Xena, der kleine Räuber - Richard Zelenka - E-Book

Xena, der kleine Räuber E-Book

Richard Zelenka

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Beschreibung

Endlich! Das Rentnerdasein rückt näher. Richard wird bald viel Freizeit und Muße haben. Viel mehr als je zuvor. Was fängt er damit an? Klar, es gibt viele Dinge, die er schon immer machen wollte: lesen, malen, Sprachen lernen, Sport treiben. Aber wer hat schon Lust, acht Stunden am Tag zu lesen oder Fahrrad zu fahren? Das Grübeln findet ein jähes Ende. Ein Anruf von Tochter Lea ändert alles. "Wir haben einen Hund. Er sitzt hinten im Auto", verkündet sie auf der Rückfahrt von einem Wochenendtrip. Richard wird klar: Sein Leben wird eine radikale Wende nehmen. Ein schwarzer Jagdhund mit dem Namen Xena wirbelt das Familienleben gehörig durcheinander. Richard ist ein Hunde-Neuling. Trotzdem stellt er sich mit 66 Jahren der tierischen Herausforderung. Doch schon die erste Gassi-Runde wird fast zum Desaster. Xena büxt ohne Vorwarnung aus und kommt fast unter die Räder. Zum Glück gibt es ein Happy End. Es ist nur ein Auftakt zu einer turbulenten Zeit voller Abenteuer. Bei ausgedehnten Touren durch seine Heimatstadt Rheda-Wiedenbrück erlebt Richard das späte Glück mit einem Hund an seiner Seite. Er erzählt faszinierende Geschichten, die zum Lachen und zum Weinen anregen.

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„Behandle dein Haustier so, dass du im nächsten Leben ohne Probleme mit vertauschten Rollen klarkommst.“

Pascal Lachenmeier

Inhalt

Wie alles begann

Blick zurück

Xena ist da

Im Stadtholz

Der

kleine Räuber

Das große Fressen

Hund sein

Im Linteler Wald

Xenas Freunde

Begegnungen

Durch die Flora

Hund und Hirn

Wie alles begann

Mein neuer Freund

Endlich! Er ist da. Mein neuer Freund. Es ist eine sie. Eine junge Hündin. Sie heißt Xena und ist knapp zwei Jahre alt. Den Namen finde ich ein bisschen komisch, aber so steht's in der Ahnentafel. Also was soll’s? Wir werden uns schon die passenden Kosenamen für die kleine Schwarze ausdenken. Wie wäre es mit „Hündli?“, fällt mir spontan ein. Für den Anfang klingt das ganz niedlich. Es werden bald viele andere dazukommen. Ein bisschen schüchtern und unsicher sitzt sie vor uns. Aber die wachen kastanienfarbigen Augen blicken neugierig und ein wenig frech in die neue Welt. Man sieht, dass sie es faustdick hinter den langen Schlappohren hat.

Wacher Blick: Xena auf einem Baumstamm im Stadtholz, von mir in Acryl und Öl gemalt.

Mir gefällt das schwarze Hündchen auf Anhieb. Nicht zu groß und nicht zu klein, ein muskulöser Körper, wohlproportioniert, das dichte schwarze Fell glänzend mit braunen Zeichnungen auf dem Bauch und an den Pfoten. Xena ist eine wahre Hundeschönheit, muss ich zugeben. Ich freue mich schon beim ersten Date über den tierischen Familienzuwachs. Mir wird klar, dass unser Leben von nun an eine Wende nehmen wird. Und zwar radikal.

Dieses Gefühl trügt nicht. Es wird anstrengend. Richtig anstrengend. Aber auch schön. Auf uns warten viele gemeinsame Abenteuer. Und ich freue mich darauf. Es ist eine Herausforderung, der ich mich auf meine alten Tage stellen will. Koste es, was es wolle. Das Temperamentsbündel mit der feinen Nase hat ein neues Rudel gefunden. Seitdem ist nichts mehr so, wie es vorher war. Xena wirbelt das Familienleben gehörig durcheinander. Vor allem das meine.

