Wo die Liebe zu Hause ist - Elizabeth Noble - E-Book
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Wo die Liebe zu Hause ist E-Book

Elizabeth Noble

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Beschreibung

Jeder Nachbar hat seine Geheimnisse … Der gefühlvolle Roman »Wo die Liebe zu Hause ist« von Elizabeth Noble jetzt als eBook bei dotbooks. Niemand, der an dem kleinen Wohnhaus an der Upper Eastside vorbeigeht, ahnt, was für herzerwärmende Geschichten sich hinter den roten Backsteinmauern verbergen: Da sind zum Beispiel Eve und Ed Gallagher, die hoffen, sich nach ihrem Umzug aus England ein neues Leben in der Großstadt aufbauen zu können. Jackson Grayling verliebt sich unterdessen unsterblich in die ehrgeizige Emily, die jedoch gar nicht beeindruckt von dem charmanten Taugenichts ist. Und während die schüchterne Charlotte sich einfach nicht traut, den Portier Raoul anzusprechen, steht die ältere Dame Violet ihnen allen Tag für Tag mit gutmütigen Ratschlägen zur Seite. Denn egal, wie sehr sie alle lieben und verlieren, wie sehr sie hoffen und verzweifeln – am Ende werden sie merken, wie ihre ganz unterschiedlichen Geschichten sie doch zu ihrem Glück führen können. »Eine charmante Liebeserklärung an Manhattan.« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der warmherzige Roman »Wo die Liebe zu Hause ist« von Bestsellerautorin Elizabeth Noble wird alle Fans von Cecilia Ahern und Clare Empson begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 630

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Über dieses Buch:

Niemand, der an dem kleinen Wohnhaus an der Upper Eastside vorbeigeht, ahnt, was für herzerwärmende Geschichten sich hinter den roten Backsteinmauern verbergen: Da sind zum Beispiel Eve und Ed Gallagher, die hoffen, sich nach ihrem Umzug aus England ein neues Leben in der Großstadt aufbauen zu können. Jackson Grayling verliebt sich unterdessen unsterblich in die ehrgeizige Emily, die jedoch gar nicht beeindruckt von dem charmanten Taugenichts ist. Und während die schüchterne Charlotte sich einfach nicht traut, den Portier Raoul anzusprechen, steht die ältere Dame Violet ihnen allen Tag für Tag mit gutmütigen Ratschlägen zur Seite. Denn egal, wie sehr sie alle lieben und verlieren, wie sehr sie hoffen und verzweifeln – am Ende werden sie merken, wie ihre ganz unterschiedlichen Geschichten sie doch zu ihrem Glück führen können. »Eine charmante Liebeserklärung an Manhattan.« Publishers Weekly

Über die Autorin:

Elizabeth Noble wurde 1968 in England geboren und studierte englische Literatur in Oxford. Danach arbeitete sie einige Jahre im Verlagswesen, bis sie die Liebe zum Schreiben schließlich dazu brachte, ihre eigenen Romane zu veröffentlichen, von denen viele zu internationalen Bestsellern wurden.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane:

»Die Farbe des Flieders«

»Wo die Liebe zu Hause ist«

»All die Sommer zwischen uns«

»Für immer bei dir«

»So wie es einmal war«

»Das leise Versprechen des Glücks«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2023

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2009 unter dem Originaltitel »The Girl Next Door« bei Michael Joseph, London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2009 by Elizabeth Noble

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-555-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Elizabeth Noble

Wo die Liebe zu Hause ist

Roman

Aus dem Englischen von Gabriela Schönberger

dotbooks.

Für Mari Evans,eine in jeder Hinsicht wunderbare Frau

Geh nicht, wohin der Weg führen mag.

Geh dorthin, wo es keinen Weg gibt,und hinterlasse eine Spur ...

Ralph Waldo Emerson

Handelnde Personen

EVE GALLAGHER, Engländerin, die neue Mieterin in Apartment 7A; erst kürzlich aus Surrey, England, zugezogen

ED GALLAGHER, Eves Mann, ein ehrgeiziger junger Banker

CATH THOMPSON, Eves Schwester; Frau von Geoff und Mutter von Polly und George; Eves einzige Verwandte

VIOLET WALLACE, Apartment 4B, 78 Jahre alt, ebenfalls Engländerin; wohnt am längsten im Haus; Organisatorin des Dachterrassenkomitees

JASON KRAMER, Börsenmakler und Eigentümer von Apartment 6A

KIMBERLEY KRAMER, Jasons Frau; jetzt Hausfrau, früher Fachanwältin für Steuerrecht

AVERY KRAMER, Jasons und Kimberleys kleine Tochter

ESME, das jamaikanische Kindermädchen der Kramers

DAVID SCHULMAN, Prozessanwalt; zusammen mit seiner Frau Eigentümer von Apartment 6B

RACHAEL SCHULMAN, Davids Frau; stellvertretende Marketingchefin einer großen Kosmetikfirma und Schatzmeisterin des Beirats der Eigentümergemeinschaft

JACOB, NOAHUND MIA SCHULMAN, Davids und Rachaels Kinder, 6, 4 und 2 Jahre alt

MILENA, ihre polnische Kinderfrau

JACKSON GRAYLING III., Sohn von Jackson Grayling jr. und Martha Northup Grayling aus West Palm Beach, bewohnt das familieneigene Apartment 5A; zurzeit ohne Arbeit, 26 Jahre alt

EMILY MIKANOWSKI, Mieterin von Apartment 3A, in der Produktion des Senders NBC tätig; Triathletin, 31 Jahre alt; Amerikanerin der zweiten Generation, in Oregon geboren als Tochter polnischer Eltern

CHARLOTTE MURPHY, Mieterin von Apartment 2A, Angestellte der New York Public Library; 29 Jahre alt; irischer Abstammung, in Seattle geboren, berüchtigt für ihren schlechten Geschmack und ihren Hang zu kitschigen Liebesromanen

MADISON CAVANAGH, Mieterin von Apartment 2B, arbeitet für ein Modemagazin; wäre viel lieber Ehefrau als Zeitschriftenredakteurin – anspruchsvoll, elitär, hochnäsig

DIE FAMILIE STEWART (BOBBIE, BLAIR, TYLER, TAYLORUND ASHLEY), bewohnen das gesamte achte Stockwerk, nachdem sie die Nachbarwohnung dazugekauft und eine Wand durchgebrochen haben; Bobbie ist Hedgefonds-Manager, während seine Frau Blair, stets makellos frisiert, von Lunch zu Lunch eilt; haben sich durch den Umbau im Haus extrem unbeliebt gemacht.

MARY, die Haushälterin der Stewarts, kann ihrer Arbeit absolut keine Befriedigung abgewinnen

DIE PISCATELLAS (EARNESTUND MARIA), zwei verwaiste Eltern in Apartment 7B; die Kinder Bradley und Ariel sind im College; Earnest arbeitet für eine Versicherung, Maria ist Lehrerin im Ruhestand und Schriftführerin des Beirats der Eigentümergemeinschaft.

DIE EMERSON-COLES (TODDUND GREGORY), das schwule Paar, dem Apartment 5B gehört;Todd ist Innenarchitekt und Gregory Anästhesist in einer Kinderklinik, nebenbei ist er Sprecher des Beirats der Eigentümergemeinschaft.

DR. HUNTER STERN, bewohnt das Apartment 4A; Nachbar und langjähriger Sparringspartner von Violet Wallace; Psychiater, hat seine Praxis in der Wohnung

ARTHUR ALEXANDER, wohnt in Apartment 3C; Arthurs Vater hat einmal das ganze Haus gehört, aber mehr als diese Wohnung hat er seinem Sohn nicht hinterlassen; Arthur hasst Schwule und ist auch sonst ein komischer Kauz, den niemand im Haus leiden kann

CHE, JESUS, RAOUL, die Portiers, alle aus Kuba stammend; der Hausmeister stellt prinzipiell nur Kubaner ein

DIE GONZALEZ’ (ESTEBANUND DOLORES), der Hausmeister und seine Frau; sie kümmern sich seit fünfzehn Jahren um das Gebäude

»Grüne Lungen« – nennt man so nicht die Parks in den großen Städten? Für New York trifft das jedenfalls nicht zu. Der Central Park in New York – über dreihundertvierzig Hektar unbezahlbarer Grund und Boden in einer der Megastädte der Welt – ist nicht die Lunge der Stadt, sondern ihr Herz. Hält man sich abseits des Trubels, geht den Stadtpläne studierenden Touristen, den allgegenwärtigen Joggern und den Bretzelverkäufern aus dem Weg und bleibt stattdessen auf den gewundenen Pfaden, stößt man überall auf Parkbänke. Es sind mehr als neuntausend an der Zahl. Die Central Park Conservancy hat 1986 ein Programm aufgelegt, das den Bewohnern der Stadt ermöglicht, eine Bank zu »adoptieren« und sie einem Menschen zu widmen, den sie liebten oder noch lieben. Hier ist es, wo man das Herz der Stadt am lautesten schlagen hört. Auf einer Bank am Zoo ist ein Messingschild mit einem Heiratsantrag montiert. Freude, glückliche Erinnerungen und Dankbarkeit finden ihren Ausdruck auf den Bänken entlang der Spielplätze, am Standbild der Alice im Wunderland, gegenüber dem Karussell, um die Seen. Seit dem elften September kann einem die Lektüre der Plaketten an den Bänken die Tränen in die Augen treiben – Erinnerungen an Männer und Frauen, die zu jung aus dem Leben gerissen wurden, und an diejenigen, die sie zurückgelassen haben. »Für die Welt warst du irgendjemand, für irgendjemanden warst du die Welt.«

Für meine Bank habe ich den Cedar Hill gewählt. Hier hast du dich immer besonders wohlgefühlt. Hierher kommen im Winter die Kinder zum Schlittenfahren und erfüllen die Luft mit ihrem Lachen. Im Herbst leuchten die Bäume in den prächtigsten Farben, und im Sommer ist es schattig und nur ein paar Schritte bis zu dem Eiscremewagen an der 5th Avenue. Doch am liebsten ist mir wahrscheinlich der Frühling – voller Versprechungen und Neuanfänge. Vielleicht nicht für mich, aber für die Menschen um mich herum.

