Zeitspiegel - Günter Wülfrath - E-Book

Zeitspiegel E-Book

Günter Wülfrath

0,0

Beschreibung

Zeitspiegel, Kurzgeschichten zwischen zwei Jahrhunderten. Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit Texten von einem Leben nach dem Deutschen Faschismus bis in die Zeit der Klimakatastrophen Anfang des 21. Jahrhunderts berichte ich. Die Erinnerungen an die eigene Kinder- und Jugendzeit und die tagtäglichen Ereignisse in der Welt fordern mich auf, meine Gedanken dazu aufzuschreiben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 87

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



© Günter Wülfrath

Gestaltung

Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit Texten von einem Leben nach dem Deutschen Faschismus bis in die Zeit der Klimakatastrophen Anfang des 21. Jahrhunderts möchte ich berichten.

Die Erinnerungen an die eigene Kinder- und Jugendzeit und die tagtäglichen Ereignisse in der Welt fordern mich auf, darüber zu berichten.

INHALTSVERZEICHNIS

VON FEUER ZU FEUER

DER WEG ZUR KRITIKFÄHIGKEIT

WEIHNACHTEN 1946

WEINACHTEN1949

PAUL'S NEUE FAMILIE UND EIN URLAUB….

LEHRZEIT

SOLIDARITÄT

GEDANKEN, NACHDENKEN, ÜBERDENKEN

GENERATIONENVERTRAG

FELIX UND DIE WEISE SONJA

WIE ICH EINER BLINDEN FRAU EIN BILD….

VON MOLLSEIFEN NACH ATTENDORN

DAS GERÄUSCH DER STILLE

Aus der durchschossenen Brieftasche von Pauls Vater

VON FEUER ZU FEUER

Als der zweijährige Paul in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1943 von durchdringendem Sirenengeheul aus dem Schlaf gerissen wird, kommt seine Mutter aufgeregt an sein Bett, hebt ihn heraus und kleidet ihn mit großer Hast an. Nachdem sie eine Tasche mit den wichtigsten Dokumenten in ihre Armbeuge gehängt hat, nimmt sie einen Beutel mit Bettwäsche über die Schulter, nimmt den kleinen Paul auf den Arm und eilt mit schnellen Schritten dem Luftschutzbunker in der oberen Erbschlöer Str. zu. Auf der Straße trifft sie sich mit Bewohnern aus der Umgebung, die mit ähnlichen Dingen wie sie bepackt sind. Auf Höhe der Brotfabrik Michel stehen die verängstigten Menschen und schauen in den Nachthimmel der von Leuchtraketen, sogenannten Christbäumen, erhellt wird. Paul, der das alles noch nicht verstehen kann, findet die Christbäume sehr schön und ist enttäuscht als sich die verängstigten Menschen in den Luftschutzbunker begeben.

In diesem Bunker, einer große Höhle im Berghang nordöstlich der Straße, befinden sich zwei Räume in denen die Menschen, überwiegend Frauen mit ihren Kindern, auf einfachen Bänken mit ihrer Angst und ihren Hoffnungen auf das Ende des Luftangriffes warten. Paul, der neugierig auf seinen kleinen Beinen durch den Bunker streift, bekommt von einer älteren Dame ein kleines Holzschiff geschenkt. Als er damit zu seiner Mutter zurück kommt, fragt diese, von wem er das denn bekommen hat. Als Paul ihr die nette alte Dame zeigt, stellt sich heraus, dass es die Frau ihres Lehrers Paul Deffke von der ehemaligen „Freien Schule“ Ronsdorf, ist.

Nach der Entwarnung in den frühen Morgenstunden des 30. Mai 1943 verlassen die Menschen den Bunker und werden von den Auswirkungen des Angriffs mit grausamer Härte getroffen. Paul und seine Mutter begeben sich mit vielen Anderen auf ein Feld im oberen Bereich der Lohsiepenstraße. Dieser Ort wird zum makaberen Aussichtspunkt auf das Inferno im bren-nenden Ronsdorf. Auch hier ist Paul nicht verängstigt sondern begleitet die Bilder des Schreckens mit seiner durchdringenden Kinderstimme „Feuer, Feuer, Feuer“, ruft er immer wieder und zeigt mit beiden Armen auf die lodernden Flammen.

