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Die Veränderungen des Wettbewerbsumfelds ("VUCA-Welt") und insbesondere die Digitalisierung erfordern ein grundsätzliches Re-Design der Kostenrechnung. Der Autor gibt in diesem Buch konkrete Unterstützung bei der Neuausrichtung des bewährten Controllinginstruments. Anhand von fundierten Konzepten, Fallstudien und einem detaillierten Einblick in die Praxis erläutert er die unterschiedlichen Facetten und zeigt Ihnen Möglichkeiten, die Kostenrechnung in Ihrem Unternehmen zukunftsfähig auszurichten. Inhalt: - Was den Inhalt und den Aufbau einer Kostenrechnung bestimmt - Die "deutsche" Kostenrechnung im Überblick - Kostenrechnung – ein zeitloses Informationssystem - So kann die Kostenrechnung der Individualisierung und Dynamisierung des Geschäfts gerecht werden - Veränderungsprobleme der Kostenrechnung mithilfe der Digitalisierung lösen - Mit zahlreichen Fallstudien und Praxisbeispielen
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Seitenzahl: 476
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ISBN 978-3-648-15525-7
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Bestell-Nr. 11210-0150
Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Weber
Zukunftsfähige Kostenrechnung in der Unternehmenssteuerung
1. Auflage, August 2021
© 2021 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Bildnachweis (Cover): © kras99, Adobe Stock
Produktmanagement: Dipl.-Kfm. Kathrin Menzel-Salpietro
Lektorat: Dr. Michael Sellhoff
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Die Kostenrechnung ist ein Thema, das mich während meiner gesamten akademischen Zeit beschäftigt hat, wenn auch mit wechselnder Intensität. Meine erste Veröffentlichung erschien 1980 zum Zeitbezug der Grundrechnung. Das Konzept der Grundrechnung geht auf Paul Riebel, meinen akademischen »Großvater«, zurück, und es ist – wie wir in diesem Buch sehen werden – bis heute in hohem Maße relevant. Mein Beitrag zum Feld der Kostenrechnung galt in den 1990er-Jahren insbesondere der Frage, wie das Instrument weiterentwickelt werden könnte, was von strategischen Überlegungen bis hin zu konkreten Veränderungsempfehlungen reichte. Sie resultierten in der Vision, dass Veränderungen der Anforderungen an die Kostenrechnung dazu führen würden, die laufende Kostenrechnung zu »entfeinern«, sie als eine relativ einfache laufende Basisrechnung zu gestalten, die von vielen fallweisen Einzelanalysen umrankt wird, für die auch fallweise Daten erhoben werden müssen.
Ein konkreter Druck für eine solche Entwicklung lag damals in der Praxis aber noch nicht vor. Es blieb folglich bei den konzeptionellen Überlegungen. Wenn sich die Unternehmen mit ihrer Kostenrechnung beschäftigten, dann erfolgte dies zumeist im Kontext des aus den USA stammenden Konzepts des Activity-based Costings. Analoges galt auch für den akademischen Bereich. Die Diskussion dort war primär von dem Bemühen geprägt, das inhaltlich Neue der Prozesskostenrechnung zu finden – was letztlich nicht gelang – und in das Gedankengebäude der »deutschen« Kostenrechnung einzuordnen. Auch das war zumeist nicht von Erfolg gekrönt, weil zu wenig auf den unterschiedlichen Kontext einer angloamerikanischen Kostenrechnung eingegangen wurde. Nach einem kurzen Strohfeuer ebbte die Diskussion rund um die Kostenrechnung schnell wieder ab.
Auch deshalb legte ich meine eigenen Schwerpunkte dann anders, zum einen auf die Logistik, zum anderen auf das Controlling. Beide Felder haben sich im Nachhinein für das Thema Kostenrechnung als sehr wichtig erwiesen; die Logistik, weil sie den Fokus auf Dienstleistungsprozesse legt und eine Prozess- und Flussperspektive aufweist, das Controlling, weil es die Kostenrechnung in ein Set von Steuerungsinstrumenten einordnet und deren Zusammenspiel betrachtet. Forschungsmethodisch habe ich bei beiden Feldern sehr viel Wert auf eine empirische Basis meiner Aussagen gelegt. So konnte ich u. a. sehen, dass die Kostenrechnung in der Logistik nur die Logistiker interessierte, nicht die Controller, die sich in der Logistik nicht auskannten und denen die Prozessvielfalt in der Logistik zu kompliziert war. Controller sahen die Kostenrechnung – so wie sie war – als ein zentrales Instrument der periodischen wertmäßigen Steuerung an, als unverzichtbare »Spinne im Netz«. Es wundert also nicht, dass das Instrument im Wesentlichen unverändert weiterbetrieben wurde. Konzeptionelle [10]Änderungen der Kostenrechnung fanden nicht statt, nur solche systemtechnischer Art, letztlich in Folge der Evolution der SAP-Systembasis.
Was nährt nun meinen erneuten Versuch, an dem bewährten Instrument zu rütteln? Drei Themen machen das Spiel wieder spannend:
Das erste verbirgt sich hinter dem Stichwort »Harmonisierung des Rechnungswesens«. Auslöser dafür war der steigende Druck des Kapitalmarkts, der zur Veränderung des deutschen Rechnungslegungsrechts geführt hat (»IFRS statt HGB«). Die internationale Rechnungslegung nimmt eine andere Perspektive ein. Sie bricht mit der sehr sicherheitsorientierten Sicht unserer angestammten HGB-Philosophie, und ist auf die Entscheidungsnützlichkeit für potenzielle und tatsächliche Investoren gerichtet. Diese internationale Welt kennt aber keine aus der Kostenrechnung stammenden Betriebsergebnisse. Die Globalisierung machte insofern unser lokales System weitgehend obsolet. Warum sollte Entsprechendes nicht auch für die Kostenrechnung zutreffen? Zumindest wurde ja schon ein Teilerfolg erzielt, weil viele Unternehmen im Zuge der Harmonisierung das Konzept der kalkulatorischen Kosten ersatzlos gestrichen haben. Warum nicht mehr?
Das zweite Thema lautet: zunehmende Komplexität und Dynamik der immer globaleren Wirtschaft. Diese Entwicklung ist nicht erst heute relevant. Mit dem Verweis darauf beginnen zum Beispiel die Vorworte einer Vielzahl von Dissertationen, die ich in meiner akademischen Karriere habe betreuen dürfen. Aber es liegen aktuell Indizien dafür vor, dass in vielen Unternehmen ein Maß von Komplexität und Dynamik erreicht ist, das die Kostenrechnung nicht mehr bewältigen kann, dass also eine kritische Schwelle überschritten wurde. Kostenrechnungsdaten kommen dann zu spät und sind zu wenig differenziert.
Als drittes und letztes Stichwort darf schließlich die Digitalisierung nicht fehlen. Für jemanden, der sich das Management der Kostenrechnung auf die Fahnen geschrieben hat, hat sie zwei unschätzbare Vorteile: Zum einen den großen Charme, dass mit der Digitalisierung ein Versprechen auf eine schöne neue Informationswelt verbunden ist, in der die Kostenrechnung ihren Platz suchen und finden muss, zum anderen, dass Digitalisierung die Notwendigkeit nach sich zieht, alle Systeme noch einmal genau zu überprüfen und konkrete Änderungen vorzunehmen. Digitalisierung bedeutet Veränderung, und warum sollte da die Kostenrechnung konstant bleiben?
Also ist aktuell ein sehr guter Zeitpunkt, noch einmal grundsätzlich über die Kostenrechnung und ihre Veränderung nachzudenken, sich des Themas noch einmal anzunehmen. Genau das geschieht in diesem Buch, mit vielen Argumentationslinien, die mich auch schon in den 1990er-Jahren beschäftigt haben. So lange – mehr oder weniger unfreiwillig – zu warten, hatte im Nachhinein betrachtet einen großen Vorteil: [11]Die Sicht auf Instrumente hat sich in der Betriebswirtschaftslehre in der Zwischenzeit doch deutlich geändert. Prozesse in Unternehmen werden nicht mehr nur als »rein rational« betrachtet, sondern als Teil eines sozio-ökonomischen Systems, in dem das Handeln kognitiv begrenzter Akteure parallel auch mit einer psychologischen und einer soziologischen Brille betrachtet werden (muss).
