Zimtschnecke trifft Currywurst - Alltagsgeschichten aus Kopenhagen und Berlin - Linda Jule Johansson - E-Book

Zimtschnecke trifft Currywurst - Alltagsgeschichten aus Kopenhagen und Berlin E-Book

Linda Jule Johansson

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Beschreibung

Zimtschnecke trifft Currywurst?! - In diesem Buch treffen wir Jule, die uns aus ihrem Alltag in Kopenhagen (wo sie den Duft von Zimtschnecken liebt) und Berlin (wo sie gerne Currywurst isst) erzählt. Dabei wimmelt es von witzigen Kuriositäten und Fettnäpfchen, lustigen Begegnungen und Erkenntnissen, aber ebenso von nachdenklich stimmenden Momenten und Gesprächen, die Jule zutiefst bewegen. Durch ihre Alltagserlebnisse bringt Jule so einiges in Erfahrung: Warum manche Babys in Dänemark erstmal keinen Namen haben. Wieso in der Berliner U-Bahn plötzlich alle freiwillig ihren Platz aufgeben. Wie Hygge einem hilft, den dunklen Kopenhagener Winter zu überstehen. Was die E.Z.B. mit der großen Liebe zu tun hat. Wie es ist, gegen ein Smartphone konkurrieren zu müssen ... Aber vor allem versteht Jule es, uns humorvoll aus ihrem nicht immer ganz alltäglichen Alltag zu erzählen.

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Über das Buch

Zimtschnecke trifft Currywurst?! – In diesem Buch treffen wir Jule, die uns aus ihrem Alltag in Kopenhagen (wo sie den Duft von Zimtschnecken liebt) und Berlin (wo sie gerne Currywurst isst) erzählt. Dabei wimmelt es von witzigen Kuriositäten und Fettnäpfchen, lustigen Begegnungen und Erkenntnissen, aber ebenso nachdenklich stimmenden Momenten und Gesprächen, die Jule zutiefst bewegen. Durch ihre Alltagserlebnisse bringt Jule so einiges in Erfahrung: Warum manche Babys in Dänemark erstmal keinen Namen haben. Wieso in der Berliner U-Bahn plötzlich alle freiwillig ihren Platz aufgeben. Wie Hygge einem hilft, den dunklen Kopenhagener Winter zu überstehen. Was die E.Z.B. mit der großen Liebe zu tun hat. Wie es ist, gegen ein Smartphone konkurrieren zu müssen... Aber vor allem versteht Jule es, uns humorvoll aus ihrem nicht immer ganz alltäglichen Alltag zu erzählen.

Die Geschichten sind inspiriert von Erlebnissen im Alltag, wie wir ihn alle kennen. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig. Aber gewiss können wir die eine oder andere Begegnung in ähnlicher Form auch selbst erleben, wenn wir nur mit offenen Augen durch die Welt gehen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Liebe und Freundschaft

Unverheiratet in Dänemark

Freundschaft auf Zeit?

Traum in Weiß

Die Liebe und die EZB

Kapitel 2: (Gem)einsam

Gemeinsam und doch so einsam

#Sehnsucht #Heimweh

Einfach mal im Hier und Jetzt sein

#HoffnungslosRomantisch

Kapitel 3: Hygge und andere Alltagsverwirrungen

Lauter kleine Freuden

(Un)perfektes Timing

Namenlos

#DerFreiePlatz

Zimtschnecke trifft Currywurst

Hygge

Kapitel 4: Erwartungen und Alltagszwänge

Einmal so richtig „hip“ sein

Was machst du so?

#UnsGehtEsDochGut (aber eben doch nicht allen!)

Konsum-Glitzer

#GenerationPraktikum

Auf Wohnungssuche in Kopenhagen

Madeleine

Kapitel 5: Digitalisiert und optimiert

Kannst du mir mal 50 Cent überweisen?

#Multitasking #Analog #Digital

Tausend Lieblingslieder

#ÜberraschungImBriefkasten

Abhängig

LIEBE LESERIN UND LIEBER LESER,

Zimtschnecke trifft Currywurst – was soll der Titel dieses Buches bedeuten?

