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Wenn wir erwachsen werden, sind bei unserer Persönlichkeitsentfaltung auch unser Glaubensverständnis und unser Gottesbild betroffen. Gibt es eine Form des Glaubens, die sich in dieser neuen Lebensphase als angemessen und echt erweist? Können wir uns ungebrochen unseres Glaubens freuen oder nach einer Zeit der Krise und Entfremdung eine neue Ursprünglichkeit gewinnen? Werden wir zuletzt gar die "erste Liebe" finden? In 43 kurzen Artikeln geht Hans-Joachim Eckstein auf Kernthemen des christlichen Glaubens ein und beleuchtet sie von überraschenden Blickwinkeln und theologisch tiefgründig.
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Seitenzahl: 160
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Hans-Joachim Eckstein
Zeit der ersten Liebe
Zu einer neuen Ursprünglichkeitnach Kinderglauben und Glaubenskrise
Der SCM Verlag ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein ist Theologe, Referent und Autor, Poet und Liedkomponist, www.ecksteinproduction.com
ISBN 978-3-7751-6070-4 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6019-3 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
8., neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage 2020 von »Glaube, der erwachsen wird«, zuvor erschienen unter der ISBN 978-3-7751-3836-9
© Copyright 2020: Hans-Joachim Eckstein
Verlagsrecht dieser Ausgabe:
SCM Verlag in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Str. 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-verlag.de · E-Mail: [email protected]
Die Bibelstellen wurden eigenständig übersetzt, wo möglich, in Anlehnung an die Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, zitiert.
Umschlaggestaltung: SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Vorwort
Erfreuliche Nachricht – traurige Hörer?
Isoliert vom Leben
Das Wort vom Kreuz
Wer wird versöhnt?
Sühne als geschenktes Leben
Nachdenkenswert
In Christus
Voraussetzungslos und bedingungslos
Umsonst – das heißt im Glauben
Im Wir leben
Glauben heißt wissen
Glaubensgewissheit
Sicher – oder »nur gewiss«?
Wie kann man sich denn auf den Richter freuen?
Wenn Gott für uns ist
Abba, lieber Vater!
Als Töchter und Söhne Gottes
Die Grenzen des Vergleichs
Die Liebe ist nicht ohne Wahrheit
Ehrfurcht oder Angst?
Furcht ist nicht in der Liebe
Die Liebe der Beschenkten
Sein wie Gott
Im Gewand der Frömmigkeit
Von Christus her verstehen
Sündigen auf Lateinisch
Zurückfinden
Das anschauliche Ebenbild des unsichtbaren Gottes
Gottes Ebenbild oder Abbild?
Selbstverleugnung oder Selbstverwirklichung?
Leben oder Sterben?
Selbstmitteilung Gottes
Mitteilungsgeschehen
Wir teilen uns durch Worte mit
Beten um seinetwillen
Gemeinschaft als Ganzheit
Ideal oder Wirklichkeit?
Als Teil des Ganzen
Wirklich wesentlich oder nur wichtig?
Siebenundsiebzigmal Unrecht oder Liebe
Von ganzem Herzen
Ich bin nicht der Christus!
Wie ein Tropfen auf den heißen Stein?
Die Stärke der Schwachheit
Meine Gnade reicht für dich aus
Der Autor
Veröffentlichungen von Hans-Joachim Eckstein
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Die Gedanken des vorliegenden Buches knüpfen an Diskussionen und persönliche Gespräche an, die ich mit jungen Erwachsenen im Zusammenhang mit Vorträgen und Seminaren geführt habe. Darin wurde immer wieder deutlich, wie stark auch das Glaubensverständnis von den Umbrüchen des Erwachsenwerdens – der Loslösung von den Abhängigkeiten der Kindheit und der Entwicklung der Eigenständigkeit – betroffen ist.
Es geht hierbei um die grundsätzliche Frage: Gibt es eine Form des christlichen Glaubens, die sich unter den Voraussetzungen dieser neuen Lebensphase als angemessen und echt erweist? Oder ist jede Art zu glauben zwangsläufig ein unreifes Festhalten am »Kinderglauben«, ein Zurückfallen in die Unmündigkeit? Kann man vernünftig glauben und sich glaubend an der Vernunft orientieren? Also: Was kommt nach dem Kinderglauben?
