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Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. Heinz Rückert, ihr Schwiegersohn Werner und ihr Magnus hatten so geheimnisvoll getan, dass Teresa beinahe enttäuscht war. Sie hatte wohl eine wirkliche Sensation erwartet. »Es ist ein Entwurf«, versuchte Heinz zu erklären, als könnte sie das nicht sehen. »Natürlich wird es großformatiger erscheinen«, fügte Werner hinzu. Wie nicht anders zu erwarten, musste auch Magnus seinen Senf dazugeben. »Aber die Farben, die sollen so bleiben.« Teresa betrachtete aufmerksam das Plakat. Es war ausgezeichnet gemacht und der Text dazu hatte eine aufrüttelnde Wirkung – Komm mit ins Boot. Waren die Männer deswegen gekommen? Was wollten sie von ihr? Nun, das würde sie sofort herausfinden. Nachdem Teresa das Plakat eine Weile noch aufmerksamer betrachtet hatte, blickte sie das Dreigestirn, das sie erwartungsvoll anschaute, an und erkundigte sich: »Und wozu möchtet ihr meine Meinung hören? Zum Text? Zur Gestaltung des Plakates? Zu den Farben?« Wieder schauten sie sich an, und dann sagten sie wie aus einem Mund: »Zu allem.« »Weißt du, Teresa, ehe wir dich einspannen, müssen wir wissen, dass du überzeugt davon bist. Nur wenn das der Fall ist, kann man etwas richtig rüberbringen.«
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Seitenzahl: 160
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Heinz Rückert, ihr Schwiegersohn Werner und ihr Magnus hatten so geheimnisvoll getan, dass Teresa beinahe enttäuscht war. Sie hatte wohl eine wirkliche Sensation erwartet.
»Es ist ein Entwurf«, versuchte Heinz zu erklären, als könnte sie das nicht sehen.
»Natürlich wird es großformatiger erscheinen«, fügte Werner hinzu.
Wie nicht anders zu erwarten, musste auch Magnus seinen Senf dazugeben. »Aber die Farben, die sollen so bleiben.«
Teresa betrachtete aufmerksam das Plakat. Es war ausgezeichnet gemacht und der Text dazu hatte eine aufrüttelnde Wirkung – Komm mit ins Boot.
Waren die Männer deswegen gekommen?
Was wollten sie von ihr?
Nun, das würde sie sofort herausfinden. Nachdem Teresa das Plakat eine Weile noch aufmerksamer betrachtet hatte, blickte sie das Dreigestirn, das sie erwartungsvoll anschaute, an und erkundigte sich: »Und wozu möchtet ihr meine Meinung hören? Zum Text? Zur Gestaltung des Plakates? Zu den Farben?«
Wieder schauten sie sich an, und dann sagten sie wie aus einem Mund: »Zu allem.«
»Weißt du, Teresa, ehe wir dich einspannen, müssen wir wissen, dass du überzeugt davon bist. Nur wenn das der Fall ist, kann man etwas richtig rüberbringen.«
Was sollte das nun wieder? Seit die Männer gekommen waren, redeten sie irgendwie in Rätseln. Zuerst die ganzen Lobhudeleien über sie. Sie musste dem allem ein Ende machen. »So, nun redet bitte Klartext, was bedeutet zu allem. Aber wenn ihr vorher meine Meinung zu dem Plakat hören möchtet: Es ist ästhetisch, die Farben sind großartig, das Bild hat eine ganz große Aussagekraft, und was immer das Komm mit ins Boot bedeuten soll, man fühlt sich aufgefordert, einzusteigen.«
Nach diesen Worten war es erst einmal still, dann sprang Werner auf, lief zu seiner Schwiegermutter, umarmte sie, rief begeistert: »Ich habe es gewusst.«
Heinz starrte sie an wie ein Wesen aus einer anderen Welt und murmelte: »Das glaube ich jetzt nicht«, und Magnus schaute seine Frau geradezu entzückt an, ehe er triumphierend sagte: »Habe ich es euch nicht gesagt, dass Teresa einen analytischen Blick auf alles hat?«
Werner setzte sich wieder, nachdem er seine Umarmung wiederholt hatte.
