Zwischen zwei Leben II. Teil - C. F. Müller - E-Book

Zwischen zwei Leben II. Teil E-Book

C. F. Müller

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Beschreibung

II. Teil der Roman Biografie. Das Zusammenleben von Horst und Marga entwickelt sich für beide immer schwieriger, nimmt zerstörerische Züge an, kommt an die Grenze des Erträglichen. Sie will mit aller Macht ihren Status als Ehefrau behalten, nutzt jede Chance, ihn weiter an sich zu ketten. Er flüchtete sich immer wieder in leidenschaftliche Affären, versucht sein intensives Doppelleben zu beherrschen und den Schein zu wahren. Völlig überraschend und mit aller Wucht der Liebe, tritt eine junge, sexuell unerfahrene Frau in sein Leben und das Kartenhaus des "Teilzeit-Junggesellen" droht einzustürzen. Er treibt die Romanze auf die Spitze, möchte sehen, wie weit er gehen kann und ein grausamer Kompromiss droht. Er muss sich bald entscheiden, zwischen Verantwortung und größter Liebe seines Lebens. Das scheint für alle beteiligten zu klappen, wenn auch nur mit bittersüßer Lust. Horst fliegt weiter Frauen in Not zu Abtreibungskliniken. Aufgrund der nunmehr verschärften gesetzlichen Lage zum umstrittenen § 218StGB gerät er bald unter Verdacht der Mithilfe zu einer Straftat. Der Entzug seiner Piloten Lizenz droht, Marga manipuliert und ignoriert, verfolgt einen perfiden Plan und eine attraktive, jedoch verheiratete Frau, entpuppt sich als unersättliche und lustvolle Liebhaberin. Will sie den Absprung oder nur ein Abenteuer mit Horst? Oder will sie Rache für die Grausamkeiten der Vergangenheit? Ab sofort bedrohen gefährliche Vorkommnisse das Leben des Piloten. Steckt ein eifersüchtiger und gewalttätiger Ehemann hinter den Manipulationen an der Cessna? Horst will Klarheit und Ordnung in sein Leben bringen, alle Konflikte bereinigen und stellt Marga vor vollendete Tatsachen.

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Zwischen zwei Leben

…bis dass der Tod uns scheidet?

II. Teil

Urheberrechtlich geschütztes Material

C. F. Müller

c/o COCENTER Koppoldstr. 1 86551 Aichach

Umschlaggestaltung: C. F. Müller Urheberrechtlich geschützt

Innenteilgestaltung: C. F. Müller Urheberrechtlich geschützt

Herstellung: epubli ein Service der neopubli GmbH,

Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Deutsche Erstausgabe 2024

Es gibt Geschichten, die erzählt werden müssen,

um Klarheit zu schaffen. Klarheit für die Zukunft und auch für die Vergangenheit, um zu verstehen und um den zähen Nebel der Missverständnisse

und sämtlicher Manipulationen, mit dem Wind und der Sonne der Wahrheit zu vertreiben.

Menschen entscheiden annähernd immer für das Ego und gegen jede Vernunft. Doch wenn sie für die Vernunft entscheiden, bereit sind, sich selbst

zurück zu nehmen, um das Wohl anderer zu sichern, verdienen sie Respekt und Wertschätzung.Heute und auch für die Vergangenheit.

C. F. Müller

Dieser Roman beruht auf wahren Ereignissen. Einige Begebenheiten,Szenen, Namen, Protagonisten und Schauplätze sind zum Schutz von Personen verändert oder aus dramaturgischen Gründen fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Kapitel 01 Fünf Jahre späterKapitel 02 Die ultimative LösungKapitel 03 Allein und doch zu zweit?Kapitel 04 La cuisine françaiseKapitel 05 Ein Bub, es ist ein Bub!Kapitel 06 Anni

Kapitel 07 Flight with an angelKapitel 08 Rainer und die französische KücheKapitel 09 Himmel und HölleKapitel 10 Schmerzen und NarbenKapitel 11 Nightlife live