Auf den Hund gekommen

Er ist auf den Hund gekommen - diese Redewendung verheißt nichts Gutes. Wer auf den Hund kommt, dem geht es meist nicht gut, er ist krank oder verarmt. Auch ich bin auf den Hund gekommen. Das sagt man so. Zwar klage ich hier und da über Wehwehchen und Zipperlein. Die sind aber eher altersbedingt. Mit 68 Jahren bin ich schon ein ziemlich alter Knochen. Aber richtig krank? Wenn ich wieder einmal morgens humpelnd zur Tür hereinkomme und über meinen schmerzenden Rücken oder meine brennenden Waden klage, dann verdreht meine liebe Frau Angie die Augen. Sie spricht es nicht aus, sie hält mich aber für einen notorischen Hypochonder.

„Stell dich nicht so an. Du hast auch immer was. Ruf doch Claudia an“, sagt sie dann.

Claudia ist unsere Familien-Osteopathin. Man erzählt, sie habe goldene Hände, mit denen sie alle Gebrechen im Nu heilen könne. Die Diskussion um meine Krankheiten ist damit beendet. Mir geht es plötzlich wieder besser. Diesen Zuspruch brauche ich einfach für einen neuen Tag voller Abenteuer - mit einem Hund an meiner Seite.

Von null auf Hundert

Bis vor Kurzem führte ich an Angies Seite ein ziemlich beschauliches Leben eines Ruheständlers, das recht angenehm, aber, wie ich zugeben muss, manchmal etwas langweilig und eintönig war. Hier und da ein schöner Urlaub, viel Muße und Freizeit, garniert mit ein bisschen Sport, Geselligkeit und gutem Essen, das war bis zum Tag X unser Alltag. X steht für Xena. Mit 66 Jahren fängt das Leben erst so richtig an, sang Udo Jürgens. Er war ein kluger Mensch und sollte damit recht behalten.

Der Start in die Hunde-Ära erfolgt von null auf Hundert. Wie die sprichwörtliche Jungfrau Maria zu ihrem Kind, so kommen auch wir zu unserem Hündli.

„Wir haben einen Hund geschenkt bekommen. Es ist ein Bayerischer Gebirgsschweißhund und unheimlich lieb. In Fachkreisen sagt man BGS dazu. Er sitzt schon hinten im Auto“, verkündet unsere Tochter Lea im Sommer 2018 bei der Rückkehr von einem Wochenendtrip nach Brandenburg.

Für die Jagd ungeeignet

Leas Freund heißt Hubertus. Seine Freunde sagen Hubi zu ihm. Der Name ist Programm. Ist doch der heilige Hubertus seit dem Mittelalter Schutzpatron der Jagd. Der Deutsche Jagdverband pflegt alte Traditionen und feiert jedes Jahr seinen Hubertustag. Die Jagdpassion wurde Hubi also in die Wiege gelegt; auch sein Vater ist ein begeisterter Waidmann. Hier und da wird Hubi zu großen Jagdevents in ganz Deutschland eingeladen.

Der treue Blick kann darüber hinwegtäuschen: Xeni ist ein kleiner Räuber.

Diesmal trifft man sich am Rande der Zivilisation in Brandenburg. Dort war auch Xena zu Hause. Auf einem ehemaligen Gutshof zwischen tiefen Wäldern und grünen Wiesen fristete sie ein ziemlich tristes Dasein. Denn das schwarze Hündchen, das den Förster mit seiner feinen Nase bei der Pirsch nach angeschossenem Wild unterstützen sollte, war nicht für die Jagd geboren. Man erzählt, dass Xena einige der Jagdprüfungen nicht bestanden habe. So soll sie unter anderem sehr schreckhaft sein, die Jäger sagen, „der Hund ist nicht schussfest“.

Das halte ich, nach fast zwei Jahren mit Xeni in unserer Mitte, für ein bösartiges Vorurteil. Schon mehrfach wurden während unserer Streifzüge in unmittelbarer Nähe Treibjagden veranstaltet. Es knallte oft und beängstigend laut. Ich zuckte erschrocken zusammen. Doch unsere Xena verzog kaum eine Miene.

„Ein Jammerlappen“

Der Zufall ist ein merkwürdiger Geselle, sagt man. Nicht nur bei uns Menschen, manchmal auch im Leben eines Hundes. Xena könnte ein Lied davon singen, wenn sie diese Gabe hätte. Sie kann nur jämmerlich heulen. Aber davon später. Für sie war es ein Tag, der alles veränderte: Die Treibjagd war lang und anstrengend. Am Abend sitzen die Jagdfreunde am knisternden Lagerfeuer und lassen den Tag in geselliger Runde ausklingen. Man trinkt ein Bier, dann ein zweites und drittes, dazu einen Obstler aus der Region. Vom Grill weht ein verführerischer Duft herüber. Die Stimmung steigt.

