Yaro - Schwatke Wolfgang - E-Book

Yaro E-Book

Schwatke Wolfgang

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Beschreibung

Die Geschichte erzählt von Yaro, dem Sohn eines Fischers, der aufgrund besonderer Ereignisse in seinem Heimatdorf Satama schon als junger Mann die waffenlose Verteidigung Taijutsu und die Schwertkunst Iaijutsu erlernte. Aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Könnens wurde Jahre später sein Lehnsherr Iroda auf ihn aufmerksam und berief ihn als Samurai an seinen Fürstenhof. Auf dem Weg dorthin sammelte Yaro seine Erfahrungen auf abenteuerliche Weise, die manchmal sehr reizvoll, manchmal aber auch sehr gefährlich waren. So gefährlich, dass er die körperlichen Auseinandersetzungen nur dank seines intensiven Kampftrainings lebend überstand. Auch bei seiner Anstellung am Fürstenhof kam ihm seine Kampfkunst zugute, um enge Freunde zu beschützen und der Willkür des neuen Daimyo ein dramatisches Ende zu setzen.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Orte der Handlung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Einleitung

Das Buch erzählt die Geschichte von Yamato Ichiro, der in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Japan lebte. Ichiro, der seit seiner Kindheit Yaro genannt wurde, wuchs in dem kleinen Dorf Satama auf. Als Sohn eines Fischers verlebte er dort eine unbeschwerte Kindheit, bis diese durch außergewöhnliche Begegnungen ein jähes Ende fand.

Diese Erlebnisse führten dazu, dass er die Kampftechniken der Samurai erlernte.

Durch besondere Umstände wurde er dann als Samurai an den Hof seines Lehnsherrn, des Daimyo der Präfektur Tagai, gerufen. Dort erlebte er bedrohliche Momente, die er auf bizarre Weise mit seinen geistigen Fähigkeiten und körperlichen Fertigkeiten überstand.

All dies geschah in der Zeit nach der legendären Schlacht von Sekigahara im Jahr 1600, als unter dem Shogunat der Familie Tokugawa eine neue Ära begann.

Die Tokugawa führten fortan ein strenges Regiment über Japan, wiesen die Daimyo in ihre Schranken und beendeten die Zeit der Feudalkriege. Unter ihrer Führung erlebte das Land eine kulturelle Blüte, die als Edo-Zeit bis in die Mitte des 19. Jahrhundert bekannt ist.

Die Tokugawa setzten fort, was der Heerführer Toyotomi Hideyoshi (1536-1598), der noch heute als eine der herausragenden Persönlichkeiten der japanischen Geschichte gilt, in der Azuchi-Momoyama-Zeit begonnen hatte.

Er reformierte das zerrissene Reich.

In diesem Zusammenhang stieg die Bedeutung des Schwertadels und damit der Samurai in der Gesellschaft enorm und hielt über Jahrhunderte an.

Die im Buch vorkommenden Personen und Orte sind frei erfunden.

Bei den Personennamen wurde wie üblich der Familienname dem Vornamen vorangestellt.

Orte der Handlung

Etwa drei Tagesritte von Jatsuma, der Hauptstadt der Präfektur Tagai, entfernt, lag fast an der Südspitze der japanischen Hauptinsel Honshu an einem Binnensee, dem Setonaikai, der kleine Ort Satama. Reisende erreichten den an einer weit auslaufenden Bucht gelegenen Ort, wenn sie die fast parallel zum Seeufer verlaufende Nationalstraße von Tari nach Mataro benutzten und von Tari kommend an der einzigen Abzweigung nach links, also nach Süden, abbogen.

Waren sie nach der Abzweigung noch etwa eine Stunde zu Fuß unterwegs, so konnten sie nach der letzten Anhöhe des Weges den Anblick des Dorfes Satama genießen, das eingebettet zwischen sanften Hügeln und dem See vor ihnen lag. Im Hintergrund war die Insel Shikoku zu sehen, die an dieser Stelle den Binnensee vor den Strömungen des Pazifiks schützte.

Der schöne Anblick weckte den Wunsch, sich an diesem anscheinend ruhigen, von der Welt abgeschiedenen Ort für kurze Zeit niederzulassen und in der zweistöckigen Herberge rechts am Ortseingang einzukehren. Folgte man dem Weg, der nun bergab durch den Ort führte, bis zu seinem Ende, gelangte man direkt an das breite Kiesufer des Binnensees, an dem einige Boote zum Fischen bereit lagen.

Der anfängliche Weg mit seinem fest gestampften Lehmboden verbreiterte sich im Ort zu einer Hauptstraße, die während der Erntezeit und auch in der Regenzeit von den Transportkarren der Bauern befahren werden konnte. Ein Teil der Ernte der Bauern und Fänge der Fischer musste in das Vorratslager des Speicheramtes im Ort transportiert werden, um dort für die Dorfgemeinschaft eingelagert zu werden oder, wie in allen Dörfern und Städten, für den Lehnsherrn, den Daimyo, bereitgehalten zu werden, um im Kriegsfall die Soldaten ernähren zu können.

Beiderseits der Hauptstraße bogen vereinzelt kleine Gassen ab, die zu einfachen Wohnhäusern aus Holz und Stroh führten, meist mit kleinen Gemüsegärten. Ebenso zu vereinzelten Werkstätten, in denen handwerkliche Arbeiten wie Töpfern, Schmieden, Weben und auch das Brennen von Sake im kleinen Rahmen ausgeübt wurden. Das Dorf war von lichten Wäldern umgeben, die die Bauern durchqueren mussten, wenn sie ihre Wiesen und Felder, die unmittelbar hinter dem Wald lagen, mit Reis, Weizen, Hirse oder Gemüse bestellten oder an den Hängen der Hügel kleine Mengen Tee anbauten.

Knapp zweihundert Häuser zählte das Dorf, das durch die zum See führende Hauptstraße geteilt wurde. Obwohl Satama eher klein und strategisch unbedeutend war, kannten viele Reisende den Ort. Die meisten von ihnen waren Händler, die ständig unterwegs waren und sich hier von den Strapazen ihrer Reisen erholten. Denn es hatte sich unter den Händlern herumgesprochen, dass es in Satama eine große Herberge gab, in der sie essen und übernachten konnten.

