Wunderwelten - Friedrich Wilhelm Mader - E-Book

Wunderwelten E-Book

Friedrich Wilhelm Mader

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Beschreibung

"Wunderwelten" ist ein Zukunftsroman des deutschen Schriftstellers Friedrich Wilhelm Mader (1866–1945).

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Seitenzahl: 449

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Inhalt

Personenverzeichnis

Vorwort

1. Ein kühnes Unternehmen

2. Sannah, das Weltschiff

3. Eine wunderbare Entdeckung

4. Die Fahrt ins Leere

5. Im Weltenraum

6. Am Mond vorbei

7. Eine ernste Gefahr

8. Die großen Astronomen

9. Der Mars

10. Eine Landung auf dem Mars

11. Die Schrecken des Mars

12. Eine Entdeckungsreise auf dem Mars

13. Die Marsbewohner

14. Eine Marskatastrophe

15. Im Meteorenschwarm

16. Ein Konzert in der Sannah

17. Die Asteroiden

18. Die Planetoideninsel

19. Der Komet

20. Die Seeschlange

21. Jupiter

22. Ein Besuch auf dem Saturn

23. Eine unfreiwillige Polarreise

24. Eine Nacht auf dem Ringplaneten

25. Eine seltsame Welt

26. Ein Kampf um die Sannah

27. Vom Kometen entführt

28. Die Geheimnisse des äußersten Planeten

29. Eine Reise ins Unendliche

30. Schimpansenstreiche

31. Verloren im Weltraum

32. Der Riesenkraken

33. Ohne Luft!

34. Ein verhängnisvoller Zusammenstoß

35. Ein Wunder

36. In der Fixsternwelt

37. Eine neue Erde

38. Die Wunder Edens

39. Sonderbare Naturgesetze

40. Eine neue Tierwelt

41. Eine paradiesische Nacht

42. Höhere Wesen

43. Im Hause des Gastfreunds

44. Neue Erkenntnisse

45. Heliastra

46. Überirdische Klänge

47. Im Reiche des Friedens

48. Eine Reise auf dem Planeten

49. Münchhausens Fabeln

50. Abschied

51. Der Planet des Fremdartigen

52. Eine Weltkatastrophe

53. Durch die Sonne

54. Der Planet Merkur

55. Zurück zur Erde!

56. Sannah

Nachweise

Impressum

Personenverzeichnis

1. Lord Charles Flitmore

2. Mietje, Lady Flitmore, geborene Rijn, seine Gattin

3. Professor Heinrich Schultze

4. Kapitän Hugo von Münchhausen

5. Heinz Friedung

6. John (Johann) Rieger, Flitmores Diener

Zwei Schimpansen: Dick und Bobs

7. Ein alter Marsbewohner

8. Gabokol

9. Bleodila, seine Gattin

10. Fliorot, sein Sohn

11. Glessiblora, seine Tochter

12. Heliastra, seine Tochter

Im Schlußkapitel:

13. Doktor Otto Leusohn

14. Sannah, geborene Rijn, seine Gattin

15. Hendrik Rijn

16. Helene, seine Gattin, Doktor Leusohns Schwester

17. Tipekitanga, die Zwergprinzessin

18. Amina, ein Somalimädchen

19. Piet Rijn, Hendriks, Mietjes und Sannahs Vater

20. Frans, Sohn Piet Rijns

21. Klaas, Sohn Piet Rijns

22. Danie, Sohn Piet Rijns

Vorwort

Den vollen Gewinn von dieser Erzählung wird nur die schon gereiftere Jugend haben, die mit Verständnis und gewiß auch mit lebhaftem Interesse die Wunder der Sternkunde kennen lernen wird. Das ganze Gebiet der Astronomie soll ihr im Laufe der Erzählung in der Hauptsache erschlossen werden.

Nun werden aber auch wohl jüngere Leser, für welche die wissenschaftlichen Gespräche vielleicht noch zu hoch sind, die seltsamen Erlebnisse und Entdeckungen der Weltall-Reisenden lesen wollen. Diese mögen getrost die Stellen überschlagen, die ihnen noch nicht verständlich erscheinen, namentlich in Kapitel 8, 15, 18, 26, 32 und 48.

Sollte einem oder dem andern Kritiker einiges über die Grenzen des Wahrscheinlichen (natürlich nicht des »Möglichen«) hinauszugehen scheinen, so möge er sich aus den Nachweisen überzeugen, ob nicht die Wissenschaft selber die Phantasie stützt.

Eschelbach, im Juli 1911. Der Verfasser

1. Ein kühnes Unternehmen

Professor Dr. Heinrich Schultze lehnte sinnend in seinen Sessel zurück. Vor ihm auf dem mit Büchern und Papieren bedeckten Schreibtisch lag ein Brief, der seine Gedanken beschäftigte.

Da läutete es an der Eingangstüre seiner Wohnung und kurz darauf pochte es gewaltig an die Studierzimmertüre.

»Herein!« rief der Professor, sich erhebend.

Die Türe öffnete sich und es erschien ein ältlicher, doch frisch und blühend aussehender Mann von stattlicher Leibesfülle.

»Kapitän Münchhausen!« rief Schultze und eilte überrascht und erfreut auf den Mann zu, ihm beide Hände entgegenstreckend. »Welcher günstige Monsun führt Sie von Australien nach Berlin und just in dieser Stunde? Ich bin starr! Denken Sie, soeben weilten meine Gedanken bei Ihnen in Adelaide und ich wünschte mir, Sie herzaubern zu können.«

»Nun! Der Zauber ist gelungen!« lachte Münchhausen: »Da bin ich. Und was mich herführt? Sie wissen, ich halte das untätige Herumsitzen auf dem Kulturboden nicht lange aus. Na! habe ich gedacht: schaust einmal nach, was der olle Schultze macht; vielleicht plant er wieder irgendein famoses Unternehmen; da muß ich dabei sein! Und plant er keins, so will ich ihn aufrütteln und wir planen eines miteinander. He! Wie steht's damit, Professorchen?«

»Ich sage Ihnen, Sie kommen wie gerufen. Da, setzen Sie sich her, altes Haus.«

Unterdessen drückte der Professor auf den Knopf der elektrischen Klingel und beauftragte den hierauf erscheinenden Diener, eine Flasche Wein und zwei Gläser zu bringen und alsdann im Eßzimmer einen kalten Imbiß zu richten: »Das Feinste, was wir haben«, mahnte er: »Der Kapitän ist Feinschmecker.«

»Oho!« lachte dieser: »Habe ich mir nicht Termiten, Raupen und Rohrratten schmecken lassen, wenn es darauf ankam? Ich nehme alles wie es kommt.«

»Jetzt kommt aber etwas Besseres als afrikanische Hungerkost, alter Freund; und ich weiß, Sie nehmen das Bessere gerner an als das Schlechtere.«

»Ein Narr, wer's nicht tut! Aber nun, Professor, was planen Sie?«

»Ich habe eigentlich gar nichts geplant; aber ein andrer: Sie erinnern sich wohl noch Lord Flitmores?«

Münchhausen lachte, daß es dröhnte: »Auf so eine Frage kann doch nur ein weltfremder Professor verfallen! ›Erinnern‹ ist gut! Wenn man mit einem Manne, wie der Lord, solche Abenteuer erlebt, solche Kämpfe durchfochten und solche herrliche Stunden durchkostet hat, wie wir zwei beide, dann soll man ihn wohl vergessen können? Verzeihen Sie, Professor, aber Ihre Frage ist ... na, wie soll ich sagen?«

»Dumm!« ergänzte Schultze, seinerseits lachend: »Sie haben recht, oller Seebär. Also! Hier habe ich einen Brief von Flitmore erhalten. Er schreibt, er habe eine kaum glaubliche Entdeckung gemacht.«

»Kaum glaublich? Hören Sie, dem glaube ich alles, dem traue ich das Wunderbarste zu nach den Proben seines Erfindergenies, die er uns in Afrika gegeben.«

»Das stimmt! Aber hören Sie: er schreibt, seine Entdeckung hebe die trennenden Räume des Weltalls auf und gestatte Reisen nach dem Mond, nach den Planeten, vielleicht gar in die Fixsternwelt. Und nun ladet er mich ein, ihn auf seiner ersten Fahrt zu begleiten. Was halten Sie davon? Sollte er nicht doch ein wenig übergeschnappt sein?«

»Oh, daß die Männer der Wissenschaft keine neue, erstaunliche Entdeckung ohne Zweifel begrüßen können! Wenn die Professoren darüber zu entscheiden hätten, alle genialen Erfinder kämen ins Irrenhaus! Ich sagte Ihnen, dem Lord traue ich alles zu. Er ist ein Genie. Telegraphieren Sie ihm nur gleich, ob er mich mitnimmt? Ha! das gibt eine Reise! Das ist noch nie dagewesen, außer in der Phantasie kühner Schriftsteller: Da muß ich mit!«

»Das ist es ja gerade: Lord Flitmore bittet mich, ihn zu begleiten, da er weiß, daß ich mich in den letzten Jahren ganz auf die Astronomie geworfen habe und er meine Veröffentlichungen auf diesem Gebiet mit Interesse und Beifall verfolgte, wie er schreibt. Dann aber fragt er nach Ihnen und nach Ihrer Adresse. Er ist voll Bewunderung für das Automobil, das Sie erfanden, und mit dem wir Australien durchforschten.«

»Ja, ja, die Lore!« schmunzelte der Kapitän: »Sie war kein übler Gedanke. Aber nach dem Mond – ne! Das hätte sie doch nicht geleistet.«

»Also, bei Ihren technischen Kenntnissen und Ihrer Erfindungsgabe auf diesem Gebiet glaubt der Lord keinen besseren Ingenieur und Kapitän für sein Weltschiff finden zu können, als Sie, und wäre höchlichst erfreut, Sie für das Unternehmen gewinnen zu können.«

»Topp!« rief Münchhausen begeistert: »Wann reisen wir?«

»Holla!« lachte Schultze: »Nicht so eilig, alter Freund! Sie sind ein unüberlegter Jüngling. Bedenken Sie«, fuhr er ernst werdend fort: »Das Wagnis ist mehr als kühn: es geht auf Tod und Leben. Der Lord verfehlt nicht, dies ausdrücklich hervorzuheben: kein Mensch kann wissen, welche Gefahren und welch ungeahnte Katastrophen dem Erdenbürger drohen, der seinen heimischen Planeten verläßt und sich über die Atmosphäre in die Leere des Weltenraums erhebt.«

»Ging es etwa in Afrika und Australien und wo wir sonst noch forschten, nicht auch auf Tod und Leben? Ahnten wir im voraus die Gefahren, denen wir entgegengingen?«

»Wohl! Aber es waren irdische Gefahren.«

Der Kapitän zuckte die Achseln: »Hören Sie, Sie tifteliger Professor: Todesgefahr ist Todesgefahr, ob sie nun auf der Erde oder über der Erde droht, ist meines Erachtens völlig einerlei: mehr als unser Leben können wir hier oder dort nicht verlieren. Aber wer soll noch sonst mit? Auf die Reisegesellschaft kommt bei so etwas viel an.

