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Mit der vorliegenden Grammatik des niederfränkischen Dialekts der Grafschaft Moers am Beispiel der Baerler Mundart definiert der Autor für die im Sprach- und Schriftgebrauch zum Ausdruck kommende Mundart grammatikalische Regeln und erfasst diese erstmals systematisch. Der stürmische Wandel der Zeit- und Lebensumstände hat weithin auch die Sprachkultur erfasst und damit zugleich auch den Fortbestand des hohen Kulturgutes lokaler Mundarten, wie hier z.B. des Grafschafter Platt, in zunehmendem Maße gefährdet. Platt wird fast nur noch von der älteren Generation gesprochen, aber auch sie wendet es im Alltag immer seltener an. Die einheimische plattdeutsche Mundart droht in Vergessenheit zu geraten; schon heute ist die allgemeine Umgangssprache der Regiolekt des Ruhrgebiets (‚Ruhrisch’), der zwar noch niederdeutsche Elemente enthält, aber im Wesentlichen doch Hochdeutsch ist. Diese Entwicklung ist zwar bedauerlich, aber kaum mehr aufzuhalten. So ist der Hauptgrund für diese Grammatiksammlung öffentlicher Art: Sie soll den heutigen Bestand dokumentieren und vor dem Vergessen bewahren.
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Seitenzahl: 217
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Othmar Fiedler, geboren 1935 in Wanne-Eickel, ist pensionierter Studiendirektor. Nach seinem Abitur studierte er Romanische Philologie und Geographie in Marburg, Montpellier und Freiburg. Er schloss sein Studium 1960 mit dem Staatsexamen ab. 1974 zog er mit seiner Familie nach Baerl, das zu diesem Zeitpunkt noch ein Ortsteil der niederrheinischen Gemeinde Rheinkamp war und 1975 nach Duisburg eingemeindet wurde. Sein großes Interesse an Sprache und Fremdsprachen lockte ihn auch, sich mit der heimischen Baerler Mundart zu beschäftigen. Private Freundschaften, der Mundartchor Baalsche Kraien, sowie seine außergewöhnliche Sprachbegabung führten dazu, dass er den Baerler Dialekt erlernte. Für den Mundartchor komponierte er darüber hinaus Lieder und Chorsätze in Baerler Platt.
Diese Erfahrungen systematisierte er über einen längeren Zeitraum. Die nun vorliegende Grammatik ist das Ergebnis seiner persönlichen Beobachtungen und seines wissenschaftlichen Interesses zugleich.
Othmar Fiedler hat mit seiner Frau Gisela zwei erwachsene Töchter und lebt heute noch in Duisburg-Baerl.
Grammatik des niederfränkischen Dialekts der Grafschaft Moers am Beispiel der Baerler Mundart
(Georg Kreischer)
Wor ös os Moodersprook gebleewen –
hät osen Titt sej fottgedreewen?
Mar osen Titt,
send wej dat nit?
Wej höbben sälws et onderlooten
ok wi os Äldersch Platt de prooten.
An os leet dat,
dröm proot wärr Platt!
Os Moodersprook, di os gegäwen,
ös jo en Stökk ok van os Läwen.
Vergät dat nit
en desen Titt.
Mät Platt düüt me sech bäss verstoon,
dröm dörw et ok nit ondergoon.
Wän’t nit gewoss:
Platt läw dör os!
Manch einer wird sich fragen: ‚Eine Baerler Grammatik – wozu braucht man das?’
Für mich gibt es da mehrere Gründe, persönlicher und allgemeinerer Art. Zunächst die persönlichen: Als ich vor etwa 4o Jahren nach Baerl kam, damals gerade noch Stadtteil von Rheinkamp, waren noch ein Teil der Baerler der mittleren und die meisten der älteren Generation in der Lage, Plattdeutsch zu sprechen, wenn auch im täglichen Ablauf schon meist die im Ruhrgebiet übliche Form der hochdeutschen Umgangssprache verwandt wurde. Für mich als ennen Tugetrokkenen war es interessant, mich mit dieser Sprachform zu beschäftigen. Zunächst war es leicht, einzelne Wörter und Redewendungen zu verstehen und zu erlernen, wobei mir gewisse Kenntnisse des Niederländischen hilfreich waren. Schwieriger war es dann aber herauszufinden, welche Veränderungen diese Wörter im Satzzusammenhang erfuhren. Um das zu begreifen, kam ich auf die Idee, Regeln zusammenzutragen, aus denen dann am Ende sich diese Baalsche Sprookleer entwickelte.