Aufregende Geschichte aus vergangenen Tagen machen die Runde. In den Erzählungen werden die Keiler immer wilder und die Hirsche immer größer. Jägerlatein sagt man dazu. Der Förster kommt auch auf seine Hunde zu sprechen. Mit Xena ist er unzufrieden. Sie tauge nicht für die Jagd, klagt er.

„Ich kann hier mit so einem Hund nichts anfangen.“ Er erzählt, dass er schon einmal versucht habe, Xena in andere Hände zu geben. Eine Frau aus dem Nachbardorf habe sich in das hübsche Hündchen verguckt und es zu sich nach Hause gekommen. Aber schon nach drei Tagen war sie wieder da. Sie wollte Xena nicht haben. Der Hund habe sie mit ihrem unglücklichen Gejaule genervt.

„Xena ist eben ein Jammerlappen“, lautet das vernichtende Urteil des Försters.

Oft einsam im Zwinger

Der kleine schwarze Hund, über den soeben gesprochen wird, versteht die Worte nicht, er freut sich aber über die Gesellschaft. Auf dem Hof ist er oft einsam. Während die anderen Hunde mit dem Förster ins Revier aufbrechen und aufregende Abenteuer erleben, muss er alleine in einem Zwinger sitzen. Keiner spielt mit ihm, keiner streichelt ihn. Das wenige Futter, das ihm die anderen Hunde übriglassen, reicht oft nicht. Xena geht dann mit knurrendem Magen schlafen.

Heute Abend ist alles besser. Die Menschen aus der Stadt sind freundlich zu ihr, sie kraulen sie am Hals und stecken ihr unter dem Tisch so manchen leckeren Happen zu. Vor allem die nette blonde Frau schließt der kleine Hund sofort in sein Herz – und sie ihn.

Als er sogar auf ihren Schoß darf, bahnt sich eine neue Freundschaft an.

„So einen Hund hätte ich gerne“, seufzt Lea und streichelt Xena über die langen Schlappohren, was das Hündchen besonders gerne mag. Der Revierförster wird hellhörig. Ist das etwa eine gute Gelegenheit, den ungeliebten Köter loszuwerden? Er wittert seine Chance. „Wollt ihr Xena mit nach Hause nehmen? Als Geschenk.“ Lea und Hubi sind zunächst sprachlos. Sie sind absolute Hundelaien und völlig ahnungslos, was da alles so auf sie zukommt. Aber Xena ist so anhänglich und lieb. So ein Angebot kann man gar nicht ausschlagen, sind sich Hubi und Lea sich schnell einig.

Verträumt: Unsere Xena lehnt sich am Ledersessel an und scheint über Gott und die Welt nachzudenken.

Als der Berufsjäger den Hund grob im Nacken packt und mit einem Ruck von Leas Schoß reißt, ist die Entscheidung endgültig gefallen. Hier geht Xeni vor die Hunde. Wir werden es schon irgendwie wuppen, sind sich Lea und Hubi einig. Sie schlagen ein. Am nächsten Morgen steht die Grundausrüstung für die Hundehaltung inklusive Transportkiste fix und fertig vor der Tür. Ein Rückzieher ist nicht möglich. So beginnt das große Hundeabenteuer.

Für Hubi ist Xena fast schon so etwas wie eine alte Liebe. Hatten die beiden bereits lange vor diesem denkwürdigen Abend ein gemeinsames Erlebnis, das beiden eine Menge Angst einflößte. Da war das Hündli noch ziemlich klein, fast ein Welpe. Wieder einmal ist Jagdzeit in Brandenburg. Auch Hubi ist dabei. Vor dem großen Halali will er noch eine Joggingrunde durch den idyllischen Wald drehen. Er nimmt kurzentschlossen den kleinen Hund mit, der sich im Zwinger langweilt. Sie kommen nicht weit: Plötzlich taucht ein Wolf aus dem Gestrüpp auf. Er hinkt. Brandenburg ist Wolfsland. Immer mehr Rudel, Paare und Einzeltiere siedeln sich in der fast unberührten Natur an. Normalerweise kommen sich Menschen und Wölfe nicht in die Quere. Aber wer weiß, wie ein verletzter und hungriger Wolf reagiert? Er steht auf dem Weg keine 50 Meter von Hubi und Xena entfernt und beobachtet die beiden regungslos. Der Hund bekommt panische Angst, winselt und zittert am ganzen Leibe. Hubi nimmt den Hund auf den Arm. Sie treten den Rückzug an. Der Klügere gibt nach.