Kapitel 12 Vier Jahre sind vergangenKapitel 13 Barbara

Kapitel 14 Nordwinde

Kapitel 15 Keine Geheimnisse mehrKapitel 16 Conni

Kapitel 17 Der weiße FlokatiKapitel 18 Blaue Flecken

Kapitel 19 Einbrecher und InnsbruckKapitel 20 Ruth und die Einsicht

Kapitel 1

„...5 Jahre später“

Seit fünf Jahren leben wir als Familie zusammen. Bettina ist mein absoluter Sonnenschein. Jeden Tag kann ich es kaum erwarten, wenn ich nach Hause komme. Sie rennt mir entgegen und springt in meinen Arm, klammert sich an mich und ich bin unendlich froh, dieses wundervolle Mädchen zu haben. Meine Kleine stiehlt sich oft aus dem Haus, wenn sie mich auf dem Werksgelände entdeckt, dann versteckt sie sich, ruft »Papi, Papi! Wo bin ich?« und ich bekomme ein Küsschen, wenn ich sie gefunden habe. Ich bin nun Elektromeister und habe auch die Privat Piloten Lizenz. Von Zeit zu Zeit fliegen wir nach Oberfranken um die Familie zu besuchen. Bettina mag das gerne und hat sichtlich Spaß in der Luft; für Marga ist es allerdings ein Problem, sie fühlt nach wie vor große Angst und zeigt das auch offen. Ich hoffe nicht, dass diese Angst auf meine Tochter überschlägt. Marga bemüht sich zwar, jedoch scheint sie nicht unbedingt große Freude am Führen eines Haushalts zu haben. Auch das Kochen und Backen ist ihr eine Qual. Sie sieht jedoch keinen Grund einen Kurs zu machen und auch die Kochbücher, welche Hella ihr schenkte, verstauben in irgendwelchen Ecken. Sicher liebt Marga unser Kind und wird routinierter, je mehr Zeit vergeht, das ist offensichtlich. Jedoch die Beziehung zwischen uns ist angespannt, offen gesagt auf dem Nullpunkt. Wir teilen selten die gleiche Meinung und haben wenig Berührungspunkte; sie zeigt kein Verständnis, wenn ich mit meinen Kollegen Freizeit verbringe oder am Flugplatz bin. Marga ist eifersüchtig auf alles und jeden und je mehr sie mich versucht einzuschränken, desto mehr bleibe ich von zuhause fern.

Wir haben Sommer, die milden Abende locken die Menschen in Biergärten und zu den Seen. Am Wochenende feiert Greimharting sein allseits bekanntes Dorffest und einer unserer Mitarbeiter ist der Sohn des dortigen Gastwirts. Wie jedes Jahr bekommen wir eine freundliche Einladung, es wird eine Theateraufführung geben, die Goaßlschnalzer und Trachtler haben ihre Auftritte und in all’ den Jahren, ließ ich keines dieser Feste aus und ausnahmslos ging ich ohne meine Familie. Marga lehnte bisher immer ab, - es sei zu laut für das Kind, zu viele Menschen und sie kennt ja niemanden. Wie jedes Jahr, frage ich sie trotzdem, ob sie und die Kleine, mich begleiten werden. Bettinas Großmutter Charlotte läßt Jahr für Jahr ein maßgeschneidertes Dirndl für ihre Enkeltochter fertigen. Gestern erst kam das Paket an und das neue Dirndl ist ganz in rosa gehalten, sie sieht zuckersüß darin aus mit ihren strohblonden Haaren. Die stahlblauen Augen leuchteten, als sie sich im Kreis drehte, wie eine kleine Ballerina vor dem Spiegel in der Diele. »Gehst du dieses Jahr endlich mal mit? Die Kleine möchte so gerne zum Fest und es sind viele Kinder dort, denen ist es auch nicht zu laut« frage ich Marga. »Ich habe kein Dirndl! Das steht mir nicht! Ich war in Prien und habe welche anprobiert, aber ich kann mich nicht daran gewöhnen und ohne Dirndl fühle ich mich falsch am Platz.«

»Ernsthaft? Jede andere Frau hier, zieht ein Dirndl an. Das wirst du doch auch schaffen!« Energisch schüttelt sie den Kopf. »Nein! Mir passt das nicht gut. Das schnürt mir die Luft ab und ich habe auch keine Lust dazu!« antwortet sie forsch.

»Du jammerst mir bei jeder Gelegenheit die Ohren voll, dass du dich langweilst, nicht alleine sein möchtest und jetzt hast du die Chance, andere Leute kennen zu lernen und du willst wieder nicht?« hake ich nach. »Bleib’ doch auch da! Ich bin den ganzen Tag hier mit dem Kind alleine und du gehst früh ausser Haus und kommst spät heim, auch an den Wochenenden und wenn du mal da bist, sitzt du nur im Büro. Nichts unternehmen wir miteinander, seit Jahren nicht! Ich kenne hier doch niemanden, den Metzger und den Bäcker, die paar Nachbarn…das war es dann schon!« Ich atme kurz durch, um mich zu beruhigen. Das kostet Kraft, verlangt mir ab, was ich inzwischen nicht mehr bereit bin, zu geben.

