Zweite Chance auf Eden - Peter F. Hamilton - E-Book

Zweite Chance auf Eden E-Book

Peter F. Hamilton

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit Peter F. Hamiltons »Armageddon«-Zyklus gelangte das Genre der Space Opera zu neuer Blüte. Nun liegt mit der Neuausgabe von »Zweite Chance auf Eden« das perfekte Buch für Neueinsteiger und Fans der Reihe vor: In sieben längeren Erzählungen führt der Autor den Leser durch die Geschichte der Konföderation. Er erzählt von der Besiedlung erster fremder Planeten durch die Menschen, von gentechnischen Manipulationen und der Begegnung zwischen Menschen und Außerirdischen – und auch in diesem Band besticht Peter F. Hamilton mit einer unverwechselbaren Mischung aus Abenteuerroman und wissenschaftlicher Science-Fiction.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Entdecke die Welt der Piper Science Fiction:

 

Übersetzung aus dem Englischen von Axel Merz

 

ISBN 978-3-492-97694-7

© Peter F. Hamilton 1997

Titel der englischen Originalausgabe: »A Second Chance At Eden«, PanMacmillan, London 1998

© der deutschsprachigen Übersetzung by Bastei Lübbe AG, Köln

© Piper Verlag GmbH, München 2018

Erstmals erschienen bei Bastei Lübbe AG, Köln 2001

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Covermotiv: Stephanie Gauger, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von VICTOR HABBICK VISIONS/SCIENCE PHOTO LIBRARY/Gettyimages und Thinkstock

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Einführung

Erde – 2070

Sonnies Trumpf

(Sonnie᾿s Edge)

Jupiter – 2090

Die Zweite Chance

(A Second Chance at Eden)

Nyvan – 2245

Zeiten Ändern Sich

(New Days Old Times)

Tropicana – 2393

Candyknospen

(Candy Buds)

Jubarra – 2405

Todestag

(Deathday)

Tropicana – 2447

Die Leben und Lieben der Tiarella Rosa

(The Lives and Loves of Tiarella Rosa)

Sonora Asteroid – 2586

Fluchtweg

(Escape Route)

 

Für David Garnett

Weil ich ihm, wie viele von uns,

einiges schuldig bin

Einführung

 

Die Storys, die in dieser Anthologie zusammengetragen sind, spielen im Universum meiner Nights Dawn Trilogy (dt.: Armageddon-Hexalogie [Anm. d. Übers.]). Sie bilden heute eine Reihe von schnappschussartigen Rückblenden in die Geschichte der Konföderation bis hin zur Zeit von Joshua Calvert und Quinn Dexter. Das war nicht immer so.

Während der frühen Neunziger schrieb ich mehrere Kurzgeschichten, deren Mittelpunkt die BiTek-Technologie bildete. Sie gehörten keinem besonderen Zukunfts-Universum an; ich war lediglich am Potential der Idee interessiert. Dann kam David Garnett daher. Er hatte kurze Zeit vorher ›Candy Buds‹ (dt.: Candyknospen, im vorliegenden Band [Anm. d. Übers.]) für seine New-Worlds-Anthologie eingekauft und sagte zu mir: »Sie sollten einen Roman daraus machen.«

»Unmöglich«, antwortete ich.

Das war in den Tagen meiner unwissenden Jugend, bevor ich auf die harte Tour begreifen lernte, dass der Lektor immer Recht hat.

Er überzeugte mich also, über seinen Vorschlag nachzudenken. Nights Dawn (dt.: Armaggeddon [Anm. d. Übers.]) war das Resultat. Schön, ich habe zwar nicht als Letzter gelacht, aber wenigstens ist es mir gelungen, ihn mit dem Umfang von Band eins, The Reality Dysfunction (dt.: Fehlfunktion sowie Die unbekannte Macht [Anm. d. Übers.]), allen 374000 Worten, einen gehörigen Schrecken einzujagen.

Was die hier vorgelegten Geschichten angeht – einige sind neu, und einige sind vorher in Magazinen erschienen. In diesem Fall habe ich sie leicht verändert, so dass sie in die Zeitlinie der Konföderation passen.

 

Peter F. Hamilton

Rutland, im Februar 1998

Chronologie

2020 Gründung der Clavius-Basis. Beginn des Abbaus subkrustaler Ressourcen auf dem Mond.

2037 Beginn großmaßstäblicher gentechnischer Manipulationen an Menschen; Verbesserungen des Immunsystems, Eliminierung des Appendix᾿, Steigerung der Effizienz sämtlicher Organe.

2041 Errichtung erster deuteriumbetriebener Fusionsstationen; ineffizient und teuer.

2044 Wiedervereinigung der christlichen Kirchen.

2047 Der erste Asteroid wird eingefangen. Beginn des O᾿Neill-Halos um die Erde.

2049 Entwicklung quasi-intelligenter BiTek-Tiere, die als Servitoren eingesetzt werden.

2055 Jupiter-Mission.

2055 Mondstädte erlangen ihre Unabhängigkeit von den Gründungskonzernen.

2057 Gründung einer Asteroidensiedlung auf dem Ceres.

2058 Wing-Tsit Chong entwickelt die Affinitätssymbiont-Neuronen und ermöglicht dadurch vollkommene Kontrolle über Tiere und BiTek-Konstrukte.

2064 Das multinationale Konsortium JSKP (Jovian Sky Power Corporation) beginnt mit Hilfe von Aerostatfabriken mit der Gewinnung von Helium-III aus der Jupiteratmosphäre.

2064 Islamische Säkulare Unifikation.

2067 Fusionsstationen verwenden Helium-III als Brennstoff.

2069 Das Affinitätsbindungsgen wird in die menschliche DNS eingeflochten.

Erde

2070

Sonnies Trumpf

(Sonnie᾿s Edge)

Es war helllichter Tag, also ging in Battersea überhaupt nichts. Der M500 Motorway über der Themse hatte uns mit einer Geschwindigkeit von einhundertfünfzig Stundenkilometern in das Herz Londons geführt, doch nachdem wir eine Spiralrampe hinuntergefahren und auf der Chelsea Bridge angekommen waren, betrug unsere Geschwindigkeit konstant einen Kilometer pro Stunde. Unser Ziel lag drei Kilometer von uns entfernt.

Wir reihten uns ein in die Schlange chromsilberner Fahrzeuge, die die Straße verstopften, und erhöhten die Reflexionsstärke unserer Scheiben gegen das grelle Funkeln. Bikes quetschten sich durch die schmalen Lücken, die Fahrer in glatthäutigen Klimaanzügen. Lichthupen blitzten ihnen wütend hinterher, während sie durch den Stau glitten, eine Art fortlaufender Stroboskopeffekt. Als wäre das nicht bereits schlimm genug, war die Luft erfüllt vom Vibrieren der Nabenmotoren und Klimaanlagen, und alles in einer Frequenz, die garantiert Migräne hervorrief. Drei Stunden davon.

Ich hasse Städte.

Mittag, und wir rollten in den verlassenen Hof wie ein altertümlicher Zirkuswagen auf dem Weg in die Stadt. Ich saß auf dem Beifahrersitz neben Jacob, hoch oben in der Kabine des alten Zehnachsers, die Füße auf dem Armaturenbrett, oberhalb der Flutlinie von Mac-was-weiß-ich-Verpackungen, die den Boden übersäten. Neugierige Roadies aus der Arena liefen auf dem von Rissen durchsetzten Beton durcheinander und starrten uns neugierig an. Die beiden anderen Wagen im Konvoi unseres Teams bogen von der Straße ab und in den Hof. Hinter uns schlossen sich zwei schwere rostige Metallgatter mit lautem Knall.

Jacob verriegelte die Räder und schaltete die Energiezufuhr ab. Ich kletterte aus der Fahrerkabine. Die silberne Seite des Wagens war beschlagen von den Ausdünstungen der Stadt, doch mein Spiegelbild war noch halbwegs zu erkennen. Ein blonder Kurzhaarschnitt, der dringend der pflegenden Hand eines Friseurs bedurfte; die Kleidung ähnlich verwahrlost, schätze ich: ein ärmelloses schwarzes T-Shirt und olivgrüne Bermudashorts, die ich seit über einem Jahr trug, die Füße in durchgescheuerten weißen Turnschuhen. Ich war zweiundzwanzig, obwohl ich die Art von hagerer Gestalt besaß, wie man sie bei dreißigjährigen Frauen findet, die zum Fitnesstraining gehen und Diät leben, um wieder wie zweiundzwanzig auszusehen. Mein Gesicht war gar nicht so übel; Jacob hatte es wiederhergestellt und mir die vorspringenden Wangenknochen verliehen, die ich mir als Teenager immer gewünscht habe. Vielleicht war es nicht ganz so ausdrucksvoll wie früher einmal, doch die verzerrenden Rundungen der Karosserie machten es schwierig, das festzustellen.

Nachdem wir die kühle, ruhige Isolation der Kabine hinter uns gelassen hatten, traf mich die Lärmkulisse von London voll, zusammen mit der Hitze und den Gerüchen. Die drei wichtigsten Abfallprodukte von achtzehn Millionen Einwohnern, ausnahmslos fest entschlossen, ihren Lebensstil zu erhalten, indem sie sich durch Konsumgüter fraßen und Energie in einem Ausmaß verbrauchten, wie sie nur die Industrie des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu liefern imstande war. Und selbst sie hatte Mühe, mit der Nachfrage Schritt zu halten.

Ich kann mich mitten hinein in diesen Bienenschwarm aus Gier versetzen, in seine Sucht nach einem Stück vom Leben. Ich weiß, wonach sie sich am meisten sehnen, und wir liefern es ihnen.

Aufregung, Spannung. Damit verdienen ich und der Rest von Sonnie᾿s Predators unsere Brötchen. Und wir haben einen großen und einzigartigen Brocken davon hierher nach Battersea mitgebracht. Heute Nacht wird es einen Kampf geben.