Die Zimtschnecke (oder kanelsnegl) steht für Dänemark. Jedes Mal, wenn ich in Kopenhagen ankomme und mir der süße Duft von Zimtschnecken und dänischem Gebäck entgegenschwebt, weiß ich: Jetzt bin ich wieder zurück in meiner nordischen Heimat!

Die Currywurst symbolisiert für mich Berlin. Wie oft habe ich bei Wind und strömendem Regen an einem Imbissstand verweilt, nur um eine leckere Currywurst mit einer ordentlichen Portion Pommes zu bekommen... Zugleich haben die Zimtschnecke und die Currywurst für mich eine ganz besondere Gemeinsamkeit: Ich verbinde sie mit meinem Alltag in Dänemark (die Zimtschnecke!) und in Berlin (die Currywurst!). Damit ist kein langweiliger Alltag gemeint, der von Monotonie und sich wiederholenden Abläufen geprägt ist. Im Gegenteil. Vielmehr spiegeln die folgenden Geschichten wider, dass der Alltag alles Andere als langweilig ist – mit seinen vielen spannenden Facetten, die uns tagtäglich aufs Neue begegnen: witzige Kuriositäten und Fettnäpfchen, lustige Begegnungen und Erkenntnisse, aber ebenso nachdenklich stimmende Momente und Gespräche, die einen zutiefst bewegen.

In diesem Buch erzähle ich Alltagsgeschichten, die in den drei Städten spielen, in denen ich die letzten 16 Jahre verbracht habe: in Aarhus und Kopenhagen (2001-2010) sowie Berlin (2010-heute).

Ich wünsche Euch und Ihnen viel Spaß beim Lesen! God læselyst!

Eure Jule

Kapitel 1

Liebe und Freundschaft

UNVERHEIRATET IN DÄNEMARK

Zeit: Irgendwann im Jahr 2008.

Ort: Wohnhaft in Kopenhagen, Dänemark.

Status: Plötzlich wieder Single.

„Was? Du bist 28 Jahre alt und jetzt wieder Single?“ Zutiefst schockiert sah meine dänische Bekannte mich an, als ich ihr die höchstdramatische Botschaft verkündete, dass ich mich von meinem damaligen Freund getrennt hatte.

„Ja, so ist das eben. Da kann man nichts machen. Es ist echt traurig, aber es hat leider nicht gepasst“, erwiderte ich schulterzuckend.

Das Entsetzen darüber, dass ich wieder Single war, schien bei meiner Bekannten so groß zu sein, dass sie mir sofort in schillernden Farben die Konsequenzen meines Handelns vor Augen führte: „Aber wie willst du es dann schaffen, Mutter zu werden, bevor du dreißig bist? Erst einmal musst du ja jemand Nettes kennenlernen, der überhaupt ein potenzieller Heiratskandidat sein könnte! Und dann kann es eine Weile dauern, bis du endlich schwanger wirst! Das wird mit dem Alter auch nicht leichter, wenn du erstmal dreißig bist!“

„Ach was“, sagte ich nur.

Gerade war ich vollends damit beschäftigt, mein Leben neu zu sortieren. Mögliche Komplikationen bei dem Versuch schwanger zu werden, erschienen mir gedanklich genauso weit weg wie eine Bergbesteigung des Kilimandscharo.

„In deinem Alter war ich bereits Mutter von zwei Kindern!“, legte meine Bekannte nach, um ihre Argumente zu untermauern. „Nachher findest du vielleicht keinen Mann mehr, mit dem du eine Familie gründen kannst!“

„Jetzt hör’ aber mal auf! Sooo alt bin ich nun auch wieder nicht!“, widersprach ich heftig. „Außerdem wäre es doch total blöd, wenn ich jemanden heirate, mit dem es nicht wirklich passt, nur um mit ihm Kinder zu bekommen und mich danach mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit von ihm scheiden zu lassen!“

„Mhm! Da hast du recht! So habe ich das noch gar nicht gesehen!“, meinte die Bekannte und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Da hast du einfach nur recht, Jule! Man kann es wirklich nicht erzwingen!“

Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass mich der Gedanke, den meine Bekannte vielleicht eine Spur zu direkt äußerte, natürlich auch schon gestreift hatte. Mir graute bereits vor meinem dreißigsten Geburtstag. Denn wenn ich es bis dahin nicht geschafft haben sollte zu heiraten (und es sah im Moment ganz danach aus, als ob dieses Horrorszenario tatsächlich eintreten würde!), müsste ich den Tag zwangsläufig als Pebermø – oder Pfefferjungfrau – begehen.

