Wohnen als soziale Frage - Monika Alisch - E-Book

Wohnen als soziale Frage E-Book

Monika Alisch

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Beschreibung

Menschen, die sozial und ökonomisch benachteiligt werden, bekommen kaum angemessenen Wohnraum. Ungleiche Zugänge zu Wohnraum und das Auseinanderdriften von Arm und Reich kennzeichnen nicht nur die Städte, sondern inzwischen auch ländliche Regionen. Das Buch skizziert diese Zusammenhänge und zeigt, welche Aufträge Soziale Arbeit für Fragen des Wohnens hat. Denn Soziale Arbeit ist nicht nur mit jenen befasst, die keine Wohnung haben, sondern tief mit dem Wohnalltag ihrer Klientel verbunden. Sozialraum- und Gemeinwesenarbeit, die Unterstützung Betroffener bei der Vertretung ihrer Interessen und die Gestaltung öffentlicher Räume sind wesentliche Handlungskonzepte Sozialer Arbeit, die sich auf das Wohnen beziehen, auch vor dem Hintergrund neuer Wohnformen, der Digitalisierung und dem Klimawandel.

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Inhalt

Cover

Titelei

Zur Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«

Einleitung

1 Wohnen und sozial-räumliche Ungleichheiten

1.1 Was ist modernes Wohnen?

1.2 Wohnen als sozialräumliche Praxis

1.2.1 Wohnen in Gemeinschaft: Nachbarschaft, Quartier und Gemeinwesen

1.2.2 Gemeinschaftlich Wohnen

1.3 Ungleiches Wohnen: Residentielle Segregation

1.3.1 Ursachen von Segregation

1.3.2 Folgen und Effekte von Segregation

1.4 Politiken des Wohnens

1.4.1 Stadtentwicklungspolitik: Warum sozial gemischtes Wohnen nicht die Antwort auf Segregation ist

1.4.2 Wohnen als Ware oder was man über Wohnungspolitik wissen sollte

1.4.3 Schöner Wohnen im Quartier: Raumpolitiken

1.4.4 Die Machtverhältnisse ändern: Die Idee des Community Organizing

1.5 Zusammenfassung

2 Wohnen als Auftrag Sozialer Arbeit

2.1 Die frühe Verbindung von Wohnen und Sozialer Arbeit: Die Settlement-Bewegung

2.2 Wohnungslosigkeit und Wohnungslosenhilfe

2.2.1 Wohnungslosigkeit

2.2.2 Wohnungslosenhilfe

2.3 Wohnen in Institutionen

2.3.1 Wohnen in der Jugendhilfe

2.3.2 Wohnen im Alter und in der Altenhilfe

2.3.3 (Nicht-)‌Wohnen von geflüchteten Menschen

2.4 Wohnen in der Nachbarschaft: Gemeinwesenarbeit als Akteurin kommunaler Entwicklung

2.5 Zusammenfassung: Wohnen und Soziale Arbeit

3 Handlungsansätze: Wohnen als soziale Frage gestalten

3.1 An Wohnorten handeln: Konzepte sozialraumbezogener Sozialer Arbeit

3.2 Bedürfnisse und Interesse des Wohnens: Das Konzept Sozialraumentwicklung und Sozialraumorganisation

3.3 Die Wohnverhältnisse in die Hand nehmen: Prinzipien und Vorgehen im Community Organizing

3.4 Wohnen im öffentlichen Raum: Niedrigschwellige Soziale Arbeit

3.5 Zusammenfassung

4 Herausforderungen für die Soziale Arbeit: Eine Position zum Wohnen finden

4.1 Soziale Arbeit und wohnungspolitische Bewegungen

4.2 Soziale Arbeit und gemeinschaftliches Wohnen

4.3 Soziale Arbeit und die Klimafolgen im segregierten Raum

4.4 Soziale Arbeit und digitalisiert wohnen

4.5 Zusammenfassung

Schlussbemerkungen

Literatur

Soziale Arbeit in der Gesellschaft

Die Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft« macht es sich zur Aufgabe, die gesellschaftlichen Themen aufzubereiten, die eine besondere Bedeutung für die Soziale Arbeit haben – vom Recht auf Unterstützung über Teilhabe bis hin zu sozialen Problemlagen wie Armut. Die einzelnen Bände liefern das Grund- und Orientierungswissen, das Studierende und Sozialarbeiter*innen benötigen, um eine professionelle Haltung zu entwickeln und ihren Adressat*innen auf Augenhöhe zu begegnen.

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/soziale-arbeit-in-der-gesellschaft.html

Die Autorin und der Autor

Prof. Dr. habil. Monika Alisch ist Stadt- und Raumsoziologin und vertritt das Fachgebiet Sozialplanung, Sozialraum- und Gemeinwesenarbeit an der Hochschule Fulda. Sie leitet den Masterstudiengang »Soziale Arbeit im Schwerpunkt Sozialraumentwicklung und -organisation« und ist Sprecherin des Promotionszentrums Soziale Arbeit Hessen. Ihre Themenschwerpunkte sind Sozialraum, Wohnen und Partizipation.