Die schwerwiegendsten Zweifel befallen häufig gerade diejenigen, die in ihrer Jugend eine religiöse Erziehung und eine feste Einbindung in christliche Kreise erfahren haben. Denn viele von ihnen empfinden ihre christliche Prägung keineswegs als Befähigung und Hilfe für ihr Leben, sondern eher als zusätzliche Belastung. Nachträglich erscheint ihnen die Zeit ihres »engagierten Glaubens« als eine Phase der Ängste, der Zwänge und des ständig schlechten Gewissens.
Andere verbinden mit den Glaubenserfahrungen ihrer Jugend durchaus positive Erinnerungen. Es will ihnen als Erwachsenen aber nicht recht gelingen, an all die Hoffnung und Begeisterung, an das tiefe Vertrauen und ungetrübte Überzeugtsein anzuknüpfen. Der Gedanke an ihre »erste Liebe« macht sie eher verlegen und traurig als zuversichtlich und lebensfroh.
An sie alle, die mit der christlichen Tradition sehr wohl vertraut sind, aber nur schwer einen neuen, von Vorurteilen freien und ungetrübten Zugang zum Glauben finden, wende ich mich mit den folgenden Gedanken zu einer befreienden Lebensentfaltung »im Wir«. Es soll diejenigen anregend und ermutigend begleiten, die sich auf der Suche nach einer neuen Ursprünglichkeit – jenseits von Kinderglauben und Glaubenskrise – befinden.
In den einzelnen Artikeln werden zentrale Begriffe und grundlegende Aussagen des christlichen Glaubens aufgenommen und in Auseinandersetzung mit verbreiteten Missverständnissen entfaltet. Die Einbeziehung zwischenmenschlicher Erfahrungen und sozialpsychologischer Einsichten soll den persönlichen Zugang und die eigene kritische Auseinandersetzung erleichtern.
Bei der Auswahl der Themen wird keine systematische Geschlossenheit oder gar Vollständigkeit angestrebt. Vielmehr sollen das Wesen und die Grundstruktur des Evangeliums – als einer »erfreulichen« und »guten« Nachricht – gerade an den Punkten aufgedeckt werden, die sich in Gesprächen und Diskussionen immer wieder als besonders missverständlich und schwierig erweisen.
Zweifellos wird den Lesern durch die konzentrierte Darstellungsweise und die Fülle der Gedanken viel Aufmerksamkeit abverlangt – weshalb einige sich schon an einen »Kleinen Katechismus« erinnert fühlten. Jedoch bilden die überschriebenen Abschnitte jeweils gedankliche Einheiten, sodass sie durchaus auch einzeln gelesen oder – bei Einbeziehung der biblischen Belege – eingehend erarbeitet werden können. Die Aufteilung in relativ kurze Artikel soll es zudem ermöglichen, die Texte als Grundlage für Gesprächskreise und Diskussionsrunden und als Anregung für Vorträge und Fortbildungen zu verwenden.
Das Buch ist denen gewidmet, die trotz enttäuschender Erfahrungen oder abschreckender Beispiele bereit sind, die Suche nach einem befreienden und lebensbejahenden Glauben neu aufzunehmen. Mögen sie zuletzt zu ihrer »ersten Liebe« finden.
Hans-Joachim Eckstein
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Das Evangelium von Jesus Christus ist – im wörtlichen Sinne – die »gute Nachricht« Gottes an uns Menschen, dass wir durch seinen Sohn in der Gemeinschaft mit ihm und miteinander leben können. Die traurige Wirklichkeit vieler ist allerdings, dass sie die Nachricht so erfreulich gar nicht finden können. Das liegt nicht etwa daran, dass sie sich noch nicht damit befasst und darauf eingelassen hätten. Vielmehr sind sie schon müde vom unentwegten, aber sie nicht bewegenden Hören.
Nun merken wir uns gegenseitig die Verlegenheit unserer Lage selten an, weil die Verschlossenheit vor Gott und voreinander zu den grundlegenden Problemen unseres Lebens zählt. In aller Regel suchen wir den Schein zu wahren, dass wir als Glaubende die Wirklichkeit des Glaubens auch erfahren.