Diese war nicht nur für ihr gutes Essen bekannt, sondern auch dafür, dass die Reisenden dort die Abende und Nächte in weiblicher Gesellschaft verbringen konnten, um ihre guten Geschäfte mit viel Sake zu feiern. So war es nicht verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit viele auswärtige Händler in der Nähe des Gasthauses niederließen, die den Reisenden Dinge des täglichen Bedarfs anboten, Würfelspiele veranstalteten, Geld zu hohen Zinsen verliehen oder sich für Aufträge aller Art gegen Bezahlung zur Verfügung stellten.

Die meisten der dort geborenen Dorfbewohner, die mühsam von Landwirtschaft und Fischfang lebten, mieden nach Möglichkeit den Kontakt mit diesen Menschen, weil sie eine andere Lebens- und Erwerbsweise hatten. Sie zogen es vor, die umliegenden Hügel für den Reisanbau und die flachen Ebenen für den Ackerbau zu nutzen, denn die Böden waren fruchtbar und bei gutem Wetter auch ertragreich. Auch die Fischer hatten meist einen reichen Fischfang, um ihre Familien zu ernähren oder damit Handel zu treiben.

Sie fischten entweder in der Dunkelheit mit Hilfe von angeleinten Kormoranen, indem sie brennende Fackeln an ihren Booten befestigten, um die Fische anzulocken. Die Kormorane schnappten dann nach den neugierigen Fischen, konnten sie aber nicht schlucken, weil ihre langen Hälse mit Schnüren zusammengebunden waren. So konnte man ihnen die Fische wieder leicht und unbeschadet aus dem Schnäbeln ziehen. Andere Fischer fuhren weiter in den See hinaus, um die Fische mit Netzen zu fangen.

Einer dieser Fischer war Yamato Kenji, dessen Familie vier Generationen zuvor das Dorf Satama mitbegründet hatte und seitdem vom Fischfang lebte. Deshalb lag das Wohnhaus der Familie Yamato am Ende des Dorfes in unmittelbarer Nähe zum Wasser. Das aus Holz, Bambus und Stroh errichtete Haus war traditionell auf Stelzen gebaut, um sich so weit wie möglich vor den Erschütterungen der ständigen Erdbeben zu schützen. Auch weil durch die ständige Luftbewegung zwischen Erde und Hausboden die Raumtemperatur niedrig gehalten werden konnte, was die auf dem Boden schlafenden Menschen in den warmen Sommernächten als angenehm empfanden.

Das Haus hatte Wohnräume mit Kammern, ein Wohnzimmer und ein Empfangszimmer. Alle Räume befanden sich auf einer Ebene. So auch der Küchenraum, dem Daidokoro, der von außen über niedrige Stufen vom ebenerdigen Eingangsraum, dem Doma, zu erreichen war. In dem Doma befand sich die gemauerte Feuerstelle, die Kamado. Schiebetüren trennten die mit Binsenmatten ausgelegten Räume voneinander. Eine kleine Veranda, die das Haus umgab, führte zur Toilette, die am hinteren Teil des Hauses errichtet war.

Für seine Arbeit benutzte Kenji ein eigenes, längliches Holzboot, das er entweder stehend mit dem Ruder vorantrieb oder, wenn der Wind es zuließ, mit einem kleinen Segel steuerte. Im Haus lebte er mit seiner Frau Riko und seinen drei Kindern Mohito, Maiko und Ichiro. Dort wohnte auch Yuki, die seit Jahren im Haushalt arbeitete und manchmal bei der Erziehung der Kinder half. Zu ihren Aufgaben gehörte es auch, dem Nachbarn Okimoto Muso täglich mittags und abends Essen zu bringen.

Muso war seit Jahren Witwer und fast erblindet, so dass er seinen Alltag nur schwer allein bewältigen konnte. Da er schon als junger Mann mit Kenjis Vater zum Fischen auf den See gefahren war, bestand eine so enge Verbindung zur Familie Yamato, dass es für Kenji und Riko ein Bedürfnis war, Muso wo immer möglich zu unterstützen und ihm so sein schweres Leben zu erleichtern. So überließ ihm Kenji das Haus, welches er von seinem Vater geerbt hatte, solange er wollte.

Der älteste Sohn Mohito half seinem Vater bereits mit siebzehn Jahren bei der Arbeit und begleitete ihn zum Fischen auf den See. Die zwei Jahre jüngere Schwester Maiko half mit 18 Jahren der Mutter im Haushalt, während der jüngere Bruder Ichiro mit 17 Jahren kurz davor stand, die Dorfschule zu verlassen. Dort hatte er Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt und war in die Weisheiten des Konfuzius eingeführt worden. Sein schon älterer Lehrer Shioda Morihito gab sich große Mühe, die ihm anvertrauten Schülerinnen und Schüler auf das Leben vorzubereiten, ihnen geduldig die Dinge des Lebens verständlich zu erklären und sie über die Tugenden zu belehren, die einen guten und achtenswerten Menschen auszeichnen. Ausgehend von den Lehren des Konfuzius erläuterte er das anständige Leben in der Gemeinschaft, das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Herrn und Untergebenen, aber auch zwischen Lehrer und Schüler. Um diese Regeln nicht zu vergessen, mussten die Schülerinnen und Schüler die wichtigsten Weisheiten des Konfuzius auswendig lernen und täglich zur Einstimmung auf den Unterricht gemeinsam singen.

Während Mohito mit seinem Vater die gefangenen Fische für den Verkauf vorbereitete oder beschädigte Netze reparierte und Maiko mit ihrer Mutter neben Näharbeiten auch kleine Holzkäfige für Insekten wie Grillen herstellte, traf Ichiro sich mit seinen Freunden Yoshi und Haru, um die Gegend zu erkunden. Ichiros Freunde nannten ihn Yaro.

