Zufälle, die keine sind - Heidi Witzig - E-Book

Zufälle, die keine sind E-Book

Heidi Witzig

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Beschreibung

Unglaubliche Geschichten waren der Anlass für "Der Admiral", das erste Buch von Heidi Witzig. Seitdem sind noch viel mehr dieser "Zufälle, die keine sind", passiert. Die Autorin erzählt in ihrer frischen und unbeschwerten Art von weiteren Erlebnissen und berichtet, wohin sie ihr kleiner Schmetterling noch begleitet und geführt hat. Lassen Sie sich auch von diesem zweiten Buch verzaubern. Es ist ein idealer Begleiter, der den Leser bestens unterhält, ihn zum Schmunzeln bringt und zudem noch viel Freude und Lebenskraft vermittelt.

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Seitenzahl: 269

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Heidi Witzig

Zufälle die keine sind

Mitten ins Herz

© 2022 Heidi Witzig

Lektorat, Cover, Layout: Dr. Matthias Feldbaum

Coverabbildung: frenta – stock.adobe.com

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-347-52838-3

Hardcover: 978-3-347-52839-0

E-Book: 978-3-347-52840-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über: http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Mein erstes Buch

Was mich bewegte, ein Buch zu schreiben

Wie alles begann.

Die Wassertonne

Feldgeschichten

Mein praktisches Talent

Lehrstelle in Berlin-Charlottenburg

10. April 1962

Leicht wie eine Feder103

Sommerfest

Hochzeit meiner Schwester Christel

Hallo Mama, ich bin da

Mit Iris nach Oldenburg

Bei der Bundeswehr in Mainz

Drei neue Ehen

Christa

Die Feuerschale

Jahreswechsel – Glückskekse

Träume

Nachricht vom Lektor

Franz am Supermarkt

Mein Glücksring Nr. 8

Der Trompeten-Engel

Margot

Lesezeichen von Iris

Mein „alter“ Freund, der Admiral

Ein neuer Freund

Idee zu meiner ersten Lesung

Sehnsucht nach meinem Admiral

Lesezeichen

Muttertag

Meine Bilder und Fotos

Neuentdeckung Malerei

Zurück in die Dumont-Straße

Meine erste große Lesung

Frau Baum

Begegnung am Karfreitag

Lottoladen

Wartezimmer

Südtirol

Meine Geburtstage

Griechenland

Reaktionen von B. Canth

Geburtstagspost von Angelika

Ein neuer Freund Pfauenauge

Biene Franz

Abschied vom Mini

Zwei Zahlen

Meine Nachfolgerin

Rückblick

Achte auf Veränderungen: Rotes Herz

Ein lächelnder Kopf aus Stein

Ein Lächeln

Elisa – ein unverhoffter Besuch

Sieben Kinder und ein Versprechen

Führungsakademie Hamburg

Weihnachten und Silvester

Vollmondgeschichten

Nie mehr Bühne, die „fünfte Jahreszeit“ in Mainz

Claire

Modenschau

Antenne Mainz – meine drei Versuche

Iris Heidenreich

Glück im Weingut B. Stenner

Steinmetz Waldfriedhof

Beziehungen zum Journal Lokal

Seniorenresidenz

Pillendosen für ein Familienfest

Frau Oberst

Zwei „witzige“ Interviews

Andy und Alex

Im Nahkauf bei Bea

Lesung im Weingut B. Stenner

Lesung am Waldfriedhof

Oskar und Hanna in Mainz

Zwei, die sich verstehen

Segelbild von Monika

Mexiko-Falter

Lesung in Laboe

Ein Engel auf dem Weg von Laboe nach Kiel

Lesung in Laboe

Ein kurzer Arztbesuch

Stockholm

Erlebnis Jessica

Buchbinder Johannes

Reise nach Stockholm

Abba und Antenne Mainz

Auf den Spuren des Admirals in Stockholm

Interview Antenne Mainz

Überraschung

Ein Geheimnis

Glück mit einem Admiral – Margot

Trauer um eine dritte Iris

Weihnachtszeit

Gedanken Christel, drei Symbole

Michaela und Andrea

Hannelore und ein Rucksack

Goldene Hochzeit in Berlin

„Mitten ins Herz“: Vorahnungen

Claire

Begegnungen

Ein unglaublicher Abschluss

Laboe – Claire

Aktion Admiral

Renate – Leserin meines ersten Buches

„Mitten ins Herz“: Silberhochzeiten

Ein Ass im Ärmel

Mitten ins Herz

Mein erstes Buch

So unwahrscheinlich es klingen mag, so wahr ist meine Geschichte. Um mir meinen unerfüllten Traum, ein Buch zu schreiben, zu erfüllen, sollten vierzig Jahre vergehen.

Erst im Alter von 70 Jahren stand ich vor meiner größten Herausforderung: Autorin zu werden.

Die „ZUFÄLLE, die keine sind“, brachten mich dazu, Menschen darauf hinzuweisen, aufmerksamer auf die kleineren Dinge und Zeichen am Wegesrand zu achten.