Eine Hetzjagd: der zeitlose Sport, gewalttätig, spektakulär, blutrünstig … und stets tödlich. Neu und echt, Welten entfernt von dem keimfreien, entschärften Mist der VR-Games, die Nacht für Nacht von den Konsumenten in ihre Taksuit-Prozessoren geladen werden. Das hier ist real; es entfacht die alten Instinkte, die stärksten und süchtig machendsten von allen. Und Sonnie᾿s Predators sind das heißeste Team auf dem Globus, seit die Wettbewerbe vor zwei Jahren in Mode gekommen sind. Siebzehn Siege in Folge. Wir haben Hetzer-Groupies auf dem ganzen Weg von den Orkney-Islands bis hinunter nach Cornwall.

Ich hatte Glück, weil ich schon seit Stufe eins dabei war, als es noch in Mode war, Rottweiler und Dobermänner mit Fangimplantaten und Rasiermesserklauen zu modifizieren. Jede Wette, dass der gute alte Wing-Tsit Chong nicht im Traum an eine solche Möglichkeit gedacht hat, als er seine Affinitätsbindung erfand.

Karran und Jacob waren der Kern des Teams, frisch von der Leicester University und mit heißen, vielversprechenden Abschlüssen in Biotechnologie. Mit ihren Qualifikationen hätten sie bei jeder Company auf dem ganzen Planeten anfangen und sich mitten in eine Welt aus angewandter Forschung und jährlichen Budget-Streitereien stürzen können. Es ist ein Wechsel, wie ihn Millionen anderer Studienabgänger Jahr für Jahr vollziehen, Lebensfreude gegen Sicherheit und die große Erleichterung zu wissen, dass die Studiendarlehen von jemand anderem bezahlt werden. Doch es war um die Zeit herum, als die Päpstin begann, den rechten Flügel der Kirche aufzustacheln und öffentlich die Moral der Affinität in Frage stellte sowie die Art und Weise, wie sie zur Kontrolle von Tieren eingesetzt wurde. Es dauerte nicht lange, bis sich die Mullahs zum Chor gesellten. Die Ethik der Biotechnologie wurde zu einer der großen Schlagzeilen bei den Nachrichtensendern, ganz zu schweigen von den terminalen Kampagnen, die ein paar Dutzend militante Tierschutzorganisationen gegen Biotechnologie-Laboratorien starteten. Plötzlich schien die etablierte Biotechnologie gar nicht mehr so verlockend.

Hätten die beiden nicht innerhalb von sechs Monaten mit der Rückzahlung ihrer Studentendarlehen begonnen, wären sie von ihrer Bank einfach einer Company zugeteilt worden (die Bank hätte sich von ihren Gehältern zusätzlich eine Provision eingesteckt). Die Hetzjagd war die einzige finanziell mögliche Alternative für ihr Talent.

Ivrina war eine ehemalige Operationsschwester, die erst kurze Zeit bei den beiden war und bei der Transplantationstechnik half, als ich ankam. Ich hatte mich treiben lassen, war ohne Ehrgeiz und besaß noch weniger Bildung – gerade genug, um zu erkennen, dass das hier etwas anderes war, etwas, in dem ich aufgehen konnte, in dem ich es vielleicht sogar zu etwas bringen konnte. Es war neu für alle, wir waren ausnahmslos Anfänger und Lernende. Sie stellten mich als Fahrerin und Mädchen für alles ein.

Drei Monate später kam Wes hinzu. Ein Hardwarespezialist – oder Nerd, je nachdem, wie man es betrachtete. Ein wichtiger Posten bei einem Sport, dessen Entwicklungsstand nahezu täglich voranschritt. Wes kümmerte sich um die Klontanks, die Computercluster und Khanivores Lebenserhaltungssysteme sowie tausend andere elektronische Apparate.

Wir schlugen uns gar nicht schlecht, Jacob᾿s Banshees, wie wir uns damals noch nannten, und wir kämpften hart um unseren Kultstatus. Eine dezente Siegquote, fast sechzig Prozent. Jacob und Karran waren immer noch hoch verschuldet, doch sie konnten die monatlichen Raten zahlen. Wir hatten genügend Geld in der Kasse, um unabhängig zu bleiben, während unsere Konkurrenz auf Sponsorengelder aus war. Arm aber frei – das älteste Motiv der Welt. Wir warteten darauf, dass unser Sport das Interesse der Medien erweckte und groß herauskam. Es würde kommen, unausweichlich – alle Teams wussten das.

Dann ereilte mich mein Missgeschick, und ich kam zu meinem Killer-Trumpf.

Das Summen der Nabenmotoren der beiden anderen Wagen verklang, und der Rest der Mannschaft gesellte sich zwischen Unkraut und Katzenpisse zu mir auf den Beton des Hofs. Nach einem Bauschild der Londoner Stadtverwaltung am Metallgatter sollte hier auf dem Hof einer der Stützpfeiler für die geplante Central-South-Kuppel entstehen. Obwohl nur Gott allein wusste, wann die Bauarbeiten je beginnen würden. Über der umlaufenden Mauer mit dem Natodraht und seinen rasiermesserscharfen Kanten war die Kuppel von Central-North zu erkennen. Eine geodätische Konstruktion aus bernsteinfarbenem Kristall, vier Kilometer im Durchmesser, die sich wie eine Vitrine über den antiken Gebäuden darunter über den größten Teil des Westminster-Distrikts spannte. Die Stützpfeiler waren winzig angesichts der gigantischen Größe des Gebildes. Sie bestanden aus einer Art superstarker Faser, die im Orbit hergestellt wurde, und sie glitzerten prismatisch im schmerzhaft hellen Sonnenlicht. Rechts und links von Central-North zerteilten bereits die noch leeren Traggerüste der Chelsea- und Islington-Kuppeln den Himmel in sechseckige Facetten. Eines Tages würden alle Städte so aussehen, sich unter Kuppeln vor dem feindlichen Klima verstecken, das ihr eigener thermischer Ausstoß geschaffen hatte. In London gab es längst keinen Smog mehr. Heute gab es nur noch die flirrende, überhitzte Luft aus den Abluftrohren von fünfundzwanzig Millionen Klimaanlagen. Die zehn größten davon saßen über der Kuppel von Central-North, wie schwarze Entenmuscheln, die den Überschuss an Wärme in riesigen Fontänen aus grauem Dunst ausspien. Die Londoner Stadtverwaltung hatte ein Flugverbot über der gesamten Zone verhängt aus Furcht vor dem, was die gigantischen lichtlosen Flammen mit der Aerodynamik anstellten.

Karran kam heran und stellte sich zu mir. Sie trug einen breitkrempigen Panamahut über ihrem krausen titanfarbenen Haar. Ivrina stand ein paar Schritte abseits mit nichts auf dem Leib als einem Haltertop und abgeschnittenen Jeans. Die UV-Schutzbehandlung hatte ihre arktisch-weiße Prinzessinnenhaut in ein leuchtendes Zimtbraun verwandelt. Wes schlang schützend einen Arm um ihre Hüfte, während sie missbilligend die übel riechende Luft einsog.

»Wie ist die Stimmung, Sonnie?«, fragte Karran.

Alle verstummten, selbst Jacob, der sich gerade mit dem Boss der Roadies unterhielt. Wenn der Kämpfer eines Hetzteams nicht in die richtige Hype kommt, dann packt man ein und fährt nach Hause. Trotz aller Genialität und technischen Unterstützung spielt der Rest des Teams beim Wettkampf keine Rolle. Es liegt alles an mir.

»Bestens«, berichtete ich ihnen. »Es dauert nicht länger als fünf Minuten.«

Ich habe nur einmal wirklich gezweifelt. Ein Kampf in Newcastle, als wir gegen das Team von King Panther antreten mussten. Es war eine ganz üble Geschichte. Khanivore hat ziemlich heftige Wunden erlitten. Trotzdem habe ich am Ende gewonnen. Es war die Art von Kampf gewesen, aus der Legenden geboren werden.

Ivrina schlug mit der Faust in die offene Handfläche.

»Atta Girl!« Sie sah erhitzt aus, als suchte sie den Kampf. Wer sie so sah, würde sicher glauben, dass sie Khanivore boosten würde. Ivrina besaß ohne Zweifel das richtige Feuer dazu; ob sie allerdings auf meinen Killerbonus eingehen würde, kann ich nicht sagen.

Wie sich herausstellte, war Dicko, der Betreiber der Arena, ein guter Organisator. Zur Abwechslung mal etwas anderes.

Bei manchen Kämpfen fragten wir uns, ob das, wo wir kämpften, überhaupt eine Arena war; Helfer hinter der Bühne suchte man häufig vergebens.

Jacob dirigierte die Roadies, und sie machten sich daran, Khanivores Lebenserhaltungstank vom Laster abzuladen. Auf seinem fleischigen Gesicht glitzerten dicke Schweißperlen, als der milchig-undurchsichtige Zylinder zusammen mit den Hilfsmodulen langsam von der Ladefläche gehoben wurde. Ich weiß nicht, warum er sich wegen eines Sturzes aus zwei Metern Höhe so sehr in die Hosen machte. Er war schließlich größtenteils für das Design unseres kleinen Tierchens verantwortlich, zumindest für seinen Körper (Karren kümmerte sich um das Nervensystem und den Kreislauf), also musste er doch am besten wissen, wie widerstandsfähig Khanivore war.

Die Arena war früher ein großes Rohrlager gewesen, bevor Dicko gekommen war und seinen Laden aufgemacht hatte. Er hatte die Schale aus Wellblech behalten und die automatischen Stapelanlagen herausgerissen, so dass in der Mitte Platz war für ein Loch aus Polyp – rund, fünfzehn Meter im Durchmesser und vier Meter tief. Es war vollständig von Sitzreihen umgeben, einfachen konzentrischen Kreisen aus Holzplanken auf einem Spinnengeflecht aus rostigen Trägern. Die oberste Reihe lag zwanzig Meter über dem Betonboden und berührte fast die von kondensierter Feuchtigkeit glatten Paneele des Dachs. Beim Anblick der wackligen Zuschauertribünen war ich froh, dass ich nicht dort sitzen musste.