Wenn aber unser Reden und unser Verhalten nicht mehr wahrhaftiger Ausdruck unseres Glaubens sind, sondern zum Ersatz für das Eigentliche werden, dann befinden wir uns bereits in einem heillosen Kreislauf. Die uneingestandene Enttäuschung über die eigene Situation wird trotz aller guten Vorsätze und festen Absichten nur noch größere Verzweiflung nach sich ziehen.
Die unterdrückte Abneigung gegen Gott und andere Menschen kann durch eine vorgespielte Liebe schließlich zum verzehrenden Hass werden. Der aussichtslose Kampf gegen sich selbst wird gerade die vermeintlich Siegenden zu Verlierern machen. Statt Freude und Lebensmut beherrschen am Ende verkrampfte Anstrengung und Niedergeschlagenheit das Feld.
Für den aber, dessen Glaube so stark von Verdrängung und Zwang bestimmt ist, werden sich selbst die Formulierungen des »Evangeliums« unter der Hand in »Gesetz« verwandeln. Die Rede von Zuneigung und Nähe weckt widersprüchlicher Weise eher Unwillen und Ablehnung. Dann hinterlässt die »erfreuliche Nachricht« paradoxerweise traurige Hörer.
Diesem trostlosen Zustand zwischen Unehrlichkeit und Verzweiflung mag mancher dadurch entkommen, dass er sich von der »Gesetzlichkeit« zu einer eher unverbindlichen und nachlässigen Haltung dem Glauben gegenüber »befreit« und das Problem der ungelösten Fragen einfach ruhen lässt. Doch handelt es sich zweifellos bei beiden Wegen, mit der beängstigenden Verlegenheit fertigzuwerden, um Formen eines – in jeder Hinsicht – unglaubwürdigen Glaubens.
Als »glaub-würdig« kann der Glaube erst erscheinen, wenn es gelingt, eine Verbindlichkeit zu finden, die nicht gesetzlich ist, und eine Freiheit zu entdecken, die nicht unverbindlich ist. Damit aber werden wir bei der Suche nach einem wahrhaftigen Glauben, der eine angemessene Antwort auf die »gute Nachricht« Gottes darstellt, zugleich auf die Frage der Liebe verwiesen. Denn der Raum, in dem es für uns Menschen möglich ist, wirkliche Freiheit und vorbehaltlose Verbindlichkeit harmonisch zu verbinden, ist der Bereich der Liebe.
Nach dieser Liebe, zu der uns der Glaube befähigt, und nach diesem Glauben, der in Gottes Liebe gründet, lohnt es sich unbedingt zu suchen. Es lohnt sich – bei allen leidvollen oder auch oberflächlichen Erfahrungen –, so lange zu suchen, bis wir selbst sehen und begreifen, was dieses Wort von Jesus Christus eigentlich zum Evangelium macht – zur guten und erfreulichen Nachricht Gottes an uns Menschen.
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Wenn wir fragen, was einem lebenswerten Glauben und einem glaubwürdigen Leben denn im Wege stehen könnte, wäre die traditionelle Antwort wohl: die Sünde. Aber was ist mit dem Begriff »Sünde« in der biblischen Überlieferung eigentlich gemeint?
Im Allgemeinen pflegt man das als Sünde zu bezeichnen, was zwar verboten, aber ausgesprochen reizvoll und verlockend ist. Vielleicht denkt man auch an die Übertretung eines von Gott gegebenen Gebotes oder bestimmt Sünde als schlechtes und unmoralisches Handeln. In jedem Fall wird damit jedoch nur unzulänglich beschrieben, was aus biblischer Sicht als entscheidendes und ausschlaggebendes Problem des Menschen gilt.
Vorrangig und grundsätzlich ist unter Sünde die Trennung von Gott zu verstehen, die Abwendung des Geschöpfes von seinem Schöpfer, die Absage des Menschen an den ihn liebenden Gott. Damit besteht die Sünde wesentlich in der Isolation des menschlichen »Ich« vom göttlichen »Du«, in der Zurückgezogenheit, die als solche die personale Beziehung – also das »Wir« – zwischen Gott und Mensch ausschließt. Alle weiteren Aspekte der Sünde ergeben sich dann als Entfaltung und Konsequenz dieser Entfremdung und Absonderung des Menschen von Gott. Somit ist Sünde also ursprünglich nicht vorrangig ein moralischer Begriff, sondern ein Seins- und Beziehungsbegriff.