Es war Ende Januar 1944, an einem Tag, an dem Pauls Mutter die Wohnung putzte, die Stühle standen auf dem Tisch, unter dem Paul spielte. Nach seiner, der Erinnerung eines Zweieinhalbjährigen, trat ein sehr großer, schwarz gekleideter Mann, nachdem er an die Tür geklopft hatte, in die Küche und Überbrachte die Nachricht, dass sein Vater am 10. Januar 1944 in Buda an der Ostfront gefallen war. Paul hat sich sehr erschreckt als seine Mutter ihn mit ernstem Gesicht in ihre Arme nimmt. Erst nach langer Zeit rinnen die Tränen bei seiner Mutter und Paul weint mit, weil er das alles nicht verstehen kann. Bis heute erinnert er sich an diese bedrückende Begebenheit.

Das der Krieg 1945 zu Ende war, erkannten die Menschen an der Lohsiepenstraße an den verlassenen Militärgerät-schaften an den Rändern der nahe gelegenen Wälder. Ihre Angst überwindend, schlichen sich Pauls Mutter und eine Nachbarin wie robbende Soldaten bis zu einigen verlassenen Pferdewagen. Aus den Riemen von erbeutetem Zaumzeug bekam Paul ein Paar Hosenträger. Am folgenden Tag sind auch die Pferdewagen ver-schwunden. Es gibt die Legende, dass ein Ronsdorfer Bäckermeister einen solchen Wagen zur Lieferung seiner Backwahren verwendet haben soll. Gleichgültig ob es so war oder nicht, es haben die Menschen den Kampf gegen die Mangelerscheinungen der Nachkriegszeit auf kreative Weise selbst in die Hände genommen.

Trotz aller Bemühungen und Sparsamkeit war eines Tages kein Brot mehr im Haushalt und Paul stand unter dem Fenster auf der Straße und rief seiner Mutter lautstark zu, dass er Hunger habe. Die Verzweiflung einer Mutter, welche den Hunger ihres Kindes nicht stillen kann, werden sich nur Menschen vorstellen können, die das Elend von Krieg und Not schon einmal erlebt haben. Als Pauls Rufen immer lauter wurde, hörte das der Nachbar Heuser, der in der Bäckerei Michel dienstverpflichtet war. Mit einem halben Mangbrot erlöste er Mutter und Sohn aus der Bedrängnis. Die Hilfe des Nachbarn in der Zeit der großen Not war ein Lichtblick und ein Zeichen goßer Menschlichkeit in der Nachkriegszeit.

Paul kann sich daran erinnern, dass sich in der gleichen Zeit, auf der dem Haus gegenüber liegenden Wiese, eine Herde von ca. 30 verletzten Militärpferden befunden hat. Paul hat noch lange das Bild eines Schimmels mit einem großen Loch in der Flanke vor Augen. Die Frauen aus der Nachbarschaft und seine Mutter versorgten die durstigen Tiere mit Wasser aus dem Brunnen des Hauses in dem Paul mit seiner Mutter wohnte.

Erst als Erwachsener kann Paul sich in die Schrecken des Krieges mit all seinem Elend hinein versetzen. Die mutigen Leistungen, vor allem der Frauen und Mütter während des Krieges und nach dessen Ende, erfüllen ihn bis heute mit allergrößte Hochachtung.

Zwei Jahre nach Kriegsende im April 1947 wurde Paul in die nicht zerstörte Schule Lilienstraße in Ronsdorf eingeschult. Über 40 Kinder saßen dort in alten zweisitzigen Holzpulten dem auf einer Bühne stehenden Pult, auch Katheder genannt, gegenüber. Die Lehrerin-nen und Lehrer waren die Caesaren in der Schularena. Zumindest kam es den Schülern so vor. Paul erinnert sich noch an sein erstes Diktat bzw. an seine Schwierigkeit den Buchstaben „œ“ zu schreiben. Der Lehrers hatte aber Worte mit „œ“, wie Schulœ, Händœ oder Liebœ, diktiert. Paul hat schlussendlich diesen Buchstaben ausgelassen, was ihm, wenn er schon Fehler machen musste, als das kleinere Übel erschien. Bei der späteren Besprechung des Diktats wurde ihm schnell klar, dass ein „e“ in der Lautsprache des Bergischen wie ein „œ“ klingt. Gegen Mittag eines Schultages wurde die so genannte Quäkerspeise aus großen Kübeln in die mitgebrachten Esskessel der Kinder verteilt. Wenn es ein ganz besonders guter Tag war, bekamen jeweils zwei Schüler einen Gutschein für eine Portion Erdnüsse, deren Verpackung aussah wie eine Schuhcremdose. Diese Gutscheine konnten in einem Geschäft für Haushaltswaren, an der Remscheider Straße eingelöst werden. Das aufteilen der Erdnüsse wurde sehr akribisch vorgenommen. Bei Paul und seinem Schulfreund Peter wurden, wie bei den meisten Schülern, die Erdnüsse zu gleichen Teilen abgezählt und wenn bei einer ungeraden Zahl von Nüssen eine übrig blieb, so wurde sie mit dem alten Fingerspiel „Ruck, Zuck, Schnuck“ dem Glücklichen Gewinner überlassen. Immer wenn Paul heute eine runde Dose für Schuhcreme sieht, fällt ihm diese Episode aus seiner Kinderzeit ein.

