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Der Partizipation wird weitgehend undifferenziert ein demokratieförderndes Potenzial zugeschrieben. Esther Dorn-Fellermann geht in ihrer qualitativen Studie dieser Annahme in einem Umfeld nach, das sich noch in der zivilgesellschaftlichen Konsolidierung befindet: Sie analysiert fünf Community Radios in Südafrika und führt Interviews und Gruppendiskussionen mit Akteuren durch. Zunächst wird der Begriff Zivilgesellschaft vor allem mit Blick auf die notwendigen VorausSetzungen für ein zivilgesellschaftliches Engagement in demokratieorientierten partizipativen Medien diskutiert. Die folgende Beschreibung der Entwicklung des Radios als partizipatives Medium führt zu einem Idealtypus von Community Radio, der im Sinne von Max Weber dazu dienen soll, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit aufzuzeigen. Die Nähe dieses Ideals zu den VorausSetzungen für ein zivilgesellschaftliches Engagement, ermöglicht eine Zusammenführung der beiden Konzepte. So kann die partizipative Medienarbeit in Community Radios unter bestimmten VorausSetzungen als demokratieförderndes, zivilgesellschaftliches Engagement bezeichnet werden. Die Arbeit fokussiert die Mitarbeiter der Community Radios. Sie befasst sich mit dem Erleben der normativen Ansprüche an zivilgesellschaftliches Engagement und deren Einordnung durch die Akteure in ihrem Sendealltag.
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Für Jörg
Abkürzungen
Einleitung
1 Zivilgesellschaftliches Engagement durch Medien
1.1 Zivilgesellschaft: Problematik des Konzepts
1.1.1 Versuch einer Begriffsabgrenzung
1.1.2 Zugänge zum Konzept Zivilgesellschaft
1.2 Medien in demokratischen Zivilgesellschaften
1.2.1 Zur Rolle der Medienakteure
1.2.2 Zur Bedeutung der Medienkommunikation für gemeinschaftliches Handeln
1.2.3 Definition: Zivilgesellschaftliches Engagement durch partizipative Medien
2 Radio als partizipatives Medium
2.1 Theoretische Zugänge zum Medium Radio
2.1.1 Merkmale eines akustischen Mediums
2.1.2 Medien- und gesellschaftskritische Ansätze in der Radiotheorie
2.2.3 Demokratierelevante Merkmale des Radios
2.2 Das Medium Radio in sich wandelnder Medienumgebung
2.2.1 Veränderte Rezeption der Radioangebote
2.2.2 Soziale, kulturelle und politische Funktionen des Radios
2.2.3 Programmelemente und Programmstruktur
2.3 Entwicklung eines alternativen Radioverständnisses
2.3.1 Das Entstehen einer Gegenöffentlichkeit
2.3.2 Nichtkommerzielle Radioprogramme
2.3.3 Erste Community Radios auf dem afrikanischen Kontinent
2.4 Das Community-Radio-Konzept
2.4.1 Der Gemeinschaftsbegriff
2.4.2 Idealtypus und Merkmale von Community Radios
2.4.3 Community Radios als Orte der politischen Bildung
2.4.4 Nachhaltigkeit als besondere Herausforderung
3 Zivilgesellschaftliches Engagement in der südafrikanischen Transformation
3.1 Zivilgesellschaftliche Akteure in den Transformationsphasen
3.1.1 Gewerkschaften
3.1.2 Nichtregierungsorganisationen
3.1.3 Kirchen
3.1.4 Rundfunk und Printmedien
3.2 Zivilgesellschaftliches Engagement in den Konsolidierungsphasen
3.2.1 Konstitutionelle und integrative Konsolidierung
3.2.2 Repräsentative Konsolidierung
3.2.3 Zivilkulturelle Konsolidierung
3.3 Transformation des südafrikanischen Mediensystems
3.3.1 Legislative und strukturelle Ebene der Transformation
3.3.2 Ökonomische Rahmenbedingungen
3.3.3 Medienpolitische Rahmenbedingungen: Staat und Machteliten
3.4 Zwischenfazit
4 Radio in Südafrika: Die Rahmenbedingungen
4.1 Mediennutzung in Südafrika
4.2 Die drei Säulen des südafrikanischen Rundfunksystems
4.2.1 Public Service Broadcasting: die SABC
4.2.2 Kommerzieller Rundfunk in Südafrika
4.2.3 Community Radios als dritte Säule
5 Zivilgesellschaftliches Engagement durch Community Radios
5.1 Fragestellung und methodisches Vorgehen
5.1.1 Die Gruppendiskussion: Verfahren und Durchführung
5.1.2 Interviews und Strukturanalyse: die Untersuchungskategorien
5.1.3 Die Untersuchungsregion: das Eastern Cape
5.2 Ergebnisdarstellung der Gruppendiskussion
5.2.1 Community und Community Radio zwischen Ideal und Realität
5.2.2 Das Dilemma mit dem freiwilligen Engagement
5.2.3 Verantwortung für die Umsetzung des Community-Radio-Konzepts
5.3 Strukturanalyse der untersuchten Radiostationen
5.3.1 Khanya.fm
5.3.2 Kowie.fm
5.3.3 Link.fm
5.3.4 Mdantsane.fm
5.3.5 RhodesMusicRadio
5.4 Auswertung der Interviews
5.4.1 Entscheidungs- und Arbeitsprozesse: Partizipative Strukturen
5.4.2 Zugang, Repräsentation und Finanzierung: Transparente Strukturen
5.4.3 Vermittlung von Medienkompetenz
5.4.4 Bildung, Unterhaltung, Information: Umsetzung des Programmauftrags
5.4.5 Lokalität und Sprache: Bezug zur Community
6 Chancen und Grenzen partizipativer Medienarbeit in Südafrika
6.1 Herausforderungen bei der Umsetzung
6.1.1 Zwischen öffentlichem und privatem Rundfunk
6.1.2 Finanzielle, soziale und institutionelle Nachhaltigkeit
6.1.3 Inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit
6.1.4 Das Community-Verständnis
6.2 Chancen zur Demokratisierung durch Community Radios
6.2.1 Zwischen Interaktion mit Medieninhalten und Partizipation im oder durch das Medium Radio
6.2.2 Erwerb von Schlüsselkompetenzen
6.3 Grenzen des Community-Radio-Konzepts
7 Schlussbetrachtung und Ausblick
Anhang
Liste der Interviewpartner
Interviewleitfaden
Living Standard Measure (LSM) South Africa, Juni 2011
Eastern Cape Index of Multiple Deprivation 2001
Literatur
»A critical, independent and investigative press is the lifeblood of any democracy. The press must be free from state interference. It must have the economic strength to stand up to the blandishments of government officials. It must have sufficient independence from vested interests to be bold and inquiring without fear or favour. It must enjoy the protection of the constitution, so that it can protect our rights as citizens« (Nelson Mandela 1994).
Freie und unabhängige Medien werden als wichtiger Bestandteil funktionierender Demokratien angesehen. Zu ihnen gehören dem Konzept nach auch die Community Radios, die im Fokus dieser Arbeit stehen. Den partizipativ organisierten Community Radios, die in zivilgesellschaftlichen Bewegungen verankert sein sollen (vgl. WSIS 2003: 15), wird dabei ebenso wie zivilgesellschaftlichen Akteuren weitgehend undifferenziert ein demokratieförderndes Potenzial zugeschrieben. Hier soll dieser Annahme in einem Umfeld nachgegangen werden, welches sich noch in der zivilkulturellen, demokratischen Konsolidierung befindet.
Der Begriff Community appelliert an Ähnlich- und/oder Gemeinsamkeiten. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang stellt sich gleich zu Beginn, nämlich, ob es diese Gemeinsamkeiten in der Realität tatsächlich gibt und ob sich daraus ein verbindendes Element für die Arbeit im Radiosender ableiten lässt. Im Sinne des Community-Radio-Konzepts wäre dies idealerweise ein gemeinsames Interesse über das Medium Radio an gesellschaftlichen und/oder politischen Diskursen teilzunehmen.
Trotz einer konstant hohen Nutzungszeit findet das Radio in der medienwissenschaftlichen Forschung und Lehre vergleichsweise wenig Beachtung. Dabei hat – gerade in den weniger entwickelten Ländern dieser Welt – das Radio einen besonderen Stellenwert: Zum einen wegen der im Vergleich zu Fernsehen und Printmedien kostengünstigeren Produktion und einfacheren Handhabung, zum anderen wegen seiner mündlichen Übertragung, die es angesichts hoher Analphabetenraten in vielen Gesellschaften und Kulturen eine wichtige und emanzipatorische Rolle mit Blick auf Zugang zu Informationen, juristische Aufklärung und bei der Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen spielen lässt (vgl. Settekorn/Kannengießer 2007: 10).
Es davon ausgegangen, dass sich die demokratisierende Wirkung eines partizipativ organisierten Community Radios vor allem bei den Akteuren im täglichen Sendebetrieb durch den Erwerb von Medienkompetenzen sowie durch die Auseinandersetzung über inhaltliche und organisatorische Fragen entfaltet. Die Auswirkungen des Programms bei den Hörern sind grundsätzlich schwer nachzuweisen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch andere Medien genutzt wurden. Sie können aufgrund fehlender belastbarer Zahlen im Untersuchungsland zudem nicht belegt werden. Die Hörerschaft wird daher vor allem über ihre Beteiligung am Programm in die Untersuchung miteinbezogen.
Zudem wird angenommen, dass sich Community Radios für politische Partizipation in besonderer Weise eignen. Hier wird in lokalen Arenen agiert, das Engagement macht eine Anwesenheit vor Ort erforderlich. Anders als im Internet müssen die Aushandlungsprozesse von Angesicht zu Angesicht geführt werden. Ein respektvolles Miteinander im Einstehen für die gemeinsame Sache ist ein normativer Anspruch an die partizipative Medienarbeit, welcher sich in Radiostationen leichter entwickeln kann.
Mit der neuen seit 1997 geltenden Verfassung verbinden sich hohe Ansprüche an die südafrikanische Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf Antidiskriminierung, die nicht nur die Hautfarbe betreffend geregelt ist, sondern auch andere Gruppen einschließt, die bisher wegen ihres Glaubens, ihrer sexuellen Neigungen, ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft benachteiligt wurden. Damit stellen sich Herausforderungen an die Akteure in den Stationen, nicht nur mit Blick auf die Aufarbeitung in der Vergangenheit erlebter Ungerechtigkeiten, sondern auch in der Auseinandersetzung mit autoritären Strukturen mancher afrikanischer Traditionen und Kulturen. Diese Anforderungen werden insbesondere an diejenigen gestellt, die aufgrund eines bisher mangelnden Zugangs zu Bildung und Information dafür am wenigsten gerüstet zu sein scheinen. Die Gefahr einer aus Überforderung entstehenden Frustration ist dabei nicht zu unterschätzen. Aufgrund der unvollständigen Transformation des südafrikanischen Mediensystems haben sich die Akteure zusätzlich mit (medien-)politischen, finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen, die nicht den eingangs zitierten Anforderungen Mandelas entsprechen und eine Umsetzung des Community-Radio-Konzepts erschweren.