Sie trugen meist das traditionelle japanische Jimbei, das aus einem Oberteil und einer dazu passenden kurzen Hose aus Hanf oder Baumwolle bestand. An besonders warmen Tagen streiften sie barfuß in ihren blau gefärbten Jimbei durch die lichten Wälder der Hügel. Dort suchten sie nach geeigneten, stabilen Ästen, mit denen sie ihre imaginären Schwertkämpfe gegeneinander austrugen. Dann eiferten sie den Samurai nach, deren Geschichten über ihre angebliche Unbesiegbarkeit auch in ihrem kleinen Dorf erzählt wurden und denen die Kinder voller Ehrfurcht lauschten.

Weniger martialisch ging es zu, wenn sie im Schilf nach Fröschen suchten oder flache Kieselsteine so ins Wasser warfen, dass sie auf der Oberfläche hüpften, bis sie versanken. Yoshi konnte die Kieselsteine am besten werfen. Er freute sich dann riesig und drehte übertriebene Siegerposen. Was die anderen scherzhaft mit abfälligen Handbewegungen als Glück abtaten. Kein Wunder, denn der Name Yoshi bedeutet „Glück”.

Wenn Reisende das kleine Dorf Satama aus der Ferne erblickten, schien es ruhig und weltabgeschieden in der sanften Landschaft zu liegen. An sonnigen, wolkenlosen Tagen verweilte manch ein Betrachter an seinem Aussichtspunkt, um sich am Anblick der hellgelben Felder, der dunkelgrünen Wälder und des dahinter liegenden blauen Sees zu erfreuen.

So eingebettet in eine schöne Natur, die den hier lebenden Menschen ein einträgliches Leben ermöglichte, entstand leicht der Eindruck, sich an einem Ort der Glückseligkeit zu befinden, der von politischen Ereignissen und persönlichen Schwierigkeiten weitgehend verschont blieb. Dieser Eindruck entsprach jedoch nicht dem tatsächlichen, harten Leben der Landbevölkerung.

Denn jahrhundertelang litten die Bauern und ihre Familien unter der Herrschaft ihrer Daimyo. Diese waren lokale Fürsten mit Großgrundbesitz und entstammten meist dem Buke, dem Schwertadel. Sie standen unter der Aufsicht und Macht des Shoguns, der Japan regierte, und hatten sich seinen Anweisungen zu fügen.

Es kam aber auch vor, dass dessen Herrschaft nicht stark genug war, um die Daimyo zu zügeln. Dies führte dazu, dass viele Daimyo ihre Lehen selbstherrlich und unabhängig regierten. Dies war charakteristisch für die Maromachi-Zeit, in der die Daimyo ständig untereinander Kriege führten, um ihre Besitztümer zu vergrößern oder andere persönlichen Streitigkeiten auf dem Schlachtfeld auszutragen. Sie stellten eigene Armeen auf und hielten sich Samurai als Vasallen, die ihren Lehnsherren bedingungslose Gefolgschaft und damit Treue bis in den Tod versprachen.

Die Samurai waren als hervorragende und gnadenlose Krieger nicht nur bei ihren unmittelbaren Gegnern, sondern auch beim einfachen Volk gefürchtet. Denn sie durften mit ihren Waffen Menschen aus niederen Ständen aus nichtigen Gründen töten, ohne dafür je zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Dennoch kam es vor, dass sich Feudalherren trotz der Treueschwüre aus verschiedenen Gründen von ihren Samurai trennen wollten oder mussten. So zum Beispiel, wenn ein Daimyo in einer Schlacht unterlag und der siegreiche Daimyo dessen Samurai nicht in seine Gefolgschaft aufnehmen wollte oder aus finanziellen Gründen nicht konnte. Dann standen die betroffenen Krieger ohne Verdienste und Aufgaben auf der Straße. Sie mussten nun bei Kaufleuten oder Händlern um Arbeit bitten. Bei Gesellschaftsschichten, die sie zuvor als Samurai ihrer Lehnsherren nur verächtlich wahrgenommen hatten.

So kam es nicht selten vor, dass Samurai, die sich aus Stolz nicht zu niederen Arbeiten überwinden konnten, lieber gelegentliche Dienste als Krieger annahmen, bei denen sie private Streitigkeiten ihrer Auftraggeber mit dem Schwert in deren Sinne gewaltsam zu lösen hatten.

Diese nun herrenlosen Samurai nannte man Ronin oder Roshi oder auch ’Wellenmänner’, die ziellos durch das Land getrieben und wie Wellen an unbekannte Ufer gespült wurden. Einzeln oder in Gruppen überfielen sie Dörfer und zwangen die Bewohner unter Androhung von Gewalt, ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Ein solcher Ronin war Kakuro Akito, genannt Kano, der vor einiger Zeit überraschend mit seinen Gefolgsleuten im Dorf Satama auftauchte und es aufgrund der geringen Gegenwehr wie selbstverständlich unter seine Kontrolle brachte. Er tat dies auf subtile Weise, indem er den Bewohnern seinen Schutz anbot und im Gegenzug einen nicht unerheblichen Teil der Einnahmen aus der einträglichen Herberge für sich verlangte. Sein Angebot war so eindringlich und drohend vorgetragen, dass dem bisherigen Wirt Sukana Aoi nichts anderes übrig blieb, als auf die Forderungen des Ronin einzugehen.

Tatsächlich verhinderten Kano und seine Gefolgsleute wenige Wochen später einen Überfall auf das Dorf durch eine Horde von Banditen, die seit Jahren in fast regelmäßigen Abständen das Dorf überfielen, um die Dorfbewohner auszurauben und zu tyrannisieren. Kano vertrieb mit seinen Männern die Räuber, nahm ihren Anführer gefangen und ließ ihn mit seinem Schwert qualvoll sterben. Offenbar sprach sich Kanos martialisches Auftreten in den umliegenden Dörfern herum, so dass ähnliche Überfälle auf das Dorf Satama seitdem ausblieben.

