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Abenteuer in den Wunderwelten
Die Geschwister Jo, Bessie und Fanny ziehen mit ihren Eltern aufs Land und entdecken gleich hinter ihrem Haus einen zauberhaften Wald und darin einen eigenartigen Baum, den Wunderweltenbaum. Seine Krone ragt in die verschiedensten Welten hinein. Obwohl die Bewohner des Baums die Kinder warnen, klettern die drei in die Wolken und erleben die tollsten Abenteuer in den Wunderwelten – manchmal ganz schön gefährliche. Aber ihre neuen Freunde, Mondgesicht, die Fee Seidenhaar und viele andere helfen ihnen immer, über die Rutschige Rutsche blitzschnell nach Hause zu kommen. Doch eines Tages kommen die Bewohner des Baumes selbst in große Schwierigkeiten und brauchen die Hilfe der Kinder. Werden die drei es schaffen, den übermächtigen Gegner zu besiegen?
Ein Klassiker neu entdeckt! Eine fantastische Reihe voll überbordendem Einfallsreichtum von der Autorin der Fünf Freunde.
Der erste von vier Bänden mit Sammelmotiv
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Autorin
ENIDBLYTON, 1897 in London geboren, begann im Alter von 14 Jahren, Gedichte zu schreiben. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 verfasste sie über 700 Bücher und mehr als 3 000 Kurzgeschichten, die in über 40 Sprachen übersetzt wurden. Bis heute gehört Enid Blyton zu den meistgelesenen Kinderbuchautoren der Welt und mit den »Fünf Freunden« hat sie die bekanntesten Helden aller Zeiten geschaffen.
Illustratorin
ALICARÄTH, geboren 1999 in Norddeutschland, ist mit Leib und Seele Illustratorin. Nach ihrem Studium an der Designakademie in Rostock zog sie in eine kleine Stadt in Bayern. Wenn sie dort, in ihrem Atelier direkt unterm Dach, nicht an ihren liebevollen, dunkelbunten Illustrationen arbeitet, spaziert sie mit ihrem Hund Dexter durch die bergige Landschaft Süddeutschlands.
Enid Blyton
Aus dem Englischen von Ute Mihr
Mit Illustrationen von Alica Räth
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Die Wunderweltenbaum-Reihe:
Band 1: Komm mit in den Zauberwald
Band 2: Aufregende Ferien im Zauberwald
Band 3: Das Geheimnis des Zauberwaldes
Band 4: Jacqueline Wilson, Zurück im Zauberwald
© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Lena Ellermann
Umschlagillustration: Alica Räth
IF • Herstellung: AW
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-30353-2V001
www.cbj-verlag.de
1 DERZAUBERWALD
2 DERERSTEBESUCHIMWALD
3 DERWUNDERWELTENBAUM
4 DIEBEWOHNERDESBAUMS
5 DASKARUSSELLLAND
6 MONDGESICHTUNDDIERUTSCHIGERUTSCHE
7 KARAMELLBONBONSFÜRMONDGESICHT
8 JOUNDDERMAGISCHESCHNEEMANN
9 DASHAUSDERDREIBÄREN
1O DERKAMPFDERBÄREN
11 NOCHMEHRÜBERRASCHUNGEN
12 WASAUSDEMMAGISCHENSCHNEEMANNWURDE
13 MONDGESICHTGERÄTINSCHWIERIGKEITEN
14 DERLUSTIGEPFANNENMANN
15 DERPFANNENMANNGEHTINSFALSCHELAND
16 IMSCHAUKELLAND
17 EINEEINLADUNGVONMONDGESICHTUNDSEIDENHAAR
18 DASLANDNIMM-WAS-DU-WILLST
19 MONDGESICHTSTECKTINDERKLEMME
20 DIESCHULEVONMADAMEKLAPS
21 SEIDENHAARSSCHLAUEUHR
22 IMSPIELZEUGLAND
23 SIEGERATENINSCHWIERIGKEITEN
24 MEISTERUM-BUMM-BUMM
25 BEIMWEIHNACHTSMANN
26 DIEARMEEDERROTENKOBOLDE
27 EINESPANNENDENACHT
28 DIEROTENKOBOLDEBEKOMMENEINENSCHRECKEN
29 DIESTRAFEFÜRDIEROTENKOBOLDE
30 BESSIESGEBURTSTAG
31 DASGEBURTSTAGSLAND
32 DIEKLEINEVERLORENEINSEL
33 WIEDERDAHEIM
Solange sie denken können, lebten Jo, Bessie und Fanny in der Stadt. Jetzt aber hatte ihr Vater eine Arbeitsstelle auf dem Land gefunden und sie wollten möglichst rasch umziehen.