Vor einem Jahr sind meine Tochter Iris und meine Mutter Else gestorben. Nach dem ersten Trauerjahr verspürte ich große Lust auf einen Spaziergang über die Weinberge. Begleitet wurde ich von Haggard, dem Hund meiner Schwester, einem aufgeweckten Kerlchen, der mich oftmals mit neugierigen Unternehmungen überraschte. So führte er mich dieses Mal zu unserem kleinen Friedhof, der nicht weit von unserm Zuhause entfernt lag. Noch bevor wir unser Ziel erreicht hatten, überkam mich ein mir völlig unbekanntes Gefühl. Ich bekam Gänsehaut, spürte die Nähe meiner Tochter Iris. Irgendeine Kraft drängte mich, auf einen großen Stein vor dem Tor zuzugehen, worauf ein bunter, wunderschöner Schmetterling saß. Keine Menschenseele war unterwegs. So hatte ich keine Scheu, ihn mit einem Flüsterton anzusprechen und ihn zu fragen, ob ich mich zu ihm setzen dürfte. Ich sprach mit ihm wie mit einem anderen Tier, nur etwas vorsichtiger, als wäre es das Normalste auf der Welt!

Er ließ es zu, als kannten wir uns bereits. Ich war total verblüfft. Nicht einmal ansatzweise hätte ich mit so etwas gerechnet. Haggard blieb ruhig und still an meiner Seite und lauschte dem Treiben zwischen mir und einem Schmetterling. Vorsichtig streckte ich ihm meine rechte Hand entgegen, mit einem Wunsch, ihn bitte an mein Herz zu führen. Was ich für unmöglich hielt, verzauberte er mich. Der Falter umgab mich mit einer angenehmen Wärme, die ich nur meiner Tochter Iris zuordnen konnte. Als sollte dieser Moment nur uns dreien gehören, gab ich ihm spontan den Namen meiner Tochter: Iris. Für mich war es eine unbeschreibliche Begebenheit: Durch den Schmetterling Iris war ich tief in meinem Herzen mit der Seele meiner Tochter verbunden.

Wie ich erst später erfuhr, war es ein „Admiral“.

Diese wahre Geschichte war der Anstoß für mein erstes Buch DER ADMIRAL – Zufälle, die keine sind.

Was mich bewegte, ein Buch zu schreiben

In dieser Zeit waren mein Mann und ich einem väterlichen Freund sehr verbunden. Er kannte meine Träume, ein Buch zu schreiben und war an allen Geschichten und Erlebnissen interessiert, von denen er sich auch selbst überzeugte. Eines Tages überreichte er mir das Buch einer Bekannten. Damit wollte er mir Mut machen, selbst zur Feder zu greifen. Mit den Worten: „Schreiben Sie Frau Witzig,“ fangen sie jetzt an, und schreiben Sie alle ihre Erlebnisse auf.

Ich liebte Herausforderungen und nahm das Buch dankend an. Nach eineinhalb Jahren konnte ich ihm erstmals mein fertiges „Manuskript“ überreichen, womit ich ihm eine große Freude bereitete.

Nur meine engsten Vertrauten wussten von meinem langjährigen Traum und verfolgten alle meine Geschichten, die ich mit Fotos aus meinem Tagebuch untermauern und ausschmücken konnte.

Wer hatte schon die Möglichkeit, drei ganze Jahre mit einem ungewöhnlichen Freund, einem Falter, an seiner Seite zu verbringen? Wer bekam schon die Gelegenheit, etwas von einem Schmetterling zu lernen und etwas Besonderes über ihn zu erfahren? Ich sollte auf seine nicht nachvollziehbaren Späßchen und Zeichen achten, die mich über den Verlust zweier geliebter Menschen hinwegtrösteten. Für mich gehörte diese Begegnung zur intensivsten Trauerverarbeitung, die man sich überhaupt vorstellen kann.

Bis heute ist es mir unerklärlich, wie einfühlsam, vertraulich und intelligent ein „Schmetterling“ sein konnte und wie er sich auf mich und meine Mitmenschen einstellen konnte.

Die Gedanken und Erlebnisse mit meinem „Admiral“ wurden mir täglich immer klarer. Ich sollte mich an ganz ungewöhnliche Dinge zurückerinnern und seine Spuren verfolgen, die ich letztendlich als wahre Geschichten entschlüsseln sollte.

Leider reichte mir die Zeit nicht aus, einem väterlichen Freund mein fertiges Buch zu überreichen, deshalb musste ich erst einen Lektor ausfindig machen, der sich für meine Geschichte interessierte.

Schon nach meinem ersten Anruf fühlte ich mich verstanden und hatte das Gefühl, angekommen zu sein. Wir waren uns sofort sympathisch, was mir sehr zugutekam, und ich freute mich, eine reizende Dame am Telefon zu hören. Sie überraschte mich mit den Worten, dass ihr kleiner Sohn gerade von Schmetterlingen angetan war, was genau passte, und wünschte mir viel Glück. Danach übergab sie den Hörer an ihren Mann, der sich um das Projekt kümmern wollte. Ich konnte es kaum fassen: Ich war meinem Ziel etwas nähergekommen!

