Zehntes Wort - Said Nursi - E-Book

Zehntes Wort E-Book

Said Nursi

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Beschreibung

Gibt es einen Schöpfergott? Werden wir nach dem Tod zu nichts? Oder werden wir als geistige Wesen weiterleben? Wird vielleicht sogar unser Körper neu „zusammengebaut“ und wiederauferstehen? Auf diese drei existenziellen Fragen gibt der Lehrmeister Bediuzzaman Said Nursi (gest. 1960) mithilfe von Gleichnissen vernunftbasierte Antworten. Ihm zufolge können nicht nur den heiligen Schriften, sondern auch den Phänomenen der Natur deutliche Hinweise auf die Existenz Gottes und ein Leben nach dem Tod entnommen werden. Mit einer lebendigen Sprache und plausibler Gedankenführung legt Bediuzzaman seine Argumente für die Existenz Gottes und die Auferstehung nach dem Tod dar. So ebnet er einen erhabenen Weg des Verstandes zum abrahamitischen Glauben. Das Zehnte Wort lädt seine Leserschaft zum Nachdenken über diese Grundwahrheiten ein.

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Copyright © Define Verlag, Berlin, 2022

Es ist nicht gestattet, Teile dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Vorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Übersetzung: Islamische Akademie f. Bildung und Gesellschaft e.V.

Vorwort & Kommentar: Maximilan Friedler

Herausgeber: Dr. Arhan Kardaş

Redaktion: Rümeysa Bağ, Kübra Dalkılıç

Lektorat: Lenius Hirschberger

Satz & Cover: Onur Alka (M.A.)

Linemarketing GmbH

Wilhelmstr. 29 A/2 – 13 593 Berlin

www.deinbuchshop.de

Druck: Deutschland

Anmerkungen zum zehnten Wort

Das Zehnte Wort ist sowohl rhetorisch als auch inhaltlich eine der anspruchsvollsten Abhandlungen des Lehrmeisters. Er bringt in ihr Argumente für die Wiederauferstehung und für das Leben nach dem Tode ebenso vor wie Argumente für die Existenz des Schöpfers und für die Notwendigkeit der Prophetie. Hinzu kommen Reflexionen über den Sinn des Lebens und des Todes, die Vergänglichkeit und Ewigkeit, kosmologische Prozesse und deren Deutungen hinsichtlich des Lebens nach dem Tod. Da diese Abhandlung äußerst tiefgründig, aber auch schwer zu verstehen sind, haben wir die Schachtelsätze wo möglich in kleinere Abschnitte geteilt. Die Erklärungen im Fußnotenapparat, die inhaltlich so wertvoll sind, dass sie zumeist selbstständige Abhandlungen ausmachen, haben wir in den Haupttext eingegliedert. Mithilfe von Zwischenüberschriften kennzeichnen wir sie entweder als ergänzende, erklärende Lektüre oder als Exkurse, die vom Hauptthema abweichen.

Das Zehnte Wort besteht hauptsächlich aus drei Teilen; Geschichten, Zeichen für die Deutung dieser Geschichten und die übertragenen Sinngehalte der Geschichten, die Wahrheiten. Dazu kommen ergänzende Anhänge. Wir haben lediglich den Hauptteil übertragen. Der Lehrmeister zeigt darin zwölf verschiedene Bildszenen einer einzigen Allegorie. Anschließend deutet er diese Bildszenen in zwölf Wahrheiten aus. Bevor er die Geschichten deutet, erklärt er in einem langen Überleitungskapitel, das aus vier Zeichen besteht, seinen Schlüssel für die Deutungen. Da aber zwischen der ersten Bildszene bis zur ersten Deutung der Bildszene mindestens 30 Seiten liegen, haben wir die Wahrheiten unmittelbar an die jeweiligen Bildszenen angeschlossen (Erste Bildszene, erste Wahrheit), sodass unsere jungen Leser leichter Zugang zum Text finden.1 Der Text des Zehnten Wortes wurde vollständig übersetzt, allerdings wurden die Paragrafen thematisch neu geordnet, um einen einheitlichen und lesertauglichen sowie sprachlich weniger anspruchsvollen Gesamttext herzustellen. Dies ist ganz im Sinne des Lehrmeisters, der am Anfang der Abhandlung sagt: „Wenn ihr in einfacher und allgemein verständlicher Sprache und auf deutliche Art die Klärung der Frage nach der Auferstehung und der Versammlung nach dem Tod und dem Leben im Jenseits verstehen möchtet […]“.