»Eine große Gesellschaft wird es nicht werden: zunächst wird die Gattin des Lords ihn begleiten.«

»Schau, schau! Mietje! Allen Respekt! Ein beherztes Frauenzimmer ist sie stets gewesen, das hat sie uns damals in Ophir zur Genüge bewiesen.«

Schultze aber fuhr fort: »Ferner Flitmores Diener, John Rieger.«

»Freut mich, freut mich! Eine edle, treue Seele und ein gelungener Mensch. Er befindet sich also immer noch in des Lords Diensten?«

»Allerdings, und er hat sich zum tüchtigen Mechaniker ausgebildet, wie ihn Flitmore als eifriger Automobilfahrer braucht. Endlich will noch mein junger Freund Heinz Friedung sich uns anschließen. Ich riet ihm vergebens ab: er ist Feuer und Flamme für die Weltreise.«

»Hören Sie, Professor, den jungen Mann habe ich in mein Herz geschlossen seit wir unsre Reise nach den Unnahbaren Bergen mit ihm machten. Das gibt eine famose Reisegesellschaft! Was treibt denn unser Heinz seither und wo weilt er?«

»Er hat sich auf die Sprachwissenschaften geworfen und lebt hier in Berlin als Privatdozent. Er beginnt, sich einen Namen zu machen und hat, wie er mir anvertraute, eine epochemachende Entdeckung auf seinem Gebiet gemacht, doch verrät er noch nichts Näheres davon.«

Der Diener meldete, daß der Imbiß bereit stehe.

Die Beiden tranken ihre Gläser leer und begaben sich nach dem Speisezimmer.

2. Sannah, das Weltschiff

Eine Woche später landeten Schultze, Münchhausen und Heinz Friedung in Brighton und fuhren dann mit der Bahn nach Lord Flitmores Besitzung, die sich in der Grafschaft Sussex befand.

Ein prächtiges altes Schloß, von einem ausgedehnten Park umgeben, an den Felder, Wiesen und Waldungen stießen – ein ganzes kleines Königreich – wurde den Ankömmlingen als des Lords Residenz bezeichnet.

Von weitem schon konnte man über die Baumwipfel eine Riesenkugel emporragen sehen, die im Sonnenschein glitzerte.

»Das ist des Lords Weltschiff!« rief Heinz Friedung.

Schultze schüttelte den Kopf: »Dies Fahrzeug muß ein fabelhaftes Gewicht haben«, meinte er: »Wie sich Flitmore damit in die Luft erheben will oder gar über die Atmosphäre, ist mir rein unerfindlich.«

Der Kapitän aber entgegnete: »Brauchen Sie auch nicht zu erfinden, Professor! Seien Sie getrost, das Genie unsres englischen Freundes hat zweifellos die Aufgabe gelöst, sonst hätte er uns nicht zur Fahrt eingeladen.«

Lord Flitmore hatte die Gäste um diese Stunde erwartet und kam ihnen mit seiner jugendlichen Frau bis an das Parktor entgegen.

Er war ein hochgewachsener Mann mit rötlichem Backenbart. Eine ernste Würde verlieh ihm etwas Steifes, echt Englisches; doch das war nur äußerlich: obgleich er nicht viel Worte machte und seine Begrüßung ziemlich trocken klang, merkte man doch die warme Herzlichkeit und die aufrichtige Freude heraus.

Mietje, seine Gattin, eine geborene Burin aus Südafrika, gab sich keinerlei Mühe, ihre Gefühle hinter gemessener Würde zu verbergen: sie kam den Freunden mit strahlendem Lächeln entgegen und schüttelte allen kräftig die Hand.

Schultze und Münchhausen waren alte Bekannte des Lords von Afrika her; an Heinz wandte sich der Engländer mit den Worten:

»Sie, Herr Friedung, sind mir auch schon lange bekannt und wert, wenn ich Sie auch persönlich noch nie traf; haben Sie doch in den Schilderungen der australischen Reise meiner Freunde stets eine hervorragende und sympathische Rolle gespielt.«

Für die Ankömmlinge war ein wahres Festmahl gerichtet und sie wurden fürstlich bewirtet; dann gab es noch gar vieles zu berichten über ihre Erlebnisse und Arbeiten in der Zeit, da sie den Lord nicht mehr gesehen. Punkt zehn Uhr jedoch hielt Flitmore seine häusliche Abendandacht, worauf sich alles zur Ruhe begab.

Am andern Morgen nach dem Frühstück führte der Lord seine Gäste auf die weite Wiese, auf der die gewaltige Kugel ruhte, die schon bei ihrer Ankunft das Erstaunen unsrer Freunde geweckt hatte.

»Das also ist Ihr Luftschiff?« bemerkte der Professor, als sie bewundernd an der mächtigen Sphäre hinaufblickten.

»Weltschiff«, verbesserte Flitmore: »Ein Luftschiff ist an die Atmosphäre gefesselt, wir aber wollen mit diesem Fahrzeug den Luftraum verlassen, wenigstens die Lufthülle, die unsern Erdball umgibt; darum können wir füglich von einem ›Luftschiff‹ nicht mehr reden: Die ganze Welt, der unendliche Raum steht diesem Vehikel offen.«

»Sie haben recht«, gab Schultze zu. »Also ›Weltschiff‹.«

Der Engländer aber fuhr fort:

»Ich habe übrigens meiner Kugel einen eigenen Namen gegeben. Der schöne Gedanke, den Sie hatten, Herr Kapitän, als Sie Ihr Automobil ›Lore‹ tauften, hat mir eingeleuchtet, und so gab ich meiner Erfindung den Namen ›Sannah‹.«

»Zu Ehren Ihrer liebenswürdigen Schwägerin, der mutigen Gattin unsres Freundes Doktor Leusohn in Ostafrika?« fragte Schultze.

»Gewiß!« fiel Mietje ein: »Wir kamen beide sofort auf den Gedanken, den Namen meiner fernen Schwester für das Gefährt zu wählen, das uns auf einer Reise voll unbekannter Gefahren zur Heimat werden soll.«

»Freut mich!« rief Münchhausen: »Mit Sannah bin ich mit besonderer Vorliebe gereist, und ich bin überzeugt, diese neue Sannah wird ihrem Namen Ehre machen, uns Treue beweisen und die Reise so angenehm wie möglich gestalten.«

»Aus was für einem Stoff besteht eigentlich Ihr Weltschiff?« fragte nun Heinz Friedung: »Es glitzert ja wie Glimmer.«

»Diese schimmernde Hülle ist Flintglas«, erklärte Flitmore. »Wir müssen damit rechnen, daß wir auf unsrer Fahrt Temperaturen antreffen werden, die nicht nur unser Leben, sondern auch unser Fahrzeug vernichten könnten. Gegen die Kälte des Weltraums, die ich übrigens nicht für gar so schlimm halte, wie man meistens annimmt, schützt uns die elektrische Heizung.

Wir können aber auch durch Weltnebel und kosmische Staubwolken mit einer solchen Geschwindigkeit sausen, daß Sannah in Weißglut geriete, wie die Meteore, die in unsre Atmosphäre stürzen; das Gleiche wird ihr drohen, wenn wir uns der Sonne oder einem andern glühenden Weltkörper nähern. Ich habe daher die Hülle meines Weltschiffes genau so herstellen lassen, wie die Wandungen der feuerfestesten Kassenschränke und auch diese Hülle noch mit dem unverbrennlichen Flintglas überkleidet, so daß wir hoffen dürfen, ohne Schaden auch längere Zeit hindurch uns den höchsten Temperaturen aussetzen zu dürfen.«

»Aber die Fenster?« warf Schultze ein.

»Ich habe allerdings sechs große Fenster, die aus sehr dickem Glas bestehen und einen Ausblick nach allen Seiten gestatten. Unter jeder dieser Scheiben befindet sich ein mächtiges Fernrohr, da wir mit bloßem Auge meist nicht viel zu sehen bekämen. Sobald wir jedoch einer Hitze ausgesetzt würden, die meinen Fenstern gefährlich werden könnte, genügt der Druck auf einen Knopf im Innern des Schiffes, um im Augenblick sämtliche Fenster mit einem Schutzdeckel völlig dicht zu schließen, wie mit einem Augenlid.«

»Ungeheure Größenverhältnisse hat Ihr Weltschiff, das muß ich sagen!« bemerkte der Kapitän bewundernd.