»Marga, seit Jahren diskutieren wir das und du bist selbst schuld. Du kannst jeden Tag mit Bettina spazieren gehen im Ort, du siehst hier überall junge Mütter, mit denen du dich austauschen könntest. Es gibt den Simssee, keine 10 Minuten entfernt, da laufen die anderen doch auch hin, verbringen den Tag in der Natur, nehmen sich eine Brotzeit mit. Warum du nicht? Kinder spielen miteinander und schon ergeben sich Bekanntschaften. Was ist denn jetzt dein Problem?« »Das ist so weit! Ich mag nicht die ganze Strecke laufen und den Kinderwagen über den Weg zerren, bei der Hitze! Mir tun die Füße immer gleich weh. Außerdem kann ich nicht schwimmen. Was soll ich machen, wenn die Kleine ins Wasser läuft?«

»Bettina kann laufen, du musst sie nicht mehr in den Wagen stecken. Besorge ihr einen Schwimmring und dir gleich einen mit. Oder pflanze im Garten endlich was an. Erdbeeren oder irgendwas, was man ernten kann. Daran hätte Tina auch Freude, zu sehen, wie etwas wächst, es zu pflegen und dann wird ein Kuchen damit gebacken oder Marmelade daraus gemacht.«

Sie sieht mich verwundert an und tippt sich an die Stirn. »Bin doch nicht blöd, - mach’ mir so eine Arbeit, kann man doch alles kaufen!« Ich hätte es wissen müssen…und nun muss ich mich zurückhalten, nicht laut zu werden. »Weißt du was? Ich kann es nicht mehr hören. Dir ist wirklich nicht zu helfen. Mach’ was du willst, aber lass’ mir meine Ruhe. Ich werde heute Kunden treffen, das würde dich sowieso langweilen und wenn du dann mit einem langen Gesicht rumsitzt, hilft das niemanden weiter!«

Meine Tochter rennt zu mir und umarmt meine Beine. »Ist schon gut, Mädilein, ich bin nicht böse auf Mama, ich muss arbeiten gehen. Lauf’ in den Garten, pflück’ ein paar Blumen für den Tisch. Mama gibt dir eine Vase.«

Marga nimmt eines ihrer Roman Hefte und setzt sich demonstrativ auf das Sofa. Sie schmollt und schweigt, wie schon so oft und meine Tochter geht nach draußen. »Bitte achte auf die Kleine, ich will nicht, dass sie so nah am Weiher spielt. Du kannst ja auch auf der Terrasse lesen.«

Aber Marga schweigt, sieht nicht auf und ignoriert, wie immer. Tagelanges, demonstratives Schweigen ist ihre Art mich zu strafen. Jedoch sie weiß nicht, dass ich inzwischen froh über diese Stille bin. Auf dem Weg nach Greimharting, denke ich über die vergangenen Jahre nach. Meine Arbeit macht mir Freude, das Team ist eingespielt und fleissig, mein Chef mit mir zufrieden. Die Fliegerei im Alpengebiet ist sensationell, die Berge und Täler zu befliegen, im Winter wie im Sommer, ein absoluter Genuss. Meine Tochter wächst und gedeiht prächtig; sie hat nur zu wenig Kontakte zu gleichaltrigen Kindern, da Marga außer zum Einkaufen, nie ausser Haus geht. Sie sitzt lieber herum, vertieft in ihren Romanheftchen. Diese Trägheit und Ignoranz macht mir zu schaffen, diese Lustlosigkeit, das ständige Ausruhen von „was“ eigentlich? Im Moment ist es wieder richtig arg. Dieses endlose Jammern und Kritisieren war mal eine Zeit lang verschwunden, nun aber wieder in bester Stärke zurück.

Marga dachte, mit der Zeit kommt die Liebe, aber ich muss mir eingestehen, ich empfinde noch weniger für sie, als vor diesem Arrangement. Sie ist phlegmatisch, ist in die Breite gegangen und war sowieso nie mein Typ von Frau. Aber am meisten macht mir ihre Einstellung zu den normalsten Dingen des täglichen Zusammenlebens zu schaffen. Ich hatte in den letzten Jahren immer wieder ein paar kleine Affären, äußerst diskret, mehr oder weniger. Aber ich achtete immer darauf, Marga nicht zu verletzen. Ob sie die mitbekam, weiß ich nicht, - falls ja, ignoriert sie es vermutlich, wie vieles andere auch. Wir sind kein liebendes und normales Ehepaar. Nein, wir sind eher eine Zweckgemeinschaft und leben wie Bruder und Schwester zusammen, - fast.