Prof. Dr. Stefan Weidmann ist Diplom-Sozialarbeiter und MA Soziale Arbeit. Er war viele Jahre als Fachberater für Jugendarbeit in der Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen tätig und ist Vorstandmitglied der LAG Jungenarbeit NRW e. V. Er lehrt und forscht an der Hochschule Fulda zu den Themen Sozialraumentwicklung und -organisation sowie soziologische Perspektiven in der Sozialen Arbeit.

Monika AlischStefan Weidmann

Wohnen als soziale Frage

Sozialräumliche Ungleichheit als Herausforderung Sozialer Arbeit

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-038002-8

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-038003-5epub:ISBN 978-3-17-038004-2

Zur Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«

Unsere Gesellschaft wird immer mehr von inneren Spannungen geprägt: Armut, eingeschränkte Teilhabe, soziale Ungleichheit oder auch Rassismus und Gewalt sind nur einige Themen, die immer wieder hitzig diskutiert werden. In diesem Debattenklima ist es schwierig, zu einer faktenbasierten Bewertung dieser Problemlagen zu kommen, die einer sorgfältigen und nachprüfbaren theoretischen Begründung nicht entbehren. Gerade Sozialarbeitende sind auf solche wissenschaftliche Analysen angewiesen – schließlich sind sie es, die täglich in ihrer Arbeitspraxis mit diesen Problemen und Debatten konfrontiert werden.

Solche Analysen bietet die Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«. In klarer, verständlicher Sprache beantworten die einzelnen Bände für die Soziale Arbeit grundlegende Fragen: Welche Bedeutung haben die Problemlagen für die Gesellschaft und welche Herausforderungen sind damit für die Soziale Arbeit verbunden? In welchen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit spielen sie eine Rolle? Welche Kompetenzen benötigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und wie können sie diese entwickeln? Und: Wie kann die Soziale Arbeit unterstützen, welche gesellschaftlichen Ziele verfolgt sie dabei und welche Handlungsansätze haben sich dafür bewährt oder müssen noch erarbeitet werden?

Die einzelnen Bände basieren auf einem breiten sozialwissenschaftlichen Fundament. Sie wollen dazu beitragen, Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einschlägigen Handlungsfeldern und Arbeitsansätzen einschließlich ihrer professionellen Haltung anzuregen.

Einleitung

Wohnen ist ein fundamentales Menschenrecht, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (A/RES/217, UN-Doc. 217/A-(III)) der Vereinten Nationen als Right to Housing festgehalten ist. Dort wird es zusammen mit dem Recht auf Nahrung und ärztliche Versorgung als Recht auf Unterkunft benannt (§ 25). Zu wohnen ist immer mit einem Schutzgedanken verbunden, insbesondere dem Schutz vor Kälte und Unwettern, aber auch dem Schutz der Privatsphäre. Auch das ist in der Erklärung der Menschenrechte erwähnt, wenn dort das »Recht auf ein Privatleben« (Art. 12) und das »Recht auf soziale Sicherheit« (Art. 22) benannt werden. Der Politikwissenschaftler Michael Krennerich (2019) hat für das Grund- und Menschenrecht auf Wohnen gefordert:

1.

Es muss hinreichend Wohnraum, inklusive der notwendigen Infrastrukturen wie Strom und Wasser zur Verfügung stehen.

2.

Allen Menschen – unabhängig von der Art und Form der Unterkunft – ist der »rechtliche wie faktische Schutz vor staatlichen und privaten Eingriffen in ihren Wohnraum« zu gewähren (ebd., S. 24).

3.

Der Zugang zu Wohnraum muss »prinzipiell allen offenstehen und darf nicht bestimmten Gruppen in diskriminierender Weise vorenthalten werden« (ebd., S. 25).

4.

Wohnraum sollte »Mindestbedingungen an Bewohnbarkeit, Gesundheit und Sicherheit erfüllen und der kulturell bedingten Vielfalt des Wohnens Rechnung tragen« (ebd., S. 25).

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist ein ausdrückliches Recht auf Wohnen nicht verankert, lediglich der Schutz der Unverletzbarkeit der Wohnung. In verschiedenen Landesverfassungen (Bremen, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen) wird der jeweiligen Landesregierung die Aufgabe zugewiesen, für angemessenen Wohnraum zu sorgen, wenngleich dieses Recht nicht einklagbar ist (ebd., S. 22).

Der Sozialarbeitswissenschaftler Günther Rausch sieht im Wohnen eine »elementare Seinsweise des Menschen« (Rausch 2013, S. 280) und erinnert daran, dass die Übersetzung für Wohnen im Englischen schlicht »to live«, also leben ist und folglich einleuchtet: »Mensch kann nicht Nichtwohnen« (Rausch 2011, S. 235). Tatsächlich ist beim Wohnen mehr zu bedenken als der Zugriff auf eine Wohnung – auch wenn die Schutzfunktion des Wohnens schnell den Zusammenhang zur Behausung und zur Wohnung herstellen und andere ebenso wichtige Bedeutungen des Wohnens wie Sicherheit, Geborgenheit, Kontakt, Kommunikation und Selbstdarstellung (Hannemann 2014, S. 3) in den Hintergrund treten lässt. Ein Mensch wohnt erst, »wenn er einen Raum – es muss nicht ein Ort sein – bewohnt, ihn als etwas ihm Zugehöriges empfindet, in das er eingelassen ist«, hat der Wohnforscher Jürgen Hasse versucht, Wohnen zu definieren (2009, S. 27). Wohnen bedeutet demnach auch »auf eine am Leben der Stadt teilhabende Weise zur Stadt« (ebd.) zu gehören.