Nach unserer Begrüßung erklärte ich ihm, wie ich auf den Untertitel „Zufällen, die keine sind“ gekommen war. „Wissen Sie“, sagte ich, „das mit den ‚Zufällen‘ ist so eine Sache. Meine Mutter ist eine geborene ‚Sommerfeld‘ und mein Mädchenname ist ‚Baum‘. Warum enthält ausgerechnet Ihr Nachname zwei ‚meiner‘ Wörter? ‚Feld‘ und ‚Baum‘. Wenn das kein Zufall ist.“

Er, fand es sehr witzig.

Damit war sogleich das Eis gebrochen und unser Gespräch endete in dem Satz: „Frau Witzig, wir schaffen das!“

Ich war überglücklich. Dies war der erste größere Moment, der mir zeigte, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand.

Im Mai 2017 wurde mein Buch Der Admiral herausgebracht. Was für ein Geschenk Gottes und was für ein unbeschreibliches Gefühl, noch mit 70 Autorin zu werden!

Als ich mein fertiges Buch meinem Mann und unserem väterlichen Freund überreichte, beglückwünschten beide mich zu meinem Erfolg und beide verbeugten sich vor mir. Zwei Menschen von denen ich Respekt habe und von ihrer Ernsthaftigkeit überzeugt bin. Beide trauten mir schon eine Menge zu, waren aber über meine Leistungen erstaunt, den langen Weg bis zur Autorin geschafft zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, wie ernst es mir mit meiner Geschichte wirklich war. Und jetzt schreibe ich auf, WOHIN mich MEIN Admiral und die „Zufälle, die keine sind“, hinzogen und mich „Mitten ins Herz“ trafen.

Wie alles begann.

Vielleicht hatte mein zweiter Ehemann wirklich recht: Einige Talente waren verschüttet oder nicht genug gefördert worden. Aber wer hätte mir seinerzeit helfen können? Meine Eltern mussten arbeiten, aber meine Oma war immer für uns da. Sie konnte uns sehr gut Märchen erzählen und Geschichten vorlesen und sie vertraute uns heimliche Verstecke in der Osterzeit an. So brauchten wir nie zu lange zu suchen.

Meine Schwester Christel war drei Jahre älter. Sie verstand und behielt in diesen jungen Jahren mehr als ich. Nachts las sie noch mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke. Das musste sie heimlich machen und ich versprach ihr, sie nie zu verpetzen. Eigentlich war ich nie eine „Petze“.

Ich mochte spannende Geschichten, die mich so anregten, dass ich sie in meinen Träumen ausplapperte. Daher horchte mein Vater mich nachts aus, mit wem und wo wir spielten, oder ob meine Schwester schon einen Freund hatte. Diese hielt mich darauf hin für eine Petze, da mein Vater sie auf ihren Freund ansprach. Eines Tages erzählte uns unsere Oma, woher mein Vater das alles wusste: großes Gelächter. Sie war die beste Oma, die wir uns wünschen konnten. Christel musste sich jetzt gut überlegen, ob sie mir weiterhin ihre Geheimnisse anvertraut.

Ich liebte meine Oma schon deshalb, weil sie sehr gerne mit mir Mensch ärgere dich nicht spielte. Sie war keine gute Verliererin und ärgerte sich fürchterlich, deshalb überließ ich ihr gerne den Gewinn. Hauptsache, sie behielt ihre gute Laune und wir konnten uns die Zeit vertreiben; so wurde es nie langweilig bei uns.

Auf diese Weise rückte die gesamte Familie oft zu einem lustigen Nachmittag oder Abend zusammen. Es fehlte uns an nichts.

Die Wassertonne

In unserem Garten besaßen wir alle Freiheiten. Wenn unser Cousin Herbert zu Besuch kam, was fast zur Routine gehörte, wurde immer gelacht. Auch Herbert war drei Jahre älter als ich, deshalb sollten Christel und er ab und an ein Auge auf mich werfen und auf mich aufpassen. Unser Garten wurde reichlich mit Gemüse bepflanzt. Und wir liebten alle Tiere, die im Garten herumliefen: Hühner, einen Hahn, der besonders frech war, Gänse und Stallhasen. In der Mitte des Gartens stand eine in die Erde eingelassene Wassertonne, die nicht sehr hoch war. Oft standen wir davor und setzten kleine Papierschiffchen hinein, oder wir spiegelten uns im Wasser. So geschah es, dass ich im Alter von zwei Jahren in einem unbeobachteten Moment kopfüber in diese Wassertonne fiel. Christel stand wie versteinert davor und schaute mich nur an. Herbert reagierte sofort und schrie, so laut er konnte: „Oma, Oma, die Heidi ist gerade in die Wassertonne gefallen!“ Immerhin wurde er so mein Lebensretter und weil meine geliebte Oma zum Glück immer in unserer Nähe war, zog sie mich an beiden Beinen aus der Tonne. Seitdem hatte ich einen Gehörschaden, der mich mein ganzes Leben daran hinderte, konzentrierter zu lernen oder hinzuhören, ohne mich ablenken zu lassen. Meine Besuche beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt wurden zur Routine.

Nach der Schule bin ich sehr oft den weiten Weg bis zu einem Bauernhof gelaufen, um meiner Mutter dort bei der Feldarbeit zu helfen. So lernte ich vieles darüber. Ich liebte die Natur und konnte mich nie sattsehen, was sich in oder über der Erdoberfläche versteckte.