Ich habe lange Zeit darüber nachgedacht, was ich auf die Messingplakette schreiben lassen soll. Whitman oder Emerson? Puccini? Ein eigenes Gedicht?

Am Ende habe ich mich für deinen Namen entschieden. Alles andere hat mir gehört, und ich habe es in meinem Inneren aufbewahrt. Es steht nur in meinem Herzen geschrieben.

Acht Uhr morgens

Jesus, der Nachtportier, beendete allmählich seine Schicht. Bevor Raoul, seine Ablösung, kam, wischte er noch einmal den Marmorboden des Eingangsbereichs und polierte das Messinggitter der Türschwelle auf Hochglanz. Im Umkleideraum schlüpfte unterdessen der Tagesportier in seine schmucke graue Uniform, ehe er mit dem Personalaufzug alle Stockwerke abfuhr und die schwarzen Säcke mit dem Restmüll und dem sortierten Abfall einsammelte, die die Bewohner vor die Tür gestellt hatten. Im Souterrain ging der Hausmeister die Liste durch, welcher von den Bewohnern im Haus war, welcher abwesend und wer was geliefert bekam oder entsorgt haben wollte. Seit über fünfzehn Jahren hatte er das fünfzig Wochen im Jahr getan. Er und seine Frau bewohnten im Erdgeschoss im hinteren Teil des Gebäudes eine kleine Wohnung. Hier hatten sie ihre Söhne großgezogen, die mittlerweile erwachsen waren und längst eigene Wege gingen.

Im Apartment 7B gab Maria Piscatella ihrem Mann Earnest einen unschuldigen Abschiedskuss auf die Wange, als er zur Arbeit ging. Gewohnheitsmäßig strich sie sein Haar glatt, ehe sie sich dem Frühstücksgeschirr und dem vor ihr liegenden Tag zuwandte. Aus den beiden Fotografien an der Küchenwand im Format zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter lächelten ihre beiden Kinder im Talar bei ihrer Abschlussfeier auf sie herab. Maria wusste ganz genau, dass die beiden noch schlafend in ihren Betten in dem weit entfernten Studentenwohnheim lagen. Am Abend zuvor waren sie bestimmt bis spät in die Nacht aufgeblieben, hatten entweder gelernt oder gefeiert. Bradley war jetzt seit zwei Jahren aus dem Haus und Ariel seit dem vergangenen September, und die beiden fehlten ihr noch immer jeden Tag aufs Neue. Es war so ruhig in der Wohnung. Es herrschte keinerlei Unordnung. Zwei Teller, zwei Gläser, zwei Becher – mehr musste sie nicht in die Spülmaschine räumen. Nur ein Bett war zu machen, und Schmutzwäsche fiel heute überhaupt keine an. Hätte man ihr vor zehn Jahren gesagt, dass ihr das alles einmal fehlen würde, hätte sie hellauf gelacht und einen für verrückt erklärt.

Auch Mary, die Haushälterin von Blair und Bobbie Stewart in der Wohnung 8A/B, hätte hellauf gelacht. Sie war seit sechs Uhr morgens auf den Beinen, seit sie allein in dem fensterlosen Dienstbotenzimmer hinter der Waschküche aufgewacht war, wie jeden Tag seit über einem halben Jahr. Jetzt servierte sie den drei Kindern der Stewarts zum Frühstück Waffeln – für jedes Kind anders angerichtet –, während Blair ihr Instruktionen für den Tag gab und Bobbie sich darüber beschwerte, dass die Wäscherei seinen grauen Nadelstreifenanzug wieder nicht mitgeliefert hatte. Mary machte es nichts aus, wenn man ihr Anweisungen gab (sonst hätte sie wohl ihren Beruf verfehlt), aber sie mochte die Art nicht, wie Mrs Stewart es tat. Wenn sie sagte: »Putzen Sie die Waschküche«, dann fügte sie stets hinzu: »Aber gründlich, Mary«, als ob es auch anders möglich wäre oder als ob sie es jemals anders machen würde. Man hätte meinen können, dass eine Frau, die so pingelig war, was den Haushalt betraf, selbst einmal Hand anlegen würde. Aber selbstverständlich hatte Mrs Stewart ständig anderweitig zu tun. Heute hatte sie eine Einladung zu einem Businesslunch wahrzunehmen. Mary war noch nicht dahintergekommen, was ein normales Mittagessen von einem Lunch unterschied, aber sie nahm an, dass es etwas mit Geld zu tun hatte. Zuvor würde Blair in dieses Fitnessstudio an der Ecke Madison und 85th Street gehen, das sie unter der Woche jeden Tag besuchte, sich anschließend die Haare richten lassen und sich schick machen, um auszugehen und »Gutes zu tun«. Und darüber vergaß sie völlig, in ihrem eigenen Heim Gutes zu tun. Mary mochte Blair Stewart nicht. Gott weiß, sie brauchte diese Arbeit und verdiente gutes Geld, aber wenn die Kinder nicht gewesen wären, hätte sie sich schon längst etwas anderes gesucht. Die Kinder waren in Ordnung, ein wenig faul und verzogen vielleicht – aber wessen Kinder waren das heutzutage nicht?

Dr. Hunter Stern in 4A schlief noch. Vor elf Uhr vormittags bestellte er sich nie Patienten ins Haus, und da sich seine Praxis in seiner Wohnung befand, musste er nie vor halb elf Uhr aufstehen. Vor drei oder vier Uhr nachts ging er nie ins Bett und schlief stets mit Ohrstöpseln, damit der chaotische Lärm eines Manhattaner Vormittags ihn nicht aus dem Schlaf riss. Schlaftabletten vertrug er nicht, da er – wie so viele der Patienten, die er behandelte – suchtgefährdet war. Damit fiel auch Rotwein als Mittel zur Entspannung aus. Stern behalf sich mit Autobiografien, die er auf dem Sofa liegend las, wo er gewöhnlich irgendwann einnickte, den dicken Wälzer auf der Brust, der sich im Rhythmus seiner Atemzüge hob und senkte.

Auf der anderen Seite des Korridors briet sich Violet Wallace ein Spiegelei und zwei Scheiben Schinken, wie jeden Morgen in der Woche. Sie trug den Teller durch das Wohnzimmer, wo sie am Abend zuvor den Tisch mit einer Leinenserviette und Silberbesteck eingedeckt hatte, und schaltete im Radio den Auslandsfunk der BBC an. Cat, die rauchgraue Abessinierkatze, schmiegte sich an Violets Beine.

In Apartment 5B, im Stockwerk über ihr, fütterte Gregory Cole seinen schokoladenbraunen Labrador namens Ulysses, der ihm dankbar die Hand leckte, während sein Partner Todd unter der Dusche stand. Todd frühstückte jeden Tag mit seiner Assistentin Gabrielle im Büro, und so machte sich Greg nur eine Schüssel Müsli mit Joghurt, schlug die Times auf und lehnte sich an die Granitplatte der Frühstückstheke in ihrer Küche.

»Setz dich wenigstens hin zum Essen«, rief Todd aus dem Badezimmer herüber.

»Du kannst mich doch gar nicht sehen!«

»Das heißt noch lange nicht, dass ich nicht weiß, was du gerade treibst ...«

Charlotte Murphy aus Apartment 2A schaute wie jeden Morgen in den Spiegel und war wie jeden Morgen enttäuscht, dass ihr wieder nur das eigene Gesicht entgegenblickte. Jenseits der dünnen Trennwand zu 2B, die noch vor Inkrafttreten der neuen Bauordnung eingezogen worden war, erlebte Madison Cavanagh genau das Gegenteil, als sie ihr platinblondes Haar zurückwarf und sorgfältig eine weitere Schicht Mascara auf ihre Wimpern auftrug, die ohnehin bereits ihre Augenbrauen berührten.

Im Stockwerk darüber, in Apartment 3A, ließ sich die erst kürzlich eingezogene Emily Mikanowski im Vierfüßlerstand auf ihrer Yogamatte nieder und machte einen Katzenbuckel. Sie versuchte den Stapel an Kartons im Wohnzimmer zu ignorieren, die noch ausgepackt werden mussten, während Arthur Alexander, ihr Nachbar nebenan, von düsteren Träumen heimgesucht wurde. Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln, als er vor sich hin schnarchte.

