie vorbeikommen und etwas mit uns trinken würden – vor dem Abendessen. Mein Neffe arbeitet sehr viel und könnte ein bisschen junge Gesellschaft vertragen.«
»Nun, ich bin jung«, stimmte Bella zu. »Und ich komme sehr gern. Allerdings möchte ich Ihnen Gesellschaft leisten.«
Mrs. Langley lachte. »Ihnen ist schon klar, dass es keinen Kuchen geben wird?«
Bella kicherte. »In dem Fall, Mrs. Langley, muss ich leider ablehnen …«
»Bitte nenn mich doch Jane! Ich finde, wir kennen uns inzwischen gut genug.«
»In Ordnung, Jane, ich komme, obwohl es keinen Kuchen gibt.«
Nachdem sie ihre Verabredung getroffen hatten, ging Bella zu Alice ins Wohnzimmer. Offiziell stand Bella das zweite, kleinere Wohnzimmer zur Verfügung, aber sie benutzte es kaum, außer ganz selten mal, wenn Nevil über Nacht blieb. Alice und sie verbrachten ihre Abende gern gemeinsam, wenn sie beide zu Hause waren.
Jetzt saß Alice vor dem Fernseher, obwohl er gar nicht lief. Bella war überrascht, sie hier vorzufinden. Um diese Tageszeit hielt sie sich normalerweise im Garten auf, vor allem, wenn die Sonne schien.
»Möchtest du eine Tasse Tee? Oder ein Glas Wein?«
»Ich habe eine E-Mail bekommen«, sagte Alice.
Bella wartete auf Einzelheiten, aber ihre Patentante sprach nicht weiter. »Und? Es ist nicht so, als hättest du noch nie zuvor eine E-Mail bekommen, oder? Wenn man dir eine Billion US-Dollar anbietet, wenn du deine Bankverbindung mitteilst, handelt es sich wahrscheinlich um einen Schwindel.«
Alice lachte. »Nein! Es ist eine richtige E-Mail. Von einer bestimmten Person.«
»Und?«
»Von einem Mann.« Alice schluckte. »Dem Mann, den ich im Zug kennengelernt habe …«
»In welchem Zug? Wann? Davon hast du mir ja gar nichts erzählt!« Bella war weniger bestürzt als vielmehr verblüfft. Warum hatte Alice den Mann nicht schon früher erwähnt?
»Es war vor ein paar Tagen. Vermutlich habe ich es nicht erwähnt, weil ich mir ein bisschen albern vorgekommen bin.«
»Alice! Es ist in Ordnung, wenn man in Zügen Menschen kennenlernt, weißt du, selbst wenn man alt ist – so wie du.«
Alice lachte leise. »Nun, das ist gut, denn er hat mir eine Nachricht geschickt. Er möchte sich mit mir treffen.«
»Das ist doch toll! Vielleicht sollte ich auch mal mit dem Zug fahren …«
»Du hast doch Nevil!«
»Ich weiß, das war ein Witz. Erzähl mir von diesem Mann!«
Alice sagte: »Vielleicht brauche ich jetzt doch eine Tasse Tee? Wie sieht’s mit dir aus?«
»Ich komme mit, wir können uns in die Küche setzen.«
Bella kochte Tee, machte sich Gedanken über Alice’ Bekanntschaft und dachte – wie immer –, dass dieser Raum nahezu perfekt war. In ihrem Job bekam sie viele Küchen zu sehen, einige davon waren wirklich großartig, aber keine erreichte den Standard von Alice’ Küche. Es gab handgefertigte Möbelstücke, die nicht aussahen, als gehörten sie in einen Ausstellungsraum, einen riesigen Tisch, an dem man arbeiten oder essen konnte, eine Anrichte voller Porzellan und Gebrauchsgegenstände, die sich in einer richtigen Küche im Laufe der Jahre ansammelten, einen Rayburn-Ofen und einen hervorragenden, ganz gewöhnlichen Herd. Der Ausblick in den Garten und ein gemütliches Sofa unterstrichen den besonderen Charakter und Charme des Raumes.