So konnte ich in der Schule mit immer neuen Berichten bei den Stadtkindern punkten. Meine Geschichten waren allein schon deshalb sehr beliebt, weil sie der Wahrheit entsprachen und weil sie alle zum Lachen brachten. Alle waren auf meine neusten Erlebnisse und Erzählungen gespannt. Hier war ich einmal eine unter wenigen, die sich etwas zutraute, wovor andere zurückschreckten und sich einer solchen Herausforderung nicht stellen möchten.

Feldgeschichten

Eine meiner gern erzählten Feldgeschichten ist die vom „Spargelstechen, und was man dabei beachten muss“. Alle lauschten gespannt. „Also“, sagte ich gönnerhaft, „zum Spargelstechen gehört eine ganz besondere kleine Stielschippe. Man muss sie in einer speziellen Haltung dicht neben den Spargel und tief genug in die Erde stechen. Dabei dürfen die Spargelstiele nicht verletzt werden. Meine Mutter hat mir diese Technik beigebracht“, erklärte ich ganz stolz. „Danach werden sie nach Größe, Länge und Dicke sortiert und auf dem Sandboden aufgereiht. An diesem bestimmten Tag schien die Sonne so stark, dass sie mich blendete. Dadurch erschien die Spargelerde mal heller, mal dunkler und ich konnte nichts so recht erkennen. Also stach ich gut gelaunt und fröhlich nach einem Spargel, der aber leider keine Ähnlichkeit mit einem solchen hatte. Vor lauter Angst schrie ich nach meiner Mutter.

Vor mir saß eine fette, große, sandfarbene und hässliche Kröte, die mich mit riesigen Glupschaugen und aufgeblasenen Backen anglotzte. Noch nie hatte ich so etwas Hässliches gesehen, weshalb ich vor lauter Schreck meine Schippe im hohen Bogen weit wegwarf und anschließend nie wieder beim Spargelstechen dabei sein wollte. Zum Glück hatte ich die Kröte nicht verletzt, aber dieser Schock steckte mir noch lange in den Knochen.

Mutters Lachen schallt heute noch in meinen Ohren; diesen Moment werde ich nie vergessen, als sie mit ihrer bunten Kittelschürze auf dem Feld stand und mir noch von Weitem nachrief: „Du bist ja doch ein Angsthase!“ Ich war alles andere als ein Angsthase, aber der überraschende Moment hätte jeden anderen, außer meine Mutter natürlich, auch erschreckt. Meine Klassenkameraden waren begeistert. Wieder einmal habe ich sie alle mit einem Erlebnis zum Lachen gebracht, das war das Schönste für mich.

Dies geschah zur Zeit, als die Berliner Mauer gebaut wurde. Dabei konnte ich zuschauen, wie Soldaten der NVA Stacheldrahtzäune dicht neben unseren Feldern hochzogen.

Schon damals sammelte ich meine Geschichten. Die Stadtkinder fanden die einfache Vorstadt und das Familienleben von uns ganz toll und freuten sich auf jede Einladung von mir. Ich machte sie neugierig und strotzte vor Freude, sie zu unserem Bauern Zech mitzunehmen.

Immerhin sind wir dorthin jeweils vier Kilometern gelaufen, was uns keineswegs zu lang wurde. Meine Mutter amüsierte sich über die jungen Besucher, die neugierig die Tiere aufsuchten. Bauer Zech war ein Meister seines Fachs. Alles tat er mit Ruhe, was sich auf seine Tiere übertragen hat. Ich führte die Besucher in die großen sauberen Kuh- und Schweineställe. Beim Melken durften sie sogar die frische Kuhmilch aus den silbernen Blecheimern trinken. Da Stadtkinder so etwas kaum zu Gesicht bekamen, war das hier für sie eine andere Welt. Aber jeder gönnte mir diese Freiheiten, mit denen ich unbeschwert und glücklich aufgewachsen war.

Schon in der Schule entdeckten die Lehrer meine Mal- und Zeichentalente. Auf Elternabenden sprach mein Lehrer meine Eltern auf meine künstlerischen Talente an, die man, seiner Meinung nach, fördern müsse.

Viele meiner Zeichnungen wurden damals sogar im Rathaus von Spandau ausgestellt. Es war mein größter Wunsch, zu zeichnen und zu malen. Leider fiel dies bei meinen Eltern auf wenig Gehör, da die Geldmittel für eine künstlerische Weiterbildung fehlten und sie mich nicht unterstützen konnten. Mutters Geld allein reichte nicht aus und mein Vater konnte als Straßenbahnschaffner auch keine großen Sprünge machen.

Mein praktisches Talent

Meine Eltern hatten meine praktische Veranlagung längst erkannt. Aus allem konnte ich etwas zaubern und hatte viele Ideen. Gerne hätte ich entsprechende Berufe ausüben wollen, die ich mir zutraute. Für mein Maltalent gab es keine speziellen Berufe, vielleicht die Kulissenmalerei, hier hätte ich meiner Fantasie freien Lauf lassen können.