Hilfreich waren dabei die Gespräche mit Herrn Georg Kreischer, der in seinen Büchern1a als fast einziger Texte verschiedenster Art, von heiteren ‚Döneken’, geschichtlichen Rückblicken, nachdenklichen Texten bis hin zu Übersetzungen von Bibeltexten, von kleinen Zweizeilern in der Form von Aphorismen bis hin zu umfangreicher Lyrik und Liedtexten, in der Baerler Form des Grafschafter Dialektes veröffentlicht hat. Dazu kommen Lieder, meist in vierstimmmigen Chorsätzen, die ich gemeinsam mit Herrn Kreischer gesammelt, bearbeitet und auch neu geschaffen habe. Die Beispiele, die in der Baalschen Sprookleer die grammatischen Regeln veranschaulichen, stammen – soweit nicht von mir frei formuliert – aus diesen Büchern. Sie sollen unter anderem deutlich machen, dass diese Sprachform nicht eine Sprache nur für lustige Geschichtchen oder für eine bestimmte Gesellschaftsschicht ist, sondern dass sie in der Lage ist, alle Lebensbereiche abzudecken. Ich danke daher Herrn Georg Kreischer für die großzügige Unterstützung und Korrektur, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Mein Dank gilt auch Herrn Kurt Obersteiner, der in meiner Anfangszeit in Baerl mich ermutigt hat, mit meinen Versuchen, Plattdeutsch zu erlernen, weiterzumachen, anstatt herablassend festzustellen, dat me bedäjn1b hört, dat dat ok bloss ennen Tugetrokkenen ös.
Inzwischen sind vier Jahrzehnte vergangen. Platt wird fast nur noch von der älteren Generation gesprochen, aber auch sie wendet es im Alltag immer seltener an. Die einheimische plattdeutsche Mundart droht in Vergessenheit zu geraten; schon heute ist die allgemeine Umgangssprache der Regiolekt des Ruhrgebiets (‚Ruhrisch’), der zwar noch niederdeutsche Elemente enthält, aber im Wesentlichen doch Hochdeutsch ist. Diese Entwicklung ist zwar bedauerlich, aber kaum mehr aufzuhalten. So ist der Hauptgrund für diese Grammatiksammlung öffentlicher Art: Sie soll den heutigen Bestand dokumentieren und vor dem Vergessen bewahren.
Schön wäre es, wenn diese Arbeit - zusammen mit den Texten und Wörterbüchern von Herrn Kreischer und den von uns gesammelten Liedern - dazu beitragen würde, das Interesse an dieser großartigen Sprachform wieder stärker zu erwecken.
Duisburg-Baerl, im Januar 2015Othmar Fiedler
1a siehe Literaturverzeichnis
1b sofort
Der stürmische Wandel der Zeit- und Lebensumstände hat weithin auch unsere Sprachkultur erfasst und damit zugleich auch den Fortbestand des hohen Kulturgutes unserer heimischen Mundart, des Grafschafter Platt, in zunehmendem Maße gefährdet. Vielen Menschen unserer Region dürfte leider das Gefühl dafür verloren gegangen sein, wie sehr gerade unsere plattdeutsche Muttersprache mit ihrer lebensnahen und verbindlichen Art das zwischenmenschliche Miteinander bereichert. Ihr Verlust käme einer sprachlichen Verarmung gleich. So dürfte es denn im Rahmen der Bemühungen zur Bewahrung unserer Mundart förderlich und geboten erscheinen, den plattdeutschen Wortschatz, so wie er im niederrheinischen Dorf Baerl und seiner Umgebung üblich ist, vorsorglich zu erfassen und schriftlich zu dokumentieren.