Der Philosoph Otto Friedrich Bollnow, dessen Ausführungen zur Bedeutung des Wohnens aus der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute oft zitiert werden, ging davon aus, dass der Mensch einen Wohnort als Mitte brauche, »in der er im Raum verwurzelt ist und auf die alle seine Verhältnisse im Raum bezogen sind« (Bollnow 1963, S. 125). Das Bild der »Verräumlichung des eigenen Lebens« greift auch die Sozialpädagogin Sylvia Beck auf und fasst zusammen, dass es im Wohnen darum gehe, »sich einen emotional sicheren, stabilen Ausgangpunkt zu schaffen, worüber sich der Mensch gelingend ins Verhältnis zur Welt setzt« (Beck 2017, S. 22).

Dies unterstreicht zwar eindrücklich die grundlegende Bedeutung von Wohnen für den*die Einzelne*n und für das soziale Zusammenleben, steht jedoch in einem unauflöslichen Widerspruch zur Funktion des Wohnens und einer Wohnung als Ware, die auf Wohnungsmärkten angeboten und nachgefragt wird, die Spekulationsobjekt ist, mit dem jemand Gewinne erwirtschaften möchte.

Dieses permanente Spannungsverhältnis zwischen dem Wohnen als Grundrecht und Zuhause auf der einen sowie der Wohnung als Ware und Immobilie auf der anderen Seite wird als Kern der Wohnungsfrage beschrieben.

Diese hatte bereits Friedrich Engels angesichts der katastrophalen Wohnverhältnisse der durch die Industrialisierung neu entstehenden Arbeiterklasse insbesondere in England um 1872 problematisiert (Engels 2020):

»Was man heute unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietpreise, eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden. Und diese Wohnungsnot macht nur so viel von sich Reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat« (Engels 2020, S. 197 f.; zuerst 1872, S. 213 f.).

Spätestens seit den 2010er Jahren wird vielfach die »Rückkehr der Wohnungsfrage« (insb. Holm 2014; 2019) als Ergebnis wohnungspolitischer und gesellschaftlicher Prozesse skandalisiert: Der Soziologe Christoph Butterwegge sieht den »Mietenwahnsinn« und Wohnungsnot in Deutschland als Resultat einer neoliberalen Politik, die zu mehr sozialer und sozialräumlicher Ungleichheit geführt hat (2023, S. 3). Der Mangel an Wohnraum durch zu geringe Bautätigkeit, steigende Mieten und Bodenpreise, aber insbesondere der Mangel an für weite und wachsende Teile der Bevölkerung noch bezahlbarem Wohnraum markieren die Wohnraumkrise, die in kritischen politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zum Aufwerfen von »alten und neuen Wohnungsfragen« (Bundeszentrale für politische Bildung 2019) oder auch »Wohnungsfrage‍(n) ohne Ende und überall?« (Schönig und Vollmer 2020, S. 7) geführt haben und für die Antworten gesucht werden.

Die Wohnungsnot oder besser die Wohnungsnöte, die sich ins Zentrum des Alltags von immer mehr Menschen drängen, entstehen durch übermäßige Belastungen durch Wohnkosten – nicht nur, aber insbesondere in den großen Städten und solchen Wohnlagen, die begehrt sind. Dies betrifft die über das Verhältnis von Angebot und Nachfrage entstehenden Mietpreise sowie die Kosten für Immobilien, aber längst auch die Nebenkosten, vor allem die Energieversorgung.

Zwangsräumungen aufgrund von Mietrückständen, Mieterverhalten oder Eigenbedarf haben ebenso zugenommen wie Stromsperrungen aufgrund von Zahlungsrückständen bei den Energieversorgungsunternehmen (Krennerich 2019). Insbesondere Haushalte, die von Transferleistungen leben müssen, haben Schwierigkeiten, die Rechnungen für Strom und Heizung zu begleichen, weil die Transferleistungen nicht ausreichen. Dies ist kein Phänomen, das erst mit der Energiekrise und steigenden Preisen seit den Jahren 2022/2023 aufgekommen ist, wie eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen 2018 gezeigt hat (ebd., S. 30). Der Stadtsoziologe Andrej Holm sieht in der zunehmend repressiven Auslegung der Sozialpolitik – gerade im Bereich der Kosten für die Unterkunft und der Bemessungsgrenzen für Leistungsbeziehende – »einen regelrechten Segregationsmotor« (Holm 2019, S. 104). In den gerade noch finanzierbaren Wohnungen an den groß- und kleinstädtischen Rändern sieht Holm sich etablierende Zonen eines »Discountwohnens«, mit dem sich Entmischungstendenzen nach dem Einkommen in den Städten beschleunigen.