Auch Konditorin oder Blumenbinderin zu werden, hätte ich mir gut vorstellen können. Vieles, was ich kreativ umsetzen und mir zugetraut hätte, wurde mir durch meine mangelnde Schulbildung versagt. Mir fehlten meist bessere Noten. Diese konnte ich leider nicht vorweisen und somit konnte ich auch den ein oder anderen meiner Träume nicht verwirklichen.

Ich liebte die Musik und ich liebte es, vor einem schwarzen Klavier, einem „Lackflügel“ zu stehen, der bei meiner Tante Alice und meinem Onkel Oskar stand. Einmal pro Woche unterstützte ich sie im Haushalt und konnte mir so ein Taschengeld verdienen. Einer ihrer drei Söhne, Jörg, spielte sehr schön Klavier, worum ich ihn beneidete.

Jeder wusste von meinem anderen Traum, Klavier spielen zu lernen, aber niemand ging darauf ein, da es auch hierfür nicht genug Geldmittel gab. Es sollte einfach nicht sein. Heute bin ich froh, dass mein Mann Jürgen, der aus einer sehr musikalischen Familie kommt, Klavier und einige andere Musikinstrumente beherrscht. So spielte er zum Beispiel mit meinem Vetter Jörg vierhändig zu Mutter Elses 85. Geburtstag in Berlin-Spandau. Damit haben sie uns überrascht, ich war wirklich sehr stolz darauf.

Lehrstelle in Berlin-Charlottenburg

Tante Marta war die Cousine meiner Mutter, die kinderlos und allein in Berlin-Charlottenburg gegenüber vom alten Charlottenburger Schloss, Ecke Leibnizstraße wohnte. Sie war eine von den feinen Damen, die immer edel und schick gekleidet waren und stets mit der Mode gingen. Durch ihre Beziehungen bekam ich eine Lehrstelle als Friseurin in einem Friseursalon, der nur eine Straße von ihrer Wohnung entfernt lag. So konnte ich sie in der Mittagspause besuchen.

Friseurin war ein Beruf, in dem ich mich halbwegs kreativ entfalten konnte. In einer Zeit mit wenigen Lehrstellen war ich stolz darauf, diese Stelle bekommen zu haben. Die schönsten Frisuren und Haarfarben malte ich mir aus. Auch könnte ich mir endlich mein eigenes Geld verdienen und etwas Hübsches kaufen.

Tatsächlich machte es mir großen Spaß, mich mit diesem Beruf auseinanderzusetzen. Mein Lehrmeister und meine Chefin hatten große Pläne mit mir, da sie keine eigenen Kinder hatten. Schnell erkannten sie, dass sie nach langer Zeit mit mir den ersten Lehrling eingestellt hatten, der das richtige Talent für diesen Beruf mitbrachte. Ich sollte eines Tages die Hauptrolle in ihrem Friseursalon spielen. Endlich jemand, der an mich und meine Talente glaubte und diese fördern wollte.

Mit den letzten Lehrlingen, die ausgelernt hatten, hatten sie mehr als Pech gehabt. Schon bei meiner Einstellung fragten sie mich, ob ich einen Freund hätte. Zu dieser Zeit konnte ich die Frage meiner Chefin noch mit einem klaren Nein beantworten. Sie wusste, warum sie fragte, da ihre letzten Angestellten wegen Schwangerschaften ihren Beruf an den Nagel hängen mussten.

Ich war viel zu jung und wollte nicht zu diesen Vorgängerinnen gehören. Nein, lieber konzentrierte ich mich, so gut ich konnte, auf meinen Beruf, der mir neue Aufgaben und Herausforderungen gab.

In einer Mittagspause vertrauten mir meine beiden Kolleginnen ein Geheimnis an. Beide wurden zur gleichen Zeit schwanger und wünschten mir, dass es mir nicht auch noch passieren sollte. Unsere Chefs würden es nicht mehr verkraften, meinten sie. „Wie gut, dass ich eure Sorgen nicht habe“, gab ich angeberisch zurück.

Ach du meine Güte, deshalb fragte das Friseur-Ehepaar mich also, ob ich schon einen Freund hätte, was ich energisch verneinte. Außerdem hatte ich keine blasse Ahnung; ich war noch Jungfrau und nicht aufgeklärt. Trotzdem musste ich dieses Geheimnis für mich behalten.

10. April 1962

Es war im ersten Jahr nach dem Mauerbau in Berlin. Ich war 15 Jahre alt und stand kurz vor meiner Konfirmation, die erst im Mai stattfand. In diesem Monat fuhr ich mit meiner Schwester nach Berlin-Charlottenburg. Wie gut, dass ich heute nicht arbeiten musste und einen freien Tag hatte. Wir wollten Tante Marta besuchen, die uns mit einem wunderschönen Duschbad überraschen sollte. Von so etwas konnten wir in unserer Laubenkolonie nur träumen und freuten uns auf sie.

In jedem Jahr fand ein Sommerfest für unsere Wohn-Kolonie statt. Schon in der Frühe wurden unsere Vorgärten für den Umzug mit bunten Girlanden und Laternen geschmückt. Eine Musikkapelle marschierte voran und eröffnete dieses Ereignis.