»Eigentlich sind sie gering«, erwiderte der Engländer: »Ein Zeppelinsches Luftschiff zum Beispiel hat noch ganz andre Maße. Meine Kugel hat 45 Meter im Durchmesser; um den Mittelpunkt befindet sich ein Raum von 15 Metern in der Länge, Breite und Höhe, der somit 3375 Kubikmeter Rauminhalt hat. Hier sind die Reisevorräte verstaut in mehreren pyramidenförmigen Abteilungen mit der Spitze nach unten, das heißt nach dem Mittelpunkte zu.

Dieser Mittelraum bildet die Grundlage für die einzelnen Zimmer, die von ihm nach sechs Seiten hin ausstrahlen bis an die Hülle hin. Jedes dieser Zimmer, 5 Meter breit und etwa 3 Meter hoch, so daß sich allemal 5 solcher Säle übereinander befinden, deren äußerster als Wohn- und Beobachtungszimmer dient; leiterartige Treppen führen von einem Stockwerk zum andern. Die obersten Zimmer sind 15 Meter lang, die andern werden nach dem Zentrum zu etwas kürzer.

Abgesehen von den äußersten Gemächern, die sich unmittelbar unter der Wölbung der Kugelhülle befinden, bietet jede dieser dreißig Aufenthaltsgelegenheiten einen Raum von 200 bis 225, im ganzen etwas über 6000 Kubikmetern. Außer den Wohn- und Schlafzimmern habe ich hier Werkstätten eingerichtet: eine Schreinerei, eine Schmiede, ein chemisches Laboratorium; die übrigen Räume dienen abwechselnd zum Aufenthalt, wenn die verbrauchte Luft in den andern erneuert werden muß.

Die äußersten Kammern unter der Oberfläche sind durch besondere Gänge miteinander verbunden, die ich Meridiangänge benenne, weil sie gleichsam als innere Länge- und Breitengrade im Innern der Kugel verlaufen.«

»Auch außen haben Sie, scheint es, Meridiane angebracht«, bemerkte Münchhausen.

»Sie meinen die Rampen?« fragte der Lord: »Diese kleinen Geländer, die ich für bestimmte Zwecke für vorteilhaft hielt, strahlen allerdings auch von einem Punkte aus und kreuzen sich wieder im entgegengesetzten Punkte, stellen also füglich Längengrade dar.

Den sechs Sälen, die sich unmittelbar unter der äußeren Umhüllung der Kugel befinden, gab ich aus praktischen Gründen besondere Namen: zu oberst befindet sich das Zenitzimmer, zu unterst das Antipodenzimmer; in der Mitte, dem Äquator, wenn Sie wollen, zeigt sich vor uns das Nordpolzimmer, dem hinten das Südpolzimmer entspricht; rechts das Ostzimmer, links das Westzimmer. Wie Sie sehen, verfuhr ich etwas unwissenschaftlich mit diesen Benennungen, da ich Nordpol und Südpol auf den Äquator verlegte. Aber das ist ja alles bloß Übereinkommen: betrachten Sie die Linie, die vom Zenitzimmer über das Ost- und Antipodenzimmer zum Westzimmer läuft als Äquator, so stimmt die Sache wieder und wir haben zwei einander senkrecht schneidende Äquatorlinien, aus dem einfachen Grunde, weil meine Kugel nicht in Grade eingeteilt ist, aus der wir eine andere Bezeichnung für den Längsäquator hernehmen könnten und weil ich meine Rampenmeridiane vom Zenit- statt von einem Polzimmer ausgehen ließ.«

»Mit all den genannten Räumen aber«, warf Schultze ein, »ist der Raum Ihrer Kugel noch lange nicht ausgenützt.«

»Gewiß nicht! Mein Weltschiff hat einen Umfang von 141,3 Metern, eine Oberfläche von 6358,5 Quadratmetern und einen Inhalt von 47 688,75 Kubikmetern. Rechnen wir den Raum der 30 Zimmer, der Vorratskammern und der Meridiangänge ab, auf die zusammen etwa 10 000 Kubikmeter kommen, so verbleiben noch beinahe 38 000 Kubikmeter; von diesen werden etwa 30 000 durch die Stahlkammern ausgefüllt, die gepreßten Sauerstoff enthalten und ungefähr 8000 sind mit Ozon angefüllt; denn was wir vor allem brauchen, ist Luft, gesunde, stets erneuerte Luft.«

»Sie erwähnten vorhin die elektrische Heizung«, nahm der Kapitän wieder das Wort: »Ich darf wohl annehmen, daß auch Küche, Schmiedewerkstatt und chemisches Laboratorium nur auf elektrischem Wege geheizt werden, um jede Rauchentwicklung zu vermeiden.«

»Ganz richtig«, bestätigte Flitmore.

»Wie aber beschaffen Sie die elektrische Kraft?«

Der Lord lachte: »Sie kennen ja meine mächtigen Batterien von Afrika her, Kapitän. Aber ich gestehe ehrlich, die Hauptsache für die elektrische Speisung meiner Sannah verdanke ich Ihnen. Sie haben ja kein Geheimnis aus Ihrer wunderbaren Erfindung gemacht, dem ausgezeichneten Akkumulator, der Ihre Lore trieb. Nun, solche Akkumulatoren, System Münchhausen, nehme ich mehrere mit und erzeuge, wie Sie, die nötige Reibungselektrizität durch eine Maschine hauptsächlich mit Handbetrieb, so weit meine Batterien nicht dazu ausreichen sollten.«

3. Eine wunderbare Entdeckung

Nach diesen Erklärungen lud Flitmore seine Gäste ein, die Innenräume zu besichtigen, was diese unter seiner Führung mit regstem Interesse taten.

Sie fanden alles mit größter Zweckmäßigkeit und Behaglichkeit eingerichtet, was ihnen zunächst auffiel, war, daß sämtliche Einrichtungsgegenstände, also Tische, Stühle, Bettstellen usw. aus Kautschuk hergestellt waren, wie auch Wände, Decken und Fußböden sich mit dicken Gummiplatten ausgelegt erwiesen; was aber aus Holz und Metall bestand: Hobelbank, Amboß, Herd usw. war am Fußboden festgeschraubt.

»Diese Vorsicht glaubte ich nicht außer acht lassen zu dürfen«, erklärte der Lord, »da wir nicht wissen können, welchen Erschütterungen unsre Sannah ausgesetzt sein kann, wenn sie etwa mit einem Meteoriten zusammenstoßen sollte oder etwas unsanft auf irgendeinem Weltkörper zum Landen käme.«

Die Besichtigung nahm mehrere Stunden in Anspruch. Als nun alles eingehend betrachtet und bewundert worden war, nahm Heinz Friedung das Wort:

»Verzeihen Sie, Lord Flitmore«, sagte er: »Sie sehen uns alle überzeugt, daß kein Fahrzeug umsichtiger und zweckmäßiger für eine kosmische Reise ausgerüstet sein könnte, als Ihre herrliche Sannah; aber welche Wunderkraft soll sie in den Weltraum schleudern? Das ist das Rätsel, das ich vergeblich zu lösen versuche. Dürfen wir etwas davon erfahren oder ist es ein Geheimnis?«

»Sie haben recht«, erwiderte Flitmore: »Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Es handelt sich hier um eine Entdeckung, die ich zufällig machte, und die mir erst den Gedanken und die Möglichkeit eines solchen Unternehmens gab.

Sie kennen die Schwerkraft und ihre Gesetze und wissen auch, daß die Wissenschaft keine Ahnung davon hat, was diese Schwerkraft ihrem Wesen nach eigentlich ist. Die Anziehungskraft der Weltkörper ist ja wohl eine Erklärung für die Schwerkraft, aber wir wissen eben geradesowenig, was die Anziehungskraft ist und worauf sie beruht. Würde sie auf der Umdrehung oder Rotation beruhen, so müßten wir zum Beispiel gegen die Erdachse angezogen werden, während tatsächlich die Anziehung gegen den Mittelpunkt der Erde sich richtet: es ist eine Zentripetalkraft. Möglicherweise hängt diese Kraft mit dem Magnetismus zusammen und dieser wieder mit der Elektrizität.

Nun wissen Sie, daß es eine positive und eine negative Elektrizität gibt: was die eine anzieht, stößt die andere ab; so gibt es einen positiven und einen negativen Magnetpol, einen Nord- und einen Südpol, und der Zentripetalkraft entspricht eine Zentrifugalkraft. Mit andern Worten, außer der Anziehung gibt es auch eine Abstoßung, und letztere Kraft nenne ich ›Fliehkraft‹.

Es ist klar, daß, wenn unsre Erde neben ihrer Anziehungskraft auch eine abstoßende Kraft besitzt, erstere bei weitem überwiegen muß in bezug auf ihre Wirkung auf alle irdischen Körper; denn sämtliche Körper, auf welche die Abstoßungskraft überwiegend wirken würde, müßten sofort von der Erde abgestoßen werden, wären also nicht mehr da. Aus diesem einfachen Grunde bleibt uns diese zweite Kraft verborgen.

Nun habe ich aber durch zufällige Kombinationen eine Elektrizität oder einen magnetischen Strom entdeckt, der diese Fliehkraft darstellt.

Wird der Strom geschlossen, so werden die von ihm durchströmten Körper von der Erde abgestoßen und das mit um so größerer Kraft, je stärker der Strom ist. Bei unterbrochenem Strom tritt die Anziehungskraft der Erde wieder in ihre Rechte.

Meine ›Fliehkraft‹ ist sozusagen die umgekehrte Schwerkraft, ein Magnetismus, der vom Erdmagnetismus abgestoßen wird, und der seinerseits auf diesen abstoßend wirkt.