Die Hauptallegorie des Zehnten Wortes speist sich von der Allegorie der Sure el-Kehf

Der Lehrmeister bedient sich einiger Parabeln des Korans, u. a. der aus El-Kahf 18:32 – 42. Die Hauptallegorie des Zehnten Wortes soll im Zusammenhang der folgenden Verse studiert werden:

„Trage ihnen das Gleichnis von zwei Männern vor: Dem einen von ihnen gestalteten Wir zwei Rebgärten und umgaben sie beide mit Dattelpalmen, und zwischen beide legten Wir ein Getreidefeld. Jeder der beiden Rebgärten brachte seinen Ertrag hervor, ohne dass es an etwas gemangelt hätte. Und wir ließen inmitten von beiden auch einen Fluss hervorsprudeln. So hatte dieser Mann also Früchte (im Überfluss), und eines Tages sagte er zu seinem Gefährten, während er sich mit ihm unterhielt: ‚Ich besitze mehr an Reichtum als du und bin mächtiger an Gefolgschaft (Kindern und jenen, die für mich arbeiten). Er ging in seinen Rebgarten, während er sich selbst Unrecht tat (in seiner törichten Selbstüberschätzung).

Er sagte: „Ich glaube nicht, dass dies jemals zugrunde gehen wird. Und ich glaube auch nicht, dass der Jüngste Tag je kommen wird. Doch selbst wenn (er kommen sollte, und) ich zurückgebracht werde zu ‚meinem Herrn‘, dann werde ich bestimmt etwas Besseres als dies als Ersatz vorfinden. Sein Gefährte sagte zu ihm, während sie miteinander redeten: „Glaubst du etwa (indem du eine solche Undankbarkeit zum Ausdruck bringst) nicht an Ihn, der dich aus Erde erschaffen hat, dann aus einem einfachen Tropfen Samenflüssigkeit und dich dann zu einem vollkommen Menschen geformt hat?“

So behandelt der Lehrmeister in dieser Abhandlung vor allem die Existenz des Schöpfers und damit verbunden die Argumente für die Wiederauferstehung und das Jüngste Gericht.

Basiswissen über teschbīh (Vergleich), temṯīl (Gleichnis), kināʾiyyāt (Metonymie):

Der Lehrmeister hat bereits vor 1926 Kernaussagen dieser Abhandlung auf ungefähr zwanzig Seiten in einem arabischsprachigen Aufsatz mit dem Titel Lāsiyyemāt („Die Insbesonderen“) publiziert, ohne sich dabei Vergleiche, Angleichungen, Gleichnissen oder Allegorien zu bedienen. Da er aber im Zehnten Wort vor allem diese rhetorischen Mittel anwendet, bedarf es einer kurzen Erklärung, was Vergleiche (teschbīh), Assimilationen (temṯīl) und Metonymien (kināye) sind.