Unser Vorbereitungsraum war das ehemalige Büro des Lagermeisters. Die Roadies wuchteten Khanivores Lebenserhaltungstank an seinen Platz auf eine Reihe schwerer Holzböcke. Sie knarrten protestierend, aber sie hielten.

Ivrina und ich machten uns daran, die Fenster mit schwarzer Polyethylenfolie zu verkleben. Wes verband die Hilfsmodule mit der Energieversorgung des Lagerhauses. Karran setzte ihre I-Brille auf und startete Diagnoseläufe durch Khanivores Nervensystem.

Jacob kam mit einem breiten Grinsen im Gesicht herein. »Die Wetten stehen neun zu zwei auf uns«, berichtete er. »Ich habe fünf Riesen auf uns gesetzt. Schätze, du wirst damit fertig, Sonnie, oder?«

»Verlass dich drauf. Die Urban Gorgons haben sich selbst gerade ein totes Tierchen eingehandelt.«

»Mein Mädchen«, sagte Wes stolz und klopfte mir auf die Schulter.

Er log, und das tat weh. Wes und ich waren acht Monate lang ein unzertrennliches Paar gewesen, bis zum Tag meines Missgeschicks. Jetzt brachten er und Ivrina jede Nacht die Aufhängung des Caravans zum Schaukeln. Ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen – keinen bewussten jedenfalls. Doch wenn ich sah, wie sie überall gemeinsam hingingen, die Arme umeinander geschlungen, lachend, sich neckend … es ließ mich nicht kalt.

Eine Stunde, bevor es soweit war, kam Dicko herein. Wenn man ihn betrachtete, stellte man sich unwillkürlich die Frage, wie er in diesem Geschäft landen konnte. Ein würdevoller alter Bursche, höflich, mit guten Manieren und freundlichem Lächeln, groß gewachsen und dünn, mit buschigem silbernem Haar, das zu dick war, um natürlich zu sein, und einem leicht steifen Gang, gestützt auf einen Stock mit silbernem Knauf. Seine Kleidung entsprach der Mode des letzten Jahrhunderts: ein hellgrauer Anzug mit schmalen Revers, ein weißes Hemd und eine dünne kastanienbraune Krawatte.

Hinter ihm kam ein Mädchen herein, ein hübsch gewachsener Teenager mit süßem Gesicht und einer Wolke aus lockigem dichtem, rötlichbraunem Haar, das einen betont zurückhalten Ausdruck rahmte. Sie trug ein einfaches limonenfarbenes Kleid mit rechteckigem Ausschnitt und tiefem Saum. Sie tat mir Leid – doch das war eine alte Geschichte; Teenager wie sie finden sich bei jedem unserer Wettkämpfe ein. Sie verriet mir alles, was ich über Dicko und seinen kultivierten Manierismus wissen musste. Nichts als eine Fassade.

Einer der Roadies schloss hinter sich die Tür und sperrte den Lärm der großen Halle mit ihrer pfeifenden Lautsprecheranlage aus. Dicko verneigte sich knapp vor mir und den anderen Frauen unserer Truppe, dann reichte er Jacob einen Umschlag. »Ihr Startgeld.«

Der Umschlag verschwand in Jacobs ärmelloser Lederweste.

Gepflegte silberne Augenbrauen hoben sich einen halben Millimeter. »Sie wollen nicht nachzählen?«

»Ihr Ruf ist gut«, antwortete Jacob. »Sie sind ein Profi, oberste Kategorie. Heißt es jedenfalls.«

»Sehr freundlich von Ihnen, danke. Doch auch Sie bringen eine ganze Reihe von Empfehlungen mit.«

Ich schwieg, während er und der Rest des Teams dummes Zeug und leere Floskeln austauschten. Es gefiel mir nicht – er störte mich. Manche Teams zogen es vor, vor dem Wettkampf zu reden; irgendeine Taktik vielleicht, um in letzter Sekunde wichtige Informationen zu erlangen. Ich hingegen mochte die Ruhe und Stille, um mich durch Zen vorzubereiten. Freunde, die redeten, wenn mir danach war, und die wussten, wann sie den Mund halten sollten. Ich war nervös, und die Anspannung verursachte mir eine Gänsehaut.

Jedes Mal, wenn ich zu Dickos Mädchen blickte, schlug sie hastig die Augen nieder. Sie beobachtete mich verstohlen.

»Ich frage mich, ob ich vielleicht einen Blick auf Khanivore werfen dürfte?«, bat Dicko. »Man hat so viel über ihn gehört …«

Die anderen drehten sich wie ein Mann zu mir um, um mich zu fragen.

»Sicher.« Vielleicht würde der alte Kerl endlich verschwinden, wenn er Khanivore gesehen hatte. Außerdem kann man schließlich niemanden aus dem eigenen Haus werfen.

Wir versammelten uns um den Lebenserhaltungstank, mit Ausnahme von Dickos Mädchen. Wes deaktivierte die Opazität, und Dickos Gesicht wurde hart in grimmiger Erwartung, wie das Grinsen eines Toten. Der Anblick machte mich ganz ruhig und kalt.

Khanivore ist fast drei Meter groß und annähernd hominid in der Hinsicht, dass er zwei Beine und einen fassförmigen Torso besitzt, auch wenn er in einem schwarzen Exoskelett steckt. Der Rest ist ein wenig, wie soll ich es ausdrücken, fremdartig.

Aus der Oberseite des Torsos entspringen fünf gepanzerte Tentakel, von denen zwei in rasiermesserscharfen Knochenzangen enden. Die Tentakel waren zusammengerollt wie ein Nest schlafender Boa constrictors, um in den Tank zu passen. Außerdem besaß Khanivore einen dicken, beweglichen Zwanzig-Zentimeter-Hals, der einen Kopf wie aus einem Alptraum trug. Er bestand ganz aus chromschwarz poliertem nacktem Knochen. Auf der Vorderseite lag ein Haifischmaul mit doppelten Zahnreihen, während die Schädelkappe mit tiefen Einschnitten und Kratern versehen war, um die Sinnesorgane zu schützen.

Dicko streckte die Hand aus und berührte die Oberfläche des Tanks. »Exzellent«, flüsterte er heiser, dann fügte er wie beiläufig hinzu: »Ich möchte, dass Sie für mich eine Schwalbe machen.«

Ein Augenblick verblüfften Schweigens entstand.

»Was sollen wir?«, krächzte Karran schließlich.

Dicko richtete sein Totengrinsen direkt auf sie. »Eine Schwalbe. Ich werde gut bezahlen, das Doppelte der Siegprämie, zehntausend CU. Plus sämtlicher Nebenwetten, die Sie zweifellos abschließen werden. Genug, um ein Amateurteam wie das Ihre für lange Zeit vom finanziellen Druck zu befreien, der zweifellos auf Ihnen lastet. Wir können meinetwegen auch noch in paar zukünftige Kämpfe vereinbaren.«

»Scheiße, bestimmt nicht!«

»Und mehr werden Sie von uns nicht hören«, spuckte Jacob. »Sie haben es selbst vermasselt, Dicko. Wir sind Profis, Mann, richtige Profis. Wir glauben an den Sport. Es ist unser Sport! Wir waren von Anfang an dabei, und wir werden nicht zulassen, dass Mistkerle wie Sie alles verderben, um einen schnellen Profit zu machen. Wenn das Gerücht von abgesprochenen Kämpfen nach draußen dringt, verlieren wir alle, auch Sie.«

Er war aalglatt, das muss ich gestehen; seine Fassade aus weltmännischen Umgangsformen schwankte nicht einen Augenblick. »Sie denken nicht nach, junger Mann. Um den Sport zu betreiben, benötigen Sie Geld. Eine Menge Geld, ganz besonders in der Zukunft. Schon heute richten große kommerzielle Unternehmen den Blick auf Ihren Sport, und bald schon wird er wirklich professionell mit richtigen Ligen und Verbänden, die Regeln aufstellen. Mit der richtigen Unterstützung kann ein Team wie das Ihre problemlos überleben, bis Sie das Rentenalter erreichen. Selbst ein Tierchen, das niemals verliert, muss alle neun Monate von Grund auf neu aufgebaut werden, ganz zu schweigen von den kontinuierlichen Verbesserungen, die Sie ihm anheften müssen. Die Hetze ist ein kostspieliges Geschäft, und daran wird sich bestimmt nichts ändern, im Gegenteil. Und ein Geschäft ist sie schon jetzt, das werden Sie zugeben müssen. Im Augenblick sind Sie nichts weiter als naive Amateure, die rein zufällig eine Glückssträhne haben. Machen Sie sich selbst nichts vor; eines Tages werden Sie verlieren. Sie brauchen eine sichere Einnahmequelle, die Ihnen über die mageren Zeiten hinweghilft, während sie ein neues Tierchen entwickeln und testen.