Kano zeigte in den Zweikämpfen große Geschicklichkeit im Umgang mit seinem Katana, dem japanischen Langschwert, so dass die Dorfbewohner durch seine technischen Fähigkeiten und seiner körperlichen Überlegenheit immer mehr eingeschüchtert wurden und in einen Zwiespalt gerieten.

Einerseits waren sie froh, vor äußerer Gewalt geschützt zu sein, andererseits fürchteten sie sich vor den unberechenbaren Gewaltausbrüchen Kanos und seiner Kumpanen, die gelegentlich die jungen Frauen des Dorfes belästigten und manchmal auch überfielen.

Auch den langjährigen Ortsvorsteher Yamaguti Ren bedrohten sie immer wieder, wenn er im Auftrag der Dorfbewohner Kano furchtlos gegenübertreten musste, um ihn wegen seines ungezügelten Verhaltens zur Rede zu stellen. Unter diesen Umständen herrschte im Dorf eine ständige Angst vor der latenten Gewalt, die das tägliche Leben beeinflusste und die Lebensfreude der Bewohner lähmte. Zumal die Hoffnung auf eine Befreiung aus dieser Knechtschaft sehr gering erschien.

Wie so oft waren Yaro und seine Freunde Yoshi und Haru an einem warmen Sommertag im Wald unterwegs und verbrachten anschließend ihre Zeit mit Schwimmen am See. Sie liebten den harzigen, leicht modrigen Geruch des Waldbodens und die frische Brise, die vom Meer über den See wehte und sie wie ein sanfter Lufthauch berührte. Die Freunde, die sich seit ihrer Kindheit kannten und mochten, genossen die Sonnenstrahlen und die Wärme, die vom Boden in ihre Körper strömte und sie träge und müde machte.

So lagen sie scheinbar reglos da, bis Haru überraschend fragte: „Könnt ihr euch vorstellen, wie das Leben jenseits des Meeres aussieht? Denn so wie das Wasser unseres Sees von Land umgeben ist, so könnte es auch mit dem Meer sein und dass dort am Ufer Menschen leben wie wir.”

Yoshi blinzelt mit einem Auge in die Sonne und antwortet: „Könnte sein. Aber werden wir es je erfahren?”

„Und wenn wir es wissen, was haben wir davon?”, fragt Yaro in die müde Runde.

Haru richtete sich auf und antwortete: „Unser Lehrer, Herr Shioda, hat immer erwähnt, dass es nie falsch ist, viel zu wissen. Es ist die Kunst, sagte er, sich das Leben mit seinem Wissen zu erleichtern. Denn wenn man etwas gelernt hat und mehr weiß als andere, bekommt man vielleicht schneller eine bessere Anstellung.”

„Gerade für dich, Yaro”, sagte Yoshi mitfühlend zu ihm, „ist das wichtig. Denn Haru wird später einmal die Fischerei seines Vaters übernehmen und ich werde wahrscheinlich die Felder meines Vaters bestellen. Aber bei dir ist das anders, Yaro, denn dein großer Bruder fährt schon mit deinem Vater zum Fischen auf den See. Da bleibt für dich nicht viel übrig und wir werden wohl nie in andere Gegenden des Landes kommen.”

„Ja, was wird mir dann in unserem Dorf an Arbeit übrig bleiben?”, seufzte Yaro.

„Frag doch mal Herrn Sano in der Lagerverwaltung, ob er dich nach der Schule einstellen kann. Denn du hast eine schöne Handschrift und kannst am besten von uns rechnen”, antwortete Yoshi.

„Ich weiß nicht”, zögerte Yaro.

„Aber mach es. Das ist eine gute Idee und vielleicht kann unser Lehrer bei Herrn Sano ein gutes Wort für dich einlegen”, stimmte Haru begeistert zu.

„Wenn ihr meint”, entgegnete Yaro wenig überzeugend und streckte sich wie die anderen wieder auf dem warmen Boden aus.

Doch plötzlich richtete sich Haru mit einem Ruck auf und lächelte.

„Ich habe einen Vorschlag. Yaro wird Seemann und schaut, was am Horizont mit dem Meer passiert. Und wenn er Land gefunden hat, treffen wir uns wieder hier an diesem Ort und er erzählt von der fernen Welt.”

„Das geht nicht” fügte Yoshi schelmisch hinzu, „dann sieht er seine Shizuko nicht mehr, die ihm in der Schule immer schöne Augen macht.”

„Ach ja, das geht gar nicht” legte Haru nach, „aber zur Not kann ich mich ja um sie kümmern.”

„Pah” war das einzige, was Yaro noch herausbrachte, bevor er die Augen schloss.

Kurze Zeit später mahnte Yoshi zum Aufbruch, so dass er und Haru sich kurz von Yaro verabschiedeten und sie sich auf den Heimweg machten. Yaro blieb noch eine Weile, bis auch er sich über einen Umweg durch den Wald auf den Heimweg machte. Nachdenklich ging er seinen Weg und dachte noch einmal über Yoshis Vorschlag nach, sich bei Herrn Sano nach einer Tätigkeit zu erkundigen. Vielleicht mache ich das tatsächlich, dachte er bei sich.

Auch Shizuko ging ihm nicht aus dem Kopf, in die er sich verliebt hatte, ohne es ihr zeigen zu können. Er mochte ihr natürliches Lachen, das aus ihrem Herzen kam. Aber wenn sie ihn ansah, wurde er verlegen und senkte den Blick zu Boden.

Tief in seinem Innern verspürte er manchmal den Wunsch, seinen Geburtsort zu verlassen, um zu sehen, was draußen in der weiten Welt vor sich ging, wie in der großen Stadt Kyoto, von der die Reisenden manchmal erzählten.

Auch den scheinbar ruhenden Vulkan Fujiyama, der, wie erzählt wird, durch seine gleichmäßige Form majestätisch wirkt und mit seiner Schönheit jeden Betrachter zunächst sprachlos macht, würde er gerne sehen.

