Zweiland - Sandra Busch - E-Book

Zweiland E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Vom Tellerwäscher zum Assistenten eines Milliardärs ... Als Lyle den Job bei Deacon Snyder annimmt, ahnt er nicht, dass er sich damit auf die Abschussliste der geldgierigen Tante seines Arbeitgebers setzt. Plötzlich findet er sich zusammen mit Deacon auf einer einsamen Insel wieder - ausgesetzt. Es beginnt ein Kampf ums Überleben. Gay Romance

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Sandra Busch

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2014

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

Bildrechte:

© determined – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-944737-75-1 (print)

$$ Kapitel 1 $$

Heute sind wir alle voneinander abhängig, niemand kann sich mehr in seine persönliche Festung zurückziehen, ein Inseldasein pflegen.

(Dalai Lama)

Lyle zupfte an der dunkelblauen Uniform herum, in der er sich ein bisschen eingeengt fühlte. Vielleicht gewöhnte er sich irgendwann daran, denn er trug sie noch nicht lange. Besonders der steife Stehkragen störte. Mit der Uniform beschäftigt, wurde er erst auf die neuen Gäste aufmerksam, als Mr. Connelly wie eine Glühbirne zu strahlen begann. Der Concierge rückte seine eckige schwarze Brille zurecht und stürzte regelrecht hinter der Rezeption hervor, um überschwänglich einen jungen Mann und eine Blondine zu begrüßen, die von zwei Kerlen begleitet wurden. Von der Optik her konnten sie nichts anderes als Bodyguards sein.

„Mr. Snyder, Mrs. Patterson, willkommen im Sun. Ich freue mich, Sie hier wieder begrüßen zu dürfen. Die Fürsten- und die Imperial-Suite stehen für Sie bereit.“

Das also war der angekündigte Geldsack Deacon Snyder. Lyle hatte aus irgendeinem Grund geglaubt, der Milliardär wäre um die Fünfzig. Doch der Mann in dem maßgeschneiderten schwarzen Anzug und mit dem hellbraunen Haar konnte nur wenig älter als er selbst sein und Lyle war gerade mal zweiundzwanzig. Vom Getratsche der Reinigungskräfte wusste er, dass Mr. Snyder von seiner Tante begleitet wurde. Genau wie der Milliardär war auch die Tante in seiner Vorstellung deutlich betagter gewesen. Die heranstolzierende Blondine mochte dagegen um die Vierzig sein, obwohl sie sich Mühe gab, jünger zu wirken. Ihr Name war Hailey Patterson. Sie trug einen grellroten Lippenstift, passend zu der Farbe ihrer viel zu langen künstlichen Krallen. Außerdem stöckelte sie auf Absätzen daher, die als lebensgefährlich eingestuft werden mussten. Sie und dieser Snyder lebten nach dem tragischen Absturz des Privatjets und dem damit verbundenen Tod seiner Eltern zusammen. Die beiden glatzköpfigen Bodyguards steckten in braunen Anzügen, die bei jeder Bewegung an den breiten Schultern spannten. Sie waren Gestalt gewordene Klischees ihrer Branche.

„Bagagist! Das Gepäck der Herrschaften.“

Bagagist? Oh ja, damit war er gemeint. Lyle setzte sich rasch in Bewegung und schnappte sich einen Kofferwagen, mit dem er zu der Limousine der vornehmen Gäste eilte. Vom Tellerwäscher eines kleinen Diners war er zum Bagagisten des Nobelhotels Sun in Philadelphia aufgestiegen. Das hatte er der alten Mrs. Irving zu verdanken, die seit mehr als dreißig Jahren Stammgast im Sun war. Ihr Afghane war ihr davongelaufen und er hatte der netten Dame den Hund zurückbringen können, bevor das Tier Opfer eines Taxis werden konnte. Zum Dank setzte sich Mrs. Irving dafür ein, dass er in dem Hotel einen Job bekam. Allein mit den Trinkgeldern verdiente er nun mehr, als zuvor als Tellerwäscher.

Mit den Koffern fuhr er im Lastenaufzug zu den Suiten hinauf. Mrs. Patterson war in ihren Räumen nicht zu entdecken. Lediglich die beiden Gorillas standen dort herum und starrten ihn finster an. Komisch. Sollten die nicht eher den Milliardär bewachen? Lyle stellte die Koffer der Lady ab. Hier ging er leer aus. Das war nichts Neues. Je reicher die vornehmen Schnösel desto geiziger waren sie meistens auch. Eine Lektion, die er gleich als Erstes gelernt hatte.

Lyle betrat die Fürstensuite, die elegant in Blau und Silber gehalten war. Deacon Snyder hatte sein Sakko abgeworfen und die Ärmel seines türkisfarbenen Hemdes aufgerollt. Das Hemd selbst war aufgeknöpft und gab den Blick auf mehrere Anhänger frei, die an einem Lederband hingen und nicht so recht zu einem Milliardär passen wollten. Ein silberner Engelsflügel, ein Kreuz und zwei Ringe, von denen einer mit einem funkelnden Stein besetzt war. Das war eine merkwürdige Zusammensetzung, wie Lyle fand. Deacon bemerkte von seiner Musterung nichts. Er saß auf einem nachtblauen Sofa, hatte sich aus der Obstschale einen grünen Apfel ausgesucht, der furchtbar sauer aussah, und war damit beschäftigt, ihn mit einem Tuch auf Hochglanz zu polieren.

„Wo darf ich Ihre Koffer abstellen, Sir?“, fragte er.

„Am besten neben das Bett.“

„Gerne, Sir.“ Lyle schleppte die mit Wackersteinen gefüllten Koffer in das angrenzende Schlafzimmer. Himmel! Waren die Dinger schwer.

„Bist du neu im Sun?“ Deacon war ihm gefolgt und versperrte ihm jetzt den Weg hinaus, denn er stand mitten im Türrahmen.

„Ich arbeite seit zwei Wochen im Sun, Sir.“

„Und? Gefällt es dir?“

„Ich habe keinen Grund zur Klage.“

Hallo! Trinkgeld, bitte sehr, und dann lass mich gehen. Doch offenbar war Deacon noch nicht mit ihm fertig.