Da Gott als Schöpfer alles Lebenden der Ursprung allen Lebens ist, beraubt der Mensch sich durch die Loslösung von Gott – in letzter Konsequenz – auch seines eigenen Lebens. Das gilt zunächst in dem Sinne, dass jedes menschliche Leben mit dem Sterben endet, aber auch so, dass der Mensch aufgrund seiner Sünde schon im Leben »tot« ist – nämlich ohne eine lebendige Beziehung zu Gott als dem Leben. In diesem Zustand der Trennung von seinem wirklichen Leben verharrt er von sich aus bis zu seinem absoluten und endgültigen Tod.
Da die Liebe bei Gott nicht nur eine Eigenschaft von vielen ist, sondern sein ganzes Wesen, ist er selbst Maßstab für das, was wir Liebe nennen. Er ist selbst in Person die Liebe: »Gott ist Liebe« (1. Johannes 4,8.16). Das aber hat zur Folge, dass der Mensch sich – indem er Gott und sein Wesen ablehnt – letztlich auch gegen die Liebe wendet. So äußert sich die eine Sünde, dass der Mensch getrennt von Gott und seiner Liebe lebt, auch darin, dass er aufgrund seiner »Lieb-losigkeit« anderen und sich selbst durch viele Sünden schadet.
Wesentliches Merkmal und Erkennungszeichen jeder Sünde ist es also, dass sie von Gott trennt und dass sie Leben und echte Liebe einschränkt, gefährdet und zerstört. Umgekehrt kann dann nur das nicht als Sünde gelten, was in Verantwortung vor Gott und in Gemeinschaft mit ihm geschieht und andere und uns selbst in der Entfaltung von Leben und Liebe fördert.
Dementsprechend kann etwas sehr »fromm« und »heilig« aussehen und dennoch Sünde sein, wenn es seinen Ursprung nicht in Gott hat und weder anderen noch uns selbst zuträglich ist. Andererseits mag vieles gar nicht »fromm« aussehen, was für die Glaubenden (Römer 14,22 f.) dennoch nicht Sünde ist, weil es weder Gott und seinem erklärten Willen widerspricht noch irgendjemandem schadet, sondern dankbar erlebt und in Liebe getan wird (vgl. Römer 14; 1. Korinther 10,23 ff.; 1. Timotheus 4,3-5).
Aus diesem personal geprägten und beziehungsorientierten Verständnis von der einen Sünde als Ursprung aller einzelnen erklärt sich auch die Schwierigkeit einer rein moralischen Bestimmung. Im Bild gesprochen stellt die Sünde als Trennung von Gott die eigentliche Krankheit dar, während die einzelnen Sünden und moralischen Vergehen als Symptome dieser zugrundeliegenden Krankheit zu verstehen sind.
Zwar wirkt die eine Sünde sich in den Gedanken, Worten und Handlungen auch in moralischer Hinsicht aus, sie lässt sich aber keinesfalls anhand moralischer Begriffe schon hinreichend bestimmen und erklären. Die Symptome sind charakteristische Zeichen der Krankheit und als solche gewiss ernst zu nehmen, aber sie sind nicht die eigentliche Krankheit.
Die Sünde allein aufgrund der Unmoral erweisen zu wollen verbietet sich schon deshalb, weil auch der Mensch, der »losgelöst« von seinem Schöpfer leben will, als dessen Geschöpf dennoch die Fähigkeit und Verantwortung erhalten hat, andere Menschen zu lieben. Wenn sich Eltern ihrem Kind fürsorglich und liebevoll zuwenden, dann bezeugen sie damit die gute Lebensabsicht ihres Schöpfers auch dann, wenn sie selbst sich noch gar nicht bewusst als Geschöpfe verstehen.
So sind wir äußerst schlecht beraten, wenn wir – quasi als »Vorbereitung« auf die »frohe Botschaft« – zunächst die Zustände der »Welt« beklagen. Nicht nur, dass wir uns dabei in Hinsicht auf die Humanität und Liebe mancher Atheisten und angesichts moralischer Vergehen mancher »Frommer« selbst in Beweisnot bringen – viel schlimmer ist, dass wir die eigentliche Botschaft damit gar nicht vorbereiten.