Mit der hier vorliegenden Grammatik des niederfränkischen Dialekts der Grafschaft Moers am Beispiel der Baerler Mundart geht der Autor jedoch einen bedeutsamen und entscheidenden Schritt weiter, indem er für die im alltäglichen Sprach- und Schriftgebrauch zum Ausdruck kommende Mundart grammatikalische Regeln definiert und systematisch erfasst hat. Dieses aufwändige und verdienstvolle Bemühen bedarf umso mehr einer besonderen Würdigung, als der Autor in einem andren Sprachraum aufgewachsen ist und erst später Baerl zu seiner Wahlheimat erkoren hat.
Die Ausarbeitung einer Grammatik für unser Grafschafter Platt ist nicht nur als eine nahezu einmalige Besonderheit anzusehen, sondern sie stellt zugleich auch einen bedeutenden Beitrag zur Bewahrung unserer heimischen Mundart dar, den viele Mundartfreunde dankbar begrüßen und entgegennehmen werden.
Baerl, im Februar 2015Georg Kreischer
Vorwort
Geleitwort
Das Baerler Platt
Laute – Phoneme – Rechtschreibung
Artikel (Geschlechtswörter)
Bestimmter Artikel
Unbestimmter Artikel
Artikel in Verbindung mit Präpositionen
Substantive (Nomen, Hauptwörter)
Genus (grammatisches Geschlecht)
Deklination (Beugung)
Ersatz für den Genitiv (Wes-Fall)
Ersatz für den Dativ (Wem-Fall)
Pluralbildung (Mehrzahl)
Plural auf -(e)n
Plural ohne Endung, mit oder ohne Umlaut
Plural auf -er
Plural auf -s (-es, -sch)
Doppelte Pluralbildung
Unregelmäßige Pluralbildung
Verkleinerungsform
Verkleinerungsformen auf
-schen:
Verkleinerungsformen auf
-ken:
Adjektive (Eigenschaftswörter)
Adjektiv als Attribut
Adjektiv als Prädikatsnomen oder als Adverb
Substantiviertes Adjektiv
Besondere Formen
Vergleichsformen (Steigerung)
Positiv (Grundform)
Komparativ (erste Steigerungsstufe)
Superlativ (zweite Steigerungsstufe)
Unregelmäßige Steigerung (Zusammenfassung)
Pronomen (Fürwörter)
Personalpronomen (persönliche Fürwörter)
Reflexivpronomen (rückbezügliche Fürwörter)
Possessivpronomen (besitzanzeigende Fürwörter)
Demonstrativpronomen (hinweisende Fürwörter)
Relativpronomen (bezügliche Fürwörter)
Interrogativpronomen (Fragefürwörter)
Indefinitpronomen (unbestimmtes Fürwort)
Selbstständige Indefinitpronomen
Indefinitpronomen mit oder ohne Substantiv
Indefinite Zahladjektive (unbestimmte Zahlwörter)
Adverbien (Umstandswörter)
Lokaladverbien (Ort)
Temporaladverbien (Zeit)
Modaladverbien (Art und Weise)
Kausaladverbien (Grund, Folge, Zweck, Bedingung)
Interrogativadverbien (Fragewörter)
Steigerung von Adverbien
Pronominaladverbien
Partikeln
Abtönungspartikeln (Modalpartikeln)
Gradpartikeln
Steigerunspartikeln
Antwortpartikeln
Negationspartikeln
Präpositionen (Verhältniswörter)
Numerale (Zahlwörter)
Kardinalzahlen (Grundzahlen)
Ordinalzahlen (Ordnungszahlen)
Bruchzahlen
Wiederholungszahlen
Interjektionen (Ausrufewörter)
Verben (Zeitwörter, Tätigkeitswörter)
Hilfsverben
Vollverben
Starke und schwache Verben
Die Konjugation der Vollverben
Präsens (Gegenwart)
Präteritum (einfache Vergangenheit)
Partizip Perfekt (Mittelwort der Vergangenheit)
Partizip Präsens (Mittelwort der Gegenwart)
Perfekt und Plusquamperfekt (zusammengesetzte Zeiten der Vergangenheit)
Futur (Zukunft)
Passiv (Leideform)
Infinitiv (Nennform)
duun
mit dem Infinitiv
Verlaufsform
Konjunktiv (Möglichkeitsform)
Imperativ (Befehlsform)
Stammformen der starken Verben