„Wie heißt du?“

„Cox, Mr. Snyder, Lyle Cox.“ Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. Mr. Connelly würde bestimmt schon auf ihn warten.

„Ich hätte gerne eine Packung Kaugummi, Lyle. Pfefferminz, egal welche Sorte.“

„Gerne, Sir. Ich werde dem Service sofort Bescheid geben.“

Deacon schüttelte den Kopf. „Nein, du hast das falsch verstanden. Ich möchte, dass du sie mir bringst.“

Lyle nickte stumm. Er hatte keine Ahnung, was das sollte, aber eines war ihm gleich am ersten Tag eingebläut worden: Der Gast war König. Endlich trat der reiche Kerl einen Schritt zur Seite, sodass er sich an ihm vorbeidrängen konnte und in den Genuss von Körperkontakt kam.

„Hoppla“, murmelte Deacon, während Lyle wie gefangen von dessen Aftershave war. Holzig und warm … Gerne hätte er für einen kurzen Moment seine Nase in den fremden Hemdkragen gedrückt und geschnuppert. Stattdessen brachte er eine Entschuldigung hervor und rannte nahezu hinaus, um den Kaugummi zu besorgen.

Mit einem kleinen Lächeln schaute Deacon dem Bagagisten hinterher.

Heiß, fuhr es ihm durch den Kopf und aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen, das allmählich in ein Seufzen überging. Er schlenderte zum Balkon und lehnte sich im warmen Sonnenschein an das Geländer. Herzhaft biss er in den Apfel. Auch wenn Tante Hailey ständig hinter ihm her scharwenzelte und er Umgang mit netten Leuten in seinem Polo-Club hatte, war er tatsächlich einsam. Wirkliche Freunde hatte er keine, lediglich Bekannte, Geschäftspartner und Schickimickis aus der oberen Gesellschaftsschicht. Die meisten waren oberflächlich, die anderen hatten bloß Geld im Kopf. Die Übrigen waren oberflächlich und dachten nur ans Geld. Ihm fehlte ein richtiger Freund, mit dem er lachen und rumalbern konnte. Genau wie damals in dem Privatinternat mit Tyler. Mit ihm hatte er sogar seine ersten sexuellen Erfahrungen gesammelt. Heute war Tyler verheiratet und hatte ein kleines Mädchen adoptiert. Wenn er nicht in dem Bankimperium seines Vaters arbeitete, rollte er mit seinem afroamerikanischen Liebhaber durch die Betten. Deacon seufzte erneut. Bald war er vierundzwanzig. Dann konnte er selbst über seine Konten verfügen und wäre Tante Hailey als Vormund los. Er würde frei sein und anfangen, sein Leben zu genießen.

„Mr. Snyder?“

Ah, Lyle war zurück. Eine schöne warme, dunkle Stimme hatte er. Wie der wohl ihm Bett klang?

Reiß dich zusammen, Deacon, befahl er sich.

„Auf dem Balkon“, rief er. Gleich darauf stand Lyle vor ihm, das Gesicht leicht erhitzt.

„Ihr Kaugummi, Sir.“

Deacon nahm das Päckchen entgegen und legte es achtlos auf das Geländer. Er war mehr an Lyles blaugrauen Augen interessiert.

„Bist du verheiratet, Lyle?“

„Nein, Sir.“

„In festen Händen?“

Der Bagagist zögerte kaum merklich. „Ich denke nicht. Nein, Sir.“

„Das klingt, als würde es kriseln.“

„So könnte man es ausdrücken“, murmelte Lyle und studierte die Spitzen seiner auf Hochglanz polierten Schuhe.

„Woran liegt es?“ Deacon war nun richtig neugierig.

„Er interessiert sich mehr für andere, als für mich.“

Deacon stockte der Atem. Lyle hatte er gesagt, es schien ihm gar nicht bewusst zu sein. Der heiße Feger war schwul!

„Entschuldigen Sie, Sir. Wenn Sie mich nicht mehr brauchen …“

Deacon zog einen Schein aus der Tasche. Verflixt, es war lediglich eine Ein-Dollar-Note, wie er feststellte, als er den Schein in die Hand des Bagagisten drückte. Zu seiner Überraschung legte Lyle den Dollar auf den Teakholztisch, der auf dem Balkon stand.

„Tut mir leid, Sir, den kann ich Ihnen nicht wechseln.“ Sprach’s und verschwand. Deacon begann zu lachen. Wunderbar, der Süße hatte Schneid.

$$$$

„Lyle!“

„Mr. Connelly?“

„Schicken Sie einen Boten zu sich nach Hause und lassen Sie sich Garderobe für alle möglichen anfallenden Gelegenheiten bringen. Mr. Snyder hat soeben angerufen und verlangt Ihre uneingeschränkten Dienste während seines Aufenthalts hier.“

„Was?“ Lyle erstarrte.

„Wie bitte“, verbesserte Mr. Connelly pikiert.

„Aber Mr. Connelly, ich bin bloß Bagagist …“

„Das habe ich Mr. Snyder ebenfalls erklärt, trotzdem besteht er darauf. Und der Gast …“

„… ist König“, beendete Lyle seufzend den Satz. Das würde ihn zumindest davon entbinden, täglich mit den fünf schrecklichen Nuttenpinschern von Mrs. Finch Gassi gehen zu müssen.

„Ist da etwas zwischen Ihnen und Mr. Snyder vorgefallen? Gab es einen Anlass, dass er Sie anfordert?“

„Nein. Er ist nur neugierig und löchert mich ständig mit irgendwelchen Fragen.“

Überraschend lächelte ihn der Concierge an. „Ich denke, er freut sich über ein wenig gleichaltrige Gesellschaft. Es ist bestimmt ziemlich anstrengend, den ganzen Tag mit dieser exzentrischen Lady zu verbringen.“

Lyle bekam beinahe den Mund nicht mehr zu. Mr. Connelly konnte ja richtig Mensch sein und nicht bloß das Argus-Auge des Hotels, das Portiers, Grooms, Liftiers, Voituriers und Bagagisten überwachte und die Marotten sämtlicher Gäste kannte.