»Auf dem Land wird’s bestimmt gut!«, sagte Jo. »Da gibt’s eine Menge Tiere und Pflanzen.«
»Ich pflücke den ganzen Tag Blumen«, fügte Bessie hinzu.
»Und ich bekomme einen Garten«, meinte Fanny.
Am Tag des Umzugs waren die Kinder ganz aus dem Häuschen. Ein kleiner Lastwagen fuhr vor und zwei Männer halfen ihrem Vater und ihrer Mutter alle Sachen einzuladen. Dann fuhr der Lastwagen fort. Die Kinder zogen ihre Jacken an, setzten die Mützen auf und gingen mit ihren Eltern zum Bahnhof.
»Jetzt geht’s wirklich los!«, rief Jo.
»Hurra! Wir ziehen aufs Land!«, sang Bessie.
»Vielleicht gibt’s da sogar Elfen!«, meinte Fanny.
Die Lokomotive pfiff und schnaufte aus dem Bahnhof hinaus. Die Kinder drückten die Nasen an die Scheibe und sahen zu, wie die schmutzigen Häuser und hohen Schornsteine vorbeiflogen. Sie mochten die Stadt nicht und freuten sich aufs Landleben.
»Da erleben wir bestimmt viele Abenteuer«, schwärmte Jo, »und es gibt Flüsse und Berge und Felder und dunkle Wälder. Ach, das wird toll!«
»Ihr erlebt auf dem Land auch nicht mehr Abenteuer als in der Stadt«, dämpfte der Vater ihre Begeisterung. »Es könnte sogar sein, dass es ziemlich langweilig für euch sein wird.«
Aber da lag er völlig falsch.
Endlich kamen sie an dem kleinen Bahnhof an, wo sie aussteigen mussten. Ein verschlafener Gepäckträger lud ihre Koffer auf eine Karre und sagte, er werde sie später bringen. Und dann marschierten sie alle miteinander laut schwatzend die gewundene Landstraße hinunter.
»Wie unser Häuschen wohl aussieht?«, fragte Bessie.
»Ob wir einen Garten haben?«, meinte Fanny.
Aber schon lange bevor sie ihr neues Zuhause erreichten, waren sie so müde, dass sie kein Wort mehr miteinander sprechen konnten. Acht Kilometer mussten sie vom Bahnhof zu ihrem Häuschen zu Fuß zurücklegen. Ein Taxi konnte der Vater sich nicht leisten und ein Bus fuhr auf dieser Strecke nicht. Es war wirklich ein langer Marsch. Die müden Kinder schlurften mit schweren Beinen die Straße entlang und sehnten sich nach einem Becher Milch und einem weichen Bett.
Endlich waren sie da. Der weite Weg hatte sich gelohnt, denn das Häuschen sah wirklich hübsch aus. Rote, weiße und rosa Rosen rankten sich die Mauern empor und die Haustür war von Geißblatt eingerahmt.
Vor der Tür stand schon der Umzugswagen und die beiden Männer trugen die Möbel hinein. Der Vater half ihnen, während die Mutter in der Küche allen etwas Heißes zu trinken machte.
Die Kinder waren so müde, dass sie nur noch einen Becher heiße Milch trinken und ein paar Kekse essen konnten. Dann fielen sie in ihre behelfsmäßig aufgestellten Betten. Jo schaute aus dem Fenster, aber vor lauter Müdigkeit konnte er nicht mehr richtig sehen. Die Mädchen in ihrem kleinen Zimmer schliefen im Nu ein und so ging es auch Jo in seiner winzigen Kammer.
Als die Kinder am nächsten Morgen erwachten, schien die Sonne hell in ihre Zimmer. Sie zogen sich rasch an und rannten hinaus in den Garten. Dort liefen sie durch das hohe Gras und rochen an den Rosen, die überall blühten.
Die Mutter briet ihnen Spiegeleier und sie stürzten sich hungrig auf ihr Frühstück.
»Es ist klasse auf dem Land!«, sagte Jo und schaute durch das Fenster zu den fernen Bergen.
»Wir könnten im Garten Gemüse anbauen«, schlug Bessie vor.
»Und wandern gehen«, fügte Fanny hinzu.