Das ist das ganze Geheimnis. Alle Versuche, die ich anstellte, hatten den gleichen Erfolg; jeder Körper, den ich mit Fliehkraft lud, und wenn er sonst noch so schwer war, erhob sich in die Luft mit wachsender Geschwindigkeit und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Sie begreifen, daß mir diese Entdeckung den Gedanken nahelegen mußte, ein Fahrzeug herzustellen, das mittels der Fliehkraft sich dem Bereich der Anziehungskraft unsres Erdballs entziehen könnte.«

Mit großer Verwunderung lauschten unsre Freunde diesen überraschenden Ausführungen und Schultze meinte kopfschüttelnd: »Na, wir werden ja sehen!«

4. Die Fahrt ins Leere

Es war eine helle Nacht, wenngleich der Mond nur die Hälfte seines beleuchteten Angesichts zeigte, als die kühne Reisegesellschaft ihre abenteuerliche Fahrt antrat. Flitmore ließ noch einige letzte Vorratskisten und Gebrauchsgegenstände in der Sannah verstauen. Auch die von ihm erfundene und in Afrika erprobte Nährmaschine nahm er für alle Fälle mit. In Kolben und Metallgefäßen verwahrte er die chemischen Stoffe, aus denen er mittels der Maschine Tabletten von hohem Nährwert erzeugen konnte. Dies hatte den Vorzug, daß in kleinen Behältern, die nur sehr wenig Raum einnahmen, die Mittel zur Verköstigung auf viele Monate mitgenommen werden konnten. Überdies vermochte er mit seiner Maschine bei einer Landung aus jedem Erdreich, das die für den Pflanzenwuchs nötigen Bestandteile enthielt, diese Bestandteile auszusondern und zu verarbeiten, genau wie es die Pflanzen tun, die Mehl und genießbare Früchte erzeugen. Wozu aber die Halme, Gesträuche und Bäume Monate oder wenigstens Wochen benötigen, das brachte die Nährmaschine in wenigen Stunden zuwege. So schloß diese geniale Erfindung eine Hungersnot aus, auch wenn die reichen Lebensmittelvorräte erschöpft werden sollten, im Falle die Reise sich über alle Erwartungen hinaus verlängern würde.

Besonders wichtig war dem Lord auch sein photographischer Apparat, mit dem er nach dem neuesten Verfahren Lichtbilder in natürlichen Farben herzustellen verstand.

Heinz trug seine geliebte Violine in ihrem Kasten bei sich: er war ein Meister im Geigenspiel und die Zartheit und Gefühlsinnigkeit seines Strichs übertraf selbst das, was man von berühmten Virtuosen zu hören gewohnt ist. Überdies blies er gelegentlich auch Piston mit ebensolch vollendeter Meisterschaft.

Flitmore selber war ein begeisterter Kenner und Freund der Musik. Er spielte nicht weniger als drei Instrumente mit gleicher Fertigkeit, das Klavier, das Cello und die Posaune.

Da Lady Flitmore auf dem Klavier Vorzügliches leistete, John Rieger, der Diener, Flöte blies und selbst Kapitän Münchhausen nicht unmusikalisch war, konnte man hoffen, in der Sannah Konzerte aufzuführen, die sich überall hätten hören lassen dürfen.

Der Lord hatte daher nicht versäumt, für solche willkommene Veranstaltungen in der Sannah ein eigenes, glänzend ausgestattetes Musikzimmer einzurichten, das sogar einen Flügel enthielt, dazu Blas- und Streichinstrumente aller Art, ein ganzes Orchester. Für die nötigen Noten und Partituren war selbstverständlich reichlich gesorgt: da sollte keine Langeweile aufkommen!

Alle waren vor der Eingangspforte der Sannah versammelt, zum Einsteigen bereit, als Flitmores treuer Diener John noch als Letzter erschien, und zwar begleitet von zwei kräftigen Affen, die der Lord den erstaunten Gefährten folgendermaßen vorstellte:

»Sie sehen hier zwei dienstbare Geister, die Schimpansen Dick und Bobs. Der erstere verdankt seinen Namen einem schlechten Wortspiel, da er in der Tat etwas fettleibig ist, also in deutscher Sprache als ›Dick‹ bezeichnet werden kann; der zweite hat eine auffallende Ähnlichkeit mit Lord Roberts, dem Feldmarschall, den wir bekanntlich ›Bobs‹ heißen.

Die Tiere sind äußerst intelligent und gelehrig und sind vorzüglich eindressiert auf das Treiben der Maschine zur Speisung des elektrischen Akkumulators. Sie mögen uns ferner von Nutzen sein, wenn das Schicksal uns auf einen Weltkörper verschlagen sollte, der mit Pflanzenwuchs gesegnet wäre. Da wir in solchem Fall gegenwärtig sein müssen, lauter uns völlig unbekannte Früchte dort vorzufinden, werden uns die Schimpansen davor bewahren, irgend etwas Giftiges oder Schädliches zu genießen; denn darin ist ihr Instinkt untrüglich.«

Mit vor Erwartung klopfenden Herzen betraten unsre Freunde die unterste Kammer der Sannah, die eher ein Saal zu nennen war, wie alle ihre Räume. Nun mußte es sich bald zeigen, ob eine Erhebung in den unendlichen Raum möglich sei. Und wenn es geschah – was würden ihrer für Überraschungen, für Gefahren dort warten?

»Charles«, sagte Mietje zu ihrem Gatten: »Ich will mich in das oberste Stockwerk begeben und unsre Annäherung an den Mond beobachten.«

»Vortrefflich«, stimmte Flitmore ihr zu: »Wollen Sie vielleicht so freundlich sein, meine Frau zu begleiten, Heinz? Wir wollen unterdessen betrachten, wie die Erde aussieht, während wir uns von ihr entfernen. Wenn da nichts mehr zu sehen ist, kommen wir auch nach oben, und das wird bald der Fall sein; denn nach meinen Berechnungen werden wir schnell die Geschwindigkeit des Lichts erreichen, 300 000 Kilometer in der Sekunde.«

»Na, na!« rief der Professor zweifelnd.

»Steigen Sie die Treppe hinauf, Sie alter Zweifler«, sagte der Lord; »wie Sie sehen, befindet sich Okular und Spiegel des Teleskops dort oben in der Nähe der Decke. Es ist dies freilich etwas unbequem für den Beobachter, aber was wollte ich machen, wo es gilt nach unten Ausschau zu halten.«

»Wissen Sie auch, was oben und unten ist?« rief Heinz, der eben durch die obere Luke in der Decke das Gemach verließ, dem Lord herab.

Niemand begriff, was er damit meinte; aber der Gedanke, der dem jungen Gelehrten soeben aufgeblitzt war und ihn zu dieser merkwürdigen Frage gebracht hatte, hatte seine volle Berechtigung, wie die Zurückbleibenden binnen kurzem erfahren sollten.

Heinz hatte inzwischen die Luke hinter sich verschlossen und stieg mit Lady Flitmore weiter hinan von Stockwerk zu Stockwerk, bis die 14 drei Meter hohen Treppen überwunden waren und sie im obersten Saal anlangten.

Flitmore verschloß während dieser Zeit den Eingang zum untersten Raume hermetisch und überzeugte sich, ob alles in Ordnung und nichts vergessen worden sei.

Der Professor saß bereits auf dem obersten Absatz der Stiege am Okular des Fernrohrs.

»Nun denn, in Gottes Namen und im Vertrauen auf des Allmächtigen Schutz!« rief der Lord feierlich: »Meine Herren, ich schließe den Strom.«

Da geschah etwas völlig Unerwartetes.

Mietje und Heinz vernahmen in diesem Augenblick ein dumpfes Geräusch, das sich durch das ganze Fahrzeug fortpflanzte.

»Was bedeutet das?« fragte die Dame.

»Es purzelt alles durcheinander«, sagte Heinz lachend: »Die Herren lernen jetzt oben und unten aus praktischer Erfahrung unterscheiden, sie sind jedenfalls alle herabgestürzt.«

»Wieso?« fragte Mietje erschrocken: »Hat mein Mann den Eingang nicht rechtzeitig verschlossen? Unmöglich! Sie meinen doch nicht, daß sie herausgestürzt sind, während die Sannah sich erhob?«

»Nein, nein! Überhaupt bei der guten Auspolsterung der Räume hat es keine Gefahr, und was wir vernommen haben, ist nur das Durcheinanderpoltern der Kisten und Ballen in den unteren Vorratskammern; denn aus den gummibelegten Sälen kann kein Ton bis zu uns dringen.«

Die Lady schüttelte den Kopf; sie begriff nicht recht und dachte nur, die Abfahrt sei mit einem starken Ruck erfolgt, der dort unten einiges durcheinandergeworfen habe. Freilich, ganz unerklärlich blieb es dann immer noch, daß hier oben auch nicht die geringste Erschütterung zu spüren gewesen war.

Was war geschehen?

Die Männer dort unten waren sich selbst nicht klar darüber, während das Ereignis sich mit einer erschreckenden Plötzlichkeit abspielte.

Dem Professor auf seinem Sitz am Plafond war es plötzlich, als habe er einen Purzelbaum gemacht und stehe nun auf dem Kopf; und doch hatte er sich nicht geregt.

Im gleichen Augenblick kollerten Lord Flitmore und sein Diener die Treppe herauf oder vielmehr herunter, wie es nun aussah, und kamen auf Schultze zu liegen.

Wie eine Bombe platzte gleichzeitig Münchhausen herab, glücklicherweise in einiger Entfernung, so daß seine Leibesfülle keinen der andern traf, sonst hätte es ein Unglück gegeben.

Dank seinem Fettpolster und dem Guttaperchaüberzug der Decke nahm er bei dem Sturz aus drei Meter Höhe keinen Schaden.