Die Entwicklung der Community Radios in Südafrika begann mit ersten illegalen Sendungen zu Beginn der 1990er Jahre und ist mit Blick auf die Institutionalisierung auf dem afrikanischen Kontinent beispiellos. Die Untersuchung dieser Stationen und ihres möglichen Beitrags zur Demokratisierung in einem Land, in dem das Radio im Untersuchungszeitraum noch als meistgenutztes Massenmedium galt, in dem Community Radios als dritte Säule des Mediensystems etabliert sind und welches sich seit 1997 in der zivilkulturellen Konsolidierung der Demokratie befindet, erscheint als besonders fruchtbar für die Beschreibung der Chancen und Grenzen dieses partizipativen Medientyps.
Dafür wurde die Organisation von fünf ausgesuchten Community Radios beschrieben und untersucht, inwiefern diese dazu beiträgt, innerhalb ihrer selbst demokratische Kompetenzen durch zivilgesellschaftliches Engagement zu erwerben und zu entwickeln. Die Auswahl wurde auf Grund der Definition als geografische bzw. Interessen-Communities unter Berücksichtigung der je nach Region bedingten erheblichen sozialen Unterschiede getroffen. Die ausgewählten Stationen befinden sich in der Provinz Eastern Cape in einem Umkreis von ca. 200 km von East London.
Der Fokus der Untersuchung richtete sich auf die Stationen selbst und vor allem auf deren Mitarbeiter. Es wurden Leitfadeninterviews mit den verantwortlichen Leitern der fünf ausgewählten Stationen wie auch – soweit möglich – mit je einem dort tätigen Volunteer geführt. Vor allem eine Gruppendiskussion mit Leitern von weiteren Stationen aus der Provinz hat gezeigt, wie schwer sich nicht nur die untersuchten Stationen mit der Umsetzung des Community-Radio-Konzepts tun. Somit konnten Erfahrungen aus neun von achtzehn Radiostationen am Eastern Cape berücksichtigt werden. Es handelt sich um eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Forschung (vgl. Flick 2000: 255). Die fünf Stationen wurden im November/Dezember 2011 besucht; aus dieser Zeit stammt auch das gesamte in dieser Arbeit verwendete Datenmaterial. Die ausgewählten Stationen haben mit unterschiedlichen Herausforderungen zu kämpfen, dennoch eint sie alle das Bestreben in derselben südafrikanischen Provinz unter vergleichbaren medienpolitischen Rahmenbedingungen, ein Konzept mit Anspruch auf eine demokratierelevante Wirkung umzusetzen. Dieser Anspruch gilt gleichermaßen für die Mitarbeiter in den Stationen wie auch für die Hörer. Die Stationen wählen für die Umsetzung jedoch unterschiedliche Methoden und Herangehensweisen.
Community Radios haben mit Fluktuation der Mitarbeiter und mit einer oft nur schwer zu realisierenden Nachhaltigkeit ihrer Arbeit zu kämpfen. Daher wurden neben den Leitfadeninterviews auch Dokumente wie Satzungen, Leitfäden, Lizenzen, Sendeschemata etc. gesammelt, die bestimmte Regeln für den Sendebetrieb festhalten und deren Inhalte ebenfalls in die Untersuchung mit eingeflossen sind. Community Radios bieten laut Konzept allen Mitgliedern der Community einen Zugang zum Medium. Sie werden hier sowohl als mögliche Plattform für den Austausch und die Verbreitung von Ideen betrachtet wie auch als Orte untersucht, an denen eine Förderung der Demokratie durch zivilgesellschaftliches Engagement ermöglicht wird.
Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile. Der Annahme folgend, dass nur nach außen vermittelt werden kann, was innerhalb der Stationen aus Überzeugung umgesetzt wird, wurden deduktiv aus den charakteristischen Merkmalen der Community Radios sowie den normativen Ansprüchen an ein zivilgesellschaftliches Engagement in partizipativen Medien zunächst fünf Kategorien hergeleitet. Diese sind: Partizipation, Transparenz, Medienkompetenz, Programmentwicklung und Bezug zur Community. Im ersten Teil der Untersuchung wurden Dokumente anhand dieser fünf Kategorien ausgewertet, um Hinweise auf geregelte Verfahren zu bekommen, die ein zivilgesellschaftliches Engagement in den Stationen ermöglichen. Im zweiten Teil sollte mittels qualitativer Daten aus den Interviews und einer Gruppendiskussion herausgefunden werden, wie die Mitarbeiter in den Stationen mit diesen Rahmenbedingungen umgehen, wie sie ihr Engagement erleben und einschätzen. Auch hier erfolgte die Auswertung anhand der oben benannten Kategorien, die zudem die Themenkomplexe des Interviewleitfadens darstellten. Während es im ersten Teil also um strukturelle Voraussetzungen geht, sollen im zweiten Teil mögliche Widersprüche beleuchtet werden, die sich in der Auseinandersetzung der Akteure mit diesen Idealvorstellungen von zivilgesellschaftlichem Engagement sowie der partizipativen Medienarbeit in Community Radios in der Realität des täglichen Sendebetriebs ergeben.
Ziel dieser qualitativen Studie ist es, die Chancen und Grenzen der partizipativen Medienarbeit unter den vorherrschenden Bedingungen auszuloten. Somit geht es darum wertfrei herauszufinden, ob und wie die Umsetzung der beiden zugrunde gelegten Konzepte (zivilgesellschaftliches Engagement und Community Radio, s. Kapitel 1 und 2) in der ausgewählten Region in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen gelingt bzw. den selbst gesetzten Ansprüchen genügt und gegebenenfalls mögliche Gründe für die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realisierung zu benennen.
Der Arbeit liegen zwei europäisch geprägte Konzepte zugrunde, die nicht im Untersuchungsland entstanden und verwurzelt, sondern eher mit den Herkunftsländern der ehemaligen Kolonialmächte verbunden sind. Dem möglichen Einwand der Dominanz westlich geprägter Kulturen und der damit einhergehenden Zurückweisung kultureller Traditionen aus anderen Regionen (vgl. Abels et al. 2004: 3) wird hier auf zweifache Weise begegnet. Zum einen gilt Südafrika als institutionell demokratisiertes Land. Man könnte argumentieren, der ›Schaden sei bereits angerichtet‹, weil hier westliche Vorstellungen und Ansprüche übernommen wurden. Im dritten Kapitel wird die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure in der Transformation beschrieben, um deutlich zu machen, dass sich Menschen in Südafrika unabhängig von ihrer Hautfarbe und Herkunft für diese Ideale eingesetzt haben. Die normativen Ansprüche an die Zivilgesellschaft wie auch an die Arbeit in den Community Radios, soweit sie hier formuliert werden, sind aus der südafrikanischen Verfassung und aus den südafrikanischen Broadcasting Acts abgeleitet. Sie sind somit in Gesetzestexte gegossen und besitzen Gültigkeit für alle Südafrikaner. Die Fragestellung befasst sich daher – und dies stellt die zweite Herangehensweise dar – mit dem Erleben dieser normativen Ansprüche an zivilgesellschaftliches Engagement und deren Einordnung durch die Akteure in ihrem Sendealltag. Das Engagement ist laut der geltenden Gesetzestexte an der Entwicklung der jeweiligen Community ausgerichtet.
Der lokale und individuelle, in eigener Verantwortung wahrgenommene Einsatz der Akteure in den Radiostationen soll als zivilgesellschaftliches Engagement mit entwicklungspolitischer Relevanz beschrieben werden. Die partizipative Medienarbeit bietet ein enormes Potenzial für die südafrikanische Demokratisierung. Diese Chancen sollen hier am Beispiel der untersuchten Radiostationen dargelegt, aber ebenso die Grenzen benannt und die Herausforderungen herausgearbeitet werden, mit denen sich die Radiomacher täglich auseinanderzusetzen haben.
Demokratische Rahmenbedingungen tragen stärker zu einer erfolgreichen und nachhaltigen Entwicklung bei als autokratische Systeme. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie von Siegle et. al 2004. Als wichtiger Bestandteil einer Demokratie gelten die Meinungs- und Pressefreiheit, die Transparenz schaffen und Partizipation fördern sollen. Meinungs- und Pressefreiheit können somit als wichtige Instrumente bezeichnet werden, um demokratische und wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben (vgl. Puschra 2005: 7). Weiland stellte 2005 fest, dass einmal begonnene Demokratisierungsprozesse in vielen entwicklungspolitischen Partnerstaaten in ihren Konsolidierungsprozessen stecken geblieben sind.
»Obwohl Parlamente, Parteien und Gerichtshöfe existieren, ja sogar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, fehlt es an einer politischen Kultur, die den Institutionen einen demokratischen Geist der kritischen Partizipation, Mitverantwortung und Kontrolle verleiht« (ebd., 14).
Er nennt mangelnden Bildungsstand, autoritäre politische Traditionen im Land, das wenig ausgeprägte Bedürfnis nach pluralen Informationsquellen und mehr Transparenz sowie ein erfolgreiches Arbeiten der Machteliten gegen das Entstehen einer aktiven Zivilgesellschaft und lebendiger, unabhängiger Medien als mögliche Gründe.
Ihne (2005: 8) sieht in der Entstehung der so genannten Informations- und Wissensgesellschaft das deutlichste Zeichen einer mediatisierten Welt, auf das Weltbank, die Vereinten Nationen sowie die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) in den vorangegangen Jahren mit Konzepten reagierten, die zur Unterstützung der demokratiefördernden Rolle von Medien beitragen sollten. In diesem Zusammenhang geraten die Community Medien verstärkt in den Fokus, die laut Konzept als unabhängige Medien lokal und in zivilgesellschaftlichen Bewegungen verankert sein sollen (vgl. WSIS 2003: 15)
Es scheint als gesetzt zu gelten, dass partizipativ organisierte Community Medien eine wichtige Rolle in der heutigen Informations- und Kommunikationsgesellschaft übernehmen, weil hier ein gesellschaftlicher Dialog bei gleichzeitigem Einsatz der Mitarbeiter für marginalisierte und schwache Gesellschaftsgruppen stattfinden kann (ebd.). Dass dieses demokratiefördernde Engagement nicht grundsätzlich vorausgesetzt werden kann, haben jedoch nicht zuletzt die Erfahrungen mit Hetzsendungen in lokalen Radiostationen in Ruanda gezeigt (vgl. Häusermann 1998: 34).