An diesem Abend durfte ich das erste Mal mit meinen Eltern und der älteren Schwester ausgehen. Im Wirtshaus „Zur Alten Eiche“ sollte bei Musik und Tanz gefeiert werden.

Dabei kam es zu einer Begegnung, die nicht vorherzusehen war. Mit der Straßenbahnlinie 62 fuhren wir Geschwister von Spandau Richtung Berlin-Charlottenburg. Wir saßen dicht nebeneinander, direkt vor der Tür. Unsere gute Laune übertrug sich auf andere. Wir kicherten, wie es zwei Teenager tun und bemerkten nicht, dass irgendwann ein hübscher junger Mann zugestiegen war. Mit seinem Fotoapparat um den Hals konnte er nur ein Tourist sein. Viele kamen nach Berlin, um den Mauerbau zu besichtigen und was Berlin in dieser Zeit noch zu bieten hatte.

Dieser junge Mann fand Gefallen an uns, er lächelte uns zu, was wir freundlich erwiderten. Mir fiel auf, dass er seinen Blick auf meine große Schwester richtete. „Wow“, sagte ich zu ihr, „der meint dich!“

Meine Schwester stand kurz vor ihrer Verlobung, deshalb stupste sie mich an und sagte kopfschüttelnd: „Nee, nee, der meint dich“.

„Aber, der weiß doch nicht, dass Du dich verloben willst“, erwiderte ich. Gelächter. „Und ich bin viel zu jung“, ergänzte ich. Ich musste aber zugeben, dass dieser Typ auch sehr jung aussah, sodass ich mich in kürzester Zeit in ihn verknallt hatte. So ein Gefühlsausbruch war mir bisher unbekannt.

„Warum sollte ich mir das Herz so schwer machen, wir werden ihn sowieso nie wiedersehen“, sagte ich. „Mein Gott, Berlin ist eine so große Stadt, da laufen ihm bestimmt genug hübsche Mädchen über den Weg.“

„An der nächsten Haltestelle müssen wir aussteigen“, erinnerte meine Schwester.

„Ach schon, wie schade“, raunte ich und konnte es mir nicht verkneifen, diesem jungen Mann nochmals einen Blick zuzuwerfen.

„TSCHÜSS“, dieses Wort betonte ich besonders, um Eindruck zu hinterlassen.

„Nun komm schon endlich“, forderte mich meine Schwester auf. Irgendwann würde er sich bestimmt an diesen Moment erinnern. Gelächter.

Hier musste ich jeden Tag aussteigen, um zu meinem Arbeitsplatz in der Leipziger Straße zu kommen. Tante Marta freute sich auf den Besuch von uns beiden, da sie Christel nicht so oft, wie mich sah. Sie sorgte dafür, dass wir in neu geschneiderten Kleidern, schick gestylt für den Abend zu Hause ankamen.

Einen Kurzbesuch an der Heerstraße konnte ich allerdings nicht umgehen. Normalerweise trafen wir uns dort regelmäßig zum Wochenende mit Freunden. Nur heute musste ich meinen zwei Jahre jüngeren Jugendfreund Bernd im Stich lassen. Ich wollte und konnte diesen Nachmittag und Abend nicht mit ihm und den anderen verbringen und erzählte ihm von unserem Festabend mit den Eltern bei Musik und Tanz. Sein Opa lebte alleine und war froh, wenn sein Enkel jedes Wochenende zu Besuch kam. „Wie schade“, sagte er ganz traurig, „bitte bleib doch lieber bei mir!“

Es tat mir schon sehr weh, ihn so zurückzulassen, und ich zog dieses „Nein“ etwas in die Länge. „Ich bin doch schon zwei Jahre älter als du, aber morgen sehen wir uns wieder, versprochen?“ Ich sah in seine wässrigen, tränenfeuchten Augen, die ich mir nicht länger mit ansehen konnte. Deshalb entschied ich mich für einen raschen Abschied. Diesen traurigen Blick werde ich niemals vergessen.

Seit meiner Begegnung mit dem jungen Mann in der Straßenbahn sehnte ich mich nach einem Menschen, der mich so beeindruckte: Achterbahn der Gefühle – das kannte ich bisher so noch nicht.

Das Lokal „Zur Alten Eiche“, war genauso eingerichtet, wie der Name sagt. Das Innere wirkte mit seinen stabilen und massiven Eichenmöbeln einfach nur alt. Es gab zwei Räume, in der Mitte eine Tanzfläche. Gleich am Eingang stand die lange Theke mit den Barhockern. Alles war für eine geschlossene Gesellschaft vorbereitet. Jeder suchte sich einen Platz bei Freunden und Bekannten. Ich sicherte mir einen Stuhl unmittelbar an der Tanzfläche.

Leicht wie eine Feder

Unser Vater eröffnete mit unserer Mutter die Tanzfläche. Danach war er stolz, seine beiden Töchter auf die Bühne zu bitten. Auch bei den anderen Damen war er als sehr guter Tänzer bekannt. Aber sich „leicht wie eine Feder“ zu fühlen, das durfte nur unsere Mutter in seinen Armen. Wir liebten unsere Eltern!

