Zu schön für die Liebe? - Carole Mortimer - E-Book

Zu schön für die Liebe? E-Book

Carole Mortimer

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Beschreibung

Darf ein Mann so schön sein? Die junge Malerin Bryn kann sich an Gabriel D’Angelo nicht sattsehen. Doch der reiche Galerist hat einst ihre Familie ins Unglück gestürzt. Auf keinen Fall will sie ihm nahekommen - sagt ihr Verstand. Aber Bryns Körper sendet ganz andere Signale …

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IMPRESSUM

Zu schön für die Liebe? erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Carole Mortimer Originaltitel: „A Bargain with the Enemy“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 391 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Valeska Schorling

Umschlagsmotive: mauritius images / VOLODYMYR VAKSMAN / Alamy / Alamy Stock Photos

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2021.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751514347

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

„Keine Sorge, Mik, er kommt schon noch.“

„Nimm deine verdammten Füße von meinem Schreibtisch“, sagte Michael scharf, ohne von dem Ordner aufzublicken, den er gerade durchlas. „Außerdem mache ich mir keine Sorgen.“

„Von wegen!“, entgegnete Rafe gedehnt, ohne der Aufforderung seines Bruders nachzukommen.

„Wirklich nicht, Rafe!“

„Weißt du, ob …?“

„Du siehst doch, dass ich gerade lese!“ Michael seufzte und sah seinen Bruder genervt an. Wie immer war er sehr konservativ und korrekt gekleidet. Er trug ein hellblaues Hemd mit sorgfältig gebundener dunkelblauer Seidenkrawatte, eine dunkle Weste und eine Anzughose. Das dazu passende Jackett hing über seinem ledernen Schreibtischstuhl.

Ihre Mutter hatte sich den Scherz erlaubt, ihren drei Söhnen die zu ihrem Nachnamen passenden Vornamen Michael, Raphael und Gabriel zu verpassen. Wenn man schon D’Angelo hieß, dann musste man auch Vornamen wie Erzengel haben. Auf dem Internat waren sie deswegen ständig aufgezogen worden, doch jetzt, wo sie die dreißig überschritten und aus den drei Galerien und Auktionshäusern in London, New York und Paris die besten und renommiertesten Privatgalerien der Welt gemacht hatten, wagte es niemand mehr, sich über sie lustig zu machen.

Ihrem Großvater Carlo D’Angelo war es gelungen, bei seiner Flucht aus Italien vor fast siebzig Jahren sein Vermögen nach England zu retten, bevor er eine Engländerin geheiratet und einen Sohn gezeugt hatte, Giorgio: Michaels, Raphaels und Gabriels Vater.

Wie dessen Vater vor ihm hatte Giorgio einen ausgezeichneten Geschäftssinn bewiesen, indem er vor dreißig Jahren die erste Archangel-Galerie in London eröffnet und damit zum Vermögen der Familie beigetragen hatte. Seitdem er mit seiner Frau seinen Ruhestand in Florida genoss, hatten seine drei Söhne dieses Vermögen mit der Eröffnung zweier weiterer Galerien in New York und Paris vervielfacht. Inzwischen waren die drei Multimillionäre.

„Und nenn mich nicht Mik“, fügte Michael gereizt hinzu, während er die Lektüre des Ordners fortsetzte. „Du weißt genau, wie sehr ich das hasse.“

Natürlich wusste Rafe das, doch er betrachtete es als seine brüderliche Pflicht, seinen älteren Brüdern auf die Nerven zu fallen. Nicht dass er dazu heutzutage viel Gelegenheit bekam, jetzt, wo sie meistens in unterschiedlichen Galerien arbeiteten. Aber sie legten immer großen Wert darauf, einander zu Weihnachten und an ihren Geburtstagen zu besuchen, und heute war Michaels fünfunddreißigster Geburtstag. Rafe war ein Jahr jünger und Gabriel, das „Baby“ der Familie, ein weiteres Jahr später geboren.

„Ich habe vor etwa einer Woche mit Gabriel telefoniert.“ Rafe verzog das Gesicht.

„Wozu diese Grimasse?“ Michael zog eine dunkle Augenbraue hoch.

„Er war genauso mies drauf wie immer seit fünf Jahren. Keine Ahnung, was er je an ihr fand.“ Rafe zuckte die Achseln. „Für mich war sie immer nur eine graue Maus. Das Einzige, was für sie sprach, waren diese Riesen…“

„Rafe!“, ermahnte Michael seinen jüngeren Bruder streng.