An diesem Tag halfen alle, das Häuschen einzurichten und in Ordnung zu bringen. Der Vater musste schon am nächsten Tag seine neue Stelle antreten. Die Mutter hoffte, dass sie jemanden finden würde, dem sie bei der Hausarbeit helfen konnte. Dann könnte sie auch ein bisschen Geld verdienen und ein paar Hühner kaufen. Das würde ihr gefallen.
»Und ich sammle dann jeden Morgen und jeden Abend die Eier ein«, sagte Fanny glücklich.
»Kommt, wir schauen uns mal ein bisschen um«, sagte Jo. »Dürfen wir, Mum?«
»Ja, geht nur«, sagte die Mutter, und die drei liefen durch die kleine weiße Gartenpforte hinaus auf die Straße.
Neugierig erkundeten sie ihre Umgebung. Sie rannten über ein Feld mit rosa blühendem Klee, in dem lauter Bienen umherflogen, und sie planschten im braunen Wasser eines kleinen Bachs, der unter sonnenbeschienenen Weiden vor sich hin plätscherte.
Nicht weit hinter ihrem Häuschen gelangten sie schließlich an einen Wald. Er sah aus wie ein ganz normaler Wald, nur die Bäume hatten ein etwas dunkleres Grün als andere Bäume. Ein schmaler Graben trennte den Wald von der überwucherten Straße.
»Ein Wald!«, rief Bessie begeistert. »Da können wir picknicken!«
»Sieht ziemlich geheimnisvoll aus, dieser Wald«, meinte Jo nachdenklich. »Oder, Bessie?«
»Na ja, die Stämme sind ganz schön dick, aber sonst sehen die Bäume ganz normal aus«, antwortete Bessie.
»Sind sie aber nicht«, beharrte Fanny. »Das Geräusch, das die Blätter machen, ist anders. Hört doch!«
Sie lauschten und stellten fest, dass Fanny recht hatte. Die Blätter der Bäume in diesem Wald raschelten nicht so wie die Blätter der anderen Bäume in der Nähe.
»Es hört sich an, als würden sie richtig miteinander sprechen«, sagte Bessie. »Als würden sie sich Geheimnisse zuflüstern – echte Geheimnisse, die wir nicht verstehen können.«
»Das ist ein verzauberter Wald«, platzte Fanny heraus.
Schweigend standen sie da und lauschten. »Wispa-wispa-wispa …!«, machten die Bäume und neigten sich freundlich einander zu.
»Vielleicht leben hier Elfen«, sagte Bessie. »Sollen wir über den Graben springen und uns ein bisschen umsehen?«
»Nein«, entschied Jo. »Sonst verirren wir uns. Wir müssen uns besser auskennen, bevor wir in einen so großen Wald gehen.«
»Jo! Bessie! Fanny!«, hörten sie die Stimme der Mutter von dem nahe gelegenen Häuschen her. »Es gibt Tee!«
Auf einmal spürten die Kinder, dass sie hungrig waren. Sie vergaßen den merkwürdigen Wald und stürmten zurück zu ihrem neuen Zuhause. Die Mutter hatte frisches Brot und Erdbeermarmelade für sie hingestellt und die drei verspeisten den ganzen Laib.
Der Vater kam nach Hause, als sie gerade fertig waren. Er war im fünf Kilometer entfernten Dorf einkaufen gewesen. Jetzt war auch er müde und hungrig.
»Wir haben alles ausgekundschaftet, Dad«, erzählte Bessie, während sie ihm eine große Tasse Tee einschenkte.
»Und einen wunderschönen Wald entdeckt«, fügte Fanny hinzu.
»Es ist ein merkwürdiger Wald, Dad«, sagte Jo. »Es hört sich an, als würden die Bäume wirklich miteinander sprechen.«
»Das muss der Wald sein, von dem ich heute Nachmittag gehört habe«, sagte der Vater. »Er hat einen seltsamen Namen, Kinder.«
»Wie heißt er denn?«, fragte Jo.
»Zauberwald«, antwortete der Vater. »Die Leute betreten ihn nur, wenn es unbedingt nötig ist. Es ist schon komisch, so etwas heutzutage noch zu hören. Ich glaube nicht, dass in diesem Wald tatsächlich merkwürdige Dinge geschehen. Aber passt auf und geht nicht zu tief hinein, damit ihr euch nicht verirrt.«
Die Kinder sahen sich erwartungsvoll an. Zauberwald – das klang spannend. Am liebsten wären sie auf der Stelle losgezogen, um diesen geheimnisvollen Zauberwald zu erkunden.
Aber nach dem Tee mussten sie erst einmal ihrem Vater im Garten helfen. Jo riss die dicken Disteln heraus und die beiden Mädchen jäteten das Gemüsebeet. Während der Arbeit unterhielten sie sich miteinander.