Allerdings ist die Gefahr von Wohnungsnot eben nicht allein ein Problem von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, sondern betrifft alle Haushalte, deren Wohnkosten 30 Prozent ihres Einkommens übersteigen. Krennerich (2019, S. 28) weist darauf hin, dass die Hälfte der als arm definierten Haushalte in Deutschland mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für das Wohnen aufbringen müssen. Eine »Überlastung durch Wohnkosten und Wohnungsnot treffen vor allem jene, die nicht (mehr) in Arbeitsprozesse eingebunden sind oder im Niedriglohnsektor tätig sind – und zugleich in Ballungsgebieten leben« (ebd., S. 29).

Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Wohnungsfrage‍(n) räumlich differenziert betrachtet werden müssen. Auch wenn es so scheint, als ob sich die Diskurse zur Krise der Wohnraumversorgung, des Wohnungsbaus, der Mietpreise allein um das Wohnen in Großstädten drehen, stellt sich, so Schönig und Vollmer, die Wohnungsfrage überall »in Mittel- und Kleinstädten und im ländlichen Raum genauso wie in den Großstädten« (2020, S. 19). Dennoch stellt sie sich jeweils anders, wenn von schrumpfenden Städten und Regionen oder wachsenden Groß- und Mittelstädten die Rede ist. Es geht in unterschiedlicher Weise um den Umgang mit Leerständen, fehlenden barrierearmen und bezahlbaren Wohnraum, der den jeweiligen Lebenssituationen entspricht.

Dramatische Wohnungsnöte, fasst die Stadtsoziologin Ingrid Breckner (2023, S. 21) zusammen, betreffen insbesondere solche Haushalte, »die ohne rechtliche Absicherung in Unterkünften, temporären Wohnangeboten oder Heimen mit eingeschränkten Nutzungsrechten und Kommunikationsbeschränkungen wohnen müssen«. Dies betrifft viele Adressat*innengruppen der Sozialen Arbeit, nämlich Menschen, die in Einrichtungen »untergebracht« wurden, als alte und pflegebedürftige Menschen in entsprechenden Institutionen leben (müssen), als Menschen auf der Flucht oft sehr lange in mehr oder minder provisorischen Unterkünften den Wohnraum und die Wohninfrastruktur mit anderen teilen müssen oder als wohnungs- und obdachlose Menschen darum bemüht bleiben, sich eine Privatheit des Wohnens in »improvisiert-informellen Notunterkünften« (Hasse 2019, S. 17) im öffentlichen Raum zu organisieren. Damit ist Wohnen vor allem eine soziale Frage und eine Angelegenheit der Profession und der Disziplin der Sozialen Arbeit und dafür wollen wir mit diesem Band argumentieren.

Mit Fragen des Wohnens befassen sich ganz unterschiedliche Fachdisziplinen. Die Wohnungsforscherinnen Barbara Schönig und Lisa Vollmer stellen fest, »je nachdem, ob von dem Wohnen, der Wohnung, der Wohnraumversorgung, dem Wohnungsbau oder dem Wohnungsmarkt« (Schönig und Vollmer 2020, S. 10) die Rede ist, kommen die jeweiligen Expert*innen zu ganz unterschiedlichen Aspekten und Fragestellungen, die sie für relevant halten. Insofern wird immer nur über Teilaspekte des Wohnens geforscht und diskutiert: Mal geht es um Wohnkulturen, um Wohnstile, das Wohnumfeld, die Wohnmobilität, Wohnungsmärkte oder – sehr oft – die Wohnraumversorgung (Schnur 2021, S. 234).

Die Schriftenreihe »Interdisziplinäre Wohnungsforschung« ist bspw. ein Ort für einen wissenschaftlichen und auch politischen Diskurs, in dem – so das Editorial der Reihe – »Beiträge aus Architektur, Geographie, Geschichtswissenschaft, Ökonomie, Planungswissenschaften, Politikwissenschaft und Soziologie« versammelt sind, »die sich in interdisziplinärer Weise mit der Wohnraumversorgung auseinandersetzen« (u. a. Schipper und Vollmer 2020, S. 2) und dabei die Wohnungsfrage ins Zentrum stellen. Eine Perspektive der Sozialen Arbeit fehlt in diesem Zusammenhang.

Wir verstehen den vorliegenden Band als Beitrag dazu, diese Lücke zu verkleinern, und haben dazu die Diskurse zum Wohnen so aufbereitet, dass sie für die Profession der Sozialen Arbeit aufgeschlossen werden können. Wir richten uns mit diesem Buch sowohl an Praktiker*innen der Sozialen Arbeit als auch an Studierende, die sich bisher noch nicht mit den Bezügen des Wohnens in der Sozialen Arbeit befasst haben.