Die Heizungsanlage arbeitete auf Hochtouren, und die Rohre füllten sich. Wasserkessel standen kochend auf dem Herd, und Heizkörper knarrten.

Langsam erwachte das Gebäude.

April

Eve

Four Seasons Hotel, East 57th Street

»Guten Morgen, New York!« Eds beste Robin-Williams-Stimme hallte dröhnend in Eves armem Kopf wider.

Gestern Abend war es ihnen als naheliegend, geradezu als unumgänglich erschienen, ihr neues Leben mit mehreren hinterhältigen Grey-Goose-Martinis an der Hotelbar zu begießen. Ein paar Drinks, ein spätes Abendessen, danach heißer Hotelzimmersex, sodass sie gerade mal noch fünf Stunden Schlaf abbekommen hatten. Heute Morgen sah die Sache jedoch anders aus. Die hinterhältigen Wodka-Martinis mochten durchaus ein New Yorker Modegetränk sein, aber Eve war doch noch zu sehr Engländerin aus der Provinz, genauer gesagt, aus Guildford. Und hinterhältig war genau der richtige Ausdruck für das Gebräu. Eve hatte einen schlechten Geschmack im Mund.

Der Versuch, sich das Daunenkissen über den Kopf zu ziehen und damit den hellen Sonnenschein abzuwehren, der durch die Fensterwand im zwölften Stock hereinfiel, nützte nicht viel. Auch Ed kannte kein Erbarmen, als er sein gesamtes Sinatra-Repertoire abspulte, ohne sich der Gefahr bewusst zu sein, dass sie ihm wahrscheinlich in Kürze den Hals umdrehen würde. Du sollst nicht trinken drei Cocktails auf Wodkabasis. Das elfte Gebot.

Es klingelte an der Tür. Ed war wie gewöhnlich besser in Form als sie. Um ihren Mann schachmatt zu setzen, waren mehr als drei Drinks nötig. Mit einem fröhlichen »Guten Morgen« öffnete er die Tür und ließ den Kellner mit dem Frühstück ins Zimmer, der diskret den Tisch deckte, eine Vase samt Orchidee und mehrere Teller mit silbernen Abdeckhauben daraufstellte und wieder verschwand, ohne die stöhnende weibliche Gestalt unter der Bettdecke überhaupt wahrzunehmen.

»Raus mit dir, du Weichei. Frühstück.« Ed, der bereits geduscht und angezogen war, hob den unteren Zipfel der Tagesdecke, unter dem ein nackter Fuß zum Vorschein kam. Er kniff seine Frau in den großen Zeh.

»Autsch!«

»Tee?«

»Hm.«

»Ich war nicht sicher, was du haben wolltest, und aufwecken wollte ich dich auch nicht, also habe ich einfach bestellt: ein paar Pfannkuchen, Speck, Obstsalat, Eiweißomelette ...«

»Welcher Mensch isst schon Eiweiß pur? Das Eigelb ist doch das Einzige, was schmeckt.«

»Und das Einzige am Ei, was dich umbringt ...«

Mürrisch setzte Eve sich auf und nahm gnädig die Tasse Tee entgegen, die Ed ihr hinhielt. »Es geht schon los ...«

»Was geht los?«

»Dass du zum Amerikaner mutierst und Jagd auf Cholesterinsünder machst.«

Ed lachte.

»Dann vermute ich mal, dass du die Pfannkuchen und den Speck haben willst?«

»Hopp oder topp.« Eve kam an den Tisch und spähte unter die silberne Haube an ihrem Platz.

»Ich hoffe doch – topp. Wir haben anstrengende Tage vor uns ...«

Ed prostete ihr mit dem Orangensaft zu und stieß mit dem Glas gegen Eves Tasse.

»Auf unser neues Haus!«

Nur war es leider kein Haus. In ihrem vorherigen Leben hatten Eve und Ed in einem Haus gewohnt, das einen Namen trug, in einer Straße mit einem Namen. Zu dem Haus gehörten ein Garten, eine Auffahrt und eine Garage für ihren Wagen. Ed hatte im Garten einen Werkzeugschuppen. Eve hatte einen Job und lebte nur fünfundzwanzig Minuten Fahrt von ihrer Schwester, ihren Nichten und Neffen, entfernt.

Das war früher gewesen, und jetzt waren sie hier. Eve nahm ihre Tasse Tee mit ans Fenster und sah hinaus auf die grauen Hochhäuser und den tiefblauen Himmel. Aus den Gullydeckeln dampfte es, ganz wie in Filmen. Sie kam sich selbst wie in einem Film vor – sie wurde dieses Gefühl einfach nicht los. Doch das hier war echt. Das war das richtige Leben! Sie waren hier ...

Zwei Pfannkuchen, drei Scheiben knusprigen Frühstücksspeck, vier Tassen Tee und eine Viertelstunde unter der Dusche später fühlte Eve sich wieder als Mensch. Zumindest annähernd. Als sie aus dem Bad kam, das größer war als ihr Schlafzimmer zu Hause, war Ed am Telefon; es ging offensichtlich um die Arbeit. Stirnrunzelnd sah sie ihn an. Heute war ihr Tag.

Ed hob die Hand in einer versöhnlichen Geste und zuckte entschuldigend die Schultern, sprach aber weiter: »Ja, sicher, ja.« Und nach einem Blick auf seine Uhr fügte er hinzu: »Ich bin in einer halben Stunde da. In maximal einer Dreiviertelstunde. Großartig.« Nachdem er aufgelegt hatte, setzte er sich neben sie auf das Bett und legte einen Arm um ihre Schultern.

Vorwurfsvoll sah sie ihn an. »Du hast es versprochen.«

»Ich weiß. Ich werde auch nicht den ganzen Tag dort bleiben, ich verspreche es. Nur ein paar Stunden.«

Keiner von beiden mochte so recht daran glauben.

»Du solltest wenigstens dabei sein, wenn wir die Schlüssel abholen.« Das hieß, um drei Uhr nachmittags.

»Ganz klar.« Ed schlüpfte in sein Jackett. »Wir treffen uns dort.«

»Okay.«

Ed umfasste Eves Gesicht mit beiden Händen und küsste sie innig. »Ich werde heute Abend in jedem Zimmer mit dir schlafen.«

Eve krauste die Nase und kicherte. »Angeber. Nur gut, dass es eine klassische Drei-Zimmer-Küche-Bad- und keine Fünf-Zimmer-Wohnung ist.«

»Du mit deinem New Yorker Makler-Slang.«

»Oh, ich kenne mich mit jedem Kauderwelsch aus.«

Ed versetzte ihr einen Klaps auf den Hintern. »Und nur, damit du es weißt, ich traue mir auch eine Fünf-Zimmer-Wohnung zu, wenn nicht gar eine Doppelhaushälfte.«

Eve lachte. Wahrscheinlich war ihm das tatsächlich zuzutrauen. Als sie in ihr Cottage gezogen waren, hatte er seine Männlichkeit in jedem Raum unter Beweis gestellt, sogar auf dem Tisch im Vorraum und unter der Dusche, wenngleich Eve zugeben musste, dass sie nur noch halbherzig bei der Sache gewesen waren, als sie zum Abschluss in die alte Speisekammer mit der eiskalten Arbeitsplatte aus Marmor gestolpert waren. Eve hatte Ed das Versprechen abgenommen, dass sie von nun an jedes neue Heim auf diese Weise einweihen würden, auch die Seniorenresidenz, in der sie zweifellos enden würden. Er hatte es nicht vergessen.

Noch ein rascher Kuss, ein bedauerndes Seufzen, und dann war er fort.

Wieder zurück ins Bett, wenigstens für eine Weile.

Eve konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich hier war. Alles war so schnell gegangen. Noch vor vier Monaten hatte nichts darauf hingewiesen. Vor vier Monaten hatte sie durch das Fenster in ihren Garten und auf die Beete, die sie im Jahr zuvor angelegt hatte, hinausgesehen und den Frühling herbeigesehnt. Sie hatte diesen Garten geliebt, auch das Haus. Ihr erstes eigenes Haus, ein Cottage mit drei Schlafzimmern in einem Dorf vier Meilen vom Stadtzentrum entfernt. Der Kauf hatte fast ihre gesamten Ersparnisse verschlungen, und es musste noch viel daran gemacht werden. Das alte Paar, von dem sie es gekauft hatten, hatte in zwanzig Jahren nicht ein einziges Mal renoviert. Und so war Eve an den Wochenenden zu einer fanatischen Heimwerkerin mutiert. Sie lernte alte Tapeten abzureißen und Fliesen zu verlegen und zu verfugen. Im Verlauf von ein, zwei Jahren hatte sie den Achtzigerjahrecharme verschwinden lassen und dafür ein Heim geschaffen, wie sie es liebte – mit weißen Wänden und tiefen Sofas. Am schönsten war der Garten geworden, und das war die größte Überraschung für sie. Zuvor hatte Eve nicht die geringste Notiz vom Wechsel der Jahreszeiten genommen. Sie hatte im Haus ihrer Eltern gewohnt und den Garten dort nur zum Spielen und Faulenzen genutzt. In der Zeit danach, in Studentenbuden und Mietwohnungen, war Clapham Common die einzige Grünanlage, die sie an den paar heißen, sonnigen Tagen interessiert hatte – die restlichen dreihundertsechzig Tage im Jahr ignorierte sie den Park. Die erste Tasse Tee des Tages trank Eve auf der kleinen Veranda vor der Küche, wo sie das ganze Jahr über fast täglich den Anblick des Gartens genoss, seine Geräusche und Gerüche.