Und ich biete Ihnen genau das: den ersten Schritt in Richtung Verantwortlichkeit. Kämpfer und Veranstalter leben voneinander. So war es immer, selbst damals, in den Zeiten der römischen Gladiatoren. Und so wird es immer bleiben. Daran ist nichts Unehrenhaftes. Heute Abend werden die Fans den gewaltigen Kampf sehen, für den sie bezahlt haben, denn Khanivore ist bestimmt nicht leicht zu schlagen. Und sie werden wiederkommen, um Sie zu sehen, werden nach Ihrem Sieg schreien und außer sich sein, wenn Sie gewinnen. Kampf, Herzschmerz und Triumph, das ist es, was ihre Aufmerksamkeit fesselt, was jeden Sport lebendig hält. Glauben Sie mir, ich kenne die Massen viel besser, als Sie es jemals tun werden. Ich habe mein ganzes Leben lang nichts anderes studiert.«

»Und wie man Geld macht«, sagte Ivrina leise. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ihn verächtlich an. »Hören Sie auf mit dieser Scheiße, Sie wollten uns einen Gefallen tun. Sie besitzen die Buchmacherläden in diesem Teil der Stadt. Sie und ein paar andere. Eine kleine, verschworene Gruppe, die alle Fäden fest in der Hand hält. So ist die Lage, und so ist es immer gewesen. Ich sage Ihnen, was heute Abend wirklich passiert. Jeder Wetter hat sein Geld auf Sonnie᾿s Predators gesetzt, die todsicheren Favoriten. Sie und Ihre Freunde haben ebenfalls gewettet, und Sie haben sich ausgerechnet, wie Sie am meisten profitieren können. Indem Sie uns zehn Riesen für unsere Niederlage hinschieben und mit einem Riesengewinn nach Hause gehen.«

»Fünfzehntausend«, sagte Dicko völlig ungerührt. »Bitte nehmen Sie das Angebot an. Ich bitte Sie als Freund. Was ich gesagt habe, ist die Wahrheit, ganz gleich, welche Motive Sie mir unterjubeln. Eines Tages werden Sie verlieren.« Er wandte sich um und blickte mich an, und sein Gesichtsausdruck war beinahe flehentlich. »Sie sind die Kämpferin des Teams, von Natur aus diejenige mit der ausgeprägtesten praktischen Veranlagung. Wie viel Vertrauen haben Sie in Ihre eigenen Fähigkeiten? Sie stehen dort draußen in der Arena, Sie kennen die Augenblicke des Zweifels, wenn Ihr Gegner einen schlauen Zug angebracht hat. Sicherlich sind Sie nicht so arrogant zu glauben, dass Sie unbesiegbar sind?«

»Nein, ich bin nicht unbesiegbar. Ich habe lediglich einen Bonus. Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen sich zu fragen, warum ich immer gewinne?«

»Darüber gibt es eine ganze Menge Spekulationen.«

»Das kann ich mir denken. Obwohl niemand außer mir diesen Bonus jemals nutzen könnte. Verstehen Sie, ich kann nicht gegen die Urban Gorgons verlieren. Nicht solange sie Simon als Kämpfer einsetzen.«

»Das verstehe ich nicht. Sie können doch nicht jeden Kampf als persönliche Abrechnung betrachten.«

»Oh, aber genau das ist es. Wenn die Urban Gorgons einen weiblichen Kämpfer in die Arena schicken würden, würde ich vielleicht darüber nachdenken, Ihr Geld anzunehmen. Aber ich bin praktisch die einzige Frau in der Szene. Keines der anderen Teams setzt eine Frau ein, um seine Tierchen zu boosten. Keines, von dem ich wüsste.«

»Das ist Ihr legendärer Bonus? Ihr Killer-Trumpf? Frauen kämpfen besser als Männer?«

»Motivation ist der Schlüssel«, erwiderte ich. »Wir benutzen Affinität, um die Tierchen zu kontrollieren.

Diese Kreaturen, die wir zusammenbauen, existieren in der Natur nicht. Und es wäre auch nicht möglich, beispielsweise das Gehirn eines Löwen zu nehmen und es mit Khanivores Nervensystem zu verbinden. Denn es würde trotz all seiner Jagd- und Tötungsinstinkte nichts mit Khanivores Sensorium anfangen können, und es wäre auch nicht imstande, die Gliedmaßen zu benutzen. Deswegen geben wir unseren Monstern Bioware-Prozessoren statt Gehirnen. Aber Prozessoren leisten immer noch nicht das, was wir brauchen. Für ein Programm kann ein Kampf niemals etwas anderes sein als eine komplexe Abfolge von Problemen, wie ein dreidimensionales Schachspiel. Ein Angriff wird in eine Reihe von Segmenten zerlegt, die getrennt analysiert und auf entsprechende Abwehrzüge hin untersucht werden. Und bis zu dieser Abwehr hat ein halbwegs intelligenter Gegner unser Tierchen längst zerfetzt. Kein Programm ist imstande, ein Gefühl für Dringlichkeit zu entwickeln, zusammen mit panikgeschärften Instinkten. Reine Wildheit, wenn Sie so wollen. Die Menschen sind darin wahre Meister, und das ist der Grund, aus dem wir die Affinitätsbindung benutzen. Die Hatz ist eine physische Erweiterung des menschlichen Bewusstseins, unsere dunkle Seite in all ihrem Horror. Und deswegen sind die Zocker heute Nacht hergekommen, Dicko, um reine Bestialität zu erleben. Ohne unsere Tierchen wären wir Kämpfer selbst dort draußen in der Arena, und wir würden uns gegenseitig umbringen, daran besteht nicht der geringste Zweifel.«

»Und Sie sind die wildeste und bestialischste von allen?«, fragte Dicko. Er blickte die anderen Mitglieder unseres Teams an, ihre steinernen Gesichter, auf der Suche nach Bestätigung.

»Das bin ich heute«, sagte ich, und zum ersten Mal mischte sich eine Spur von Wildheit in meine Stimme. Ich bemerkte, wie sich die Frau versteifte und ihre Augen groß und rund wurden.

»Vor einem Jahr oder so wurde ich von einer Gang gefangen. Es gab keinen besonderen Grund; ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Wissen Sie, was sie mit Frauen machen, Dicko?« Ich stieß die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und meine Blicke hafteten unverrückbar auf seinem Gesicht. Seine Maske bekam erste Sprünge, kleine Risse, durch die Emotionen hervorschimmerten.

»Ja, das wissen Sie, nicht wahr? Der Gang Bang war nicht so schlimm; es dauerte nur zwei Tage. Doch als sie davon genug hatten, fingen sie mit Messern an. Es hat etwas mit Reviermarkierung zu tun; jeder soll wissen, wie verdammt hart sie sind. Und deswegen werde ich den Turboraptor der Urban Gorgons heute Nacht, draußen im Loch, in Fetzen reißen. So kleine Fetzen, dass nichts mehr übrig ist außer einem blutigen Nebel. Nicht wegen des Geldes, Dicko, nicht einmal wegen des Ruhms, sondern weil ich diesen männlichen Dreckskerl Simon fertig machen will.« Ich trat einen Schritt auf Dicko zu, und in meinen Worten lag unverhohlene Drohung. »Weder Sie noch irgendjemand sonst wird das verhindern. Haben Sie das begriffen, Arschloch?«

Eines von Khanivores Tentakeln entrollte sich, eine undeutliche Bewegung hinter der wieder milchigen Oberfläche des Lebenserhaltungstanks.

Dicko warf einen hastigen Blick auf die erregte Bestie und verneigte sich einmal mehr förmlich. »Ich werde Sie nicht weiter drängen. Aber ich bitte Sie dennoch, über das nachzudenken, was ich vorgeschlagen habe.« Er machte auf dem Absatz kehrt und befahl dem Mädchen mit einem Fingerschnippen, ihm zu folgen. Sie gehorchte und verschwand durch die Tür.

Die anderen kamen zu mir und lächelten ermunternd oder umarmten mich heftig.

 

Als es Zeit war, eskortierten die anderen mich wie eine pretorianische Garde in das Loch. Die Luft rings um die Arena war bereits unerträglich heiß und feucht vom Schweiß und Atem der Menge. Keine Klimaanlage. Natürlich nicht.

In meinen Ohren klangen die Sprechgesänge von den Sitzreihen, das langsame, rhythmische Klatschen, die Pfiffe und Zurufe. Der Lärm rumpelte dumpf und träge durch den leeren Raum unter den Tribünen.

Das Gerüst vibrierte mit niedrigen Schwingungen. Und dann hinaus in das erbarmungslose blau-weiße Licht und den Eingeweide aufwühlenden Krach. Die Rufe und Pfiffe erreichten einen Höhepunkt. Jeder Zentimeter der hölzernen Ränge war belegt.

Ich nahm auf meinem Sitz am Rand des Loches Platz. Simon saß mir direkt gegenüber, nackt von der Taille an aufwärts, schlank, kahl und pechschwarz. Auf seiner Brust leuchtete ein stilisiertes rubinrotes Tattoo, das im Rhythmus seines Herzschlags pulsierte. Große Piratenringe baumelten von ausgerissenen Ohrläppchen herab. Er stand auf, um mich mit der üblichen großartigen Fickdich-Geste zu begrüßen. Die Anhänger der Urban Gorgons jauchzten vor Begeisterung.

»Alles in Ordnung mit dir, Sonnie?«, flüsterte Ivrina.

»Sicher.« Ich starrte Simon in die Augen und lachte abfällig. Unsere Fans jubelten verzückt.

Am Rand des Lochs und auf halbem Weg zwischen uns erhob sich der Schiri. Die Lautsprecheranlage kam mit einem Kreischen online, und der Schiri begann mit seiner temperamentvollen Vorstellung. Standardsprüche, um die Massen aufzupeitschen. Eigentlich war er auch mehr Aufpeitscher als Schiri. Es gab nicht allzu viele Regeln in unserem Sport. Unser Tierchen musste zweibeinig sein, und es war keinerlei Metall und keine Hardware im Design gestattet. Es gab kein Zeitlimit; gewonnen hatte, wer übrig blieb. Auf diese Weise bleiben Verwirrung und Fehlentscheidungen außen vor.

Der Schiri beendete seine Vorstellung, wahrscheinlich aus Angst, von der ungeduldigen Menge gelyncht zu werden. Simon schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Affinitätsbindung zu Turboraptor.

Eine Affinitätsbindung ist eine einzigartige und private Verbindung. Jeder geklonte neurale Symbiont kommuniziert einzig und allein mit seinem Zwilling; es gibt keine Störung, keine Möglichkeit zum Abhören. Ein Klumpen wird in das menschliche Gehirn gepflanzt, der andere befindet sich in einem Bioware-Prozessor. Ein perfektes Werkzeug für die Monsterhatz.

Ich schloss die Augen.