„Die Dame ist zweifache Witwe und hat jedes Mal reich geerbt. Man munkelt, dass sie im Rotlichtbezirk von New York an der Stange getanzt hat. Stellen Sie sich das vor.“ Offenbar ging Mr. Connelly soeben auf, was für Gerüchte er da weitertratschte, denn er räusperte sich und fuhr verlegen über seine Halbglatze. „Seien Sie höflich, diskret und stets die Gelassenheit in Person, verstehen Sie? Und falls es Schwierigkeiten geben sollte, kommen Sie damit zu mir. – Ah, Mrs. und Mr. Waterbiggs, ich habe zwei fantastische Theaterkarten für Sie …“ Der Concierge ging routiniert zu seiner Arbeit über und Lyle beauftragte einen der anderen Bagagisten, seine Klamotten zu holen. Toll fand er das nicht gerade, Fremde in seiner Wäsche herumwühlen zu lassen, leider war er ab sofort wegen des werten Mr. Snyder im Hotel unabkömmlich. Sobald der Milliardär pfiff, würde er rennen dürfen. Lyle seufzte. Und das alles für einen Dollar Trinkgeld. Er wäre der Brüller der Woche, wenn die anderen Kollegen davon erfuhren.

„Lyle? Mr. Snyder für Sie!“

Die nächsten Stunden war Lyle tatsächlich am Rennen. Er sollte Schuhe putzen, einen Anzug zum Aufbügeln bringen, Zeitung und ein gekochtes Ei holen. Ein gekochtes Ei? Egal. Er dachte über die zahlreichen Wünsche des Milliardärs nicht weiter nach. Deacon befand sich allein in seiner Suite, weil sich die beiden Bodyguards ausschließlich bei Mrs. Patterson aufhielten. Lyle raffte seinen ganzen Mut zusammen und erkundigte sich bei Deacon danach.

„Möchtest du diese beiden Schränke dauernd im Nacken haben?“, fragte der zurück. „Ich jedenfalls nicht. Allerdings besteht Tante Hailey auf diese Gorillas. Sie ist selbst nicht arm und will verhindern, dass sie entführt wird.“ Deacon zwinkerte ihm zu. „Glaube mir, wenn die Kidnapper auch nur einen Tag mit ihr verbracht haben, werden die dafür bezahlen, um sie wieder loszuwerden.“

Lyle musste lachen.

„Oh, gibt es einen speziellen Grund für einen derartigen Heiterkeitsausbruch?“ Mrs. Patterson stand plötzlich in der Fürstensuite, gekleidet in einer goldenen Seidenbluse und einem schwarzen Spitzenrock, der weit über dem Knie endete, als wäre dem Designer der Stoff ausgegangen.

„Tante Hailey, ich habe dich bereits tausendmal gebeten anzuklopfen.“

„Und du sollst mich nicht ständig Tante nennen. Das macht alt.“ Und mit dem Alter schien Mrs. Patterson ein Problem zu haben. An ihre Nase und den Brüsten hatten definitiv Ärzte herumgewerkelt, die Haare waren blondiert und dem unbeweglichen Gesicht nach machte sie selbst vor Botox nicht halt.

„Hast du dir die Unterlagen für morgen angesehen?“, wollte sie wissen.

„Ich bin dabei. Wir sollten das Angebot für die Weinberge annehmen. Die Kunden wollen zurück zu Produkten aus traditioneller Handarbeit. Daher habe ich ein gutes Gefühl bei der Sache“, antwortete Deacon. Mrs. Patterson tätschelte ihm wie einem kleinen Jungen die Wange.

„Ein Gespür hast du … Ganz wie dein Vater, Deacon, mein Lieber. Aber eigentlich bin ich hier, weil der Scotch in meiner Hausbar alle ist. Kannst du mir aushelfen?“

„Ich sorge dafür, dass sofort nachgefüllt wird, Mrs. Patterson“, versprach Lyle und setzte sich in Bewegung.

„Tun Sie das.“

Er spürte die kalten Blicke der blonden Witwe in seinem Rücken, die ihm regelrecht Löcher in die Haut brannten.

„Mit dieser Frau wird es garantiert noch Ärger geben“, murmelte Lyle.

Deacon rief ihn erst am späten Abend wieder. Lyle hatte gerade das winzige Loch im Keller des Hotels aufsuchen wollen, das eine der Behelfsunterkünfte für die Angestellten darstellen sollte. Schnell schlüpfte er in die Jacke seiner Bagagistenuniform und rannte durch das Treppenhaus für das Personal zur Fürstensuite hinauf. Deacon erwartete ihn in den flauschigen Bademantel des Hotels gekleidet und mit einem grimmigen Gesicht. Seine Laune schien in den letzten Stunden mächtig gesunken zu sein.

„Was kann ich für Sie tun, Sir?“ Lyle setzte ein Lächeln auf, von dem er hoffte, dass es gelassen wirkte. Außerdem musste er sich zwingen, nicht auf die behaarten Beine des Milliardärs zu starren. Muskulöse Beine mit ausgeprägten Waden.

„Mein Gesicht ist weiter oben, Lyle.“

„Entschuldigen Sie, Sir.“ Hitze flammte in Lyles Wangen auf.