Auch durch diese neuen Perspektiven angeregt, habe ich den erneuten Anlauf zum Thema »Management der Kostenrechnung« stark auf einer Vielzahl von Tiefeninterviews mit Controllern, Kostenrechnern und Managern aufgebaut, die mir einen sehr detaillierten Einblick in Praxis ermöglicht haben. Ihnen allen sei für ihre Zeit gedankt, die sie für die Gespräche aufgebracht haben. Dies gilt insbesondere für jene, die bereit waren, »ihre« Kostenrechnung in Fallstudien präsentieren zu lassen, was zusätzlich zu den Interviews noch einige Abstimmungsschleifen erforderte. Herzlichen Dank für das Engagement und die damit möglichen Einblicke!
Bei dem Knüpfen der Praxiskontakte war mir das Netzwerk unseres Instituts für Management & Controlling an der WHU – Otto Beisheim School of Management sehr hilfreich, vom WHU Controller Panel bis zum Center for Controlling & Management. Mein spezieller Dank gilt dabei meinem Kollegen und Schüler Utz Schäffer, der das Institut mit mir zusammen aufgebaut hat und mir – wie bei vielen anderen Themen auch – stets ein kritischer Gesprächspartner war. Danken möchte ich auch Leona Wiegmann, die nach ihrer Zeit am Institut heute an der Monash University in Melbourne forscht und lehrt. Mit ihr verbindet mich eine enge gemeinsame Forschung, auch auf dem Gebiet der Kostenrechnung. Dank gilt schließlich auch dem Haufe-Verlag, der es wagt, ein solches grundsätzliches Thema, das alles andere als »sexy« erscheint, zu publizieren, und der mich in der Schlussphase des Buches professionell und freundlich betreut hat.
Vallendar, im April 2021
Die Kostenrechnung zählt zu den am stärksten vermittelten Lehrgebieten der Betriebswirtschaftslehre. Kein Studierender der BWL kommt an ihr vorbei und auch für viele »Nebenfächler« steht eine entsprechende Veranstaltung auf dem Programm. Kostenrechnung wird in den einschlägigen Lehrbüchern zumeist sehr technisch beschrieben, als ein in der Praxis weit verbreitetes komplexes Informationssystem, in dem Kosten vielfach umsortiert und verrechnet werden. Die Verfahren stehen im Vordergrund – und schon sie sind für die Studierenden schwer genug zu lernen (und dabei hoffentlich zu begreifen). Ein Verständnis, warum eine Kostenrechnung in einem bestimmten Kontext wie auszugestalten ist, fehlt (leider) den allermeisten.
Zu diesem Eindruck passt der empirische Befund: Die Kostenrechnung ist ein Informationsinstrument, das – zumindest im deutschsprachigen Raum – (fast) jedes Unternehmen betreibt. Sie ist »taken for granted« und braucht dafür auch keine rechtliche Begründung, wie das z. B. für die Finanzbuchhaltung gilt. Ihr Status als Standardsystem hat begünstigt, dass sie nicht auf dem Schirm eines ständigen Review-Prozesses in den Unternehmen steht, auch wenn sich die Informationsbedarfe der Manager, die sie abdecken soll, laufend verändert haben. Es verwundert deshalb nicht, dass sich die Kostenrechnung nicht gerade als ein Feld ständiger Innovation hervortut. Man kann eher von einem konzeptionellen Stillstand sprechen. Die letzte Innovation – das Activity-based Costing, zu Deutsch Prozesskostenrechnung – liegt mehr als dreißig Jahre zurück und hat in den wenigsten Unternehmen wirklich Spuren hinterlassen. Das, was die Kostenrechnung in der Praxis konzeptionell kennzeichnet, ist deutlich älter als hundert Jahre (Vollkostenrechnung) bzw. fünfzig Jahre (Grenzplankostenrechnung, Deckungsbeitragsrechnung).
Davon scheinbar unbeeinflusst sind die Manager durchaus mit dem Instrument zufrieden. Dies gilt insbesondere für den deutschen Sprachraum, in dem die Kostenrechnung – weltweit gesehen – den höchsten Ausbaustand bzw. Sophistizierungsgrad besitzt. Warum sollten sich also Manager und/oder Controller überhaupt mit dem bewährten Informationsinstrument beschäftigen? Ein drängendes Managementproblem scheint doch nicht vorzuliegen; folgerichtig sollten Manager und Controller ihre knappen Ressourcen besser in andere Themen investieren!?
Bei genauerem Hinsehen stößt man allerdings auf eine Reihe von Argumenten, die für einen Check der Kostenrechnung sprechen.
[14]Beginnen wir mit der gerade schon angedeuteten Sonderstellung der Kostenrechnung im deutschen Sprachraum (letztere wollen wir im Folgenden verkürzt als »deutsche« Kostenrechnung bezeichnen). Komplexer und detaillierter geht es nirgendwo auf der Welt zu. Wir sind auf diesem Gebiet »Weltmeister«, insbesondere, was das genaue Nachzeichnen der Fertigungsprozesse betrifft. Wenn die Weltwirtschaft immer globaler wird und sich auch die Managementprozesse immer weiter angleichen, muss eine solche Sonderstellung allerdings kritisch überdacht werden. Warum ist unsere Art, Kostenrechnung zu betreiben, kein Exportschlager, selbst dann nicht, wenn Unternehmen in anderen Ländern dieselbe ERP-Software (SAP) verwenden wie wir hierzulande? Soll ein Konzern mit Sitz in Deutschland seinen Töchtern eine »deutsche« Kostenrechnung weltweit vorschreiben oder aber besser mit unterschiedlichen Niveaus und Standards leben?
Ebenfalls schon gestreift haben wir das Argument, dass sich die Informationsbedarfe der Manager verändert haben (könnten). Gründe hierfür gibt es genug. Auf der einen Seite haben sich über die letzten Jahrzehnte in vielen Unternehmen die Kostenschwerpunkte verschoben: Dienstleistungen spielen heute in vielen Branchen – teils produktbegleitend, teils originär – eine deutlich wichtigere Rolle, und die Komplexität des Leistungsprogramms wird mehr und mehr zum Kostentreiber. Die traditionelle Kostenrechnung ist aber auf Sachleistungen fokussiert und hat sich eher mit ihrer eigenen Komplexität beschäftigt als damit, welcher Zusammenhang zwischen Komplexität der Produkte bzw. dem Produktprogramm und deren Kosten besteht. Auf der anderen Seite haben sich die Marktbedingungen erheblich verändert; der Begriff der »VUCA-Welt« (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) ist längst fester Bestandteil der Managersprache geworden. Antworten auf die Frage, ob und inwieweit diese neuen Marktbedingungen die Aussagefähigkeit der Kostenrechnung verändern, finden sich in den Kostenrechnungslehrbüchern kaum, und man trifft in der Praxis auch selten auf einen Controller, der sie beantworten kann.
Auch Veränderungen der Unternehmenssteuerung haben Einfluss auf den Informationsbedarf der Manager genommen. Denn Letztere werden von der Steuerung heute deutlich stärker individuell angesprochen, als dies früher der Fall war. Unternehmen reagieren damit auf die Entwicklung, dass die Freiheitsgrade insbesondere dezentraler Manager deutlich größer geworden sind, sie nicht mehr eng aus der Zentrale heraus geführt werden können. An die Stelle konkreter Anweisungen treten Zielvorgaben und Incentives. Die Verantwortung für die Zielerreichung und die Belohnung dafür gewinnen an Bedeutung. Es geht heute im Zweifel weniger um produktbezogene Abbildungsgenauigkeit als um Controllability & Accountability der Kosten durch bzw. für Manager.
Und dann gibt es ganz aktuell noch einen Megatrend, der zu neuen Möglichkeiten für die Gestaltung der Kostenrechnung führen könnte: die Digitalisierung. Sie ermöglicht zum einen eine Analyse von Einzeldaten statt von Durchschnitten, und dies in Echtzeit [15]statt in festgelegten Zeitscheiben. Die Digitalisierung könnte zum anderen Big Data für die Kostenrechnung erschließen, in einer Situation, in der die Verbindung von finanziellen mit nicht finanziellen Daten in der Vergangenheit doch sehr beschränkt war und noch heute ist.