Präteritum und Perfekt mit demselben Stammvokal
Präsens und Perfekt mit demselben Stammvokal
Alle Stammvokale verschieden
Alle Stammvokale gleich
Defekte Verben (fehlendes Präteritum)
Gemischte Verben
Veränderungen im Präsensstamm bei starken und schwachen Verben
Umlaut des Stammvokals
Diphthong als Stammvokal wird zum Umlaut
Sonstige Veränderungen des Stammvokals
Wechsel des Stammvokals bei unregelmäßigen Verben
Verben mit geänderten Pluralendungen
Besonderheiten bei starken und schwachen Verben
Langer Stammvokal – kurzer Stammvokal
Wechsel von Gleit-j zu -t bzw. -d
Wechsel von Umlaut zu Ausgangsvokal
Modale Hilfsverben
Formen
Gebrauch
Satzarten und ihre Konjunktionen (Bindewörter)
Hauptsätze
Verbindung von Hauptsätzen
Gliedsätze allgemein (Nebensätze)
Relativsätze
Indirekte Fragesätze
Subjekt- und Objektsätze
Temporalsätze (Umstandssätze der Zeit)
Modalsätze im eigentlichen Sinne (Umstandssätze der Art und Weise)
Vergleichssätze
Kausalsätze (Umstandssätze des Gundes)
Konditionalsätze (Bedingungssätze)
Konsekutivsätze (Folgesätze)
Finalsätze (Umstandssätze der Absicht)
Konzessivsätze (Umstandssätze der Einräumung)
Adversativsätze (Umstandssätze des Gegensatzes)
Gliedsätze ohne einleitende Konjunktion
Anhang
Wann enden Artikel, Adjektive, Pronomen auf –
n
, wann auf –
en
?
Wann erhalten Adjektive nicht die Endung –
e
?
Welche Endungen erhalten Adjektive?
Wann heißt der unbestimmte Artikel
en, enne, ennen?
Wann endet ein Verb auf –
t
?
Wann kann das Endungs-
n
bei Verbformen ausfallen?
Wörter, die mit dem Französischen verwandt sind
Wörter, die sich im Niederländischen finden, nicht aber im Hochdeutschen
Text in verschiedenen Orthographien
Verzeichnis der Verben
Literaturverzeichnis
Das Baalsche Platt ist die Mundart des Dorfes Baerl am Niederrhein, bis 1974 Bestandteil der Gemeinde Rheinkamp, ab 1975 eingemeindet zu Duisburg als Duisburg-Baerl. Historisch war Baerl immer ein Bestandteil der Grafschaft Moers bzw. des späteren Kreises Moers; trotz der Eingemeindung nach Duisburg sind die Beziehungen zu Moers immer noch wesentlich bedeutender als die zu Duisburg.
Das Baerler Platt ist daher eine lokale Variante der Grafschafter Mundart der alten Grafschaft Moers. Diese ist einzuordnen in das Niederfränkische, das zusammen mit dem Niedersächsischen das Niederdeutsch, das eigentliche Plattdeutsch, bildet in deutlicher Abgrenzung zum Hochdeutschen.
Das Baerler Platt hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Niederländischen, es wäre aber falsch zu sagen, das Grafschafter Platt sei ein niederländischer Dialekt, da beide Sprachformen Teile des Niederfränkischen sind. In den Niederlanden hat das Niederfränkische sich seit etwa 1200 zu einer eigenständigen Schriftsprache entwickelt, zunächst in seiner Brabantisch-flämischen Form, ab 1585 dann verstärkt auf der Grundlage der holländischen Dialekte, besonders des Dialektes von Amsterdam, zur heutigen Amtssprache, dem Algemeen Beschaafd Nederlands (allgemeines gebildetes Niederländisch).1
Das Niederfränkische teilt sich in Westniederfränkisch und Ostniederfränkisch; das Grafschafter Platt gehört zum Ostniederfränkischen, zu dem auch der Limburgsche Dialekt gehört, der entlang der Maas bis nach Belgien hinein gesprochen wird. Der Übergang zu den in Deutschland gesprochenen niederfränkischen Mundarten ist fließend.