„Bestell Mr. Roalstad aus der Agentur Secrets zu mir.“

Damit war Lyle entlassen. Verärgert stiefelte er zu Mr. Connelly an der Rezeption hinunter. Dafür hatte er die ganzen Treppen hinauf hecheln müssen? Hätte dieser reiche Trottel nicht direkt den Concierge anrufen können, um bei Secrets … Moment mal! Mitten auf der Treppe blieb Lyle stehen. Sein Mund klappte auf und er hörte sich selbst tief Atem holen. In seinem Freundeskreis hatten sie vor einem Jahr ihre Barschaft zusammengeschmissen, um dem schüchternen Teddy für drei Stunden einen Luxus-Callboy zu ordern. Lyle war sich sicher, dass der zur Agentur Secrets gehört hatte. Er schaute die Treppe hinauf, als würde er am oberen Absatz Deacon entdecken können. War der Milliardär ebenfalls schwul? Ethan, fiel es Lyle ein und er stöhnte auf. Er hatte Deacon von seinem Fast-nicht-mehr-Freund erzählt, völlig gedankenlos, wie es ihm hinterher aufgegangen war. Damit hatte er quasi eingestanden, homosexuell zu sein. War die Bitte, einen Callboy kommen zu lassen, bewusst über einen Umweg erfolgt, damit er, Lyle, erfuhr, dass Deacon schwul war? Hoffentlich wurden die Aufträge des Herrn Milliardär nicht noch spezieller. Lyle lief weiter und versuchte sich vorzustellen, wie er reagieren würde, sollte ihm Mr. Snyder Geld für horizontale Gästebetreuung anbieten. Bisher hatte er nie darüber nachgedacht, ob es für ihn ab einer gewissen Summe keine Hemmschwelle mehr geben würde. Warum auch? Schmutzige Teller machten einem keine unseriösen Angebote.

„Was grüble ich hier eigentlich?“, knurrte er und steuerte auf die Rezeption zu. „Mr. Snyder wünscht einen Mr. Roalstad von Secrets auf sein Zimmer“, sagte er zu Mr. Connelly. Der zog eine Braue in die Höhe, griff allerdings sofort zum Telefon, um gleich darauf einen Termin zu vereinbaren. In der nächsten Sekunde informierte er den Milliardär über den Hausanschluss, dass Mr. Roalstad pünktlich um zehn erscheinen würde.

„Kein Wort zu irgendjemandem“, wurde Lyle gleich darauf gewarnt, nachdem der Concierge den Hörer auflegte. „Mr. Snyder ist Stammkunde im Secrets und der angeforderte Herr kennt sich aus. Das fällt unter die oberste Diskretion, verstanden?“

„Selbstverständlich, Mr. Connelly.“

„Ich denke, dann können Sie schlafen gehen. Gute Nacht, Lyle.“

„Gute Nacht.“

Schlafen? Jetzt? Zumindest diesen Mr. Roalstad wollte Lyle unter die Lupe nehmen.

Knapp eineinhalb Stunden später lag Lyle auf dem schmalen Klappbett in seiner engen Kammer und starrte in die Dunkelheit hinauf. Seine Neugier, was den Callboy betraf, war gestillt. Blond, gebräunt, großgewachsen, fitnessgestählt und derartig gepflegt, als würde er den ganzen Tag im Schönheitssalon verbringen, war der Kerl gewesen. Nicht einfach nur schlank und mit dunkelbraunen Haaren beschenkt, wie er es war.

Was die beiden im Momentwohl treiben? Unruhig drehte er sich um und umklammerte sein Kissen.

„Na, was schon“, brummte er in den weißen Bezug, der angenehm nach Weichspüler roch. „Dieser stinkreiche Typ kann sich eben mit Geld alles kaufen.“ Trotzdem schien Deacon nicht sonderlich fröhlich zu sein. Er lachte durchaus, aber Lyle hatte bemerkt, dass das Lachen nicht bei seinen Augen ankam. Die blickten immer ein wenig verloren.

$$$$

Noch nicht ganz wach griff Deacon blindlings nach dem Telefon, das sich auf dem Schränkchen neben seinem Bett befand.

„Fürstensuite“, murmelte er nach dem fröhlichen Morgengruß in seinem Ohr. „Lyle soll mir mein Frühstück bringen. Ja, wie üblich.“ Er legte auf und zog die Decke über den Kopf. Was für eine Nacht! Die Nummer mit dem Callboy war bereits nach zwanzig Minuten erledigt gewesen. Deacon hatte dabei feststellen müssen, dass ihn der Kerl zu langweilen begann, dabei hatte Roalstad ihn eigentlich auf andere Gedanken bringen sollen. Wie ein dressierter Pudel tat er, was Deacon wollte, nichts wurde hinterfragt und Eigeninitiative war ebenfalls fehl am Platz. Das künstliche Dauergrinsen ging ihm besonders auf die Nerven.

„Du willst eine Beziehung und keinen bezahlten Sex“, grummelte er in einem Anflug von Selbsterkenntnis ins Laken. Mit Hailey im Nacken ein Ding der Unmöglichkeit.

Nachdem Mr. Sonnenschein gegangen war – sichtlich beleidigt, weil Deacon ihn nicht wie sonst bis zum Morgen hatte bleiben lassen –, hatte er die ganze Zeit über an Lyle denken müssen. Der Bagagist schien nicht auf den Mund gefallen zu sein, wie seine Erwiderung auf das magere Trinkgeld bewiesen hatte. Das gefiel Deacon. Der Süße traute sich etwas. Die meisten Menschen glaubten, dass sich die reiche Bevölkerung Unverschämtheiten erlauben konnte, und nahmen lächelnd und katzbuckelnd Unarten und Demütigungen hin, die sie bei einem Gleichgestellten mit einem ordentlichen Fausthieb beantwortet hätten.

Es klopfte.

„Ist offen“, murmelte Deacon.

Es klopfte erneut.

„OFFEN!“ Matt ließ er sich nach dem Schrei zurück auf die Matratze fallen. Nebenan wurde ein Servierwagen in die Suite geschoben.

„Guten Morgen, Mr. Snyder. Wo wünschen Sie Ihr Frühstück einzunehmen?“

Deacon drehte sich zu der Stimme um. Lyle wirkte etwas übernächtigt und war sich offenbar nicht bewusst, dass er seinen Nacken knetete.

„Schmerzen?“

Sofort stellte Lyle das Kneten ein. „Besondere Umstände zwangen mich, die Nacht auf einer unbequemen Liege zu verbringen, Sir. Ich bin lediglich ein wenig steif.“

Hörte er da einen Vorwurf heraus? Beinahe hätte Deacon gegrinst.

„Das Frühstück, Sir?“

„Ich esse im Bett.“ Er richtete sich auf und stopfte sich ein Kissen in den Rücken, während Lyle den Servierwagen heranschob, das Tablett davon abhob und auf Deacons Schoß platzierte.