Diese und ähnliche Veränderungen im Kontext der Kostenrechnung erzeugen dann, wenn sie von den Managern und/oder Controllern erkannt werden, jeweils einen Ver-änderungsdruck. Damit sich die Kostenrechnung entsprechend anpassen kann, muss sie aber auch genügend anpassungsfähig sein. Somit stellt sich die Frage, ob diese Anpassungsfähigkeit hinreichend gegeben ist und wo die Stellschrauben für eine Anpassung genau liegen. Drei Ansatzpunkte mögen helfen, diesen Fragenbereich besser nachvollziehbar zu machen:
Rechengrößen: Unternehmen leisteten sich im deutschsprachigen Raum traditionell eine Trennung zwischen Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung, rechneten in ersterer mit Aufwendungen und in letzterer mit Kosten. Das ist international unüblich. Was verliert eine Kostenrechnung an Aussagekraft, wenn sie auf kalkulatorische Kosten verzichtet und – »harmonisiert« – ebenfalls mit Aufwendungen rechnet?Detail- und Genauigkeitsgrad: Die »deutsche« Kostenrechnung soll möglichst detailliert und präzise sein. Kann sie diesem Anspruch angesichts von steigender Komplexität und Dynamik überhaupt noch folgen (Gefahr von Qualitätsproblemen)? Wäre es nicht besser, Abstriche an diesem Anspruch vorzunehmen? Wären die Daten damit am Ende nicht auch für die Manager leichter verständlich, die die verschlungenen Verrechnungsvorgänge heute häufig gar nicht mehr verstehen (z. B. Gemeinkostenumlagen)?Breite der gelieferten Informationen: Die »deutsche« Kostenrechnung dient einer Vielzahl von Rechnungszwecken gleichzeitig, von der Preiskalkulation bis hin zur Fundierung unterschiedlichster Entscheidungen. Hierin liegt ein wesentlicher Grund für ihre Komplexität. Wäre es nicht besser, die Kostenrechnung auf einen Hauptzweck auszurichten und die anderen Zwecke mit anderen Instrumenten abzudecken? Oder es vorzusehen, benötigte Informationen einzelfallbezogen zu erheben, anstatt sie laufend bereitzuhalten?Sehr grundsätzlich könnte man auch danach fragen, ob der Zuschnitt der Kostenrechnung als Periodenrechnung beibehalten werden sollte; eine solche betreibt das Unternehmen ja schon, und zwar in Form der Finanzbuchhaltung bzw. des externen Rechnungswesens. Viele unternehmerische Entscheidungen sind nicht an periodische Zeiträume geknüpft. Manager interessiert z. B. nicht nur der Deckungsbeitrag, der mit einem bestimmten Kunden mit den Lieferungen in einem Jahr erzielt wird, sondern auch die Vorteilhaftigkeit des Kunden über die Zeit, und dafür sind beispielsweise auch viele Maßnahmen relevant, die zur Bindung des Kunden ergriffen werden. In gebräuchlichen Begriffen geht es dann mehr um eine Investitions- als um eine Kostenrechnung.
[16]Und noch radikaler: Warum soll man sich die Kostenrechnung eigentlich immer als ein laufend betriebenes Informationssystem vorstellen? Ist die Vision für eine digitale Zukunft nicht eher die einer Fähigkeit, eines Know-hows, wie man Realprozesse bewertet? Das wäre dann in etwa so, wie man das von einer Investitionsrechnung her kennt, bei der man ja auch keine Aussagen dazu trifft, woher diese die in ihr verarbeiteten Informationen bekommt.
Es gibt also in der Tat genügend Anlass, sich über Veränderungen der Kostenrechnung Gedanken zu machen, und genügend Möglichkeiten, solche vorzunehmen – und der Themenbezug ist komplex genug, dass das ein genügend herausforderndes Managementproblem darstellt.
Im Abschnitt zur Grundmotivation dieses Buches ist schon der Großteil der wesentlichen Fragen angesprochen, die in meinen Augen für ein Management der Kostenrechnung, für eine zukunftsfähige Kostenrechnung relevant sind. Sie seien in der folgenden Fragenliste zusammengefasst:
Trifft der angesprochenen Eindruck zu, dass sich die Kostenrechnung in den Unternehmen im deutschsprachigen Raum seit langer Zeit nicht mehr verändert hat?Wenn ja, worauf ist dieser – zugleich konzeptionelle wie faktische – Stillstand zurückzuführen?Gilt die Feststellung hoher Konstanz nicht nur für das System, sondern auch für die Vielfalt der Zwecke der Kostenrechnung? Sind auch diese »taken for granted«?Gibt es überhaupt Alternativen zu dieser Sichtweise? Wenn ja, welche anderen Instrumente stehen zur Verfügung, um die Zwecke zu erfüllen?Ist die »deutsche« Kostenrechnung dazu geeignet, den angesprochenen inhaltlichen Veränderungen im Geschäft zu folgen? Aufgrund der Breite der Veränderungen macht es Sinn, hier drei Teilfragen zu differenzieren: Lässt sich die Kostenrechnung nicht nur auf Sachleistungen, sondern auch auf Dienstleistungen anwenden?Ist die »deutsche« Kostenrechnung geeignet, der Individualisierung des Geschäfts zu folgen, kann sie also adäquat mit der daraus resultierenden Komplexität umgehen?Vermag sie schließlich auch der gestiegenen Dynamik des Geschäfts gerecht zu werden?Zu guter Letzt: Bietet die noch am Anfang stehende Digitalisierung eine Chance, das Thema Kostenrechnung neu auf die Management-Agenda zu bringen und nicht nur graduelle, sondern auch grundlegende Veränderungen vorzunehmen?[17]Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Buches und werden in unterschiedlichen Kapiteln beantwortet. Die Abbildung 1-1 gibt darüber einen Überblick. Alle Fragen beziehen sich dabei auf die Kostenrechnung eines Unternehmens insgesamt. Auf nur einzelne Teilfunktionen bzw. Teilaspekte gerichtete Themen – wie z. B. Qualität oder Nachhaltigkeit – werden wir in diesem Buch nicht zu sprechen kommen. Dies würde seinen Rahmen sprengen.
Abb. 1-1: Inhaltliche Struktur des Buches
Das vorliegende Buch richtet sich hauptsächlich an die Praxis, dort an Controller wie Manager gleichermaßen. Die Kostenrechnung lässt sich nur dann optimal gestalten, wenn die Verantwortlichen für das System mit den Nutzern des Instruments eng zusammenarbeiten. Daneben ist das Buch sicher auch gut geeignet, um Lernenden und Lehrenden einen eher ungewohnten, neuen Blick auf die Kostenrechnung zu vermitteln: Es nimmt eine klare Managementperspektive ein, will also die Frage beantworten, was in der Kostenrechnung wie und warum aktiv gestaltet werden kann, um sie zukunftsfähig zu machen. Insofern finden sich im Buch diverse Handlungsempfehlungen, aber keine rein technischen Darstellungen des Instruments Kostenrechnung »an sich«.
Weiterhin spielt im Buch eine konzeptionelle mit einer empirischen Perspektive zusammen. Beide Sichten sind in gleichem Maße wichtig, um belastbare und nachvollziehbare Aussagen zu ermöglichen und damit auch Vertrauen für die Verwendbarkeit des Buches als Managementunterstützung zu schaffen. Dieses sollte auch dadurch entstehen, dass für beide Sichten jeweils unterschiedliche Ansätze und Zugänge präsentiert werden.
Unterschiedliche konzeptionelle Sichtweisen: Es gibt nicht »die eine« Kostenrechnungstheorie, sondern ein ganzes Bündel unterschiedlicher Konzepte und Ansätze. Sie alle sind hilfreich, ja notwendig, um die vielen Facetten dieses komplexen Informationssystems umfassend berücksichtigen zu können und zu passenden Managementaussagen zu kommen.
Unterschiedliche Quellen empirischer Erkenntnisse: Auch für empirische Erkenntnisse gibt es sehr unterschiedliche Zugänge. Drei von ihnen wollen wir für dieses Buch nutzen:
Um einen breiten Überblick über die »deutsche« Kostenrechnung zu gewinnen, greifen wir auf Daten des WHU Controller Panels zurück. Das Panel wurde 2007 gegründet und erfasst seit dieser Zeit fragebogengestützt den Stand und die [19]Entwicklung des Controllings – darin auch der Kostenrechnung – im deutschsprachigen Raum. Mehr als tausend Teilnehmer sichern die Repräsentativität.Qualitative Daten stammen aus einem Forschungsprojekt der WHU, das sich mit dem Stand der Kostenrechnung im deutschsprachigen Raum beschäftigt hat. Gut dreißig Tiefeninterviews wurden hierzu 2017 und 2018 von mir mit Kostenrechnern, Controllern, Managern und Kostenrechnungsexperten geführt. Die umfangreichen Interviews boten die Möglichkeit, ausführlich auf die Motivation, Einschätzungen und Einstellungen der Befragten einzugehen. Diverse Zitate aus diesen Interviews werden die Argumentation in diesem Buch begleiten und veranschaulichen. Daneben finden sich in zwei Kapiteln noch erst kürzlich geführte ausführliche Interviews, um bestimmte Themen klarer herauszuarbeiten.Die dritte empirische Quelle sind schließlich Fallstudien. Sie wurde zum einen gewählt, um einen tieferen Einblick in die konkrete »Kostenrechnungswelt« zu geben. Zum anderen machen die 2019 und 2020 erhobenen Fallstudien jeweils besondere Aspekte der im Buch behandelten Fragestellungen deutlich.Mit der engen Verbindung von Wissenschaft und Praxis einerseits und dem Managementbezug andererseits liegt damit eine sehr spezifische Ausrichtung des Buchs vor, die es deutlich von bisherigen Büchern zur Kostenrechnung abhebt.