Khanivore wartete hinter dem Spinnengeflecht des Tribünengerüsts. Ich ging ein letztes Mal alle Systeme durch. Arterien, Venen, Muskeln, Sehnen, das ausfallsichere Nervengeflecht, die multiplen redundanten Herzkammern. Alles online und alles einhundert Prozent operabel. Ich verfügte über sauerstoffangereicherte Blutreserven für einen einstündigen Kampf.

Es gab nicht viel mehr. Lebenswichtige innere Organe sind buchstäblich das, nämlich lebenswichtig. Viel zu gefährlich, sie in die Arena zu bringen. Ein Stich, und das Tierchen konnte sterben. Ein einziger! Wohl kaum das, was man einen fairen Kampf nennt. Außerdem wäre es schlechtes Design. Also verbringt Khanivore den größten Teil seines Lebens in einem Lebenserhaltungstank, wo die Hilfseinheiten wie Leber, Nieren, Lungen und all der andere physiologische Mist untergebracht sind, die beim Kampf höchstens stören würden.

Ich ließ Khanivore vortreten.

Und die Menge geriet außer sich.

Vorhersehbar wie sonst was, aber ich liebe sie trotzdem dafür. Das ist mein Augenblick. Der einzige Augenblick, in dem ich wirklich lebendig bin.

Turboraptor kletterte bereits in die Grube hinunter. Die improvisierte Holzrampe bog sich unter seinem Gewicht. Die erste Gelegenheit für einen genaueren Blick.

Das Team der Urban Gorgons hatte einen kleinen blauvioletten Dinosaurier zusammengebaut. Sein Rumpf war birnenförmig mit kurzen Stummelbeinen – schwer aus dem Gleichgewicht zu bringen oder umzuwerfen. Die Arme waren bizarr, zwei Meter fünfzig lang und fünf Gelenke – exzellente Beweglichkeit. Darauf würde ich achten müssen. Ein Arm endete in einer dreifingrigen Klaue, der andere besaß eine massive Knochenkugel. Die Idee war gut – pack deinen Gegner mit der Klaue und schlag mit der Knochenfaust zu. Wenn man die Reichweite der Arme bedachte, konnte Turboraptor vermutlich genügend Trägheitsmoment aufbauen, um durch Khanivores Exoskelett zu brechen. Aus dem Kopf ragten zwei nadelspitze, fünfzig Zentimeter lange Hörner. Wie dumm. Hörner und rasiermesserscharfe Finnen mochten vielleicht ein gutes Bild abgeben, aber sie ermöglichten es dem Gegner auch, einen festzuhalten. Deswegen hatten wir Khanivore aalglatt gemacht.

Khanivore kam unten in der Grube an, und die Roadies zogen hinter ihm die Holzrampe ein. Die Menge verstummte, als der Schiedsrichter den Arm ausstreckte. Ein weißes Taschentuch baumelte von seiner Hand. Er ließ es fallen.

Ich entrollte alle fünf Tentakel zur Hälfte und ließ sie zu Boden sinken, während die Klauen schnappten. Die Fans von Sonnie᾿s Predators nahmen den Rhythmus auf, stampften mit den Füßen und klatschten dazu.

Turboraptor und Khanivore umkreisten sich, testeten ihre Geschwindigkeit und Reflexe. Ich schlug mit zwei Tentakeln nach Turboraptors Beinen aus, um sie zu umschlingen. Und war beeindruckt, wie schnell er mit seinen Stummelbeinen auswich. Im Gegenzug kam seine Raubvogelklaue dem Ansatz eines meiner Tentakel gefährlich nahe. Ich hatte nicht den Eindruck, als könnte sie es durchtrennen, doch ich würde aufpassen müssen.

Die Umkreisungen endeten. Wir ließen unsere Tierchen langsam von einer Seite zur anderen schwanken, während wir angespannt darauf warteten, dass einer von uns einen Zug machte oder einen Angriff startete. Simon verlor als Erster die Geduld. Er jagte Turboraptor auf mich zu, während der Knochenarm zu einem gewaltigen Schlag ausholte. Ich ließ Khanivore auf einem Fuß zur Seite tänzeln und peitschte mit den Tentakeln, um meinen Schwung zu verstärken. Turboraptor schoss vorbei, und ich erwischte ihn mit einem Tentakel am Hinterkopf. Er krachte in die Wand der Grube. Khanivore gewann seinen festen Halt zurück und folgte ihm. Ich wollte Turboraptor dort festnageln, während ich ihn mit Schlägen eindeckte, die er würde hinnehmen müssen. Doch seine beiden Arme kamen nach hinten – der Bastard besaß dreihundertsechzig Grad Bewegungsradius. Er bekam eine meiner Tentakelspitzen mit seiner Raubvogelklaue zu packen. Ich brachte weitere Tentakel hoch, um den Schlag seiner Knochenfaust abzufangen, während ich gleichzeitig das gefangene Tentakel verdrehte. Turboraptors Schlag verfing sich in einem federnden Gewimmel aus Tentakeln, die den Aufprall dämpften. Wir stolperten auseinander.

Die Spitze meines Tentakels lag auf dem Boden; es zuckte wie eine Schlange unter Strom. Ich empfand keinen Schmerz, dazu waren Khanivores Nerven nicht ausgelegt. Eine kleine rote Blutfontäne spritzte aus dem abgetrennten Ende. Er versiegte, als die Bioware-Prozessoren die Arterie schlossen.

Die Menge war auf den Beinen. Die einen heulten triumphierend, die anderen schrien nach Vergeltung. Banner wedelten, Arme winkten, und das Hallendach vibrierte. Alles weit weg.

Turboraptor wich hastig zur Seite aus und weg von der gefährlichen Grubenwand. Ich ließ ihn gehen, während ich ihn aufmerksam musterte. Eine der Klauen schien ausgerenkt zu sein; sie bewegte sich nicht, als sich die beiden anderen schlossen.

Wir gingen erneut aufeinander los und trafen uns in der Mitte der Arena. Diesmal wurde getreten und gestoßen. Die Schläge von Armen und Tentakeln verpufften wirkungslos an gepanzerten Flanken, solange wir so dicht beieinander kämpften. Dann gelang es mir, Khanivores Kopf weit genug herum zu biegen, dass ich mit seinem Maul Turboraptors Schulter zu fassen bekam. Nadelspitze Zähne senkten sich in seine purpurnen Schuppen. Blut sickerte aus den Stellen, wo ich seinen Panzer durchbrochen hatte.

Turboraptors Vogelklaue begann, nach Khanivores Kopf zu schlagen. Simon benutzte die tote Klaue wie einen Dosenöffner und meißelte sich einen Weg in die Höhlen, in denen Khanivores Sinnesorgane lagen. Ich verlor zwei Retinas und ein Ohr, bevor ich bemerkte, dass mein Manöver mir nichts einbringen würde. Khanivores Maul hatte so viel Schaden angerichtet wie möglich; es würde sich nicht noch weiter schließen. Ich ließ los, und wir taumelten voneinander weg.

Turboraptor wich zwei Schritte zurück und griff erneut an. Ich war nicht schnell genug. Der Vorschlaghammer von Knochenfaust traf Khanivores Torso voll. Ich ging hastig rückwärts, um die Wucht des Schlages aufzufangen und nicht zu fallen, und prallte gegen die Grubenwand.

Die Bioware-Prozessoren sandten blinkende Statusanzeigen in mein Bewusstsein. Orangefarbene Diagramme legten sich über mein Sichtfeld und lieferten detaillierte Schadensmeldungen. Turboraptors Faust hatte die Mittelsektion von Khanivores Exoskelett geschwächt. Wahrscheinlich würde er noch einen oder zwei derartige Schläge vertragen, aber definitiv nicht mehr als drei.

Ich schlug mit zwei Tentakeln um mich. Eins wickelte sich um Turboraptors Knochenfaust. Das zweite packte das obere Segment des gleichen Arms. Eine Fessel, der er nicht mehr entkommen konnte.

Ich feuerte einen Befehl in den entsprechenden Kontrollprozessor, den Griff aufrechtzuerhalten. Fünf obere Gliedmaßen gleichzeitig zu kontrollieren ist für ein menschliches Gehirn unmöglich. Wir besitzen nicht die entsprechende neurologische Programmierung. Das ist auch der Grund, warum die meisten Tierchen streng hominid sind. Ich war keine Ausnahme; ich konnte nie mehr als zwei Tentakel Khanivores gleichzeitig manipulieren. Doch einen so einfachen Befehl wie einen Griff aufrechtzuerhalten konnten die Prozessoren durchaus befolgen, während ich zu einem anderen Tentakelpaar wechselte.

Turboraptors Raubvogelklaue bog sich herum in dem Versuch, das Tentakel durchzuschneiden, das seinen Arm hielt. Ich jagte zwei weitere Tentakel vor, um ihn zu packen, womit mir das fünfte blieb, um den Kampf für mich zu entscheiden.

Ich ließ es gerade nach vorn schnellen und stellte mir bereits vor, wie ich damit Turboraptors Hals brechen würde, als Simon ein Ass aus dem Ärmel zog. Die obere Hälfte des Klauenarms zog sich zurück. Im ersten Augenblick dachte ich, Khanivores optische Sensoren spielten verrückt. Der Griff meiner Tentakel war eisenhart; der Arm konnte sich unmöglich bewegen.

Es gab ein nasses reißendes Geräusch und eine kleine Blutfontäne. Die Tentakel waren weiter um die drei unteren Armsegmente geschlungen, doch das oberste davon entpuppte sich als Scheide für ein fünfzig Zentimeter langes Knochenschwert.

Simon zielte damit auf Khanivores Torso, auf die Stelle, wo das Exoskelett bereits geschwächt war. Furcht brandete in mir auf, ein Stimulans, das stärker wirkt als jedes Adrenalin oder Amphetamin, und beschleunigte meine Gedanken auf Lichtgeschwindigkeit. Der Selbsterhaltungstrieb überflügelte jede Zurückhaltung, und ich peitschte das fünfte Tentakel nach unten, im vollen Bewusstsein, dass es abgeschlagen werden würde, ohne dass es mir etwas ausgemacht hätte. Mir war jedes Mittel recht, um diesen mörderischen Angriff abzuwehren.