teschbīh bedeutet zwischen zwei Dingen oder Sachverhalten Gemeinsamkeiten finden, etwas assimilieren, grob übersetzt „angleichen“ oder vergleichen. Ein Vergleich besteht aus vier Elementen: der Vergleichende, der Verglichene, Vergleichspartikel und tertium comparationis (der Aspekt des Vergleichs). Der Satz „Karl ist tapfer wie ein Löwe“ ist ein Vergleich.temṯīl bedeutet im lexikalischen Sinne Assimilation, Vergleich, Vorführung, Darbietung, Analogieschluss. Terminologisch ist es ein Gleichnis, in dem ein Vergleich in einem allegorischen Szenario dargeboten wird. Hierzu wird eine Tatsache als eine Allegorie dargestellt.Bei den Allegorien (teschbīh-i temthīlī) handelt es sich um einen Vergleich, in dem nicht nur ein Ding, sondern mehrere Dinge mit mehreren Dingen verglichen werden. Platons Höhlengleichnis ist eine Allegorie.kināye bedeutet Andeutung, Anspielung, Metonymie. Sie besteht aus zwei Komponenten: meknī bih (Wortlaut) und meknī ʿanh (angedeuteter Sinngehalt). Je weniger Vergleichskomponenten vorkommen, desto mehr kommt die übertragene Bedeutung bzw. Metonymie (medjaz-i mursel/mana-yi medjazi) zum Vorschein.Während der Satz „Karl ist so tapfer wie ein Löwe“ ein Vergleich ist, ist „Karl ist ein Löwe“ eine Metonymie. Animal Farm ist ein Gleichnis, ebenso wie die Geschichten des Zehnten Wortes. Es besteht aus einer Allegorie, in der mehrerer Dinge mit mehreren Dingen verglichen werden, sie ist also ein teschbīh-i temthīlī. Nur sind die Vergleichspartikel dieser Allegorie so verborgen, dass sie mit sämtlichen ihren Bildszenen als Metonymien darstellen.

Was sagt der Lehrmeister selbst über die Natur von Allegorie und Geschichte im Zehnten Wort?

Frage: Geschichten gehören ins Reich der Fantasie, oder?

[…] du bietest außerdem manche Analogien in Form allegorischer Geschichten, Gleichnissen dar. Geschichten gehören jedoch ins Reich der Fantasie, sie sind weder Wahrheiten noch entsprechen sie der Realität.

Antwort: Geschichten sind Metonymien, die auf die übertragenen Sinngehalte hindeuten

[…] In der Wissenschaft der Sprachkunst wird ein Wort bzw. eine Phrase, die eine andere Bedeutung als ihre ursprüngliche ausdrückt und lediglich als Mittel zur Erwägung dieser anderen Bedeutung dienen soll, als „metonymisches Wort“ bezeichnet. Die Verifizierung oder die Falsifizierung der Aussagen solcher Wörter erfolgt nicht nach der ursprünglichen, sondern nach der übertragenen Bedeutung. Wenn ihre metonymische Bedeutung der Realität entspricht, sind diese Wörter oder Phrasen richtig, selbst wenn ihre ursprüngliche lexikalische Bedeutung nicht die Realität bezeichnet. Entspricht jedoch die metonymische Bedeutung der Realität nicht, gelten diese Sätze als falsch, selbst wenn die ursprüngliche lexikalische Bedeutung richtig ist.

[„Er hat einen langen Arm“ als Redewendung hat eine metonymische Bedeutung. „langer Arm“ steht für Einfluss und Macht. Gemeint ist also eine mächtige und einflussreiche Person, selbst wenn sie einen physischen kurzen Arm oder überhaupt keine Arme hätte. Wäre sie aber nicht einflussreich und mächtig, gilt dieser Satz als nicht verifiziert, selbst wenn sie tatsächlich einen langen Arm hätte.]

Die Geschichten und Gleichnisse des Zehnten Wortes dienen als Metonymien

Die analogischen Erzählungen und Allegorien z. B. im zehnten und im zweiundzwanzigsten Wort enthalten ebenfalls Metonymien und Metaphern. Die Wahrheiten, die den Geschichten und Gleichnissen folgen, sind im äußersten Sinne wahr und entsprechen der Realität vollkommen. Diese Wahrheiten machen die metonymischen und metaphorischen Bedeutungen der Geschichten aus. Ihre ursprünglichen, lexikalischen Bedeutungen sind wie Teleskope, d. h. Mittel, um die fernen Wahrheiten näher betrachten zu können. Es würde auch nichts ausmachen, wenn die lexikalischen Bedeutungen nicht der Realität entsprächen. Denn ihre metonymischen Bedeutungen sind verifiziert und wahr. Zudem sind diese Erzählungen Gleichnisse. Um die wahren Bedeutungen allgemein zugänglich und verständlich zu machen, wird lediglich die Wesenssprache (der Geschöpfe) in verbaler Sprache wiedergegeben. Abstrakte bzw. immaterielle Phänomene (Ideen, Gesellschaften, Eigenschaften, metaphysische Veranlagungen oder abstrakte Begriffe) wiederum werden personifiziert, konkretisiert und als materielle Personen bzw. Gegenstände versinnbildlicht.