»Und?«, sagte sie, nachdem sie eine Tasse Tee und ein paar Kekse vor ihre Patin gestellt hatte. »Erzähl deiner Tante Bella alles!«
»Also«, begann Alice, die ganz offensichtlich gern darüber reden wollte. »Er saß mir gegenüber, und er hatte nichts zu Mittag gegessen. Weil er seine Brieftasche in der Schublade seines Schreibtisches vergessen hatte … habe ich ihm zwei Sandwiches gekauft. Er hat sich sehr gesträubt, bevor er sie angenommen hat.«
»Lag es daran, dass du eine Frau bist?«
Alice zuckte mit den Schultern. »Er hat es nicht ausdrücklich ausgesprochen, doch er sagte, dass die Frauen, die er kennt, gern die Männer für sie zahlen lassen.«
»Altmodisch«, kommentierte Bella.
»Möglich, aber nicht so alt. Ich glaube, ich habe mit einem jüngeren Mann geflirtet. Er wollte meine Adresse haben. Weil ich jedoch wusste, dass du dann mit mir schimpfst, habe ich ihm schließlich eine dieser reizenden Karten mit meiner E-Mail-Adresse gegeben, die du mir zum Geburtstag geschenkt hast.«
»Aber da steht doch auch deine Postanschrift drauf.«
»Das muss ich wohl irgendwie übersehen haben.« Alice biss sich auf die Lippe. »Und er wohl auch, denn sonst hätte er einfach einen Scheck geschickt.«
»Nein! Er hat keinen Scheck geschickt, weil er dich wiedersehen will. Er muss dich mögen.«
»Tja, das hoffe ich. Ich war sehr nett zu ihm.«
»Ich meine nicht ›mögen‹ auf die Weise, wie du den Postboten magst. Ich meine … na ja, dass er auf dich steht.«
»Sei nicht albern, Liebes!« Es fiel Alice nicht schwer, diese Bemerkung als nicht zutreffend abzutun. »Er war um Jahre jünger als ich – wahrscheinlich Anfang fünfzig. Allerdings bin ich sehr schlecht darin, das Alter von Menschen zu schätzen.«
»Warum will er sich dann mit dir treffen? Wenn er dir doch einen Scheck schicken oder das Ganze einfach vergessen könnte?«
Alice runzelte die Stirn. »Offenbar ist er ein wenig seltsam. Vielleicht sollte ich mich lieber nicht mit ihm verabreden.«
Bella lachte. Ihre Taufpatin wollte nicht wahrhaben, dass sie eine attraktive Frau war. Bella dagegen war nicht im Geringsten über den Wunsch des Mannes überrascht, Alice wiederzusehen.
»Was für eine wundervolle, flüchtige Begegnung! Habt ihr schon was ausgemacht? Einen Ort und eine Zeit?«
»Nein. Er möchte, dass ich einen Vorschlag mache.«
Bella betrachtete Alice. Sie wollte nicht, dass man ihr dieses Treffen ausredete – das verriet ihr Strahlen.
»Also, ich finde, du solltest was mit ihm vereinbaren. Es hört sich an, als wäre er ganz reizend! Und wann bist du zuletzt mit einem Mann ausgegangen? Jedenfalls nicht, seit ich bei dir wohne, so viel ist sicher.«
»Seit Jahren nicht mehr – zumindest nicht mit jemandem, der kein alter Freund ist, den ich schon seit Ewigkeiten kenne. Aber ich glaube nicht, dass ich noch weiß, wie ich mich in so einer Situation verhalten soll!«
»Natürlich weißt du das! Ihr trinkt etwas, plaudert ein wenig, dann bestellt ihr das Essen und setzt eure Unterhaltung fort. Wirklich, es wird dir ganz leichtfallen.«
»Eigentlich sollte das ein Scherz sein. Es ist nur so, dass ich mich mit einem Mann, den ich nicht kenne, vielleicht ein wenig unbehaglich fühlen könnte.«
Bella reagierte etwas mitfühlender. Schließlich war es auch schon eine Weile her, dass sie selbst ein Date im eigentlichen Sinne gehabt hatte. »Wir können uns simsen, dann kannst du mir Bescheid sagen, wenn du dich nicht wohlfühlst. In dem Fall tauche ich auf und rette dich.«
»Könnte ich nicht einfach gehen und nach Hause fahren?«
Bella nickte. »Diese Option gibt es natürlich auch, aber meine ist aufregender.«
Alice musste lachen. »Bist du nicht schockiert über die Vorstellung, dass jemand in meinem Alter ein Date hat?«
»Selbstverständlich nicht! Ich finde es fantastisch!« Allerdings war sie insgeheim ein wenig überrascht.