Das Tentakel traf die Knochenklinge von oben, und der Aufprall hätte es fast durchtrennt. Blut spritzte in hohem Bogen hervor und über Turboraptors Brust wie eine rote Farbbombe. Doch die Klinge war abgelenkt, ging nach unten und bohrte ein Loch in das Exoskelett von Khanivores rechtem Bein. Sie drang so tief ein, dass ich auf dem graphischen Display sehen konnte, wo die Spitze die andere Seite berührte. Simon drehte die Klinge in der Wunde herum und schwächte die Muskeln im Innern des Exoskeletts. Weitere Graphiken flackerten auf und meldeten durchtrennte Nervenstränge, durchschnittene Sehnen und sich schließende Arterienventile. Das Bein war mehr oder weniger nutzlos geworden.

Ich schleuderte unterdessen bereits die drei abgerissenen Segmente von Turboraptors Arm von mir. Eines der frei gewordenen Tentakel wand sich um das Heft des Knochenschwerts und zog sich zusammen, so fest es ging, bis die Klinge sich nicht mehr bewegen konnte. Sie steckte noch immer in meinem Bein, doch sie konnte keinen weiteren Schaden mehr anrichten. Unsere Leiber waren ineinander verkeilt. Kein Winden und Schütteln Turboraptors konnte daran noch etwas ändern.

Mit einer beinahe liebevollen Sorgfalt wand ich mein letztes Tentakel im Uhrzeigersinn um Turboraptors Kopf, immer darauf bedacht, seinen schnappenden Kiefern auszuweichen. Die Spitze des Tentakels bildete einen starken Knoten um die Basis eines seiner Hörner.

Simon musste erkannt haben, was ich vorhatte. Turboraptors Beine scharrten wie wahnsinnig über den Boden der Arena, als er sich verzweifelt bemühte, uns beide aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Ich begann mit dem Tentakel zu ziehen, es wieder einzuholen. Turboraptors Kopf drehte sich mit. Er kämpfte verbissen um jeden Zentimeter, und unter den Schuppen drohten die Muskelstränge zu reißen. Es war vergebens.

Die Rotation war unerbittlich. Neunzig Grad, und ominöse platzende Geräusche kamen aus dem Stummelhals. Einhundert Grad, und die violetten Schuppen überlappten nicht mehr. Einhundertzehn Grad, und die Haut begann zu reißen. Einhundertzwanzig, und das Genick brach mit einem pistolenschussartigen Knall.

Mein Tentakel drehte den Kopf weiter und weiter, bis er abriss, und schleuderte ihn triumphierend in die Luft. Er landete in einer Pfütze meines eigenen Blutes und schlitterte über den Polyp, bis er unterhalb Simons gegen die Wand prallte. Simon saß verkrümmt auf der Kante seines Stuhls, hielt sich die Brust und zitterte heftig. Sein Tattoo leuchtete so hell, als würde es sich in seine Haut einbrennen. Simons Teamgefährten stürzten herbei, um ihm zu helfen.

Erst da öffnete ich meine eigenen Augen, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Turboraptors enthaupteter Rumpf zu Boden stürzte. Die Menge war auf den Beinen und tanzte. Die gesamte Tribüne erzitterte, und sie brüllten meinen Namen! Meinen Namen! Winzige Partikel aus feuchtem Rost von den Dachpaneelen schneiten überall in der Arena zu Boden.

Ich stand auf und hob beide Arme, um mich für den Applaus und die verdiente Beweihräucherung zu bedanken. Die Küsse des Teams brannten auf meinen Wangen. Achtzehn. Achtzehn Siege in Folge.

Nur eine Gestalt saß reglos inmitten der ausgelassen jubelnden Menge. Dicko, in der vordersten Reihe, das Kinn auf den silbernen Knauf seines Gehstocks gestützt, starrte düster auf den zerfetzten Leichnam, der zu Khanivores Füßen lag.

Drei Stunden später, und die Diskussion drehte sich noch immer um Turboraptors verstecktes Schwert. Hatte er die Regeln gebeugt? Sollten wir etwas Ähnliches entwickeln? Welche Taktik funktionierte am besten dagegen?

Ich trank aus einem langstieligen Glas meinen Ruddles und überließ den anderen das Reden. Wir waren in einem Pub namens The Latchmere gelandet, dem In-Laden der hiesigen Gegend, mit einer Art Theater im oberen Geschoss. Immer wieder gingen kosmisch merkwürdige Gäste nach oben und blieben verschwunden. Gott allein weiß, was gespielt wurde. Von meinem Platz aus, zusammengesunken an einem Tisch am Ende des Tresens, konnte ich vielleicht fünfzehn Leute sehen, die sich lustlos über die Tanzfläche bewegten. Aus der Jukebox kam irgendein merkwürdiger akustischer Metal-Track indischer Färbung.

Unser Tisch wurde von sechs Fans hofiert, mit glitzernden Augen, weil sie ihren Idolen so nah sein konnten. Wäre ich nicht noch high gewesen von meinem Sieg, ich hätte mich richtig verlegen gefühlt. Es gab Bier in Strömen und jede Menge Meeresfrüchte, dank einem einheimischen Händler, der in der Arena gewesen war und sich jetzt mit seiner schmollmundigen Mistress an der Bar unter das Designervolk mischte.

Das Mädchen mit dem gelben Kleid betrat die Bar. Sie war allein. Ich beobachtete, wie sie und eine Kellnerin die Köpfe zusammensteckten und ein paar verstohlene Worte wechselten, während ihre gehetzten Augen das Lokal absuchten. Dann wanderte sie zur Jukebox hinüber.

Sie starrte noch immer mit leerem Blick auf die Titelauswahl, als ich mich eine Minute später zu ihr gesellte.

»Hat er dich geschlagen?«, fragte ich.

Sie drehte sich um und zuckte zusammen. Ihre Augen waren rotgerändert. »Nein«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme.

»Wird er dich schlagen?«

Sie schüttelte stumm den Kopf und sah zu Boden.

Jennifer. So lautete ihr Name. Sie verriet ihn mir, als wir zusammen in die glühend heiße Nacht hinaus spazierten. Lüsterne Blicke folgten uns, und Karran hielt den Daumen hoch.

Draußen nieselte es. Die winzigen Tropfen verdampften beinahe im gleichen Augenblick, da sie auf dem Boden auftrafen. Warmer Nebel funkelte in den Holoreklamen, die sich wie Regenbögen über die Straße spannten. Ein Team von Servitor-Schimps kehrte die Wege, und ihre goldenen Pelze glänzten dunkel vor Nässe.

Ich führte Jennifer zum Fluss hinunter, wo wir unsere Wagen geparkt hatten. Die Roadies der Arena waren zwar cool geblieben nach dem Kampf, doch keiner von uns hatte besondere Lust auf das Risiko verspürt, die Nacht in Dickos Hof zu verbringen.

Jennifer fuhr sich mit den Händen über die nackten Arme. Ich legte ihr meine Lederjacke über die Schultern, und sie zog sie dankbar über ihrer Brust zusammen.

»Ich würde sie dir ja schenken«, sagte ich, »aber, ich denke nicht, dass er es gutheißen würde.« Auf dem Rücken prangte stolz der genietete Schriftzug Sonnie᾿s Predators.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem kaum merklichen Lächeln. »Ja. Er kauft meine Sachen. Er mag es nicht, wenn ich etwas anziehe, das nicht feminin genug ist.«

»Schon mal daran gedacht, ihn zu verlassen?«

»Manchmal. Ständig. Aber es würde sich nichts ändern, höchstens das Gesicht. Ich bin, was ich bin. Er ist nicht wirklich schlecht. Außer heute Nacht, und das ist morgen früh wieder vorbei.«

»Du könntest mit uns kommen.« Ich sah mich bereits mit den anderen darüber streiten.

Sie blieb stehen und blickte sehnsüchtig auf den schwarzen Fluss hinaus. Der M500 zog sich hoch oben darüber hin, ein geschwungenes Band aus Stahl auf einer Reihe schlanker Streben, die sich aus der Mitte des schlammigen Flussbetts erhoben. Scheinwerfer und Rücklichter vom Verkehr bildeten eine beständige rosafarbene Korona, eine schäumende Bugwelle aus Licht, die geradewegs aus der Stadt hinaus führte.

»Ich bin nicht wie du«, sagte Jennifer. »Ich beneide dich, und ich habe Respekt vor dir. Ich habe sogar ein wenig Angst vor dir. Aber ich werde niemals sein wie du.« Sie lächelte zögernd. Das erste echte Lächeln, das ich auf ihrem Gesicht zu sehen bekam. »Heute Nacht. Mehr nicht. Es wird reichen.«

Ich verstand. Es war kein Zufall, dass sie im Pub aufgetaucht war. Es war eine Trotzhandlung. Eine, von der er niemals erfahren würde. Doch das tat der Sache nicht den geringsten Abbruch.

Ich öffnete die kleine Tür im Heck des Zehnachsers und führte sie nach drinnen. Khanivores Lebenserhaltungstank leuchtete im Halbdunkel silbern wie das Mondlicht, und die Hilfsmodule arbeiteten mit leise glucksenden Lauten. Wir bahnten uns einen Weg vorbei an den grauen, monoton summenden Maschinen. Das winzige Büro auf der anderen Seite war leiser. Die Standby-LEDs an den Computern schimmerten schwach und beleuchteten das Schlafsofa gegenüber den Schreibtischen.

Jennifer stand in der Mitte des Gangs und ließ die Jacke von den Schultern gleiten. Ihre Hände fuhren in einer sanften, suchenden Geste über meine Rippen nach oben, über meine Brüste, meinen Hals und noch höher hinauf. Ihre Fingerspitzen waren kühl, ihre Nägel lang und rot lackiert. Ihre Handflächen verharrten auf meinen Wangen, die Finger lagen zwischen Ohrläppchen und Stirn gespreizt.