Das Westniederfränkische umfasst die holländischen und die brabantisch-flämischen Mundarten. Die Grenze zwischen West- und Ostniederfränkisch verläuft noch auf niederländischem Gebiet westlich der Maas, entlang der Diest-Nimwegen-Linie. Westlich dieser Linie sagt man houden, koud, östlich halden, kald (halten, kalt). Die östlich dieser Linie gesprochenen Mundarten nennt man <Rheinmaasländisch>2.
Im Osten wird das Niederfränkische östlich des Rheins durch die Rhein-Issel-Linie vom Westfälischen abgelöst, das zum Niedersächsischen Sprachbereich gehört: Östlich dieser Linie bilden die Verben einen Einheitsplural wi maket, ji maket, sie maket gegenüber wej maken, gej mak, sej maken. Im Süden wird das Rheinmaasländische begrenzt durch die Benrather Linie (maken/machen), die den Übergang zum Hochdeutschen, hier zum Ripuarisch-Mittelfränkischen, bildet. Unterteilt wird das Rheinmaasländische durch die Uerdinger Linie (ik/ich); südlich dieser Linie finden sich Übergangsdialekte zum Hochdeutschen, wozu das Limburgsche, die Mundartformen von Mönchengladbach, Viersen bis hin nach Düsseldorf gehören und auch der im Süden an den Sprachbereich des Grafschafter Platts, in den auch das Baalsche Platt fällt, anschließende Nachbardialekt <Krieewelsch> (Krefeldisch).
Das Krieewelsch, das sich im Süden an das Platt der Grafschaft Moers anschließt und südlich der Uerdinger Linie liegt, weist in der Grundstruktur noch wesentliche Bestandteile des Niederdeutsch-Niederfränkischen auf; manche Sätze sind in beiden Dialekten fast gleich:
Baalsch:
Minnen Dumm ös so dikk wi dä dinnen.
Krieewelsch:
Minne Dumm is suo dick wie de dinne.
3
Hochdeutsch:
Mein Daumen ist so dick wie deiner (wörtlich; der deine).
Baalsch:
Ek mott dökks an min Mooder denken.
Krieewelsch:
Ech mot döx an min Motter denke
4
.
Hochdeutsch:
Ich muss oft an meine Mutter denken.
Obwohl der zweite Beispielsatz in beiden Formen sehr ähnlich ist, zeigt er doch in der Krefelder Form erste Übergänge zum Hochdeutschen:
-k> ch:ek > ech
-d- > t:Mooder > Motter, ebenso: Vaader > Vatter
Weitere Beispiele für den Übergang zum Hochdeutschen:
-
t
->
ss
:
fli
t
eg > flie
ß
ig
(fleißig)
g
>
j
:
g
e
g
oon
>
j
e
j
ange
(gegangen)
G
aad
>
J
aard
(Garten)
-
nd
> -
ng
/-
nk
:
Ha
nd
>
Ha
nk
(Hand)
Diese Entwicklung hat sich im Schriftdeutschen nicht durchgesetzt, ist aber typisch für das im Kölner Raum gesprochene hochdeutsche Mittelfränkisch (Ripuarisch). Dazu kommt eine Veränderung der Sprachmelodie, die stärker zum „Singen“ tendiert (vgl. den Kölner Dialekt). Andere Entwicklungen finden sich noch nicht im Krefelder Dialekt, so dass er in der Hauptsache noch zum Niederdeutschen gerechnet wird:
Das Baerler Platt ist also, wie das Niederländische, eine niederfränkische Mundart der Niederdeutschen Sprache (Plattdeutsch). Während jedoch das Baerler Platt auf der Stufe eines Dialektes stehen geblieben ist, hat sich das Niederländische auf der Basis des Westniederfränkischen auf Grund anderer soziologischer und politischer Bedingungen zu einer selbständigen Hochsprache entwickelt.
1 Hieraus hat sich in Südafrika seit Beginn der holländischen Besiedlung (1662) eine weitere Schriftsprache entwickelt, das Afrikaans (ursprünglich ‚Kapholländisch’ genannt).
2 Im 12. Jh. hatte das Rheinmaasländische eine literarisch wichtige Schriftsprache entwickelt; heute ist nur das Limburgische einigermaßen normiert, die weiter östlich davon gesprochenen Mundarten bleiben im Wesentlichen auf der Stufe von nicht normierten Dialekten.