Derart ermutigt, besserte sich Alice’ Stimmung deutlich. »Wo können wir denn hingehen? Er sagt, ich soll einen Treffpunkt vorschlagen. Er wohnt in Kemble.«
Bella überlegte. »Mittag- oder Abendessen?«
»Abendessen. Er arbeitet in London.« Bellas Schweigen beunruhigte Alice. »Sollte ich vielleicht besser Kaffeetrinken an einem Wochenende vorschlagen?«
»Abendessen ist schon in Ordnung, doch wir müssen ein passendes Restaurant finden.«
»Ja. Es darf auf keinen Fall auch nur annähernd romantisch sein. Ich will nicht, dass er auf den Gedanken kommt, es wäre ein Date«, meinte Alice.
»Ich glaube ja, dass es tatsächlich ein Date ist, aber ich verstehe, dass du nichts Romantisches vorschlagen willst. Er könnte sich ja doch noch als wenig attraktiv herausstellen, wenn du ihn triffst.«
Alice’ Miene wurde leicht verträumt. »Ich denke nicht, dass das ein Problem wird.« Sie schwieg kurz. »Allerdings sind die Lichtverhältnisse in der Ersten Klasse sehr schmeichelnd, und er könnte einen furchtbaren Schock erleiden, wenn er mich wiedersieht.«
Bella fing an zu kichern. »Ich kenne mich mit Zugabteilen in der Ersten Klasse zwar nicht besonders gut aus, doch ich glaube kaum, dass man sich beim Lichtkonzept Gedanken über die Wirkung älterer Damen gemacht hat.«
Alice warf ihr einen scharfen Blick zu. »Wenn du erst mal sechzig bist, machst du auch keine Witze mehr über ›ältere Damen‹, glaub mir.«
»Okay, ich glaube dir, aber welches Restaurant wäre denn am besten geeignet?«
Nach einer ausgiebigen Diskussion ging Bella auf Twitter und suchte nach Vorschlägen. Danach konsultierten sie die Webseiten und Restaurantführer und stießen schließlich auf einen sogenannten »Gastropub«.
»Aber sie haben auch Zimmer!«, wandte Alice ein. »Er könnte denken …«
Bella ließ sie nicht ausreden. »Er wird gar nichts Derartiges denken! Jetzt schreib ihm eine E-Mail mit den Informationen. Es ist nicht zu weit entfernt; du kannst dir ein Taxi nehmen, wenn du was trinken willst. Oder du rufst mich an, und ich bin in zwanzig Minuten da.«
Alice ging in ihr Arbeitszimmer und schaltete den Laptop ein. Seltsamerweise fühlte sie sich trotz des Altersunterschiedes von Bellas positiver Reaktion ermutigt. Zwar war sie überzeugt, dass es bei einem Abendessen bleiben und sie Michael McKay danach nie wiedersehen würde, aber ihr Treffen im Zug und die nachfolgende Unterhaltung waren erfrischend gewesen. Bestimmt würde sie auch das Dinner mit ihm genießen.
An einem Abend ein paar Tage später ging Bella über Jane Langleys ausgedehnten Rasen. Eine Notiz am Gartentor hatte sie dorthin geleitet: Bin im Garten. Hoffentlich war ihr bedrucktes Kleid angemessen für Drinks mit ihrer Freundin – sie durfte nicht vergessen, sie Jane zu nennen – und ihrem Neffen! Sie wollte gern hübsch sein, aber auch seriös wirken. Bella hatte in Alice’ Garten ein paar Blumen gepflückt und in ein Marmeladenglas gestellt, damit Jane keine Vase holen musste. Obwohl Jane selbst einen Garten voller Blumen besaß, wollte Bella nicht mit leeren Händen erscheinen. Sie wusste, dass die alte Dame sich über die Blumen freuen würde.
Bella sah die beiden auf den Stühlen an dem Platz sitzen, an dem Jane und sie schon oft Tee getrunken und Kuchen gegessen hatten – da, wo die Rose in den Baum kletterte. Aber als sie auf die beiden zuging, fiel ihr auf, dass Janes Neffe ihr bekannt vorkam. Nach zwei weiteren Schritten erkannte sie ihn. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, stehen bleiben, auf dem Absatz kehrtmachen und über den Rasen zu ihrem Auto zurücklaufen zu können. In dem entzückenden, sonnigen Garten, den sie so liebte, saß der Grund, der sie veranlasst hatte, ihren Heimatort zu verlassen und ihre erste Stelle aufzugeben!
»Meine Liebe! Wie hübsch du aussiehst!«, sagte Jane Langley, als sie Bella bemerkte.