Teresa war nicht leicht zu verwirren, jetzt allerdings war sie doch leicht irritiert. Was war denn mit den Männern los? Sie wurde schon wieder gelobt, und Werner hatte sie sogar umarmt. Sie verstand sich eigentlich sehr gut mit ihrem Schwiegersohn, doch es hatte schon so manches Mal gekracht zwischen ihnen, weil Teresa in ihm niemals den berühmten Herrn Professor Auerbach gesehen hatte, sondern eben einen Mann, der mit ihrer einzigen Tochter verheiratet war. Sie hatte ihn in der Zeit vor seinem Herzinfarkt so manches Mal von seinem Olymp heruntergeholt, auf dem er damals einsam und selbstherrlich schwebte. Das war glücklicherweise inzwischen vorbei. Sie fand es sehr vernünftig, was er jetzt tat, ehrenamtlich wohlgemerkt und mit großem Erfolg.
Teresa wandte sich an ihren Schwiegersohn, der wieder auf seinem Stuhl Platz genommen hatte.
»Werner, was wollt ihr?«
Weil er nicht sofort etwas sagte, ergänzte Teresa: »Verflixt noch mal, ihr seid drei gestandene Männer, der deutschen Sprache mächtig, warum sagt ihr mir nicht in aller Deutlichkeit, weswegen ihr hier seid?«
»Okay, Teresa, du hast recht. Also, dass ich mich in der Jugendstrafanstalt einbringe, muss ich dir nicht erzählen. Das weißt du. Magnus und Heinz sind hier und da ebenfalls dabei. Wie du weißt, treffen wir uns auch privat, nicht nur, um Schach zu spielen. Und da ist in uns immer mehr die Idee gereift, für Jugendliche etwas zu tun, ehe sie straffällig werden. Das Internat gehört ebenfalls auf diese Schiene. Dort bekommen die Jungen und Mädchen eine Chance, die sie sonst nirgendwo bekämen. Viele, die klug sind, einen guten Charakter haben, fallen durch ein Raster, weil sie von der Gesellschaft nicht wahrgenommen werden oder jedenfalls erst dann, wenn es zu spät ist.«
Das hörte sich gut an!
»Teresa, wie du weißt, besitzen die Rückerts einige Immobilien, Heinz wird uns eines der Häuser zur Verfügung stellen, das dann ein Treffpunkt für die Jugendlichen werden soll, nicht nur das, sie sollen beraten werden, ihnen soll in jeder Hinsicht Hilfe zuteil werden, wenn sie die woanders nicht bekommen. Heinz unterstützt das Projekt finanziell sehr großzügig, Magnus und ich werden es ebenfalls tun. Ich denke, dass du da sicher nichts dagegen haben wirst. Wir alle unterstützen das Tierheim, und so soll es auch bleiben. Doch die Menschen dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben.« Er schaute seine Schwiegermutter an, die aufmerksam zugehört hatte, »und jetzt kommst du mit ins Boot, Teresa. Wir wünschen uns, dass du für das Projekt die Werbetrommel rührst, Geld einsammelst, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findest. Die nette Frau Schuler, die Kinder- und Jugendpsychologin aus dem Internat, haben wir schon gewonnen, sie ist dabei.«
»Natürlich mache ich auch mit«, sagte Teresa, »das ist doch selbstverständlich, und da hättet ihr gleich zur Sache kommen können. Ich finde es großartig, und ich werde, wenn ich mich noch ein bisschen schlauer gemacht habe, um auch hinterlistige Fragen beantworten zu können, sofort loslegen. Das ist etwas ganz nach meinem Geschmack. Die Gesellschaft wird immer rücksichtsloser, selbstbezogenener und verschließt die Augen vor dem Elend, das sie angerichtet hat. Man muss nicht in die Ferne schweifen, um das zu sehen, wir haben es hier direkt vor der Haustür. Übrigens, wie ihr wisst, verwalten Sophia und ich die Stiftung von Piet van Beveren, da sind noch Gelder frei, die wir auch verwenden können.«
Die Männer schauten sich an, dann voller Bewunderung Teresa, sie hatte ›wir‹ gesagt. Und das bedeutete, dass sie sich schon mit dem, was die Männer planten, identifizierte. Sie hatten es gewusst, es sich gewünscht, und nun war sie tatsächlich dabei. Mit Teresa im Boot würden sie auch die stürmischsten Gewässer gefahrlos durchqueren.