Deshalb beginnen wir in Kapitel 1 damit, die vor allem sozialwissenschaftliche Diskussion zur Wohnungsfrage zu entfalten und zu erklären, inwiefern Wohnen eine ganze Reihe sozialer Fragen aufwirft. Dazu setzen wir uns mit dem »Idealtypus des modernen Wohnens« auseinander, der die Wohnformen, die Architektur und die Siedlungsstrukturen im Grunde seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmt. Da das Wohnen eben nicht nur auf die Behausung, die Wohnung und eine entsprechende Wohnraumversorgung begrenzt ist, führen wir in diesem Kapitel (▸ Kap. 1) die sozialräumliche Praxis des Zusammenlebens aus, die mit Konzepten von Nachbarschaft, Quartier und Gemeinwesen den geografischen und geplanten Ort des Wohnens und die sozialen Zusammenhänge des Alltags aufeinander beziehen. Diese Konzepte sind außerdem schon ein wesentlicher Bezugspunkt für die Praxis der Sozialen Arbeit in Kontexten des Wohnens. Gemeinschaftlich Wohnen hat jedoch noch eine andere Facette, die wir anhand von grundsätzlichen Ideen und Konzepten alternativer Wohnformen einführen, welche jenseits des Idealtypus modernen Wohnens und seiner auf die Kleinfamilie gerichteten Wohnstrukturen liegen.

Alte und neue Wohnungsfragen sind vor allem deshalb ein gesellschaftlich hoch relevantes Thema, weil sich darin die Konflikte im keineswegs zufälligen ungleichen Zugang zu Wohnraum entladen. Aus dem in den Raumwissenschaften, aber auch in der Stadtentwicklungspolitik geführten Diskurs zur residentiellen Segregation, also der ungleichen Verteilung der Wohnstandorte von sozialen Gruppen, interessieren uns insbesondere die Ursachen, Folgen und Formen solcher Prozesse. Eine wesentliche Rolle spielen hier Politiken des Wohnens, als Stadtentwicklungspolitik (soziale Durchmischung, Quartiersansatz, Aufwertung) und als Wohnungspolitik (Wohnung als Ware, Deregulierung der Wohnungsmärkte). Das Konzept des Community Organizing ist historisch ebenso eng mit der Analyse der Prozesse sozialräumlicher Ungleichheit in der Stadt verbunden wie mit der Sozialen Arbeit als Community Work oder auf Deutsch der Gemeinwesenarbeit.

Damit ist der Übergang zum Kapitel 2 angelegt, das sich mit »Wohnen als Auftrag Sozialer Arbeit« befasst. Hier lässt sich historisch sehr gut nachzeichnen, inwiefern sich Soziale Arbeit in vielerlei Hinsicht mit Fragen des Wohnens nicht nur am Rande beschäftigt, sondern sehr konkret beauftragt ist. Deshalb wird zunächst das Problem von Wohnungslosigkeit und die Wohnungslosenhilfe als Reaktion Sozialer Arbeit darauf, erläutert. Mit dem »Wohnen in Institutionen« setzen wir uns in diesem Kapitel (▸ Kap. 2) auch mit Handlungsfeldern wie der Jugendhilfe, dem institutionellen Wohnen im Alter, betreutem Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigungen und der Unterbringung von geflüchteten Menschen auseinander. Tatsächlich begegnen uns die Funktionen des Wohnens – Schutz, Umfriedung, Privatheit und Gestaltungsraum – in diesem Zusammenhang in kritischer Weise. Für die Soziale Arbeit und ihre Zuständigkeit für Formen stationärer Unterbringung im Rahmen der Hilfen zur Erziehung, der sogenannten Behindertenhilfe oder der Wohnungslosenhilfe ergeben sich ungeklärte Fragen zur Vereinbarkeit ihres Auftrags mit dem Grund- und Menschenrecht Wohnen. Das zweite Kapitel versucht im Grunde zu klären, was die Soziale Arbeit in Kontexten des Wohnens tut. Insofern haben wir die im ersten Kapitel entwickelte Argumentation für einen weiten Wohnbegriff hier wieder aufgegriffen und zeigen, wie Soziale Arbeit das »Wohnen in der Nachbarschaft« über die Gemeinwesenarbeit als Handlungsfeld in Prozesse der kommunalen (Stadt-)‌Entwicklung einbringt.

In Kapitel 3 fragen wir nach dem Wie des Handelns der Profession Sozialer Arbeit. Entsprechende Handlungsansätze sollen zeigen, wie Wohnen als soziale Frage gestaltet wird und werden kann. (▸ Kap. 3). Hier sehen wir die mehr oder minder in der kommunalen Praxis rezipierten Konzepte sozialraumbezogener Sozialer Arbeit verortet. Deren grundsätzliche Gemeinsamkeit ist, dass sie letztlich auf den Wohnort benachteiligter sozialer Gruppen gerichtet sind (also auf den Sozialraum als Territorium), aber gleichzeitig Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip zu integrieren versuchen. Während wir solche Ansätze noch relativ stark an den Problemdefinitionen und Deutungsmustern der Institutionen (der Sozialen Arbeit, der Verwaltung und der Politik) orientiert sehen, wird mit Sozialraumentwicklung und Sozialraumorganisation ein ansatzweise als Gegenentwurf zu lesendes Konzept beschrieben, bei dem die Bedürfnisse und die Interessen der Wohnenden entlang ihrer eigenen Relevanzsetzungen das Handeln Sozialer Arbeit bestimmen sollten. Eine derart partizipative Ausrichtung bildet deshalb die konzeptionelle Klammer für das Wie des Handelns Sozialer Arbeit. Die Veränderung der Wohnverhältnisse dann selbst in die Hand zu nehmen, sehen wir in den Prinzipien und Verfahren des Community Organizing verankert, das wir entsprechend ausführen, bevor mit der Handlungsweise der Niedrigschwelligkeit partizipative Zugänge der Wohnungslosenhilfe und anderer Handlungsfelder zu Menschen im öffentlichen Raum jenseits institutioneller Hilfen skizziert werden.