Warum Gleichnisse in Form von Geschichten?

So schrieb ich die Vergleiche (teschbīh) und Allegorien (temṯīl) dieser Abhandlung in Form von Geschichten, um sie leichter verständlich zu machen2 und um zu zeigen, wie vernünftig, passend, unerschütterlich und stringent die Wahrheiten des Islams sind.Der Sinngehalt bzw. die Deutung dieser Geschichten steckt in den Wahrheiten, die sich am Ende ergeben. Die Geschichten deuten als metaphorische und metonymische Anspielungen (kināʾiyyāt) auf diese Wahrheiten hin. Insofern handelt es sich bei den Geschichten nicht um schlichte Fantasien, sondern vielmehr um pure Wahrheiten.

Warum Samenkörner, Blumen und Früchte?

Fragt man mich, warum ich hauptsächlich Beispiele von Samenkörnern, Blumen und Früchten anführe, so lautet dann meine Antwort: Bei ihnen handelt es sich um die wunderbarsten Antiquitäten und feinsten, hervorragendsten, lieblichsten Wunder der Macht Gottes. Trotzdem sind die Naturalisten, Menschen der Verkennung und materialistischen Philosophen in den Tiefen dieser Wunder ertrunken und in den Sumpf des Naturalismus gefallen, weil sie nicht in der Lage waren, die mit der Feder der Bestimmung und Macht Gottes in jene hinein geschriebene winzigste feinste Kalligrafie zu „lesen“.

Warum so oft Wendungen wie „ist es überhaupt möglich“?

Wendungen wie „Ist es vorstellbar, dass …“, „Ergibt es Sinn, dass …“ werden so oft wiederholt, weil sie auf eine sehr bedeutsame Wahrheit hinweisen. Verleugnung und Verkennung entstehen oft aus dem Für-unmöglich-Halten. Das heißt, man nimmt an, etwas sei verstandesfern3 und unmöglich, weshalb man es leugnet.Im Wort über die Wiederauferstehung wird endgültig demonstriert, dass tatsächliche Unmöglichkeit, wahre Absurdität und Irrationalität, erhebliche Diffizilität, unmöglich zu lösende Komplizität auf dem Weg der Verleugnung und der Doktrin der Verkennung liegen. Die wahre Möglichkeit, tatsächliche Plausibilität, eine solche Leichtigkeit, dass den Glauben notwendig macht, liegen auf dem Weg des Glaubens und der breiten Straße des Islams.Materialistische Philosophen neigen aufgrund des Für-unmöglich-Haltens zur Verleugnung des Glaubens. Daher weist dieses Zehnte Wort durch die häufige Verwendung von Wendungen wie „ist es vorstellbar“ auf das hin, was wirklich unmöglich ist.

1 Hierzu ist anzumerken, dass der Lehrmeister die Bildszene acht erst in der Wahrheit neun ausführt und die Bildszene neun in der Wahrheit zehn und einige Teile der Bildszene acht in der elften Wahrheit ausdeutet. Deshalb haben wir die Nummerierung der Bildszenen für maßgeblich gehalten und die Wahrheiten ihnen entsprechend neu nummeriert.