Der Begriff Informationsgesellschaft wird laut Meier (2003: 36) zudem vor allem von Politik und Wirtschaft favorisiert und bekommt so eine »herausragende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Bedeutung«. Meier wirft im Folgenden Politikern und Wissenschaftlern vor, dass sie nicht kritisch auf die vorherigen Erfahrungen blicken. Sie versuchen s. E., ihre Vorstellung von einer demokratisierten Gesellschaft aufrechtzuerhalten, die allein durch den Zugang zur Kommunikationstechnologie erreicht werden kann. Ein freier Zugang zu Informationen und Medien soll in dieser Argumentation zu mehr politischer Partizipation und zu einem besseren gegenseitigen Verständnis führen. Ob insbesondere die neuen Kommunikationstechnologien tatsächlich diese Wirkung entfalten, liegt jedoch in der Verantwortung derjenigen, die für die medienrechtlichen und - wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zuständig sind, sowie den Anbietern und den Nutzern. Der technische Zugang schafft allein die Voraussetzung, kann aber nicht gewährleisten, dass der Prozess auch gelingt.
In diesem Sinne kritisieren auch Abels et al. (vgl. 2004: 3) die Konzentration der globalen Medienkonzerne und die mit der Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) einhergehende Medienkonvergenz, die gerade nicht zu den vielfach prognostizierten hierarchieärmeren und demokratischeren Gesellschaften geführt, sondern vielmehr neue Ungleichgewichte und Asymmetrien zur Folge hätte. Wenn der Aussage zugestimmt wird, dass Medien in immer größerem Ausmaß die Möglichkeiten von politischer Teilhabe bestimmen (vgl. Bürger/Dorn-Fellermann 2014: 41), so stellt sich die Frage des Zugangs zunächst im Sinne von Rezeption, also des Zugangs zu Informationen als Voraussetzung für eine politische Partizipation. Bei Community Medien geht es darüber hinaus um »den aktiven Zugang zu Medien, d.h. die Möglichkeit eigene Informations- und Kommunikationsstrukturen aufzubauen, bzw. bestehende nutzen zu können« (Jannusch 2005: 11).
Vertreter partizipatorischer Demokratietheorien beschreiben politische Beteiligung als »Teilnehmen, Teilhaben und seinen-Teil-Geben einerseits und innerer Anteilnahme am Geschehen und Schicksal des Gemeinwesens andererseits« (Schmidt 2000: 251). Dabei werden konzeptionell unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, die sich durch eine mehr oder weniger starke Ausprägung partizipatorischer Elemente unterscheiden. Als Basis gelten in allen beteiligungszentrierten Demokratietheorien das Recht auf Partizipation sowie Mitsprache, Mitwirkung, Mitbestimmung und mitverantwortliche Selbstbestimmung (vgl. Bürger/Dorn-Fellermann 2014: 43 f.).
In der Medienentwicklungszusammenarbeit besteht laut Jannusch (vgl. 2005: 11) weitgehend Einigkeit, dass Medieninitiativen zivilgesellschaftlicher Akteure besonders gefördert werden sollen. Deren nicht gewinnorientierte Medien werden demnach vielerorts als einzige Alternative zu staatlich gelenkten und rein kommerziell ausgerichteten Medien angesehen. Insbesondere in ländlichen Regionen komme den Community Radios eine wichtige Funktion bei der Partizipation an politischen Prozessen zu. Die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure mit Medieninitiativen sollte daher bevorzugt gefördert werden.
Die Auseinandersetzung mit den Konzepte Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlichem Engagement hat gerade in den vergangenen Jahren noch einmal an Bedeutung gewonnen. Zu Beginn des Jahres 2011 sorgten die Entwicklungen im Nahen Osten für einen fast inflationären Gebrauch dieser Begriffe. Die Popularität des Begriffs und der Glaube, dass sämtliche Krisen – seien sie nun politischer, ökonomischer oder sozialer Natur – durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft gelöst werden könnten, führen jedoch dazu, dass die Begriffe zunehmend an Trennschärfe verlieren (vgl. Britz/Kampits 2003: 11).
Laut Bauerkämper/Gosewinkel/Reichardt (2006: 28 f.) wurde er seit der frühen Neuzeit vor allem durch die Abgrenzung zu einem eher vage definierten Feindprinzip beschrieben, welches sich darüber hinaus über die Jahrhunderte gewandelt habe. War dies in der frühen Neuzeit noch der Fanatismus bzw. die Barbarei, so grenzen heute amerikanische Kommunitaristen Zivilgesellschaft gegen Individualisierung und Atomisierung ab, die Globalisierungsgegner diese gegen den Turbokapitalismus und neoliberale Denker gegen den Wohlfahrtsstaat, um nur einige Beispiele zu nennen (ebd.). Damit wird deutlich, dass heute sehr unterschiedliche politische Programme mit diesem Begriff verbunden werden.
Das Konzept Zivilgesellschaft hat in der über 2000-jährigen wissenschaftlichen Diskussion in seiner Bedeutung und Interpretation eine beachtliche Wandlung erfahren, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen wird (ausführlich dazu s. Schmidt 2007; Adloff 2005; Klein 2001). Stattdessen soll die Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure in demokratischen Transformationsprozessen sowie der Zusammenhang von Zivilgesellschaft und Medien betrachtet werden, um daraus eine Definition für zivilgesellschaftliches Engagement in partizipativen Medien abzuleiten.
Es gibt unterschiedliche Standpunkte in der Zivilgesellschaftsforschung, ab welchem Zeitpunkt eine Beschäftigung mit diesem Begriff sinnvoll erscheint. Während die einen erst mit der eigenständigen Formation neben und unabhängig vom Staat, also dem späten 18. Jahrhundert, beginnen wollen, sehen andere eine Entwicklung hin zu dieser Scheidelinie sowie einen zentralen Strang innerhalb der Zivilgesellschaftsdebatte. Diese sei wichtig für das Verständnis des Menschen als soziales Wesen, das sich für das Gemeinwesen engagiert, also des bereits in der Antike beschriebenen zôon politikón (vgl. Schmidt 2007: 21). Bürgerliches Engagement und Selbstverantwortung galten von Beginn an als zentrale Handlungsweisen innerhalb der Zivilgesellschaft. In der Auseinandersetzung mit dem Begriff haben sich normative und deskriptive Aspekte besonders mit Blick auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen Individuum, Gesellschaft und Staat vermischt (vgl. Betz 2005: 10, Schmidt 2007: 16). Je nach Protagonisten gibt es bei dieser – lange Zeit vor allem in Europa – geführten Auseinandersetzung deutlich unterscheidbare Schwerpunkte und Funktionszuschreibungen. Der gesellschaftlich-historische Kontext, die politische Autorität und die Bedeutung der privaten und öffentlichen Sphäre setzten die Zivilgesellschaftskonzepte teils erheblichen Schwankungen aus (vgl. Betz 2005: 10).
Auf die sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die im Angesicht der sich nach dem Ersten Weltkrieg herausbildenden, totalitären Systeme vor allem die diesem Begriff inhärenten Ambivalenzen verdeutlichte, folgte eine sehr lebhafte Diskussion, die in den 1970er Jahren ihren Anfang in Ostmitteleuropa nahm (vgl. Schmidt 2007: 26 f.). Seither steht Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit Demokratisierung zunächst in Osteuropa und Lateinamerika, später auch in Teilen von Asien und in Afrika für eine öffentlich diskutierte und damit bessere Regierungsführung, nachhaltige politische und soziale Reformen, lebendige Beziehungen zwischen Gesellschaft und Staat sowie Staat und Wirtschaft und gilt damit nicht zuletzt auch als Garant gegen den Rückfall in autoritäre bzw. undemokratische Zustände (vgl. Betz 2005: 7). In dieser unter anderen Vorzeichen geführten Diskussion wie auch in der angelsächsischen Politikwissenschaft, in der Keane 1988 für eine Renaissance des Begriffs Civil Society sorgte, wurden einige Fragen wieder aufgenommen, die schon in früheren Zivilgesellschaftskonzepten eine Rolle gespielt hatten. Neben der Frage nach der Gewaltanwendung zum Schutze der Zivilgesellschaft ging es um die Trennlinie zwischen Staat und Zivilgesellschaft, normativen Anforderungen, die an bürgerschaftliches Engagement und die zivilgesellschaftlichen Akteure gestellt werden, Freiheit und die Grenzen, die eine Zivilgesellschaft braucht bzw. verträgt und Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft (vgl. Schmidt 2007: 16 f.).
Mit der Jahrtausendwende wurde der Begriff in der Wissenschaft zunehmend in seiner globalen Dimension wahrgenommen. Die weltweiten Verflechtungen und die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Stabilisierung der Gesellschaft rückten stärker ins Blickfeld (vgl. ebd.: 27). Wie oben bereits angemerkt, werden heute sehr unterschiedliche politische Programme mit dem Begriff in Verbindung gebracht. Häufig synonym verwendete Begriffe wie zivile Gesellschaft, Bürgergesellschaft oder bürgerliche Gesellschaft sorgen darüber hinaus im deutschen Sprachraum für Verwirrung.
In dem Bestreben, das Phänomen Zivilgesellschaft genau zu beschreiben, wurde teils mit ähnlichen, teils mit neuen Begriffen versucht, mehr Eindeutigkeit durch eine begriffliche Abgrenzung zu vorherigen Konzepten zu erzeugen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dies gelungen ist, oder ob auf diese Weise nur neue Zuordnungsprobleme entstanden sind. Relativ eindeutig scheint die nur in der deutschen Sprache vorgenommene Unterscheidung zwischen bürgerlicher und ziviler Gesellschaft zu sein.