Auch an jenem Tag hatte sie draußen auf der kleinen Terrasse gestanden, als Ed nach Hause gekommen war. In seiner Barbourjacke, eine bunt geringelte Wollmütze auf dem Kopf, die sie seit ewigen Zeiten besaß und die Ed nur den »Teekannenwärmer« nannte, schlürfte sie einen Becher Earl Grey, während sie ihre Beete inspizierte und von Blumenzwiebeln träumte. Eve war bereits eine Stunde vor Ed zu Hause, der in London arbeitete und auf den unregelmäßig fahrenden Zug angewiesen war. Sosehr sie ihren Mann auch liebte – dies war ihr die liebste Zeit des Tages: Allein und nach einem (meistens) befriedigenden Arbeitstag hatte sie Zeit genug, ihr neues Zuhause zu genießen, in Ruhe das Fleisch für das Abendessen zu marinieren oder ein paar Äste zu stutzen.

An diesem Tag kam Ed später als üblich nach Hause. Sie roch das Bier in seinem Atem, als er sie küsste. »Evie.« Sie mochte es, wenn er sie Evie nannte. Das hatte er von Anfang an getan, und er war der einzige Mensch auf der Welt seit ihrer Mutter.

»Du hast getrunken!«

»Tut mir leid, Mum. Nur ein Glas.«

»Mit wem?« Herausfordernd stemmte sie die Hände in die Hüften, lächelte aber.

»Mit den Jungs aus der Arbeit.« Für Eve waren die »Jungs« ein gestaltloser Haufen Männer, von denen sie den einen oder anderen wahrscheinlich schon einmal kennengelernt hatte – bei der Weihnachtsfeier, beim Familienbetriebsausflug im Sommer (und der Preis für den Tag mit dem irreführendsten Namen geht an ...), aber sie konnte den Gesichtern keine Namen zuordnen: Ben, Dan, Tom, Dave, Tim ... und wie immer sie alle hießen.

»Dann hattest du also einen schönen Tag?«

»Einen großartigen Tag.«

Eves Neugier war geweckt. »Wie das?«

»Komm rein, Baby. Hier ist es ja eiskalt. Ich muss mit dir reden.« Rückwärts auf die Tür zugehend, zog Ed sie an beiden Händen ins Haus. Sie ließ es geschehen. In der Küche ging Ed an den Kühlschrank und holte eine Flasche Wein heraus. »Wir haben was zu feiern.« Er nahm zwei Gläser aus dem Abtropfgestell und schenkte ihnen ein.

»Was?!«

»Ich habe einen neuen Job. Ich bin befördert worden.«

»Ed! Das ist ja fantastisch! Ich wusste gar nicht, dass du an der Reihe bist ...«

»Ich auch nicht. Na ja, ich war mir jedenfalls nicht sicher.«

Eve nahm die beiden Gläser und hielt ihm eines hin. »Du Überflieger. Prost.«

»Prost, Evie.« Sie tranken beide.

Eve zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, ohne ihren Mann aus den Augen zu lassen. Er sah so glücklich aus. »Erzähl mir alles.«

»Das Beste habe ich dir noch gar nicht gesagt ...«

»Bekommst du mehr Geld?!« Eine Gehaltserhöhung wäre großartig. Sie könnten sie wirklich gebrauchen, um ihre Hypothek abzubezahlen ... in den letzten paar Jahren war jeder Cent Bargeld in den B&Q-Baumarkt gewandert ...

»Ja, eine Gehaltserhöhung, eine ziemlich beachtliche sogar. Aber das meine ich nicht.« Ed riss die Augen auf und grinste sie an.

Spielerisch trommelte sie mit beiden Fäusten auf seine Brust. »Hör auf, mich so auf die Folter zu spannen, du Mistkerl. Was ist es?«

»Der Job ist in ... NEW YORK!« Und dabei wedelte Ed mit den Händen und rollte mit den Augen. Er sah merkwürdig komisch aus. Die ganze Situation hatte etwas Surreales an sich.

»Was?«

»New York. Der Job ist in unserem New Yorker Büro in Manhattan. Für zwei Jahre, vielleicht länger, wenn wir wollen. New York, Evie! Verdammt noch mal! Ist das zu glauben?«

Eve hatte das Gefühl, als bekäme sie keine Luft mehr. Ihre Wangen brannten plötzlich.

Ed blieb, die Hände in der Bewegung erstarrt, vor ihr stehen. »So sag doch was. Du bist ja stumm wie ein Fisch.« Dabei spitzte er die Lippen und machte einen Fischmund. »Sag doch was ...«

»Wow.«

Er schüttelte sie sanft an den Schultern. »Irgendetwas anderes.«

»New York.«

»Ein ganzer Satz wäre nicht schlecht ...«

»Hast du den Job angenommen?«

Ein kleiner Schatten huschte über Eds Gesicht. »Na ja ... natürlich habe ich ihnen gesagt, dass ich zuerst mit dir reden muss, aber ...«

»Aber?«

»Aber ich habe gemeint, dass du sicher begeistert sein wirst, diese Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen. Das bist du doch, oder? Wir haben schließlich schon mal über diese Möglichkeit gesprochen ...«

»Ja, wir haben darüber gesprochen, ein einziges Mal vor vielen Jahren.«

»Aber damals warst du doch nicht abgeneigt, oder?«

»Na ja, nein ...«

»Und daran hat sich auch nichts geändert, oder?«

»Da ist das Haus ...«

War das Unmut, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete? »Das Haus werden wir natürlich behalten, Evie. Selbstverständlich.«

»Ich liebe dieses Haus.« Sogar in ihren eigenen Ohren hörte sie sich kleinlaut an.

»Das weiß ich doch. Ich mag das Haus auch sehr. Wir werden es einfach behalten, Evie. Die Firma mietet drüben eine Wohnung für uns an, da habe ich mich schon erkundigt. Wir haben von dem Umzug wirklich nur Vorteile und werden viel besser dran sein. Wir vermieten das Haus, und die Mieter werden unsere Hypothek für uns abbezahlen. Und dann kommen wir wieder hierher zurück.«

»Versprochen?«

Ed kniete sich neben ihren Stuhl und schlang beide Arme um ihre Hüften. »Du klingst nicht so begeistert, wie ich mir das vorgestellt habe, Evie.«

Sie lehnte kurz ihren Kopf an den seinen. »Ich bin nur ... das kommt etwas plötzlich ... es ist irgendwie ein Schock für mich, mehr nicht.«

»Es sollte kein Schock, sondern eine Überraschung sein, eine wunderbare, verdammt grandiose Überraschung.« Er strich über ihr Haar. »Hey, Evie. Wir können uns mit der Entscheidung so lange Zeit lassen, wie du willst. Wir können auch nein sagen.«

Sie betrachtete sein schönes Gesicht und versuchte dahinterzukommen, ob er es ehrlich meinte oder nicht. Sie wusste genau, dass sie nicht von ihm verlangen würde, abzulehnen.

Eve war sich nicht mehr sicher, wann sie beschlossen hatten, dass Ed eine Karriere und sie einen Job haben würde, oder wer das beschlossen hatte. Doch sie wusste, dass es so war. Und deshalb war ihr auch klar, dass sie nach New York gehen würden.

Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, sich mit dem Gedanken anzufreunden.

Vier Monate später war sie also hier und hatte sich (fast) vollständig mit dem Gedanken angefreundet. Und sie schämte sich sogar (fast) ein wenig über ihre anfängliche Reaktion. Das war nicht sehr mutig von ihr. Ein riesiges Abenteuer wartete auf sie, eine fantastische Gelegenheit in der aufregendsten Stadt der Welt. Eigentlich wäre Eve gern die Art von Frau gewesen, die sich kopfüber ins Leben stürzt – eine Frau, die, ohne zu bremsen, auf dem Fahrrad den Berg hinabfährt, die in der Achterbahn grundsätzlich im vordersten Wagen sitzt und die in jedes Karaoke-Mikrofon singt. So eine Frau hatte sie immer sein wollen. Und jetzt konnte sie das beweisen. Hier war der perfekte Ort dafür. Und heute war ein guter Tag, um damit anzufangen ...

Vielleicht sollte sie damit anfangen, indem sie ihre Schwester anrief. Cath war immer schon so eine Frau gewesen. Irgendwie erschien es Eve absurd, dass sie hier und Cath in England war, verheiratet mit einem Mann namens Geoff, der manchmal ziemlich behäbig sein konnte. Wer wusste schon, was passierte, wenn es zwischen zwei Menschen funkte? Manchmal ergab das überhaupt keinen Sinn.