Sämtliche Möbel des Zimmers stürzten ebenfalls herab und kamen zum Teil auf den zappelnden Männern zu liegen und über alles hinweg turnten die erschreckten Schimpansen.

»Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!« grollte Schultze, als Flitmore und John die glücklicherweise so gummiweichen Sessel von sich abgewälzt hatten und den Professor von der Last ihrer eigenen Körper befreiten.

Alle drei richteten sich auf und Schultze stellte mit Befriedigung fest, daß keiner verletzt war.

Dann sah er sich um.

»Weiß der Kuckuck!« rief er, »wir stehen auf dem Plafond. Wahrhaftig, die Decke ist zum Fußboden und der Fußboden zur Decke geworden. Schauen Sie doch: die Treppe hängt verkehrt herab und das Teleskop ist nach oben gerichtet. Da! Sehen Sie! Die Erde schwebt über uns, ah! herrlich!«

In der Tat bot die mondbeschienene Erde einen prächtigen Anblick; sie entfernte sich mit rasender Geschwindigkeit und schon sah man durch das große Fenster die Umrisse der britischen Inseln wie auf einer Landkarte sich aus dem weißglänzenden Meer erheben.

»Na! So helfen Sie doch mir erst auf die Beine«, rief Münchhausen unwirsch, während er sich vergeblich bemühte, den großen Kautschuktisch von sich zu wälzen, der seinen Bauch beschwerte.

Lachend befreiten ihn Schultze und John und richteten ihn dann mit großer Anstrengung auf.

»Ich hab's!« rief in diesem Augenblick der Lord. »Nein! Daß ich auch das nicht in Rechnung zog! Wahrhaftig, Heinz Friedung beschämt uns alle. Hat er uns nicht noch zugerufen: ›Wissen Sie auch, was oben und unten ist?‹ Er allein hat die Folgen geahnt, die aus der Loslösung von der Anziehungskraft der Erde sich ergeben mußten.«

»Schafskopf, der ich bin!« rief Schultze und glaubte im Augenblick selber an die Richtigkeit seiner Behauptung: »Das ist ja sonnenklar! Stößt die Erde uns ab, so ist auch die Richtung nach der Erde für uns nicht mehr unten, sondern oben! Lord, entweder müssen Sie die Einrichtung Ihrer sämtlichen Zimmer völlig umändern oder Sie müssen zusehen, ob Sie Ihre ganze Sannah zu einer Umdrehung veranlassen können, sonst stehen Ihre sämtlichen Stiegen auf dem Kopf.«

»Das ist meine geringste Sorge«, erwiderte Flitmore. »Die Treppen sind leiterartig und leicht gebaut, bestehen aus Aluminium und lassen sich aushaken. Wir können sie ohne große Mühe umdrehen; aber ich sorge, ob Mietje und Heinz keinen Schaden nahmen, und wie wird es in meinem chemischen Laboratorium aussehen! Die Röhren und Gläser alle in Scherben. Schade! Ein Glück, daß die elektrischen Glühbirnen an den Wänden und nicht an den Plafonds angebracht waren, sonst ragten sie jetzt aus dem Fußboden empor und wären durch die stürzenden Möbel zertrümmert worden.«

Es wurde beschlossen, zunächst nach der Lady und Heinz zu sehen.

Die Deckenluken waren nun zu Falltüren im Fußboden geworden und die Treppen, die als Aufstieg berechnet waren, galt es nun hinabzuklettern. Hiezu mußten sie erst ausgehängt und umgedreht werden, eine Arbeit, die zwar Mühe kostete, aber doch gelang.

Bei dem Abstieg jedoch kamen neue Überraschungen: die Decken und Fußböden der Zimmer erschienen durchaus nicht eben noch waagrecht: sie zeigten bedenkliche Neigungen und Steigungen. Als die ersten fünfzehn Meter überwunden waren, hörte der Abstieg überhaupt auf: von da ab waren Decke und Fußboden der Zimmer nicht einfach vertauscht, sondern zu Seitenwänden geworden; die Decken- und Fußbodenluken waren hier einfache Türen und es bedurfte gar keiner Treppe mehr, um sie zu erreichen. Anfangs zeigten sich die neuen Fußböden, die bisher Zimmerwand gewesen waren, nach unten geneigt, im späteren Verlauf jedoch wurden sie mehr und mehr zu ansteigenden schiefen Ebenen und zuletzt schien auf einmal wieder alles in Ordnung, man konnte die folgenden Treppen belassen, wie sie waren, und statt des Abstiegs begann nun ein Aufstieg zu den letzten fünf Zimmern.

Kapitän Münchhausen schüttelte den Kopf, während er keuchend seine Leibesfülle die Treppen emporschleppte: »Ihre Sannah ist rein verhext, Lord!« rief er: »Ich komme aus diesen Verhältnissen nicht mehr draus.«

»Sonderbar, in der Tat, sonderbar«, gestand Flitmore.

»Nein! Ganz natürlich«, belehrte der Professor überlegen; denn sein fleißiges Nachdenken hatte ihn des Rätsels Lösung finden lassen. »Unsre Sannah ist sozusagen selbständig geworden, ein von der Anziehungskraft der Erde emanzipiertes Frauenzimmer, ganz modern! Sie hat nun ihre eigene Zentripetalkraft und ihr Mittelpunkt ist für uns fortan jederzeit unten und ihre Oberfläche überall oben. Sie ist ein Planet für sich oder sagen wir ein Planetoid; sie ist in die Reihe der Weltkörper eingetreten, großartig, was?«

»Sie haben recht, Professor!« stimmte Flitmore zu. »Und, sehen Sie, in diesen oberen Räumen ist alles in Ordnung geblieben, nur daß sich Decke und Fußboden gegen den Mittelpunkt neigen. Ein Glück, daß mein chemisches Laboratorium sich hier befindet. Da ist kein Stück beschädigt, nur etwas zusammengerutscht sind die Sachen, alles gegen die Mitte hin. Wir müssen zusehen, wie wir uns mit dieser Lage der Dinge zurechtfinden und uns so bequem als möglich einrichten. Es ist wahrhaftig fatal, daß ich diese Folgerungen in meine Berechnungen nicht einbezogen habe, sonst hätte ich Fußböden und Decken sämtlich als konzentrische Kugeln angeordnet und so allein wäre unter den obwaltenden Verhältnissen alles topfeben. Jetzt ist die Sache durch und durch verpfuscht.«

»Na, schadet nichts, lieber Lord!« tröstete der Kapitän: »Große Unannehmlichkeiten entstehen uns daraus nicht, nur einige Arbeit, bis Sie in Ihrer Schreinerei die Hobelbank vom Plafond abgeschraubt haben und in der Schmiede den Amboß von der Wand, bis schließlich alles in die gebührende Lage zurückversetzt ist.«

Oben angekommen, fanden sie Mietje und Heinz vergnügt beieinander. Heinz hatte der Lady inzwischen den Vorgang erklärt, wie er sich ihn ganz richtig bedacht hatte, und beide freuten sich, daß alles ohne Schaden für die andern abgelaufen war.

5. Im Weltenraum

Über den Erklärungen und dem Geplauder, das sich nun lebhaft erhoben hatte, war die Beobachtung der Weiterfahrt völlig vergessen worden, bis Mietje daran erinnerte.

»Paßt auf!« sagte sie: »Wir nähern uns mit rasender Geschwindigkeit dem Mond.«

Alle schauten nach oben.

»Allerdings«, sagte Heinz, »er sieht schon ganz stattlich aus, aber merkwürdig düster.«

»Hollah!« rief Schultze: »Das ist ja unsre Erde! Dunkel erscheint sie in der Tat; aber die Umrisse von Europa und Afrika lassen sich ganz deutlich unterscheiden.«

Es war wirklich ein entzückender Anblick! Die Erde erschien als flache Scheibe, etwa zehnmal so groß als die scheinbare Größe des Vollmonds, und die mondbeleuchteten Kontinente zeigten sich wie auf einem Erdglobus: Europa, Afrika und ein Teil von Asien waren ganz zu übersehen und über Indien und Persien leuchtete schon die Morgensonne, so daß die Küsten deutlich dem staunenden Auge erschienen.

»Was ist das wieder für ein Spuk!« polterte der Kapitän: »Ich meine doch, hier sollten wir den Ausblick direkt auf den Mond haben und die Erde ließen wir auf der andern Seite! Werter Lord, Sie haben mich sozusagen als Kapitän und Steuermann Ihrer Sannah angeheuert, aber mit solch einem vertrackten Fahrzeug weiß ich wahrhaftig nicht umzugehen. He, Professor! Sie Alleswisser, wie erklären Sie nun wieder diese Absonderlichkeit?«

»Herrlich!« erwiderte Schultze begeistert: »Als echter Planet, der sich seiner Bedeutung im Weltall bewußt ist, dreht sich unsre Sannah um ihre eigene Achse und das in ungefähr zwei Erdenstunden. Passen Sie auf, in einer Stunde etwa sehen wir da oben wieder den Vollmond aufleuchten, und sobald wir außer dem Bereich des Erdschattens sind, wechseln bei uns Tag und Nacht stündlich; wir brauchen uns aber nur zu rechter Zeit in ein andres Zimmer unter der Oberfläche unsres Planeten zu begeben, um ewigen Tag zu genießen und unendliche Nacht, ganz nach Belieben!«

»Ich muß gestehen«, sagte Flitmore, »das alles kommt mir ganz überraschend; meine astronomischen Kenntnisse sind nicht weit her und ich habe diese Umstände nicht in Rechnung gezogen.«

»In der Tat«, lachte Schultze! »Auch über die Fortbewegungsgeschwindigkeit Ihrer Sannah täuschten Sie sich. Mit der Lichtgeschwindigkeit ist es einmal sicher nichts; sonst hätten wir den Mond schon längst hinter uns.«