Im Grunde weiß niemand, dass ich Frau und Kind habe und mein Chef und meine Kollegen tratschen nicht. Brüskieren möchte ich niemanden, jedoch mein Leben stellte ich mir anders vor. Es traf ein, was meine Mutter voraussagte, - komplett. Wenn Tina groß genug ist, werde ich mich scheiden lassen. In Greimharting angekommen, finde ich den Tisch meiner Kunden und gehe Punkt für Punkt die neuen Aufträge durch. Nach der Besprechung kommt das Vergnügen und ich bestelle uns Steckerlfisch und selbstverständlich lassen wir uns das kühle Rothmoser Festbier schmecken. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich so viele fesche Mädel und später werde ich mir ein bisschen Spass gönnen. Jede der Frauen trägt ein Dirndl, ob zart oder kräftig gebaut und eine jede sieht gut darin aus. Ich finde, so ein Dirndl unterstreicht die Weiblichkeit enorm und mir ist es ein Rätsel, warum Marga sich dagegen sträubt.

Weit nach Mitternacht komme ich zuhause an, öffne leise die Tür. Im Wohnzimmer brennt noch Licht und ich sehe sie sitzen.

»Schön, dass du endlich auch mal heimkommst! Ich habe auf dich gewartet. Wir sollten miteinander reden.« Ich bin mehr als überrascht und setze mich dazu. »Es tut mir leid, wir hätten dich begleiten sollen. Du hattest so recht. Tina wollte wirklich mit ihrem neuen Dirndl aufs Fest. Sie weinte und ich habe ihr versprochen, wir gehen bei nächster Gelegenheit zusammen.«

»Woher kommt diese Wandlung?« frage ich neugierig. Mit Tränen in den Augen sieht sie mich an. »Wir bekommen ein Kind. Ende November ist es da und ich wollte es dir erst sagen, wenn ich ganz sicher bin. Ich weiß es aber schon seit Tagen. Freust du dich?« fragt sie erwartungsfroh. Ich schlucke und mir fällt diese eine Nacht im Februar, nach der Raublinger Faschingsveranstaltung, ein. Marga warf mir vor, sie sehne sich nach Zärtlichkeit und ich rühre sie nie an. Ja, das stimmt, bis auf diese eine Ausnahme.

»Na, dann wird dir sicher nicht mehr langweilig! Mit zwei Kindern solltest du gut ausgelastet sein. Gute Nacht.«

Ich nehme meine Unterlagen vom Tisch und gehe nach oben. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Sie ist doch schon mit einem Kind überfordert. Wie soll das weitergehen? Morgen werde ich nach Vogtareuth fahren, ich muss in die Luft, ich brauche dringend Abstand von all’ dem und will die Berge mal wieder von oben sehen, hoffentlich kann ich dann wieder klar denken. Ausserdem fliege ich im Kundenauftrag, das lohnt sich…

Die Treppenstufen knarren. Marga kommt nach ein paar Minuten ins Schlafzimmer und läßt das Licht aus. Sie legt sich auf ihre Seite, ich höre sie weinen, fühle mich erpresst und schalte das Licht an. »Warum in aller Welt, weinst du? Läuft doch alles nach Wunsch. Du kettest mich weiter an dich, ich ertrage deine Launen und bin dir weiter ausgeliefert. Was willst du denn noch?« »Sei leise, das Kind wird sonst wach« flüstert sie, setzt sich auf und berührt meinen Arm. »In der letzten Zeit ging es mir nicht gut und durch die Schwangerschaft war ich immer müde, mir war oft schlecht, deswegen habe ich auch nicht gerne gekocht. Ich kann keinen Kühlschrank aufmachen, sofort wird mir übel. Ich wollte dir nichts sagen, bevor es sicher ist und deswegen hatte ich bestimmt nicht immer die beste Laune« versucht sie sich zu erklären. »Ach komm’ schon! Hör’ mir doch auf! Seit Jahren geht das schon so. Ich will etwas unternehmen, du nur hier herum hocken. Das Thema hatten wir schon so oft. Marga! Wir sind grundverschieden. Sag’ einmal, merkst du das nicht? Bist du glücklich? Nein, ich glaube nicht, sonst würdest du nicht andauernd an mir herum kritisieren. Ich frage mich inzwischen jeden Tag, warum ich mich auf so etwas eingelassen habe? Meine Tochter, ja, sie ist der einzige Grund, warum wir zusammen leben. Und nun? Noch ein Kind? Du wirst doch mit dem Haushalt jetzt schon nicht fertig! Überall liegen Klamotten herum, Schuhe stehen im Weg. Staub wischen? Das kann man täglich machen. Hast du die Fenster eigentlich schon mal geputzt, seit wir hier wohnen? Wenn ich alles so zusammen zähle, aus dir wird auch mit dem zweiten Kind keine Ehefrau, wie ich sie mir vorstelle. So Unrecht hatte deine Mutter nicht, sie lies einige Bemerkungen fallen auf unserer Hochzeit. Ich sehe dich irgendwelches Zeug lesen, jeden Tag. Die Stapel werden immer größer. Räume das wenigstens auf den Dachboden, wenn du deine Heftchen nicht wegwerfen willst und lass’ bitte nicht alles rumliegen!« Marga sieht mich bohrend an: »Alles muss immer perfekt sein und gleich erledigt werden. Ich bin nicht deine Mutter! Merk’ dir das! Aber ich bin die Mutter deiner Kinder!«