2 Ein Verweis auf Az-Zumar 39:27: „Wahrlich, Wir haben für die Menschen in diesem Koran allerlei Gleichnisse geprägt und Vergleiche angestellt, damit sie nachdenken und sich in Acht nehmen.“

3 Dem Lehrmeister zufolge sind der Glaube und die Verantwortung eine Prüfung und eine Erfahrung innerhalb des Vermögens der Entscheidungsfreiheit. Demzufolge liefern die Glaubenswahrheiten eine Plausibilität und Vernunftmäßigkeit. Dennoch darf die Beweisführung die Entscheidungsfreiheit nicht kategorisch ausschließen/aufheben, sodass das „Glaubens“-Element des Glaubens in Frage kommen kann. Ein Glaube, der aus notwendigen Ergebnissen einer Beweisführung resultiert, hat kein „Glaubens“-Element mehr inne, weil die Entscheidungsfreiheit durch den absoluten Beweis ausgeschlossen wird. Demzufolge sind die ganzen Beweisführungen der Lichtabhandlungen auf die Plausibilität bzw. Nachvollziehbarkeit der Glaubensinhalte gerichtet.

Anmerkung zur Geschlechtsneutralität

Die türkische Sprache ist, genauso wie Persisch, eine geschlechtsneutrale Sprache. Im Türkischen ist beispielsweise das Wort kardeş (Bruder/Schwester) ein geschlechtsneutraler Begriff. Wenn Bruder gemeint ist, sagt man erkek kardeş, wenn Schwester gemeint ist, sagt man kız kardeş. Da die deutsche Sprache keine geschlechtsneutrale Sprache ist, konnten wir weder diesen Begriff noch andere Ansprachen, Begriffe und Wörter ins Deutsche entsprechend übersetzen. Wir haben uns bemüht, möglichst geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Hätten wir die Femininum eigens ausgezeichnet durch „:innen“, „Innen“, „/innen“, „*innen“ oder „_innen“, wäre das ein Anachronismus gewesen. Wir wissen aber, dass der Lehrmeister in all seinen Schriften Frauen und Männer gleichermaßen anspricht. Denn er sagt: „Wenn ich meine Geschwister [kardeşlerim] sage, spreche ich meine weiblichen Geschwister gleichermaßen an. In all meinen Briefen sind sie ebenfalls meine Adressatinnen“ (Anhang zur Emirdag, Brief Nummer 130, S. 2334). In diesem Werk wird deshalb das generische Maskulinum verwendet, das Frauen und Männer gleichermaßen meint.

4 http://www.erisale.com/#content.tr.10.233 (zuletzt besucht am 2. 3. 2022)

Anmerkung zur Koranübersetzung

In diesem Werk wird hauptsächlich die Koranübersetzung von Ali Ünal verwendet. Punktuell wurde auch die Übersetzung von Friedrich Rückert herangezogen.

Zehntes Wortüber Gott und das Leben nach dem Tod

بِسْمِ اللهِ الرَّحْمَنِ الرَّحِيمِ

فَانْظُرْ اِلٰۤى اٰثَارِ رَحْمَتِ اللهِ كَيْفَ يُحْيِى اْلاَرْضَ بَعْدَ مَوْتِهَا. اِنَّ ذٰلِكَ لَمُحْيِى الْمَوْتٰى وَهُوَ عَلٰى كُلِّ شَىْءٍ قَدِيرٌ

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen! Schau dann auf die Spuren von Gottes Barmherzigkeit, wie Er die Erde nach ihrem Tode belebt. Wahrlich, Derselbe wird auch die Toten erwecken; denn Er hat Macht über alle Dinge (Er-Rum 30:50).

Lieber Bruder, liebe Schwester!5 Wenn du in einfacher und allgemein verständlicher Sprache und auf deutliche Art die Klärung der Frage nach der Auferstehung und der Versammlung nach dem Tod und dem Leben im Jenseits möchtest, dann vernimm mit meinem eigenen nefs zusammen die folgende Allegorie:

I. Zwei Menschen und ein wunderschönes Land

Einst reisten zwei Menschen in ein Land, das so schön wie das Paradies war. (Mit jenem Land ist die diesseitige Welt, das Universum gemeint). Sie sahen, dass alle Anwohner dort die Türen ihrer Häuser und ihrer Läden unverschlossen ließen. Es sah so aus, dass sie keinen Gedanken daran verschwendeten, ihr Hab und Gut zu schützen. Ihr Geld und ihre Güter schienen unbewacht und herrenlos zu sein.