Die »gute Nachricht« Gottes handelt doch nicht von dem verzweifelten Zurückdrängen der Folgen, sondern von der wirksamen Aufhebung der Ursache. Das Evangelium will nicht nur die Symptomeabmildern, sondern von der grundlegenden Krankheit heilen. Wir brauchen als Menschen nicht nur eine »Besserung« oder »Milderung« des Zustands unseres Todes, sondern Leben. Wonach wir uns zutiefst sehnen, ist nicht nur eine Änderung des Ich, sondern das Wir – mit Gott und miteinander.
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Wenn wir nach dem Inhalt des Evangeliums fragen, werden wir auf die Person Jesus Christus hingewiesen. Das Evangelium Gottes (Römer 1,1 f.; 15,16; vgl. Markus 1,14) ist nämlich das Evangelium von seinem Sohn (Römer 1,3 f.9; Galater 1,7; Markus 1,1). Es teilt uns mit, wer Christus ist und wie Gott, der Vater, an und in ihm gehandelt hat und handeln wird. Dieses Handeln Gottes ist dabei so zentral und wesentlich mit dem Kreuz und der Auferstehung Jesu verbunden, dass wir das Evangelium als Ganzes auch als »Wort vom Kreuz« bezeichnen können (1. Korinther 1,17 f.).
Wenn aber Jesus Christus selbst – und zwar als der für uns Gekreuzigte – der eigentliche Inhalt und das Zentrum dieser guten Nachricht Gottes ist (1. Korinther 1,23; 2,2; Galater 3,1; 6,14), dann ist er auch der Maßstab für jedes Denken und Reden über Gott, das wirklich Gott, den Vater Jesu Christi, und nicht irgendwelche »Götter« oder eigenen Gottesbilder meint.
Was immer wir auch unabhängig von Christus über Gott wissen oder von ihm ahnen mögen, letztlich verbindlich ist für uns als Christen, was sich als glaubwürdige Entfaltung dieses einen Wortes Gottes an uns Menschen verstehen lässt. Sosehr Gott bereits zuvor schon durch die Propheten zu den Vätern Israels geredet hatte, endgültig, unübertrefflich und letztverbindlich hat er durch seinen eigenen Sohn gesprochen (Hebräer 1,1 ff.). So erschließt sich Christen auch das alttestamentliche Zeugnis durch Mose und die Propheten von Jesus Christus her, da sie ihn als die Selbstvorstellung und das Wort Gottes in Person erkennen.
Die neutestamentlichen Zeugen sehen im Kreuz Jesu Christi vor allem den eindeutigen Erweis einer überwältigenden Liebe, Barmherzigkeit und Treue Gottes zu uns Menschen: Indem Christus nicht nur unverbindlich von der Liebe sprach, sondern bereit war, unter Einsatz seines eigenen Lebens konsequent an ihr festzuhalten, hat er gezeigt, wie grenzenlos und unbedingt seine Zuwendung zu uns ist: »Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns gelassen hat« (1. Johannes 3,16; vgl. Johannes 13,1; 15,12 f.; Galater 2,20; Epheser 5,2.25b; Offenbarung 1,5b).
Da in dieser Bereitschaft Christi, das eigene Leben für andere einzusetzen, gerade auch die Einstellung seines Vaters dieser Welt gegenüber deutlich wird, kann im Neuen Testament in gleicher Weise vom Kreuz auf die Liebe Gottes, des Vaters, zurückgeschlossen werden: »Darin steht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden« (1. Johannes 4,10; vgl. Johannes 3,16; Römer 5,8; 8,31 f.; Epheser 2,4 ff.).
Der Sohn kam ja nicht ohne das Einverständnis oder gar gegen den Willen des Vaters, sondern er wurde ausdrücklich von ihm selbst beauftragt und gesandt, die Schöpfung zurückzugewinnen. Aufgrund seiner unbedingten – das heißt uneingeschränkten – Liebe will Gott unbedingt – das heißt unter allen Umständen und um jeden Preis – mit seinen Menschen zusammen sein. Spätestens seitdem Gott nach allen »Boten« sogar seinen »geliebten Sohn« und damit das für ihn Wertvollste – gesandt hat, um uns zu erreichen (Markus 1,11; 9,7; vgl. Hebräer 1,1 ff.), ist dies zur Gewissheit geworden.