»Ein Zauberwald! Wir wussten ja, dass irgendwas nicht stimmt.«
»Ich habe gleich gesagt, dass dort Elfen leben!«, sagte Fanny.
»Sobald wir spielen dürfen, kundschaften wir ihn aus«, rief Bessie. »Wir finden schon heraus, was die flüsternden Bäume sagen. Und in ein paar Wochen kennen wir alle Geheimnisse des Waldes.«
An jenem Abend standen die drei vor dem Schlafengehen am Fenster und schauten hinaus in den dunklen wispernden Wald hinter dem Haus. Was würden sie dort entdecken?
Die drei Kinder konnten dem Zauberwald erst in der folgenden Woche einen Besuch abstatten, weil sie ihren Eltern beim Einrichten des neuen Zuhauses helfen mussten. Sie jäteten Unkraut, hängten überall die von der Mutter genähten Vorhänge vor die Fenster und putzten die Zimmer.
Jo hatte manchmal nichts zu tun und hätte allein losziehen können. Und manchmal wurden die Mädchen zum Spielen geschickt, während Jo beschäftigt war. Weil sie aber nur alle drei zusammen gehen wollten, mussten sie warten. Endlich war es so weit.
»Ihr könnt heute Nachmittag ein bisschen rausgehen«, sagte die Mutter. »Ihr habt alle drei so viel gearbeitet, dass ihr euch einen Ausflug verdient habt. Ich mach euch Brote und gebe euch eine Flasche Milch dazu mit.«
»Wir gehen in den Wald!«, flüsterte Bessie den anderen zu. Und mit gespannten Mienen und klopfenden Herzen halfen sie der Mutter, die Brote und die Milch in einen großen Korb zu packen.
Dann zogen sie los. Am unteren Ende des Gartens führte eine schmale Pforte auf die überwucherte Straße, die am Wald entlang verlief. Sie öffneten die Pforte und standen auf der Straße. Bald schon sahen sie die Bäume und hörten sie in ihrer merkwürdigen Baumsprache miteinander tuscheln: »Wispa-wispa!«
»Ich spüre, dass uns Abenteuer erwarten«, sagte Jo. »Los! Über den Graben und hinein in den Zauberwald.«
Nacheinander sprangen die Kinder über den schmalen Graben. Dann standen sie unter den Bäumen und schauten sich vorsichtig um. Hie und da sprenkelten kleine Sonnenflecken den Boden, aber nur wenige, denn die Baumkronen waren sehr dicht. Es herrschte ein grünes Dämmerlicht und in der Nähe sang ein Vogel immer wieder sein merkwürdiges kleines Lied.
»Er ist wirklich verzaubert!«, sagte Fanny auf einmal. »Ich spüre es. Du auch, Bessie? Und du, Jo?«
»Ja«, sagten die beiden anderen und in ihren Augen funkelte die Abenteuerlust. »Nichts wie rein!«
Sie gingen einen grünen Pfad entlang, der aussah, als sei er für Kaninchen gemacht, so klein und schmal war er.
»Wir gehen lieber nicht zu weit«, meinte Jo. »Bevor wir tiefer in den Wald hineingehen, müssen wir uns ein bisschen besser auskennen. Sucht einen Platz, wo wir uns hinsetzen und unsere Brote essen können.«
»Ich habe Walderdbeeren gefunden!«, rief Bessie. Sie kniete nieder und hob ein paar Blätter an, um den anderen die dunkelroten Erdbeeren darunter zu zeigen.
»Kommt, wir pflücken sie und essen sie dann zu unseren Broten«, sagte Fanny. Sie pflückten eifrig und bald hatten sie genügend für eine schöne Mahlzeit beisammen.
»Wir gehen zu der alten Eiche da drüben«, schlug Jo vor. »Da wächst ganz viel Moos. Darauf sitzt es sich bestimmt wie auf einem Samtkissen.«
Sie setzten sich und packten die Brote aus. Bald mampften sie munter vor sich hin und lauschten den dunkelgrünen Blättern über ihren Köpfen, die immerzu »Wispa-wispa« flüsterten.
Auf einmal sahen sie etwas sehr Merkwürdiges. Fanny bemerkte es als Erste.
Nicht weit entfernt öffnete sich eine kleine, mit weichem Gras bewachsene Lichtung. Als Fanny ihren Blick darüber schweifen ließ, entdeckte sie, dass sich der Boden an einigen Stellen hob. Überrascht schaute sie genauer hin. Die Erde hob sich immer höher und brach schließlich an sechs Stellen auf.