Einer der Beiden nahm alles, was er wollte. Entweder stahl er es unentdeckt oder entriss es den Menschen. Er ging seinen Begierden nach und beging alles erdenkliche Unrecht und frönte seiner Lüsternheit. Die Bevölkerung ließ ihn dabei meist in Ruhe.

Sein Freund sprach zu ihm: „Was machst du denn da? Du wirst bestraft und wirst auch mich ins Unheil stürzen. Die Güter hier sind Königseigentum6. Alle Bewohner7 (mitsamt ihren Kindern) sind eigentlich Soldaten, Beamten oder Staatsbedienstete, die ihren Aufgaben in Zivil nachgehen. Sie lassen dich zwar gewähren, der Staat ist aber gut organisiert. Der König hat überall Ohren8 und seine Beamten sind überall. Geh und ergib dich umgehend seinem Schutz9!“

Sein Freund war allerdings töricht und stur und sagte: „Nein, das hier ist kein Staatseigentum, alles gehört der Öffentlichkeit,10 anders gesagt: niemandem. Jeder kann so darüber verfügen, wie er es möchte. Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, von diesen ganzen schönen Dingen keinen Gebrauch zu machen. Was du da sagst, werde ich nicht glauben, bevor ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe.“

Er fing an, zu philosophieren und sophistisch zu reden. Es begann eine ernste Diskussion zwischen den beiden. Zuerst fragte der Starrsinnige seinen Freund: „Wer soll denn hier der König sein? Ich kenne keinen.“

Das Land hat einen Herrscher, die Güter sind Staatseigentum

Sein Freund antwortete ihm: „Du weißt: Selbst ein Dorf11 hat einen Dorfvorsteher. Selbst eine Nadel12 hat einen Meister, einen Eigner.13 Es gibt nicht mal einen Buchstaben14 ohne Verfasser. Wie kann es also sein, dass solch ein dermaßen wohl organisiertes Land keinen Herrscher und Gesetzgeber hat? Zu jeder Stunde15 trifft ein Zug mit wertvollen und kunstvollen Gütern ein, als käme es aus dem Reich des Verborgenen, lädt seine Ladung ab und fährt dann wieder fort. Wie kann derart viel Reichtum keinen Eigentümer haben? All die Ankündigungen und Bekanntmachungen, all die Siegel und Marken [Warencodes], die sich auf den Waren befinden, all die Münzen und die in jedem Winkel des Königreichs wehende Flaggen – wie kann das alles herrenlos sein?

Es scheint, als hättest du ein wenig von Schriften gelesen, denen das Gesetz fremd ist. Dabei kannst du nicht einmal die Schriften des Islams lesen. Und weigerst dich zugleich, einen Sachkundigen zu fragen. Komm, lass mich dir den wichtigsten königlichen Erlass vorlesen …“

Die Deutung der Allegorie16

Der benommene Mensch in dieser Allegorie und sein vertrauenswürdiger Freund versinnbildlichen drei Dimensionen der Tatsachen:

Die erste Dimension steht für mein eigenes [Diktier-] nefs und mein eigenes Herz.

Die zweite Dimension symbolisiert die Studenten der materialistischen Philosophie und die Studenten des weisen Korans.

Die dritte Dimension bilden die Gemeinschaften der Verkennung und des Glaubens.17

Der größte Irrtum von Studenten der materialistischen Philosophie, der Gemeinschaft der Verleugnung und des Diktier-nefs liegt in der Nichtanerkennung des Ehrwürdigen Wahren Einen. Was der vertrauenswürdige Mensch in unserer Allegorie sagte, können wir nur bestätigen: „Es gibt nicht mal einen Buchstaben ohne Verfasser und keine Ordnung ohne Gesetzgeber und Herrscher.“

II. Das Manuskript hat einen Verfasser und Kalligrafen

Es ist ganz und gar unmöglich, dass es einem Manuskript an einem Verfassenden mangelt. Vor allem einem Manuskript, welches mit einer winzig kleinen Schreibfeder so geschrieben ist, dass jedes einzelne Wort das ganze Buch beinhaltet und in jedem einzelnen Buchstaben ein Lobgedicht eingemeißelt ist.18