Im abschließenden Kapitel 4 haben wir uns noch einmal sehr grundlegend mit den aktuellen, vor allem aber den zukünftigen Herausforderungen der Sozialen Arbeit in Kontexten des Wohnens befasst. Dabei geht es insbesondere darum, die offenbar noch ausstehende Position Sozialer Arbeit zum Wohnen argumentativ zu stärken (▸ Kap. 4). Es soll also keineswegs der ohnehin schon vielfach in Überlast fahrenden Profession Sozialer Arbeit noch mehr an Verantwortung und Aufgaben aus dem sicheren Raum der Wissenschaft zugeschoben werden. Vielmehr haben wir die Diskussionen zu wohnungspolitischen Bewegungen, zu alternativen Wohnformen des gemeinschaftlichen Wohnens, zum Umgang mit den Folgen des Klimawandels und der Digitalisierung so aufzubereiten versucht, dass Anregungen für eine auch (fach-)‌politische Positionierung gegeben werden. Denn bisher erscheint die Soziale Arbeit eher still, wenn es darum geht, aus einer Wohnungspolitik eine umfassendere Wohnpolitik zu machen, die vor allem den Adressat*innengruppen Sozialer Arbeit zugutekäme.

1 Wohnen und sozial-räumliche Ungleichheiten

Aus einer soziologischen Perspektive wird das Wohnen als sozialräumliche und als gesellschaftliche Tätigkeit betrachtet. Aber auch Fragen der Herstellung, Verteilung und des Konsums von Wohnraum im Zusammenhang mit sozialen und regionalen Ungleichheiten sind Themen der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Wohnen (Eckard und Meier 2021). Dabei geht es immer auch um den Wandel des Wohnens und die Ausdifferenzierung, also um die Frage, wer eigentlich wo und wie wohnt.

Kapitelüberblick

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, wie eine sozialwissenschaftlich geprägte Diskussion sich mit den Fragen des Wohnens auseinandersetzt. Dazu wird im ersten Abschnitt das uns allen alltäglich bekannte Konzept des modernen Wohnens erläutert (▸ Kap. 1.1). Es wird gezeigt, dass das Wohnen, das wir kennen, historisch geprägt und gleichzeitig im Wandel begriffen ist. Uns interessiert vor allem das Wohnen als sozialräumliche Praxis, die eben auch in der Nachbarschaft (als sozialräumliches Konzept des Zusammenlebens), dem Wohnquartier (als geografisch und planerisch gestalteter Ort) und dem Gemeinwesen (als sozialer Zusammenhang, der einen territorialen Bezug hat), Interessen und Zusammenhänge des Alltags und/oder eine Zugehörigkeit über geteilte soziale Merkmale vermittelt (▸ Kap. 1.2). Um die Verknüpfung des Grundbedürfnisses nach Wohnen und den sozialen Beziehungen im Wohnen wird es unter dem Stichwort »gemeinschaftlich Wohnen« gehen. Nach diesen Klärungen des Wohnens als soziale Tätigkeit, wird in Kapitel 1.3 die Ebene der Betrachtung gewechselt und sozialräumliche Ungleichheiten, Ausgrenzungsprozesse und Marginalisierungen im Raum werden als sogenannte residentielle Segregation mit ihren Ursachen und Folgen erläutert (▸ Kap. 1.3). Da sich nicht nur verschiedene Fachdisziplinen mit Fragen des Wohnens befassen, sondern auch verschiedene Politikfelder, werden in Kapitel 1.4 die Zusammenhänge von Stadtentwicklungspolitik, Wohnungspolitik, quartiersbezogenen Raumpolitiken und ein Ansatz zur Politisierung der Wohnungsfrage von unten erläutert (▸ Kap. 1.4).

1.1 Was ist modernes Wohnen?

Jede geschichtliche Epoche hatte ihre eigene besondere Wohnweise (Häußermann und Siebel 2020, S. 268). Aber wie lässt sich die aktuelle Wohnweise beschreiben? Und ist das überhaupt möglich, wenn es doch so unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse an das Wohnen gibt – in einer Wohnung, groß oder klein, einem (eigenen) Haus, in der Großstadt, am Stadtrand, auf dem Land in einer Kleinstadt oder einem Dorf, mit einer Familie, allein oder mit einer »Wahlverwandtschaft« wie in der klassischen WG? Diese Aufreihung ließe sich beliebig weiterführen und dennoch unterscheidet sich das moderne Wohnen markant von der Wohnform, die die Vormoderne in Europa prägte. So verstand man im Mittelalter, also über viele Jahrhunderte hinweg, unter einem Haushalt, eine Gemeinschaft, in der zusammen gewirtschaftet, gearbeitet, geschlafen und gekocht, Schutz nach außen organisiert, die nächste Generation geboren und aufgezogen sowie die ältere versorgt wurde. Diese Wohnform wird mit dem Begriff des »ganzen Hauses« (oikos) als Idealtypus seiner Zeit beschrieben (Richter 2000). Das Wohnen war also ein soziales Konzept, das Alltagsleben zu organisieren und bildete den Kern von Identitätsbildung mit dem oikos als sozialem Beziehungsraum (May 2008, S. 24).