Dominic Thane stand auf.
Einen Moment später wurde Bella mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.
»Dominic sagt, ihr beide kennt euch!«, rief Jane Langley. »Was für ein Zufall!«
»Ja«, erwiderte Bella mit einem gequälten Lächeln. »Hallo, Dominic.« Ganz kurz begegneten sich ihre Blicke. Er funkelte sie mit solcher Abneigung an, dass ihr der Atem stockte. Sie hatte hart gearbeitet, um ihm zu entkommen, sowohl körperlich als auch seelisch. Ihn jetzt so vollkommen unerwartet wiederzusehen war ein Schock für sie – vor allem seine Reaktion. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, setzte sie sich. Andernfalls hätten ihre Beine unter ihr nachgegeben. Sie stellte die Blumen ab, ohne sie Jane überreicht zu haben.
Dominic gab ihr ein Glas Champagner von dem Tablett auf dem Tisch. Sie merkte, dass Jane sie etwas seltsam musterte. Bella nahm das Glas. »Gibt’s was zu feiern?«
»Dominic hat den Champagner mitgebracht. Ist das nicht nett?« Jane runzelte die Stirn. »Ist alles in Ordnung mit dir, meine Liebe?«
»Mir geht’s gut!«, antwortete Bella. Es klang sogar in ihren eigenen Ohren ein wenig erstickt. Hoffentlich hatte niemand bemerkt, dass sie Dominic, seit sie sich gesetzt hatte, nicht mehr angesehen hatte.
»Wollen wir anstoßen?«, schlug er vor. »Auf die Wiedervereinigung von Familienmitgliedern und alten Freunden.«
Er hob sein Glas, prostete seiner Großtante zu und sah dann Bella an, die seinen Blick jedoch nicht erwiderte. Falls sie einmal Freunde gewesen sein sollten, hatten seine Augen ihr gezeigt, dass sie jetzt alles andere als das waren. Aber warum? Was um alles in der Welt war passiert? Sie hatte sich nicht von ihm verabschiedet, als sie damals gegangen war, doch das hatte ihm bestimmt nichts ausgemacht, oder etwa doch? Und seitdem waren drei Jahre vergangen!
Nach dem ersten Schluck Champagner war Bella immerhin in der Lage, sich einigermaßen normal zu unterhalten. »Also, äh … Jane, wann hattest du Dominic zuletzt gesehen? Vielleicht hast du es mir erzählt, aber ich hab’s wohl vergessen.« Das war vielleicht nicht die beste Gesprächseröffnung, allerdings die einzige, die ihr spontan einfiel.
»Er war Blumenkind bei einer Hochzeit in der Familie, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe«, erzählte Jane. »Das war, noch bevor seine Haare – wie bei sämtlichen Männern in seiner Familie – mit seinem dreißigsten Geburtstag weiß wurden. Damals waren sie noch so dunkel wie seine Augen.«
»Ich bezeichne sie lieber als ›silbern‹, Tante Jane«, sagte Dominic und lachte auf einmal. Ein Ruck durchfuhr Bella, und sie trank verzweifelt noch einen Schluck. Ihr Körper ließ sie im Stich. Es war doch bloß eine Schulmädchen-Schwärmerei gewesen – nichts war zwischen ihnen passiert! Es sei denn, man rechnete den einen Kuss unter einem Mistelzweig mit, der vielleicht (was aber eher unwahrscheinlich war) ein Hinweis auf mehr gewesen sein könnte. Ihr Verstand sagte ihr, dass es nur Dominics Lachen war, das seine ziemlich ernsten Gesichtszüge in etwas ausgesprochen Attraktives verwandelte. Seine silbernen Haare lenkten die Aufmerksamkeit auf seine dunklen Augen, die von ebenfalls dunklen Augenbrauen und Wimpern umrahmt wurden. Es war nur ihr Körper, der darauf reagierte. Ihr Verstand hatte das Kommando; alles war in Ordnung.
Alle drei schwiegen. Bella nippte wieder an ihrem Getränk, während sie verzweifelt nach einem Gesprächsthema suchte und hoffte, dass Jane oder Dominic etwas sagen würden.
»Der Garten sieht wundervoll aus, Jane«, meinte sie schließlich – sie klang wie eine Schauspielerin, die ziemlich einfallslos improvisierte.