„…augen“, ergänzte Rafe trocken.

Michael presste missbilligend die Lippen zusammen. „Ich habe erst vorgestern mit ihm gesprochen.“

„Und?“, fragte Rafe ungeduldig, als sein älterer Bruder mal wieder perfekt die verschlossene Auster spielte.

„Er hat gesagt, er würde heute rechtzeitig zum Abendessen kommen“, antwortete Michael achselzuckend.

„Warum zum Teufel hast du mir das nicht schon früher gesagt?“

Rastlos schwang Rafe die Füße vom Schreibtisch, stand auf und fuhr sich irritiert mit einer Hand durch das lange volle Haar. Er war groß, sehnig und trug ein enges schwarzes T-Shirt und ausgeblichene Jeans. „Aber das wäre vermutlich zu einfach gewesen.“ Er funkelte seinen Bruder wütend an.

„Zweifellos.“ Michaels schwaches Lächeln war genauso schwer zu deuten wie der Blick aus seinen dunklen Augen. Wie immer.

Die drei Brüder sahen sich äußerlich sehr ähnlich; alle waren etwa einsneunzig groß und hatten tiefschwarzes Haar. Michael trug seins kurz geschnitten, während Rafes Haar ihm fast bis auf die Schultern fiel, und im Gegensatz zu Michaels fast schwarzen Augen waren seine hellbraun. „Und?“, fragte er ungeduldig, als Michael nichts hinzufügte.

„Und was?“ Sein Bruder zog arrogant eine Augenbraue hoch und lehnte sich entspannt in seinem Schreibtischstuhl zurück.

„Wie war er drauf?“

Michael zuckte die Achseln. „Wie du selbst gesagt hast, so mies wie immer.“

Rafe verzog das Gesicht. „Ihr beide seid wirklich das ideale Paar!“

„Ich habe keine schlechte Laune, Rafe, sondern nur Probleme mit Dummköpfen.“

„Ich nehme an, ich bin bei diesem Pauschalurteil nicht mit eingeschlossen?“, entgegnete Rafe.

„Wohl kaum.“ Michael entspannte sich wieder etwas. „Außerdem bevorzuge ich für uns drei eher die Bezeichnung … anspruchsvoll.“

Rafe lächelte schief. Michael hatte nicht ganz unrecht. Vielleicht hatte deshalb bisher niemand von ihnen geheiratet. Die meisten Frauen fühlten sich vor allem wegen ihres Aussehens und ihres Reichtums zu ihnen hingezogen – offensichtlich keine gute Basis für eine Beziehung, die nicht rein körperlich war. „Okay. Was steht eigentlich in dem Ordner, in den du seit meiner Ankunft so vertieft bist?“

„Ach, der.“ Michael verzog das Gesicht.

Rafe stutzte. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass deine Antwort mir nicht gefallen wird.“

„Da könntest du recht haben.“ Sein Bruder drehte den Ordner um und schob ihn über den Tisch.

Rafe las den Namen auf dem Deckel. „Wer ist Bryn Jones?“

„Eine der Bewerberinnen für die Ausstellung junger Künstler in der Londoner Galerie nächsten Monat.“

„Verdammt, deshalb wusstest du, dass Gabriel heute kommen würde! Stimmt, er will ja die Ausstellung in der Londoner Galerie organisieren.“

„Während ich für eine Weile nach Paris gehe“, fügte Michael hinzu.

„Wirst du die schöne Lisette sehen, wenn du schon mal da bist?“ Rafe sah seinen Bruder vielsagend an.

Michael presste die Lippen zusammen. „Wen?“

Sein gleichgültiger Tonfall verriet Rafe, dass Michaels Beziehung mit der „schönen Lisette“ nicht nur vorbei, sondern auch schon Schnee von gestern war. „Und? Was ist denn nun so besonders an dieser Bryn Jones, dass du eine Akte über sie angelegt hast?“

„Vielleicht hilft dir dieses Foto ja auf die Sprünge …“ Michael schlug den Ordner auf und nahm eine Schwarz-Weiß-Fotografie heraus. „Es stammt von einer der Aufnahmen der Überwachungskameras, als sie gestern persönlich in die Galerie kam, um Eric Sanders ihr Portfolio zu überreichen.“ Eric war Kunstsachverständiger in der Londoner Galerie.