»Du hast Dicko sehr, sehr böse gemacht«, murmelte sie heiser.

Jennifers Atem fühlte sich warm und weich an auf meinen Lippen.

Und dann explodierte in meinem Schädel der Schmerz.

 

Meine hoch empfindlichen Netzhautimplantate schalteten auf geringen Lichteinfall und verbannten sämtliche Schatten, als wir uns am Lebenserhaltungstank des Monsters vorbei einen Weg in den hinteren Teil des Lasters bahnten. Die Welt verwandelte sich in ein Meer aus Blau und Grau mit scharfen Umrissen. Ich befand mich im Allerheiligsten eines Technophilen; der Boden war übersät mit kilometerlangen Kabeln und Schläuchen, die Wände waren bedeckt von Maschinerie mit kleinen leuchtenden LEDs. Sonnies Atem beschleunigte sich, als wir das kleine Abteil am anderen Ende erreichten. Geiles Miststück. Wahrscheinlich brachte sie all ihre One-Night-Stands hierhin.

Ich ließ die Jacke von den Schultern gleiten und streckte die Hände nach ihr aus. Sie sah aus wie in der ersten Nacht ihrer Flitterwochen.

Als meine Hände dort waren, wo ich sie haben wollte, mit den Fingerspitzen an ihren Schläfen, sagte ich: »Du hast Dicko sehr, sehr böse gemacht.« Und dann gab ich es ihr. Aus jeder Fingerspitze schoss eine fünf Zentimeter lange Titanspitze, herausgetrieben von einem Magpuls. Sie durchbohrten glatt ihren Schädelknochen und drangen in das Gehirn dahinter ein.

Sonnie zuckte konvulsivisch. Ihre Zunge kam hervor, und auf ihrem Gesicht zeigte sich ein Anflug von entsetztem Unverständnis. Ich riss meine Hände zurück. Das Metall glitt sauber aus den Löchern in ihrem Kopf. Sie sackte mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Ihr Körper zuckte noch sekundenlang, bevor sie endlich still lag. Tot.

Ihr Kopf ruhte in seltsamem Winkel am Fuß des Sofas, auf dem sie es mit mir hatte treiben wollen. Die Augen standen offen. Aus den acht winzigen Löchern in den Schläfen tropfte nicht wenig Blut.

»Glaubst du immer noch, dass es die Sache wert war?«, fragte ich leise. Ich musste die Frage stellen. Auf ihrem Gesicht hatte sich der verständnislose Ausdruck der letzten Sekunden erhalten, voller Trauer und Unschuld. »So ein dummer, dummer Stolz. Sieh nur, wohin er dich gebracht hat. Einmal umfallen, mehr wollten wir gar nicht. Warum begreift ihr es immer erst, wenn es zu spät ist?«

Ich schüttelte die Hände und verzog das Gesicht, als die Spitzen sich langsam in ihre Scheiden zurückzogen. Es brannte höllisch, und die Haut meiner Fingerspitzen war zerfetzt und durchbohrt. Es würde eine ganze Woche dauern, bis alles wieder verheilt war. So lange dauerte es immer. Das war der Preis, den man für unsichtbare Implantate zu zahlen hatte.

»Hübscher Trick«, sagte Sonnie.

Die Silben klangen verzerrt, doch die Worte waren deutlich. »Ich hätte nie geglaubt, dass du eine Spetsnaz bist. Du bist viel zu hübsch.«

Ein Augapfel richtete sich auf mich, der andere rührte sich nicht, und das Weiße war befleckt vom Blut aus geplatzten Kapillaren.

Ich stieß einen unterdrückten Schreckensschrei aus. Elektrische Ladungen jagten durch meine Nervenbahnen, und meine antrainierten Reflexe gegen Bedrohungen übernahmen das Kommando. Ich duckte mich, warf mich nach vorn mit meinem ganzen Gewicht, während ich die Faust ballte und ausholte. Zielte.

Zuschlug.

Mein rechter Arm schoss so schnell nach vorn, dass selbst ich ihn nur verschwommen wahrnahm. Ich traf sie perfekt, schlug das Fettgewebe ihrer Brust zu Brei, zerschmetterte die Rippen darunter. Zersplitterte Knochen wurden nach innen getrieben und punktierten ihr Herz. Ihr Körper bog sich nach oben, als hätte ich ihr eine Ladung mit einem Defibrillator verpasst.

»Das war leider nicht gut genug, meine süße kleine Spetsnaz.« Blut sickerte aus ihrem Mundwinkel und über ihr Kinn.

»Nein!«, stieß ich heiser hervor. Ich konnte nicht glauben, was ich sah.

»Du hättest es wirklich erkennen müssen«, sagte die Leiche/der Zombie. Seine Worte waren zu einem gurgelnden Flüstern geworden. Er atmete flach, jeder Atemzug reichte für eine oder zwei Silben. »Du von allen Leuten hättest wirklich wissen müssen, dass Hass allein nicht reicht, um mir den Bonus zu verschaffen. Du hättest dahinter kommen müssen.«

»Wer oder was bist du, verdammte Scheiße!«

»Ich bin eine Hetzerin. Die beste, die es je gegeben hat.«

»Das sagt mir nichts.«

Sonnie stieß ein Lachen hervor. Es war ein verdammt böses Lachen.

»Sollte es aber«, gurgelte sie. »Denk drüber nach. Hass aufzubauen ist nicht schwierig; wenn Hass reichen würde, wären wir alle Sieger. Dicko hat geglaubt, dass mein Motiv Hass ist, weil er es glauben wollte. Männlicher Chauvinismus. Konntest du seine überschäumenden Hormone nicht riechen, als ich ihm erzählt habe, ich sei vergewaltigt worden? Das konnte er nachvollziehen; es ergab in seinen Augen einen Sinn. Aber es braucht mehr als blinden Hass, mein süßes Spetsnaz-Girl. Eine ganze Menge mehr. Es braucht Angst. Richtige Angst. Das ist es, was mein Team mir gegeben hat: Die Fähigkeit zur Angst. Ich bin niemals von irgendeiner beschissenen Gang vergewaltigt worden. Ich hatte einen Unfall mit unserem Wagen. Ein dummes Mädchen, das einen Sieg mit zu viel Alkohol gefeiert hat. Jedenfalls, es hat mich ziemlich übel erwischt. Jacob und Karran mussten mich in unseren Lebenserhaltungstank stecken, während sie mich Stück für Stück wieder zusammengeflickt haben. Dabei fanden wir es heraus. Den Bonus.« Ihre Stimme war kaum noch zu hören, wurde schwächer und schwächer, wie ein langsam ausgeblendeter Track.

Ich beugte mich vor und studierte ihr friedliches Gesicht. Ihr einzelnes funktionierendes Auge erwiderte meinen Blick. Das Blut hatte längst aufgehört, aus den Löchern in ihren Schläfen zu sickern.

»Du bist gar nicht da drin!«, stellte ich verwundert fest.

»Nein, bin ich nicht. Nicht mein Gehirn jedenfalls. Nur ein paar Bioware-Prozessoren, die mit meinem Rückenmark verbunden sind. Mein Gehirn ist woanders. Dort, wo es einhundert Prozent richtige Angst empfinden kann. Genug Angst, um mich wie einen Berserker kämpfen zu lassen, wenn ich bedroht werde. Möchtest du wissen, wo mein Gehirn ist, süßes Spetsnaz-Girl? Möchtest du es wissen? Dreh dich einfach um.«

Ein metallisches Klang.

Ich wirbele herum. Meine Nerven sind immer noch aufgepeitscht, und ich gehe automatisch in eine Verteidigungshaltung, bereit für alles. Es ist sinnlos. Es ist so verdammt beschissen sinnlos.

Khanivore klettert aus seinem Lebenserhaltungstank.

Chronologie

2075 Die JSKP germiniert Eden, ein BiTek-Habitat im Orbit um den Jupiter mit dem Status eines UN-Protektorats.

2077 Auf dem New Kong Asteroiden beginnt ein Forschungsprojekt zur Entwicklung überlichtschneller Antriebe.

2085 Eden wird zur Besiedlung freigegeben.

2086 Das Habitat Pallas wird im Orbit um den Jupiter germiniert.

Jupiter

2090

Die Zweite Chance

(A Second Chance at Eden)

Die Ithilien verzögerte mit konstant einem zwanzigstel g in den Jupiter-Orbit und ermöglichte uns einen spektakulären Ausblick auf die gigantischen Sturmbänder, während wir der dunklen Seite entgegenkurvten. Doch das ist eine unzutreffende Bezeichnung; in den Wolken des Jupiter gibt es keine wirkliche Dunkelheit. Gigantische Blitze zuckten zwischen ozeangroßen Spiralen aus gefrorenem Ammoniak hin und her, die jedes irdische Gewitter zu einem lauen Lüftchen verblassen ließen. Es war überwältigend, wunderschön und gewaltig.

Nachdem die Ithilien in ihren Orbit fünfhunderttausend Kilometer über dem Jupiter eingeschwenkt war, musste ich die Zwillinge in der Observationskanzel allein lassen. Bis zu unserem Rendezvous mit Eden würden noch weitere fünf Stunden vergehen; wir mussten nicht nur die Orbits angleichen, sondern auch die viel zu hohe Inklination, mit der wir uns dem Habitat näherten. Captain Saldana war ein kompetenter Pilot, nichtsdestotrotz bedeutete es fünf Stunden kleiner Antriebsstöße, niedriger Schwingungen und ständig wechselnder Beschleunigung. Ich verbrachte die Zeit festgeschnallt auf meiner Liege, schluckte Pillen gegen Übelkeit und bemühte mich ansonsten, die Manöver der Ithilien nicht mit einem Schiff auf unruhiger See zu vergleichen. Es würde bestimmt keinen guten Eindruck hinterlassen, wenn ich meinen neuen Posten seekrank antrat und unfähig, das Mittagessen bei mir zu behalten. Sicherheitsleute haben unerschütterlich zu sein, aus Granit gemeißelt oder irgend so ein Unsinn.