Cath meldete sich beim dritten Klingeln. Sie klang völlig außer Atem.

»Ich bin’s, Eve.«

»Eve! Wie geht es dir? Alles in Ordnung?«

»Ach, du weißt doch, immer dieser Stress im Four Seasons. Immer diese Entscheidungen. Was soll man essen? Soll ich mich im Spa massieren lassen? Allein die Kopfkissenauswahl überfordert einen vollkommen ...«

»Halt den Mund. Ich kratze mir gerade Kacke aus den Fingernägeln.«

»Das ist ja widerlich. Wie geht’s den kleinen Hosenscheißern?«

»Sie stinken und kreischen und sind einfach zum Knuddeln.«

»Ja, einen höre ich.«

»Das ist George. Er will unbedingt die Cheerios ins Auto mitnehmen. Deshalb habe ich auch nicht viel Zeit, Schwesterherz. Die übliche Hatz zur Schule, du weißt schon.«

»Daran habe ich nicht gedacht.«

»Kein Problem. Ich vergesse es selbst oft, und das ist viel schlimmer. Aber einen Moment Zeit habe ich schon. Also, wie ist es wirklich?«

»Wie es wirklich ist? Gewöhnungsbedürftig. Ed ist ins Büro gefahren, obwohl er eigentlich den ganzen Tag hätte freihaben und mir helfen sollen, und ich stelle gerade mit Entsetzen fest, dass ich hier nicht eine Menschenseele kenne. Ich bin ganz auf mich allein gestellt, bis Ed später nachkommt.«

»Geh shoppen. Kein Mensch kann sich bei Bloomingdale’s einsam fühlen. Die Visa Card – dein bester Freund.«

Eve lachte. »Wahrscheinlich hast du recht.«

»Wann könnt ihr denn einziehen?«

»Heute Nachmittag bekommen wir die Schlüssel. Die neuen Möbel sollen morgen kommen – die Sachen aus England sind angeblich bereits letzte Woche vom Zoll freigegeben worden, aber das muss ich noch nachprüfen. Also ziehen wir heute sozusagen offiziell ein, auch wenn wir noch ein paar Tage im Hotel schlafen werden.«

»Es gibt wohl keinen Zimmerservice in der Wohnung, nehme ich an.«

»In unserem Apartment? Nein!«

»Hör mal, Süße, ich muss jetzt wirklich los. Ruf doch später an und erzähl mir noch mal, wie toll drüben alles ist, ja?«

»Klar, mache ich. Grüß alle lieb von mir.«

»Grüße zurück. Du fehlst uns allen ganz schrecklich, Eve.«

Auch Eve vermisste ihre Schwester. Sie konnte sich das Chaos um Cath in dem Moment bestens vorstellen: George mit einem Plastikbecher voller Cheerios und seiner widerspenstigen blonden Tolle, die unordentliche Küche voller ungelesener Zeitungen und klebriger Marmeladengläser, mittendrin Cath, schlank und rank und ganz die schicke Vorstadtmami.

Plötzlich überwältigt von Selbstmitleid schniefte Eve ein paarmal laut und griff nach der Fernbedienung. Schwester Hathaway und Dr. Doug Ross waren mitten im schönsten Streit. Eve verlor sich in der Welt von Emergency Room, schlief schließlich wieder ein und wachte erst auf, als der Abspann lief.

Apartment 6A

Avery Kramer stellte wie üblich brüllend ihre Forderungen. Sie sah aus wie ein Engel, aber im Moment war sie so wenig engelsgleich, wie ein blond gelocktes, blauäugiges kleines Mädchen nur sein konnte. Das Blau der Augen war eisig, und die dicht bewimperten Lider verengten sich in kalter Wut. Die Kleine saß auf einem hohen Kinderstuhl, die Beine weit gespreizt, als wollte sie einen zum Stolpern bringen, und forderte eine neue Frühstücksvariante. Hinter ihr im Spülbecken stapelten sich bereits die Teller mit den verweigerten Angeboten. Sie hatte unbedingt Arme Ritter haben wollen, die Süßspeise dann aber verschmäht, sie hatte ein gekochtes Ei verlangt, es aber beim ersten Eintauchen des gebutterten Toasts verächtlich beiseitegeschoben. Jetzt schien sie unbedingt Cheerios, aber ohne Milch, haben zu wollen. Ihre Mutter Kimberley griff nach der Cornflakes-Schachtel und redete dabei die ganze Zeit über mit der Singsang-Märchentanten-Stimme auf Avery ein, die Jason schon nicht mehr hören konnte. Er nestelte an seiner Krawatte, warf einen Blick auf die häusliche Hölle und fragte sich, wie ihr Leben so hatte schieflaufen können. Sein erster Termin war erst gegen zehn Uhr, aber er hielt es jetzt schon nicht mehr zu Hause aus. Er hauchte einen Kuss auf den Hinterkopf seiner Tochter und verabschiedete sich mit einem zackigen, fast militärischen Gruß von Kim, ohne ihr jedoch näher zu kommen.

»Bis heute Abend dann!« Er klang fröhlicher, als ihm zumute war.

»Willst du heute Abend was zu essen?«, fragte Kim, ohne ihren Mann anzusehen.

Was sollte diese Frage? Wer würde abends nicht etwas zu essen haben wollen? Warum vermittelte seine Frau ihm das Gefühl, dass der Wunsch nach einem Abendessen eine Unverschämtheit war, sollte er es wagen, diese tägliche Frage zu bejahen? Er frühstückte bereits an seinem Schreibtisch. Er war den ganzen Tag über außer Haus. Seine Hemden und Anzüge wurden in die Wäscherei gebracht. Er wollte doch nur abends etwas zu essen haben.

»Nein, ich bin zum Mittagessen verabredet. Ich mache mir dann ein Sandwich.«

»Gut. Ich muss heute nämlich einiges erledigen.«

Was denn erledigen, in Gottes Namen? Selbstverständlich stellte er die Frage nicht laut.

»Sag auf Wiedersehen zu Daddy, Avery.«

Sie nannte ihn schon lange nicht mehr Jason. Sie nannte ihn Daddy, wenn Avery wach und in der Nähe war, und wenn nicht ... dann sparte sie sich jede Anrede.

Die Tür zur Wohnung der Schulmans öffnete sich in dem Moment, als Jason seine Tür hinter sich schloss. Der Korridor zwischen den beiden Wohnungen im sechsten Stock war ungefähr drei Meter breit, und Jason konnte Rachael Schulmans Parfüm riechen, noch ehe er sie sah. Es war nicht einer dieser aufdringlichen chemischen Düfte, sondern blumig und weich und sehr kultiviert. So wie Rachael Schulman.

Sogar ihre Kinder waren perfekt. Jacob, Noah und Mia Schulman standen schlaftrunken im Pyjama in der Tür, um sich von ihren Eltern zu verabschieden, hinter ihnen ihr Kindermädchen. Mia sah aus wie ein Buschbaby, wie sie da so winzig und mit großen braunen Kulleraugen zwischen ihren älteren beiden Brüdern stand. »Wir haben dich lieb, Mama, wir haben dich lieb, Daddy.«

»Wir haben euch auch lieb. Bis heute Abend.« Immer dieses »wir«. Neid schnürte Jason die Kehle zu.

David klopfte Jason auf den Arm. »Morgen.«

»Alles klar?« Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie traten ein. Rachael drückte mit dem manikürten Zeigefinger der linken Hand, an der ein diamantbesetzter Ehering funkelte, auf die Taste für das Erdgeschoss.

»Wie geht es Kim und Avery?«, erkundigte sich Rachael, und ihr breites Julia-Roberts-Lächeln enthüllte ihre gleichmäßigen weißen Zähne.

Sie gehen mir auf die Nerven, hätte er am liebsten geantwortet. Laut sagte er: »Es geht ihnen gut.« Eine Pause und Schweigen bis zum nächsten Stockwerk. Rachael wischte in einer dezent besitzergreifenden Geste ein paar Fusseln von Davids Schulter. Jason hüstelte. »Ist das Wetter momentan nicht großartig?« Gott, banaler ging es wohl nicht mehr.

»Großartig. Der Winter hat sich wirklich lange hingezogen. Wir werden dieses Wochenende aufs Land fahren. Es tut so gut, mal wieder die Sonne auf der Haut zu spüren.«

Rachaels Haut. Sogar den Winter hindurch hatte sie immer einen goldenen Schimmer und war glatt wie Seide. So wie die Haut junger Mädchen in der Werbung für Bodylotion.

»Ihr müsst unbedingt mal übers Wochenende rauskommen. Mia und die Jungs würden sich freuen, Avery zum Spielen zu haben.«

David nickte zustimmend. »Ja, das müssen wir unbedingt mal organisieren.«

Jason konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Auf dem Land würde Rachael einen Badeanzug tragen, einen Bikini vielleicht, und er würde mehr Haut von ihr zu sehen bekommen als je zuvor. Im vergangenen Sommer hatte Rachael in ihren kurzen Shorts wochenlang seine Träume beflügelt. Rachael in einem Bikini ... er spürte, wie sein Herz zu rasen begann.