„Wenn es recht ist, hole ich den Wagen in einer Stunde ab?“

„In einer halben Stunde. Hast du etwas Lässiges zum Anziehen hier? Ich würde ganz gerne mit dir durch die Stadt schlendern.“

„Oh!“

„Ist das ein Problem?“ Deacon öffnete seinen Joghurtbecher und schaute Lyle fragend an.

„Ich werde mich bei Mr. Connelly erkundigen müssen, Sir. Vielleicht könnte er Ihnen einen Fremdenführer …“

„Fremdenführer? Ich wohne in Philly.“ Deacon lachte. „Wir quartieren uns im Sun nur ein, wenn wir Geschäftsleute treffen und nehmen dann den Tagungsraum in Anspruch. Der Spaß steht mir heute Nachmittag bevor. Vorher habe ich Zeit. Also?“

„Wie gesagt, ich muss Mr. Connelly um Erlaubnis bitten.“

„Besonders begeistert klingst du nicht.“

„Ich werde für Bagagistendienste bezahlt, Sir. Als Begleitperson habe ich wenig Erfahrung.“

War das eine Spitze auf den Callboy? Deacon schmunzelte und löffelte den Joghurt aus. Lyle wandte sich zum Gehen, da fiel Deacon etwas ein.

„Warte!“ Aus der Schublade des Schränkchens neben dem Bett holte er einen Hundert-Dollar-Schein hervor und hielt ihn Lyle entgegen.

„Ist der von dem Besuch des Mr. Roalstad übrig geblieben? Bedaure, Sir, diesen Schein kann ich Ihnen auch nicht wechseln.“

Fassungslos starrte Deacon dem Bagagisten hinterher.

Verdammt! Er war frech gewesen. Richtig frech! Damit konnte er sich von seinem Job verabschieden. Lyle lehnte sich im Personaltreppenhaus gegen die Wand und schloss seufzend die Lider. Er hatte bloß Koffer schleppen und ansonsten unsichtbar sein wollen. Keineswegs hatte er darum gebettelt, zum persönlichen Lakaien eines Milliardärs befördert zu werden. Ob das Diner ihn wieder einstellen würde?

Er kam gerade rechtzeitig bei Mr. Connelly an, um einem Kollegen behilflich zu sein, die Koffer einer fünfköpfigen Familie auf die Zimmer zu bringen. Sie erhielten jeder zwanzig Dollar Trinkgeld für ihre Mühen, bedankten sich höflich und flitzten zurück.

„Hey, dort! Ist das nicht dein Milliardär?“ Sein Kollege stieß ihn an und deutete auf die Rezeption. Tatsächlich plauderte dort Deacon mit Mr. Connelly. Gekleidet in Jeans, ein schlichtes, graues Hemd und einer Sonnenbrille in seinem Schopf wirkte er wie ein stinknormaler Tourist und nicht wie einer der reichsten Männer dieses Landes.

„Oh nein! Der geht mir echt auf die Nerven.“ Lyle verdrehte die Augen.

„Bei dem regnet es doch förmlich Trinkgelder. Ich würde sofort mit dir tauschen. Was beschwerst du dich denn?“

Darauf wusste Lyle keine Antwort. Er konnte selbst nicht sagen, was ihn an dem Milliardär störte. Wahrscheinlich einfach die Tatsache, dass er über so viel Geld verfügte und sicherlich gar keine Ahnung hatte, wie er es ausgeben sollte. Tja, es war kein Grund um stolz auf sich zu sein, aber Lyle musste zugeben, dass er neidisch auf Deacon Snyder war. Zumindest auf dessen sorgenfreies Leben.

Seine eigene Vergangenheit war alles andere als rosig gewesen. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, da war er gerade zwei Jahre alt. Sein Vater fand einen Job bei der Müllabfuhr in Souderton und zog aus Philadelphia fort. Seine Mutter arbeitete als Kassiererin in einem Supermarkt. Von da an wurden seine Windeln den einen Tag in Souderton und den anderen in Philly gewechselt. Er switchte fünfzehn Mal zwischen zwei verschiedenen Schulen hin und her, weil ihn sich seine Eltern wie einen Ball gegenseitig zuspielten. Das trug weder zu guten Schulnoten bei, noch vermittelte es ihm das Gefühl geliebt zu werden. Sobald es ging, nabelte er sich ab, arbeitete als Pizzabote, Hausmeister, Lagerarbeiter und einiges mehr, zog in eine winzige Bude über einem Tabakladen und fing eines Tages einen flüchtenden Afghanen ein. Und als Dankeschön bekam er einen Mr. Snyder unter die Nase gerieben, der sich jetzt zu ihm umdrehte und strahlend anlächelte. Fuck!

„Lyle!“ Mr. Connelly winkte ihm und er setzte sich automatisch in Bewegung.

„Lyle, ziehen Sie sich bitte etwas Legeres an. Mr. Snyder möchte, dass Sie ihn bei einem Ausflug begleiten.“

„Ich bin gleich zurück, Sir.“ Mit einem Grinsen, das sicherlich genauso gut als Zähnefletschen interpretiert werden konnte, machte sich Lyle auf den Weg in die kleine Kammer, um sich umzuziehen. Würde er diesen Job nicht brauchen, dann hätte er Deacon Snyder deutlich gemacht, dass er zu keinem Escort-Service gehörte.

$$$$

Lyle trottete mit wenig Begeisterung neben ihm her. Deacon fragte ihn mit aufgesetzter Fröhlichkeit nach allem Möglichen aus: Seiner Lieblingsfarbe (blau), Lieblingsessen (Steak), Lieblingsfilm (zuletzt war er vor sechs Jahren im Kino gewesen) und sein Lieblingsbuch (er müsste arbeiten, da käme er nicht zum Lesen, erst später rückte er mit Elfquest raus und war dabei sichtlich verlegen). Wieso es ihm peinlich war, auf Fantasy zu stehen, begriff Deacon nicht.

Irgendwann verfiel auch er ins Schweigen. Es war anstrengend, Lyle jede einzelne Antwort aus der Nase zu ziehen. Von sich aus erzählte der nämlich nichts.