Der Brauch des Domtreppenfegens für unverheiratete dreißigjährige Männer in Norddeutschland ist absolut harmlos, wenn man ihn mit den Pfeffer- und Zimtattacken auf Singles in Dänemark vergleicht! In Bremen müssen unverheiratete Männer die Treppe vor dem Bremer Dom fegen, bis eine Jungfrau kommt und sie küsst. Selbst eine feste Freundin zählt in diesem Fall nicht – und auch eine handfeste Verlobung gilt nur im begründeten Ausnahmefall als Entschuldigung, um von dem Fegeritual verschont zu bleiben. Und dennoch: Treppenfegen ist eine Tätigkeit, die zwar nicht sonderlich angenehm sein mag, einem aber wahrlich nicht die Kleider versaut oder gar Tränen in die Augen treibt!

In Dänemark – einem Land geprägt von seiner Historie mit den rauen Wikingern – sieht das etwas anders aus. Was den Umgang mit Singles betrifft, sind die Dänen wirklich nicht zimperlich. Bereits im zarten Alter von 25 Jahren müssen Männer und Frauen – so viel Gleichberechtigung muss sein! – eine Zimtattacke über sich ergehen lassen, wenn sie es bis dahin nicht geschafft haben, unter die Haube zu kommen. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass dieses Schicksal reihum meinen gesamten Freundeskreis im Studentenwohnheim ereilte. Der Vorteil daran war aber, dass wir vergleichsweise gnädig miteinander umgingen. Die softe Variante der „Zimt-Tradition“ – oder kaneltradition, wie es auf Dänisch so schön heißt – ist das Bestreuen des Hauptes mit einem Zimtstreuer.

Einen Mitbewohner erwischte allerdings die Hardcore-Variante: Er hatte des Nachts vergessen, seine Zimmertür abzuschließen (beziehungsweise: eigentlich schloss er sie so gut wie nie ab, im guten Glauben an unsere nette Wohngemeinschaft), und wurde am nächsten Morgen hustend wach, als seine Mitbewohner einen halben Eimer voll Zimt über ihm ausleerten.

„Pass’ bloß auf, wenn du 25 wirst, Jule!“, meinte er damals zu mir und hob dabei warnend den Zeigefinger. „Und trage an deinem 25. Geburtstag nur alte Klamotten, die du danach wegschmeißen kannst! Ich hatte blöderweise ein helles T-Shirt an, als unsere Mitbewohner zur Zimtattacke hereingestürmt kamen. Die Farbe von dem Zimt kriegst du nie wieder raus, das ist einfach nur nervig!“

Manchmal wird die Zimtdusche auch mit Vorwarnung durchgeführt. Wenn einen die Freunde am 25. Geburtstag höflich fragen „Na, magst du nicht mal mit rauskommen? Wir haben dir auch einen bequemen Stuhl zum Sitzen hingestellt?“, kann man sich mental auf den nächsten Zimtregen vorbereiten. Auch bei Besuchen in unserer Wohnheimsbar mussten wir stets darauf gefasst sein, dass irgendeine Geburtstagsgesellschaft mit Zimtbeuteln unterwegs war. Zuweilen werden Außenstehende freudig aufgefordert, ordentlich in den Zimtbeutel zu langen und auf diese Weise an der Ausführung des Rituals teilzuhaben.

Die Tradition ist über die Jahre immer populärer geworden. Erst neulich habe ich eine Seite im Internet entdeckt, auf der man sich einen Zimt-Feuerlöscher inklusive Schutzbrille und Schutzhandschuhe bestellen kann. Allerdings sind die Meinungen darüber sehr geteilt, wie weit man mit diesem Ritual tatsächlich gehen darf. Ab einem gewissen Punkt ist eine Zimtdusche einfach nicht mehr lustig!