Viel später, nach dem Tod unseres viel zu früh verstorbenen Vaters Anton, dachte Mutter sicherlich an ihn, wenn sie sich nach einem gutem Gläschen Wein wohlfühlte und leise eine Melodie summte. In diesem Moment hatten wir das Gefühl, dass sie sich an etwas Wundervolles zurückerinnerte. Eine Feder, die sie erst im Alter an ihrem Hut getragen hat und der heute bei mir in guten Händen ist.

Wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages ihren Hut aufsetzen und nach einem Gläschen Wein, ebenso ein Lächeln auf den Lippen tragen, Mutters Melodie summen und mich in Gedanken „leicht wie eine Feder“ fühlen. Dabei bin ich ihr dann ganz nahe. Noch heute bücke ich mich nach jeder weißen Feder, schaue sie nur an und sage: „Hallo Mama.“ Durch sie habe ich immer ein gewisses Lächeln im Gesicht, was viel im Leben erleichtert: „Du wirst sehen“, sagte sie, „du bekommst es dreifach zurück.“

Wie recht sie doch hatte … Versuchen Sie es!

Sommerfest

Kurz bevor unsere Kapelle zu spielen begann, kamen noch drei fremde Gäste, die eigentlich nur im Thekenbereich sitzen durften. Gegenüber standen jedoch noch drei freie Stühle, die sie besetzten. Was passierte gerade jetzt vor mir und in diesem Moment?

Vor mir setzte sich ein Ehepaar mit einem mir nicht unbekannten hübschen jungen Mann, der heute Vormittag noch in der Straßenbahn stand und meiner Schwester und mir zugelächelt hat. Mit einem Fotoapparat um den Hals, sodass ich an einen Touristen dachte, dem in ganz Berlin noch viele andere Mädchen über den Weg laufen würden. Nun begegnet er mir ausgerechnet auf unserem Sommerfest wieder! Bestimmt sah man mir die Röte an, die sich in meinem Gesicht breitmachte: Gab es wirklich so große Zufälle im Leben?

Was für ein Glück: Endlich fing die Kapelle an zu spielen. Der junge Mann verließ seinen Platz. Ich sah, dass er zielsicher auf meine Schwester zuging, die gerade an der Theke saß. „Ich wusste es“, entfuhr es mir. Ich hatte doch recht, dass er in der Straßenbahn ein Auge auf sie geworfen hatte …

Er drehte sich um und kam zurück, da ihm meine Schwester einen Korb gegen hatte. Plötzlich stand er unbeholfen vor mir, als die Dame, mit der er gekommen war, ihm zurief: „Dann nehmen se doch die Kleene, die vor ihnen steht und längst darauf wartet, mit ihnen zu tanzen!“

Gesagt, getan. Ehe ich mich versehen konnte, landete ich in seinem Arm. In diesem Moment spielte die Kapelle das Lied, Denkste denn, denkste denn, du Berliner Pflanze, denkste denn ick liebe dir, nur weil ick mit dir tanze?

Bis jetzt war dem jungen Mann noch nicht bekannt, dass Christel meine Schwester war. Nach diesem Lied veränderte sich meine Teenagerzeit und seit diesem Moment ließen sich unsere Hände nicht mehr los.

Kurz nach dem Sommerfest, nach meinem sechzehnten Geburtstag im Juli, wurde ich im Dezember schwanger!

Meinen Eltern und mir war es sehr unangenehm, bereits nach eineinhalb Jahren meine Lehre als Friseurin abzubrechen, zumal ich meiner Chefin hoch und heilig versichert hatte, keinen Freund zu haben, was ja auch am Anfang meiner Lehre noch gestimmt hat. Es tat beiden Arbeitgebern unendlich leid. Warum ich? Warum passierte es ausgerechnet mir und nicht meiner drei Jahre älteren Schwester? Immerhin hatte sie ihre Lehre als Schneiderin schon hinter sich. Ich, die noch den Mund so voll genommen hatte, dass ich bis zum Alter von 18 Jahren keine Strumpfhosen, geschweige denn Absatzschuhe anziehen würde. Ich gab an wie ein Sack voller Mücken, noch viel zu jung zu sein, um in die Mutterrolle zu schlüpfen.

Ich musste zugeben, unerfahren und zu wenig aufgeklärt gewesen zu sein, was letztendlich meine Eltern versäumt hatten. Für sie war ich ein noch nicht ernst zu nehmendes Kind, was unreif und verspielt war. Das Unglaubliche war passiert. Genau das, worüber ich mich mit meinen zwei Kolleginnen noch lustig gemacht hatte. Durch einen „Zufall, der keiner war“ sollte es wirklich zu drei Schwangerschaften kommen.

Hochzeit meiner Schwester Christel

Am 30. April 1963, im Alter von gerade einmal 16 Jahren heiratete ich also meinen sechs Jahre älteren Ehemann Arno. Zu dieser Zeit war ich im fünften Monat schwanger. Es war die Nacht zum ersten Mai. Unsere Mutter erzählte, dass man diese Nacht, Hexennacht“, nannte. Was auch immer es heißen sollte, ich schenkte diesem Namen keine Bedeutung.