Demzufolge ist es unmöglich, dass es diesem Universum an einem künstlerischen Verfassenden fehlt. Denn auch das Universum ist ein Manuskript, ein Buch, in dem jede Seite viele weitere Bücher enthält. Jedes Wort auf einer Seite enthält sogar ein weiteres Buch im Kleinen. In jedem Buchstaben eines Wortes wird ein Lobgedicht angestimmt.19

Die ganze Erde ist nur eine Seite jenes Manuskripts namens Universum, die unzählige weitere Manuskripte mit einschließt. Jeder Baum ist ein Wort, der zahlreiche Seiten enthält. Jede seiner Früchte ist ein Buchstabe und jeder Samen ein Punkt. Jeder Punkt wiederum verbirgt in sich das Inhaltsverzeichnis und das Programm des ganzen großen Baums.

Ein solches Buch, ein solches Manuskript kann nur der kalligrafischen Schreibfeder der Macht des Majestätischen Einen entstammen, der sich durch die Attribute Allgewalt und Schönheit auszeichnet und über unendliche Macht und Weisheit verfügt. Folglich resultiert aus der Bezeugung mittels Beobachtung des Kosmos dieser Glaube, es sei denn, man ist benommen aufgrund der Tiefe seiner Verkennung.

III. Der wundersame Palast: Das Universum

Es gibt kein Bauwerk ohne einen Baumeister. Erst recht dann nicht, wenn das Bauwerk mit erstaunlichen Kalligrafien, außergewöhnlichen Verzierungen und einzigartigen Ornamenten geschmückt ist wie ein Palast. In einem einzigen Stein dieses Bauwerks liegt genauso viel Kunst wie im ganzen Palast. Kein Verstand kann die Behauptung akzeptieren, es habe keinen künstlerischen Baumeister, keinen meisterhaften Architekten gegeben.

Innerhalb dieses Bauwerks werden stündlich in vollkommener Ordnung tatsächliche Wohnhäuser gebildet; ähnlich wie das Aufschlagen der verschiedenen Filmbühnen. Zudem werden sie verändert mit einer vollkommenen Ordnung, die sich mit dem Wechseln von Kleidung vergleichen lässt. In jeder dieser realen „Filmbühnen” werden sogar ständig zahlreiche weitere, verschiedene kleine Räume erschaffen.

Von der Allegorie zur Wahrheit

So, wie sich das Universum darstellt, erfordert es einen unendlich weisen, allwissenden und allmächtigen Baumeister und Künstler. Denn es ist ein Palast, dessen Laternen die Sonne und der Mond, und dessen Kerzen die Sterne sind. Die Zeit gleicht einem Seil oder einem [Film-] Band. Der Majestätische Schöpfer fädelt auf dem Seil bzw. dem Band der Zeit jedes Jahr ein neues Universum [einen neuen Schauplatz] auf. Mit absoluter Ordnung und Weisheit erneuert und verändert Er die Bühnen und Ausblicke dieses Schauplatzes, dieses Universums, auf 360 unterschiedliche Arten und Weisen.20

Die Erde gestaltete Er als einen gedeckten Tisch der Gnadengaben, die Er jedes Frühjahr mit 300.000 verschiedene Arten von kunstvollen Geschöpfen21 schmückt und mit unzähligen Varianten großzügiger Geschenke füllt. Er tut dies so, dass die Geschöpfe alle getrennt voneinander und deutlich mit einem eigenen Charakter nebeneinander stehen, während sie zur selben Zeit eng miteinander verwandt sind und sich vermischen. Wie kommt es, dass die Existenz des Schöpfers eines solchen Palastes einfach ignoriert wird?