»Halt!« wandte der Lord ein: »Sie vergessen, daß wir uns noch in der Anfangsgeschwindigkeit befinden, die beständig wächst; überdies habe ich mit Absicht nur einen ganz schwachen Strom unsre Hülle durchkreisen lassen, damit wir unsern Nachbarn, den Mond, mit Muße betrachten können.«

»Wissen Sie, was uns begegnen wird?« fragte der Professor: »Wir werden als Bewohner eines regelrechten Planeten den Gesetzen der Gravitation unterworfen werden, das heißt unsere Sannah wird in elliptischer Bahn um die Sonne kreisen und dann sind wir hilflose Gefangene bis wir nach Verbrauch unseres Sauerstoffvorrats ein klägliches Ende nehmen.«

»Sie sind ein unheimlicher Prophet, Herr Professor«, rief Mietje: »Hoffentlich wird Ihre Voraussage nicht in Erfüllung gehen.«

Schultze zuckte die Achseln: »Die Gravitationsgesetze erleiden keine Ausnahme; jeder Weltkörper ist ihnen unterworfen; und da unser Weltschiff zu solch einem Weltkörper im unendlichen Raume geworden ist, muß er wohl samt uns allen ein Opfer dieser Gesetze werden.«

»Was ist denn das, wenn ich mir zu fragen die Erlaubnis herausnehmen darf«, nahm nun John Rieger, der Diener, das Wort, »diese verhängnisreiche Kraft, woselbst Sie Gravisionskraft nennen?«

»Das ist diejenige Kraft«, klärte der Professor den Wißbegierigen auf, »die alle Planeten, das heißt die Weltkörper, die sich um die Sonne drehen, in ihren Bahnen erhält. Der unsterbliche Isaak Newton hat als erster die Gesetze dieser Kraft festgestellt, die im Grunde nichts anderes ist, als die Schwerkraft: alle Weltkörper ziehen einander an und je größer ihre Masse ist, desto stärker ist ihre Anziehungskraft.«

»Dann aber müßte doch sozusagen einer auf den andern fallen«, warf Rieger ein: »voraussichtlich die kleinen auf die größeren, wie zum Beispiel der Mond auf die Erde und die Erde auf die Sonnen.«

»Sehr scharfsinnig bemerkt, mein Sohn!« lobte Schultze; »aber der Mond wird nicht bloß von der Erde, sondern auch von der Sonne angezogen und alle Weltkörper ziehen einander gegenseitig an. Dazu bewirkt die Anziehungskraft die elliptische Bewegung der Planeten um die Sonne und durch diese Eigenbewegung überwinden sie wieder bis zu einem bestimmten Grad die Anziehungskraft, so daß es eben diese Kraft ist, die in ihren Folgen das Weltall im Gleichgewicht erhält. Allerdings kommen auch Störungen in der regelmäßigen Umlaufbahn vor, wenn zwei Himmelskörper sich auf ihren Wegen nähern und dadurch eine verstärkte Anziehung aufeinander ausüben. Dadurch wird die Berechnung sehr verwickelt.

So hat man berechnet, daß die Erde mindestens elf Bewegungen ausführt: 1. dreht sie sich in 24 Stunden um sich selbst, das nennt man ihre Rotation; 2. bewegt sie sich um die Sonne mit einer Geschwindigkeit von 29 450 Metern, also beinahe 30 Kilometern, in der Sekunde; 3. eilt sie mit dem ganzen Sonnensystem dem Sternbild des Herkules oder der Leier zu; 4. schwingt die Erdachse; 5. verändert sich die Form der Erdbahn um die Sonne, indem sie sich bald der Kreisform nähert, bald wieder der Form einer langgestreckten Ellipse; 6. dreht sich diese Ellipse selber in ihrer eigenen Ebene in einer Periode von 21 000 Jahren; 7. dreht sich die Erdachse in 25 765 Jahren in einem Kreis; 8. die Anziehungskraft des Mondes, dem wir auch Ebbe und Flut verdanken, läßt den Pol des Äquators in 18 Jahren und 8 Monaten eine kleine Ellipse beschreiben, da der Mond eine Anschwellung der Erdmasse am Äquator hervorruft, die eine Art Ebbe und Flut auch des festen Landes darstellt; 9. die Lage des Schwerpunktes unseres Erdballs verändert sich allmonatlich ebenfalls infolge der Mondanziehung; 10. die Planeten, namentlich Jupiter und Venus, verursachen Störungen der Erdbahn; 11. der Mittelpunkt der jährlichen Umdrehung der Erde um die Sonne liegt nicht im Mittelpunkt der letzteren, sondern ist veränderlich. Es wäre übrigens leicht, noch mehr Bewegungen auszurechnen.«

»Du siehst, John«, sagte Flitmore lachend, »wenn du in einem fahrenden Schnellzug auf und ab spazierst, die Hände schlenkernd und dabei die Finger bewegend, so machen deine Finger 15 Bewegungen mit und der Bazillus, der in deinem kreisenden Blute deiner Fingerspitze schwimmt, gar 17.«

»Aber was sagen Sie, Lord, zu der Befürchtung unseres Professors, daß wir nun ewig um die Sonne kreisen werden?« fragte Heinz Friedung.

»Damit hat es keine Gefahr«, erwiderte Flitmore. »Schultze ließ einen Hauptumstand außer acht. Ich habe überhaupt eine besondere Ansicht über die Gravitation; ich glaube, daß zwei Kräfte dabei tätig sind, eine Anziehungskraft und eine gegenseitige Abstoßungskraft, wie man ja auch annimmt, daß die Moleküle und Atome eines Körpers einander zwar anziehen aber doch nicht berühren, weil sie einander auch abstoßen. Der Ausgleich dieser beiden einander entgegenwirkenden Kräfte bestimmt meiner Ansicht nach den gegenseitigen Abstand, den die Himmelskörper einhalten; so erkläre ich mir auch, daß die flüchtigen Stoffe der Kometen bei der Annäherung an die Sonne bis zu einem gewissen Punkt angezogen, von da ab aber abgestoßen werden und so die Kometenschweife bilden.

Für uns aber ist die Hauptsache, daß der Strom, der in der Sannah kreist, die Anziehungskraft überhaupt aufhebt und nur die Fliehkraft wirken läßt, so daß kein Weltkörper uns in seinen Bannkreis zwingen kann, so lange der Strom geschlossen bleibt.«

»Das ist in der Tat richtig«, gab Schultze zu. »Aber hören Sie, noch eins erscheint mir rätselhaft: wir befinden uns jedenfalls schon längst im leeren Raum, außerhalb der irdischen Atmosphäre, deren Höhe auf etwa 180 Kilometer geschätzt wird ...«

»Erlauben Sie, daß ich Sie hier unterbreche«, bat Flitmore: »Wie stellen Sie sich unsere irdische Lufthülle überhaupt vor?«

»Nun«, erwiderte der Professor: »Man ist der Ansicht, als ob es eine scharfe Abgrenzung der Atmosphäre gegen den Raum überhaupt nicht gebe, sondern bloß einen allmählichen Übergang durch stets zunehmende Verdünnung der Luft.«

»Ganz richtig!« sagte der Lord: »Aber die Astronomen oder Astrophysiker, die diese schöne Theorie aufstellen, vergessen offenbar, daß die Erde bei ihrem Dahinsausen durch den Raum ihre Lufthülle mit sich nimmt. Wie wollen wir uns das erklären, wenn diese Hülle gar keine feste Grenze hat?«

»Das stimmt!« meinte Heinz: »Es ist klar, daß die Anziehungskraft der Erde auf die obersten, dünnsten Luftschichten am schwächsten wirkt; in einer bestimmten Höhe muß die Attraktion nicht mehr genügen, um die in den leeren Raum übergehende unendlich verdünnte Luft festzuhalten und somit muß sie alles zurücklassen, was über diese Grenze hinausgeht; wäre also die Atmosphäre ursprünglich ohne bestimmte Grenze gewesen, so müßte sie doch alsbald durch die Fortbewegung der Erde zu einer scharfen Abgrenzung gelangt sein.«

»Ganz meine Ansicht«, bestätigte Flitmore: »Ich gehe noch weiter; es wäre anzunehmen, daß die Erde immer mehr von ihrer Atmosphäre an den leeren Raum verlöre und die Masse derselben beständig abnehmen müßte.«

»Das leuchtet mir ein«, meinte Schultze: »Jedenfalls muß die Lufthülle der Erde gegen den Raum scharf abgegrenzt sein, da sie mit der Erde durch die Leere saust.«

»Doch nicht!« widersprach der Lord.

»Oho!« rief Schultze verwundert: »Wie wollen Sie dann aus der Klemme kommen?«

»Sehr einfach«, erklärte der Engländer: »Die Lufthülle der Erde ist nie und nirgends vom raumerfüllenden Stoff scharf unterschieden, weil eben dieser Stoff, der den Raum erfüllt, und den man Äther nennt, nichts anderes ist als Luft.«

»Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!« lachte der Professor. »Damit werden Sie in der wissenschaftlichen Welt schwerlich durchdringen.«

»Möglich! Aber das ist meine Überzeugung. Ein ganz allmählicher Übergang der Atmosphäre in den umgebenden Raum ist nur dann möglich, wenn der Raum eben die gleichen Stoffe enthält, wie die Luft, freilich in äußerst dünner Verteilung. So mag die Erde einerseits beständig etwas von ihren obersten dünnsten Luftschichten an den Raum verlieren, sie wird aber andererseits auch beständig aus dem durcheilten Raum wieder Ersatz anziehen.«

»Bravo!« rief Heinz: »Diese Theorie allein scheint mir genügend zu erklären, wieso die Erde ihre Lufthülle durch die Jahrtausende in gleicher Dichte und stets erneuerter Reinheit bewahren kann.«

»So ist es«, bestätigte der Lord: »Und weiter folgt daraus, daß jeder Weltkörper entsprechend seiner Masse und Anziehungskraft, sowie seiner Rotations- und Umlaufgeschwindigkeit sich aus dem Raum eine Atmosphäre angezogen haben muß, die eben durch seine Attraktion verdichtet und an seiner Oberfläche am dichtesten geworden ist.«

»Das hieße also: kein Weltkörper ohne Lufthülle?« fragte Schultze.