Im August des gleichen Jahres heiratete meine Schwester Christel ihren Udo. Wie schade, dass wir keine Doppelhochzeit feiern konnten, da ich ja noch vor der Geburt unserer Iris verheiratet sein wollte.

Ausgerechnet am Tag der Hochzeit meiner Schwester stand ich kurz vor meiner Entbindung, machte mir darüber aber keine Sorgen. Mir ging es sehr gut, deshalb schloss ich mich den anderen an, die Braut Christel zu entführen. Ich freute mich noch auf etwas Abwechslung, bevor mein Baby zur Welt kommen sollte. In meinem jugendlichen Leichtsinn fühlte ich mich kerngesund und niemand merkte mir bei dieser Fahrt etwas Ungewöhnliches an. Mit meinen gerade mal knapp 17 Jahren war mir nicht bewusst, was ich mit meiner Aktion auslösen konnte. Die Hochzeitsgäste machten sich mehr Gedanken über mich, als über das Verschwinden der Braut. Mein Mann und meine Großmutter bangten am meisten um mich. Christel wurde entführt und Udo, der seine Braut vermisste, war unterwegs, sie zu suchen. Das war schon sehr witzig!

Es war für mich so aufregend, dass es zur später Stunde genau so kam, wie es sich meine Großmutter und mein Mann, sowie alle anwesenden Gäste vorgestellt hatten.

Durchgeschüttelt von der Autofahrt auf unebenen Kopfsteinpflastern und holprigen Landstraßen, setzten früher als erwartet meine Wehen ein. „Ausgerechnet jetzt, wo ich den Hochzeitstanz doch noch miterleben wollte“, stöhnte ich.

Nun drehte sich alles nur noch um mich. Die Klinik Waldkrankenhaus in Berlin-Spandau lag zum Glück nicht weit entfernt. In dieser Zeit wusste ich nicht, ob das Brautpaar noch Lust zum Feiern hatte oder ob sie sich bereits auf ihrer Hochzeitsreise nach Italien befanden.

Mein Mann und meine Oma Leokardia wünschten sich natürlich, dass sich meine ungeborene Iris bitte noch etwas Zeit lassen möge. Bis Mitternacht müsste sie noch aushalten, dann hätten wir drei Geburtstagskinder am 17. August: meine Oma, meinen Mann und meine Tochter!

Was für ein Tag und was für eine aufregende Nacht. Ich konnte niemandem beschreiben, wie es mir gerade ging. In der Klinik angekommen, hörten meine Wehen auf. Ich bettelte meinen Mann an, mich nochmals mit zur Hochzeitsfeier zu nehmen, was er auch tat. Als ich den Raum betrat, trauten die Gäste ihren Augen nicht. Meine Oma und mein Mann konnten sich nur durch ein hochgehobenes Schulterzucken und ein verlegenes Grinsen verständigen. Ihnen konnte nur jede Verspätung meiner Iris recht sein. Noch war es nicht Mitternacht.

Es war mir egal, was sie alle dachten, so konnte ich meine Schwester und meinen Schwager noch viel Glück für ihre Hochzeitsreise wünschen. „Ach ja, und vergesst nicht, dass ihr bald Tante und Onkel werdet!“ Ich umarmte das Brautpaar zum letzten Mal, bevor mich meine Wehen zum zweiten Mal zur Fahrt in die Klinik veranlassten.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht setzten die Wehen viel deutlicher als zuvor ein. Aber meine kleine Tochter Iris brauchte zum Glück noch etwas Zeit.

So kam es, wie wir es uns alle gewünscht hatten: Kurz nach Mitternacht, am 17. August erblickte unsere Iris mit großem Geschrei im Waldkrankenhaus-Berlin-Spandau das Licht der Welt.

Hallo Mama, ich bin da

„Stolz wie Bolle“, so sagt der Berliner, so sagte ich: „Na, wie habe ich das geschafft?“ Viele Hochzeitsgäste, die noch in Berlin waren, besuchten mich im Krankenhaus. Kein Wunder, nach dieser Hochzeit und der Geburt meiner kleinen Iris – drei Geburtstagskinder an einem Tag! Das wollte sich doch keiner entgehen lassen: Töchterchen Iris, ihr Papa Arno und ihre Urgroßmutter Leokardia. So viele Zufälle auf einmal, kann es die wirklich geben?

Es tauchten Ähnlichkeiten auf. Die Oma meiner Tochter Iris wurde 93 Jahre alt und verstarb am 18.8.2013 ebenfalls im Waldkrankenhaus in Berlin-Spandau, in dem meine Iris am 17.8.1963 geboren worden war. Leider sollte Iris ihren fünfzigsten Geburtstag nicht mehr erleben.

Mit Iris nach Oldenburg

Für meine Eltern war sehr wichtig, dass mein Mann als ausgelernter Schreiner eine kleine Familie ernähren konnte. 1962 kam er nach Berlin und wollte nur für zwei Jahre dortbleiben. Leider fanden wir in dieser Zeit keine eigene Wohnung in Berlin-Spandau. So zogen wir also bereits drei Monate nach der Geburt unserer Tochter Iris in seine Heimatstadt Oldenburg, die sehr weit weg von Berlin lag.