»Schaut nur!«, flüsterte Fanny und zeigte auf die mit Gras bewachsene Stelle. »Was geht da vor sich?«
Die drei Kinder sahen schweigend zu. Und dann verstanden sie, was da passierte. Sechs große Giftpilze schossen aus dem Boden und wuchsen immer weiter in die Höhe.
»Das habe ich ja noch nie gesehen!«, sagte Jo erstaunt.
»Pssst!«, machte Bessie. »Seid still! Ich höre Schritte.«
Die anderen lauschten. Und tatsächlich. Auch sie hörten das Geräusch trappelnder Füße und leise hohe Stimmen.
»Schnell hinter den Busch«, sagte Bessie plötzlich. »Wer immer da kommt wird erschrecken, wenn er uns sieht. Hier geschehen komische Dinge und wir wollen sie doch nicht verpassen!«
Sie rappelten sich auf, nahmen ihren Korb und krochen leise hinter einen dichten Busch. Sie hatten sich gerade noch rechtzeitig versteckt. Denn als Bessie sich niederließ und die Zweige des Busches teilte, um hindurchzuspähen, kam ein Trupp kleiner Männer anmarschiert. Ihre Bärte waren so lang, dass sie fast bis zum Boden reichten.
»Zwerge!«, raunte Jo.
Die Zwerge gingen zu den Giftpilzen und setzten sich auf sie. Offenbar hielten sie eine Versammlung ab. Einer von ihnen trug eine Tasche, die er hinter seinem Pilz abstellte. Die Kinder konnten nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber sie hörten schwatzende Stimmen und schnappten gelegentlich ein paar Wörter auf.
Auf einmal stieß Jo seine Schwestern an. Er hatte noch etwas entdeckt. Auch die Mädchen sahen es: Ein hässlicher Kerl, der aussah wie ein Gnom, schlich sich heimlich an die Versammlung auf den Pilzen heran. Keiner der Zwerge sah oder hörte ihn.
»Er hat es auf die Tasche abgesehen!«, flüsterte Jo. Und so war es auch. Der Gnom streckte seinen langen Arm aus. Seine knochigen Finger schlossen sich um den Griff, und er begann, die Tasche unter einen Busch zu ziehen.
Jo sprang auf. Er würde nicht schweigend zusehen, wie jemand bestohlen wurde. Laut rief er:
»Haltet den Dieb! He, schaut mal, der Gnom hinter euch!«
Erschrocken fuhren die Zwerge auf. Der Gnom sprang auf die Füße und rannte mit der Tasche weg. Die Zwerge sahen ihm bestürzt nach, aber keiner verfolgte ihn. Der Dieb rannte auf den Busch zu, in dem die Kinder saßen, denn er wusste ja nicht, dass sie dort waren.
Blitzschnell streckte Jo den Fuß aus und stellte dem vorbeirennenden Gnom ein Bein. Er fiel hin und die Tasche flog ihm aus der Hand. Bessie hob sie auf und warf sie den erstaunten Zwergen zu, die immer noch bei den Pilzen standen. Jo versuchte den Gnom zu packen – aber er entglitt seinem Griff wie ein Fisch.
Die Kinder nahmen die Verfolgung auf. Sie rannten zwischen den Bäumen hindurch und mussten dauernd in die eine oder andere Richtung ausweichen. Schließlich sahen sie, wie der Gnom an die niedrigen Äste eines Baumes sprang und sich in das dichte Blattwerk hinaufzog. Atemlos ließen sie sich unter dem Baum auf die Erde fallen.
»Jetzt ist er gefangen«, sagte Jo. »Wenn er runterklettert, haben wir ihn.«
»Da kommen die Zwerge«, sagte Bessie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die kleinen bärtigen Männer rannten herbei und verbeugten sich.
»Ihr seid sehr gut zu uns«, hob der Größte von ihnen an. »Vielen Dank, dass ihr unsere Tasche gerettet habt. Sie enthält wichtige Dokumente.«
»Wir haben auch den Gnom für euch gefangen«, sagte Jo und zeigte den Baum hinauf. »Da oben hockt er. Wenn ihr den Baum umzingelt und wartet, könnt ihr ihn fangen, sobald er runtersteigt.«
Aber die Zwerge hielten gebührenden Abstand zu dem Baum. Es sah fast aus, als fürchteten sie sich vor ihm.