Sie dreht sich um, schlägt mit der Hand auf das Kopfkissen. Sofort stehe ich auf und nehme mein Bettzeug, verlasse diese vergiftete Atmosphäre. Im Zimmer meiner Tochter ist es ruhig, ich höre sie gleichmäßig atmen und schließe leise die Tür. Ich schalte das Licht im Gästezimmer ein, werfe mein Bettzeug auf die Matratze und öffne das Fenster. Überall Staub hier! Morgen nach dem Fliegen richte ich mir dieses Zimmer gemütlicher ein und putze erstmal durch…

Ein lautes Scheppern und Klirren am frühen Morgen! Irgendetwas ging zu Bruch! Ich schrecke auf und renne die Treppen hinab. Im Wohnzimmer steht Marga und hält Teile unseres Porzellans in der Hand. »Was ist passiert? Wo ist Tina?« »Sie schläft noch. Beruhige dich! Ich habe das Tablett mit dem Geschirr auf die Sofalehne stellen wollen und das bekam Übergewicht.«

Ich sehe die vielen Scherben und hole Schaufel und Besen. Überall verteilt am Boden finde ich die zerbrochenen Teller und Tassen des Porzellans, welches uns meine Mutter zur Hochzeit schenkte. Beim Kehren erinnere ich mich an den Tag, als ich es bei Rosenthal in Selb abholte. Ich nahm damals eine Tramperin mit, Inge hieß sie und sie sagte diesen besonderen Satz, der mir immer wieder durch den Kopf geht, - „ich habe kein Anrecht auf andere und andere kein Anrecht auf mich.“

Marga betrachtet weiter die Scherben und legt die Teile auf den Tisch.

»Lass’ es sein. Kaputt ist kaputt, das klebt man nicht.« Aus Vorsicht hole ich den Staubsauger, Tina soll sich keinen Splitter in den Fuß treten, die Scherben flogen in alle Ecken, überall schimmert es weiß.« Marga wirft nun die Bruchstücke in den Abfalleimer und murmelt »ist ja noch genug da, ich mag es sowieso nicht.«

Ich sehe auf die Uhr, es ist kurz vor 7 Uhr morgens und nach der Reinigungsaktion im Haus, bin ich fertig für den Flugplatz.

»Wann kommst du wieder?« will Marga wissen. »Ich weiß es nicht. Ich fliege mit einem Kunden, er buchte einen Rundflug über sein Anwesen und möchte Fotos machen…das kann dauern.« Schnell verlasse ich das Haus und steige in mein Auto. Oh, wie sehr vermisse ich meinen kleinen Sportwagen! Wir haben einen Mercedes W108 angeschafft, Marga wollte den unbedingt, weil es ihr mit Kind im Karmann zu eng wurde. Mit zwei Kindern wird sie nun hoffentlich zufrieden sein und ich sehe meine Freiheit in weiter Ferne liegen.

Die Situation zwischen uns droht immer weiter zu eskalieren und ich brauche meine Energie für meinen Beruf. Die latent schwelende, aggressive Spannung zwischen uns, ist unerträglich. Ich kann nur hoffen, dass meine Tochter nichts davon spürt, sie sollte in einer liebevollen, stabilen Umgebung aufwachsen und sich keine Sorgen machen müssen. In Vogtareuth treffe ich meinen Kunden und das Wetter ist ausgezeichnet. Er hat sichtlich Spass an Bord. »Ein schönes Hobby haben Sie da! Das wäre was für mich! Ach, - wenn ich nur jünger wäre!« Ich sehe ihn an und schätze, er dürfte so um die vierzig sein.

»Aber Herr Fischer! Sie können jetzt auch noch den PPL machen, da gibt es keine Grenzen fürs Alter. Gesund sollten Sie sein, für das Medical, aber sonst steht Ihnen doch alles offen!«