1953 Zehn Jahre nach dem schrecklichen Luftangriff auf Ronsdorf, acht Jahre nach der glücklichen Befreiung von Faschismus und dem furchtbaren Krieg ist Paul ein fröhlicher Junge, er wohnt immer noch in dem Haus Lohsiepenstraße 15 zwischen Gärten, Äckern und Wiesen. Seine Mutter Thea hat vor einiger Zeit ihren Hans geheiratet. Der zweite Vater ist für Paul ein riesiges Glück und wenn er diesen Vater mit den Vätern seiner Freunde vergleicht, kann er keine Fehler entdecken. Im Gegenteil, dieser Vater, der sich oft wie ein großer Bruder verhält, erreicht die Ziele seiner Erziehung bei Paul mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden und seiner warmen Zuneigung. Mit diesem Vater kann Paul über seine Probleme, seine Fragen und seine Wünsche sprechen, ohne das Gefühl zu haben lästig zu werden.

In dieser Zeit sind die Spiele der Jungen durch die Geschichten von Winnetou und Old Shatterhand geprägt. In Hölschens Wäldchen, das sich hinter den Gärten und am Rande einer Rinderweide erstreckt, ist das verwilderte Indianerland für die Kinder aus der oberen Erbschlöer- und Lohsiepenstraße. Hier gibt es keine Wege, also auch keine Spaziergänger, und der Bauer ist nur ganz selten zu sehen.

An einem Nachmittag bei wunderschönem Sommer-wetter sind Paul und ein paar Freunde im Wäldchen. Beim herumstreifen entdecken sie zwei nebeneinander liegende Bombenkrater. Diese Vertiefungen haben einen Durchmesser von ca. 4 Metern und sind sehr üppig mit langem, schon sehr trockenem, Waldgras bewachsen. Die Jungen schneiden mit ihren Messern und kleinen Beilen biegsame Äste zurecht. Die Äste werden rundum an den Rändern der Krater eingesteckt und dann in der Mitte über demselben zusammengebunden. Das so entstandene Gerüst ähnelt in den kindlichen Indianeraugen schon sehr einem Wigwam. Als die beiden Gerüste aufgebaut sind, wird jede Menge des trockenen Waldgrases darüber aufgeschichtet. So entstehen zwei Grashütten, in denen die „Indianer“ sich ausgesprochen gut, mutig und stark fühlen.

Aber wie das so ist, das anfänglich Neue wird zur Normalität und schließlich wird es langweilig. Unsere „Indianer“ entschließen sich passend zu ihrem kriegerischen Aussehen, Bogenschützen zu werden. Nach einiger Zeit haben Paul und seine Freunde tatsächlich ihre Bogen fertig und, nachdem sie auch noch jeder eine Anzahl Pfeile vorbereitet haben, beginnt das Bogenschießen. Zunächst werden einige Bäume zu Zielen erklärt und ein spannender Wettkampf nimmt seinen Lauf. Die hereinbrechende Dunkelheit macht den Jungen klar, dass sie ihre Zeit, weit über das erlaubte Maß hinaus, überschritten haben.

Paul denkt krampfhaft über einen Grund nach, welchen er als Entschuldigung seinen Eltern vortragen kann. Doch alles was er überlegt erscheint ihm nicht glaubhaft, so nimmt er sich vor, die Wahrheit zu berichten, dass er über dem Spielen mit seinen Freunden die Zeit einfach vergessen hat. Zwar schimpft seine Mutter, weil sie sich Sorgen um ihn gemacht hat, aber ihre Erleichterung mildert den Zorn über seine Verspätung doch erheblich.

Am folgenden Tag treffen wir unsere „Indianerhorde“ im schon bekannten Wäldchen. Ein Freund hat von seinem Vater, der in einer großen Gummifabrik arbeitet, eine Rolle aus schwarzem Isolierband bekommen. Ein Zweiter hatte einen Rest Petroleum aus dem Keller seines Vaters mitgebracht. Nun beginnen die Jungen mit entschlossenen Mienen ihre Pfeile an der Spitze mit schwarzem Isolierband zu