Der Aufzug hatte das Erdgeschoss erreicht. Che, der Portier, wischte am Ende seines Nachtdienstes den Fußboden. Jason tastete in seiner Jackentasche nach der Monatskarte für die U-Bahn und verabschiedete sich mit einem Winken von Rachael und David, die in die Limousine stiegen, die sie jeden Morgen abholte und in ihre jeweiligen Büros in Downtown brachte.

Es war ein wunderschöner Morgen – der Himmel über New York erstrahlte in klassischem Blau.

In der Limousine mit Klimaanlage legte David eine Hand auf Rachaels Knie. »Hast du das ernst gemeint?«

»Was?«

»Dass die Kramers mit uns aufs Land fahren sollen?«

»Hätte ich das nicht vorschlagen sollen?«

David zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Er wirkt in der letzten Zeit immer so ... so verschlossen. Und sie ist so was von verkrampft.«

»Sie ist in permanenter Habachtstellung wegen Avery. Das erste Kind – das ist alles.«

»Ich kann mich nicht erinnern, dass du bei Jacob auch so gewesen bist ...«

»Du bist befangen. Ich glaube, das könnte ganz lustig mit ihnen werden. Außerdem tut er mir leid. Er kommt mir immer so traurig vor.«

»Mir kommt er verschlossen, dir traurig vor.«

»Du bist einfach von Natur aus misstrauisch.«

»Und du bist von Natur aus zu gutmütig.«

Rachael lachte. David drückte ihr Knie. »Gut. Dann lade sie ein. Ich wette, dass Kim ablehnt. Es ist viel zu gefährlich auf dem Land. Steckmücken, Zecken.«

»Bären!«, fügte Rachael lachend hinzu.

»Bären. Genau. Avery könnte von einem Bären attackiert werden. Sie kommt bestimmt nicht mit.«

Apartment 5A

Jackson öffnete die Augen einen Spalt breit, irritiert und gereizt von dem hellen Licht, das durch die Jalousien in seinem Schlafzimmer drang, und drehte den Kopf, um auf seinen Wecker zu schauen. Acht Uhr. Mann, er war gerade mal seit drei Stunden im Bett. Er konzentrierte sich auf seinen linken Fuß, der am Bettende unter der Decke hervorschaute. Fuchsienfarbene Zehennägel. Gestern Abend war ihm das als gute Idee erschienen, oder besser gesagt, heute Morgen. Seine Mutter hatte eine Flasche Nagellack am Waschbeckenrand stehen lassen, als sie letzte Woche, eingehüllt in eine Wolke aus Hermès, in seine Wohnung geschwebt war. Jackson hatte sich Wiederholungen von alten Realityshows angesehen, Bier getrunken und irgendwann den Nagellack entdeckt. Er hatte sich gelangweilt ... Eigentlich nicht seine Farbe, wie er jetzt sah. Er fragte sich, ob seine Mutter auch ein Fläschchen Nagellackentferner dagelassen hatte. Wahrscheinlich nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Martha Northup Grayling eigenhändig ihren Nagellack entfernte, ebenso wenig wie er es sich vorstellen konnte, dass sie sich Tee machte oder sich die Haare selbst föhnte. Den Nagellack hatte sie sicher nur zum Ausbessern dabeigehabt. Gott bewahre, dass sie in der Öffentlichkeit mit abgeblättertem Nagellack auftreten würde. Eine Frau wie sie betrat sogar das Fitnessstudio nur perfekt geschminkt. Jackson fühlte sich zu wach, um sich noch einmal auf die Seite zu rollen. Er tastete auf dem Nachttisch nach der Marlboropackung und seinem Zippofeuerzeug mit den eingravierten Initialen, zündete sich eine Zigarette an, ohne den Kopf vom Kissen zu heben, und nahm einen tiefen Zug.

Aus dem Korridor drang vom Dienstboteneingang her das Scheppern von Glas an sein Ohr. Der Portier sammelte die leeren Flaschen und die schwarzen Müllsäcke ein. Verdammter Lärm. Schon möglich, dass die anderen bereits auf den Beinen waren, aber er war noch nicht so weit.

Weswegen sollte er überhaupt aufstehen? Für Jackson Grayling III. gab es keine tägliche Tretmühle. Kein Job zwang ihn unter die Dusche und in die U-Bahn. Ihn plagten keine Hypothek und keine Rechnungen. Bisher war er weder faktisch noch im übertragenen Sinn aufgewacht und hatte erkannt, dass ein Leben ohne all das im Grunde kein Leben war.

Er war zufrieden mit seinem Dasein. In dem Bestreben, nicht länger mehr unter einem Dach mit ihrem antriebslosen Sohn leben zu müssen, hatten seine Eltern ihm vor ein paar Jahren dieses Apartment zur Verfügung gestellt. Ihr Hauptwohnsitz, eine schrecklich protzige Villa, lag aus steuerlichen Gründen in West Palm Beach, Florida. Darüber hinaus besaßen sie außer einem Anwesen auf den Bahamas und einem Chalet in den europäischen Alpen noch Domizile in mindestens vier weiteren amerikanischen Städten und verbrachten dort – nach Vorgaben ihrer Steuerberater – regelmäßig ihre Zeit. Jackson hatte seine Kindheit im Stadthaus seiner Eltern – mit Garage und Dachterrasse – an der Upper East Side verbracht, doch das hatten sie vor einigen Jahren verkauft und dafür eines der neuen Apartments im Plaza Hotel erworben, das zur Hälfte in Privatwohnungen umgewandelt worden war. Seine Mutter machte deswegen immer eine witzige Anspielung und nannte sich »Eloise, wie im Roman«, wenn sie anderen Leuten davon erzählte. Jackson hatte das Stadthaus sehr gemocht und würde dort noch immer liebend gern wohnen, hätte man es ihm erlaubt. Das Apartment im Plaza hingegen verabscheute er von Herzen und ließ sich dort nur blicken, wenn er hinzitiert wurde. Sein Vater schien auch nicht sonderlich scharf darauf zu sein, weder auf das Plaza im Besonderen noch auf New York generell. Martha hielt sich folglich oft allein oder in Gesellschaft ihrer Freundinnen aus dem Süden dort auf, von denen eine aussah wie die andere, während Jacksons Vater Golf spielend, segelnd oder steuergestaltend unterwegs war. Es war Jahre her, dass Jackson seinen Vater oder seine Mutter auf einem Festnetzanschluss erreicht hatte. Er wusste nie, wo sie gerade waren, und hatte es ziemlich satt, ihren jeweiligen Aufenthaltsort von Haushälterinnen erfahren zu müssen. Nicht dass er sie auf ihren Handys oft angerufen hätte. Sie hatten alles getan und sich das Leben so eingerichtet, dass er so wenig wie möglich in diese Verlegenheit kam.

Der größte Teil seines Kapitals war selbstverständlich in einem Treuhandfonds angelegt. So dumm waren seine Eltern auch wieder nicht, Jackson den Löwenanteil seines Vermögens vor seinem dreißigsten Geburtstag zu überlassen. Sie hatten seine jetzige Wohnung gekauft, und dann waren seine Mutter und ihr Innenarchitekt aus Palm Beach eingeflogen und hatten das zuvor eher konventionell eingerichtete Apartment so umgestaltet, wie eine Frau um die fünfzig und ein schwuler Kubaner sich die Stadtwohnung eines jungen Mannes vorstellten. Jetzt sah es darin aus wie in einem Showroom von Ralph Lauren, aber Jackson störte das wenig, und den Frauen schien es zu gefallen. Die monatlich anfallenden Kosten für Wartung, Strom und Heizung wurden direkt über das Büro seines Vaters abgerechnet; Jackson hätte nicht einmal zu sagen gewusst, wie hoch sie waren. Natürlich hatte er vor seinem Einzug der Eigentümergemeinschaft Rede und Antwort stehen müssen. Sein Vater hatte ihm Blazer und Krawatte aufgezwungen, und seine Mutter hatte ihn im Fahrstuhl auf dem Weg hinauf in den fünften Stock davor gewarnt, ja nicht alles zu vermasseln, indem er einen seiner dummen Witze über nächtliche Partys und Schlagzeugsolos riss. Doch Jackson war kein Idiot, er konnte durchaus mitspielen, wenn es darauf ankam. Er wusste alle Register zu ziehen und hatte jede Rolle parat – Absolvent des ehrwürdigen Duke-Colleges, wie vor ihm fünf Generationen männlicher Mitglieder seiner Familie, Staatsbürger mit Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft gegenüber, nachdenklicher Erbe vor der schwierigen Entscheidung, in welchen Zweig des Familienunternehmens er einsteigen sollte –, sogar über Sport konnte Jackson sich unterhalten, auch wenn er nur Basketball spielte, und das auch nur höchstens ein Mal im Monat auf einem der Plätze unter dem West Side Highway unten am Fluss. Im Großen und Ganzen wusste er sich tatsächlich zu benehmen – zumindest in den eigenen vier Wänden. Der Nachtportier hätte vielleicht die eine oder andere Geschichte über ihn erzählen können, aber die Kramers über ihm und Dr. Stern unter ihm hatten keinen Grund zur Klage. Falls der Sprecher der Eigentümergemeinschaft, den er von Zeit zu Zeit auf dem Gang vor ihren Wohnungen mit seinem Freund traf, es bedauern sollte, ihn genommen zu haben, so ließ er sich nichts anmerken.