»Er kommt erst herunter, wenn er will«, sagte der größte Zwerg. »Das ist der älteste Baum im Wald und er hat besondere Kräfte. Es ist der Wunderweltenbaum.«
»Der Wunderweltenbaum?«, wiederholte Bessie erstaunt. »Was für ein seltsamer Name! Warum nennt ihr ihn so?«
»Das ist ein magischer Baum«, erklärte ein anderer Zwerg. »Seine Krone ragt in Wunderwelten hinein. Wie das möglich ist, das wissen wir auch nicht. Manchmal enden die obersten Zweige im Hexenland, manchmal in wunderschönen fremden Ländern und manchmal an besonderen Orten, von denen niemand je gehört hat. Wir klettern nie hinauf, weil wir nicht wissen können, was uns in der Krone erwartet.«
»Das ist ja sehr seltsam!«, sagten die Kinder.
»Der Gnom ist in das Land entwischt, das heute über der Krone des Baumes steht«, erklärte der größte Zwerg weiter. »Dort kann er monatelang leben. Es hat keinen Sinn auf ihn zu warten und schon gar keinen, ihm zu folgen. Er heißt Schleicher, weil er sich immer leise anschleicht.«
Die Kinder sahen in die weit verzweigten, dicht belaubten Äste des Baumes hinauf. Sie fanden das alles furchtbar aufregend. Der Wunderweltenbaum im Zauberwald. Schon die Namen klangen sehr geheimnisvoll.
»Wenn wir nur hinaufklettern könnten«, sagte Jo sehnsüchtig.
»Das dürft ihr niemals tun«, sagten die Zwerge wie aus einem Mund. »Es ist gefährlich. Wir müssen jetzt gehen. Aber wir danken euch sehr für eure Hilfe. Wenn ihr jemals unsere Hilfe braucht, kommt einfach in den Zauberwald, geht unter die Eiche bei unseren Pilzen und pfeift sieben Mal.«
»Danke«, sagten die Kinder und sahen den sechs Zwergen nach, die zwischen den Bäumen hindurch wegrannten. Dann meinte Jo, es sei Zeit heimzugehen, und sie folgten den kleinen Männern auf dem schmalen grünen Pfad, bis sie in den Teil des Waldes gelangten, den sie kannten. Sie hoben ihren Korb auf und gingen nach Hause. Alle drei hatten nur einen Gedanken im Kopf: Sie wollten den Wunderweltenbaum erkunden.
Ihren Eltern erzählten die drei Kinder natürlich nichts von ihren Erlebnissen im Zauberwald. Sonst würden sie ihnen verbieten, dort zu spielen. Aber wenn sie unter sich waren, redeten sie über nichts anderes.
»Was meinst du, Jo. Wann gehen wir zum Wunderweltenbaum?«, fragte Fanny unablässig. »Komm, Jo, lass uns endlich gehen!«
Auch Jo konnte es kaum erwarten, aber er fürchtete sich ein bisschen davor, was alles passieren könnte. Schließlich musste er als großer Bruder auf seine zwei Schwestern aufpassen und dafür sorgen, dass ihnen nichts zustieß. Nicht auszumalen, wenn sie alle auf den Wunderweltenbaum kletterten und nicht mehr zurückkehrten.
Da hatte er eine Idee. »Passt auf«, sagte er. »Wisst ihr, was wir machen? Wir klettern einfach auf den Baum und schauen nach, was sich oben über der Krone verbirgt. Wir brauchen ja nicht hineingehen, wir können einfach nur nachsehen. Wir warten, bis wir einen ganzen Tag für uns haben, und dann geht’s los.«
Die Mädchen waren sehr aufgeregt. Sie halfen ihrer Mutter viel und hofften, dass sie dafür bald einen ganzen Tag spielen dürften. Auch Jo arbeitete hart im Garten und rupfte alle Unkräuter heraus. Die Eltern waren zufrieden.
Endlich fragte die Mutter: »Wollt ihr in die Stadt gehen und euch dort einen schönen Tag machen?«
»Nein«, sagte Jo schnell, »von Städten haben wir die Nase voll, Mum! Am liebsten würden wir einen ganzen Tag in den Wald gehen.«
»Auch gut«, antwortete die Mutter. »Morgen. Dad und ich fahren weg und besorgen noch ein paar Sachen. Ihr könnt euch etwas zu essen mitnehmen und allein losziehen, wenn das Wetter mitmacht.«
Die Kinder drückten die Daumen, dass es schön werden würde. Sie wachten früh auf, sprangen aus den Betten und zogen die Vorhänge auf: Der Himmel war kornblumenblau, und die Sonne schien hell zwischen den Bäumen hindurch, die lange Schatten auf das taunasse Gras warfen. Hinter dem Garten ragte dunkel und geheimnisvoll der Zauberwald empor.