Ausgangspunkt des Buches ist – wie angesprochen – ein erheblicher Gestaltungsbedarf der Kostenrechnung. Ihm adäquat gerecht zu werden, bedarf es eines hinreichenden Wissens über dieses betriebswirtschaftliche Standardinstrument. Nicht jeder Leser wird mit der Kostenrechnung von seiner Ausbildung oder seiner beruflichen Tätigkeit her vertraut sein. Um gleiche Voraussetzungen zu schaffen, werden die beiden folgenden Kapitel des Buches das Instrument Kostenrechnung deshalb in einem ersten Schritt grundsätzlich vorstellen und darüber hinaus diskutieren, aus welchen Perspektiven heraus Fragen zu seiner Gestaltung beantwortet werden können. Zumindest Letzteres wird auch für die Leser neu sein, die das Instrument schon grundsätzlich kennen.
Wer die Kostenrechnung gestalten will, sollte zum einen wissen, was dieses Controlling-Instrument grundsätzlich leisten kann und wo seine Stärken und seine Schwächen liegen. Zum anderen sollte Klarheit darüber bestehen, welche Perspektiven wichtig sind, um Veränderungen vorzunehmen. Beides ist Inhalt dieses Kapitels.
Die Kostenrechnung bildet zusammen mit dem externen Rechnungswesen (Finanzbuchhaltung, Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz) das sog. Rechnungswesen eines Unternehmens. Zwischen beiden Teilgebieten bestehen sehr enge Bezüge. So weisen beide drei ganz grundsätzliche Übereinstimmungen auf:
Erfolgsrechnung: Die Kostenrechnung und das externe Rechnungswesen erfassen und strukturieren beide die Werteentstehung und den Werteverzehr im Unternehmen. Sie machen Aussagen über den Erfolg unternehmerischen Handelns. Dies grenzt sie von betrieblichen Informationssystemen ab, die nicht monetäre Größen beinhalten – z. B. sog. KPI (»Key Performance Indicators«) – und für Steuerungszwecke zur Verfügung stellen.Periodisches Informationsinstrument: Die Kostenrechnung und das externe Rechnungswesen machen Aussagen über den Erfolg, der innerhalb eines Jahres anfällt. Ermittelte Ergebnisse sind jahresbezogen oder auf kürzere Kalenderzeitperioden gerichtet (Quartal oder Monat). Viele wirtschaftliche Transaktionen gehen aber über ein Jahr hinaus (z. B. die Anschaffung und anschließende Nutzung einer Maschine). Ihre Erfolgswirkungen müssen deshalb zeitlich aufgeteilt werden. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Bildung von Abschreibungen.Laufende Rechnung: Die Kostenrechnung und das externe Rechnungswesen werden nicht fallweise erstellt, sondern regelmäßig und fortlaufend. Das unterscheidet sie z. B. von Projektrechnungen.Ein erster Unterschied zwischen beiden besteht in den verwendeten Rechengrößen. Dies wird schon an den verwendeten Begriffen deutlich: Die Kostenrechnung rechnet – nomen est omen – mit Kosten, das externe Rechnungswesen mit Aufwendungen. Beide Rechengrößen stimmen weitgehend überein. Allerdings gibt es im deutschspra[22]chigen Kontext zwei Abweichungen, die die unterschiedliche Stoßrichtung der Kostenrechnung einerseits und des externen Rechnungswesens andererseits deutlich machen:
Die Kostenrechnung bezieht sich nicht auf das Unternehmen insgesamt, sondern nur auf den Teil, der den üblichen Geschäftsbetrieb betrifft. Insofern berücksichtigt sie keine sog. betriebs- und periodenfremden Aufwendungen. Zu ersteren zählen z. B. Spenden für wohltätige Zwecke, zu letzteren etwa unversicherte Hochwasserschäden. Im externen Rechnungswesen versuchen spezielle Saldogrößen (insbesondere der EBIT – Earnings Before Interest and Taxes), quasi »im Nachhinein« ähnliche Erfolgsaussagen zu treffen.Die Kostenrechnung will den aus einer internen Perspektive her »richtigen« Werteverzehr ansetzen und nimmt deshalb Umbewertungen von Aufwendungen genauso vor (Anderskosten, wie z. B. kalkulatorische Abschreibungen), wie sie bestimmte Kosten hinzufügt (Zusatzkosten, wie insbesondere Eigenkapitalzinsen). Wir werden hierauf (in Kapitel 3) noch genauer eingehen.Weitere hier anzusprechende Unterschiede haben damit zu tun, dass das externe Rechnungswesen und die Kostenrechnung (als zentraler Teil des internen Rechnungswesens) unterschiedliche Adressaten besitzen. Das erste ist – wiederum nomen est omen – an Unternehmensexterne gerichtet, wie an aktuelle und potenzielle Investoren, an den Kapitalmarkt allgemein, aber auch an den Fiskus und die Gesellschaft insgesamt (wie zum Beispiel im Rahmen der CSR-(Corporate Social Responsibility) Berichterstattung). Sie will die Frage beantworten, wie es um das Unternehmen als Ganzes in Bezug auf seine Marktpartner und andere Stakeholder steht. Da sich an die veröffentlichten Zahlen Ansprüche knüpfen können (z. B. hinsichtlich Ausschüttungen oder Steuerzahlungen), liegt ihr Fokus auf der Vergangenheit. Eine GuV oder eine Bilanz enthält keine Planwerte, wenngleich Zukunftserwartungen bei den ausgewiesenen Ist-Größen durchaus bewertungsrelevant sind (z. B. besonders offensichtlich bei Impairment-Tests). Die Adressaten der Kostenrechnung sind dagegen Unternehmensinterne, speziell Manager auf den unterschiedlichen Ebenen der Entscheidungshierarchie. Für diese ist der Blick zurück ebenfalls wichtig, wie z. B. für die Frage, ob sie ihre Ziele erreicht haben. Wesentlich sind aber auch Zukunfts- bzw. Planwerte, weil es in Entscheidungen immer um Zukunft geht. Deshalb ist ein Nebeneinander von Ist- und Planwerten für die Kostenrechnung typisch.
Der unterschiedliche Zeitbezug der Kostenrechnung und des externen Rechnungswesens ist ein gutes Beispiel dafür, dass voneinander abweichende Zwecke beider Rechnungen Unterschiede in ihrem Aufbau und Ablauf nach sich ziehen. Um das noch klarer zu sehen, wollen wir im Folgenden näher auf das grundsätzliche Informationsinteresse der Manager als Adressaten der Kostenrechnung eingehen. Kurz formuliert, muss die Kostenrechnung einen großen Teil der Informationen liefern, die Manager für ihre operative Steuerungsaufgabe benötigen.
Die Steuerungslandschaft von Unternehmen ist zumeist nach unterschiedlichen Planungshorizonten ausdifferenziert. Hiermit wird zum einen der Heterogenität der Steuerungsobjekte Rechnung getragen; eine beabsichtigte Eroberung eines neuen Marktes z. B. ist gänzlich anders zu planen und umzusetzen als die Frage, für welche Produkte im nächsten Monat besondere Preisnachlässe gewährt werden sollen, um ihren Absatz zu fördern. Zum anderen unterscheiden sich die Steuerungsobjekte nicht nur dem Inhalt nach, sondern auch hinsichtlich der Unsicherheit von Vorhersagen und Zielsetzungen. Operativ, d. h. jahresbezogen, haben Unternehmen zumeist eine hohe Planungs- und Gestaltungssicherheit. Langfristig und strategisch ist diese eher gering. Unternehmen sind dort deutlich weniger »Herr der Lage«; sie werden viel stärker durch äußere Entwicklungen beeinflusst.
Die Abbildung 2-1 zeigt drei Planungsebenen, die zeitlich miteinander verbunden sind. Den grundsätzlichen Rahmen gibt die strategische Planung vor, die gemäß den Zahlen des WHU Controller Panels1 von mehr als der Hälfte der Unternehmen (60 %) als eigenständige Planungsebene betrieben wird. Bei ihrem Zeithorizont sind sich die Unternehmen nicht einig; die Angaben reichen von vier Jahren bis zehn Jahren.