Tief in Gedanken versunken ging Yaro seinen Weg durch den Wald, bis er plötzlich spürte, dass etwas nicht stimmte. Er hörte Geräusche, die nicht zum Leben des Waldes gehörten und nichts Gutes ahnen ließen. Zuerst sah er sich erschrocken um, dann verließ er zögernd seinen Weg und ging den Geräuschen nach. Dabei musste sich Yaro durch die tief hängenden Äste der Bäume kämpfen, bis in kurzer Entfernung eine kleine Lichtung auftauchte, die von der noch kräftig scheinenden Sonne hell erleuchtet wurde und das Grün der Wiese noch kräftiger erscheinen ließ.

Ein scheinbar idyllischer Ort zum Verweilen. Mit dem satten Grün des Grases, den dunkelbraunen Stämmen der Bäume, die ihre Blätter in verschiedenen Grüntönen trugen, und darüber der hellblaue, wolkenlose Himmel, hätte es ein friedlicher Ort sein können. Doch dem war nicht so, wie Yaro bald feststellen musste.

Wie auf einer Bühne konnte Yaro aus dem Wald heraus vier Gestalten erkennen, die jedoch wegen des gleißenden, grellen Sonnenlichts nicht sofort zu erkennen waren. Doch der Atem stockte ihm, als sich beim Näherkommen deutlich drei Männer abzeichneten, die ihm den Rücken zuwandten und sich vor einer knienden Person aufbauten und diese beschimpften. Die kniende Person konnte Yaro bald als Mann erkennen.

Von der ungewöhnlichen Szene willenlos angezogen, trat Yaro aus dem Wald und blieb wie versteinert und ungeschützt am Rand der Lichtung stehen, um das Geschehen zu beobachten. Mit zitternden Beinen erkannte er den Mann, der auf dem Boden kniete. Es war ihr Ortsvorsteher Yamaguti, der auf dem Rücken gefesselt regungslos vor sich auf den Boden starrte. Nun erkannte Yaro auch seine Peiniger, die wütend und gestikulierend auf Yamaguti einredeten. Es waren der Ronin Kano und seine engen Gefolgsleute Rondo und Kamara.

„Für wen hältst du dich” schrie Kano ihn an und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, „dass du glaubst, mir sagen zu können, wie ich mich zu verhalten habe? Ich bin ein Samurai und du bist nur ein armseliger Bauer, der von seinem Gesindel als Anführer vorgeschoben wird. Ich kann dich zerquetschen wie eine stinkende Made.”

Während er so immer wütender wurde, lief er vor ihm auf und ab.

„Ich gebe nur wieder, was mir die Dorfbewohner aufgetragen haben. Das ist meine Pflicht und meine Aufgabe” sagte Yamaguti tapfer, der von den Schlägen im Gesicht blutete.

„Du hetzt den Pöbel gegen mich auf und das ist undankbar.

Habt ihr vergessen, dass ich es war, der euch von den Banditen befreit hat, die euch jahrelang tyrannisiert haben?

Ihr alle seid ein undankbarer Pöbel, der mich, Kano, nicht ungestraft beleidigen darf.” So redete Kano hitzig, während sein Blick immer eisiger wurde. Selbst seine Kumpanen mieden aus Angst den Blickkontakt mit ihm und hielten sich zurück. Denn sie hatten schon erlebt, wie unbarmherzig und impulsiv Kano bei solchen Auseinandersetzungen reagieren konnte.

Doch mutig und offenbar mit neuer Kraft erfüllt, hob Yamaguti plötzlich den Kopf und blickte dem Ronin Kano direkt in die Augen. Dann sprach er zornig und mit kräftiger Stimme: „Nur weil du ein Katana als Waffe tragen darfst und vielleicht dem Schwertadel angehörst, ist es noch lange nicht richtig, wie du und deine Kumpanen euch im Dorf benehmen. Anstatt stolz auf euer schlechtes Benehmen zu sein, solltet ihr euch schämen und das Dorf für immer verlassen. Ihr wollt Samurai sein, aber ihr seid keine. Denn Samurai sind tugendhaft, weil sie .....”

Weiter kam er nicht, denn Kano zischte ihn an: „Halte dein Schandmaul, du maßt dir an, über die Tugenden der Samurai zu urteilen, du Fliegendreck. Bist du vom Teufel besessen?”

Jetzt konnte Kano nicht mehr an sich halten. Er schlug Yamaguti mit der Faust hart ins Gesicht, woraufhin dessen indigoblaue Yukata, ein leichtes Baumwollgewand, noch mehr mit seinem Blut verschmutzt wurde.

Als wäre das nicht genug, trat er auf Yamagutis Oberkörper ein, der sich aber nicht rührte und wie mit dem Boden verwachsen schien.

Eiskalt nahm Kano nun mit einem Schritt zurück die Fußstellung Hidari-kamae ein und zog mit der rechten Hand das Katana aus der an der linken Körperseite getragenen Scheide. Mit beiden Händen am Griff des Schwertes stellte er sich in der Schwerthaltung Hasso no Kamae so auf, dass das Schwert senkrecht stand und die Klinge nach oben ragte. Seine Hände befanden sich auf der Höhe seiner rechten Schulter. Kanos Bewegungen waren nun ruhig und klar, frei von Emotionen, als ginge es ihm nur darum, den Umgang mit dem Langschwert fehlerfrei auszuführen. So wie er es einst als Samurai gelernt und als Sekundant bei rituellen Selbstmord-Zeremonien, dem Seppuku, immer wieder auftragsgemäß ausgeführt hatte.

Dabei verschwendete er keinen Gedanken mehr an den hilflos vor ihm knienden Menschen. Indem er seinen hinteren Fuß in die Migi-kamae-Stellung brachte, ließ er das bis dahin aufgestellte Katana mit einem seitlichen Schnitt fallen und trennte so den Kopf vom restlichen Körper des knienden Ortsvorstehers Yamaguti Ren.

Sofort schoss das Blut in einer Fontäne aus dem Hals und besudelte den nun enthaupteten Körper vollständig. Der Ortsvorsteher war anscheinend so fest gefesselt, dass der immer noch kniende Torso nicht umfiel, als wolle Yamaguti auch nach seinem Tode seinen Widerstand zeigen und Kanos unrechtes Handeln anklagen. So trat Kano voller Wut auf den Torso ein, bis dieser zusammenbrach.