Der Kabinenbildschirm schaltete durch die Außenkameras. Da wir uns immer noch im Halbschatten befanden, lieferten die elektronischen Kameras ein besseres Bild von der Annäherung, als ich es mit bloßem Auge in der Observationskanzel gehabt hätte.

Eden war ein rostbrauner Zylinder mit halbkugelförmigen Endkappen, acht Kilometer lang, zweitausendachthundert Meter im Durchmesser. Doch es war erst 2075 germiniert worden, vor fünfzehn Jahren. Ich hatte mich während des Herflugs vom irdischen O᾿Neill-Halo mit Pieter Zernov unterhalten. Zernov gehörte zu dem Team von Genetikern, die im Auftrag der Jovian Sky Power Corporation die Habitate entwickelt hatten, und er hatte gemeint, dass ihren Berechnungen zufolge Eden frühestens bei einer Länge von elf Kilometern ausgewachsen sei.

Das Habitat war mit den Endkappen in Nord-Süd-Richtung orientiert, es ›rollte‹ also durch seihen Orbit. Die Polypschale war glatt und sah mehr nach einem synthetischen Artefakt aus als nach irgendetwas Organischem. Natürliche Biologie war nicht so ordentlich. Der einzige Bruch in der allumfassenden Symmetrie Edens, den ich erkennen konnte, waren die beiden Ringe aus zwiebelförmigen Knoten, die an den Rändern der beiden Endkappen aus dem Polyp ragten. Es waren spezielle Spinndrüsen, die organische Leiterfasern produzierten. Es gab Hunderte von Leiterfasern, achtzig Kilometer lang, die vom Habitat nach draußen ragten wie die Speichen einer Fahrradfelge. Die Fliehkraft sorgte dafür, dass sie in ihrer perfekten tangentialen Lage blieben. Es handelte sich um ein Induktionssystem; die Fasern tauchten in Jupiters titanische Magnetosphäre ein und erzeugten auf diese Weise genügend Energie für die Funktionsfähigkeit sämtlicher Organe des Habitats sowie die Beleuchtung und Beheizung des Innenraums.

»Ziemlich beeindruckend, nicht wahr?«, sagte ich, als das Habitat den Schirm immer mehr ausfüllte.

Jocelyn grunzte unverbindlich und drehte sich unter dem Sicherheitsnetz ihrer Liege herum. Wir hatten im Verlauf der letzten vierundzwanzig Stunden keine hundert Worte miteinander gewechselt. Nicht gut. Ich hatte gehofft, dass der Anblick des Habitats die Stimmung ein wenig heben würde, einen Funken von Interesse bei ihr erwecken. Vor zwanzig Jahren, als wir heirateten, hätte Jocelyn dieser Versetzung mit grenzenloser Aufregung und Begeisterung entgegengefiebert. Das war es gewesen, was mich so an ihr gefesselt hatte, ihre Neugier auf die Welt und alles, was sie zu bieten hatte. Doch in zwanzig Jahren kann eine Menge geschehen, und das meiste davon so unmerklich, dass es einem erst bewusst wird, wenn es zu spät ist.

Manchmal frage ich mich, welche Eigenschaften und Faibles ich im Lauf der Jahre verloren und welche Angewohnheiten ich meiner Persönlichkeit hinzugefügt habe. Ich mag es, mich als den gleichen Menschen wie damals zu sehen, ein gutes Stück weiser, aber immer noch gutmütig. Wem geht das nicht so?

Eden besaß eine lange silberne Andockspindel, die aus der Nabe seiner nördlichen Endkappe ragte und gegenläufig zum Habitat rotierte. Die Ithilien war zu groß, um direkt anzudocken; das Schiff bestand im Grunde genommen aus einer Gerüstkonstruktion, die an den Eiffelturm erinnerte und den langen Konus des Fusionsantriebs umhüllte. Tanks und Frachtcontainer klebten an der Konstruktion wie kleine silberne Kletten. Die Lebenserhaltungskapsel befand sich am Bug, eine sechzig Meter durchmessende Kugel, aus der Wärmetauscherpaneele ragten wie die Flügel einer robotischen Libelle. Vor der Lebenserhaltungskapsel und in einem eigens dazu angefertigten Gestell ruhte der Same für ein weiteres Habitat, Ararat, das dritte im Orbit um den Jupiter. Es war ein massiver Klumpen Biotechnologie in Tropfenform, einhundert Meter lang und eingehüllt in dicke Schichten thermokinetischen Schaums. Die Masse von Ararats Samen war der Grund dafür, dass die Ithilien so träge manövrierte. Captain Saldana positionierte das Schiff zwei Kilometer oberhalb der Spindelspitze und hielt es dort. Ein Geschwader von Fähren und Frachtschleppern schwärmte von der Spindel zu uns herüber. Ich machte mich daran, unsere Reisesäcke aus den Spinden zu zerren; nach einer Minute bewegte sich Jocelyn endlich und half mir dabei.

»Es wird bestimmt gar nicht so übel«, sagte ich. »Das sind gute Leute.«

Ihre Lippen wurden zu einem grimmigen Strich. »Es sind gottlose Leute. Wir hätten nicht herkommen dürfen.«

»Schön, aber jetzt sind wir nun einmal hier. Lass uns doch versuchen, das Beste daraus zu machen, ja? Es sind nur fünf Jahre. Und du solltest wirklich nicht so vorschnell urteilen.«

»Das Wort der Päpstin reicht mir.«

Womit alles meine Schuld war, wie immer. Ich öffnete den Mund zu einer Antwort, doch zum Glück schwebten die Zwillinge in die Kabine und schnatterten fröhlich über die Annäherungsphase. Wie immer errichteten wir hastig unsere Fassade. Alles in Ordnung. Kein Streit. Mum und Dad sind glücklich.

Meine Güte, warum machen wir das?

Der röhrenförmige Korridor, der durch das Zentrum von Edens Andockspindel verlief, endete in einer großen Halle unmittelbar vor dem großen rotierenden Drucksiegel. Es war eine große, in den Polyp eingelassene Blase mit sechs mechanischen Luftschleusen, die in gleichen Abständen über den Äquator verteilt waren. Ein Bildschirm über einer der Schleusen signalisierte den Ankömmlingen von Bord der Ithilien, und wir glitten gehorsam hindurch. Der Tunnel dahinter senkte sich überraschend steil nach unten. Ich schwebte nahezu dreißig Meter hinab, bevor ich die ersten Zentrifugalkräfte spürte. Vielleicht ein Fünfzehntel g, gerade ausreichend, um mir einen gleitenden Gang zu ermöglichen.

Am anderen Ende des Tunnels erwartete uns ein Einreiseschalter. Zwei Polizeibeamte in schicken grünen Uniformen standen dahinter. Und ich meine schick: Makellos, gebügelt, mit perfektem Sitz. Ich grinste freundlich, während die erste der beiden meinen Pass entgegennahm und ihn mit ihrem handtellergroßen PNC-Wafer scannte. Sie versteifte sich leicht und verzog das Gesicht zu einem nichts sagenden höflichen Lächeln. »Chief Parfitt. Willkommen auf Eden, Sir.«

»Danke sehr«, antwortete ich und fügte nach einem kurzen Blick auf ihr Namensschild hinzu: »Officer Nyberg.«

Jocelyn funkelte sie feindselig an, was bei Nyberg ein unmerkliches Stirnrunzeln erzeugte. Das hatte mir noch gefehlt. Keine Stunde, und es war durch die gesamte Abteilung gelaufen wie ein Buschbrand. Die Frau des neuen Chefs ist eine Nervensäge. Großartig.

Hinter dem Einreiseschalter erwartete uns eine Standseilbahn. Die Zwillinge stürzten ungeduldig hinein. Und endlich erblickte ich das Innere Edens. Wir sanken unter die Plattform und in ein weißes Leuchten. Nicolettes Gesicht zeigte ein hübsches, ungläubiges Lächeln, während sie sich die Nase an der Scheibe plattdrückte. Einen Augenblick lang erinnerte ich mich, wie ihre Mutter ausgesehen hatte, damals, als sie noch gelächelt hatte … ich muss mir diese Vergleiche abgewöhnen.

»Dad, es ist wunderschön!«, sagte sie.

Ich legte meinen Arm um sie und Nathaniel und genoss den Augenblick. Glauben Sie mir, es geschieht wirklich selten genug, dass man etwas mit seinen fünfzehnjährigen Kindern gemeinsam hat. »Ja. Es ist überwältigend.« Die Zwillinge hatten keine große Lust verspürt, mit mir nach Eden zu kommen. Nathaniel hatte seine Schule in der Londoner Arkologie der Delph-Company nicht verlassen wollen. Nicolette hatte einen Freund auf der Erde zurückgelassen, die Liebe ihres Lebens, und sie war fest überzeugt, dass es ihre Bestimmung war, ihn zu heiraten. Doch in diesem kurzen Augenblick waren beide vom Anblick des Habitats überwältigt. Genau wie ich.

Das Zyklorama zeigte eine tropische Parklandschaft, üppiges smaragdfarbenes Gras mit zufällig verteilten kleinen Hainen. Silberne Bäche mäanderten durch flache Täler und hin zu dem großen umlaufenden See, der die Basis der südlichen Endkappe umringte. Jede Pflanze schien zu blühen. Vögel sausten durch die Luft, winzige Punkte, die in allen Farben schillerten.

Um den Rand der nördlichen Kappe herum zog sich eine Siedlung hin, hauptsächlich einstöckige Häuser aus Metall und Plastik, umgeben von kunstvoll gepflegten Gärten, dazwischen in unregelmäßigen Abständen das eine oder andere größere, öffentliche Gebäude. Ich sah massenhaft offene Jeeps herumfahren und Hunderte von Fahrrädern.