Erfolgreiche Zuchtgeschichte

Die Klagen des Försters sind verständlich – aus seiner Sicht jedenfalls. Denn Xena sollte eigentlich die besten genetischen Voraussetzungen für die Jagd mitbringen. Ihre lange Ahnentafel, die bis zu den Ur-Ur-Großeltern in der Slowakei zurückreicht, kann mit einigen illustren Namen der BGS-Zucht aufwarten und listet sogar in der Liste der Vorfahren einige nationale Champions auf.

Xenas Karriere als Jagdhund begann mit einem Höhenflug. Ein namhafter Unternehmer aus der Region hatte für den vielversprechenden BGS-Welpen eine beträchtliche Stange Geld auf den Tisch gelegt und holte ihn sogar persönlich mit seinem Privatflieger bei dem Züchter ab. Sogar die Presse war damals dabei. Die dortige Lokalzeitung berichtete darüber in großer Aufmachung mit einem Foto, auf dem der Investor lachend den kleinen schwarzen Hund auf dem Arm präsentiert.

„Xena von Militzer`s Meute“, wie sie in den Papieren mit einem grammatikalisch falsch gesetzten Apostroph offiziell heißt, erfüllte die hohen Erwartungen nicht. Das war ihr Pech: Für einen Revierförster ist ein Hund nicht mehr als ein Gebrauchsgegenstand. Er muss funktionieren, sonst hat er dort nichts verloren. Auch Xena musste diese bittere Erfahrung machen. Der Berufsjäger, so erzählt man, behandelte sie nicht besonders gut. Auch von Schlägen und Tritten ist die Rede, wenn der junge Hund nicht spurte. Ein Gerücht?

Fakt ist: Auch nach Monaten in ihrer neuen Heimat duckte sich Xena ängstlich und zuckte zusammen, wenn einmal eine Hand erhoben wurde. Das Trauma der Trennungsangst hat sie bis heute nicht ganz bewältigt. Wenn sich ein Mitglied ihres neuen Rudels entfernt, gerät das arme Tier in Panik. Xena zittert am ganzen Körper, rennt ziellos umher und gibt herzzerreißende Klagetöne von sich. Doch es wird von Tag zu Tag besser. Denn das arme Tier merkt, dass es das Schicksal doch noch gut mit ihm meinte.

Ein Hund, der schwitzt?

Ein Schweißhund? Noch nie gehört, grübelte ich nach dem Telefonat mit Lea. Was ist das denn für eine komische Rasse? Ein Hund, der schwitzt? Stinkt er womöglich? Zugegeben, meine Kenntnisse rund um das Thema Hund waren sehr lückenhaft. Die beliebten Rassen wie Schäferhund, Dalmatiner, Retriever oder Dackel waren natürlich auch mir bekannt. Doch ein BGS war mir noch nie untergekommen. Zum Glück gibt es das Internet. Und das ist ziemlich allwissend. Auch über den Bayerischen Gebirgsschweißhund gibt es dort viel zu lesen.

Ich komme bei der Lektüre nicht aus dem Staunen heraus. Der BGS sei ein mittelgroßer Jagdhund und gehe auf eine uralte Hunderasse zurück. Der Schweißhund würde auch „Bracke“ genannt, erfahre ich. Er sei ein „hoch entwickelter Spezialist und vielseitig in der Jagd einsetzbar“. Sein Spezialgebiet sei die Fährtenarbeit. Und:

„Er meistert das Suchen und Hetzen und vor allem die Nachsuche.“ Schnell werde ich bei der Lektüre belehrt, dass „Schweiß“ in der Jägersprache Blut bedeutet. Dank seiner superfeinen Nase sei der BSG für den Förster und Jäger ein unentbehrlicher Begleiter bei dem Aufspüren von angeschossenem Wild. „Solange er keine Fährte in der Nase hat, besticht er durch ein bedächtiges, ruhiges, äußerst sanftes Wesen, das für uns Menschen Entschleunigung pur ausstrahlt“, gerät der Verfasser förmlich ins Schwärmen.