Er winkt ab: »Ich brauche mein Geld für den Umbau. Ich baue unseren Hof zum Hotel um, das ist schon im vollen Gange und ich konnte eine gute Architektin engagieren, mit modernen Ideen. Die Fotos von heute, kommen in den Prospekt für die Reisebüros.« »Verstehe! Haben Sie denn schon eine Firma für die Elektroinstallationen?« frage ich ihn. »Nein! Wissen Sie jemanden, auf den Verlass ist?« »Besprechen wir gerne später“ antworte ich, setze zum Vollkreis an und er schießt weiter Fotos. Nach der Landung fahren wir zu seinem Projekt. Ich bin guter Dinge, den Auftrag an Land zu holen und komme bestens gelaunt nach Hause zurück. Kaum stelle ich den Wagen ab, höre ich schon mein Mädchen rufen. »Papi, ich will einen Hund! Bitte, bitte! Einen Hund!« Ich nehme sie auf den Arm und rieche an ihr. »Wo warst du denn unterwegs? Im Stall?« »Ja, Mami und ich sind zum See gelaufen, da ist ein Bauernhof und ich durfte die Kühe anschauen. Da sind Esel! Ich habe Esel gestreichelt und da war ein Hund, der ist so lieb gewesen. Bitte, Papi!« Ich trage meine Tochter ins Haus und wasche ihr die kleinen Hände.

»So und jetzt gehen wir erstmal in dein Zimmer denn wer im Stall war, zieht sich daheim um. Stinkt ja sonst überall.«

Bettina rennt vor mir die Treppen nach oben und zeigt mir, was sie anziehen möchte.

»Du bist schon so ein großes Mädchen, Schuhe zubinden kannst du auch schon? Na, dann müssen wir wirklich mit Mama darüber reden, ob ein Hund einziehen darf.«

»Hast du schon gegessen?« Marga steht in der Küche und schneidet Gemüse.

»Ich war mit dem Kunden essen, für mich musst du nichts vorbereiten…ach übrigens, Tina will einen Hund. Ich habe nichts dagegen. Sie erzählte, ihr ward am See und beim Bauern. Ich dachte, der Weg ist dir zu unbequem? Schön, dass es nun doch geht.« »Ja, sie hat einen Dackel gesehen und sich gleich verliebt. Ich dachte, das ist eine gute Idee und sie hat einen Spielkameraden.«

»Marga, bitte! Hunde sind keine Spielkameraden für Kinder. Spielen sollte sie mit anderen Kindern, aber als Aufgabe, Verantwortung kennen zu lernen und bei Wind und Wetter mit dem Hund spazieren zu gehen, seine Hinterlassenschaften weg zu räumen und alles was dazu gehört, finde ich als Idee gut.« »Selbstverständlich sind Hunde Spielkameraden für Kinder!« zischt sie mir noch zu, bevor ich das Haus in Richtung Büro verlasse.

Ich nehme den Hörer in die Hand und rufe Rainer an. Er erreichte mich gestern nicht und hinterließ eine Notiz. Morgen fliege ich in die alte Heimat und wir vereinbaren, wann er mich vom Flugplatz abholen kann. Ich brauche ein wenig Zeit für meinen Freund, er klang nicht gut und wollte nicht so recht reden, am Telefon. Das Wetter bleibt stabil, ich packe meine Reisetasche und fahre zum Flugplatz. Marga machte mir gerade wieder eine Szene, weil ich nicht mit ihr zuhause bleibe. Gestern noch dachte ich, es wird wieder besser, sie lief ja wenigstens mal mit dem Mädchen zum Simssee, aber heute morgen hagelte es wieder nur Vorwürfe und Kritik. Ich bin froh, ein wenig Ruhe zu haben und freue mich auf meinen Kumpel.

Mein Flug verläuft ruhig, die Maschine schnurrt wie ein Kätzchen. Die Welt, so klein wie im Spielzeugland zu sehen, fühlt sich für mich pathetisch an. Marga empfindet das nicht so, sie teilt, wenn ich so genau nachdenke, nichts von dem, was ich wirklich liebe. Vor kurzem brachte ich drei Forellen mit, frisch geangelt und sie schüttelte sich davor angewidert. Sie mag das nicht. Ich nahm die Fische aus und grillte sie über Holzkohle. Meine kleine Tochter war die ganze Zeit über so interessiert und verfolgte jeden Schritt. Bei Tisch erklärte ich ihr die Gefahr der Gräten, zeigte ihr, wie man schnell an das köstliche Fleisch kommt, wie man die Mittelgräte herausnimmt und sie aß so vorsichtig ihren Fisch. Irgendwann sagte sie: »Mami, das schmeckt so gut! Warum magst du das nicht?« Aber Marga hört sie nicht, sie saß draussen und laß in ihren Romanheftchen. Ich versprach meiner Kleinen, beim nächsten Mal mit ihr zum Fischen zu gehen und ich werde ihr eine kleine Angelrute kaufen. Gleich habe ich EDQM erreicht, ich melde mich beim Turm und erwarte Landeinformationen. Mein Freund Rainer sollte eigentlich schon irgendwo warten, aber ich sehe keinen orangefarbenen VW Käfer. Neben dem Rollfeld steht jemand…das könnte er sein. Ja, da ist Rainer!