Bürgerliche Gesellschaft
Mit Bürgerlicher Gesellschaft verbinden sich laut Klein (vgl. 2001: 21f.) neben semantischen auch begriffsgeschichtliche Konnotationen, die das Verständnis dieser Begriffe beeinflussen. So wird in der deutschen Vorstellung mit dem Begriff zivil zunächst einmal eine Abgrenzung von Militär und staatlicher Gewalt konnotiert. Mit der Nähe zu Begriffen wie Zivilisation oder Zivilisierung wird deutlich, dass zivile Gesellschaften von unzivilen, barbarischen, faschistischen, feudalen, möglicherweise auch militaristischen unterschieden werden sollen. Bezogen auf die Frage der Gewaltanwendung muss der Begriff Zivilität laut Bauerkämper/Gosewinkel/Reichardt (vgl. 2006: 28) historisch mit Blick auf den kulturellen Kontext hin interpretiert werden. Hier geht es i. E. um Normsetzungen und Legitimationschancen von Gewalt zum Beispiel als Erziehungsmittel wie auch um die sich historisch wandelnden Kriterien bei der Definition von Gewalt. Gleichzeitig legt Zivilität eine kulturelle Entwicklung der modernen Gesellschaften nahe (vgl. Klein 2001: 23). Beck/Demmler (2000: 16) verbinden mit Zivilität die Annahme, dass das Verfolgen freiheitlich organisierter Partikularinteressen gleichzeitig dem gesellschaftlichen Ganzen dienen kann und soll.
Zivilisation ist, so Klein (2001: 23), unzweifelhaft auch mit »frühbürgerlichen Theorien der bürgerlichen Gesellschaft und deren Suche nach einer zivilisatorischen Verwandlung von Leidenschaft in Interessen« (Hervorhebung im Original) verbunden. Bürgerliche Gesellschaft habe jedoch sowohl bei Marx, der diese mit Wirtschaftsgesellschaft gleichsetzte, wie auch im politischen Liberalismus eine besondere Lesart (vgl. ebd.).
Die liberale Denktradition geht in der Diskussion um die bürgerliche Gesellschaft vom Individuum aus. Demnach leiten sich aus den Rechten des Individuums die Verpflichtungen gegenüber anderen sowie der Gesellschaft ab. Damit hebt sich diese Denkrichtung von der republikanischen Tradition ab, denn dort steht die politische Gemeinschaft im Mittelpunkt. Rechte und Pflichten des Bürgers haben dabei den gleichen Ursprung. Daraus entwickelt Berlin (2006: 201 ff.) die als negative (Abwesenheit von Zwang) bzw. positive (Möglichkeit zur Wahl) bezeichneten Freiheitsvorstellungen. Für erstere – die liberale – gilt, dass die Freiheit der Bürger möglichst nicht durch sozial-moralische Erwartungen eingeschränkt werden soll. Münkler/Loll (2005: 5) beschreiben dieses Freiheitsverständnis als »die Abwesenheit von Hindernissen für rationale Entscheidungen«. Während es im liberalen Freiheitsverständnis vor allem um die Verteidigung der Rechte des Individuums geht und Staat und Gesellschaft voneinander getrennt zu sehen sind, stellt das republikanische Verständnis die gemeinsame Errichtung einer politischen Gemeinschaft in Freiheit in den Vordergrund und sieht somit in der bürgerlichen auch eine politische Gesellschaft. Freiheit wird hier erst durch aktive politische Partizipation erfahrbar (vgl. Klein 2001: 24, Münkler/Loll 2005: 2 ff.).
Der liberale Gesellschaftsentwurf sieht vor allem die Emanzipation des Wirtschaftsbürgers vor, wohingegen im republikanischen Ideal der Bürger politisch wachsam und kritisch-diskursiv in die politischen Prozesse eingreift und so die Gesellschaft zu einem Handlungsrahmen werden lässt, in dem der Bürger durch öffentlichkeitsrelevantes Engagement zur Humanisierung, Zivilisierung sowie zu sozialer Pazifizierung und damit auch wesentlich zur Demokratisierung beitragen kann. Weder die liberale noch die republikanische Denktradition stellt sich dem Problem einer wegen ökonomischer Konkurrenz zu erwartenden Entfremdung innerhalb der Gesellschaft. Die liberale Gesellschaftsauffassung neigt dazu, dies schlicht zu verkennen, während das republikanische Ideal durch die Vorstellung eines politisch-humanistischen Engagements darüber hinwegzutäuschen versucht, ohne dabei die Frage zu beantworten, wie realistisch und angemessen das damit verbundene normative Verständnis der Gesellschaft ist (vgl. Maaser 2010: 157ff.).
Das deutsche, bis nach dem Zweiten Weltkrieg und in die ersten Nachkriegsjahrzehnte hineinreichende staats- und herrschaftlich zentrierte Politikverständnis wandelte sich insbesondere mit der Aufwertung des bürgerschaftlichen Handelns – wohl auch im Zusammenhang mit der Studentenbewegung sowie den so genannten neuen sozialen Bewegungen. Dieser Bedeutungswandel führte dazu, dass sich ein vom bürgerschaftlichen Engagement geprägtes Politikverständnis auch in den Diskursen der Akteure mit dem Begriff Zivilgesellschaft verband (vgl. Klein 2001: 24). Damit soll nicht gesagt sein, dass alle Mitglieder dieser neuen sozialen Bewegungen gleichzeitig zivilgesellschaftliche Akteure sind, denn die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition setzt dafür Gewaltfreiheit und Toleranz voraus. Dies gilt nicht für alle Mitglieder einer Bewegung (vgl. Merkel/Lauth 1997: 24). Die Begriffe Zivilgesellschaft und bürgerliche Gesellschaft nahmen laut Beyme (vgl. 2003: 26) eine für die Grundbegriffe des politischen Lebens typische Entwicklung: Von deskriptiv-typologischen Begriffen zur Analyse sozialer Realität, über eine Ideologisierung in Umbruchzeiten bis hin zur normativen Radikalisierung als Erwartungsbegriffe. Der Begriff Zivilgesellschaft als Übersetzung der società civile aus Gramscis Gefängnisheften (18911937) fand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Einzug in die deutsche Debatte (vgl. Schmidt 2007: 221 f.). Der bis dahin verwendete Begriff der bürgerlichen Gesellschaft schien besonders in Deutschland eine »bourgeoise Konnotation« (Beyme 2003: 26) aufzuweisen bzw. mit einem »besitzindividualistisch gedeuteten Liberalismus« (Klein 2001: 23) verbunden zu sein, der hier nicht angesprochen sein soll. Daher und aufgrund des von bürgerschaftlichem Engagement geprägten Politikverständnisses, welches sich auch für die Akteure mit dem Begriff Zivilgesellschaft verbindet, soll im Folgenden letzterem Vorrang gegeben werden. Dieser wird heute auch im Liberalismus als normativer Erwartungsbegriff akzeptiert, ohne dass er pauschal gegen den Staat ausgespielt wird (vgl. Beyme 2003: 32).
Bürgergesellschaft und bürgerschaftliches Engagement
Bürgerschaftliches Engagement soll laut Bericht der Enquête-Kommission des deutschen Bundestages zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements von 2002 (vgl. Deutscher Bundestag: 24) den Zusammenhang von Engagement und Bürgerschaft verdeutlichen und so ermöglichen, dass Bürgerschaftlichkeit als eine eigenständige Dimension für politisches, soziales oder geselliges Engagement verstanden werden kann. Dieses erzeugt laut Gensicke/Geiss/Picot (2005: 40) neben sozialem Kapital auch demokratische Kompetenz und informelle Lernprozesse. Es »findet nicht in einer nur vorpolitischen Sphäre des gemeinwohlorientierten Handelns statt, sondern ist ein Beitrag für das demokratische Gemeinwesen« (Klein/Olk/Hartnuß 2010: 27). Dem liege ein anderes Politikverständnis zugrunde als dem auch nach dem Zweiten Weltkrieg beschworenen gesellschaftspolitischen Leitbild der formierten Gesellschaft, einem Konsensmodell, welches laut Klein/Olk/Hartnuß (ebd. 25) durch »Autoritätshörigkeit und Unterordnungsbereitschaft« geprägt war. Der Begriff formierte Gesellschaft wurde nicht zuletzt durch Ludwig Erhard geprägt, der dabei an eine Mobilisierung der »Integrationskräfte der Sozialen Marktwirtschaft für eine gemeinwohlorientierte Grundhaltung der organisierten Interessen für einen kooperativen Pluralismus« (Laitenberger 2013) dachte und mit diesem Programm scheiterte.
Das neue Verständnis einer Bürgergesellschaft orientiere sich an dem Ziel einer »Demokratisierung der repräsentativen Demokratie« (Klein/Olk/Hartnuß 2010: 27). Der Begriff bürgerschaftliches Engagement bezieht sich laut dem Bericht der Enquêtekommission (Deutscher Bundestag 2002: 24) auf den der Bürgergesellschaft, die dort als Gemeinwesen beschrieben wird,
»in dem Bürgerinnen und Bürger auf der Basis gesicherter Grundrechte und im Rahmen einer politisch verfassten Demokratie durch das Engagement in selbstorganisierten Vereinigungen und durch die Nutzung von Beteiligungsmöglichkeiten die Geschicke des Gemeinwesens wesentlich prägen können.«
In diesem Bericht werden die Begriffe Bürgergesellschaft und Zivilgesellschaft weitgehend synonym verwendet. Ein Mitglied dieser Kommission (Rupert Graf Strachwitz) weist allerdings in einem Sondervotum (Deutscher Bundestag 2002: 25) auf einen s. E. eindeutigen Unterschied hin. Der Begriff Bürgergesellschaft, der »die Vision einer Gesellschaft beschreibt, in der Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte und Pflichten im Sinne von citoyens voll ausleben können« (Hervorhebung im Original), grenze sich vom Begriff Zivilgesellschaft dadurch ab, dass Zivilgesellschaft »den Ausschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der die selbstermächtigten, selbstorganisierten und selbstverantwortlichen Tätigkeiten und Körperschaften beinhaltet«. Somit beschreibt für ihn der Begriff Bürgergesellschaft nicht einfach einen Zustand oder einen Lebensumstand, sondern ein Gegenmodell zum gegenwärtigen Versorgungs- und Verwaltungsstaat. Er vertritt damit eine sehr liberale Position und begreift Bürgergesellschaft vor allem als gesellschaftliche Selbstorganisation.
Auch Klein/Olk/Hartnuß (2010: 25) grenzen den Begriff der Bürgergesellschaft gegen den der Zivilgesellschaft ab. Sie sehen »ein so anspruchsvolles und umfassendes Leitbild wie die Bürgergesellschaft als demokratiepolitisches Projekt und als umfassende Neuordnung der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft [in Deutschland] in kleinen Trippelschritten« umsetzbar. Denn hier gehe es um einen durch eine beteiligungsorientierte politische Kultur dominierten Gesellschaftsentwurf, in dem der »Staat sich als ein Engagement und Partizipation ermöglichender Akteur versteht« (ebd.: 24).