»Danke. Da das Wetter mitgespielt hat, konnte ich einiges tun«, erwiderte Jane. »Oh, und danke, dass du mir diesen reizenden jungen Mann vorbeigeschickt hast. Er hat ein hervorragendes System installiert, mit dem ich meine Tomaten wässern kann, indem ich nur den Wasserhahn aufdrehe.«
Bella lächelte. Sie hatte gedacht, der reizende junge Mann sollte vorerst noch ein Geheimnis bleiben, aber offensichtlich fand ihre Freundin es in Ordnung, ihn und das neue Bewässerungssystem Dominic gegenüber zu erwähnen. »Ich freue mich, dass es geklappt hat.«
»Und er kommt auch gern und erledigt einige schwierigere Aufgaben für mich, wenn ich möchte. Ich habe zwar Keith, der sich um den Rasen kümmert, doch er ist nun mal kein Gärtner. Ich kann mich nicht auf ihn verlassen. Aber Aiden versteht sein Handwerk.«
»Oh, gut«, sagte Bella und beschloss, es den anderen beiden zu überlassen, das Gespräch in Gang zu halten. Wenn sie selbst fortfuhr, würde sie sich noch um Kopf und Kragen reden.
»Möchtest du noch ein bisschen Champagner?«
Bella sah auf. Dominics Miene war so kalt, wie sein Lachen noch vor einem Augenblick warm gewesen war.
»Ja, bitte«, antwortete sie schnell. Wenn die Anspannung nicht von ihr abfiel, würde sie das nicht durchstehen, und der Alkohol würde ihr vielleicht helfen, lockerer zu werden.
Zu ihrer großen Erleichterung begannen Dominic und Jane ein Gespräch über Familienmitglieder, und Bella konnte ihren eigenen Gedanken nachhängen.
War es Zufall, der Dominic in ihr relativ neues und angenehmes Leben verschlagen hatte? Er konnte ihr doch nicht gefolgt sein!
Oder wollte er sie tadeln, weil sie Jane davon abgebracht hatte, ihr Haus zu verkaufen? Doch warum hätte er bis jetzt damit warten sollen? Sie hatte Jane Langley vor einem knappen Jahr schon den Verkauf ausgeredet, kurz nachdem sie hergezogen war. Nein, das konnte nicht sein, sie war ja schon paranoid – weder verfolgte er sie, noch konnte er sie nicht leiden.
»Bleibst du länger hier?«, fragte sie, als eine Pause entstand.
»Ich trete in eine Kanzlei in der Nähe ein. Als Rechtsanwalt«, fügte er hinzu.
Bellas Herz setzte kurz aus. Sie hatte nicht vergessen, dass er Anwalt war – sie hatten beide für dasselbe Immobilienbüro gearbeitet, aber hier? Nevils Immobilienagentur war nicht groß genug für eine eigene Rechtsabteilung; sie nahmen die Leistungen örtlicher Anwälte in Anspruch, und das bedeutete, dass Dominic und sie sich jederzeit begegnen konnten.
Allerdings konnte sie vernichtende Kritik anbringen, falls Nevil seinen Namen zur Sprache bringen sollte, und das wär’s dann für Dominic. Es wäre einfach viel zu peinlich, wieder mit ihm zusammenarbeiten zu müssen.
»Ach?«, sagte sie. »Das ist ja interessant.«
»Hoffentlich! Ich bin schon sehr gespannt.«
Er klang eher gelangweilt, aber er war immer schon eher der kühle und sachliche Typ gewesen.
»Er wollte eine Wohnung mieten, während er nach einem Kaufobjekt Ausschau hält, doch das wäre ja albern – schließlich habe ich ein großes Haus«, erklärte Jane. »Du lebst ja auch mit deiner Patin zusammen, und es funktioniert gut, stimmt’s?«
Das war ein schwerer Schock; künftig würde sie ihre Besuche bei Jane sorgfältiger planen müssen. Da Jane sie bittend ansah, nickte sie rasch. »Es funktioniert ganz hervorragend, aber ich bin ja auch vollkommen stubenrein.«
»Du könntest doch bestimmt ein hübsches Haus für ihn finden, oder?«, fuhr Jane fort.
»Das könnte ich bestimmt, doch vergesst nicht, dass es auch noch andere Makler gibt.« Sie lachte ein bisschen schrill.
»Das ist mir klar«, entgegnete Dominic und runzelte die Stirn. Seine ausgesprochen dunklen Augenbrauen, die einen starken Kontrast zu seinen silberfarbenen Haaren bildeten, sahen aus wie vor einem Sturm aufziehende Wolken.