Mit dem dreißigsten Geburtstag als Single erfolgt eine Art Upgrade der Bestrafung von Zimt zu Pfeffer: Die Pebermø – die Pfefferjungfrau – und der Pebersvend – der Pfeffergeselle – bekommen eine gehörige Portion Pfeffer ab. Wenn man nette Freunde hat, beschränkt sich die Ausübung der Tradition auf die Übergabe eines riesengroßen Pfefferstreuers (am liebsten in dänischem Design!), sodass man ihn später gut im Haushalt bei einem kulinarischen Koch-Event einsetzen kann. Im ungünstigeren Fall wird der Pfeffer in großzügigen Portionen und von allen Seiten auf das Geburtstagskind geworfen, bis allen die Augen tränen und auch die herumstehenden Freunde nur noch am Husten sind!

Ich war zutiefst belustigt und schockiert zugleich, als ich so einer pebertradition das erste Mal unfreiwillig beiwohnte. An dem Tag wurde ich zarte 22 Jahre alt und feierte meinen Geburtstag in Aarhus in einem Studentenwohnheim. In den frühen Morgenstunden gingen meine Freunde und ich in unsere Wohnheimsbar, um dort das Tanzbein zu schwingen. Mittendrin spürte ich auf einmal, wie meine Augen zu tränen begannen – und ich hatte einen beißenden Geruch von Pfeffer in der Nase, der mir schier unerklärlich erschien. Aber dann sah ich es! Oder besser gesagt ihn!

Mitten in der Bar stand ein halbnackter Student, der sich mit Unmengen von Wasser übergoss, nachdem jede Menge Pfeffer von seinen Freunden auf ihn abgefeuert worden war. Die Leute standen um ihn herum, lachten und gröhlten, während sich das Geburtstagskind mehrerer Kleidungsstücke entledigte, die logischerweise allesamt voller Pfeffer waren – bis er am Ende splitternackt da stand.

„Was ist denn hier los?“, fragte ich damals ungläubig.

„Na, was wohl? Der Mann hat seinen dreißigsten Geburtstag und ist immer noch unverheiratet!“, erklärte mir mein Kumpel Olav, als ob es die normalste Sache auf der Welt sei.

In dem Moment beschloss ich, mit dreißig auf jeden Fall verheiratet zu sein – oder Dänemark vor meinem dreißigsten Geburtstag fluchtartig zu verlassen.

Anmerkung zum Schluss: Es kommt immer anders, als man denkt! An meinem dreißigsten Geburtstag war ich natürlich nicht verheiratet, konnte aber dennoch getrost in Dänemark wohnen bleiben. Manchmal reicht es aus, nette Freunde zu haben, die sich auf das Verschenken von Zimt- und Pfefferstreuern beschränken. Solche Geschenke sieht man in einem völlig neuen Licht, wenn man die dänischen Geburtstagstraditionen kennt! Also: Falls jemand aus Dänemark Euch zum dreißigsten Geburtstag einen Pfefferstreuer schenkt, könnt Ihr Euch sicher sein, dass es garantiert eine sehr gut gemeinte Geste war – und kein langweiliges Geschenk mangels Ideenreichtum!

Die malerische Flusspromenade am Aarhus Å, der sich in sanften Windungen durch das Stadtzentrum schlängelt. Aarhus ist im Jahr 2017 Kulturhauptstadt Europas, wodurch verdens mindste storby (die kleinste Großstadt der Welt, wie sich Aarhus gerne nennt) noch mehr Besucher erwartet als sonst. Das Foto habe ich bei einem Besuch 2016 gemacht, als nach einem Regenschauer plötzlich die ersten Sonnenstrahlen durchkamen.

FREUNDSCHAFT AUF ZEIT?

Zeit: Irgendwann im Jahr 2007.

Ort: Wohnhaft in Kopenhagen.

Status: In einer Beziehung, aber alleine auf einer Party.

Es war auf einer Party im Jahr 2007. Irgendwann an einem Samstagabend. Irgendwo in Kopenhagen. Dort traf ich Palle.