Rafe nahm das Foto und betrachtete es aufmerksam. Bryn Jones war eine junge Frau, vermutlich Anfang bis Mitte zwanzig, in einem dunklen Kostüm. Auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme war ihre Haarfarbe schwer zu erkennen, doch es wirkte eher hell.

Sie hat ein wunderschönes Gesicht, dachte Rafe, während er das Foto betrachtete: herzförmige Gesichtsform, helle Augen, Stupsnase, hohe Wangenknochen und volle sinnliche Lippen.

Ein faszinierendes, ihm vage bekannt vorkommendes Gesicht …

„Irgendwie habe ich das Gefühl, sie zu kennen.“ Er hob den Kopf.

„Vermutlich kennst du sie auch. Wir alle“, fügte Michael hinzu. „Stell sie dir etwas … rundlicher vor, mit einer großen dunkel gerahmten Brille und langem mausbraunem Haar.“

„Klingt nicht gerade wie die Art Frau, zu der sich einer von uns je hingezogen …“ Rafe verstummte abrupt.

„Ach ja … ich habe vergessen zu erwähnen, dass du dir vielleicht die Augen näher ansehen solltest“, fügte Michael trocken hinzu.

Rafe blickte verblüfft hoch. „Das kann doch nicht sein, oder?“ Er betrachtete das Foto noch eingehender. „Willst du damit etwa sagen, dass diese schöne Frau hier Sabryna Harper ist?“

„Ja.“

„William Harpers Tochter?“

„Eben die.“ Michael nickte grimmig.

Bei dem Gedanken an den Skandal vor fünf Jahren presste Rafe die Lippen zusammen. Damals hatte William Harper ihrer Londoner Galerie einen angeblich bislang unbekannten Turner zum Verkauf angeboten. Normalerweise wäre die Existenz des Gemäldes geheim gehalten worden, bis es offiziell von Experten als Original anerkannt worden wäre, aber irgendwie hatte die Presse Wind davon bekommen, und die ganze Kunstwelt hatte hitzig darüber spekuliert, ob das Gemälde tatsächlich von William Turner stammte.

Gabriel war damals Leiter der Londoner Galerie gewesen, hatte die Harpers zwei Mal besucht und bei diesen Gelegenheiten auch Harpers Frau und Tochter kennengelernt. Es war ihm daher sehr schwergefallen, vor Gericht bezeugen zu müssen, dass es sich bei dem Werk um eine fast perfekte Fälschung handelte. Harper war zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden.

Die Medien hatten sich auf seine Frau und die halbwüchsige Tochter gestürzt wie Hyänen. Die ganze traurige Geschichte war erneut breitgetreten worden, als Harper nach nur vier Monaten Haft im Gefängnis starb. Seitdem waren seine Frau und seine Tochter wie vom Erdboden verschluckt.

Bis jetzt, so wie es aussah …

Rafe beäugte Michael skeptisch. „Bist du dir absolut sicher, dass sie es ist?“

„Der Ordner in deiner Hand stammt von dem Privatdetektiv. Ich habe ihn sofort angeheuert, nachdem sie mir gestern in der Galerie über den Weg lief.“

„Du hast mit ihr gesprochen?“

Michael schüttelte den Kopf. „Nein, ich ging gerade zufällig durchs Foyer, als Eric mit ihr an mir vorbeilief. Wie schon gesagt, sie kam mir irgendwie bekannt vor. Der Privatdetektiv hat herausgefunden, dass Mary Harper kurz nach dem Tod ihres Mannes ihren Mädchennamen wieder angenommen hat.“

„Dann ist diese Bryn Jones also wirklich Sabryna Harper?“

„Ja.“

„Und was hast du jetzt vor?“

„Wie meinst du das?“

Rafe seufzte ungeduldig. „Na, offensichtlich kann sie unmöglich in die engere Auswahl für die Ausstellung nächsten Monat kommen.“

Michael zog die Augenbrauen hoch. „Und warum nicht?“

„Na, schon allein deshalb, weil ihr Vater uns ein gefälschtes Gemälde andrehen wollte und dafür ins Gefängnis kam!“ Rafe funkelte seinen Bruder wütend an. „Und nicht nur das, Gabriel hat dabei geholfen, ihn ins Gefängnis zu bringen!“

„Und die Tochter muss für die Sünden ihres Vaters büßen, meinst du das?“

„Nein, natürlich nicht! Aber … wie willst du wissen, dass die Gemälde in ihrem Portfolio tatsächlich von ihr stammen?“