»Das wäre allerdings die notwendige Folge meiner Annahme.«

»Lassen wir das dahingestellt«, fuhr der Professor kopfschüttelnd fort: »Das Rätsel, von dem ich reden wollte, ist dies: da wir uns im leeren Raum, oder, wie Sie wollen, in äußerst verdünnter ätherischer Luft befinden, muß in unserer Umgebung eine Temperatur herrschen, die dem absoluten Nullpunkt nahe kommt, das heißt 273 Grad unter Null. Nun mag die Schutzhülle unserer Sannah noch so vorzüglich sein, ebenso Ihr Heizungssystem; wir müßten dennoch den Einfluß einer so ungeheuren Kälte spüren. Ich aber spüre nichts Derartiges, vielmehr ist es stets gleichmäßig behaglich warm.«

»Über die Temperaturverhältnisse des Raumes sind wir völlig im unklaren«, entgegnete der Engländer: »Die beständige Abnahme der Temperatur ist schon innerhalb der Erdatmosphäre widerlegt, in welcher bekanntlich die große Inversion stattfindet: die unterste Luftschicht ist 3 bis 4 Kilometer hoch und befindet sich in steter Unruhe und Bewegung; über ihr befindet sich eine ruhigere, trockene, kalte Luftschicht, in der die Temperatur bis zu 85 Grad unter Null abnimmt. In einer Höhe von 10 Kilometern aber beginnt die dritte, sehr gleichmäßige, ruhige und trockene Schicht, die wieder wärmer ist und bei 14 Kilometer Höhe 52 bis 57 Grad unter Null aufweist. Die Theorie der ›Strahlung‹ von Licht und Wärme halte ich für eine völlig verfehlte: sie müßte zu ganz unmöglichen Folgerungen führen. Bedenkt man, mit welcher Geschwindigkeit die Erde durch den Raum eilt, so daß in jedem Augenblick neue, zuvor im Raum verlorene Sonnenstrahlen sie treffen, so müßte man annehmen, daß sie überhaupt kein Licht und keine Wärme von der Sonne empfangen könnte, falls nicht der Raum, den sie durchwandert, erleuchtet und erwärmt wäre. Meiner Ansicht nach pflanzt sich Licht und Wärme in der Weise fort, daß die erleuchteten und erwärmten Stoffteile des Raumes sie einander durch Berührung weitergeben, meinetwegen als Schwingungen. Je dünner die Materie ist, desto rascher gibt sie die Schwingungen weiter und desto weniger speichert sie an Licht und Wärme auf; je dichter sie ist, desto mehr absorbiert oder verschluckt sie, speichert davon in sich auf oder wirft die Strahlen zurück, wobei es auf die Art des Stoffes ebenfalls ankommt, auf seine Leitungsfähigkeit, Färbung und so weiter.«

»Sie haben recht, Lord«, mischte sich nun Kapitän Münchhausen in das Gespräch: »Auf den höchsten Berggipfeln, die infolge der mangelnden Erdwärme ewig in Eis und Schnee starren, brennt die Sonne viel heißer als unten in der dichten Atmosphäre. Warum? Die dünne Luft gibt ihre Wärme rascher ab, wobei sie sich selber weniger durch Aufspeicherung erwärmt; der Raum, durch den wir fliegen, ist jedenfalls weit kälter als die Bergluft, aber durchaus nicht so bodenlos kalt, wie man annimmt, und bei Tag werden wir es erfahren, daß die Sonnenstrahlen uns tüchtiger einheizen als irgendwo auf der Erde.«

»Und da eine Hälfte unserer Sannah stets Sonnenlicht genießen wird«, fügte Heinz bei, »so denke ich, werden wir nie unter zu starker Abkühlung zu leiden haben.«

»Damit rechne auch ich«, schloß Flitmore: »Ich glaube, wir werden, solange wir uns im Bereiche der Sonnenwärme befinden, überhaupt keiner Heizung mehr bedürfen; im Gegenteil, die Schutzhülle meines Weltschiffs wird uns vor unerträglicher Hitze bewahren müssen.«

6. Am Mond vorbei

Unsere Freunde richteten nun ihr Augenmerk wieder auf den Mond, der sein weißes Licht aufs neue durch das große Deckenfenster sandte; denn Sannah hatte inzwischen eine zweite Umdrehung vollendet.

Er erschien nun als eine ungeheure Kugel, so nah, wie er durch das stärkste irdische Fernrohr nicht gesehen werden kann.

»Wir stürzen geradewegs auf ihn zu!« rief Lady Flitmore nicht ohne Besorgnis.

»Beruhige dich, Mietje«, tröstete ihr Gatte: »Die Fliehkraft gestattet nicht, daß wir an seiner Oberfläche zerschellen, er muß uns abstoßen, ehe wir ihm nahe kommen. Wenn wir übrigens wollten, könnten wir ihm einen Besuch abstatten: ich brauchte nur den Strom abzustellen.«

»Ich stimme nicht dafür«, erklärte Münchhausen: »Er sieht durchaus nicht einladend aus, dieser Sehnsuchtstraum der Poeten.«

»Und ob wir dort atmen könnten«, meinte Schultze: »Er soll ja keine Atmosphäre besitzen.«

»Was das betrifft«, entgegnete der Lord, »so halte ich vorerst an meiner vorhin geäußerten Meinung fest, daß jeder Weltkörper seine Lufthülle besitzt.«

»Doch hat man nie mit Sicherheit Dämmerungserscheinungen auf ihm beobachten können«, warf der Professor ein.

»Das beweist gar nichts«, widersprach Flitmore hartnäckig: »Erstens wollen mehrere Astronomen Dämmerungserscheinungen auf dem Mond erkannt haben; zweitens gibt es in reiner Luft, wie Tyndall nachwies, überhaupt keine Dämmerungserscheinungen, diese rühren vielmehr von kleinen Partikelchen in der Atmosphäre her; so kennen zum Beispiel auch tropische Länder auf der Erde keine Dämmerung, und die Luft wollen Sie ihnen doch nicht absprechen? Daß der Mond keine Wolkenbildungen zeigt, beweist bloß den Wassermangel auf seiner Oberfläche. Andrerseits erscheint oft ein Stern vor der Mondscheibe, ehe er hinter derselben verschwindet, was sich am leichtesten durch die atmosphärische Lichtbrechung erklären läßt.«

Einladend sah allerdings die Mondlandschaft nicht gerade aus, wie der Kapitän sehr richtig bemerkt hatte: alles erschien starr, öde und tot, ohne eine Spur von Pflanzenwuchs und Wasserläufen. Aber hochinteressant erschien der Anblick und fesselte denn auch die Augen der Beobachter.

Die Gebirge erhoben sich zu ungeheurer Höhe über ihre Umgebung und überall zeigten sich die dem Monde eigentümlichen Ringkrater mit ihren himmelhohen steilen Rändern. Einzelne Erhebungen mochten eine absolute Höhe von 10 000 Metern erreichen.

Besondere Aufmerksamkeit wandten der Professor und der Lord dem Krater Linné zu, der von Lohrmann als ein Schacht von zehn Kilometer Durchmesser beschrieben und von Beer und Mädler als solcher mit besonderer Deutlichkeit beobachtet wurde, 1866 aber plötzlich verschwand. An seiner Stelle erschien später ein kleines Kraterchen, das auch die beiden Beobachter der Sannah erblickten.

Gerne hätten sie auch den Doppelkrater Messier betrachtet, der sich ebenfalls in merkwürdiger Weise verändert haben soll: bei nicht weniger als 300 Beobachtungen von 1829 bis 1837 waren beide Krater rund und einander gleich; heutzutage zeigt der eine Krater eine elliptische Form und die Zwischenwand der beiden Schlünde ist durchbrochen.

Man glaubt auch hie und da ein wogendes Nebelmeer in diesem Krater gesehen zu haben, vielleicht Rauchwolken. Für unsere Freunde war der Messier unsichtbar, weil das Mare foecunditatis, wo er sich befindet, in dunkle Nacht gehüllt war.

Von mehreren Kratern sah man helle Strahlen ausgehen. Namentlich zeigte sich diese merkwürdige Erscheinung an dem großartigsten Ringgebirge des Mondes, dem Tycho, von welchem mehrere hundert getrennte Streifen bis zu 1200 Kilometer Länge ausstrahlten.

Schultze glaubte in diesen rätselhaften Gebilden erstarrte Lavaströme zu erkennen mit glatter glänzender Oberfläche. Dafür spricht der Umstand, daß sie nur bei voller Beleuchtung durch die Sonne sichtbar sind.

Flitmore dagegen wies darauf hin, daß die Strahlen meist erst in einiger Entfernung von den Kraterwällen begannen und dann über Ebenen, Krater, Berge und Täler ununterbrochen hinwegliefen, um dann plötzlich am Fuße irgendeiner Erhebung zu enden oder sich allmählich in einer Ebene zu verlieren. Das stimmte doch nicht recht zu der Theorie der Lavaströme.

Dagegen erkannten beide Forscher deutlich das Wesen der rätselhaften Rillen, die teils gerade, teils gekrümmt, bald vereinzelt, bald sich verzweigend oder einander schneidend, sich in den Ebenen und um die Berge herum zeigten, manchmal auch einen Berg durchbrechend. Sie erwiesen sich als mehr oder weniger breite klaffende Sprünge in der Mondoberfläche.