Auch das moderne Wohnen kann idealtypisch beschrieben werden. Damit ist »das für eine bestimmte Epoche Typische, das diese Epoche Kennzeichnende eines sozialen Phänomens« – wie hier das Wohnen – gemeint (Häußermann und Siebel 2020, S. 268). Mit der Urbanisierung, also dem Entstehen und Wachsen von Großstädten und der Industrialisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, hat sich dieser Idealtypus des modernen Wohnens herausgebildet, in dem wir im Grunde bis heute leben (Hannemann 2014, S. 37).

Mit der Urbanisierung und der Industrialisierung wurde es notwendig und technisch auch möglich, Wohnungsbau in Massen zu betreiben. Letztlich gilt seitdem das Leitbild eines Wohnungsbaus »mit hierarchisch-funktionell angeordneten Räumen – Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Küche, Bad, Flur« (ebd., S. 38). Da wir in den meisten (Groß-)‌Städten größtenteils noch immer in Wohnhäusern und -vierteln leben, die um die vorletzte Jahrhundertwende oder in den 1950er bis 1980er Jahren gebaut wurden, ist uns diese materielle Vorgabe der Wohnweise vertraut.

Aber es geht beim modernen Wohnen nicht nur um die Wohnung und die Baustruktur, sondern auch um die gesamte räumliche Organisation von Städten und Regionen. Der Idealtypus modernen Wohnens umfasst fünf wesentliche Strukturmerkmale, die hier kurz vorgestellt und dann aus den jüngeren gesellschaftlichen Entwicklungen heraus kritisch betrachtet werden.

Die fünf Strukturmerkmale modernen Wohnens

Die Trennung von Arbeiten und Wohnen: Der Ort des Wohnens ist – im Gegensatz zum Konzept des ganzen Hauses (oikos) – als Ort der »Nichtarbeit« konzipiert, zum Arbeitsplatz fährt man in die entsprechenden Viertel.

Die Begrenzung von Personen, die in einer Wohnung oder einem Haus zusammenleben: Das moderne Wohnen ist angelegt für die Lebensform der Zweigenerationenfamilie.

Das Auseinandertreten von Öffentlichkeit und Privatheit: Wohnen ist vor allem der Ort der Intimität, des Rückzugs und der geschützten Privatsphäre.

Die Entstehung des Wohnungsmarkts: Wohnungen sind eine Ware, die von Bauträger*innen, Investor*innen, Hauseigentümer*innen gehandelt wird und dem Wohnen einen Marktwert zuweist, der nicht von allen sozialen Gruppen in gleicher Weise bezahlt werden kann (▸ Kap. 1.3 zur sozialräumlichen Segregation).

Der Einfluss technischer Entwicklungen: Wohnen ist auch ein Ort der Technisierung des Alltags. Elektrizität, Heiz- und Kühlsysteme haben die Verteilung von Funktionen im Wohnraum nachhaltig geprägt.

Zwar ist dieser Idealtypus des modernen Wohnens keineswegs überholt, dennoch weist die neuere Wohnsoziologie darauf hin, dass diese Analyse, die zu Beginn der 2000er Jahre veröffentlicht wurde, zu aktualisieren sei (Eckardt und Meier 2021, S. 18).

So haben schon weit früher, etwa ab den 1970er und 1980er Jahren, die Vertreterinnen der feministischen Stadtforschung darauf aufmerksam gemacht, dass die räumliche Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten zwar den Städtebau prägt, diese Trennung jedoch für etwa die Hälfte der Bewohnerschaft nie galt: Für Frauen – nach wie vor eher als für Männer – ist die Wohnung auch der Ort von Arbeit, allerdings der unbezahlten Haus- oder Reproduktionsarbeit. Eine Aktualisierung der Sicht auf die Trennung von Arbeit und Wohnen als Strukturmerkmal des modernen Wohnens bedeutet somit, die geschlechtsspezifischen Fragen in der Auseinandersetzung mit dem Wohnen zu stellen und zu beantworten.