Palle schien ein aufgeweckter Zeitgenosse zu sein, er war naturwissenschaftlich sehr beleckt und extrem selbstbewusst. Zudem verfügte er über ein ausgeprägtes Bedürfnis, zu allen möglichen Themen seine Meinung lautstark kundzutun.

Nachdem wir uns eine Weile angeregt unterhalten hatten, meinte er plötzlich: „Du, Jule, nimm’s bitte nicht persönlich, wenn ich das jetzt sage: Auch wenn wir uns gerade sehr nett unterhalten, werde ich mich nicht mit dir anfreunden und auch keine Zeit investieren, dich näher kennenzulernen. Ich denke, das solltest du von Anfang an wissen, damit du keine falschen Erwartungen hegst!“

„Äh, wie bitte? Was bitte?“ Irritiert sah ich Palle an.

Bislang war unser Gespräch super verlaufen. Da Palle bereits verheiratet war und zwei Kinder hatte, wäre ich ohnehin nicht auf die Idee gekommen, dass sich zwischen uns beiden etwas Romantisches anbahnen könnte. Aber bei naturwissenschaftlichen Themen schien Palle echt viel drauf zu haben, sodass es riesigen Spaß machte, mit ihm zu diskutieren. Wie kam er jetzt dazu, aus dem blauen Dunst heraus solch eine Bemerkung zu machen?

„Es ist wirklich nicht persönlich gemeint“, beteuerte Palle nochmals, „aber du kommst aus Deutschland.“

„Das stimmt“, bestätigte ich und sah ihn dabei verwundert an.

„Und das bedeutet, dass du mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann wieder abdüsen wirst, zurück in deine Heimat“, erklärte Palle, „deshalb möchte ich keine Zeit damit verschwenden, den Kontakt zu dir zu intensivieren, wenn du Dänemark sowieso wieder verlässt!“

Ich japste nach Luft.

So etwas war mir ja noch nie passiert!

„Das ist nicht dein Ernst, Palle, oder?!“, fragte ich, halb belustigt und halb entsetzt. Es musste sich dabei um einen schlechten Scherz handeln!

„Doch, das ist mein Ernst“, antwortete Palle und sah mich dabei freundlich lächelnd an, als ob er kein Wässerchen trüben könnte.

Ich musste schwer schlucken.

Es ist schon faszinierend. Da fühlst du dich in einem Land wie Dänemark zu Hause, beherrschst die Sprache fließend, hast einen super-netten Freundeskreis, liebe Kollegen, bist bestens integriert... und dann triffst du auf einer Party einen seltsamen Typen, der dich – krawumm! – mit einem Schlag in die Schublade der „Andersartigen“ katapultiert. Was bildete sich dieser Palle eigentlich ein, dass er eine Freundschaft mit mir ausschloss, nur weil ich Ausländerin war? Glaubte er, dass Dänen per se die besseren Freunde sind? Wenn er so von Vorurteilen besessen war, konnte er mir ohnehin gestohlen bleiben. Denn eines stand für mich fest: Dieser Palle musste ein sehr berechnender Typ sein!

„Das klingt nach einer krassen Kosten-Nutzen-Analyse, die du bei deinen Freundschaften anwendest!“, sagte ich zu Palle. „Du hast wohl selbst noch nie längere Zeit im Ausland gelebt, oder?“

„Nee, das habe ich tatsächlich nicht! Aber ich bin viel herumgereist. Du darfst mich nicht falsch verstehen, Jule, ich habe nichts gegen Ausländer!“, erklärte Palle im Brustton der Überzeugung und schaute mir dabei tief in die Augen. „Aber mein Leben ist bereits völlig ausgefüllt. Ich habe meine Frau und meine Kinder, die mir irre viel Zeit abverlangen – und dann ist da natürlich noch mein Job, der ebenfalls viel Raum einnimmt. Ich schaffe es ja kaum, meine Freunde aus der Kindheit und vom Studium hier in Kopenhagen zu treffen. Wie soll ich es da hinkriegen, neue Menschen in mein Leben zu integrieren?“

Okay, immerhin schien dieser Palle nichts gegen Ausländer an und für sich zu haben. Das war doch schon mal etwas. Dennoch fand ich es schwer, seine Einstellung nicht persönlich zu nehmen. Obwohl ich ökonomische Theorie sehr spannend finde, war mir dieser berechnende Ansatz bei Freundschaften völlig fremd. Denn ist es bei Liebe und Freundschaft nicht gerade das Besondere, dass es ausnahmsweise mal nicht (nur) um individuelle Nutzenmaximierung geht?