1912 entstand der Klub für Bayerische Gebirgsschweißhunde, der seitdem darüber wacht, dass die strengen Zuchtregeln eingehalten werden. Der BSG sei ziemlich selten, erfahre ich weiter. Gezüchtet würden pro Jahr etwa 10 bis 12 Würfe mit 60 bis 80 Welpen. Diese gehen fast nur in professionelle Hände von Förstern und Berufsjägern. Ein Bayerischer Gebirgsschweißhund sei kein Begleithund für die Stadt oder Spaziergänge in der Natur, selbst wenn diese täglich erfolgen. Er sei kein Hund für die Wohnung, sondern ein professioneller Jagdhelfer.

Diese Aussage gibt mir zunächst zu denken. Wird unser Hundeabenteuer womöglich schnell mit einem Fiasko enden? Doch als ich weiter recherchiere, entspanne ich mich ein wenig. An einer anderen Stelle hieß es, der BGS sei „ein sehr freundlicher und lernwilliger Vierbeiner“, der es seinem Halter leicht mache, ihn zu erziehen. „Der Bayerische Gebirgsschweißhund ist zudem ein sehr guter Familienhund mit einem sanftmütigen Wesen“, lautet schließlich der Kernsatz der Internet-Betrachtung, der mich endgültig beruhigt.

Blick zurück

In den Po gezwickt

Ein Hund? Schulterzucken. Damit hatten Lea noch Hubertus bisher nichts am Hut. Und auch ich war ein Hunde-Anfänger. Meine Erinnerungen an Hunde waren eher schmerzlicher Natur. Als Kind, ich war etwa zehn oder elf Jahre alt, hatte ich eine Begegnung mit einem streunenden Schäferhund. Und die war ziemlich unangenehm. Das stattliche Tier tauchte wie aus dem Nichts in einigen Metern Abstand von mir auf. Es fixierte mich mit starrem Blick. Das jagte mir ziemliche Angst ein. Was macht ein Kind, wenn es Angst hat? Es rennt weg vor der drohenden Gefahr. Der Versuch ging gründlich daneben.

Meine Flucht weckte in dem Köter den Jagdtrieb. Er folgte mir blitzschnell. Als ich im Eingang unseres Hauses stolperte und der Länge nach hinfiel, zwicke mich die Bestie in den Allerwertesten. Nur leicht, es war nicht weiter schlimm. Ich war nicht ernsthaft verletzt. Es blieb für ein paar Tage nur ein blauer Flecken. Doch für mich war es ein traumatisches Erlebnis. Es sollte mich viele Jahre prägen. Erst nach und nach konnte ich den Respekt vor Hunden ablegen und sogar Sympathien für sie entwickeln.

In unserer Familie drehte sich, soweit ich zurückdenken kann, alles um Katzen. Ganze Generationen wuchsen bei uns auf. Meine Eltern gaben ihnen so klangvolle Namen wie Aida, Micka oder Libusche und verhätschelten die eigenwilligen Samtpfoten nach Strich und Faden. Daher weiß ich, wie Katzen ticken. Für Hunde gilt das nicht. Denn die spielten bei uns lange kaum eine Rolle.

Bis zu dem Tag, als mein Vater mit einem braunen zotteligen Mischling auf dem Arm nach Hause kam. Woher der Hund stammte, war nie ein Thema. Wahrscheinlich war es ein Streuner, den mein Vater aus Mitleid irgendwo auf der Straße aufgelesen hatte. Wie dem auch sei: Das freundliche und anhängliche Hündchen wurde Alan getauft. Er wurde schnell ein Mitglied der Familie und ein unermüdlicher Spielgefährte für mich und die Kinder aus der Nachbarschaft. Doch dann verschwand Alan eines Tages so plötzlich, wie er gekommen war. Was aus ihm wurde, habe ich nie erfahren.

Die Jahre vergingen. Ich hatte nur selten Begegnungen mit Hunden. Bei meinen Fahrradtouren waren sie – oder ihre Herrchen, vor allem solche die ihre Vierbeiner nicht im Griff hatten – ein ständiges Ärgernis, weil sie kreuz und quer über den Weg liefen oder unvermutet aus dem Gebüsch auf die Fahrbahn schossen. Trotz alledem: Ich hatte stets ein Herz für Bello & Co. Ihre unverbrüchliche Treue und Anhänglichkeit haben mich fasziniert.