Abb. 2-1: Überblick über die typischen Felder und Ebenen der Unternehmenssteuerung
Die taktische Planungsebene – häufig auch Mittelfristplanung genannt – findet sich aktuell in ca. drei von vier Unternehmen realisiert.2 Sie konkretisiert die in der strategischen Planung formulierten Strategien und stellt damit die Verbindung zur operativen Planung [24]her. Zumeist mit einem Planungshorizont von drei Jahren versehen, fällt sie deutlich konkreter aus als ihr strategisches Pendant. Dies macht sich auch an ihrem dominant finanziellen Charakter fest. Das erste Jahr der Mittelfristplanung ist in vielen Unternehmen das Budget des kommenden Jahres. Insofern sind die Mittelfristplanung und die operative Planung bzw. Budgetplanung als dritte Steuerungsebene sehr eng miteinander verknüpft. Von der praktischen Verbreitung her legt letztere gegenüber ersterer noch einmal deutlich zu: Dem WHU Controller Panel zufolge besitzen 97 % aller Unternehmen eine Budgetplanung.3 Damit hat diese in den Unternehmen praktisch Verkehrsgeltung erlangt. Das Panel zeigt daneben auch auf, dass sich die Zahlen zur Verbreitung der drei Ebenen in den letzten zehn Jahren praktisch nicht verändert haben und dass das Vorhandensein einer strategischen Planung deutlich von der Größe der Unternehmen abhängt.
Die Abbildung 2-1 enthält aber noch ein weiteres Planungsfeld. Dieses ist im Gegensatz zu den bisher genannten nicht an feste Kalenderzeitperioden gebunden: Die Investitionsplanung beinhaltet die Planung der zu einem bestimmten Zeitpunkt anstehenden Investitionsprojekte und ist somit keine periodenbezogene, sondern eine projektbezogene Planung. Ihr Inhalt muss in einem gesonderten Schritt in die periodenbezogenen Pläne integriert werden.
Wie bereits oben angesprochen, ist die Kostenrechnung explizit auf die operative, jahresbezogene Planung und die damit verbundene Steuerungsebene bezogen. Sie spielt eine zentrale Rolle für die einmal im Jahr (zumeist im Herbst) erfolgende Aufstellung der Pläne und die (zumeist monatliche) Kontrolle der Zielerreichung im Folgejahr. Sie unterstützt auch die laufende Steuerung innerhalb des Jahres, die erfolgt, um den durch die Budgets vorgegebenen Rahmen auszufüllen. Hier ist eine Vielzahl unterschiedlicher Entscheidungen mit Informationen zu versorgen, die in Folgekapiteln dieses Buches noch näher angesprochen werden.
Die Rolle der Kostenrechnung für die Investitionsplanung fällt deutlich geringer aus. Die führenden Rechnungen dort sind Investitionsrechnungen (z. B. Kapitalwertbestimmungen). Die Kostenrechnung kann diesen allerdings durchaus als ein wichtiger Informationslieferant dienen, insbesondere dann, wenn es sich bei den Investitionen um Ersatzinvestitionen handelt. Insofern überrascht nicht, dass die Unternehmen – wie das WHU Controller Panel zeigt4 – die Größe »Einfluss einer Investition auf den Deckungsbeitrag« durchaus intensiv für Zwecke von Investitionsbeurteilungen nutzen. Je weniger neue Investitionen bereits vorher getätigten entsprechen, desto weniger kann allerdings die Kostenrechnung zur Entscheidungsvorbereitung beitragen. Die mit einer Investition anfallenden Ein- und Auszahlungen entstammen dann einzelfallbezogenen Analysen.
[25]Die Beziehungen der Kostenrechnung zur Mittelfristplanung sind durch zwei ganz unterschiedliche Aspekte gekennzeichnet. Zum einen liefert die Kostenrechnung der Mittelfristplanung eine wesentliche Datengrundlage, weil letztere auf der Budgetplanung aufbaut, die wiederum wesentlich von der Kostenrechnung gespeist wird. Auf der anderen Seite denkt die Mittelfristplanung das Geschäft des Unternehmens für einen längeren Zeitraum konkret vor und legt dabei auch die für die Umsetzung benötigten Kapazitäten fest. Die in der Kostenrechnung so wichtige Unterscheidung zwischen fixen und variablen Kosten, auf die wir im nächsten Kapitel noch genauer eingehen werden, wird damit in der Mittelfristplanung gesteuert und festgelegt.
Der strategischen Planung schließlich kann die Kostenrechnung nur selten als direkter Informationslieferant dienen, z. B. dann, wenn in einem bestimmten Produktbereich Kostenführerschaft angestrebt wird und das Management dafür die bisherige Kostenposition ebenso kennen muss wie Potenziale zur Kostensenkung. Neben konkreten Zahlen ist insbesondere auch das Know-how der Kostenrechner dabei wichtig.
Die Kostenrechnung ist ein Informationsinstrument, das die Unternehmen flächendeckend betreiben, ohne dazu – anders als im Falle des externen Rechnungswesens – durch den Gesetzgeber gezwungen zu sein. Offensichtlich leistet sie so wichtige Beiträge zur Unternehmenssteuerung, dass sich die mit der Kostenrechnung verbundenen Kosten lohnen.
Für die Unternehmenssteuerung findet sich – wie gerade ausgeführt – in der Praxis eine Grundstruktur, die an Kalenderzeitperioden ausgerichtet ist. Innerhalb dieser Grundstruktur unterscheiden sich aber die Steuerungsprobleme und die Instrumente, um ihnen gerecht zu werden, von Unternehmen zu Unternehmen erheblich voneinander. Ein Betrieb der Systemgastronomie ist gänzlich anders zu steuern als ein Stahlwerk (unterschiedliche Kostenstruktur), ein Nischenplayer anders als ein Unternehmen auf einem polypolistischen Markt (unterschiedlicher Wettbewerbsdruck), ein zentral aufgestelltes Unternehmen anders als ein solches, das sehr dezentral agiert (unterschiedliche Kompetenzverteilung) – und damit sind längst noch nicht alle Aspekte angesprochen, die eine Unterschiedlichkeit der Steuerung begründen können.
Wenn die Steuerung in den Unternehmen sehr individuell ausgeprägt erfolgt, kann auch – so die Grundthese des Buches – die Kostenrechnung kein Instrument »von der Stange« sein, selbst wenn das Studium der Lehrbücher eine solche Einschätzung eher nahelegt: »Kein Lehrbuch der Kostenrechnung differenziert nach Marktformen, nach [26]Abnehmerbeziehungen oder nach Wettbewerbsstrategien«.5 Diese Aussage gilt heute noch weitgehend unverändert. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in den Lehrbüchern kaum entsprechende Gestaltungshinweise finden. Genau an dieser Stelle setzt das vorliegende Buch an. Sein Ausgangspunkt ist die These, dass ein bewusstes Design der Kostenrechnung erforderlich ist, um das Instrument optimal an die Steuerungsbedarfe eines einzelnen Unternehmens anzupassen. Unterschiedliches Geschäft – so die Grundannahme – stellt unterschiedliche Anforderungen an die Kostenrechnung und gibt deshalb Inhalt und Richtung ihres Gestaltungsprozesses vor, wie der nächste Abschnitt in diesem Kapitel ausführlich zeigen wird.
Bei der Gestaltung ist es aber sinnvoll, noch einen weiteren Aspekt zu beachten, der wenig bekannt ist und in Kostenrechnungsveranstaltungen im Studium kaum vermittelt wird. Bei ihm geht es um die Frage, wie ein Unternehmen und seine Führungsakteure das Instrument der Kostenrechnung grundsätzlich sehen, letztlich, welche theoretische Grundperspektive man hinsichtlich der Kostenrechnung einnimmt. Dies klingt für ein an Praktiker gerichtetes Buch zunächst sehr abstrakt (und damit unpassend), wird aber – wie wir im dritten Unterabschnitt sehen werden – schnell sehr konkret.
Zum grundlegenden Stoff eines betriebswirtschaftlichen Studiums zählt die empirische Erkenntnis des Historikers Alfred D. Chandler, die dieser vor mehr als einem halben Jahrhundert in dem bekannten Satz zusammengefasst hat: »Structure follows strategy«.6 Diese Einsicht ist intuitiv plausibel und auch deshalb allgemein anerkannt. Unterschiedliche Geschäftsstrategien erfordern unterschiedliche Strukturen, mit denen sie umgesetzt werden. Von dieser Grundregel sollte nur dann abgewichen werden, wenn es dafür ganz besondere Gründe gibt (»keine Regel ohne Ausnahme«). Mit »Strukturen« hat man dabei zumeist die (Aufbau-)Organisation im Blick, die z. B. funktional oder objektbezogen ausgeprägt sein kann.