„Na ja, ich kann verstehen, dass deine zeitlichen Ressourcen mit Familie und Job sehr begrenzt sind“, sagte ich zu Palle, „aber neue Freundschaften kategorisch auszuschließen, finde ich höchst seltsam! Es kann so schön und bereichernd sein, neue Menschen kennenzulernen! Selbst wenn sie irgendwann einmal wegziehen! Außerdem hast du bei deinen Freunden aus der Kindheit auch keine Garantie, dass sie für immer in Kopenhagen wohnen bleiben!“

„Da hast du recht“, stimmte Palle mir zu, „aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie bleiben, ist signifikant höher! Viele von ihnen haben sich eine Wohnung gekauft, weil sie Kopenhagen nie verlassen wollen. Außerdem habe ich eine sehr enge Bindung zu meinen Freunden aus der Kindheit, weil ich sie bereits seit vielen Jahren kenne. So eine Bindung müsste ich zu neuen Menschen erst einmal mühsam aufbauen. Und dafür habe ich einfach keine Zeit! Ich mag keine oberflächlichen Beziehungen!“

An diesem Samstagabend bin ich sehr betrübt, als ich wenige Stunden später die Party verlasse und die S-Bahn nach Hause nehme. Jetzt, wo ich alleine bin, muss ich unweigerlich immer wieder an mein Gespräch mit Palle denken.

Um mich herum sitzen lauter junge Leute, meist in Gruppen. Viele von ihnen sind sich laut am Unterhalten, am Lachen und am Herumblödeln. Es sind garantiert viele Studenten dabei.

Gewiss werden einige von ihnen noch weiterziehen, um in einem der angesagten Kopenhagener Nachtclubs das Tanzbein zu schwingen.

Plötzlich muss ich an meine Studienzeit in Aarhus denken. Wie viele meiner Freunde von damals sind bislang nach Kopenhagen gezogen?

Gerade mal einer: Milluk.

Und das hat sich als wahrer Glücksfall erwiesen.

Milluk und ich haben im gleichen Wohnheim in Aarhus gelebt und uns dort binnen kürzester Zeit so eng angefreundet, dass er für mich fast wie ein Bruder war. Wenn ich für Klausuren lernte, brachte Milluk mir leckere Smoothie-Variationen vorbei, die er mit seiner phänomenalen Saftpresse stets neu kreiert hatte. Wir quatschten unzählige Nächte durch und waren auch in Krisensituationen füreinander da. Irgendwann entschied sich Milluk, für die Fortsetzung seines Studiums nach Kopenhagen zu ziehen. Ich hatte noch ein halbes Jahr Studium in Aarhus vor mir.

„Vi ses i København! Wir sehen uns in Kopenhagen!“, haben wir zum Abschied gesagt – denn damals war ich bereits stark von der Hoffnung getragen, nach dem Studium einen Job in Kopenhagen zu finden. Aber ich hatte natürlich keinen blassen Schimmer, ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen oder es mich ganz woanders hin verschlagen würde. Aber selbst wenn ich nicht nach Kopenhagen gezogen wäre, die Freundschaft mit Milluk in Aarhus hätte ich nicht missen wollen!

Heute sind wir so gut vernetzt, dass eine Freundschaft nicht automatisch aufhören muss, nur weil jemand wegzieht. Sie wird anders. Gewiss. Vielleicht weniger intensiv. Aber wenn beide Seiten es wirklich möchten, lässt sich eine Freundschaft auch über die Distanz aufrechterhalten.

Und zu manchen Menschen gibt es diese wundersame Verbindung, dass man sich sofort und immer etwas zu erzählen hat – auch wenn seit dem letzten Treffen Monate oder gar Jahre ins Land gegangen sind. Denn dieses unbeschreibliche Band der Freundschaft ist einfach da. Vielleicht sind das seltene Fälle, aber es gibt sie. Und ich würde sie nicht missen wollen!