In dem Versuch, die Teilhabe der Bürger an der Gestaltung ihres sozialen, politischen, kulturellen Umfeldes möglichst genau zu definieren, gibt es ebenfalls die Bestrebung mit neuen Begrifflichkeiten für mehr Klarheit zu sorgen. So verstehen Gensicke/Geiss/Picot (vgl. 2005: 49 f.) unter dem Begriff freiwilliges Engagement informelle und unverzichtbare Hilfstätigkeiten, die in jedem Verein anfallen, aber ohne Amtsbezeichnung sind (z. B. Organisation, Vorbereitung und Abwicklung von Reisen, Festen oder Veranstaltungen) und grenzen diese gegenüber der teilnehmenden Aktivität in Organisationen, Vereinen, Verbänden etc. mit Amtsbezeichnung (Vorstand, Kassenwart etc.) ab. Damit sollen diese sonst eher weniger sichtbaren und anerkannten Tätigkeiten besonders gewürdigt werden. Den Begriffen freiwilliges, bürgerschaftliches oder zivilgesellschaftliches Engagement fügen Gensicke/Geiss (vgl. 2006: 308) noch den der Gemeinschaftsaktivität hinzu. Mit diesem versuchen sie die teilnehmende Aktivität an Veranstaltungen, Diskussionen etc. in der Infrastruktur der Zivilgesellschaft zu fassen, zu der neben der freiwilligen Aktivität in Schulen oder Kindergärten, Kirchen oder Sportvereinen auch das lokale Bürgerengagement gehört. Die Diskussion um diese Begriffe ist noch im Fluss. Daher werden im Folgenden ausschließlich – und in Anlehnung an den Bericht der Enquêtekommission von 2002 – die Begriffe zivilgesellschaftliches und bürgerschaftliches Engagement synonym verwendet.
Partizipation als elementarer Bestandteil des Bürgergesellschaftskonzepts
Das Ideal einer partizipatorischen Demokratie sieht die Beteiligung möglichst vieler an möglichst vielem mit dem Ziel vor, durch diese Teilhabe unter anderem für eine öffentliche Willensbildung und für transparente Entscheidungsprozesse zu sorgen (vgl. Kornelius/Roth 2004. 20). Insbesondere seit der Jahrtausendwende sollten die Vorteile des Internet auch für Partizipationsprojekte genutzt und kooperative Konzepte für Bürgerbeteiligungsprozesse mit dem Ziel entwickelt werden, mehr Einfluss auf politische Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse zu gewinnen. Dabei geht es den Verfechtern der sogenannten E-Partizipation – gemeint sind elektronisch gestützte Verfahren, die eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglichen – nicht zuletzt um Transparenz, durch die Bürger für politische Prozesse sensibilisiert und vor allem umfassend informiert werden sollen (vgl. Heise 2010a).
Befürworter einer E-Demokratie beschreiben den Staat als Moderator und Aktivator. Informations- und Kommunikationstechnologien sollen neue Verwaltungs- und Entscheidungskulturen ermöglichen, die letztlich durch »umfangreiche Transparenz- und Informationsangebote über Bürgerbeteiligungsprojekte mithilfe von Diskussions- und Diskursplattformen bis hin zu elektronischen Abstimmungen zu bestimmten Themenbereichen« (Heise 2010b) zur Stärkung der Demokratie beitragen.
Ähnlich wie die partizipativen Demokratietheoretiker setzen aber auch diejenigen, die sich für einen partizipativen Einsatz von Medien aussprechen – sei es nun über das Internet oder über das in dieser Arbeit im Fokus stehende Community Radio – einen Wunsch oder die Bereitschaft voraus, politisch mitgestalten zu wollen. Der Begriff Partizipation, als elementarer Bestandteil des hier diskutierten Bürgergesellschaftsbegriffs, muss im Angesicht der sich ständig weiterentwickelnden Möglichkeiten des Internet und seines damit einhergehenden ausufernden Gebrauchs neu definiert werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die in diesem Zusammenhang immer wieder ins Feld geführten Fragen nach »Entsozialisierung, Vereinzelung und damit nach Veränderungen in den Wahrnehmungs- und Beziehungsstrukturen und einem allgemeinen Wertewandel« (Rein 1996: 15). Einen Vorschlag, wie politische Partizipation im Internet von dortigen Interaktionsformen und Beteiligungsmöglichkeiten im und durch das Medium abgegrenzt werden können, haben Bürger/Dorn-Fellermann (2014) vorgelegt. Da die partizipativen Möglichkeiten des Internet für die hier diskutierte Fragestellung nur eine nachgeordnete Rolle spielen, wird diese Diskussion an dieser Stelle nicht weiter verfolgt. Die Unterscheidung von Interaktion, Partizipation im Medium und durch Medien wird jedoch im fünften Teil wieder aufgegriffen und auf Community Radios angewendet.
Nach Gensicke/Geiss/Picot (vgl. 2005: 40) stützt sich eine Gesellschaft, die sich der Leitidee der Zivilgesellschaft verpflichtet hat, auf bürgerschaftliches Engagement. Allen Bürgerinnen und Bürgern eröffnen sich somit Möglichkeiten zur selbst organisierten Mitgestaltung und Beteiligung, also Partizipation. Bürgerschaftliches Engagement wird laut dem Bericht der Enquêtekommission von 2002 (vgl. Deutscher Bundestag 73 ff.) in der Regel gemeinschaftlich ausgeübt, findet im öffentlichen Raum statt, ist freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet und gemeinwohlorientiert. Es erzeugt, so Gensicke/Geiss/Picot (2005: 40), neben demokratischer Kompetenz und informellen Lernprozessen auch soziales Kapital.
Sozialkapital – Mehrwert bürgerschaftlichen Engagements
In den 1960er Jahren kam es laut Zimmer (vgl. 2002: 13) mit dem Rational-Choice-Ansatz vor allem in der angelsächsischen wissenschaftlichen Diskussion zu einer grundlegenden Änderung der Interpretation sozialen Verhaltens. Im Zentrum stand fortan nicht mehr der Homo Sociologicus, dessen individuelle Präferenzen bisher durch sozialisationsbedingte Normen und gesellschaftlich erlernte Verhaltensweisen erklärt wurden, sondern der Homo Oeconomicus, dessen Entscheidungen sich an Effizienzkriterien orientierten und auf rationalem Kalkül beruhten. Mit diesem Wechsel übernahm i. E. die Ökonomie die Meinungsführerschaft in den Sozialwissenschaften. Der Rational-Choice-Ansatz wurde in den folgenden Jahren, so Zimmer weiter, nicht nur zu einem wichtigen methodischen Ansatz zur Erklärung individuellen Verhaltens, sondern auch zur Erklärung politischer und wirtschaftlicher Prozesse sowie gesellschaftlicher Dynamiken herangezogen. Der damit erneut ins Zentrum gerückten Frage, wie denn gesellschaftlicher Zusammenhalt beim zunehmend auf individuellen Nutzen ausgerichteten Homo Oeconomicus garantiert werden könne, begegnete Putnam mit dem Konzept des Sozialkapitals.
Der Gedanke, der hinter diesem Ansatz steht, ist, so sieht es Putnam (2001: 20) selbst, »außerordentlich schlicht«. Er besagt zunächst lediglich, dass »soziale Netzwerke aus steuerungs- wie aus demokratietheoretischer Sicht positive Wirkungen hervorrufen« (Zimmer 2002: 11). Putnam verorte die Bildung von Sozialkapital laut Geißel et al. (vgl. 2004: 9) im zivilgesellschaftlichen Kontext, indem er dieses als Folge von zivilgesellschaftlichem Engagement ansehe, welches zu einer besseren sozialen und politischen Integration führe. Putnam (2001: 22) beschreibt »soziale Netzwerke und die damit zusammenhängenden Normen der Gegenseitigkeit« als soziales Kapital. Da diese Netzwerke sehr unterschiedlicher Natur sein können, kann aber seiner Meinung nach (ebd. 24) nicht grundsätzlich von einem Zusammenhang von Sozialkapital und Demokratie ausgegangen werden, da sich hier – ähnlich wie bei der Zivilgesellschaftskonzeption – auch Ausgrenzungsmechanismen ergeben können.
Der Begriff Sozialkapital stammt nicht von Putnam selbst, sondern tauchte bereits 1916 bei Hanifan auf und nahm laut Putnam (2001: 17) »alle zentralen Elemente vorweg, die in späteren Interpretationen der Bezeichnung enthalten waren«. In den folgenden Jahren wurde der Begriff mindestens sechsmal unabhängig voneinander wiedererfunden. So verwendete Seeley ihn, um den Wert von Club- oder Vereinsmitgliedschaften für karrierebewusste Vorstadtbewohner zu beschreiben. Jacobs beschrieb in den 1960er Jahren damit den Wert der Nachbarschaftsbeziehungen in modernen Großstädten. Loury machte mit ihm in den 1970er Jahren darauf aufmerksam, dass die afroamerikanische Bevölkerung als Folge der Sklaverei keinen Zugang zu breiteren gesellschaftlichen Beziehungen habe. Schließlich beschrieb in den 1980er Jahren Bourdieu Sozialkapital als eine Ressource, die aus sozialen Beziehungen zwischen Personen, Gruppen und Organisationen erwächst und sich für unterschiedliche Zwecke einsetzen lässt (vgl. Putnam 2001: 17 f.). Besonders vorangetrieben wurde die Debatte in den vergangenen Jahren von Putnam, der den Begriff Sozialkapital durch drei Faktoren definiert: Vertrauen, Normen und die bereits erwähnten Netzwerke (vgl. Hellmann 2004: 133).
Um den Zweck wie auch den Effekt von Sozialkapital verstehen und beschreiben zu können, stellt Putnam (vgl. 2001:25 ff.) verschiedene Formen von Netzwerken und deren Auswirkung auf die Bildung von sozialem Kapital gegenüber: formell vs. informell, hohe Dichte vs. geringe Dichte, innen- vs. außenorientiert, Brückenbildend vs. bindend.
Im Zusammenhang mit Sozialkapital geht es demnach um die Bildung von Netzwerken. Diese können sowohl formal organisierte Formen mit Mitgliedsbeiträgen und Funktionsträgern annehmen, aber auch eher informeller Natur sein, wenn es um spontane Aktionen oder regelmäßige Treffen ohne formalen Überbau geht. Beide Formen können sowohl zu privatem wie auch zu öffentlichem Nutzen führen.
Eine hohe Dichte im Sinne eines vielschichtigen sozialen Netzwerks ist beispielsweise in der Familie oder unter Kollegen gegeben. Ein fast unsichtbares Gewebe und damit eine geringe Dichte entsteht bei gelegentlichen Begegnungen im Supermarkt oder in der Straßenbahn. Die damit in Verbindung gebrachte Unterscheidung in starke oder schwache Bindungen ergibt sich u. a. aus der Häufigkeit und der Zielgerichtetheit bzw. Zufälligkeit der Kontakte. Kapital entsteht somit, wenn Kontakte mit bestimmten gemeinsamen Aktivitäten verbunden sind und dazu eine entsprechende Dichte aufweisen.