IV Die Sonnenparabel

Allegorie von der Sonne und ihrer Reflexion

Die Reflexionen und das Ebenbild der Sonne an einem Tag mit heiterem, klarem Himmel sind auf der Oberfläche der Meere, ja auf jedem schillernden Luftbläschen auf dem Wasser und sogar auf jedem glänzenden Objekt an Land und auf jeder Schneeflocke zu erkennen. Wenn man trotz dessen die Existenz der Sonne abstreitet, würde es von wahnwitziger Verrücktheit zeugen. Denn würde man die Existenz einer einzigartigen Sonne verleugnen, müsste man annehmen, dass in jedem glänzenden Wassertropfen, jedem schillernden Luftbläschen und jedem leuchtenden Objekt eine eigene, reale Miniatur-Sonne innewohnt. Folglich müsste man in jedem Atomteilchen die Essenz der gewaltigen realen Sonne annehmen, obwohl in einem Atom lediglich ein einziges Atom Platz findet …

Von der Allegorie zur Wahrheit

Ein größerer Verkennungswahn und ein noch verwirrteres Delirium wäre es, sich der Annahme der vollkommenen Attribute des Majestätischen Schöpfers zu verweigern, wo man dieses geordnete Universum doch mit eigenen Augen sehen kann. Ständig wird es in systematischer und zielgerichteter Weise verändert und erneuert. Wer den Schöpfer verleugnet, muss hingegen glauben und annehmen, dass alles Existierende im Universum, ja sogar jedes winzige Teilchen, absolute, uneingeschränkte Gottheiten [Attribute Gottes] in sich bergen.22

Jedes Luftatom eine Gottheit?

Jedes Atom in der Luft kann zum Beispiel in jede Blume, jede Frucht und jedes Blatt eindringen und dort etwas bewirken. Wäre das Atom aber kein Beauftragter [des künstlerischen Schöpfers], müsste es sich selbst beauftragt haben. Um eine Blume, eine Frucht oder ein Blatt zu gestalten, müsste es den gesamten Entstehungsplan, die Entwicklungsstruktur und die Form dieser Kunstwerke, in die es eindringt, die es beeinflusst und gestaltet, kennen; das heißt, es müsste über ein umfassendes, makelloses Wissen und über eine allumfassende Macht verfügen [die in Wirklichkeit ausschließlich einem absoluten Schöpfer gebührt].

Jedes Erdatom eine Gottheit?

Jedes Atom der Erde besitzt das Potenzial, das Wachstum aller existierenden, verschiedenen Sorten von Samenkörnern zu ermöglichen. Wenn es nicht vom Schöpfer beauftragt wäre [müsste es sich selbst beauftragt haben]. In diesem Falle müsste jedes Erdatom entweder über immaterielle Ausrüstung und Maschinen verfügen,23 oder ihm müsste Kunstfertigkeit und Macht zugesprochen werden, sodass es sich mit allen Pflanzen und Bäumen auskennt, sich mit ihren Entstehungsplänen und Entwicklungsstrukturen befasst sowie alle Formen, mit denen sie sich bekleiden, kennt und zu „nähen“ vermag.

Was für das Atom gilt, trifft erst recht auf andere Existenzstufen zu. Nun wird man verstehen, dass es in jedem Ding viele klare Beweise für die Einheit des Schöpfers gibt. Ja, die Kunst, aus einem Ding alle möglichen Dinge hervorzubringen und alle Dinge in ein einziges Ding zu verwandeln, ist lediglich dem zu eigen, der der Schöpfer aller Dinge ist.24

Man beachte den feinsinnigen Erlass:

Und es gibt nichts, was Seine Herrlichkeit nicht preist. (El-Isrāʾ 17:44).

Also den Einzigartigen Einen Gott nicht zu akzeptieren, würde uns zur Annahme von Gottheiten zwingen, die so zahlreich wie alle Existierenden sind.

Der Freund nimmt die Existenz Gottes an, lehnt aber das Leben nach dem Tode ab

Benommen entgegnete der Mensch ihm [nach der Ausführung]: „Nun gut, nehmen wir einmal an, es gäbe einen König. Welchen Schaden sollte er nehmen, wenn ich von all diesem Reichtum nur einen winzigen Teil beanspruchte? Sein Schatz wird darunter nicht leiden. Außerdem gibt es hier nichts, das einem Gefängnis ähnelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier irgendwelche Strafen geben wird.“25