Mehr als einmal wurden auch Neubildungen auf dem Monde beobachtet, und unsere Freunde hatten das Glück, eine solche unter ihren Augen entstehen zu sehen: in der großen Ebene des Mare imbrium tat sich auf einmal der Boden auf, Rauch und Glut brach hervor und es bildete sich binnen weniger Minuten ein Krater, von dem aus ein Schlamm- oder Lavastrom sich in die Umgebung ergoß.

»Schade, daß die Astronomen auf der Erde den neuen Vulkan nicht sehen können«, meinte Flitmore bedauernd: »Er ist zu klein für ihre Instrumente.«

»Wir haben den Vorgang beobachtet, das genügt!« triumphierte Schultze.

»Ja«, mischte sich Heinz darein: »Falls wir je wieder die Erde erreichen und Kunde von diesem Vorgang dorthin bringen können.«

»Damit wäre ein alter Streit entschieden«, sagte der Professor, »wenn man uns nämlich Glauben schenkt, was immerhin sehr zweifelhaft bleibt.«

»Was für merkwürdige Farben!« bemerkte nun Lady Flitmore und wies auf die Gegend des Oceanus procellarum hin.

In der Tat zeigten sich dort ausgedehnte Flecken von hellgrüner und gelblicher Färbung.

»Sollte da am Ende dennoch Pflanzenwuchs vorhanden sein?« wagte Heinz zu vermuten.

»Achtung, meine Herren!« rief jetzt der Lord: »Wir werden nun einen Anblick bekommen, den kein irdisches Auge noch genossen hat. Bekanntlich kehrt der Mond der Erde stets nur ein und dieselbe Seite zu, weil er sich genau in der gleichen Zeit um seine Axe wie um die Erde dreht. Nur infolge seiner Libration, das heißt seiner geringen Axenschwankung, sehen wir bald auf der einen, bald auf der andern Seite einen kleinen Teil der von uns abgekehrten Hälfte.

Nun ist der Moment gekommen, wo wir am Erdtrabanten vorbeifliegen und seine rätselhafte Rückseite zu Gesicht bekommen werden, und zwar aus verhältnismäßiger Nähe; denn wir sind ihm bis auf 10 000 Kilometer nahegekommen, während er 400 000 Kilometer von der Erde entfernt ist.«

Alle waren aufs höchste gespannt auf den Anblick, den die geheimnisvolle Rückseite des Mondes ihnen gewähren würde, obgleich Schultze meinte, sie werde nicht viel verschieden sein von dem, was man bisher geschaut.

Zur Beobachtung mußte ein andres Zimmer aufgesucht werden, da infolge der Umdrehung der Sannah der Mond für das Zimmer, in welchem sich die Gesellschaft befand, gerade unterging.

Der Lord beschloß, sich dem Monde noch weiter zu nähern, damit alle Einzelheiten der zu erwartenden Erscheinungen mit voller Deutlichkeit beobachtet werden könnten. Er stellte daher den Zentrifugalstrom ab und mit rasender Geschwindigkeit stürzte die Sannah dem Monde zu.

Das nächste, was entdeckt wurde, war die Fortsetzung der farbigen Flecke, die sich durch das Teleskop nun deutlich als grüne Matten und dürre Grassteppen erkennen ließen.

»Was ist das?« rief Lady Flitmore auf einmal erschreckt aus.

Durch das Fenster fiel ein leuchtender Schein.

Der Lord sah auf und eilte dann mit einem Satz an die Stromschaltung, um die Fliehkraft wieder in Tätigkeit zu setzen.

»Was war's?« fragte Heinz.

»Wir sind in die Mondatmosphäre eingedrungen«, erklärte der Engländer, »und bei der Geschwindigkeit unsres Sturzes begannen die Metallränder der Fenstereinfassung trotz des Flintglasschutzes zu glühen; doch die Gefahr ist beseitigt; wir erheben uns bereits wieder über die Atmosphäre.«

»Sie ist also vorhanden, diese vielbezweifelte Mondluft«, sagte Schultze.

»Daran ist nicht mehr zu zweifeln; aber sehen Sie!« erwiderte Flitmore.

Die Mondoberfläche war kaum noch hundert Kilometer entfernt; so hoch erhob sich der dichtere Teil ihrer atmosphärischen Hülle. Und nun zeigten sich Landschaftsbilder von entzückender Pracht.

Auch hier herrschten die sonderbaren Ringgebirge vor; aber sie waren bewaldet.

Die Entfernung gestattete nicht, mit bloßem Auge die Natur dieser Wälder zu erkennen, das Fernrohr jedoch offenbarte ganz eigentümliche Baumformen, wie sie auf der Erde kaum zu finden sind. Die meisten dieser Gewächse glichen ungeheuren Grasbüscheln auf hohen Stämmen, so daß sie palmenartig aussahen; doch hatten die Bäume nur selten eine eigentliche Krone; meist waren es waagrechte Äste, die ihr buschiges Ende nach allen Seiten hin ausstreckten.

Riesenfarnen und Nadelbäume von demselben eigentümlichen Bau waren an andern Stellen zu sehen; die Wedel standen waagrecht von den Stämmen ab und neigten sich zum Teil nach unten, so daß unter dem Stamm kein Schatten zu finden sein konnte, abgesehen vom spärlichen Schatten des Stammes selber und seines Astholzes; in ziemlicher Entfernung erst umgab den Baum ein Kreis von schattigen Stellen.

In den Ringkratern leuchteten häufig kleinere oder größere Seen; Wasserfälle und Bäche stürzten die steilen Bergwände herab, größere Flußläufe und Meere waren jedoch nicht zu sehen: die Bäche ergossen sich in kleine Binnenseen oder versandeten in der Ebene; vielfach schienen auch Sümpfe die Niederungen zu bedecken.

Von lebenden Wesen war nichts zu entdecken und Schultze sprach die Vermutung aus, daß eine Tier- und Vogelwelt jedenfalls vorhanden sein dürfte, allein wahrscheinlich nur in einer geringen Anzahl von Exemplaren von bescheidenster Größe, so daß auf solche Entfernung nichts davon zu erkennen sei.

Wolkenbildungen schienen auch auf dieser Seite des Mondes überhaupt nicht vorzukommen, was bei dem Mangel an bedeutenderen Wasserflächen nicht gerade verwunderlich war. Dagegen stiegen da und dort Nebelschleier auf, die dazu dienen mochten, das Land zu befeuchten und die Quellen zu speisen.

Leider war der größte Teil der Mondscheibe auf dieser Seite in Nacht gehüllt, so daß es unbekannt blieb, ob nicht noch unbekannte Wunder, vielleicht gar Spuren menschenähnlicher Geschöpfe in den verborgenen Gegenden zu schauen gewesen wären.

»Einen langen Tag und eine lange Nacht haben die etwaigen Mondbewohner«, sagte Schultze. »Sie währen 14¾ unsrer Erdentage; um so kürzer ist ihr Jahr, denn es dauert eben nur einen Tag und eine Nacht, im ganzen 29½ Erdentage.

Auf dieser Seite des Mondes wird die Erde niemals geschaut, während sie auf der andern, jedenfalls unbelebten und unbewohnbaren Seite des Mondes unbeweglich am Himmel steht, ohne jemals auf- oder unterzugehen oder ihre Lage zu verändern. Sie erscheint dreizehnmal größer als uns auf Erden der Mond erscheint und macht innerhalb 24 Stunden alle Mondphasen durch. Welch herrlichen Anblick und welch strahlendes Licht gewährt sie dort, wo wahrscheinlich niemand sie zu bewundern vermag!«

Lord Flitmore beschloß, von nun ab die Fahrt in die Welträume aufs äußerste zu beschleunigen und stellte den vollen Zentrifugalstrom ein; dann wurde eine Mahlzeit eingenommen, die John als Allerweltskünstler inzwischen bereitet hatte.

Da die Weltallreisenden dringendes Ruhebedürfnis verspürten, wurde beschlossen, daß sich nun jeder in sein eigenes Schlafgemach zurückziehen solle, um einige Stunden des Schlafes zu pflegen.

Bei den zahlreichen Räumen, die Lord Flitmores Sannah enthielt, hatte nämlich jeder ein besonderes und sehr geräumiges Schlafzimmer zur Verfügung.

Zuvor aber wurde der Wachdienst geregelt.

Es wurde allgemein anerkannt, daß eine ständige Wache unerläßlich sei, einmal weil bei einer Fahrt von solch rasender Geschwindigkeit, wie sie jetzt ausgeführt wurde, unbekannte Gefahren jederzeit drohten; sodann weil besonders interessante Erscheinungen sich bieten konnten, die sich niemand gerne hätte entgehen lassen mögen.

Die Schlafzeit wurde auf 8 Stunden festgesetzt, und da Mietje darauf bestand, ihren Wachdienst gleich den Männern zu versehen, wurde jede »Nacht«, wenn man die Zeit des Schlafes so nennen wollte, in drei Wachen eingeteilt, so daß auf jeden alle 48 Stunden eine Wache von etwa 2¾ Stunden kam; gewiß keine übermäßige Leistung, da er hernach schlafen konnte, so lange es ihm behagte.

Der jeweilige Wachhabende hatte die Runde durch alle Beobachtungszimmer zwei- oder dreimal zu machen, um alle Himmelsrichtungen zu beobachten. Sah er eine Gefahr oder etwas besonders Merkwürdiges, so war er verpflichtet, das elektrische Läutwerk erklingen zu lassen, das in allen Gemächern zugleich ertönte und von jedem Zimmer aus durch den Druck auf einen Knopf in Tätigkeit gesetzt werden konnte.