Die Orientierung des jeweiligen Netzwerkes kann sich sowohl nach innen auf die sozialen, materiellen oder auch politischen Interessen der Mitglieder wie auch nach außen auf öffentliche Güter beziehen, wobei die erstgenannten laut Putnam (2001: 28) »auf der Basis von Klassenzugehörigkeit, Geschlecht oder ethnischen Beziehungen organisiert« sind. Sie sehen ihren Zweck vor allem darin, die »durch Geburt oder andere Umstände geschaffene[n] Bindungen zu bewahren oder zu stärken« (ebd.).
Als Beispiele für außenorientierte Netzwerke nennt Putnam an derselben Stelle mit Lions Clubs, Jugendinitiativen oder sozialen Bewegungen drei sehr unterschiedliche Netzwerke in einem Satz. Putnam warnt anschließend vor einer höheren Bewertung dieser Gruppen allein wegen ihres vermeintlich größeren öffentlichen Nutzens, da Sozialkapital s. E. jeder Quantifizierung widerstehe.
Eng mit dieser Unterscheidung nach Innen-/Außenorientierung verbunden ist auch die nächste Gegenüberstellung. Während Brückenbildende Netzwerke völlig unterschiedliche Menschen zusammenbringen, wenden sich bindende Netzwerke eher an Menschen, die einander in Ethnizität, Alter, Geschlecht oder sozialer Klasse ähnlich sind. Gerade diese Unterscheidung erscheint mit Blick auf die Community Radios bedeutsam, denn der Begriff Community appelliert an eben diese Ähnlichkeiten, die als verbindendes Element wahrgenommen und verstärkt werden sollen. Die Frage, ob im Angesicht der hohen Anforderungen, die sich an die südafrikanische Gesellschaft nach Kolonialisierung und Apartheid im Demokratisierungsprozess stellen, eher ein Brückenbildendes Sozialkapital anzustreben wäre, liegt nahe. Sie bringt allerdings den sozialen Rückhalt, der sich vor allem aus bindenden sozialen Beziehungen entwickelt, in Stellung gegenüber einer Auseinandersetzung mit »unterschiedlichen Perspektiven und sich überkreuzenden Verbindungen« (Putnam 2001: 29) innerhalb der Brückenbildenden Netzwerke. Gerade diese unterschiedlichen Perspektiven können eine korrigierende Wirkung haben. In der Praxis zeige sich laut Putnam, dass sich die meisten Gruppen als sowohl bindend wie auch Brückenbildend darstellen. Dies kann auch für die Community Radios angenommen werden.
Der Begriff Sozialkapital wird ähnlich wie der Begriff Zivilgesellschaft in der politischen Praxis als »universell einsetzbares Allheilmittel« (Kern 2004: 124) angesehen und fördert angeblich in westlichen Industrienationen ebenso wie in osteuropäischen Transformationsländern wie auch in Schwellen- und Entwicklungsländern die ökonomische und demokratische Performanz. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff hatte laut Kern (vgl. 2004: 125) – auch hier gibt es eine Parallele zur Zivilgesellschaftsdiskussion – zur Folge, dass in dem Versuch, mehr Klarheit zu schaffen, eine Vielfalt an Definitionen entstanden ist, die letztlich – auch durch eine Anwendung auf unterschiedlichste Phänomene – eher zu einem Bedeutungsverlust geführt hat. Kern kritisiert weiterhin, dass die neueren Arbeiten Putnams nicht einfach auf andere Länder übertragen werden können. Diese sind ausschließlich im US-amerikanischen Kontext entstanden und sollten auch in diesem spezifischen Kontext interpretiert werden, da aus internationaler Perspektive bestimmte Phänomene in anderen Ländern nicht auftreten. Daher könne auch nicht – wie in der Zivilgesellschaftsdiskussion häufig unterstellt – ein »länderübergreifender Trend in Richtung Zerfall des Sozialkapitals konstatiert werden« (Kern 2004: 125).
Die meist diskutierten Begriffe im Zusammenhang mit Putnams Konzept des Sozialkapitals sind die des Vertrauens und der Netzwerke, wobei ersterer noch mehr Aufmerksamkeit erfuhr. Die zunächst angenommene direkte Verknüpfung von sozialem und politischem Vertrauen ließ sich laut Geißel (vgl. 2004: 104) nicht aufrechterhalten. Auch wenn in einigen Gesellschaften mit hohem sozialen Vertrauen ebenfalls ein hohes Maß an politischem Vertrauen vorzufinden sei, so gebe es auch Gegenbeispiele, weshalb eine Generalisierung nicht möglich erscheine und sich das Verhältnis zwischen sozialem und politischem Vertrauen als Grundlage des Sozialkapitals komplexer darstelle als von Putnam angenommen. Bei Gensicke/Geiss/Picot (2005: 40) heißt es zum Zusammenhang von Vertrauen und Sozialkapital:
»Gesellschaften sind für ihren Zusammenhalt auf Vertrauen, Solidarität und Bereitschaft zur Zusammenarbeit angewiesen […]. In pluralistischen und heterogenen Gesellschaften kann soziales Kapital dabei helfen, die Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen zu überbrücken und Konflikte auf eine Weise auszutragen, die den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft nicht gefährdet. Bürgerschaftliches Engagement trägt in besonderem Maße dazu bei, soziales Kapital zu pflegen und ist damit eine wichtige gesellschaftliche Quelle für Vertrauen und Solidarität.«
Als Divergenzen überbrückendes, vertrauensbildendes und verbindendes Element des bürgerschaftlichen Engagements spielt Vertrauen auch im Demokratisierungsprozess innerhalb der heterogenen Gesellschaft Südafrikas eine wichtige Rolle.
Demokratische Kompetenz und informelles Lernen
Bürgerschaftliches Engagement ist auf Selbstorganisation und gesellschaftlichen Einfluss ausgerichtet. Dabei geht es nicht nur um das Artikulieren und Vertreten von Meinungen, sondern auch um Aushandlungsprozesse und Kompromissbildungen. Als entscheidendes Kriterium für bürgerschaftliches Engagement gilt laut dem Rahmenkonzept der Diakonie Deutschland für Freiwilliges Engagement (vgl. Diakonisches Werk in Hessen und Nassau e.V 2007: 7 f.), dass Bürger Verantwortung für den unmittelbaren öffentlichen Lebensraum übernehmen. Sie handeln dem Konzept nach gemeinsam und versuchen den persönlichen Nutzen mit dem Einsatz für andere zu verbinden. Bürgerschaftliches Engagement soll nicht isoliert stattfinden, sondern steht in einem größeren Zusammenhang, zum Beispiel dem der sozialen Gerechtigkeit. Entscheidend ist, dass die Bürger nicht nur Ausführende sind. Die freiwilligen, selbstgewählten, meist unentgeltlich ausgeübten Tätigkeiten spielen sich außerhalb der privaten Netzwerke ab und unterscheiden sich von ehrenamtlich ausgeführten Tätigkeiten vor allem dadurch, dass bürgerschaftlich Engagierte sich ihr Einsatzfeld selbst entwickeln.
Somit rücken die Rahmenbedingungen in den Blick, welche in den Partizipation ermöglichenden Organisationen und Einrichtungen gelten (vgl. Gensicke/Geiss/Picot 2005: 40 f.). Orientieren sich diese zum Beispiel an demokratischen Verfahren, werden Entscheidungsspielräume und Mitgestaltungsmöglichkeiten gewährt, Verantwortung geteilt und finden die Aushandlungsprozesse in einem von wechselseitigem Respekt geprägten Rahmen statt, so entstehen hier Orte, an denen demokratisches Verhalten eingeübt wird bzw. demokratische Lernprozesse stattfinden können. Im Zusammenhang mit bürgerschaftlichem Engagement können also auch demokratische Kompetenzen erworben werden. So verstandenes bürgerschaftliches Engagement kann - ein zentraler Punkt der in dieser Arbeit vertretenen These - in den hier fokussierten Community Radios umgesetzt werden.
Des Weiteren stellen Gensicke/Geiss/Picot (vgl. 2005: 42) fest, dass der Wandel von Industriegesellschaften in Dienstleistungs- und Wissensgesellschaften zu einem Bedeutungszuwachs für soziale und organisatorische Kompetenzen geführt hat. Gemeint sind damit rhetorische Fertigkeiten, Fähigkeiten zur Vermittlung in Konfliktfällen, Ergebnis bringende Moderation in Gruppen, Projektorganisation sowie Verantwortungsübernahme für sich und andere. Damit sind Fertigkeiten angesprochen, die alle im Redaktionsalltag eines Community Radios erlernt werden können, von Gensicke/Geiss/Picot an derselben Stelle als informelle Lernprozesse bezeichnet werden und i. E. einen ergänzenden Beitrag zum Erwerb beruflicher Schlüsselqualifikationen darstellen. Für die Community Radios gilt dann auch der folgende Satz, in dem es heißt, dass durch »zahlreiche freiwillige Tätigkeiten aber auch konkrete Kenntnisse und Qualifikationen [vermittelt werden], die für bestimmte Berufsfelder relevant sind« (Gensicke/Geiss/Picot 2005: 42). Sie formulieren im Folgenden für Deutschland die Erwartung, dass es innerhalb der Bürgergesellschaft zu einer neuen Verantwortungsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Drittem Sektor kommt. Sie sehen darin ein geeignetes gesellschaftspolitisches Leitbild für eine soziale Reformperspektive. Dies kann auch für Südafrika so angenommen werden, allerdings stellen sich den Bürgern dort vollkommen andere Anforderungen, auf die später noch eingegangen wird.
Für das beschriebene Leitbild der Bürgergesellschaft als demokratiepolitisches Projekt, in dem der Staat eine Engagement fördernde Infrastruktur zur Verfügung stellt, bleibt die Frage, ob dieses nicht auch für den Begriff Zivilgesellschaft gelten kann. In dieser Arbeit wird daher auf eine Abgrenzung der Bürgergesellschaft von der Zivilgesellschaft verzichtet. Dem Titel entsprechend, nicht zuletzt auch wegen der Nähe zum englischen Begriff der Civil Society, wird aber vornehmlich der Begriff Zivilgesellschaft verwendet.