„Das tun sie.“ Michael nickte. „Steht alles in der Akte. Sie hat einen erstklassigen Abschluss an der Kunsthochschule gemacht und versucht seit zwei Jahren erfolglos, ihre Bilder in anderen Galerien unterzubringen. Ich habe mir ihr Portfolio angesehen, Rafe, und sie ist gut. Mehr als gut sogar. Sie ist originell, was vermutlich der Grund dafür ist, dass die anderen Galerien sie bisher abgelehnt haben. Deren Pech und unser Gewinn. Ich habe die Absicht, eins ihrer Gemälde für meine Privatsammlung zu erwerben.“

„Dann wird sie also zu den sechs Siegern des Wettbewerbs gehören?“

„Ohne Zweifel.“

„Und was ist mit Gabriel?“

„Was soll mit ihm sein?“

„Wir hatten ihn damals wiederholt davor gewarnt, vor Gericht gegen Harper auszusagen, aber er hat nicht auf uns hören wollen. Nur ihretwegen ist er seit fünf Jahren so schlecht gelaunt. Was geht wohl in ihm vor, wenn er erfährt, wer Bryn Jones wirklich ist?“

„Jedenfalls ist sie mit den Jahren optisch erheblich ansehnlicher geworden“, antwortete Michael trocken.

Daran bestand kein Zweifel. „Klar, es ist nur … verdammt, Michael!“

Michael presste die Lippen zusammen. „Bryn Jones ist eine sehr talentierte Künstlerin und verdient daher eine Chance bei Archangel.“

„Fragst du dich denn gar nicht, warum sie sich bei uns beworben hat?“ Rafe runzelte besorgt die Stirn. „Vielleicht führt sie ja irgendetwas im Schilde? Vielleicht will sie sich für das, was mit ihrem Vater passiert ist, an uns oder an Gabriel rächen.“

„Das schoss mir auch schon durch den Kopf.“ Michael nickte.

„Und?“

Er zuckte die Achseln. „Zu diesem Zeitpunkt würde ich sagen, im Zweifel für die Angeklagte.“

„Aber was ist mit Gabriel?“

„Er hat mir schon des Öfteren versichert, dass er erwachsen ist und sich die Einmischung seines großen Bruders in sein Leben verbietet.“

Kopfschüttelnd ging Rafe auf und ab. „Willst du ihm etwa nicht sagen, wer sie ist?“

„Noch nicht“, erwiderte Michael. „Oder hast du etwa einen anderen Vorschlag?“

Nein, hatte Rafe nicht. Ehrlich gesagt war er absolut ratlos.

1. KAPITEL

Eine Woche später …

Vor mir liegt feindliches Terrain – schon wieder! stellte Bryn stirnrunzelnd fest, als sie die Marmorfassade der größten und renommiertesten Privatgalerie mit Auktionshaus in London betrachtete. Der Name Archangel glitzerte in goldenen Buchstaben im Sonnenlicht über der breiten Glasfront.

Nachdem sie sich innerlich einen Ruck gegeben hatte, trat sie durch die sich automatisch öffnende Glastür und betrat entschlossen das prachtvolle, mit Schaukästen voller wertvoller Kunstwerke ausgestattete Marmorfoyer.

Bryns innerer Widerstand war deshalb so groß, weil das hier für sie tatsächlich feindliches Terrain war. Die D’Angelos, vor allem Gabriel, waren nämlich dafür verantwortlich, dass ihr Vater vor fünf Jahren im Gefängnis gestorben war … und für ihr gebrochenes Herz …

Aber daran durfte sie jetzt nicht denken. Sie musste sich auf ihre verzweifelte Notlage konzentrieren. In den letzten zwei Jahren war sie von einer Galerie nach der anderen abgelehnt worden. Nach ihrem Abschluss an der Kunstakademie hatte sie noch geglaubt, die Welt stehe ihr offen, doch noch lag die ersehnte Anerkennung in weiter Ferne.

Viele ihrer ehemaligen Kommilitonen hatten dem Druck ihrer Familien und ihrer finanziellen Situation nachgegeben und waren in die Werbung gegangen oder Lehrer geworden, anstatt ihren Traum zu verwirklichen, von der Malerei zu leben. Aber nicht Bryn. Oh nein, sie hatte stur an ihrem Wunsch festgehalten, in einer Londoner Galerie ausgestellt zu werden – in dem festen Glauben, dass sie eines Tages ihre Mutter stolz machen und die mit dem Namen ihrer Familie verknüpfte Schande auslöschen würde.