Dann trat Kano von dem gepeinigten Körper zurück und führte mit seinem Katana eine schnelle, halbkreisförmige Bewegung aus, die mit einem Ruck endete. Mit dieser Bewegung, dem Chiburi, schlug er anhaftendes Blut von der immer leicht geölten Klinge, bevor er das Katana wieder in die Scheide steckte. Während dieser geübten Bewegung entdeckte Kano den erstarrten Yaro, der noch immer vor Entsetzen am Waldrand stand.

Nach dem, was er gesehen hatte, blieb Yaro wie angewurzelt stehen. Er starrte nur fassungslos in Kanos Gesicht. Aber Kano starrte ihn emotionslos an, ohne die geringste Bewegung. Seine Kameraden wollten sich sofort auf Yaro stürzen. Doch mit einem kurzen Zuruf, „Lasst ihn gehen!”, wies Kano beide zurecht, die sich verwundert anschauend, sofort in ihren Bewegungen verharrten und auf ihren Plätzen stehen blieben.

Dann holte Yaros rasender Puls ihn aus seiner körperlichen Starre zurück ins Leben. Ohne den Blick von der Menschengruppe zu wenden, stolperte er rückwärts in den Wald, um dann im Schutz der Bäume nach Hause zu rennen. Denn Kano war unberechenbar.

Yaro spürte, dass sich sein Leben von nun an verändern würde und seine Kindheit zu Ende ging.

„Was ist denn mit dir passiert?” rief Yaros Mutter Riko aufgeregt, als er vom Laufen erhitzt und schwankend den kleinen Hof betrat, der ihr Haus umgab und das Grundstück mit einem geschlossenen Zaun aus Holzlatten von der Außenwelt abgrenzte. Als sie ihn erblickte, sprang sie sofort von ihrer Näharbeit auf und lief ihm entgegen.

„Yaro, sag mir, was ist passiert? Bist du verletzt? Oh Gott, du siehst so elend und blass aus.” Doch Yaro lehnte nur mit zitternden Knien an der Eingangstür und versuchte seinen rasenden Atem unter Kontrolle zu bringen.

„Mir ist so schlecht” brachte er nur stockend heraus.

„Hast du etwas Falsches gegessen oder heimlich mit deinen Freunden Sake getrunken oder geraucht?” fragte Riko besorgt. Yaro schüttelte nur den Kopf und rutschte gegen die Wand. Wenig später lag er zugedeckt auf seiner Matratze im Schlafraum, den er mit seinem Bruder Mohito teilte.

Obwohl es ein heißer Sommertag war, fror er.

Nach kurzer Zeit saß Dr. Ichihara an seiner Seite, den seine Schwester Maiko im Auftrag der Mutter sofort benachrichtigt hatte und der sofort kam, da er die Familie schon seit Jahrzehnten betreute. Wenig später kamen auch Vater Kenji und Mohito von der Arbeit nach Hause. Auch sie waren sehr besorgt und beobachteten den Arzt aufmerksam bei seiner Untersuchung, bis er Yaro sanft über den Kopf strich, mühsam aufstand und das Zimmer verließ.

„Und was hat ihre Untersuchung ergeben, Doktor Ichiharasan?” fragte Kenji den Arzt besorgt. Dieser ließ sich Zeit und nahm den angebotenen Platz am Herd sowie die gereichte Tasse Tee an. „Nun” begann er, „es scheint nichts Ernstes zu sein. Vielleicht hat er zu viel Sonne abbekommen, als er mit seinen Freunden zusammen war, oder er hat ein paar ungenießbare Beeren gegessen, die er im Wald gepflückt hat, oder er ist zu schnell gerannt, oder er hat sich erschreckt, oder, oder... Die Ursachen können unterschiedlich sein, aber morgen wird es ihm schon besser gehen.

Wenn er morgen noch zu schwach ist, soll er zu Hause bleiben und sich ausruhen.” Kenji bedankte sich aufrichtig für das schnelle Kommen des Arztes und schenkte ihm voller Dankbarkeit noch eine prächtige Goldbrasse, die ihm erst vor wenigen Stunden ins Netz gegangen war. Mohito begleitete dann den schon betagten Doktor auf seinem Heimweg und trug ihm den Fisch nach Hause. Währenddessen saß Kenji an Yaros Schlafplatz und versuchte herauszufinden, was passiert war. Aber Yaro blieb stumm.

In der Nacht lag Yaro noch lange wach. Er konnte nicht einschlafen, denn der Moment, in dem der Ortsvorsteher Yamaguti getötet wurde, ging ihm nicht aus dem Kopf. Genauso wenig wie der seltsame Blick, den Kano ihm zuwarf, als er sein Katana wieder in die Scheide steckte. Bis zu seinem eigenen Tod wären es nur wenige Schritte und Sekunden gewesen, wenn Kano es gewollt hätte. Außerdem machte es ihm Angst, dass nicht nur er in Gefahr war, sondern auch seine Familie. Kano konnte sie alle jederzeit und auf verschiedene Weise töten, ohne Spuren zu hinterlassen.

Doch irgendwann in der Nacht schlief Yaro erschöpft ein. Er schlief unruhig und in seinen Träumen erschien ihm Kanos Gesicht ganz nah, so dass er schreiend und schweißgebadet aufwachte. Dann setzte sich sein Bruder Mohito an sein Bett und beruhigte ihn, bis er wieder einschlief. Erschöpft von den quälenden Träumen schlief er bis zur Mittagszeit, weil ihn niemand wecken wollte.

Als er erwachte, fühlte er sich etwas besser und hatte wieder Appetit. Er stand auf und ging in das Wohnzimmer, wo alle Familienmitglieder schweigend beisammen saßen.

Das war ungewöhnlich, denn normalerweise waren um diese Zeit alle mit ihrer täglichen Arbeit außerhalb des Hauses beschäftigt.