Mittlerweile liefen sie durch eine Parkanlage. Jogger, Hundebesitzer, Mütter mit Kinderwagen und ein Gärtnertrupp kamen ihnen entgegen. Deacon deutete auf eine Bank im Halbschatten, auf der sie sich niederließen.

„Du hast überhaupt keine Lust mit mir zusammen zu sein, richtig?“, fragte er geradewegs heraus.

„Ich bin als Bagagist eingestellt worden, Sir“, wich Lyle ihm aus. Sein Augenmerk war auf ein paar Tauben gerichtet, die eifrig vor sich hin pickten.

„Und ich glaubte dir eine Freude zu machen, indem du Zeit mit mir verbringst, anstatt Koffer schleppen zu müssen.“

„Ich habe vorher Teller gewaschen. Aus meiner Sicht habe ich mich bereits verbessert. Warum suchen Sie nicht die Gesellschaft Ihrer reichen Freunde?“

Deacon grinste. So gefiel ihm Lyle deutlich besser. Unverblümt und direkt.

„Ich habe keine Freunde, Lyle“, gestand er schließlich. Die blaugrauen Iriden seines Begleiters richteten sich erstaunt auf ihn.

„Es gibt Leute, die meine Nähe suchen, um sich in meinem Reichtum zu sonnen und darauf zu hoffen, dass ein Bröckchen für sie abfällt. Weiterhin gibt es welche, die versuchen, mich bei allem Tun auszustechen. Einfach um dem reichen Arsch zu zeigen, dass sie mit weniger Kohle besser sind. Und zum Schluss gibt es die, die ihr Vermögen bloß genießen wollen und sich ausnahmslos in den Kreisen der High Society bewegen. Da ich dazugehöre, geben sie sich zwangsläufig mit mir ab.“ Deacon lehnte sich zurück und streckte die Füße aus. „Jedes Mal, wenn ich jemanden treffe, der mich interessiert, muss ich mich fragen, ob er mich oder mein Geld mag. Das verhindert Freundschaften.“

„Sie wollen mir also erzählen, dass Sie einsam sind?“

„Derartig einsam, dass ich mich aus der Suite davonstehlen muss, damit Tante Hailey nicht hinter mir herläuft.“ Deacon lachte bitter. Lyle schüttelte den Kopf.

„Ich begreife das nicht“, murmelte er.

„Was?“ Neugierig beugte sich Deacon vor und schaute ihm ins Gesicht.

„Wenn Sie Ihre Tante nicht leiden können, warum geben Sie sich dann mit ihr ab?“

„Damit sind wir wieder beim Thema Geld. Sie ist mein Vormund.“ Er kam in den Genuss, Lyle mit offenem Mund zu erleben.

„Ich will nicht unverschämt sein, nur wirkt sie nicht gerade wie jemand, der sich mit Geldanlagen und Ähnlichem auskennt.“

Deacon nickte zustimmend. „Das tut sie auch nicht. Tante Hailey hat zwei Ehemänner verschlissen und lässt ihr Vermögen von einem eigens dafür angeheuerten Berater verwalten. Die Entscheidungen für meine Geschäfte treffe ich. Ich bin quasi damit aufgewachsen und habe meinen Vater oft zu Meetings begleitet. Du ahnst gar nicht, was man alles allein durch zuhören und beobachten lernt. Es macht mir Spaß, trotzdem ärgert es mich, dass ich die Umsetzung meiner Ideen von Tante Hailey absegnen lassen muss. Und zwar bis genau zu meinem vierundzwanzigsten Geburtstag.“

„Ausgerechnet der vierundzwanzigste?“

„In dem Alter hat mein Vater seine erste Million gemacht. Für ihn war das ein historisches Datum.“

Lyle scharrte ein wenig mit den Füßen. „Sie vermissen Ihre Eltern“, stellte er fest und Deacon nickte wehmütig.

„Sie hatten einen kleinen Privatjet und waren gerade auf dem Weg nach Hause, als die Technik ausfiel. Mein Vater war ein guter Pilot, er flog immer selbst. Und er ließ es sich nicht nehmen, die Maschine vor jedem Flug eigenhändig zu checken. Es ist mir unerklärlich, wie dieser Unfall passieren konnte.“ Deacon griff sich an den Schmuck, der an dem Lederband hing.

„Diese Anhänger gehörten meinen Eltern. Sie haben sie immer getragen. Ihre Eheringe und das Kruzifix, das Pa meiner Mutter zur Hochzeit geschenkt hat. Der Engelsflügel war der Glücksbringer meines Pas. Viel Glück hat der ihm am Ende leider nicht eingebracht. Höchstens, dass er schnell gestorben …“ Er brach ab und nagte an seinem Daumen. Ab und an träumte er von einem Schatten, der sich an dem Jet zu schaffen machte und ihm nach dem Start händereibend hinterherstarrte. Gerne hätte er nach dem Unfall weitere Ermittlungen anstellen wollen, erneut bei sämtlichen Sachverständigen nachbohren … Aber da zog bereits Tante Hailey bei ihm ein, quasselte ihm den Verstand zu Brei und nahm ihn rund um die Uhr in Beschlag, angeblich um den trauernden Jungen zu trösten. Daher hatte er sein Vorhaben nicht mehr durchführen können. Seine Eltern wurden mit jeglichem Prunk beigesetzt, den Hailey veranstalten konnte, obwohl er eher für eine schliche, stille Zeremonie gewesen wäre. Stattdessen war ein Medienspektakel daraus geworden, indem sich seine furchtbar trauernde Tante sonnte. Sie war weder seinem Onkel, den sie geheiratet hatte, noch seinem Vater in irgendeiner Weise ähnlich. Bis heute fragte er sich, was Onkel Harold an ihr gefunden haben mochte, dass er sie zur Frau nehmen musste. Und sogar sein Pa hatte ihr vertraut und sie an Deacons sechzehntem Geburtstag zu seinem Vormund bestimmt. Für den Fall der Fälle, der dann zum größten Schock aller bereits vier Jahre später eintraf.