Jackson bekam von seinem Vater monatlich eine bestimmte Summe für seinen Lebensunterhalt überwiesen, und für Notfälle hatte er immer noch die Black Card von American Express (sein Vater und er hatten zwar unterschiedliche Auffassungen von einem Notfall, aber normalerweise kam Jackson damit durch). Zudem finanzierte ihm sein Vater eine Zugehfrau, die zwei-, dreimal in der Woche die wichtigsten Lebensmittel besorgte, anschließend seine Wohnung wieder auf Vordermann brachte und die angefallenen Abfälle entsorgte.

Einige Male im Jahr wurde Jackson, mit wachsender Verzweiflung seitens seiner Eltern, einem eingehenden Kreuzverhör über seine Zukunftspläne unterzogen – an Weihnachten, Thanksgiving und am Volkstrauertag. Zwischen diesen Begegnungen hatte er Zeit, sich Antworten zu überlegen, die auch für seine Ohren plausibel klangen – nach dem Motto: Er würde sich mal auf diesem oder jenem Gebiet umsehen, mit gewissen Leuten über dieses oder jenes reden, eventuell noch ein Studium anhängen. Darüber hinaus überlege er sich, was er der Menschheit Gutes tun könne ... Das kam immer gut an.

Seine Mutter konnte Jackson leichter um den Finger wickeln als seinen Vater. Er war ihr einziges Kind. Sie glaubte ihm jedes Wort und bedachte ihn dabei aus großen Augen mit einem Blick voller Bewunderung und Liebe. Jack 2, wie er, sehr zu dessen Missfallen, seinen Erzeuger nannte, war nicht so leicht zu besänftigen. Dieser rühmte sich, eine gute Nase für jede Art von Ammenmärchen zu haben, und es bereitete ihm nicht das geringste Vergnügen, diese in Gegenwart seines einzigen Kindes ständig überstrapazieren zu müssen.

An amerikanischen Maßstäben gemessen, war das Vermögen der Familie altes Geld. Jacksons Ururgroßvater hatte Mitte des neunzehnten Jahrhunderts damit begonnen, es in größeren Mengen anzuhäufen. Zur Zeit des Bürgerkriegs war er bereits sehr reich gewesen, und obwohl er aus dem Süden stammte, hatte er es irgendwie geschafft, aus diesem Konflikt noch reicher hervorzugehen. Es waren düstere Zeiten gewesen. Moralisch gesehen hatten die Graylings mehr als eine Leiche in ihrer Familiengruft versteckt, aber das zwanzigste Jahrhundert hatte einen Schleier der Ehrbarkeit über sie gebreitet, und als Jackson ins College ging, studierte er bereits in Gebäuden, die den Namen seiner Familie trugen. Sein Vater hatte sein ganzes Leben lang damit verbracht, das Geld der Familie zu verwalten, und es durch seine Eheschließung mit Martha, deren eigenes Vermögen aus der Pferdezucht stammte, noch weiter vermehrt. Jackson wusste, dass seine Eltern sich nichts sehnlicher wünschten, als dass er eines Tages seine Nachfolge antreten würde. Die Vorstellung langweilte ihn so sehr, wie nur ein wahrhaft Privilegierter sich langweilen konnte, und das Geld, das er sein ganzes Leben lang mit beiden Händen ausgegeben hatte, interessierte ihn nicht im Mindesten. Dies brachte seinen Vater zur Weißglut, und das war das Schönste daran. Letztes Jahr an Weihnachten hatte sein Vater die Beherrschung verloren wie selten zuvor und ihn als »nichtsnutzigen Faulenzer« beschimpft; Jackson tat sein Bestes, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Obwohl seine Mutter aus einer erfolgreichen Pferdezüchterdynastie stammte, war es ihr nicht gelungen, mehr als ein Kind zur Welt zu bringen – ihn. Wie hatte Jackson sich nach einem Bruder oder auch einer Schwester gesehnt, die ihren Verpflichtungen nachgekommen und die Nachfolge seines Vaters angetreten hätten, sodass man ihn in Ruhe gelassen hätte.

Apartment 2A

Madison klopfte an Charlottes Tür. »Hey, Charl!«

Charlotte zog ihren Morgenmantel aus Frotteeplüsch enger um sich und entriegelte umständlich die drei Schlösser an ihrer Tür. Draußen stand Madison in grellem Pink und weißem Lycra – ärmelloses Top und kurze Shorts; sie war im Fitnessstudio gewesen. Wie immer. Sie ging fünf Mal die Woche dorthin. Auch jetzt verströmte sie wieder eine Art inneres Leuchten: ihr postsportives Strahlen, wie Charlotte es nannte. Madison verfügte über mehrere Arten von innerem Leuchten, die Charlotte bisher alle zur Genüge kennengelernt hatte. Die postsportive Variante war nur eine davon. Auch mit dem postkoitalen Leuchten war Charlotte vertrauter, als ihr lieb war, wenngleich dies eher an den Wochenenden auftrat. Charlottes Blick fiel auf Madisons Frisur: teure karamellfarbene Strähnen, dazu perfektes Make-up, mit dem jede Frau aussah, als sei sie völlig ungeschminkt. Madison betrat sogar das Fitnessstudio nur in voller Kriegsbemalung, denn man wusste schließlich nie, wen man dort traf, wie sie Charlotte einmal anvertraut hatte. Nicht dass Madison Cavanagh Make-up nötig gehabt hätte. Charlotte hatte sie oft genug ohne gesehen. Madison Cavanagh sah immer umwerfend aus: in Jogginghosen, mit Lockenwicklern, nur mit einem Handtuch bekleidet. In ihrer eigenen Wohnung.

Weshalb Madison sich sooft in ihrer Wohnung aufhielt, hätte Charlotte jedoch nicht zu sagen gewusst, aber sie vermutete, dass ihre Nachbarin ungern allein war. Ohne einen Haufen kichernder Freundinnen oder eine romantische Eroberung kam sie sich wahrscheinlich verloren vor. Die beiden Frauen waren ungefähr zur gleichen Zeit in die sechzig Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnungen im zweiten Stock eingezogen, die der Verwaltungsgesellschaft gehörten und von ihr vermietet wurden. Anfangs waren beide Apartments eine leere Wüste in Beige und Maulwurfsgrau gewesen. Innerhalb weniger Wochen war Madisons Wohnung nicht mehr wiederzuerkennen, während die von Charlotte lediglich notdürftig verschönert worden war. Madison hatte sich ein großes, türkisfarbenes Sofa und teuer aussehende Kissen mit grafischen Mustern angeschafft, dazu ein Sideboard aus Wengeholz, auf dem ein Dutzend Fotorahmen standen. Auf allen diesen Fotos war Madison zu sehen – mit Eltern und Bruder vor einem Hintergrund aus Sanddünen, auf den Schultern zweier großer Männer in Footballtrikots, daneben prostete sie mit einem Cocktailglas imaginären Freundinnen zu. Auch in ihrem Abschlusstalar war Madison der strahlende Mittelpunkt, und sogar ihre Frisur saß perfekt unter dem steifen Barett. Als Madison das erste Mal Charlottes keusches Einzelbett mit der Steppdecke und dem kleinen Spitzenkissen gesehen hatte, hatte sie süffisant gemeint, wie vernünftig es doch sei, dadurch mehr Platz für Kleider und Ähnliches zu haben. Bei ihrem breiten französischen Bett wisse sie kaum, wohin mit ihren Schuhen.

Eines Morgens hatte Madison in ihrem Gymnastikanzug bei Charlotte vor der Tür gestanden und war seitdem regelmäßiger Gast. Damals hatte sie Charlotte um entrahmte Milch gebeten und beim Anblick ihrer zweiprozentigen Vollmilch ein langes Gesicht gemacht, die Packung aber trotzdem mitgenommen. Charlotte konnte sich nicht erinnern, jemals an Madisons Tür geklopft zu haben. Ihre Freundschaft – falls es denn eine war – verlief immer nach demselben Muster, das heißt, Madison kam zu ihr, wann immer sie etwas brauchte, sei es Milch für ihre Frühstücksflocken (mittlerweile kaufte Charlotte nur noch Magermilch – eigentlich albern von ihr), Nadel und Faden, um einen Knopf anzunähen, oder Trost und Bestätigung bei Selbstzweifeln. Sie waren jedoch nie zusammen ausgegangen und würden es auch nie tun, soweit Charlotte dies beurteilen konnte. Das war nicht ihre Rolle, aber es machte ihr nichts aus. Charlotte wusste ohnehin nicht so recht, was sie von Madison halten sollte. Wahrscheinlich ging Madison davon aus – das heißt, sollte sie sich jemals die Mühe machen, darüber nachzudenken –, dass Charlotte schrecklich eifersüchtig auf sie war und sie um ihr gutes Aussehen, ihr lässiges Auftreten und ihren Platz in der Gesellschaft beneidete. Doch so einfältig war Charlotte auch wieder nicht. Wenn, dann war sie höchstens neugierig, manchmal vielleicht auch ein wenig schockiert oder sogar amüsiert. Hätte Charlotte zu Hause eine Brieffreundin gehabt, der sie regelmäßig über die lasterhafte Großstadt berichtete (was nicht der Fall war), wären ihre Briefe voll gewesen mit den Abenteuern von Madison Cavanagh.