„Was ist passiert?” fragte Yaro erwartungsvoll.

Kenji sah auf und sagte leise: „Der Ortsvorsteher Yamaguti wurde ermordet. Wir müssen abwarten, wie unser Daimyo Iroda Katsumura auf diese Untat reagiert und unser Dorf das spüren lässt. Denn die Ermordung eines von ihm ernannten Ortsvorstehers könnte er auch als Missachtung seiner Person auffassen.”

In den folgenden Tagen war die Beklemmung und Angst der Dorfbewohner in ihren Handlungen und Gesprächen deutlich zu spüren. Denn bald vermutete jeder, dass sich der Mörder noch unter ihnen befand. Auch die Möglichkeit, dass auswärtige Gäste, die in der Herberge übernachteten, als Täter in Frage kämen, wurde in Betracht gezogen, aber letztlich für eher unwahrscheinlich gehalten. Alle warteten gespannt auf die weitere Entwicklung.

Drei Tage später, in der Stunde des Drachens, kurz bevor die Sonne ihren Zenit erreichte, ritt ein Trupp von zehn Samurai in das Dorf ein und brachte seine Pferde in einer aufgewirbelten Staubwolke vor dem Haus des Ortsvorstehers zum Stehen. Auf den Fahnen der Soldaten, die sich leicht im Wind bewegten, war das Wappen des Fürsten und Daimyos Iroda zu sehen, ein auf die Spitze gestelltes weißes Quadrat, das durch zwei waagerechte Linien halbiert wurde.

Aus allen Ecken des Dorfes eilten die Bewohner herbei, um das Erscheinen der Soldaten nicht zu verpassen. Während die Pferde noch leicht scheuend auf der Stelle tanzten, weil sie plötzlich angehalten hatten, stieg der mit Helm und Brustpanzer bekleidete Anführer der Truppe vom Pferd, um seinen Körper nach dem langen, schnellen Ritt durch Dehnübungen zu lockern.

Schon kam der stellvertretende Ortsvorsteher Tora aus seinem Haus geeilt, um sofort vor dem Anführer auf die Knie zu fallen. Dabei senkte er devot seine Stirn bis auf seine Handrücken. Der Anführer beendete die Zeremonie schnell mit den Worten: „Steht auf und lass uns aus der Sonne ins Haus gehen. Sorge dafür, dass die Pferde und meine Männer versorgt werden. Ich will auch, dass sich alle männlichen, erwachsenen Bewohner, zur Stunde des Affen an diesem Ort versammeln. Wer nicht kommt, wird es mit mir zu tun bekommen.”

Kurz vor Ende der Stunde des Affens, als alle männlichen Bewohner anwesend waren, trat der Anführer aus dem Haus des Ortsvorstehers und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Bei einigen blieb sein Blick kurz hängen, wie bei Kano und seinen Freunden, bei anderen machte er sich nicht die Mühe, auch nur einen Augenblick zu verweilen.

Neben den Erwachsenen waren aus Neugier auch Jugendliche dabei, die sich nichts entgehen lassen wollten, wie Yaro und seine Freunde. Während Yoshi und Haru das Geschehen neugierig beobachteten, war Yaro extrem angespannt.

Denn er spürte Kanos Blick körperlich und die Gefahr, die sein ausdrucksloser Gesichtsausdruck vermittelte, ängstigte ihn.

„Ich bin Hauptmann Sugita Masahiro aus Jatsuma. Unser Fürst Iroda Katsumura hat mich beauftragt, den Tod des Ortsvorstehers Yamaguti Ren aufzuklären. Da der Tote von unserem Lehnsherrn als Ortsvorsteher eingesetzt wurde, betrachtet er den Mord als persönliche Beleidigung und Angriff auf seine Person. Der Mörder wird deshalb seine Tat mit dem Leben bezahlen.”

Nach kurzem Schweigen, um seine Worte wirken zu lassen, fuhr er fort: „Der stellvertretende Ortsvorsteher hat mir berichtet, dass in den letzten Tagen viele Durchreisende euren Ort besucht und einige sogar in der Herberge übernachtet haben. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich der Mörder unter ihnen befindet, was die Suche erschwert. Denn wie mir berichtet wurde, haben nicht nur Kaufleute, sondern auch Samurai dort übernachtet. So liegt der Verdacht nahe, dass der Mord, der in seiner Ausführung einem Ritualmord ähnelt, von einem erfahrenen Schwertkämpfer begangen wurde.

Meine kurze Untersuchung der Leiche zeigte mir einen durchgehend geraden Schnitt, ohne Risse oder Hautfetzen an der Schnittstelle. Solch einen präzisen Schnitt kann nur von einer hierin geübten Person ausgeführt werden. Ich gehe daher davon aus, dass die Dorfbewohner, die ihren Lebensunterhalt fast ausschließlich mit handwerklichen Arbeiten verdienen, diese Tat nicht in dieser Form und Präzision ausgeführt haben können.”

Nach dieser Ansprache war die Erleichterung unter den Anwesenden groß, da sie nun keine Strafmaßnahmen ihres Lehnsherrn zu befürchten hatten. Das erleichterte Gemurmel verstummte jedoch nach einer kurzen Handbewegung von Hauptmann Sugita. In Erwartung dessen, was nun kommen würde, richteten sich wieder alle Blicke auf ihn.

Hauptmann Sugita nahm wieder eine straffe Haltung ein und fragte die Menge: „Wer von euch ist Yamato Ichiro?”

Diejenigen, die ihn kannten, drehten sich zu Yaro um, der wie versteinert neben seinem Vater stand. Sugita folgte den Blicken der Menschen und erblickte den nun schon älteren Jugendlichen.

„Komm zu mir”, sagte er freundlich und winkte ihn zu sich.

Sein Vater Kenji folgte ihm.

„Wer bist du, ich habe dich nicht gerufen?”, fragte er Kenji in einem nicht mehr ganz so verbindlichen Ton.

„Ich bin sein Vater und möchte wissen, was ihr von meinem Sohn wollt”, antwortete Kenji aufgerichtet.