Die räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten bedeutet auch, dass ein hohes Maß an Mobilität notwendig ist, um die Arbeit in der Wohnung und die Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Schon vor der Covid-19-Pandemie und in den Jahren 2020 bis 2022 war festzustellen, dass sich Erwerbsarbeit verändert hat. Dies wird mit dem Begriff der Entgrenzung von Arbeit beschrieben (Hannemann 2016, S. 32), die zu veränderten Ansprüchen an das Wohnen führt: Flexible Arbeitsmodelle wie das mobile Arbeiten oder das Homeoffice sind keine Erfindungen der Pandemie, wurden unter ihren Bedingungen (verbunden mit einem gewissen Digitalisierungsschub) jedoch auf weitere Bereiche von Erwerbsarbeitsplätzen erweitert. Eine weitere für das Wohnen wichtige Veränderung von Arbeitsstrukturen wird als Deregulierung bezeichnet. Gemeint sind die seit den 1980er Jahren stattfindenden Umstrukturierungen der Wirtschaft und die damit einhergehende stetige Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen (befristet, geringbezahlt, mit Anforderungen an flexible Arbeitszeiten und -orte) und die Abnahme von weniger qualifizierten Arbeitsplätzen für Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen, die als technisch ersetzbar galten. Für das Wohnen bedeutet dies, dass Menschen räumlich immer flexibler sein müssen und die räumliche Trennung von Arbeiten und Wohnen zumindest für einige Berufsgruppen nicht mehr zutrifft – mit der Pandemie hat sich besonders deutlich gezeigt, dass gerade die Berufsgruppen, die starken Belastungen ausgesetzt sind (z. B. Pflegepersonal) oder die eher geringe Einkommen haben (z. B. Kassierer*innen) zwar als »systemrelevant« galten, jedoch nicht zu jenen gehörten, die flexibel von zuhause aus arbeiten konnten. Die Flexibilität betrifft auch die Bereitschaft, für einen angemessenen Job den Wohnort zu wechseln oder weiter zu pendeln (ebd., S. 32).

Auch Ansprüche an ein selbstbestimmtes Leben im Alter sind eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung an das Wohnen, ebenso wie höchst unterschiedliche Raumansprüche z. B. von Einpersonenhaushalten gegenüber klassischen Kleinfamilien, Wohngemeinschaften in einer Lebensphase oder als Wohnform unterschiedlicher Generationen, um nur einige relevante Aspekte aufzurufen. Die sich im Lebensverlauf ändernden Wohnansprüche sind in den charakterisierenden Merkmalen des modernen Wohnens zukünftig deutlich stärker zu berücksichtigen.

Die Wohnsoziolog*innen Frank Eckardt und Sabine Meier (2021, S. 19) haben noch grundsätzlicher darauf hingewiesen, dass die Merkmale modernen Wohnens nicht mehr ausreichen, um die sich vergrößernde soziale und sozialräumliche Ungleichheit, den sozialen Ausschluss – auch aus dem Wohnungsmarkt – die strukturelle Wohnungsnot bis hin zur Wohnungslosigkeit abzubilden. Diese Phänomene sind jedoch ebenso als typischer Ausdruck des Wohnens in dieser Epoche einzubeziehen. Damit ist auch eine Verbindung geschaffen zur Sozialen Arbeit, deren Adressat*innengruppen erst mit einer entsprechenden Erweiterung der Beschreibung und Analyse des modernen Wohnens in ihren Lebens- und Alltagssituationen in den Blick kommen.

Die Wohnsoziologie versteht sich heute dem Grundanliegen sozialer Gerechtigkeit verpflichtet und sieht ihre Aufgabe auch darin, Fragen des Wohnens gerade unter diesem Gesichtspunkt forschend nachzugehen und sich in den öffentlichen Diskurs zum Wohnen einzubringen (ebd.).

1.2 Wohnen als sozialräumliche Praxis

Im Wohnen drückt sich »vor allem die Situation eigenen Lebens aus« (Hasse 2009, S. 21). Dazu gehört ebenso die Möglichkeit des Rückzugs in das Private und Intime wie die Verbindung zum öffentlichen Raum und in das Gemeinwesen hinein, in dem man seine sozialen Beziehungen aufbaut und pflegt. Für das Wohnen sind deshalb die sozialen Bezüge jenseits der Wohnungstür besonders wichtig, denn sie sind entscheidend für gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb interessieren hier zwei Aspekte: Zunächst wird über die Konzepte von Nachbarschaft, Quartier und Gemeinwesen das Wohnen in lokaler Gemeinschaft entfaltet. Anschließend wird die Perspektive geweitet und das Grundbedürfnis Wohnen auf der Ebene der Subjekte verbunden mit dem Bedürfnis danach, gemeinschaftlich zu wohnen.

1.2.1 Wohnen in Gemeinschaft: Nachbarschaft, Quartier und Gemeinwesen

Hasse hat angelehnt an die eher philosophischen Konzepte zum Wohnen und ausgehend vom Menschen als handelndes Subjekt Maßstabsdimensionen oder Ringe des Wohnens beschrieben: in der Wohnung, dem Haus, der Umgebung bis hin zum Land und der Erde (Hasse 2009, S. 21 – 24). Es wird später noch deutlich werden, dass diese Aufzählung nicht differenziert genug ist, um auch die strukturellen Ebenen des Wohnens – sozialräumliche Ungleichheiten, soziale Ungerechtigkeiten oder Wohnpolitiken – angemessen abzubilden.

Für das Wohnen als soziale Frage, auf die auch die Soziale Arbeit Antworten anzubieten hat, sind zunächst besonders die »Ringe« der Wohnung