Doch nachdem sie sich zwei Jahre lang eher schlecht als recht durchgeschlagen hatte, wurde es Zeit, sich ihre Niederlage einzugestehen. Das hieß natürlich noch lange nicht, dass sie die Malerei an den Nagel hängen, sondern dass sie zähneknirschend an dem renommierten Wettbewerb für Nachwuchskünstler der Archangels teilnehmen würde.

„Miss Jones?“

Bryn drehte sich zu einer der beiden Empfangsdamen hinter dem eleganten Marmortresen um und straffte die Schultern. Sie hatte nicht die Absicht, sich einschüchtern zu lassen … weder von der prachtvollen Umgebung noch von den kühlen eleganten Damen. „Ja, das bin ich.“

„Ich bin Linda“, sagte die andere Frau, stand auf und ging auf Bryn zu. Das Klacken ihrer hohen Absätze hallte laut in der Halle wider.

Bryn kam sich in ihrer schwarzen Hose und der geblümten Seidenbluse plötzlich ziemlich underdressed vor. „Ich habe einen Termin mit Eric Sanders“, sagte sie.

Linda nickte. „Wenn Sie mir bitte zum Fahrstuhl folgen würden? Mr D’Angelo hat mich gebeten, Sie gleich nach Ihrer Ankunft nach oben zu bringen.“

Bryn erstarrte. Ihre Füße fühlten sich plötzlich bleischwer an. „Ich dachte, ich bin mit Mr Sanders verabredet.“

Als Bryn keine Anstalten machte zu folgen, drehte Linda sich wieder zu ihr um. „Mr D’Angelo übernimmt heute Morgen die Vorstellungsgespräche.“

Bryns Mund wurde so trocken, dass ihr die Zunge am Gaumen zu kleben schien. „Mr D’Angelo?“, stieß sie hervor.

Die ältere Frau nickte. „Einer der drei Brüder, denen diese Galerie gehört.“

Bryn wusste genau, wer die drei D’Angelo-Brüder waren. Aber welchen von ihnen meinte Linda. Den hochmütigen Michael? Den arroganten Playboy Raphael? Oder den grausamen Gabriel, der vor fünf Jahren auf ihrem naiven Herzen herumgetrampelt war?

Doch im Grunde genommen spielte es keine Rolle. Sämtliche drei Brüder waren arrogant und mitleidlos, und Bryn würde sich keinem von ihnen auch nur bis auf drei Schritte nähern, wenn sie nicht den Ehrgeiz hätte, zu den sechs Gewinnern zu gehören, deren Gemälde nächsten Monat ausgestellt werden würden. Schrecklich, wie weit die pure Verzweiflung einen treiben konnte!

Sie schüttelte den Kopf „Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor“, sagte sie stirnrunzelnd. „Ich habe den Termin mit Mr Sanders’ Sekretärin vereinbart.“

„Weil Mr D’Angelo zu dem Zeitpunkt außer Landes war“, erklärte Linda.

Bryn starrte die Frau hilflos an.

Oh Gott! Vielleicht wäre es das Beste, die Flucht zu ergreifen, solange sie noch Gelegenheit dazu hatte.

Gabriel stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und verfolgte gebannt die Bilder, die die Überwachungskamera im Foyer der Galerie auf seinen Laptop schickte.

Er hatte Bryn Jones im selben Moment erkannt, als sie die Galerie betreten hatte. Fasziniert beobachtete er ihr Zögern und ihren verwirrten Gesichtsausdruck, als Linda sie ansprach, gefolgt von völliger Erstarrung. Vermutlich erzählte Linda ihr gerade, dass sie den Termin mit ihm statt mit Eric hatte.

Bryn Jones …

Oder vielmehr Sabryna Harper.

Er hatte sie zuletzt vor fünf Jahren in einem überfüllten Ge­richtssaal gesehen. Tagelang hatte sie ihn voller Abscheu aus glitzernden, wenn auch samtweichen taubengrauen Augen hinter dunkel gerahmten Brillengläsern angefunkelt.

Damals war Sabryna Harper erst achtzehn Jahre alt gewesen, etwas übergewichtig und ungeschickt. Ihr Haar war hellbraun und glatt gewesen und ihre Augen hinter den dicken Brillengläsern groß und verletzlich. Eine Verletzlichkeit, die Gabriel unerklärlicherweise stark angezogen hatte.