Schwere Wahl

Das Rentnerdasein rückt näher. Ich werde bald viel Freizeit und Muße haben. Viel mehr als je zuvor. Was fange ich damit an? Klar, es gibt viele Dinge, die ich machen wollte, wenn ich einmal viel Zeit habe: lesen, malen, Sprachen lernen, viel Sport treiben. Aber wer hat schon Lust, acht Stunden am Tag zu lesen oder Fahrrad zu fahren?

Ich beginne, mir auszumalen, wie es wäre, meine Tage mit einem Hund an der Seite zu verbringen. Die Idee gefällt mir immer besser. Und auch unsere Kinder, schon längst im Erwachsenenalter, sind davon begeistert. Wir halten Familienrat. Lea, Laura und ich schmieden Pläne für die Zukunft mit einem Familienhund. Angie hält sich da raus. Sie sieht das „Projekt Hund“ skeptisch und behauptet, dass sie „sowieso keine Zeit für so einen Quatsch“ habe. Immerhin bringt sie uns aus der Bücherei einen dicken Wälzer über Hunde mit.

Wir blättern darin und finden viel Interessantes zur Pflege und Erziehung von Hunden, ihre unglaublichen Fähigkeiten und Leistungen. Besonders faszinieren uns die vielen schönen Hundebilder. Wir sind erstaunt, dass es weltweit fast 500 anerkannte Rassen gibt, daneben unzählige Mischlinge. Mir fällt gleich das Porträt eines Dalmatiners ins Auge. Sein getupftes Fell macht ihn zu einer auffälligen Erscheinung. Ich erinnerte mich an den Film „Die 101 Dalmatiner“, den ich vor Jahren zufällig sah. Die Vorstellung, dass die böse Frau Cruella 15 süße Dalmatiner-Welpen töten wollte, um deren Felle zu einem exzentrischen Pelz zu verarbeiten, lässt mich nicht los. Ich applaudiere innerlich, als sich die Dalmatiner am Ende mit guten Menschen verbünden und der Hexe einen Strich durch die Rechnung machen.

Der Dalmatiner sei elegant, intelligent und ein „hervorragender Sportkumpan“, heißt es in dem schlauen Buch. Er sei sehr anhänglich, verfüge aber über eine „überschäumende Energie“, die er ausleben müsse. Das würde alles passen. Doch ein Satz macht mich stutzig. Der Dalmatiner sei zuweilen stur und wolle seinen Willen durchsetzen. Das klingt nach viel Arbeit, einer für Hundelaien möglicherweise kaum leistbare Aufgabe.

Wir suchen weiter und fragen Google. Es muss doch den idealen Hund geben, der perfekt zu uns passt. Das Internet ist voll von Beschreibungen und Bildern zum Thema Hund.

„Ich wünsche mir einen Golden Retriever. Die sind so lieb und anhänglich“, mein Lauri.

Also gut, der hierzulande so beliebte „Goldie“ kommt in die nähere Wahl. Oder sollte es besser ein Labrador sein? In Leas Freundeskreis ist einer, der diese Rasse züchtet und bildhübsche Welpen verkauft.

„Da wüssten wir wenigstens, wo unser Hund herkommt“, sagt sie. Das klingt logisch.

Die Liste der Kandidaten wird immer länger, je tiefer wir in die Materie einsteigen. Auch die heute so beliebten Mischungen wie Goldendoodle oder Labradoodle stehen drauf. Eine Freundin hat seit einiger Zeit einen Mix aus Golden Retriever und Pudel und schwärmt von seiner Gelehrigkeit und Gutmütigkeit. Für mich ist ein Auswahlkriterium von vornherein unverrückbar: „Ich möchte einen richtigen Hund haben, nicht so eine kläffende Ratte.“

In einem Punkt sind wir uns einig: Der Familienzuwachs darf kein Winzling sein - die offene Treppe in unserem Haus sollte für unseren Hund schließlich nicht zur Todesfalle werden.