„Mein entscheidender Geburtstag rückt näher“, sagte Deacon nach einer Weile. „Meine Tante ist auf die Idee gekommen, ihn in Polynesien zu feiern und diesen Tag meiner künftigen Unabhängigkeit mit einem ausgiebigen Urlaub nach den vielen Geschäftsabschlüssen zu verbinden. Das Meeting heute Nachmittag ist das letzte einer ganzen Serie. Es schlaucht tatsächlich, daher habe ich ihrem Vorschlag zugestimmt. Polynesien sieht man zudem nicht jeden Tag. Auch als Geldsack nicht.“

Lyle nickte zustimmend, sagte allerdings nichts.

„Übermorgen geht es los.“ Deacon wartete auf eine Reaktion. Als keine kam, fuhr er leiser fort: „Ich habe Mr. Connelly vorhin gebeten, ein weiteres Ticket zu buchen. Ich möchte, dass du mich begleitest, Lyle.“

Der versteifte sich neben ihm. Seine Augen wurden schmal, bevor er sich mit einem Ruck zu ihm umdrehte.

„Bitte was?“

„Ich möchte, dass du mich nach Polynesien begleitest. Als mein … persönlicher Assistent mit einem festen Einkommen. Ich möchte, dass du im Sun kündigst und zukünftig für mich arbeitest.“

„Sie können doch nicht einfach für mich Entscheidungen treffen!“ Empört fuhr Lyle auf und wühlte in seinem Schopf, ehe er Deacon anfunkelte. „Hätten Sie mich nicht wenigstens vorher fragen können?“

„Das Ticket kann jederzeit storniert werden. Ich will dich nicht bevormunden. Tut mir leid, wenn es danach aussieht.“ Mit der Reaktion hatte Deacon nicht gerechnet. Sie traf ihn und das nicht zu knapp. Konnte ihn Lyle so wenig leiden? Na ja, sie hatten erst einen Tag des Kennenlernens hinter sich, aber er mochte Lyles Art, sein unverblümtes Gebaren, und attraktiv war er ebenfalls. Und genau in diesem attraktiven Gesicht spiegelte sich ein innerer Kampf wider.

„Was … was müsste ich tun?“

„Mir Gesellschaft leisten, auf meine Termine achten …“ Deacon begann zu grinsen, weil Lyle ungläubig die Stirn runzelte, „für mein Frühstück sorgen …“

„Ich steige zum Concierge auf? Zu einem privaten Mr. Connelly für Deacon Snyder?“

„Ja, das kommt der Sache nah.“

„Nehmen Sie Mr. Connelly mit, der ist das gewohnt.“

Jetzt lachte Deacon. „Mr. Connelly ist mir zu steif. Und keine Angst, du wächst in deinen Job hinein. Allzu schwer ist das gar nicht. Dumm kommst du mir jedenfalls nicht vor.“

„Na, vielen Dank. Muss ich etwa Zeitungen bügeln?“

„Nein, das ist die Aufgabe eines Butlers. Du brauchst also auch meine Unterhosen nicht zusammenlegen.“

„Ich weiß nicht …“

Deacon war überrascht, wie enttäuscht er durch Lyles Zögern war. Dabei hatte er sich durchaus auf eine Absage eingestellt. Immerhin verlangte er allerhand von dem jungen Mann, die Aufgabe seines Jobs, seiner sozialen Kontakte, seiner Beziehung ... sofern diese überhaupt bestand, woran er nach Lyles kurzer Erklärung zweifelte.

„Du hast selbstverständlich einen Urlaubsanspruch. Du kannst dann deine Familie besuchen und deine Freunde. Ich würde dir mit den Urlaubstagen und dem Lohn großzügig entgegenkommen.“

Lyle machte eine merkwürdige winkende Geste, die Deacon nicht interpretieren konnte.

„Es ist okay, wenn du mir morgen eine Antwort gibst.“ Lieber wäre ihm gleich eine Zu- oder Absage gewesen, in diesem Fall bräuchte er nicht zu zappeln.

„Polynesien …“, murmelte Lyle gedankenverloren.

„Genauer gesagt geht es auf die Ha’apai-Inseln im Tonga-Archipel. Die liegen in der Nähe der Cook-Inseln, falls dir die ein Begriff sind. Wir werden unseren Urlaub auf einer der beiden Hauptinseln machen, die sich Lifuka nennt. Wenn meine Geschäftsbesprechung vorbei ist, zeige ich es dir gerne auf einer Karte, damit du überhaupt weißt, wohin ich dich verschleppen will.“

„Okay“, stimmte Lyle zu.

„Super!“ Deacon freute sich. Das war ja wenigstens ein Anfang.

„Ich habe nicht der Reise zugestimmt“, erklärte Lyle hastig.

„Es freut mich schon, dass du nicht sofort ablehnst. Willst du gar nichts über den Lohn wissen, den ich dir zahlen würde?“

„Nein.“ Zu seiner Überraschung schüttelte Lyle den Kopf. „Ich bin sicher, es wird angemessen sein und ich bin nicht gierig.“

Nein, das bist du nicht, Lyle. Nicht, wenn du einen Hundert-Dollar-Schein als Trinkgeld ablehnst. Und genau das macht dich sympathisch …

$$$$

„Hier ist Australien und hier Neuseeland. Diese Inselgruppe ist Neu-Kaledonien.“

Sie hatten sich nach Deacons erfolgreichem Geschäftsabschluss in dessen Suite getroffen, wo der Milliardär bereits eine große Karte ausgebreitet hatte. Nun tippte Deacon mit dem Finger auf die genannten Orte, bevor er ihn weiter rechts rüber zog.

„Das ist das Tonga-Archipel, wozu die Inselgruppe Ha’apai gehört. Ich habe nachgelesen, dass einundfünfzig Korallen- und Vulkaninseln zu dieser Gruppe gehören. Die beiden großen Vulkaninseln sind Tofua und Kao.“

Lyle beugte sich neben Deacon dichter über die Karte. Dieses Ha’apai war verflucht weit von Philly entfernt und sehr, sehr verlockend.