So spricht also gerade das Kreuz von der völligen Übereinstimmung zwischen dem Vater und dem Sohn, weil deren Einheit nirgendwo so anschaulich wird wie im Zusammenhang der einvernehmlichen Hingabe des Wertvollsten und des eigenen Lebens. Diese umfassende Liebe Gottes ist das tragende Fundament unseres Glaubens; sie ist es, die das »Wort vom Kreuz« wirklich zur »guten Botschaft« macht.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Nun reicht es nicht, anhand des Neuen Testamentes aufzuzeigen, dass dieses Wort vom Kreuz als Wort von Gottes umfassender Liebe verstanden und entfaltet worden ist. Wir müssen vielmehr weiterfragen, welche Konsequenzen sich daraus für unser Verständnis von Gott ergeben. Denn häufig stehen gerade diese – durchaus vertrauten – biblischen Aussagen in Spannung zu unseren herkömmlichen Vorstellungen und inneren Bildern von Gott.
Kann man überhaupt davon ausgehen, dass Gott alle Menschen liebt? Gilt seine Liebe nicht vielmehr ausschließlich denen, die seinen Willen tun und seinen Erwartungen entsprechen? Bestand nicht zwischen Gott und uns vor dem Sterben Christi der Zustand beidseitiger Feindschaft, und galt uns nicht anstatt der Liebe Gottes vorher nur sein Zorn? Musste nicht Christus zunächst den Vater mit uns versöhnen, sodass die Zuwendung Gottes zu uns lediglich als das Ergebnis der Vermittlung Christi zu verstehen ist?
Betrachten wir zur Klärung dieser Widersprüche nun exemplarisch die beiden Stellen, an denen Paulus vom Versöhnungsgeschehen spricht, dann muss uns wundern, wie weit sich gängige Interpretationen von den Aussagen der biblischen Texte selbst entfernen können (Römer 5,1-11; 2. Korinther 5,14-21).
»Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus … Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber …« (2. Korinther 5,18 f.). Zunächst fällt auf, dass die im Kreuz vollzogene notwendige Versöhnung gar nicht Gott gilt, sondern uns. Weder wird hier vorausgesetzt, dass (a) Christus den Vater durch sein Opfer versöhnen musste, noch wird gesagt, dass (b) sich Gott selbst in Christus mit der Welt versöhnt hat, sondern allein, dass (c) Gott in Gestalt seines Sohnes die ihm gegenüber feindlich eingestellteWelt mit sich und untereinander versöhnt hat.
Die Welt war Feind Gottes, während Gott nach dem einmütigen Zeugnis des Neuen Testaments die Welt bereits liebte. Christus ist infolge und zur Überwindung der menschlichen Sünde als der lebensgefährdenden Beziehungsstörung gestorben. Was den Tod brachte, war und ist die Trennung von Gott als dem Leben und der Liebe. Was das Leben zerstört, ist die Trennung von der Beziehung, die das Leben begründet und erhält.
Da somit die Versöhnung also von Gott selbst ausgeht, kann von »Feindschaft« nur in Hinsicht auf unsere einseitige Ablehnung und Auflehnung Gott gegenüber gesprochen werden. Gottes Einstellung zu uns erweist sich hingegen darin, dass Christus für uns sein Leben gelassen hat – für uns als die Schuldigen, die zum Frieden »Unfähigen« und gegen Gott »feindlich« Gesinnten. »Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben … Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren …« (Römer 5,6-10).
Gott liebt offensichtlich selbst seine Feinde noch so grenzenlos, dass er von sich aus alle Grenzen überwindet und unternimmt, was eigentlich den Schuldigen zukäme. Damit aber gelten seine Zuwendung und Zuneigung nicht erst als Folge und Ergebnis der Versöhnung, sondern als der eigentliche Grund und die Voraussetzung seines versöhnenden Handelns.
Christus musste nicht sterben, damit Gott, der Vater, die Menschen lieben kann, sondern er starb für uns, weil Gott –