Klar ist, dass unser Hündchen nicht haaren und nicht übel riechen soll, obendrein stubenrein sein muss sowie uns und seine Umwelt nicht durch laute Gebelle nerven darf. Dass unser neuer Begleiter lieb und folgsam sein würde, das steht für uns sowieso fest. Und überhaupt: Unser Haustier soll am besten unsichtbar sein und möglichst wenig Arbeit machen.

Bald stellen wir fest, dass wir ein derartiges Exemplar kaum finden würden. Und: Dass sich unsere Träume ohnehin nicht erfüllen würden, wird uns schnell klar.

„Mir kommt kein Hund ins Haus. Nur über meine Leiche“, sagt Angie eines Tages und beendet damit abrupt die Diskussion. Sie duldet keinen Widerspruch. Nicht nur, wenn's um Hunde geht.

Xena ist da

Ein geteilter Hund

Angie sollte einmal Unrecht haben. Xena ist da. Es war nicht zu verhindern. Und sie ist sozusagen ein geteilter Hund. Das ist eine praktische Lösung. Wenn die eine Partei arbeiten geht, Urlaub macht, feiert oder sonstwie verhindert ist, dann übernimmt die andere das Kommando. Wir haben uns die Aufgaben einigermaßen gerecht geteilt. Es fällt uns umso leichter, weil Xena eine liebenswürdige und ziemlich pflegeleichte Hundedame ist. Und sie ist fast einmalig. Das sagt Lea jedenfalls. Denn nahezu alle Bayerischen Gebirgsschweißhunde haben ein braunes Fell in verschiedenen Nuancen. Nur einer von 1.000, so behauptet sie, sei schwarz. Ob es stimmt, weiß ich nicht.

Begegnung der BGS-Art: Xena und Lara trafen im Wald aufeinander. Die beiden Bayerischen Gebirgsschweißhunde beschnupperten sich ausgiebig.

Erst zweimal bin ich im wahren Leben bei einem Spaziergang einem BSG begegnet – und beide waren tatsächlich braun. Bruno heißt der eine und ist schon elf Jahre alt. Xeni und Bruno verstanden sich auf Anhieb gut. Sie beschnupperten sich und spielten kurz miteinander. Dann ging man wieder seine Wege, die große Liebe war es wohl nicht.

Und auch ein paar Monate später, als wir die acht Jahre alte Lara und ihre Besitzer im Wald trafen, war es keine Offenbarung. Kurz schnuppern und weiterziehen - so ging auch das zweite BSG-Gipfeltreffen unspektakulär über die Bühne. Immerhin erfuhr ich, dass Xenas Verfressenheit keine Ausnahme ist. Auch Bruno und Lara sind gierig nach Futter. Und siehe da: Die Gier nach Futter, die Bluthunden so eigen ist, wurde mir erst kürzlich medial bestätigt (siehe Zeitungsmeldung). Mit Speck fängt man Mäuse, sagt der Volksmund. Schweißhunde stehen eher auf Mettwurst, egal, ob sie braun oder schwarz sind.

Für uns spielt es auch keine Rolle, welche Farbe Xena hat. „Es gibt so viele Hunde auf der Welt. Was für ein Glück, dass wir den schönsten haben“ – dieser Spruch dürfte den meisten Hundefans bekannt sein. Und auch wir empfinden, dass er stimmt. Wir sind uns einig: Unser Hündli ist etwas ganz Besonderes. Umso ehrgeiziger gehe ich mein neues Hobby an.

Taschen voller Leckerchen

Aber wie führt man einen Hund aus? Was braucht man dazu? Ein Halsband, eine Leine und die Taschen voller Leckerchen, so viel ist mir schon klar. Sonst bin ich ahnungslos. So vertiefte ich mich Tage vor dem ersten gemeinsamen Spaziergang ausgiebig in die Lektüre einschlägiger Fachliteratur. Ein bisschen Lampenfieber ist schon dabei, muss ich mir eingestehen. Zumindest das theoretische Rüstzeug will ich mir holen. Aber am Ende habe ich keine Wahl. Mein Einstieg in die Geheimnisse der Hundewelt erfolgt nach dem Motto „Learning by doing“. Anders gesagt: Ich muss zusehen, wie ich mit dem Köter alleine und in freier Wildbahn zurechtkomme.

Idylle pur: Xena auf der Emsbrücke kurz vor der Abenddämmerung.

Fast ein Desaster