„Wir fliegen von Philadelphia aus zunächst zu den Gesellschaftsinseln nach Raiatea. Dort müssen wir umsteigen. Der nächste Flieger bringt uns zum Lifuka Island Airport und von dort aus geht es mit einer Limousine weiter nach Tongoleleka. Dort hat ein Bekannter von Tante Hailey eine Villa, in der wir uns einnisten werden. Auf den kompletten Ha’apai-Inseln gibt es weniger Einwohner als selbst in Phillys kleinstem Vorort, nämlich nur rund 7.600 Menschen. Die Natur scheint traumhaft zu sein und wenn du jemals einen Strand wie aus der Bounty-Werbung sehen wolltest, dann hast du da eine Chance.“

Lyle ließ sich auf das Sofa sinken, sprang allerdings sofort auf, als ihm bewusst wurde, was er da tat. Bagagisten setzten sich nicht in Anwesenheit von Gästen. Gut, dass Mr. Connelly diesen Fauxpas nicht mitbekommen hatte.

„Lyle, setz dich ruhig.“

Er folgte Deacons einladender Geste und zog die Karte zu sich heran, um die Inselgruppe ganz genau zu studieren.

Deacon nahm neben ihm Platz und beobachtete ihn stumm. Schließlich schob Lyle die Karte von sich. Es wurde Zeit für eine Entscheidung. Abenteuer oder Koffertragen? Deacon oder Mr. Connelly? Persönlicher Lakai oder ein Niemand in einem Riesenhotel?

„Tauchen in den Korallenbänken, Buckelwale beobachten, mit Meeresschildkröten schwimmen, Cocktails unter Palmen genießen und leckeren Fisch auf offenem Feuer grillen“, sagte Deacon lockend. Das klang wirklich prima, wenn nur Mrs. Patterson in Philadelphia bleiben würde.

„Sie übernehmen sämtliche Kosten für mich?“, erkundigte sich Lyle zögernd.

„Sämtliche. Egal was“, versprach Deacon wie aus der Pistole geschossen. „Wenn du als mein persönlicher Assistent arbeitest, komme ich für deinen gesamten Lebensbedarf auf. Wohnen, Kleidung, Essen, soziale Kontakte … Wenn du zusagst, werden wir morgen einen Shopping-Tag einlegen. Du wirst ganz neu eingekleidet. Ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, doch du wirst ein paar Anzüge benötigen, angemessene Freizeitkleidung, einen Smoking und so weiter und so fort. Stehst du mehr auf Rolex oder Breitling? Oder magst du eher eine andere Marke?“

„Halt! Halt, halt, halt! Brrrrrr!“ Lyle sprang auf und hob Einhalt gebietend die Hände. „Ich sehe ein, dass ich als Ihr Assistent nicht in meinen Woolworth-Klamotten rumlaufen kann. Aber teure Schmuckstücke oder Uhren kommen nicht infrage.“

„Du darfst nicht vergessen, dass du meine Person repräsentierst. Es macht mich nicht arm, Lyle.“

„Wir bleiben im vernünftigen Rahmen“, sage Lyle fordernd.

„Okay.“

„Wie sieht es mit Sozialversicherung aus?“

„Selbstverständlich. Das gehört dazu.“ Deacon trat zu dem Schreibtisch und holte einen Schnellhefter herbei. „Das wäre dein Arbeitsvertrag. Schau ihn dir in Ruhe an. Ich habe meinen Anwalt angerufen, der den Vertrag aufgesetzt und gefaxt hat. Du kannst ihn gerne prüfen lassen.“

Lyle nahm den Hefter entgegen und setzte sich wieder. Langsam ging er Blatt für Blatt durch. Als er zu seinem Einkommen kam, zog er überrascht die Augenbrauen in die Höhe. Fragend blickte er Deacon an.

„Die Summe stimmt? Das ist wirklich kein Schreibfehler? Zusätzlich zu meinem sogenannten Lebensbedarf?“

Deacon nickte. „Hast du denn gar keine Vorstellung, was man als rechte Hand eines Milliardärs verdient?“

„Bislang war ich lediglich die rechte und linke Hand des Küchenchefs eines kleinen Diners. Mit rechts wedelte ich mit der Spülbürste und mit links habe ich Spüli verspritzt.“

Deacon lachte amüsiert.

Lyle starrte erneut auf den Vertrag. Unglaublich! Das war wie im Märchen. Durfte er das annehmen und tatsächlich ein solches Glück erleben? Es würde bestimmt nicht immer leicht sein. Er würde Deacons Launen ertragen und sich mit seiner Tante auseinandersetzen müssen.

„Wie sieht es mit einer Kündigung aus?“, fragte er.

„Jederzeit. Das steht auf der letzten Seite“, antwortete Deacon leise. „Du hast bislang nicht mal zugesagt, da willst du bereits kündigen?“

„Ich will mir nur ein Schlupfloch freihalten, für den Fall, dass wir uns in die Wolle bekommen.“

„Dann … dann sagst du also zu?“

Lyle schwieg. Sollte er wirklich? Wirklich wirklich?

„Lyle, bitte. Ich würde mich ehrlich freuen.“

„Das ist ein sehr verantwortungsvoller Posten. Und Sie kennen mich kaum.“

„Du bist offen mir gegenüber und du wirst die Leute, mit denen ich zu tun habe, aus einer völlig anderen Perspektive betrachten können. Du verstehst es anzupacken und Mr. Connelly hat dir für die zwei Wochen ein vorzügliches Zeugnis ausgestellt. Außerdem habe ich eine gute Menschenkenntnis und glaube, dir vertrauen zu können. Zudem steht es mir ebenfalls offen, dir jederzeit zu kündigen.“

Lyle seufzte. „Es muss eine teure Uhr sein?“

Deacon grinste und erklärte: „Du benötigst eine gute Uhr, um mich an meine Termine zu erinnern.“

„Ich möchte eine Breitling.“ Lyle hielt den Atem an und wartete, ob er zu weit gegangen war. Doch Deacon zückte einen Füllfederhalter, den er ihm zum Unterschreiben entgegenhielt.

„Und was für einen Wagen willst du zukünftig fahren?“, fragte er mit einem fröhlichen Zwinkern. Wagen? Er bekam auch noch einen eigenen Wagen?

„Oh mein Gott“, murmelte Lyle.