Kapitel 2

„Die ultimative Lösung“

Bei der Landung beobachte ich amüsiert, wie er hektisch winkt und ich freue mich so sehr auf den alten Haudegen. Ich rolle ab und stelle die Cessna auf den zugewiesenen Platz neben das Vorfeld. Schnell noch den Eintrag im Flugbuch erledigen und Landegebühr beim Türmer zahlen.

»Servus! Du alte Brauer Legende! Wie geht´s denn? Hast du ein neues Auto? Donnerwetter, ein silberner BMW 2800 CS. Nobel, nobel! Aber passt zu dir!« Rainer lächelt stolz.

»Im Juni zugelassen, ein Coupé der Extraklasse, 6 Zylinder, 170 PS! Der geht, sag ich dir! Ganz was Edles. Musste sein! Habe immer brav meine Käfer Orange gefahren und jetzt bin ich Chef im Haus und da braucht es was Repräsentatives!«

»Ach so ja, nochmals mein Beileid, Rainer. Wie geht es deiner Mama?«

»Sie kommt gut zurecht; Vater war doch sowieso nicht viel zuhause, das macht keinen Unterschied für sie. Sie wartet jetzt nicht mehr auf ihn, sondern fährt andauernd mit Freundinnen in den Urlaub. Die läßt sich’s schon gut gehen.«

Rainer dreht am Zündschlüssel und gibt Gas mit Blick zu mir. »Na, das ist ein Sound, oder?« Der Motor röhrt tief und kraftvoll, man spürt, was da im Motorblock los ist und mein Freund legt einen fulminanten Start mit quietschenden Reifen hin. Aus seinem Radio dröhnen die Beatles mit „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ und es scheint für einen Moment ganz so zu sein, wie früher. Wir wollen einfach nur unser junges, unbeschwertes Leben spüren.

»Was wolltest du mir am Telefon nicht sagen?« plärre ich ihn an. Rainer geht vom Gas und dreht das Radio leiser. »Ach, weißt du, ich kann im Büro nicht so gut reden, habe immer das Gefühl, einer lauscht… wahrscheinlich voll paranoid, aber ist halt so.« Mein Freund fährt langsamer und hält kurz an.

»Ich hab’ eine angebrannt…nix Festes, mehr so ein Sex Ding zwischen uns, hatten halt Spaß miteinander und ich will nicht den Fehler machen, den du gemacht hast…so blöd bin ich ja nicht!« »Aha, ist es jetzt doch aus mit Sonja? Schade, die war echt nett.«

»Nett, aber nie da, da kommt man halt auf andere Gedanken, deswegen bin ich ja in der Situation mit der Katja.«

»Aber wie soll ich dir da raushelfen? Soll ich als schlechtes Beispiel dienen oder was?« frage ich. »Nein, du sollst sie und mich nach Amsterdam fliegen! Da gibt es Ärzte, die sich um solche Sachen kümmern, ich zahle dir das selbstverständlich, großzügig wie ich bin und fliege auch mit, damit das alles seine Ordnung hat.«

»Du kannst sie doch selbst hinbringen, hast doch einen schnellen Schlitten, bleibst ein paar Tage dort, machst Urlaub, schaust dir Tulpen, Käse und Holländerinnen an und in der Zwischenzeit ist sie in der Klinik.« Rainer schüttelt den Kopf: »Nein, das geht eben nicht, das muss alles zack-zack laufen…ratz-fatz, quasi!« »Warum?« hake ich nach. »Weil das die Tochter vom Bürgermeister ist und ich kann mir da nix erlauben. Wenn der das erfährt, bin ich raus beim Volksfest und in den Kantinen und meine Wirtshäuser bekommen wöchentlich Besuch vom Gewerbe Aufsichtsamt. Das macht zu viel Wind und irgendwas ist doch immer schräg in den Kneipen, kennst doch die Pächter, irgendwo ist immer ein Schlamper!« »Ja und will die das auch?«

»Katja hat zwar Schiss, aber noch weit mehr vor ihrem Alten, deswegen soll’s ja schnell gehen. Ihre Eltern fahren nächste Woche für ein paar Tage zu einem politischen Austausch in die Tschechei und sie könnte dann zwei Tage nach Amsterdam. Hinfliegen, Eingriff machen, eine Nacht dort verbringen, wenn sie muss und am nächsten Morgen wieder zurück.« »Habt ihr einen Termin?«