Die Studenten um mich herum im S-Bahn-Abteil sind immer noch am Lachen. Sie scheinen sich prächtig zu amüsieren.

Ich krame aus meiner Handtasche mein Handy hervor und schreibe spontan eine SMS an Milluk: „Hast du Zeit und Lust, dass wir uns morgen Abend treffen und bei mir zu Hause gemeinsam kochen?“

Als Milluk nach kurzer Zeit „Ja tak, det vil jeg gerne!“ antwortet, spüre ich, wie mich eine Welle der Freude durchströmt. Und ich bin mir sicher, dass Milluk morgen wieder seine Saftpresse mitbringen wird. Er hat nämlich neulich erwähnt, dass er ein ganz tolles, neues Rezept für einen Strawberry Daiquiri entdeckt hat.

Anmerkung zum Schluss: Abschied von Freunden, wenn man eine Stadt oder ein Land verlässt, tut immer weh. Aus praktischer eigener Erfahrung halte ich Palles seltsame Theorie von zeitlich begrenzten Freundschaften, die sich nicht lohnen, trotzdem eindeutig für widerlegt! Denn dafür habe ich zu viele Freundschaften als „Fernbeziehungen“, die bereits seit Jahren halten – und die alle Beteiligten immer noch glücklich machen. Und manche Freunde kehren ja auch nach vielen Jahren auf einmal in das eigene Alltagsleben zurück, zum Beispiel, wenn sie plötzlich nach Berlin ziehen!

TRAUM IN WEIß

Zeit: Irgendwann vor einigen Monaten oder Jahren.

Ort: Wohnhaft in Berlin.

Status: Glücklich.

Häufig sieht man sie in großen Parkanlagen oder an besonderen Orten, wie beispielsweise dem von Säulengängen umsäumten Kolonnadenhof der Museumsinsel… dort stehen sie dann, posieren, lächeln und werfen dem Mann oder der Frau hinter der Kamera schmelzende Blicke zu. Die Rede ist von Brautpaaren, wie es sie in Berlin gefühlt tausendfach gibt!

In den Zeiten von Social Media sollen die Hochzeitsbilder diesen einmaligen, wundervollen Tag im Leben des jungen Paares (die Scheidungsstatistiken wohlweislich ignorierend!) möglichst natürlich, authentisch, sensibel, romantisch, detailverliebt und kunstvoll wiedergeben. Und das alles am besten gleichzeitig! Schließlich werden – zusätzlich zu den geladenen Gästen im Real Life – unglaublich viele Friends und Follower auf Facebook, Instagram, WhatsApp und anderen Kanälen an der Hochzeit teilhaben! Die private Hochzeit wird zum inszenierten (sozialen) Medien-Event!

Und wahrscheinlich sitzen viele Single-Frauen an einsamen Regentagen seufzend vor ihren abonnierten Instagram-Konten und denken: Ach, wie schön! Wenn ich doch bloß auch endlich den richtigen Mann zum Heiraten finden würde!!!

Manchmal läuft es aber auch ganz anders. Und zwar im Real Life.

Vor drei Jahren war ich auf einer Hochzeit – in einem eleganten Hotel, natürlich irgendwo mitten in der Pampa – und nahm gerade an dem mir zugewiesenen Tisch Platz, als der Mann rechts neben mir plötzlich meinte: „Oh, deine Handtasche ist aber schön! Ist die von der Marke Lovelychild?“

„Ja, stimmt!“, sagte ich überrascht.

„Hi, ich bin Danny“, stellte sich der junge, etwas korpulente Herr grinsend vor, „das ist echt lustig mit dieser Hochzeit! Vor fünf Jahren habe ich sowas auch schon erlebt, bei meiner eigenen Hochzeit, und dachte, es hält mit meiner Mausi für immer!“

„Und jetzt?“, fragte ich ihn.

„Ich bin seit zwei Jahren geschieden“, erklärte der junge Mann und zwinkerte mir zu.

Ich musste grinsen. Immerhin hatte er Sinn für Humor!