Neben dem ermöglichenden Staat könnten auch noch Leitbilder der ermöglichenden Wirtschaft oder des ermöglichenden Dritten Sektors Gelegenheitsstrukturen für eine zivilgesellschaftliche Reformpolitik schaffen (vgl. Gensicke/Geiss/Picot 2005: 2004: 42). Insbesondere im südafrikanischen Kontext spielt der Dritte Sektor im Verständnis der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Daher erscheint eine begriffliche Abgrenzung des Dritten Sektors von dem der Zivilgesellschaft sinnvoll.
Zivilgesellschaft und Dritter Sektor
Teilt man wie Betz (vgl. 2005: 11) Zivilgesellschaft nach ihren Zielen zum Engagement im wirtschaftlichen oder kulturellen Bereich (religiös, ethnisch oder kommunal), in Bildung und Kommunikation, zur Wahrnehmung von Verbandsinteressen, zur Entwicklung (NGOs, Selbsthilfegruppen), als problemorientierte Aktionsgruppen (Umwelt, Frauenrechte) oder zur Wahrung und Stärkung demokratischer Rechte ein, so fällt die große Nähe der Zivilgesellschaft zum so genannten Dritten – also nicht gewinnorientierten – Sektor einer Gesellschaft auf (s. a. Robinson 1995: 74 f.).
Anheier (vgl. 2000: 3 f.) beschreibt den Dritten Sektor als organisiert, privater Natur, nicht profitorientiert, autonom und auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhend. Betz (vgl. 2005: 11) stellt fest, dass dieser Sektor nicht immer Demokratie fördernd in den politischen Raum hineinwirkt. Dies gilt allerdings ebenso für die Zivilgesellschaft.
Der Begriff Dritter Sektor entstand in den 1970er Jahren (vgl. Liebig/Rauschenbach 2010: 260). Bis dahin hatten sich, von der politischen Öffentlichkeit eher unbeachtet, vielfältige Organisationsformen zwischen Staat und gewinnbringenden privaten Unternehmen, also jenseits von Markt und öffentlicher Verwaltung, entwickelt, die auch häufig als Nonprofit-Organisationen bezeichnet werden. Nonprofit meint allerdings nicht, dass hier keine Gewinne erwirtschaftet werden dürfen, vielmehr ist damit angesprochen, dass evtl. anfallende Gewinne nicht an Mitarbeiter oder Mitglieder der Organisation ausgeschüttet, sondern reinvestiert werden müssen (vgl. Zimmer 2002: 2). Diese Organisationen finanzieren sich zu einem großen Teil aus privaten Spenden, die ihre Unabhängigkeit von der Regierungspolitik sichern und gleichzeitig, so sehen es Beck/Demmler (vgl. 2000: 36), für deren zivilgesellschaftliche Einbettung sorgen sollen.
Mit dem Begriff Dritter Sektor rückte eine gesellschaftliche Sphäre in den politischen und wissenschaftlichen Fokus, die sich durch besondere Merkmale von den Sphären des Marktes und des Staates unterschied, gleichzeitig aber die Vorteile von Wirtschaftsunternehmen und staatlicher Koordination miteinander vereinigte (vgl. Adloff 2005: 108). In der in den USA beginnenden Forschung zeigte sich ein hohes Maß an Public-Private Partnership in der wohlfahrtsstaatlichen Dienstleistungserstellung sowie die wesentliche Bedeutung der Nonprofit-Organisationen als Partner des Sozialstaates (vgl. Zimmer 2002: 3). Dabei wurde zunächst davon ausgegangen, dass es sich hier um ein speziell amerikanisches Phänomen handele, welches sich aus der zivilgesellschaftlichen Tradition der USA heraus und in Unabhängigkeit vom Staat entwickelt habe (vgl. Adloff 2005: 109).
Adloff (vgl. ebd.) sieht allerdings einen Bedeutungsgewinn des Nonprofit-Sektors (auch Independent oder Voluntary Sector genannt) innerhalb des amerikanischen Wohlfahrtsstaates gerade wegen der vom Staat in Auftrag gegebenen öffentlich finanzierten Dienstleistungen. Dieser Verschränkung werde aber erst seit den 1980er Jahren nachgegangen. In diesem Zeitraum ist laut Zimmer (2002: 4) auch ein wachsendes wissenschaftliches Interesse am Dritten Sektor in den USA zu verzeichnen, welches sie an steigenden Mitgliederzahlen wissenschaftlicher Fachgesellschaften, der Gründung von Fachzeitschriften, an Tagungen und Symposien sowie der curricularen Berücksichtigung des Ansatzes im Bereich der tertiären Bildung festmacht. Sie weist auf die Interdisziplinarität aus Soziologie, Politologie sowie verwaltungs- und wirtschaftswissenschaftlich orientierten Forschungsansätzen hin.
»[P]arallel zum sozialstaatlichen Ausbau gewachsen und bis heute entscheidend an der Wohlfahrtsproduktion beteiligt« (Liebig/Rauschenbach 2010: 262), gelten Selbstverwaltung, Subsidiarität (Vorrang von zivilgesellschaftlichen gegenüber staatlichen Akteuren) und Gemeinwirtschaft (keine Gewinn- oder Vermögensmaximierung) als Grundprinzipien für diesen Sektor. Neben Stiftungen, Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, gemeinnützigen GmbHs, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden zählen auch Selbsthilfegruppen oder Bürgerinitiativen zum Nonprofit-Sektor, der sich aus Gebühren, öffentlichen Zuschüssen und Spenden finanziert (vgl. Adloff 2005: 111 f.). Nichtregierungsorganisationen (NRO) werden insbesondere in Entwicklungsprozessen emanzipatorische Potenziale auf der politischen Ebene zugeschrieben. Sie werden als integraler Bestandteil der zivilgesellschaftlichen Strukturen angesehen (vgl. Czornohus et al. 2006: 12; Beck/Demmler 2000:29).
Die Verzahnung von Drittem Sektor und Zivilgesellschaft zeigt sich besonders beim freiwilligen Engagement. Dem Dritten Sektor kommt hier als originär gesellschaftlichem Ort des organisierten Bürgers eine zentrale Rolle zu (vgl. Liebig/Rauschenbach 2010: 262-265). Typische Organisationsformen sind Vereine und Verbände, welche durchaus auch als zivilgesellschaftliche Agenturen – so zum Beispiel in Gewerkschaften oder entwicklungspolitisch aktiven Initiativen – tätig sein können.
Mit Blick auf die NRO stellen Beck/Demmler (vgl. 2000: 30) zwei wissenschaftliche Verständnisebenen fest, von denen die eine als politikwissenschaftlich und die andere als entwicklungssoziologisch angesehen wird. Die erste diskutiere NROs im Kontext der Vereinten Nationen und verorte diese damit im internationalen politischen System. Aus dieser Perspektive stellen sich NROs als internationale Vertreter von Zivilgesellschaft dar. Zum anderen werden NROs aus entwicklungssoziologischer Perspektive betrachtet, wodurch der gesellschaftliche Anschluss und der direkte Bezug zur Zielgruppe in den Fokus geraten. Beck/Demmler (ebd.: 31) stellen zudem fest, dass der Begriff NRO selbst innerhalb dieser entwicklungssoziologischen Betrachtung sehr unterschiedlich verstanden wird. Dies führe dazu, dass
»privaten Initiativen häufig dieselben Fähigkeiten und Eigenschaften zugeschrieben [werden] wie den großen nicht-staatlichen Wohlfahrts- und Entwicklungsorganisationen, ohne jedoch hinsichtlich ihrer Entwicklungspotenziale bzw. ihrer gesellschaftlichen Einbettung zu unterscheiden« (Beck/Demmler ebd.).
Die damit verbundene Aufwertung von Basisinitiativen und Aktionsgruppen habe vor allem dazu geführt, dass der Begriff Nichtregierungsorganisation als eine ›Catch-All-Kategorie‹ für eine Analyse nur bedingt brauchbar sei. In dem Versuch hier wieder klare Zuordnungen zu schaffen, wurden Begriffe wie voluntary, non-Profit, private, altruistic oder privat-voluntary-organization eingeführt, die vor allem die inhaltlichen Differenzen über die Gewichtung der Merkmale dieses Sektors aufzeigen, so Beck/Demmler weiter. Die Organisationen des Dritten Sektors, in denen der Sinn für das Gemeinwohl eingeübt werden kann, werden laut Adloff (vgl. 2005: 116) in der Zivilgesellschaftsdiskussion häufig als die organisatorische Infrastruktur der Zivilgesellschaft bezeichnet. Sie leben vom freiwilligen Engagement.
Die gesellschaftliche Einbindung des Sektors kann laut Zimmer (vgl. 2002: 8 f.) je nach nationalstaatlichem Kontext sehr unterschiedlich ausfallen. So stehe eine korporatistische Einbettung in Deutschland eher marktförmigen Beziehungen zwischen Drittem Sektor und dem US-amerikanischen oder dem großbritannischen Staat gegenüber. Zunächst wurde der Dritte Sektor vor allem aus strukturfunktionalistischer Sicht betrachtet. Demnach sind die ihm zugerechneten Organisationen vielfach wegen ihrer Bürgernähe bzw. einer vergesellschafteten Politik als Partner für die Staaten tätig und bieten einen kostengünstigen Weg zur Entlastung von Legitimationsdefiziten. Seit 2000 wird der Begriff auch aus demokratietheoretischer Perspektive diskutiert. Somit rücken nun auch »die integrativen Funktionen der Dritten-Sektor-Organisationen ins Zentrum der Analyse, die in gewisser Weise ein Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft darstellen.« (Zimmer 2002: 9). Insbesondere die NROs können als intermediäre Organisationen eine Mittlerrolle zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft oder zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppierungen übernehmen. Als anwaltschaftliche Interessenvertretung tragen sie zur Artikulation und Wahrnehmung dieser Interessen bei und drücken somit, so Beck/Demmler (vgl. 2000: 33), die Fähigkeit und Bereitschaft einer Bevölkerung aus, gesellschaftliche Probleme zu regeln und selbstverantwortlich tätig zu werden. Die Integration des Einzelnen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext erfolgt durch Mitgliedschaft sowie durch ehrenamtliches Engagement. Auf die Differenz zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und Ehrenamt wurde bereits hingewiesen. Die Konzepte Dritter Sektor und Zivilgesellschaft sind aller Ähnlichkeiten zum Trotz nicht deckungsgleich. Gensicke/Geiss/Picot (2005: 41) sehen
»Zivilgesellschaft im Sinne einer neuen Verantwortungsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Drittem Sektor, [welche] ein geeignetes gesellschaftspolitisches Leitbild für eine soziale Reformperspektive [bildet]. Bürgerinnen und Bürger, aber auch die tragenden Sektoren unserer Gesellschaft werden mehr öffentliche Verantwortung übernehmen. Erst wenn diese öffentliche Verantwortungsteilung durch Vernetzung eine zivilgesellschaftliche Infrastruktur erhält, können die großen Herausforderungen in einem zivilgesellschaftlich begleiteten Reformprozess beantwortet werden.«
Im Dritten Sektor gibt es eindeutig staatlich (mit)organisierte und dominierte Bereiche, weshalb man hier, so Adloff (2005: 117), auch von »staatlich organisierte[r] Zivilgesellschaft« sprechen könne. Dies erscheint jedoch als Widerspruch in sich, da Zivilgesellschaft sich möglichst jenseits der staatlichen Institutionen entwickeln und organisieren soll. Evers (2004: 1) beschreibt den Zusammenhang von Drittem Sektor und Zivilgesellschaft so:
»Nicht nur, dass Dritte-Sektor-Organisationen verschiedene Leitprinzipien miteinander verschränken müssen, sondern auch, dass sie gewissermaßen kolonialisiert und assimiliert werden können – an etatistische oder wirtschaftliche Nutzenkalküle. Aber auch umgekehrt: zivilgesellschaftliche Prinzipien können offensiv bei der Gestaltung staatlicher Institutionen und Politiken, aber auch im privaten Wirtschaftssektor zur Geltung gebracht werden. Das bringt mich zum entscheidenden Punkt: Für die Stärke von Zivilgesellschaften ist die Größe eines Dritten Sektors nicht der entscheidende Maßstab. Es geht vielmehr darum, zivilgesellschaftlichen Leitprinzipien auch außerhalb des Dritten Sektors mehr Geltung zu verschaffen.«
In Südafrika ist sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion eine Gleichsetzung von NROs, die dem Dritten Sektor zugerechnet werden können, und Zivilgesellschaft zu beobachten. Es geht hier daher auch darum, wie zivilgesellschaftliche Leitprinzipien außerhalb dieses organisierten Sektors umgesetzt werden und ob Community Radios dafür einen Ort bieten können. Daher wird hier besonderer Wert auf die – für die emanzipatorische Medienarbeit unerlässliche – möglichst große Unabhängigkeit auch von staatlich mitorganisierten Bereichen gelegt.