3 Zitiert aus: Hausmann/Hausmann/Versteegen: Krieewelsch op de Reeh jebreit.
4 a.a.O.
Jedes Wort einer Sprache besteht aus Lauten, die in unterschiedlicher Zusammensetzung zunächst Silben und dann Wörter ergeben. Nicht alle Laute dienen zur Unterscheidung von Wörtern, daher ist es auch nicht nötig, dafür verschiedene Buchstaben zu benutzen. So fasst das K drei Laute zusammen, da es unterschiedlich gesprochen wird, je nachdem, ob ein a (Kante), ein i (Kind) oder ein u (Kunde) folgt; ähnlich ist es beim ch, das je nach Stellung anders gesprochen wird (ach >< ich), aber keinen Wortunterschied herbeiführt. Ein Bündel verwandter Laute, in einem Zeichen zusammengefasst und mit wortunterscheidender Funktion ausgestattet, nennt man Phonem. Ob es sich um ein Phonem oder nur um eine lautliche Variante handelt, kann man am besten bei Gegensatzpaaren erkennen, z.B. wach und Fach, die beide mit einem Reibelaut beginnen, der aber einmal stimmhaft (w) und einmal stimmlos (f) gesprochen wird und dadurch zwei völlig unterschiedliche Wörter bildet.
Das Phonemsystem des Baerler Dialektes ist umfangreicher als das des Hochdeutschen, so dass es zu Schwierigkeiten führt, die korrekte Aussprache durch ein gewohntes Schriftbild wiederzugeben, ohne weitere Hilfsmittel zu benutzen (Akzente usw.).
Das System der Vokalphoneme unterscheidet die Vokale nach der Länge (kurz >< lang) und nach dem Grad der Öffnung (geschlossen >< offen)5. Hierbei hat das Hochdeutsche ein regelmäßiges Grundschema: Kurze Vokale sind offen, lange Vokale geschlossen zu sprechen (kann >< Kahn; Bett >< Beet; still >< Stiel, Wonne >< wohne, muss >< Mus). Eine Ausnahme bildet nur das e, das lang sowohl geschlossen als auch offen existiert, dann wird es meist mit ä geschrieben (bete >< bäte). Daneben gibt es noch gerundete Vokale, die mit runden Lippen gesprochen werden: ö und ü, auch diese werden nach Öffnung und Länge unterschieden, wobei es im Hochdeutschen kein langes offenes ö gibt.
Das phonologische System der Grafschafter Mundart und damit des Baerler Platts ist in dem Zusammenhang wesentlich reichhaltiger; hier zunächst eine Übersicht der Vokalphoneme:
Erläuterungen zur Tabelle:
Die
kursiv
und
unterstrichen
dargestellten Phoneme gibt es im Hochdeutschen nicht.
Der Unterschied zwischen geschlossenem und offenem
i, u, a
ist nur gering und spielt im phonologischen System des Baerler Dialekts keine wortunterscheidende Rolle.
Mittelzungen-e kommt nicht in betonten Silben vor; es wird auch als dumpfes e bezeichnet. (vgl. hochdeutsch: Straß
e)
Mittelzungen-er ist ein dem Mittelzungen-e ähnlicher Laut, jedoch mit einer schwachen Andeutung eines Zäpfchen-r. (vgl. hochdeutsch: lieber
6
)
Hochdeutsche Beispiele:
geschlossenes o: B
oo
t,
offenes o: b
o
tt
geschlossenes e: W
e
g,
offenes e kurz: w
e
g (geh weg)
offenes e lang: w
ä
g (wäg ab)
geschlossenes ö: K
öter
offenes ö lang: K
ö
tter
Auch die Anzahl der wortunterscheidenden Diphthonge (Zwielaute) ist größer als im Hochdeutschen, wo es nur vier Diphthong-Phoneme gibt: /ai/, /au/, /oi/, /ui/ (ai, ei; au; eu, äu; ui7). Die Abgrenzung gegeneinander ist im Baerler Dialekt schwieriger, da einige in der Aussprache schwanken: häj/hai (er), koupen/kaupen (kaufen) u.a.m., so dass hier die Unterscheidung zwischen Laut und Phonem unscharf ist. Besonders problematisch ist die Differenzierung von /äi/ und /ei/; auch die bisher übliche Orthographie schwankt stark. Es gibt folgende Diphthonge:
Die Mitlaut-Phoneme sind im Vergleich zum Hochdeutschen weniger auffallend. Da jedoch der Grafschafter Dialekt die hochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht hat, fehlen einige Phoneme (z.B. /pf/) oder sind in der Verteilung sehr viel seltener (/ts/).