Werner Auerbach war unglaublich stolz auf seine Schwiegermutter, Heinz Rückert bewunderte Teresa, und Magnus … er liebte sie, liebte sie über alles, und das war mehr als genug.
Teresa wäre nicht Teresa, wenn sie nicht gleich loslegen würde.
»Habt ihr außer dem Plakatentwurf noch mehr? Gibt es Unterlagen, die ihr mir zeigen könnt? Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, dann lasst uns jetzt mal über alles sprechen. Wichtig wäre besonders: Was genau erwartet ihr von mir?«
»Teresa, du weißt am besten, wie du dich verkaufen kannst.« Sie wusste es, und deswegen nickte sie.
»Okay, zuerst muss es allerdings eine Pressekonferenz mit euch geben, und es muss herausgestellt werden, was eure Motivation ist und vor allem muss gesagt werden, dass ihr nicht nur so daherredet, um euch zu profilieren, sondern, dass ihr euch euer Herzensprojekt auch etwas kosten lasst. Besonders du, Heinz, ich finde es ganz großartig, dass du ein Haus zur Verfügung stellst und dann auch noch Geld in das Projekt einbringst. Das ist wirklich mehr als großzügig. Also dann, lasst uns loslegen.«
Und so geschah es tatsächlich, sie redeten sich die Köpfe heiß, und die drei gestandenen Männer kamen aus dem Staunen nicht heraus, diese Teresa, welch kluge Ideen sie doch hatte und mit welcher Energie sie an alles heranging.
Komm mit ins Boot …
Teresa, Heinz, Werner, Magnus waren glücklich und stolz, mit im Boot zu sein. Es würde nicht untergehen, man konnte jetzt schon fühlen, dass es ein großer Erfolg werden würde.
Irgendwann kam Teresa in den Sinn, danach zu fragen, ob eigentlich Rosmarie und Inge ebenfalls dabei sein würden, und es machte Teresa schon sehr stolz, dass das nicht der Fall war, weil man erst einmal mit ihr einig werden und ihre Meinung hören wollte.
»Sie werden bestimmt mitmachen«, behauptete Teresa, »doch ihr müsst mit euren Frauen reden. Es wäre nämlich peinlich, wenn sie davon aus der Presse erführen.«
Das fanden die Männer auch, sie redeten noch ein bisschen, tranken noch einmal frischen Kaffee, und die Keksschale wurde mehr als nur einmal aufgefüllt, diesmal allerdings von Teresa, weil die einen Augenblick allein sein wollte, um die Neuigkeiten richtig zu verdauen. Man wollte sie dabeihaben, setzte sogar große Hoffnungen auf sie … da konnte man schon Herzklopfen bekommen, aber nicht aus Angst vor der Herausforderung, sondern vor lauter Freude.
Komm mit ins Boot …
Da konnte sich doch überhaupt keiner weigern, es nicht zu tun.
Sie brachte nicht nur die Kekse mit an den Tisch, sondern auch welche von den superleckeren Pralinen aus der Confiserie in Hohenborn, in der alles handgemacht war und natürlich auch entsprechend teuer. Doch was sollte der Geiz, heute war ein besonderer Tag. Und wenn Heinz und Werner das Haus verlassen hatten, würde sie ihren Magnus erst einmal ganz fest in ihre Arme nehmen, ihn küssen, und sie würde ihm sagen, wie unendlich glücklich sie mit ihm war, wie sehr sie ihn liebte und dass sie es nicht eine Sekunde lang bereut hatte, vor vielen Jahren zu ihm ins Boot gestiegen zu sein. Er war ein ganz hervorragender Steuermann, und sie hatte sich an seiner Seite immer sicher und geborgen gefühlt, auch wenn die hohen Wellen sie manchmal beinahe verschlungen hätten. Und weil Geduld keine hervorragende Eigenschaft von Teresa war, beendete sie beizeiten das Beisammensein.
Eigentlich war ja auch erst einmal alles gesagt. Und man musste halt Prioritäten setzen, und da war sie auch überhaupt nicht kompromissbereit … Magnus war ihre große Liebe, und daran würde sich auch niemals etwas ändern …
*
Rosmarie und Inge hatten nicht die geringste Ahnung, was nur ein paar Häuser weiter stattfand, sie wussten nichts von dem Treffen, und sie hatten keine Ahnung von dem Projekt.
Die beiden Frauen saßen in der gemütlichen Wohnküche der Auerbachs, tranken Kaffee, aßen Muffins in verschiedenen Variationen, die Pamela sich gewünscht hatte. Sie freuten sich über ihr Wiedersehen, und nachdem Rosmarie in epischer Breite erklärt hatte, dass sie keine Ahnung habe, warum Heinz es plötzlich so eilig gehabt hatte, wieder nach Hause zu kommen, nachdem sie zuvor darüber gesprochen hatten, was die Rückerts in dieser wunderschönen Stadt so alles erlebt hatten, erkundigte Inge sich: »Und wie war es mit Cecile? Konntet ihr viel Zeit miteinander verbringen?«
Sofort begann Rosmarie zu strahlen.
»Cecile ist so unglaublich, sie hat, obwohl wir es eigentlich nicht wollten, Termine, wichtige Termine, abgesagt, um Zeit mit uns verbringen zu können. Ach, Inge, sie ist ein so einfühlsamer Mensch. Ich hätte vielleicht nicht darüber gesprochen, weil es ja auch kein besonders erfreuliches Thema ist. Doch als sie sich nach Stella und den Kindern erkundigte, hat Heinz ausgepackt. Ich glaube, er hat sich den ganzen aufgestauten Frust von der Seele geredet. Und da habe ich eigentlich auch erst gemerkt, wie sehr ihn Stellas Verhalten mitgenommen hat. Du kennst ihn ja, Heinz ist niemand, der sein Herz auf der Zunge trägt. Er frisst eher alles in sich hinein oder lässt es erst gar nicht an sich herankommen. Aber tief in seinem Inneren hat er eine sehr empfindsame Seele. Man braucht halt lange, ehe man zu dieser Seele vorstößt. Wie du weißt, hat es bei mir viele, viele sinnlos vertane Jahre gedauert.«
Sie stopfte einen Schokoladenmuffin in sich hinein, trank etwas, trank danach noch einen Schluck, stellte behutsam die Tasse ab, dann schaute sie Inge an.
»Inge, Stellas Verhalten verfolgt mich wie ein tiefschwarzer Schatten. Warum ist sie so? Warum schlägt sie alle Türen hinter sich zu? Ich meine, wenn sie noch immer ein Problem mit Heinz und mir hat, so muss sie das selbst für sich entscheiden. Aber es gehört sich einfach nicht, wie sie sich Fabian und Ricky gegenüber aufgeführt hat. Die haben Stella und die Kinder aufgenommen, haben alles für sie getan, damit sie sich wohlfühlen, und was macht Stella? Die packt bei Nacht und Nebel ihre Klamotten zusammen, schnappt sich die Kinder und haut ab und hinterlässt ein paar dürftige Zeilen. Cecile kann eine solche Verhaltensweise nicht verstehen. Und obwohl Heinz es nicht ausgesprochen hat, ist sie seiner Meinung, dass Stella längst in psychiatrische Behandlung gehört. So etwas zu hören, macht mir natürlich noch mehr Angst … nicht, dass sie am Ende sich und den Kindern etwas antut?«
»Nein, Rosmarie, und da bin ich nicht allein mit meiner Meinung, Ricky und Fabian vertreten sie ebenfalls, Werner sowieso. Stella ist kalt und berechnend und sehr egoistisch. Sie hat etwas entdeckt, was ihr Vorteile bringt, und das nutzt sie gnadenlos aus.«
Als sie Rosmaries entsetzten Gesichtsausdruck entdeckte, sagte Inge: »Du, diese Formulierung habe ich mir nicht ausgedacht, das hat Fabian gesagt. Er ist da wohl hinter etwas gekommen. Aber frag mich nicht, ich wollte nicht neugierig sein und habe es nicht hinterfragt. Außerdem, ehrlich mal, Rosmarie, ich möchte über Stella nicht mehr reden. Ich hatte nie etwas gegen sie, auch nicht, als sie sich von Jörg trennte, um mit diesem anderen Mann leben zu wollen. Ich war sauer auf sie, weil sie mit den Kindern einfach verschwand, und es ist unmöglich, dass sie im Sonnenwinkel war und es nicht für nötig hielt, mal bei uns zu klingeln, um hallo zu sagen. Aber wenn ich andererseits daran denke, wie sie sich bei euch aufgeführt hat, dass sie nur gekommen ist, um euch diese Berliner Eigentumswohnung abzuschwatzen. Dann ist sie gegangen, weil sie euch nicht überzeugen konnte, die Mieter vor die Tür zu setzen. Beleidigt war sie und wütend. Übrigens, Rosmarie, falls es dich beruhigt, Fabian sagt, dass sie die Wohnung nicht wirklich wollte. Es war für Stella lediglich ein Machtspielchen, bei dem sie die Siegerin sein wollte. Stella, Stella, Stella. Bitte, Rosmarie, lass uns von diesem unerfreulichen Thema aufhören. Heinz und Werner haben recht, dass es sich nicht lohne, Energie daran zu verschwenden. Es ist ein Thema ohne Ende.«
Rosmarie seufzte abgrundtief.
»Inge, du hast ja so recht. Aber es tut halt so weh, und sie ist mein Kind.«
»Ja, das ist sie, aber du bist nicht ein Leben lang für sie verantwortlich. Bitter ist bei der ganzen Sache, dass sie uns die Kinder vorenthält. Ich tröste mich damit, dass sie vielleicht, wenn sie volljährig sind und selbst entscheiden können, den Weg zu uns finden werden. Darauf setze ich all meine Hoffnung.«
Sam und Luna, die im Garten herumgetollt waren, kamen angerannt, stießen die nur angelehnte Terrassentür auf, und dann mussten sie die Besucherin erst einmal begrüßen.
Insgeheim dankte Inge dem Himmel, der ihre beiden Lieblinge gerade im rechten Augenblick geschickt hatte. Stella … das war ein Thema, über das sie sich wirklich nicht mehr auslassen wollte. Sie wünschte und hoffte, Rosmarie würde etwas finden, womit sie sich mit Begeisterung beschäftigen konnte. Das würde sie ablenken. Ausgedehnte Shoppingtouren, bei denen Rosmarie früher die Scheckkarte glühen ließ, die waren schon so lange vorbei, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte. Und die Besuche in der Seniorenresidenz, in die Rosmarie gern gegangen war, um vorzulesen, sich mit alten Damen und Herren zu beschäftigen, die keine Besuche bekamen, um bei der Zubereitung der Mahlzeiten zu helfen, die waren vorbei, seit es einen Wechsel in der Heimleitung gegeben hatte. Rosmarie war mit der Heimleiterin einige Male aneinandergeraten, weil sie die auf einige Missstände hingewiesen hatte. Kritisiert wurde niemand gern, die Frau hatte Rosmarie daraufhin herablassend behandelt, um nicht zu sagen, schikaniert, und da war Rosmarie halt weggeblieben. Inge war sich allerdings sicher, dass es für Rosmarie noch nicht zu Ende war, dass sie schon sehr bald das, was ihr unangenehm aufgefallen war, öffentlich machen würde. Ihr lagen die alten Menschen sehr am Herzen, besonders die, deren Rechte niemand vertrat, die dann der Willkür unfähiger Menschen ausgesetzt waren.
Die Seniorenresidenz kam nicht mehr infrage, den ›Seeblick‹ gab es leider auch nicht mehr, denn dort hatte Rosmarie immer die Veranstaltungen zur Rettung des Tierheims stattfinden lassen.
Hoffentlich würde sich für Rosmarie bald ein sinnvolles Betätigungsfeld finden.
»Rosmarie, und wenn du nun mit mir in die Jugendstrafanstalt gehst und mir hilfst?«
Das hatte Inge ihr schon mal angeboten, und wieder lehnte Rosmarie es ab.
»Inge, das kann ich nicht. Mir bricht schon bei dem Gedanken das Herz, dass junge Menschen einfach weggesperrt werden.«
Es tat Inge auch unendlich leid, dennoch musste sie jetzt sagen: »Rosmarie, es geschieht nicht ohne Grund, sie haben schon etwas gemacht, was gegen das Gesetz verstößt. Aber es dürfte halt nicht dazu kommen. Ich bin überzeugt davon, dass vieles vermeidbar wäre. In der Öffentlichkeit wird viel zu wenig darauf aufmerksam gemacht, dass unendlich viele junge Menschen im Dunkel sind.«
Das konnte Rosmarie nur bestätigen. »Da gibt es doch diesen Brecht-Song, in dem es heißt …, und man sieht nur, die im Licht sind, die im Dunkel sieht man nicht.«
Das wäre jetzt für Inge ein Zeichen, da einzuhaken, dazu kam es allerdings nicht. Luna und Sam sprangen auf, begannen zu winseln, rannten aufgeregt aus dem Raum. Und dafür gab es auch eine Erklärung, Pamela kam herein, die beiden Hunde klebten an ihr mit rührender Begeisterung.
Rosmarie begann zu schwärmen: »Pamela, du wirst immer hübscher, es dauert nicht mehr lange und die Knaben hängen in Trauben vor eurer Haustür.«
Es war nicht übertrieben, Pamela sah wunderschön aus mit ihren braunen Locken, den großen grauen Augen. Sie war hochgewachsen und schlank. Sie sah wirklich wunderschön aus. Normalerweise war Pamela für Komplimente sehr empfänglich, in ihrem Alter saugte man so etwas auf. Doch heute stand ihr nicht der Sinn danach, sie sah nur den Teller auf dem Tisch, auf dem sich noch ein einsamer Muffin befand. Sie deutete auf den Teller und erkundigte sich entsetzt: »Habt ihr die alle aufgegessen?«
Inge konnte ihre Tochter beruhigen.
»Keine Sorge, mein Kind, es sind noch genug da, und zwar von jeder Sorte. Aber wieso bist du denn schon hier? Sind wieder Unterrichtsstunden ausgefallen?« Das kam leider oftmals vor, und meistens war Pamela deswegen auch ziemlich ungehalten, diesmal war es allerdings nicht der Fall, und das wunderte Inge. Pamela lachte sogar. »Nö, wir haben alle schulfrei, denn es gab einen kompletten Stromausfall, der erst einmal behoben werden muss. Ich habe Fabian schon eine Nachricht geschickt, dass er wieder mal recht gehabt hat. Der hatte nämlich schon vor Monaten auf das marode System hingewiesen, aber niemand hat auf ihn gehört.«
Pamela streichelte Sam und Luna liebevoll, ignorierte deren bettelnde Blicke, die hin zu dem Schrank gingen, in dem die Leckerli sich befanden. Die beiden waren nicht dumm, denn als ihnen klar wurde, dass hier nichts zu holen war, trotteten sie sogleich beleidigt hinaus in den Garten.
Pamela schmiss sich auf einen Stuhl.
»Es ist so richtig schade, dass Fabian nicht als Lehrer an unserer Schule geblieben ist, der hätte für Ordnung gesorgt, unser Schulleiter ist eine richtige Schlafmütze.«
»Pamela«, mahnte Inge.
»Ist er aber, und das habe ich mir nicht ausgedacht. Er heißt überall an der Schule so.«
Pamela angelte sich den letzten Muffin vom Teller, stopfte ihn in sich hinein. »Bekomme ich noch mehr?«
»Bekommst du, mein Mädchen, aber gewiss nicht vor dem Mittagessen.«
»Und was habt ihr getan?« Pamela wirkte etwas ärgerlich, als sie abrupt das Thema wechselte. »Was haben denn der Papa und Heinz bei den Großeltern gemacht? Die waren so intensiv in etwas vertieft, dass sie mich überhaupt nicht bemerkt haben und meinen Gruß hätte ich eigentlich in den Wind schießen können.«
Rosmarie und Inge schauten sich irritiert an, und Rosmarie erkundigte sich: »Bist du dir sicher?« Es war eine törichte Frage, und prompt verzog Pamela auch ihr Gesicht. »Rosmarie, ich bin doch nicht blind, und ich erkenne wohl meinen Vater und deinen Mann.«