„Nun gut“, stimmte er beeindruckt von Kenjis Auftreten zu, „aber haltet euch zurück.” Sugita wandte sich wieder Yaro zu und sagte: „Der Ortsvorsteher Tora hat gehört, dass du am Tag des Mordes zur Stunde des Hahns aus dem Wald gekommen bist. Ist das wahr?”

Yaru konnte vor Aufregung nicht sprechen, sondern nur mit dem Kopf nicken. „Komm, sag es laut, damit es jeder versteht.” Mit großer Mühe brachte Yaro ein „Ja” heraus.

„Was hast du um diese Zeit im Wald gemacht?”

„Nach dem Baden mit meinen Freunden bin ich wie immer durch den Wald nach Hause gegangen.”

„Warst du alleine im Wald?”

„Ja”, antwortete Yaro.

„Was hast du im Wald gemacht?”

„Ich habe Beeren gesammelt und diese im Wald gegessen, bis mir plötzlich übel wurde und ich mich übergeben musste. Als es mir nicht besser ging, bin ich nach Hause gegangen”, sagte Yaro.

„Und du hast nichts gesehen oder gehört, obwohl der Waldweg ganz in der Nähe der Lichtung vorbeiführt, auf der ein Mord geschah?“, fragte Sugita jetzt schon drängender.

„Nein”, antwortete Yaro.

Sugita, der schon viele Verhöre durchgeführt hatte, erkannte schnell, dass Yaro, der bereits Tränen in den Augen hatte, nicht die Wahrheit sagte. Er erkannte auch, dass er dies nicht aus Hinterlist tat, sondern aus der Not heraus, weil er in großer Bedrängnis war oder jemanden vor großem Unheil bewahren wollte.

Behutsam legte er seine Hand auf Yaros Schulter und fragte noch einmal: „Bist du sicher, dass es so war, wie du es mir erzählt hast?” Yaru konnte nur noch den Kopf nach vorne neigen, denn zum Nicken war er schon zu schwach.

„Gut, komm mit mir ins Haus, vielleicht fällt es dir dort leichter zu reden als hier draußen vor all den Leuten.“ Dabei ließ Sugita seine Hand auf Yaros Schulter und sie gingen nebeneinander auf das Haus zu. Bevor sie eintraten, drehte sich Sugita noch einmal zu den Dorfbewohnern um und sagte: „Ihr bleibt hier, bis ich euch die Erlaubnis gebe, zu gehen. Sollte jemand ohne Erlaubnis gehen wollen, wird er die Klingen meiner Männer zu spüren bekommen.”

Während Sugita mit Yaro das Haus betrat, umkreisten die Samurai des Hauptmanns die Menge, um im Bruchteil einer Sekunde ihre Katanas ziehen zu können. Kano und seine Männer wirkten gelassen. In Wirklichkeit waren sie jedoch äußerst angespannt und bereit, sich zu verteidigen, falls sie für den Mord belangt werden sollten.

Nach einiger Zeit erschienen Sugita und Yaro wieder im Hauseingang. Er rief Kenji zu sich und sagte: „Bringe deinen Sohn nach Hause, er hat heute viel durchgemacht.” Kenji und Yaro verbeugten sich mit „Arigato gozaimasu, Sugitasan” und gingen zu den Leuten zurück.

„Gut”, sagte Sugita dann zu den Bewohnern, „ihr könnt jetzt nach Hause gehen. Der Fall ist für uns abgeschlossen. Denn der Verdacht erhärtet sich, dass Durchreisende, die Yamaguti kannten, ihn ermordet haben. Aus welchen Gründen auch immer.”

Dann drehte er sich um und betrat wieder das Haus des Ortsvorstehers.

Langsam löste sich die Versammlung auf, und Yaro ging mit seinem Vater und seinem Bruder nach Hause, erschöpft und mit gesenktem Kopf. Als er aufblickte, sah er aus kurzer Entfernung Kano stehen, der sich kurz zu ihm umdrehte und, nur für ihn sichtbar, beide Augen kurz schloss. Yaro empfand diesen Wimpernschlag als wohlwollende Geste des Verständnisses und der Dankbarkeit. Nun wusste er sich und seine Familie in Sicherheit.

Am nächsten Tag verließ Hauptmann Sugita mit seiner Eskorte das Dorf Satama, nachdem er Tora zum neuen Ortsvorsteher ernannt und ihm einen neuen Stellvertreter zugeteilt hatte. Der Mord an Yamaguti und seine Nachwirkungen traten bei den Dorfbewohnern angesichts der täglichen Arbeit und der alltäglichen Sorgen immer mehr in den Hintergrund.

Allerdings fragten sich einige von ihnen, warum Tora gegenüber Hauptmann Sugita nicht erwähnt hatte, dass sich mit Kano und seinen Leuten Ronin im Dorf befanden, die durchaus mit dem Schwert umgehen konnten und zu einem solchen Ritualmord fähig waren.

So änderte sich an den Machtverhältnissen und am Leben der Dorfbewohner in Satama nichts. Die Angst und die Ohnmacht gegenüber den bewaffneten Ronin blieben.

Wochen nach dem Vorfall schlenderte Yaro die Hauptstraße entlang, um in einem der zahlreichen Geschäfte ein Geschenk für seine Schwester Maiko zu ihrem neunzehnten Geburtstag zu kaufen. Er beschloss, ihr einen Kamm zu kaufen, wenn seine wenigen gesparten Münzen dafür ausreichten. Aus Schüchternheit traute er sich nicht, allein ein Geschäft zu betreten und die Waren an den Tischen auszusuchen. So blieb er vor den Eingangstüren stehen und versuchte von dort aus ein passendes Geschenk zu erspähen.

So stand er nun vor einem Geschäft, in dem auch Kämme angeboten wurden.

Als er in der Tür stand und sich suchend umsah, bemerkte er den großen Schatten einer hinter ihm stehenden Person, so dass er zusammenzuckte und zur Seite sprang, um den Eingang nicht zu versperren. Entschuldigend verbeugte er sich und hielt den Blick gesenkt.