Wenn man der Chandler’schen Idee aus einer Steuerungsperspektive heraus folgt, müsste der Zusammenhang aber noch um einen weiteren ergänzt werden: So wie die Struktur der Strategie folgen sollte, gilt ein solcher Zusammenhang auch für die Beziehung zwischen der Struktur und der innerhalb dieser ablaufenden Steuerung:
[27]»Steering follows structure follows strategy.« (Konzerncontroller, Industriekonglomerat)
Nur die Organisationsstruktur zu betrachten, greift zu kurz. Strukturen können ganz unterschiedlich gelebt werden, und darauf, wie dieses erfolgt, nimmt die Steuerung einen erheblichen Einfluss.
Aber auch dieser erweiterte Zusammenhang ist noch unvollständig und sollte durch ein weiteres Element ergänzt werden, wie auch die Abbildung 2-2 zeigt: »Tools follow steering«. Dies gilt auch und gerade für die Kostenrechnung. Veränderungen der Steuerung können die Anforderung an die Kostenrechnung erhöhen, wie z. B. im Falle einer stärker zielgruppenbezogenen Steuerung des Vertriebs, die differenziertere kundenbezogene Erfolgsgrößen verlangt. Der Einfluss kann aber auch in die andere Richtung gehen, wie der folgende Aspekt beispielhaft zeigt, auf den wir später im Buch (insbesondere in Kapitel 7) noch zurückkommen werden: Märkte werden schnelllebiger, manche in einem sehr hohen Maße. Einer hohen Schnelllebigkeit des Geschäfts kann durch eine Intensivierung der Investitionsplanung und eine stärkere Kopplung der operativen Planung an diese begegnet werden (Steering follows strategy). Hieraus leitet sich der Bedarf an stärker ausgefeilten Werkzeugen und Prozeduren der Investitionsrechnung ab. Für die Kostenrechnung kann dagegen gleichzeitig eine Reduktion ihrer Komplexität erfolgen: Entscheidungen zur Veränderung der Kapazität sind dann ceteris paribus wichtiger als solche zu deren Nutzung (Tools follow steering).
Abb. 2-2: Konzeptioneller Zusammenhang zwischen betriebswirtschaftlichen Instrumenten und der Strategie eines Unternehmens
Folgen wir nun der Idee, dass unterschiedliche Strategien unterschiedliche Ausgestaltungen der Kostenrechnung erfordern, und greifen dazu auf die sehr bekannten Arbeiten von Michael E. Porter zurück,7 der zwei Basisstrategien unterscheidet. Kostenführerschaft kennzeichnet das Bestreben, Markterfolg insbesondere über den Hebel von Preisen zu erreichen, die niedriger sind als die der Konkurrenten. Kostenführerschaft ist oft verbunden mit Massenproduktion eines weitgehend standardisierten, nur in einer oder wenigen Variante(n) angebotenen Produkts, also einer Produktion, die es erlaubt, »Economies of Scale« bzw. Erfahrungseffekte zu realisieren.
[28]Kostenführerschaft als Wettbewerbsstrategie steht die Strategie der Differenzierung gegenüber. Differenzierung geht auf die speziellen Bedürfnisse der Kunden ein und schafft dadurch bei diesen einen Zusatznutzen. Das ermöglicht es, höhere Preise zu verlangen. Beide Strategietypen können sowohl für den gesamten Absatzbereich eines Unternehmens (für alle belieferten Märkte) übereinstimmend als auch selektiv (für einzelne Marktsegmente unterschiedlich) angewandt werden.
Schon allein an der Bezeichnung der Strategien wird die potenziell unterschiedliche Bedeutung sichtbar, die der Kostenrechnung als Strategieunterstützung – bzw. im Extremfall: als kritischer Erfolgsfaktor dieser Strategie – zukommt. Unternehmen, die Kostenführerschaft erreichen wollen, müssen zum einen sehr genau dazu in der Lage sein, die Kosten ihrer Produkte zu bestimmen, dies sowohl im Sinne von Durchschnittskosten als auch – z. B. im Rahmen der Gewinnung von Marktanteilen – im Sinne von Grenzkosten (Preisuntergrenzen). Zum anderen erfordert Kostenführerschaft einen optimierten Produktionsablauf. Hierdurch gewinnt eine detaillierte kostenstellenbezogene Kostenplanung und -kontrolle an Bedeutung. In der Empirie lässt sich tatsächlich eine entsprechende Beziehung festhalten: So stellt in einer schon vor geraumer Zeit an der WHU durchgeführten empirischen Studie die Orientierung an der Kostenführerschaft den nach der Unternehmensgröße zweitwichtigsten Einflussfaktor auf die Systemkomplexität der Kostenrechnung dar.8
Allerdings kann Kostenführerschaft auch zu einer Reduzierung von Umfang und/oder Differenzierung der Kostenrechnung führen, und zwar, um mit den damit eingesparten Kosten der Kostenrechnung einen Beitrag zum Kostenvorteil gegenüber Konkurrenten zu leisten. Dagegen, dass das in der Praxis ein starkes Gestaltungsargument ist, spricht allerdings neben den Ergebnissen der eben angesprochenen empirischen Studie auch die Beobachtung, dass die Controller in den Unternehmen allenfalls ungefähre Vorstellungen davon haben, was die Kostenrechnung insgesamt kostet:
»Das weiß ich nicht. Aber ich kann sagen: verdammt teuer in der Vergangenheit, weil wir alles mehr oder weniger händisch gemacht haben.« (Konzerncontroller, Stahlindustrie)
»Bezogen auf das ganze Unternehmen sprechen wir über wahrscheinlich so etwas wie zwischen 0,1 und 0,2 Prozent vom Umsatz.« (Konzerncontroller, Automobil- und Elektroindustrie)
[29]Noch weniger Wissen besteht in der Praxis darüber, inwieweit sich mit ihrer Vereinfachung Kosten der Kostenrechnung reduzieren ließen. Zudem fürchten die Controller, dass die Effektivität des Instruments unter solchen Einsparungen leiden würde:
»Wenn wir auf der einen Seite sparen und die Effizienz der Kostenrechnung erhöhen wollen, darunter dann aber deren Effektivität leidet und wir z. B. auch nur einen minimalen Preisabrieb aufgrund einer Einsparung in der Kostenrechnung haben, dann haben wir einen schlechten Deal gemacht.« (Konzerncontroller, Automobil- und Elektroindustrie)
Bei der Wettbewerbsstrategie Differenzierung ist zu unterscheiden, auf welche Aspekte die Abgrenzung gegenüber den Konkurrenten gerichtet ist. Soll diese über qualitative Produktattribute erreicht werden (z. B. Image oder Kundennähe), können wir in einer ersten Annäherung davon ausgehen, dass die Kosteneffizienz der Produktion und die Kenntnis der genauen Produktkosten für das Unternehmen eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Allerdings ist diese Tendenzaussage stets kritisch zu hinterfragen. Besteht beispielsweise die Differenzierungsrichtung in der Verbesserung der Lieferfähigkeit (Erhöhung der Liefergenauigkeit, Verkürzung der Lieferfristen), so muss das Unternehmen sehr genaue Kenntnisse über die Kosten dieser »Nebenleistung« besitzen – zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung, um wie viel denn der Servicegrad erhöht werden soll. Über diesen Trade-off zwischen Servicegrad und Logistikkosten gibt die Kostenrechnung üblicherweise keine Auskunft. Der Schwerpunkt der kostenrechnerischen Aufgaben rückt in solchen Fällen der Differenzierung hinaus aus der Produktion hinein in diejenigen Leistungsbereiche, die für die Bereitstellung des Zusatznutzens verantwortlich sind (in unserem Beispiel: in die Logistik) – wir werden darauf in Kapitel 7 noch ausführlicher eingehen.
Da mit einer stärkeren Differenzierung und größeren Kundenindividualität im Normalfall auch eine stärkere Veränderungsdynamik des Leistungsprogramms verbunden ist, muss darüber hinaus mehr Sorgfalt darauf verwandt werden, die Aktualität der Kostenrechnung sicherzustellen. Eine solche Beziehung konnte aber in der bereits angesprochenen empirischen Studie nicht beobachtet werden; die Orientierung an einer Differenzierungsstrategie nahm keinen Einfluss auf die Dynamik des Kostenrechnungssystems.9 Hieran hat sich – so meine Erfahrungen aus den geführten Interviews – bis heute nichts geändert.