Wie im Hochdeutschen tritt auch im Grafschafter Platt am Wortende eine Mitlautverhärtung ein, sodass -b, -d, -v/w, -s auslautend wie -p,- t, -f, -ss gesprochen werden: Liv, Livken (Leib, Leibchen) wie /Lif/, /Lifken/, dörw (darf) wie /dörf/, ek höbb (ich habe) wie /ek höpp/, Gaad (Garten) wie /gaat/. Entsprechernd wird auch das -g am Wort- oder Wortteilende wie -ch gesprochen: Lekkeregkejt (Wohlgeschmack) /Lekkerechkäit/. Auch am Wortanfang hat g- einen Anklang zum ch- hin, so wird z.B. gej (ihr, Sie) fast wie /chej/ gesprochen.
Das s- am Wortanfang ist immer stimmhaft.
Das j- kann silbeneinleitend stehen, kann aber auch, nach einem Vokal bzw. Diphthong, als kaum hörbarer Gleitlaut gebraucht werden: Joor [jọ:r], bleujen [blǒijŏn].
Eine Hilfe dabei mag sein, dass
das kurze, geschlossene e oft einem hochdeutschen, kurzen i
(K
e
nd <> K
i
nd),
das kurze, geschlossene ö oft einem hochdeutschen, kurzen ü
(St
ö
k <> Stück),
oder i
(ö
mmer <>
i
mmer)
das kurze, geschlossene o oft einem hochdeutschen, kurzen u
(H
o
nd <> H
u
nd)
entspricht.
Weniger Schwierigkeiten gibt es bei der Darstellung der Länge: Es wird grundsätzlich das Prinzip der Verdoppelung angewandt, das dem Niederfränkischen nicht geläufige Dehnungs-h wird vermieden, z. B. Iserbaan (Eisenbahn), Scheenen (Schienen), woor (wahr), Fuur (Ackerfurche, Futter), das gilt auch für lange Umlaute: Fäären (Federn), Pööt (Pfoten), Füüt (Füße).Nur beim langen i wird - wegen leicht möglicher Verwechslungen, besonders in der Handschrift, mit dem ü -die Dehnung mit dem angehängten e (also ie) beibehalten14: fieren (feiern).
Lediglich bei der Entscheidung, ob es sich um einen langen oder einen kurzen Vokal handelt, schwankt die Orthographie, je nach Satzzusammenhang heißt es manchmal Dag, manchmal Daag:
Et Läwen ös nit jeden Dag wi me et höbbe well…
- Das Leben ist nicht jeden Tag wie man es haben will…
All körter send de Daagen, on kalder weijt dä Wend…
- Schon kürzer sind die Tage, und kälter weht der Wind…
Auch die Diphthonge sind nicht ganz einfach darzustellen, da sie meistens mit einem Übergangslaut verbunden sind: ein schwaches -j- bei Diphthongen mit -i (ai, ei, äi, oi, öi, ui, üi) und gelegentlich ein schwaches -w- nach Diphthongen mit -u (au, ou). Der Diphthong eu bzw. äu gehört zu den -i-Diphthongen, da er -im Gegensatz zur an das Hochdeutsche angelehnten Schreibweise - oi bzw. auch öi gesprochen wird. Bei offenen Silben (Silben, die mit einem Vokal bzw. Diphthong enden) ist das -j- meist hörbar, gerät der Diphthong aber in eine geschlossenen Silbe (Silbe, die auf einen Konsonant endet) oder ans Wortende, verschwindet das -j meist ganz, wird aber in der Schreibung beibehalten. So ist es bei der Schreibweise nicht immer ganz eindeutig, wann der entsprechende Diphthong ai, aij oder einfach aj geschrieben werden soll, z.B: draijen (drehen) - häj draijt (er dreht) - dän Draij (der Dreh); kraien (krähen); de Krai (die Krähe); Schej (Scheitel), sech scheje looten (sich scheiden lassen), Schäij (Etui, Köcher, vgl. ‚Scheide’) usw.