Madison war für Charlotte die erste Frau, die ständig ihre Partner wechselte (und außer ihr selbst der erste erwachsene Mensch, den Charlotte jemals vollständig nackt gesehen hatte. Eines Tages hatte Madison sich kurzerhand komplett vor ihr ausgezogen, weil sie Charlottes Meinung hatte wissen wollen, welches ultrakurze Glitzerkleidchen sie zu einer Party anziehen sollte). Sex hatte für Madison absolut nichts mit Liebe zu tun, und auf dem Gebiet bezeichnete sie sich selbst als talentierte Expertin. Was die Liebe betraf, behauptete sie, mehrmals bitter enttäuscht und schwer verletzt worden zu sein, doch Charlotte hatte so ihre Zweifel. Ihre eigene Jungfräulichkeit war ein Thema, an das nie gerührt wurde. Charlotte redete von sich aus nie darüber, und Madison bohrte nicht nach. Wenn etwas nichts mit Madison zu tun hatte, war es nicht wert, dass man darüber sprach, und ihre Jungfräulichkeit hatte Madison bereits vor vielen Jahren verloren.

Zuerst war es schockierend für Charlotte gewesen, Details über ihr Liebesleben zu erfahren. »Live-Berichterstattung«, wie Madison sich lachend ausdrückte. Doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt.

Seit Neuestem kannte Madison nur noch ein Thema: Jackson Grayling III., Trip, wie er genannt wurde. Sie war mit ein paar College-Freunden von der Wall Street ausgegangen, später hatten sich noch ein paar andere Kollegen dazugesellt. Man war auf gemeinsame Bekannte zu sprechen gekommen, wie es unter jungen Leuten üblich war, und dabei hatte Madison erfahren, dass es sich bei Trip, dem wortkargen, aber unbestreitbar gut aussehenden Nachtschwärmer aus dem fünften Stock, um einen stinkreichen Erben mit einem Treuhandfonds im Rücken handelte, dessen Eltern halb Texas gehörte.

Für Madison gehörten Sex und Liebe, wie gesagt, nicht unbedingt zusammen, aber Liebe und Geld auf jeden Fall. Charlotte war Geld nicht sonderlich wichtig, solange sie ihre Miete und ihre Rechnungen bezahlen und immer neue Bücher kaufen konnte. Ungefähr zwanzig Prozent dessen, was sie in der Bücherei verdiente, schickte sie nach Hause, um ihre Schulden abzutragen, die sie bei ihren Eltern zur Finanzierung ihres Studiums gemacht hatte. Und darüber hinaus sparte sie noch einen beträchtlichen Teil ihres Gehalts. Sie musste nicht immer alles haben, wie dies bei Madison der Fall zu sein schien.

Madison verdiente mit ihrer Arbeit bei einem Modemagazin mehr als doppelt so viel wie sie. Und soweit Charlotte wusste, schickte ihre Mutter ihr fast jeden Monat zusätzlich einen Scheck und finanzierte außerdem das Ticket, damit sie im Urlaub nach Hause fliegen konnte. Doch Madison beschwerte sich, permanent knapp bei Kasse zu sein, was normalerweise daran lag, dass sie sich in der Mittagspause wieder einmal ein Paar Schuhe statt etwas zu essen gekauft hatte. Madison hatte in ihrer Wohnung ein sogenanntes »Wunschbrett«, das neben dem Spülbecken am Küchenschrank lehnte. Oprah Winfrey habe sie auf die Idee gebracht, als sie einmal mit einer Erkältung im Bett gelegen und tagsüber ferngesehen habe. Oprah hatte vorgeschlagen, Fotos von all den Dingen, die man sich wünschte, auf ein Pinnbrett zu heften. Das würde helfen, diese zu visualisieren und somit einer Erfüllung dieser Wünsche näherzukommen. Charlotte vermutete, dass Oprah – auch wenn man diese Idee nicht für Humbug hielt, wie sie es tat – dabei eher an nicht materielle, ideelle Wünsche und weniger an eine Muse Bag von Yves Saint Laurent oder an eine Kette von Tiffany mit einem dreikarätigen Diamanten im Prinzess-Schliff gedacht hatte. Aber das waren die Dinge, von denen Madison träumte.

Madison redete oft davon zu heiraten. Früher oder später würde das ihrer Meinung nach auch zwangsläufig der Fall sein. Ihr momentanes Leben, das sie damit verbrachte, sich mit so vielen Männern wie möglich zu treffen und mit fast allen zu schlafen, ohne das Geringste über sie zu wissen – dieses Leben war nur vorübergehend. Wenn die Zeit kam (und Madison hielt siebenundzwanzig Jahre für das geeignete Alter), würde sie sich ernsthaft auf die Suche nach dem Richtigen machen. Und dieser Mann (ein Mann, dem es nicht das Geringste ausmachte, dass sie sich fünf Jahre zuvor durch alle Betten Manhattans geschlafen hatte), dieser Mann – groß, sportlich, gut aussehend und großzügig – würde reich sein oder zumindest beste Zukunftsaussichten haben und aus einer guten Familie stammen. Das Schicksal würde schon alles für sie regeln. Unter dem in einen Büstenhalter von Agent Provocateur gezwängten Busen von Madison Cavanagh klopfte das Herz eines kleinen Mädchens, das von einem Märchenprinzen träumte.

Und vielleicht war ja der junge Mann aus dem fünften Stock, der sich momentan einen dünnen Ziegenbart wachsen ließ, dieser Märchenprinz ...

Seit Madison das erste Mal im Februar von ihm erzählt hatte, war sie, wie Charlotte es insgeheim nannte, auf »Trip-Watching« – eine ziemlich frustrierende Angelegenheit, da Trip sich nur selten blicken ließ. Ein- oder zweimal war es Madison gelungen, ihn im Fahrstuhl zu stellen und auf den Freund eines gemeinsamen Freundes anzusprechen, aber der Fisch hatte den Köder nicht geschluckt. Ein anderes Mal hatte Madison ein Paket abgefangen, das sie Raoul hatte entgegennehmen sehen, und es bis vor Trips Wohnung getragen. Aber er war gerade am Telefon gewesen, als sie geklingelt hatte, und auch wenn er gewunken und ein stummes Dankeschön formuliert hatte, als er den Umschlag in Empfang nahm, war nichts weiter daraus geworden.

Charlotte wäre gern ebenso überzeugt von einem Happy End in ihrem eigenen Leben gewesen. Jeden Tag in der U-Bahn betrachtete sie die Männer im Abteil, aber keiner von ihnen schien jemals ihren Blick zu erwidern. Die meisten von ihnen hätte sie auch nicht gewollt. Aber eines Tages vielleicht ...

Eve

Diese Wohnung war ein Traum und bisher bestimmt das Beste an ihrem neuen Leben. Eve kam sich vor wie in einem dieser Hochglanzmagazine, die sie immer beim Friseur las. Als sie im Januar in New York gewesen war, hatte sie die Wohnung gefunden. Die Bank, für die Ed tätig war, hatte eine Relocation-Firma mit dem Umzug beauftragt, und diese hatte ihr eine Beraterin zur Seite gestellt, Francine, die sich als unerschöpflicher Quell des Wissens entpuppt hatte. Sie hatte sich an diverse Immobilienmakler gewandt und Besichtigungstermine in der ganzen Stadt vereinbart. Eve war sich unglaublich mondän vorgekommen, als sie vor dem Hotel von einer Limousine abgeholt und den ganzen Vormittag von einem Ort zum anderen gefahren wurde. Zwischen den einzelnen Terminen erfuhr sie auf dem Rücksitz des Wagens einiges über die verschiedenen New Yorker Stadtviertel und darüber, was Wohnungen hier so kosteten, während Francine aus ihrer Wasserflasche trank, ohne ihren Lipgloss zu verschmieren. Geduldig hatte sie Eve den Unterschied zwischen den verschiedenen Varianten von Eigentumswohnungen in diesem Land erläutert und sie über die Bedeutung hiesiger Hausmeister und Portiers aufgeklärt. Francine schien jeden Biosupermarkt, jede Filiale des Feinkostladens Dean & Deluca und jede CVS-Apotheke in der ganzen Stadt zu kennen, ebenso jeden Park und jedes Restaurant, das von der Zagat-Liste als besuchenswert empfohlen wurde. Francine selbst wohnte in Brooklyn, zusammen mit ihrem Freund Anthony und dessen beiden Söhnen aus einer früheren Beziehung mit einer »kompletten Schla-ampe« (wie sie es in ihrem New Yorker Akzent formulierte). Für Anthony, einen Feuerwehrmann, hatte sie ihr geliebtes Manhattan verlassen. Eine größere Liebeserklärung hätte sie ihrem Anthony wohl kaum machen können, dachte Eve.