Während die einen in der Zivilgesellschaft heute eher eine Stärkung der demokratischen Selbstregulierung sowie einen Schutz vor staatlichen oder marktwirtschaftlichen Einflüssen sehen, scheint es anderen mehr um die Eigenverantwortung der Bürger zu gehen, die sich nicht länger auf den Sozialstaat verlassen sollen oder können (vgl. Adloff 2005: 7). Im Folgenden werden nun vier unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bzw. deren mögliche Verbindungen beim Zugang zum Begriff Zivilgesellschaft dargestellt sowie die jeweilige Problematik aufgezeigt. Dabei wird weitestgehend die 2007 von Schmidt vorgelegte Darstellung der unterschiedlichen Zivilgesellschaftskonzepte seit der Antike herangezogen.
Normativ-handlungsbezogene Definition
Der normativ-handlungsbezogene Definitionsansatz beschreibt die Ansprüche an die Akteure folgendermaßen: Das selbständige und selbstorganisierte Engagement ist nicht an Einzelinteressen, sondern am Gemeinwohl ausgerichtet, zivilgesellschaftliche Akteure streben nicht unbedingt eine harmonische und konfliktfreie Gesellschaft an, sondern versuchen vielmehr, die entstehenden Konflikte frei von physischer Gewalt zu lösen, der Aktionsraum ist öffentlich, im Zentrum steht die Anerkennung des Andersdenkenden und die Partizipation muss freiwillig sowie prinzipiell jedem möglich sein (vgl. Schmidt 2007: 15; Betz 2005:1011).
Die normativen Anforderungen an bürgerschaftliches Engagement verlangen den Akteuren seit jeher »ein hohes Maß an Integrität und tugendhaftem Verhalten ab« (Schmidt 2007: 16). Zu der von Platon (427–347 v. Chr.) bereits in der Antike geforderten Vernünftigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit (vgl. Der Staat, 4. Buch) und der bei Aristoteles (384–322 v. Chr.) erstmals auftauchenden Selbstorganisation und Selbstbestimmung kamen bei Hume (1711–1776) noch Anerkennung und Vertrauen sowie mit der Formulierung der Menschen- und Bürgerrechte die Akzeptanz des Andersdenkenden hinzu (ausführlich dazu s. Schmidt 2007).
Diese normativen Anforderungen gelten in Praxis und Forschung wegen mangelnder Eindeutigkeit aber als nur schwer einlösbar. So ist nicht klar, wer definiert, was das Gemeinwohl ist oder wo die Grenzen für die Akzeptanz der Andersdenkenden liegen. Pauer-Studer (vgl. 2003: 71) fragt in diesem Zusammenhang, wie sich demokratische Gesellschaften zu moralischen Defiziten verhalten, die zwar nicht als staatlich verfolg- oder sanktionierbare Rechtsverletzungen gelten, wohl aber zur Destabilisierung der Gesellschaft beitragen können. In der Auslegung des Toleranzbegriffs zeigen sich i. E. die Differenzen zwischen liberaler und republikanischer Akzentuierung innerhalb der Demokratietheoriediskussion. Wie weit die Freiheit des Einzelnen gehen darf und durch was sie zu begrenzen sei, ohne das Fundament des Staates, also die politische und die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, wird seit der Veröffentlichung von Gentz’ (1764–1832) »Französische Revolution« (1793) diskutiert (vgl. Schmidt 2007: 103).
Die Partizipation muss freiwillig und prinzipiell jedem möglich sein, aber auch wenn Bürger zu einem (gemeinsamen) Engagement für das Gemeinwesen gewonnen werden sollen, so hat es schon immer Ausgrenzungsmechanismen gegeben. Nicht nur bei Platon war das bürgerschaftliche Engagement einer kleinen Elite vorbehalten. Erst im 19. Jahrhundert löste sich dieses Engagement mit dem organisierten Auftreten der Arbeiterbewegung vom Bürgertum. Schon vorher bildeten sich in Europa zwar vermehrt Bürgervereinigungen, die sich die Vertretung ihrer Interessen innerhalb der Gesellschaft vor allem aber gegenüber dem Staat zum Ziel gesetzt und eine wichtige Rolle in der Wertevermittlung zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gespielt hatten. Allerdings standen in Deutschland bis zur Deutschen Revolution 1848 die nicht-bürgerlichen Schichten dabei eher am Rand. Bürgerschaftliches Engagement galt darüber hinaus lange Zeit als reines Männerprojekt. Für ein solches Engagement sind zudem Zeit und Geld sowie je nach Anspruch bestimmte Fertigkeiten und Fähigkeiten nötig, die Kenntnisse und Bildung voraussetzen, die den Arbeitern damals weitgehend vorenthalten waren und bis heute für die bildungsfernen Schichten schwerer zu erwerben sind (vgl. Schmidt 2007: 137 ff.).
Eine weitere zentrale Frage, die sich laut Schmidt (vgl. 2007: 16) bis heute durch die Zivilgesellschaftsdebatte zieht, ist und bleibt die nach der Gewaltanwendung zum Schutze des Gemeinwesens. War in der Antike die Verteidigungsbereitschaft noch ein zentrales Element des bürgerschaftlichen Engagements und konstituierte sich die Civil Society nach dem Verständnis der schottischen Frühaufklärer Ferguson und Smith erst im Kampf, so stellt sich heute die Frage, ob moderne Zivilgesellschaften Gewalt mit zivilen Mitteln noch verhindern bzw. ihre Ziele gewaltfrei durchsetzen können. Schmidt weist an derselben Stelle auf die Gefahr der ideologischen Instrumentalisierung durch die Politik hin, wenn Zivilgesellschaft zur symbolischen Selbstbeschreibung wird und so bestimmte Verhaltensweisen als unzivil abqualifiziert werden können. Diesen Fragen entziehen sich die Vertreter der bereichslogischen Definitionen.
Bereichslogische Definition
Nach der bereichslogischen Definition findet zivilgesellschaftliches Engagement jenseits des Staates, außerhalb der Wirtschaft und abseits der Privatsphäre statt. Demnach würden alle Organisationen, Vereine und Initiativen, die nicht Teil des Marktes, des Staates und der Privatsphäre sind wie Nachbarschaftshilfen, Stadtteilinitiativen, Friedensdemonstrationen, Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen zur Zivilgesellschaft zählen (vgl. Gosewinkel/Rucht 2003: 35).
Dieser Definitionsansatz weist jedoch mindestens zwei Schwachstellen auf. Zum einen gelten die Grenzziehungen als recht starr, obwohl sie in der Realität als durchlässig anzusehen sind, zum Beispiel bei staatlich finanzierten oder kontrollierten Vereinigungen und Verbänden (vgl. Schmidt 2007: 70 ff., Betz 2005: 10). Zum anderen wird hier von den Inhalten abstrahiert, weshalb eine gewisse Beliebigkeit des Begriffs entsteht und somit deutlich wird, »dass Zivilgesellschaft nicht per se ein Projekt ist, das zur ›besseren Gesellschaft‹ führt oder auf dieser beruht« (Schmidt 2007: 18 f., Hervorhebung im Original). Dieser Ansatz ermöglicht es, antidemokratische Tendenzen aus dem Zivilgesellschaftsbegriff heraus zu definieren. Es könnten beispielsweise, aller Demokratieferne zum Trotz, von neonazistischen Gruppen organisierte Veranstaltungen für Jugendliche oder deren Aufrufe zu politischem Engagement ebenfalls als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements gelten, so Schmidt weiter. Dieses Verständnis zeigt sich in Deutschland bei der Genehmigung von Demonstrationen dieser Gruppen, solange die rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, und wirft erneut die Frage nach der Grenze für die Akzeptanz des Andersdenkenden auf. Dass zivilgesellschaftliches Engagement nicht zwingend demokratiefördernd sein muss, stellen Merkel/Lauth (vgl. 1997: 31 ff.) auch innerhalb von Transformationsprozessen fest. Ihre Definition wird weiter unten vorgestellt.
Gensicke/Geiss/Picot (vgl. 2005: 41) setzen an die Stelle der Privatsphäre den Dritten Sektor und sehen Zivilgesellschaft mehr als Verantwortungsverteilung zwischen diesen Bereichen der Gesellschaft, in denen Bürger öffentliche Verantwortung übernehmen. Dort wird also weniger von einer klaren Trennung zwischen den die Gesellschaft tragenden Sektoren ausgegangen als vielmehr auf die gemeinsame Verantwortung verwiesen. Die von ihnen formulierte Definition beschreibt eine demokratieunterstützende Funktion der Zivilgesellschaft