Generell fallen die empirischen Studien über den Zusammenhang von Unternehmensstrategie und Kostenrechnung vor dem Hintergrund einer solchen hier eingangs einge[30]forderten strategischen Ausrichtung der Kostenrechnung eher unbefriedigend aus:10 Starke Zusammenhänge fehlen. Dies passt zu der in Kapitel 4 noch zu diskutierenden Hypothese, dass die »deutsche« Kostenrechnung über die Zeit hinweg weitgehend unverändert betrieben wird. Folgt man der soeben ausgebreiteten Argumentation, ist dies als ein Problem und nicht als eine Stärke (»unsere bewährte Kostenrechnung«) zu sehen. Entsprechend sind auch die folgenden Managementimplikationen formuliert.
Managementimplikationen
Analysieren Sie, ob Ihre Kostenrechnung grundsätzlich zu der von Ihrem Unternehmen verfolgten Strategie passt: Welche Aspekte der Strategie führen zu welchen Anforderungen an die Kostenrechnung? Werden diese von dem Instrument hinreichend abgedeckt?Versuchen Sie die Frage zu beantworten, wie die Kostenrechnung den Anforderungen noch besser (oder überhaupt erst) gerecht werden kann. Wie sehen Maßnahmen aus, die zu einem besseren »Fit« des Instruments führen?Erhöhen Sie Ihre Aufmerksamkeit für die Kostenrechnung, wenn ein Strategiewechsel in Ihrem Unternehmen vollzogen wird (z. B. stärker auf kundenindividuelle Bedürfnisse eingegangen werden soll), aber dies nicht mit Veränderungen der Kostenrechnung einhergeht (z. B. keine genauen Variantenkalkulationen vorgenommen und keine Serviceleistungen gesondert kalkuliert werden).Der Begriff des Geschäftsmodells wurde schon in den 1950er-Jahren geprägt, aber erst seit den 1990er-Jahren im Zuge der Entwicklung der sog. »New Economy« häufiger verwendet, da sich in dieser Zeit die Spielregeln in den Märkten zum Teil grundlegend veränderten. Dies erforderte als Antwort eine grundlegende Reflexion der Geschäfte der Unternehmen. Ein Geschäftsmodell ist als eine abstrakte Modellierung der geschäftlichen Tätigkeit eines Unternehmens bzw. deren einzelner, strategisch getrennt zu betrachtender Teile zu verstehen. Diese Abstraktion zwingt dazu, sich mit zum Teil scheinbar Altbekanntem neu auseinanderzusetzen und ganz grundlegende Fragen zu stellen. Die konkrete Anwendung zeigt, dass dabei überraschende neue Sichten und Perspektiven auf das doch scheinbar so bekannte Geschäft entstehen können. Liefert die Analyse solche neuen Einsichten nicht, hat das Unternehmen sein Geschäft sehr gut im Griff – oder hat in der Analyse nicht grundlegend genug nachgedacht. Der Modellierungsprozess hilft aber nicht nur, das Bestehende besser zu verstehen, sondern liefert auch Erkenntnisse dafür, künftige Veränderungen – die bis zum Bruch mit bewährten Geschäftsmodellen reichen können – besser in ihrer Wirkung abschätzen zu [31]können. Hier besteht im Übrigen auch eine enge Verbindung zum Risikomanagement des Unternehmens.
Bekannte Beispiele für den Bruch mit tradierten Geschäftsmodellen finden sich insbesondere im Bereich digitaler Geschäfte, wie etwa in Gestalt von Amazon als Online-Handel ohne Verkaufsflächen, Uber als Taxiunternehmen ohne eigene Fahrzeuge, AirBnB als Hotelgewerbe ohne eigene Zimmer, der Musikindustrie mit ihrem Wechsel vom CD-Verkauf hin zu Streamingdiensten oder – weniger beachtet, aber nicht weniger disruptiv – im Wechsel von On-premise- zu Cloud-Software (also der Ablösung von Lizenzverkauf durch -vermietung).
In der Literatur finden sich mehrere unterschiedliche Frameworks, um zu kennzeichnen, was ein Geschäftsmodell ausmacht, bzw. um alle zentralen Bestandteile und Merkmale eines Geschäfts zu erfassen. Von diesen sei stellvertretend eines näher vorgestellt, der St. Gallen Business Model Navigator.11 Er ist – wie auch die Abbildung 2-3 veranschaulicht – durch vier miteinander in Beziehung stehende Fragen bzw. Perspektiven gekennzeichnet:
Abb. 2-3: Der St. Galler Business Model Navigator (Quelle: Gassmann et al. (2013), S. 6)
Hiermit ist das Framework zur Analyse von Geschäftsmodellen in Kürze beschrieben. Wir werden es jeweils als Grundlage zur näheren Beschreibung der in den folgenden Kapiteln vorgestellten Unternehmensfallstudien verwenden.
[33]Managementimplikationen
Nutzen Sie das Konzept von Geschäftsmodellen, um das Geschäft Ihres Unternehmens sehr grundsätzlich zu hinterfragen. Betrachtet ein Manager diese Analyse als überflüssig, weil eine entsprechende Kenntnis in seiner Position ja selbstverständlich sei, ist das bereits ein erster Beleg für die Nützlichkeit eines solchen Vorgehens.Beachten Sie, dass es bei der Analyse grundsätzlich keine dummen Fragen gibt. »Dumm« zu fragen ist vielmehr ein probates Mittel, um scheinbar Selbstverständliches in Frage zu stellen.Seien Sie offen, unterschiedliche Muster im bestehenden Geschäft zu erkennen (das nicht so homogen ist, wie Sie es bisher glaubten), ebenso, wie nach neuen Mustern im Markt zu suchen.Analysieren Sie bei der Formulierung Ihres Geschäftsmodells (bzw. Ihrer Geschäftsmodelle) stets auch die Konsequenzen für die Gestaltung der Kostenrechnung.An dieser Stelle der Argumentation ist – hoffentlich – plausibel geworden, dass die Kostenrechnung kein Konzept »von der Stange« ist, sondern auf die Geschäftsmerkmale eines Unternehmens und den daraus resultierenden spezifischen Managementbedarf ausgerichtet werden sollte. Allerdings wird mit dieser Erkenntnis nur ein Teil des unternehmensindividuellen Gestaltungsbedarfs abgedeckt. Ein anderer und in seinen Konsequenzen letztlich nicht weniger wichtiger Teil resultiert aus sehr grundsätzlichen Perspektiven, aus denen Manager die Kostenrechnung betrachten können, individuell und unternehmensweit. Die Kostenrechnung ist kein naturwissenschaftlich-technisch geprägtes Messinstrument, das wirtschaftliche Tatsachen objektiv und eindeutig in Zahlen abbilden soll. Ihr Ziel ist es vielmehr, dem Management mit den von ihr gelieferten Informationen zu helfen, das Unternehmen im Wettbewerb erfolgreich zu machen. Unternehmen sind dabei weit mehr als »technische Produktionsmaschinen«. Oftmals lassen sie sich nur dann verstehen, wenn man sie als komplexe, von Menschen gestaltete soziale Systeme betrachtet, mit denen die Akteure ihre individuellen und kollektiven Ziele verfolgen. Es gibt folglich sehr unterschiedliche Sichtweisen auf Unternehmen, die wiederum mit unterschiedlichen Sichtweisen auf die Kostenrechnung korrespondieren. Oder in den Worten einer Praktikerin:
»Es gibt mehrere Richtigkeiten in der Kostenrechnung. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Ich muss die Art und Weise der Kostenrechnung wählen, die mir für meine Steuerung und für das, wofür ich eine Kostenrechnung brauche, am meisten hilft.« (Kostenrechnerin, Logistik)
[34]Über die Jahre ist die Einsicht in diese Pluralität deutlich gewachsen – wenn sie sich auch längst noch nicht in allen Lehrbüchern wiederfindet. Vier sehr unterschiedliche Sichtweisen sollen im Folgenden an einem konkreten Beispiel vorgestellt werden, ein Beispiel, das jeder Manager gut kennt und das ihm häufig ein Dorn im Auge ist: Die Behandlung von Overheadkosten. Beginnen wir mit der traditionellen, ingenieurswissenschaftlich geprägten Perspektive auf die Kostenrechnung, die sich mit dem Begriff der »verursachungsgerechten Kostenzuordnung« beschreiben lässt.