Bei den Konsonanten (Mitlauten) gibt es dagegen keine Probleme. Die Kürzung einer Silbe wird, wie im Hochdeutschen, durch Verdoppelung des folgenden Konsonanten verdeutlicht; Pott (Topf) >< Poot (Pfütze. Tümpel). Statt des Hochdeutschen ck wird kk geschrieben: Knekkersch (Knicker, Murmeln). Das anlautende /scht/, /schp/ wird wie im Hochdeutschen st-, spgeschrieben: Aanstriker (Anstreicher), Strikspöön (Streichhölzer). Auch im Plattdeutschen gilt die Regel der Auslautverhärtung, d.h. dass die Konsonanten w bzw. v, b und d am Ende eines Wortes oder Wortteils wie f, p und t zu sprechen sind.
5 ‚offen’ bedeutet, dass die Zunge weiter vom Gaumen entfernt ist, ‚ geschlossen’, dass der Abstand zwischen Zunge und Gaumen geringer ist.
6 Dieses Phonem ist für die Deutsch lernenden Ausländer die schwierigste Klippe.
7 Im Hochdeutschen selten (pfui, hui)
8 genauer äjmol, übliche Rechtsachreibung nimmt hier Rücksicht auf bessere Lesbarkeit
9 Das Diphthong-Phonem /oi/ hat eine leichte Tendenz zu /öi/ bzw. /öü/
10 scharfes s (ß)
11 stimmhaftes sch, wie g in Etage
12 Zäpfchen-r, d.h. nicht gerollt
13 gesprochen ts
14 Das Dehnungs-e, eine im Niederdeutschen weit verbreitete Praxis, findet sich noch in vielen Ortsnamen: Baerl, Straelen, Coesfeld, Buer usw.
Wie bei den meisten germanischen Sprachen werden auch im Grafschafter Platt drei grammatische Geschlechter unterschieden, die nicht unbedingt etwas mit dem natürlichen Geschlecht zu tun haben. Am Substantiv selbst kann man das Genus (grammatisches Geschlecht) meist nicht erkennen, im Singular (Einzahl) jedoch am Artikel.
Singular:
Plural:
- Maskulinum (männlich):
dä Klomp (der Holzschuh)
de Klompen (die Holzschuhe)
dän Drop (der Tropfen)
de Drööp (die Tropfen)
- Femininum (weiblich):
de Pann (die Pfanne)
de Pannen (die Pfannen)
- Neutrum (sächlich):
et Hus (das Haus)
de Hüüser (die Häuser)
In der männlichen Form gibt es im Singular zwei Formen: dä und dän. Das Grafschafter Platt kennt keine Kasus (Fälle) (vgl. später), durchgesetzt hat sich ein Einheitsfall, der auf dem Akkusativ (Wen-Fall) beruht (dä, dän > den). Meist fällt das n aus; nur vor Substantiven (und auch Adjektiven, vgl. später) bleibt es bei den Wörtern erhalten, die mit folgenden Buchstaben beginnen: b-, d-, t-, h-, z-, Vokal-:
dän Boum (der Baum), dän Dag (der Tag), dän Titt (die Zeit), dän Hond (der Hund), dän Zikk (der Spitzbart), dän Aap (derAffe), dän Enkel (der Fußknöchel), dän Oomen (der Onkel), dän Ullegen (der kleine Kerl).
Steht jedoch ein Adjektiv zwischen Artikel und einem solchen Substantiv, dann übernimmt das Adjektiv das -n (vgl. dort):
dän Dösch (der Tisch), aber: dä nejen Dösch (der neue Tisch)
dän erschden Dösch (der erste Tisch)
Anstelle des weiblichen Artikels de steht gelegentlich die verstärkte Form di:
Häj däj di Deern kössen.
- Er küsste das Mädchen.
Dor holt di Frou diep Loff on kritt: „ Ek gläuw Ou wall, dat gäw et nit.“
- Da holt die Frau tief Luft und schreit: „Ich glaub’s Ihnen wohl, das gibt es nicht.“
Auch anstelle des sächlichen Artikels et steht gelegentlich das verstärkte dat: