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Aus dem Vorwort von Prof. Dr. Jürgen Gries: Die vorliegende Expertise ist im Rahmen eines zu erstellenden Gesamtberichtes zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Berlin-West und Berlin-Ost seit den 1950er Jahren aufgrund eines Beschlusses des Abgeordnetenhauses von Berlin zur "Aufklärung des Schicksals von ehemaligen Berliner Heimkindern, Fürsorgezöglingen ..." im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Abteilung Jugend und Familie, Landesjugendamt entstanden. Nach der Leistungsbeschreibung sollte u.a. "eine wissenschaftliche Erforschung der Verhältnisse in Berliner Heimen in den 40er bis 70er Jahren und deren Dokumentation zu unterstützen" (vgl. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion in Drs. 16/3277 v. 09.06.2010) bearbeitet werden. Die Vereinbarung zur Anfertigung von Expertisen für einen Gesamtbericht "Berliner Heimerziehung" wurde in Absprache mit der Senatsverwaltung sowie durch Gesprächsrunden zur Vorbereitung und Durchführung zweier Workshops ("Berliner Heimerziehung der 50er und 60er Jahren" im Oktober 2010 und April 2011 im Centre Français de Berlin) getroffen. den 1950er Jahren sich zu beteiligen.
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Seitenzahl: 264
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Jürgen Gries | Malte-Friedrich Ebner von Eschenbach | Nils Marvin Ruhl
Aufriss einer Grauzone
Expertise
für die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Abteilung Jugend und Familie, Landesjugendamt „Berliner Heimerziehung 1950/1960er Jahre“
Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung in beiden Teilen von Berlin
(1950 - 1970er Jahren in Berlin-West und 1950 - 1990er Jahre in Berlin-Ost)
Rahmenbedingungen, Strukturen und Erscheinungsformen
vorgelegt von
Jürgen GriesMalte-Friedrich Ebner von EschenbachNils Marvin Ruhl
Berlin, im Juni 2011
Autoren
Prof. Dr. Jürgen Gries
Professor für Soziologie und Sozialarbeitswissenschaft an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen BerlinKontakt: Katholische Hochschule für Sozialwesen, Köpenicker Allee 39-57, 10318 Berlin, E-Mail: jü[email protected]
Malte-Friedrich Ebner von Eschenbach
M.A. ErziehungswissenschaftenKontakt: [email protected]
Nils Marvin Ruhl
Sozialarbeiter (B.A.)Kontakt: [email protected]
OriginalausgabeEdition Gangway im Archiv der Jugendkulturen© 2012 Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin (www.jugendkulturen.de)Alle Rechte vorbehalten1. Auflage Januar 2012
ISBN (nur als E-Book verfügbar) 978-3-943612-34-9
Diese Expertise ist in der Folge des von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft beauftragten Gesamtberichtes zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Berlin-West und Berlin-Ost seit den 1950er Jahren entstanden. Der Bericht „Heimerziehung in Berlin – West 1949-1975 Ost 1945-1989. Annäherung an ein verdrängtes Kapitel Berliner Geschichte als Grundlage weiterer Aufarbeitung“ ist im Juli 2011 erschienen und wurde am 05. August 2011 vom Senator Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner der Öffentlichkeit vorgestellt. Für diesen Bericht übernahmen wir die Anfertigung eines Beitrages zur Rekonstruktion der soziologisch-organisatorischen Rahmenbedingungen der Heimerziehung in Berlin-West (1950er/1960er Jahre) und waren vor die Aufgabe gestellt, diesen Text in einem Zeitraum von vier Monaten (Februar bis Juni 2011) zu erstellen.
Die hier vorliegende Expertise geht über unseren Beitrag zum Bericht „Heimerziehung in Berlin“ hinaus und versucht die Heimsituation umfassender zu betrachten. Dennoch muss einschränkend festgehalten werden, dass die hier vorgelegten Rahmenstrukturen der Heimerziehung in Berlin es nicht erlauben, das gesamte und gesicherte Archiv-Material inhaltlich auszuwerten und in die Expertise einfließen zu lassen. Auch wurden zur Recherchearbeit (Material- und Datenlage zur Berliner Heimerziehung) Gespräche mit einigen vermeintlichen Experten anberaumt, die aber über mehr als ein Überblickswissen nicht verfügten. Wir konnten in dem gesetzten Erstellungszeitraum darüber hinaus auch keine eigenen Erhebungen durchführen, mit Ausnahme einer Heimstruktur-Erhebung aller Berliner Kinder- und Jugendheime. Wir mussten weiter z.B. darauf verzichten, über die Berliner Bezirksjugendämter eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, wie es ebenso nicht möglich war, spezielle Entwicklungen der Jugendhilfe und Heimerziehung in Berlin-Ost zu bearbeiten. Von daher muss sich unsere Expertise – zu unserem Bedauern – mit einer Engführung in der Behandlung des Themas begnügen und auf Lücken hinweisen.
Die Konzeption und Grobstruktur der Expertise spiegelt die inhaltliche Herangehensweise an die Thematik der Berliner Heimerziehung wider. Denn: ebenso wenig wie Selbstverständnis und gesellschaftliche Leitvorstellungen von Jugendhilfe und Heimerziehung in Berlin einheitlich waren und historisch festgeschrieben werden können, darf Jugendhilfe, die sich auf Heimerziehung in Berlin-West und Berlin-Ost bezieht, strukturell und inhaltlich als unhistorisch verstanden werden. Im Verhältnis der beiden Bereiche zueinander sollte Heimerziehung als abhängige Größe betrachtet werden. Konzeptionell bedeutet dies für die Expertise, erst die Problemsicht der Jugendhilfe und dann die der Heimerziehung nachzuvollziehen.
Im Aufbau der Expertise wurde dieser Prämisse in der Form Rechnung getragen, dass im ersten Teil zur Heimsituation in Berlin-West nach einer kurzen historischen Hinführung – unter dem Gesichtspunkt tatsächlicher jugendhilfepraktischer Bedeutung – Jugendhilfe und Heimerziehung im Kontext gesellschaftlicher, rechtlicher und sozialer Bedingungen von den 1950er bis 1970er Jahren nachgezeichnet und analysiert werden. Gleichsam wurden kritisch-politische und jugendhilferelevante Quellen sowie demografische Daten mit einbezogen. Im zweiten Teil zur Heimerziehung in Berlin-Ost wurde unter Berücksichtigung ihrer Relevanz das Selbstverständnis der Jugendhilfe und Heimerziehung sowie die Erwartungen, die an sie gestellt wurden, beschrieben. Auch hier wird im Anschluss an eine knappe historische Einführung eine rechtliche und sozialinstitutionelle Analyse – von den 1950er Jahren an bis zur „Vereinigung“ Berlins – vorgenommen.
Im Zentrum dieser Expertise befindet sich demnach nicht die deskriptive Erfassung der eigentlichen (praktischen) Erziehungssituation in den Berliner Heimen, sondern ihre gesellschaftlichen, rechtlichen und sozialen Strukturen offen zu legen, die das Spannungsverhältnis zwischen den Kindern und Jugendlichen in Heimerziehung sowie zu dem Heimpersonal, Handlungsräumen und Umweltabhängigkeiten beeinflussten. Leider wurde kein Material zur Heimerziehung von konfessionellen Trägern zur Verfügung gestellt, trotz der Versicherung in den Vorbesprechungen an der Aufklärung der Berliner Heimerziehung ab den 1950er Jahren sich zu beteiligen.
Jürgen Gries
Malte-Friedrich Ebner von Eschenbach
Nils Marvin Ruhl
I. Inhaltsverzeichnis (I. Teil)
II. Inhaltsverzeichnis (II. Teil)
III. Abbildungsverzeichnis (Teil I und II)
IV. Tabellenverzeichnis (Teil I und II)
I. Inhaltsverzeichnis (I. Teil):Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung der 1950-1970er Jahre in Berlin-West
Hinführung
1. Einige historische Fakten - massive Kritik an der Heimerziehung
1.1 Runder Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“
1.2 Zeittafel der Skandalisierung von Heimerziehung
1.2.1 Waisenhausstreit (1750 – 1800)
1.2.2 Fürsorgeerziehungsskandale (1927 – 1932)
1.2.3 Heimkampagne (1968 – 1970)
2. Rechtsgrundlage der Heimeinweisung und Finanzierung
2.1 Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (1922 und 1953)
2.2 Jugendwohlfahrtsgesetz (1961)
2.2.1 „Hilfe zur Erziehung“
2.2.2 Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung
2.2.3 Freiwillige Erziehungshilfe
2.2.4 Fürsorgeerziehung
2.2.5 Vorübergehende Inobhutnahme
2.2.6 Unterbringung von behinderten Minderjährigen
2.2.7 Heimaufsicht
Exkurs: Begriffe „Gefährdung“, „Schädigung“ und „Verwahrlosung“
3. Zahlen und Fakten der Berliner Heimerziehung
3.1 Vorbetrachtungen
3.2 Übersicht Heimplätze in Berlin
3.3 Heimeinrichtungen (bis 1970): Trägerschaft und Heimplätze
3.4 Entweichen aus den Heimen
3.5 Heimunterbringung
3.5.1 Herkunft bei Heimunterbringung
3.5.2 Vermittlung in und Gründe für die Heimunterbringung
3.6 Aktenführung und Heimberichte
3.7 Hohe Fluktuation der Kinder und Jugendlichen sowie der Erzieher
3.8 Heimdifferenzierung
3.9 Qualifikation des Heimpersonals
4. Berliner Heimsituation – drei exemplarische Betrachtungen
4.1 Der Jugendhof
4.2 Das Hauptpflegeheim
4.3 Der Eichenhof
5. Zusammenfassung – Teil I
6. Literatur – Teil I
7. Anhang – Teil I
II. Inhaltsverzeichnis (II. Teil):Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung der 1950 – 1990er Jahre in Berlin-Ost
1. Rahmenbedingungen der Heimerziehung in der SBZ und der DDR
2. Gesetzliche Grundlagen im Einzelnen
2.1 Institutionelle Bedingungen der Heimerziehung
2.2 Organe der Jugendhilfe
2.3 Heimordnung
2.4 Heimerziehung und Heimdifferenzierung
2.5 Jugendhilfeausschussentscheidungen zur Überwindung einer Gefährdung
Exkurs: Pädagogische Elemente und Prinzipien im Konzept der DDR-Heimerziehung
3. Zahlen und Fakten der Heimerziehung in der DDR
3.1 Angaben der Heimplätze in der DDR
3.2 Personal in der Jugendhilfe und Heimerziehung
3.2.1 Qualifikation des hauptberuflichen Personals
3.2.2 Hohe personelle Fluktuationsrate
3.3 Einwirken von gesellschaftlichen Gruppen auf das Heimleben
4. Hinweis zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR
4.1 Untersuchung der Heimerziehung in den neuen Bundesländern nach der Wende
4.1.1 Aufenthaltsdauer der Kinder und Jugendlichen in Heimen
4.1.2 Herkunft der Kinder und Jugendlichen in den Heimen
4.2 DDR-Heimerziehung und Nachwendeerfahrungen im Vergleich
4.3 Jugendliche in den DDR Heimen – eine Befragung
5. Zusammenfassung – Teil II
6. Literatur – Teil II
7. Anhang – Teil II
III. Abbildungsverzeichnis (Teil I und II)
Abbildung 1Anzahl der Kinder-, Erziehungs- und Sonderheime sowie Lehrlings-Wohnheime in Berlin
Abbildung 2Anzahl der Plätze in Kinder, Erziehungs- und Sonderheimen
Abbildung 3Gesamtzahl der Unterbringungen aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Unterbringungsform
Abbildung 4Anzahl der Plätze der Säuglings-, Kinder, Schüler- und Sonderheime in Berlin
Abbildung 5Gesamtzahl der Säuglings-, Kinder, Schüler- und Sonderheime in Berlin aufgeschlüsselt nach Trägerschaft
Abbildung 6Heimunterbringung Berliner Kinder und Jugendlichen in Heimen
Abbildung 7Gesamtanzahl der Plätze in Heimunterbringung in Berlin und Westdeutschland
Abbildung 8Altersdifferenzierung der Kinder und Jugendlichen in Heimen in Anzahl und Prozent
Abbildung 9Verfahrenslogik bei Problemen mit der Kindererziehung
Abbildung 10Staatliche Organe der Jugendhilfe
Abbildung 11Anzahl von JHA- Entscheidungen im Zusammenhang mit Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung (Stichtag: jeweils 31. 12.)
Abbildung 12Alters- und Geschlechtsstrukturen der befragten Jugendlichen
Abbildung 13Ausbildungsstatus der befragten Jugendlichen
IV. Tabellenverzeichnis (Teil I und II)
Tabelle 1Voraussetzung und Ausführung der Heimerziehung
Tabelle 2Feingliederung Organisationsstruktur Jugendhof
Tabelle 3Art der Normalheime und darin untergebrachte Kinder und Jugendliche
Tabelle 4DDR-Verurteilte, Übergabe an gesellschaftliche Gerichte und von „Maßnahmen der strafrechtlichen verantwortlichen“ insgesamt betroffenen Personen im Durchschnitt der Jahre, absolut und je 100.000 strafmündiger Einwohner (relativ)
Tabelle 5Übersicht Heimplätze (Stichtag 31. Mai 1989)
Tabelle 6Soziale Kontakte von Kindern eines Kinderheimes
Tabelle 7Heimstatistik: Übersicht der besuchten Heime
Tabelle 8Veränderungen seit der Wende. Die Sicht der Jugendlichen
Der Rechtsanwalt und Regisseur Norbert Kückelmann schildert in seinem Film „Die letzten Jahre der Kindheit“ (ausgestrahlt am 19. Oktober 1981 im ZDF) die tödlichen Konsequenzen für den 14jährigen Fürsorgezögling Norbert Roggenhofer alias Martin Sonntag in den frühen 1970er Jahren, mit denen sich die Sprache und Logik eines Jugendwohlfahrtsapparates an einzelnen vollstreckt: In einer kleinen Wohnung lebt Martin mit seinen vier Geschwistern und seiner Mutter. Da die Mutter sich nicht um ihn kümmern kann, entzieht er sich der häuslichen Enge. Mit sieben Jahren wird er erstmals aktenkundig. Mit dem neunten Lebensjahr knackt er Automaten, und nach einem Einbruch in eine Baubaracke wird der Mutter die Heimeinweisung nahe gelegt.
Die Reaktionen sozialer Kontrollinstanzen werden durch die Jugendfürsorgerin, Heimleiter, Jugendamtsleiter, Psychologen und Polizei zum Ausdruck gebracht. Die Fürsorgerin will, dass er gegen seine „selbstverschuldete“ Verwahrlosung Sozialnormen einübt. Der Heimleiter diagnostiziert, dass er einen abnormen Wandertrieb hat und eine Gefahr für andere ist. Der Jugendamtsleiter glaubt, dass man ihn vor sich selber schützen muss. Der Psychiater hält ihn für einen gefühlskalten Psychopathen, und ein Polizist glaubt, das einzige Mittel sei, ihn in einen Käfig zu sperren, „wo die Gitterstäbe so dick sind, dass er sich nicht mehr herausbeißen kann!“. Gegen diese Logik des Einfangens und Wegsperrens antwortet er mit ständigem Weglaufen. Was oft in den Dialogen der „Amtspersonen“ als vollendete Tatsache erscheint, auf die hin der Junge zurechtgezimmert wird, damit er ins amtsübliche Vorurteilsschema passt, löst Norbert Kückelmann in Szenen auf, in denen der Junge durch das Gefühl der Freundschaft zu einem Therapeuten auf die Erfahrung von Hoffnungen stößt, die jedoch für ihn immer wieder zerstört werden. Der Therapeut wird vom Heimleiter entlassen, da das System öffentlicher Erziehung kein Investieren von Gefühlen zulässt. Insofern zeigt der Film nicht nur die durch den öffentlichen Zugriff erfolgende innere Zerstörung des Jungen als exemplarischen Fall, sondern er lässt den Zuschauer auch etwas von der Subjektivität des Jungen empfinden, von seinen Versuchen, sich zu wehren, seinen Fluchtutopien und der verlorenen Zuneigung zum Therapeuten und seines Freundes Django. Eingeholt immer wieder von der Fürsorge, schlägt er mit 14 Jahren nicht mehr um sich, sondern nur noch gegen sich: bei Strafmündigkeit in Haft genommen, erhängt er sich.
Gegen die Logik der institutionellen Sachzwänge setzt der Regisseur die Logik der Gefühle dieses Jungen, das heißt, er kann verstehbar machen, was sich für die Außenstehenden als „unverständlich“, als „anormales“ Verhalten darstellt. Die Erkenntnisse, die den Rechtsanwalt zu der Verfilmung der Sozialbiographie von Norbert Roggenhofer geführt haben, schildert er in einem Interview mit der Fachzeitschrift „päd. extra“ (1/1980, S. 62 f.):
„Ich fand den Fall zunächst nicht gut, weil ich dachte, es sei ein atypischer Fall. Er schien mir zu spektakulär. Die Zeitungen hatten es groß aufgemacht: ‚Ein Kind bringt sich um’. Die Sensation hielt mich ab. – Je mehr ich mich aber damit auseinandersetzte, umso mehr merkte ich, daß der Fall Roggenhofer doch kein atypischer Fall war, sondern ein typischer. Diese Fälle von Kindern, von 14-/15jährigen, die plötzlich mit der brutalen Situation einer Haft konfrontiert sind, isoliert, eingesperrt werden, in tiefe Depressionen fallen, tiefe Einsamkeit, Angst, Verzweiflung durchleben, sind der Endpunkt einer Auseinandersetzung und Kluft zwischen Desparado – oder dissozialen Kindern, die man nicht nennt, die nach der Normenklatur früh kriminell sein könnten oder sind, um den Fürsorge-, Justiz- und Polizei-Apparat. Diese Kluft vergrößert sich ständig bis (…) (zur) absoluten Verständigungslosigkeit. – Deshalb hieß auch der Arbeitstitel zu diesem Film ‚Der kalte Bereich’. Damit ist angesprochen, was Psychologen das Weglaufen in den Tod nennen und was sich durch das viele Weglaufen anbahnt. Das geht stufenweise. Zunächst hat man noch ein glaubhaftes Ziel, dann ein visionäres Ziel und schließlich ist gar keines mehr da, mit der Konsequenz Suizid als letztem Ziel. Auf der anderen Seite steht der Begriff auch für den Bereich, vor dem solche Jugendlichen oder Kinder weglaufen, den Apparat, den kalten Bereich des Behördenapparates, der die Zuwendung, die die Jugendlichen bräuchten, nicht geben kann. Ich merkte, daß dies typisch ist, daß der Selbstmord des Norbert Roggenhofer eben keine Panik war, kein Ausflippen, sondern Ausdruck der Bewusstlosigkeit des Apparates. Während der Junge intelligenter gehandelt hat und konsequenter, mit einer bewußten und klaren Konsequenz, handelt der Apparat mit einer unbewußten und hilflosen Konsequenz“.
„Über die Einweisung ins Heim entscheidet das Jugendamt. Hier werden unsere Akten, unser Fall, verwaltet; über unseren Kopf hinweg werden Entscheidungen getroffen, gegen die wir uns meistens nicht wehren können. Deswegen sehen wir das Jugendamt als eine Behörde an, die uns zu Menschen zweiter Klasse abstempeln und uns zu hilflosen Objekten der Verwaltungsbürokratie macht“ (wiedergegeben bei Rabatsch 1977, S. 109).
Der unfreiwillige Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen in Heimen spielt in zahlreichen autobiographischen Berichten und Quellen eine wichtige Rolle. In jedem Beitrag dieser Art wird die Anstaltserziehung nicht als eine Hilfe für das Kind oder den Jugendlichen gesehen, sondern stets als eine Maßnahme, die völlig anderen Interessen dient als denen der so genannten „Gefährdeten“, „Geschädigten“ und „Verwahrlosten“ oder „Verhaltensgestörten“ (vgl. u.a. Werner 1969; Gothe/Kippe 1970, 1975; Brosch 1971, S. 10 ff.; Colla 1973; Aich 1973; Kückelmann 1981, 1980 a/b; Homes 1981, 1984, 1996; Kahl 1982; Wensierski 2006; Graeber 2006; Grumbach 2010; auch Heimberichte: u.a. Roth 1973; Rabatsch 1978, 155 ff.; Homes/Rabatsch 1984, S. 216 ff.; Kuhlmann 2008; Kappeler 2011, S. 77 ff.). Sie sind authentische Belege für ein unzureichendes Heimerziehungssystem, in dem nach Hilfe gerufen wird, welche in der allgemeinen Öffentlichkeit mehr noch in der Fachöffentlichkeit hätte Aufmerksamkeit erhalten müssen, aber anscheinend nicht zur Kenntnis genommen werden sollte. Oder anders ausgedrückt:
„Dort, wo an den Aussagen Ehemaliger nicht vorbeizukommen ist, werden diese durchgängig als unglaubwürdig infrage gestellt und in bestimmten Wendungen sogar diskriminiert“, als „bedauerlichen Einzelfall“ dargestellt (Kappeler 2010, S. 135).
Dass dies keine „bedauerlichen Einzelfälle“ sind, davon zeugen Berichte in historischen Zeitabschnitten.
So kommt heute unter der Überschrift „Leid und Unrecht“ 40 Jahre nach der letzten „Heimkampagne“ der „Runde Tisch Heimerziehung“ (RTH) in seinem Abschlussbericht (2010) zur Bewertung der Missstände in der Heimerziehung der 1950er und 1960er Jahre zu dem Ergebnis:
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