Inzwischen war sie gertenschlank und hatte eine tolle Figur, die in der lockeren geblümten Bluse und der engen Hose vorteilhaft zur Geltung kam. Ihr hellbraunes Haar war mit blonden Strähnchen durchzogen und war gut geschnitten und gestylt. Außerdem verzichtete sie inzwischen auf die Brille, vermutlich zugunsten von Kontaktlinsen. Ihrem entschlossenen Auftreten nach zu urteilen, war sie inzwischen auch selbstsicherer als früher.

Der Gewichtsverlust machte sich am stärksten in ihrem Gesicht bemerkbar, vor allem den hohen Wangenknochen. Und ihr sexy Mund erst … Gott sei Dank hatte Rafe ihn schon davor gewarnt. Bei dem Anblick bekam Gabriel unwillkürlich eine Erektion. Hoffentlich würde sie abgeklungen sein, bis sie sein Büro betrat.

Hätte er in dieser selbstbewussten jungen Frau die Sabryna Harper von vor fünf Jahren erkannt, wenn Rafe ihm nicht ihre wahre Identität verraten hätte? Oh ja, Gabriel hatte keinen Zweifel daran! Üppig oder schlank, Brille oder nicht, linkisch oder elegant und selbstsicher – er hätte sie immer wiedererkannt.

Die Frage war nur, ob sie sich anmerken lassen würde, dass sie ihn ebenfalls kannte.

Traumhaft, dekadent, sündhaft, braun wie geschmolzene Schokolade – nur so kann man Gabriel D’Angelos Augen beschreiben, dachte Bryn voller Selbstekel, als sie vor dem Marmorschreibtisch des Mannes stand, den sie jetzt schon so lange als ihren Erzfeind betrachtete. Des Mannes, der mit seiner Arroganz und Mitleidlosigkeit nicht nur ihren Vater ins Gefängnis gebracht, sondern auch Sabryna Harper getötet und Bryn Jones aus deren Asche hatte auferstehen lassen.

Desselben Mannes, der die jugendliche Sabryna verzaubert, sie geküsst und ihr das Herz gestohlen hatte.

Desselben Mannes, der nur wenige Wochen später in einem Gerichtssaal ihren Vater zu Gefängnis verdammt hatte.

Desselben Mannes, den Sabryna trotz allem gewollt hatte. Schon allein sein bloßer Anblick im Gerichtssaal war erregend gewesen, obwohl sie doch nichts als Hass für ihn hätte empfinden dürfen.

Sie hatte die gefährliche Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, in ihren Jahren als Bryn verdrängt und geleugnet. Sie hatte sich eingeredet, dass ihre Gefühle bei seinem Anblick nur leidenschaftliche Abneigung gewesen waren, Hass vielleicht sogar, weil sie sich auf keinen Fall zu ihm hingezogen fühlen durfte, nach allem, was er ihrer Familie angetan hatte.

Doch ein Blick auf ihn genügte, um zu wissen, dass sie sich in den letzten fünf Jahren nur etwas vorgemacht hatte; dass Gabriel D’Angelo trotz allem nach wie vor eine gefährliche Wirkung auf sie hatte. Er hatte eine solche Präsenz, dass er das dramatisch elegant eingerichtete Büro mit Blick auf die Londoner Skyline komplett auszufüllen schien.

Gabriel D’Angelo …

Warum hatte er nicht inzwischen eine Halbglatze, einen Bauch und Falten? Aber nein, er war genauso aufreizend schlank und muskulös wie früher, eine Tatsache, die durch seinen dunklen maßgeschneiderten Designer-Anzug noch betont wurde. Auch sein lässig aus dem Gesicht gekämmtes welliges Haar war noch so voll und dunkel wie in ihrer Erinnerung.

Und sein Gesicht erst!

Er hatte das Gesicht eines Models, die Art Gesicht, bei deren Anblick Frauen jeden Alters schwach wurden. Seine Stirn über seinen sündhaft braunen Augen war hoch, er hatte eine gebogene Nase, hohe scharf geschnittene Wangenknochen und olivfarbene Haut ohne eine Spur von Falten! Seine Lippen waren perfekt, wie gemeißelt – die obere voller als die untere –, und sein markantes Kinn verriet Entschlossenheit.

„Miss Jones.“ Gabriel D’Angelos kultivierte Stimme klang genauso tief und heiser wie früher. Und Bryn reagierte darauf genauso wie damals: mit weichen Knien.