Nach dem Frühstück machte die Mutter Brote und packte Kuchen und für jedes Kind drei Kekse ein. Jo musste im Garten ein paar Erdbeeren pflücken und Bessie holte zwei Flaschen Limonade aus dem Keller. Die Kinder konnten es kaum erwarten.
Endlich machten sich die Eltern auf den Weg in die Stadt und die Kinder winkten am Gartentor zum Abschied. Dann stürmten sie nach drinnen und holten die Tasche mit dem Proviant. Sie schlugen die Tür hinter sich zu und zogen los. Abenteuer hingen in der Luft.
»Hinauf auf den Wunderweltenbaum
Das ist Jos und Bessies und mein Traum«,
sang Fanny laut.
»Pssst!«, machte Jo. »Es müssen doch nicht alle wissen, was wir vorhaben.«
Sie rannten den Garten hinunter und verließen ihn durch die kleine Pforte an seinem Ende. Auf der überwucherten schmalen Straße blieben sie stehen und sahen sich an. Das war das erste große Abenteuer ihres Lebens.
Sie sprangen über den Graben in den Wald hinein. Augenblicklich spürten sie, wie der Zauber des Waldes sie umfing. Die Lieder der Vögel klangen anders. Und die Bäume wisperten wieder geheimnisvoll miteinander. »Wispa …«
»Ohhh!«, sagte Fanny und schauderte vor Entzücken.
»Kommt weiter«, drängte Jo und ging den grünen Pfad hinunter. »Wir müssen den Wunderweltenbaum finden.«
Die Mädchen folgten ihm. Er ging weiter, bis er zu der Eiche kam, wo sie schon einmal gerastet hatten. Auch die sechs Giftpilze waren da, auf denen die Zwerge ihre Versammlung abgehalten hatten, wenn sie inzwischen auch recht braun und verwittert aussahen.
»Und wohin jetzt?«, fragte Bessie und blieb stehen.
Keiner von ihnen wusste es. Sie folgten einem schmalen Pfad, mussten aber bald stehen bleiben, weil die Bäume dort so dicht standen, dass sie nicht weitergehen konnten. Also kehrten sie zurück zur Eiche.
»Kommt, wir nehmen den anderen Weg«, schlug Bessie vor und sie gingen in die andere Richtung weiter. Diesmal gelangten sie zu einem seltsamen Teich mit gelbem Wasser, das wie flüssige Butter glänzte. Bessie gefiel das überhaupt nicht und die drei kehrten wieder um.
»Das ist ja blöd«, jammerte Fanny. »Jetzt haben wir mal einen ganzen Tag für uns und finden den Baum nicht!«
»Ich hab eine Idee«, sagte Jo auf einmal. »Wir rufen die Zwerge. Erinnert ihr euch? Sie sagten, sie würden uns helfen, wenn wir sie brauchten.«
»Ja, klar!«, rief Fanny. »Wir müssen uns nur unter die Eiche stellen und sieben Mal pfeifen.«
»Los, Jo, pfeif«, sagte Bessie. Und Jo stellte sich unter die dichten Blätter der alten Eiche und pfiff. Sieben Mal.
Dann warteten sie. Nach ungefähr einer halben Minute streckte ein Kaninchen seinen Kopf aus einem nahe gelegenen Kaninchenbau und starrte sie an.
»Was wollt ihr?«, fragte das Kaninchen mit einer Stimme, die irgendwie flauschig klang.
Die Kinder sahen es erstaunt an. Noch nie zuvor hatten sie ein Tier sprechen gehört. Das Kaninchen sprach sie noch einmal an, diesmal ziemlich ärgerlich:
»Seid ihr taub? Was ihr wollt, habe ich gefragt.«
»Wir suchen einen der Zwerge«, sagte Jo, der endlich seine Sprache wiedergefunden hatte.
Das Kaninchen drehte sich um und rief in seinen Bau hinunter: »Backenbart! Backenbart! Da möchte dich jemand sprechen!«
Eine Stimme rief eine Antwort und dann zwängte sich einer der sechs Zwerge aus dem Kaninchenbau.
»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, sagte er. »Aber eines der Kaninchenkinder hat Windpocken und ich habe unten im Bau nach ihm gesehen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Kaninchen auch Windpocken bekommen«, wunderte sich Bessie.