Kosten zu verteilen, ist eine Grundaufgabe der Kostenrechnung, die an den unterschiedlichsten Stellen im Abrechnungsgang auftritt. Insbesondere stellt sie sich, wenn es um die Kalkulation der (Voll-)Kosten der Produkte geht, wenn also die Summe der Kostenarten über diverse Schritte anteilig den Produkten zugeordnet wird. Diese Zuordnung soll möglichst »gerecht« erfolgen, also plausibel, nachvollziehbar und willkürfrei sein. Die Messlatte für die verursachungsgerechte Zuordnung ist dabei die – grundsätzlich objektiv gemessene – Inanspruchnahme von Ressourcen, wie z. B. der maschinellen Kapazitäten oder der Mengen eingesetzten Materials: Wer mehr Ressourcen in Anspruch nimmt, wird stärker belastet, wer weniger Ressourcen beansprucht, weniger stark.
Manche Ressourcenverbräuche sind ganz einfach zu messen. Beide gerade genannten Beispiele gehören dazu: Kosten des in Produkte eingehenden Materials lassen sich unmittelbar aus ihren Stücklisten ableiten, und für die Zuordnung der Kosten eines Fertigungsvorgangs kann man auf die Maschinenlaufzeiten zurückgreifen. Wie soll man aber die Kosten der zentralen Verwaltung auf die Produkte verteilen? Was haben die Werksfeuerwehr und der Werkschutz mit einem einzelnen Produkt zu tun? Welcher Zusammenhang besteht zu der Arbeit des Vorstands?
Overheadkosten dieser Art sind für eine verursachungsgerechte Kostenzuordnung eine harte Nuss, an der sich die Kostenrechnung schon seit ihrer Einführung in den Unternehmen oft die Zähne ausgebissen hat. Für einige Overheadkosten kann man noch plausible Lösungen finden, wie etwa bei IT-Kosten (z. B. Verrechnung anhand von Zeitaufschreibungen bei Softwareprojekten oder Zeiten der Nutzung der Hardware-Infrastruktur) oder bei der Buchhaltung (etwa durch eine Zurechnung auf Basis von Buchungstransaktionen). Für einen großen Teil der Overheadfunktionen gibt es solche Hilfswege aber nicht: Die Kosten des Vorstands lassen sich nicht anhand von Zeitaufschreibungen zuordnen! Insofern werden die Verwaltungskosten den Produkten häufig pauschal auf Basis der Herstellkosten (als Summe ihrer Material- und Fertigungskosten) zugeschlüsselt. Die Verursachungsgerechtigkeit stößt hier an ihre [35]Grenze. Das bringt viele Manager regelmäßig dazu, die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens in Frage zu stellen. Unproduktive Diskussionen kommen auf, ist doch am Ende alles nur ein Nullsummenspiel: Was ein Produkt weniger bekommt, bekommt ein anderes mehr.
Geht es der – auch historisch gesehen – ersten Sichtweise der Kostenrechnung um eine möglichst objektive und gerechte Kostenzuordnung, richtet die zweite ihren Blick darauf, wie die Kosteninformationen verwendet werden: Die Kostenrechnung soll die Frage beantworten, welche Kosten für eine bestimmte Fragestellung relevant sind, d. h., wie sie sich mit der entsprechenden Entscheidung darüber unmittelbar verändern. Alle anderen Kosten bleiben unberücksichtigt. Kostenverteilungsprobleme treten bei einer solchen entscheidungsorientierten Sicht nicht auf. Welche Kosten relevant sind, kommt dabei ganz auf den Einzelfall an. Sind dies z. B. bei einem kleinen Auftrag im Grenzfall nur die Materialkosten der gelieferten Produkte, müssen in die relevanten Kosten eines langfristigen Liefervertrags zusätzlich noch diverse Gemeinkosten eingerechnet werden.
Für welche Fragen können nun Overheadkosten relevante Kosten sein? Für den gerade angesprochenen kurzfristigen Auftrag sicher nicht. Selbst bei dem langfristigen Liefervertrag werden direkt zurechenbare Overheadkosten nur im Ausnahmefall auftreten (wenn etwa der Vertrag so umfangreich und langfristig ist, dass dafür ein eigenes Kunden-Management eingerichtet werden muss). Relevant sind die Overheadkosten grundsätzlich nur für Entscheidungen, die die Overheadkapazitäten betreffen. Hier muss das verantwortliche Management festlegen, welchen Overhead sich das Unternehmen leisten kann. Mit den Entscheidungen für einzelne Produkte hat das nichts zu tun. Insofern ist das folgende Zitat einer Konzerncontrollerin konsequent:
»Wir sind im Moment dran, den Leuten klarzumachen: ›Dieses angeblich verursachungsgerechte Verteilen von Corporate Functions ist völliger Blödsinn. Merkt euch lieber alle, ihr müsst drei Prozent mehr verdienen, damit das diese Konzernlast mitträgt. Fertig ist der Lack‹.« (Konzerncontrollerin, Elektroindustrie)
Die ersten beiden Sichtweisen haben gemeinsam, dass sie »von der Sache her kommen«. Erst relativ spät in ihrer Entwicklung hat sich die Kostenrechnung explizit auch mit den Menschen auseinandergesetzt, die mit ihren Informationen arbeiten sollen. [36]Manager (und auch Controller) sind dann nicht mehr quasi gesichtslos und damit austauschbar, sondern Individuen, die einerseits unterschiedliche Ziele und Präferenzen haben (»Wollen«) und andererseits über unterschiedliche Erfahrungen und Fähigkeiten verfügen (»Können«).
Unterschiedliches Wollen zu betrachten, ist immer dann wichtig, wenn die Manager Freiheitsgrade besitzen, die sie ganz unterschiedlich nutzen können (sog. »diskretionärer Handlungsspielraum«). Zu bestimmen, was von einem Manager genau erwartet wird, stößt dann an Grenzen. Es mangelt der Zentrale für solche Vorgaben an lokalem Wissen. Hier hilft die Kostenrechnung nur dann weiter, wenn sie im Sinne eines Benchmarkings interne Vergleichswerte zur Verfügung stellt (vgl. dazu die Fallstudie der DHL Supply Chain im 5. Kapitel des Buches).
Unterschiedliches Wollen macht sich aber auch in der Intensität bemerkbar, mit der sich Manager für die ihnen zugerechneten Kosten verantwortlich fühlen. Die Kostenrechnung adressiert den Aspekt der Verantwortlichkeit (»Accountability«) im Wesentlichen durch die Zuordnung von Kosten zu Kostenstellen. Unter diesen finden sich aber auch viele, die nur aus Gründen der Produktkalkulation dort landen. Hierzu zählen auch diverse Umlagen von Overheadkosten. Auf sie hat ein Kostenstellenleiter keinen Einfluss. Aus der Perspektive der Kostenverantwortung macht es demnach Sinn, die Overheadkosten nicht umzulegen, etwa so, wie es im Zitat der Konzerncontrollerin gerade eben deutlich wurde.
Als zweiten Grund für die Individualität der Manager haben wir noch das unterschiedliche Können angesprochen. Viele Manager sind nicht mit den verschlungenen Wegen der Kostenrechnung vertraut und können damit die gelieferten Informationen nicht richtig interpretieren. Zu hohe Komplexität führt zu Fehlern oder dazu, nicht mit der Kostenrechnung zu arbeiten. Umlagen für Overheadkosten sind für diese Komplexität ein gutes Beispiel. Letztlich erscheinen dann in ausdifferenzierten Kostenrechnungen z. B. die Kosten der Werksfeuerwehr in den Kosten jedes einzelnen Produkts und werden dazu häufig mehrfach, stufenweise umgelegt. Wer sich als Manager im Laufe seiner Karriere nicht intensiv mit der Kostenrechnung beschäftigt hat, versteht dies nicht. Zumindest sollte deshalb der folgende Ratschlag befolgt werden:
»Die Komplexität dürfen wir keinem zeigen. Also, nach vorne muss das einfach sein. Der Prozess dahin zu kommen, der kann schon komplex sein.« (Controller, Softwarebranche)
Generell neigen Controller dazu, ihre Instrumente sehr (zu) komplex zu gestalten. Aus einer Verhaltensperspektive heraus – verstehen die Manager die Kostenrechnung nicht, verwenden sie sie nicht oder aber falsch – ist hier warnend der Finger zu heben.
Schließlich gibt es noch eine weitere Perspektive, die sich auf Menschen bezieht. Sie stammt aus der Soziologie. Menschen streben ihr zufolge nicht nur nach hohem individuellem Nutzen, sondern auch danach, sich legitim zu verhalten, sich also adäquat in eine bestimmte Gemeinschaft einzufügen. Ein solcher Anpassungsdruck wird aus drei unterschiedlichen Quellen gespeist. Ganz offensichtlich ist dieser dann, wenn für ein bestimmtes Verhalten eine rechtliche Vorschrift