»Noch öfter bekommen sie Haferflocken«, sagte Backenbart. »Flocken kommen bei Kaninchen sogar noch viel häufiger vor als Pocken.«
Er grinste, als hätte er einen tollen Witz gemacht, aber vor lauter Staunen konnten die Kinder gar nicht lachen.
»Wir wollten Sie nach dem Weg zum Wunderweltenbaum fragen«, sagte Bessie. »Wir können ihn nicht mehr finden.«
»Ich bring euch hin«, sagte Backenbart. Sein Name passte wirklich gut, denn sein gewaltiger Bart reichte ihm bis zu den Zehen. Manchmal trat er darauf und dann wurde sein Kopf abrupt nach vorn gerissen. Bessie konnte sich das Lachen kaum verkneifen und fragte sich, warum er sich den Bart nicht wie eine Schärpe um den Bauch band.
Backenbart führte sie zwischen den dunklen Bäumen hindurch, bis er schließlich vor dem Stamm des gewaltigen Wunderweltenbaums stehen blieb. »Hier sind wir!«, sagte er. »Erwartet ihr, dass heute jemand hinabsteigt?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Jo. »Wir wollen hinauf.«
»Ihr wollt hinaufsteigen!«, rief Backenbart voller Entsetzen. »Macht keinen Unsinn. Das ist gefährlich. Ihr wisst nicht, was euch oben erwartet. Fast täglich steht ein anderes Land über dem Baum.«
»Wir klettern trotzdem hinauf«, sagte Jo fest. Er packte einen Ast über seinem Kopf und stemmte die Füße gegen den gewaltigen Stamm des Baumes. »Kommt, Mädels!«
»Ich alarmiere meine Brüder und hol euch runter«, sagte Backenbart ganz erschrocken und huschte jammernd davon. »Es ist so gefährlich! So gefährlich!«
»Glaubt ihr, es ist wirklich okay, wenn wir hinaufklettern?«, fragte Bessie, die immer sehr vernünftig war.
»Komm schon, Bessie!«, rief Jo ungeduldig. »Wir wollen doch nur nachsehen, welches Land heute über der Krone steht! Sei kein Frosch!«
»Bin ich nicht«, entgegnete Bessie und zog sich zusammen mit Fanny zu Jo hinauf.
»Es sieht ganz leicht aus. Wir sind bestimmt bald ganz oben.«
Aber ganz so leicht, wie sie dachten, war es nicht.
Bald waren die Kinder im Grün des Baumes verschwunden. Als Backenbart mit den anderen fünf Zwergen zurückkehrte, sahen sie keine Spur von den dreien.
»He, kommt runter«, riefen die Zwerge und tanzten um den Baum. »Ihr werdet gefangen oder ihr verirrt euch. Dieser Baum ist gefährlich!«
Jo lachte und spähte nach unten. Wo er stand, wuchsen Eicheln, und er pflückte eine und warf sie hinunter. Sie traf Backenbart am Hut. »Jemand schießt auf mich! Jemand schießt auf mich!«, rief er und rannte weg.
Dann war es still. »Sie sind weg«, sagte Jo und lachte wieder. »Sie haben tatsächlich Angst, dass sie mit Eicheln erschossen werden. Komische kleine Kerle sind das. Kommt weiter!«
»Wenn hier Eicheln wachsen, dann muss das eine Eiche sein«, überlegte Bessie laut beim Klettern. Aber kaum hatte sie das gesagt, starrte sie erstaunt auf eine stachelige Hülle, in der eine glatte braune Kastanie glänzte.
»Hoppla!«, rief sie. »Hier wachsen Kastanien. Das ist wirklich ein sehr merkwürdiger Baum.«
»Vielleicht wachsen weiter oben Äpfel und Pfirsiche«, meinte Fanny kichernd. »Hier ist alles möglich.«
Bald waren sie hoch oben. Als Jo die Zweige teilte, um hinunterzuschauen, stellte er erstaunt fest, dass sie schon viel höher waren als die anderen Bäume im Wald. Er und seine Schwestern schauten auf ihre Kronen hinab, die unter ihnen einen riesigen grünen Teppich bildeten.
Jo war über den Mädchen. Auf einmal rief er: »He, ihr zwei! Kommt schnell! Ich habe was entdeckt!«
Bessie und Fanny kletterten rasch zu ihm.
»Da ist ja ein Fenster im Baum!«, meinte Bessie verwundert. Sie spähten alle drei durch das Fenster. Plötzlich wurde es aufgerissen und ein zornverzerrtes kleines Gesicht mit Nachtmütze auf dem Kopf schaute heraus.