»Ja, den kann man jederzeit umplanen, sagten die mir am Telefon, ich brauche halt nur noch deine Zusage.« »Ich muss mir das mal auf der Karte ansehen, so schwer ist das nicht, außer Landes zu fliegen. Vorstellen kann ich mir das…ja, mein Freund! Ich bin

dabei. Ich helfe dir!“ beruhige ich ihn. Meinem Kumpel fällt sichtlich eine Last von den Schultern. Ich denke über meine eigene Situation nach und helfe ihm gerne. Für nichts in der Welt würde ich meine Tochter hergeben, aber die Begleitumstände in meinem Leben werden immer schwieriger und ich muss eine Lösung finden, so wie bisher, kann es nicht weiter gehen, - das raubt mir jede Energie. Rainer und ich fahren in die Innenstadt und parken vor dem Bistro. Was haben wir für schöne Erinnerungen! Ich denke an Conni und Angie, da waren noch so einige Mädels mehr, aber diese Zwei blieben intensiv hängen. Was die beiden wohl gerade machen? Luigi freut sich sehr über unseren Besuch und verkündet: »Benvenuti amici! Ist erste Getränk auf Haus, muss ma feiern, heute! Auguri!« »Und? Wie klappt es bei euch zuhause?« Rainer bestellt sich ein Bier der Konkurrenz und ich ziehe mit. »Meine Kleine ist mein ganzer Stolz! Hier schau mal, habe immer ein Foto einstecken von ihr.« »Die ist ja niedlich…die sieht dir aber schon sehr ähnlich! Die gleichen Augen, der Mund. Ja, das ist deine Tochter.«

»Meine Mutter sagte, sie sieht genauso aus, wie meine Schwester als Kleinkind…also bin ich schon beruhigt, ein Zweifel war ja trotzdem vorhanden.«

Rainer hält das Foto von Tina in der Hand und seufzt: »Das darf man sich nicht zu lange ansehen, sonst wird das nix mit Amsterdam, aber die Mama dazu muss ja auch passen!«

Ich stecke mein Bild wieder zurück in die Brieftasche. »Marga geht mir so auf den Wecker. Sie nörgelt andauernd. Sie macht den ganzen Tag nichts, außer sich ums Kind zu kümmern und lesen. Langweilig ist ihr oft, der Haushalt bleibt oft liegen. Ich bin froh, wenn sie mir mal ein paar Hemden bügelt. Vor kurzem meinte sie, man kann in Endorf die Wäsche zum Bügeln bringen, das ist ihr alles zu anstrengend.« Mein Freund hört mir aufmerksam zu und Luigi bringt die zweite Runde.

»Ich dachte noch, vor der Heirat, da war sie so feinfühlig, so warmherzig, voller Versprechungen, wie sehr sie mich unterstützt und liebt, und als dann meine Tochter geboren wurde, fing es an. Forderungen, laute Kritik an allem was ich tue, schlechte Laune, keine Lust zum Kochen, alles interessiert sie wenig, gerade so, was unbedingt gemacht werden muss. Alles dreht sich in ihrer Welt um sie und wenn sie endlich mal was tut, ist es ein echtes Riesending und furchtbar anstrengend gewesen!«

»Der gehts einfach zu gut! Ich sage es dir! Du verdienst zu viel und die bringt am Ende alles durch. Schick’ sie doch zum Arbeiten und die Kleine geht in den Kindergarten, ist eh’ besser, lernt sie andere Kinder kennen. Dann kommt Marga nicht auf blöde Gedanken und du hast endlich Ruhe!«

»Tja, das wird wohl nichts…die nächste Zeit! Sie ist wieder schwanger…im November sind wir zu viert.« Rainer fällt die Kinnlade herunter: »Du hast deine Hosenschlange echt nicht im Griff und nichts dazu gelernt!« Fassungslos sieht mich mein Freund an.

»Rainer! Da lief doch eh nichts, das ist vermutlich die platonischste Ehe, die es je gab. Ich stehe nicht auf den Typ Frau! Gerade du müsstest das doch wissen!« »Horsti, mein Freund! Du hast eindeutig in Biologie gepennt, mein Lieber, oder warst du länger krank in der Schule? Erkläre mir mal, wie da zwei Kinder entstehen, wenn nix läuft? Samenraub vielleicht?« »Komm’ Rainer! Themenwechsel! Was war so los hier?« Während er mir ein Update liefert, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich die Tür öffnet und eine sommerlich knapp bekleidete junge Frau in Begleitung eines Mannes unser Stammlokal betritt. Sie zieht den großen Strohhut vom Kopf und schüttelt ihr braunrotes Haar. Angie! Mann oh Mann! Sie ist so hübsch, hat Millionen von Sommersprossen auf der nackten Haut und ich denke an unser letztes Treffen. Wie dämlich war ich bloß? Aber wer ist der Kerl an ihrer Seite?

»Ja der Horsti! Grüß’ dich! Wie geht’s denn? Das ist ja nett! Wie lange ist das her? Darf ich euch bekannt machen? Das ist mein Bruder Thomas aus Heidelberg!« Thomas reicht mir die Hand und sofort fühle ich mich entspannter.

»Servus, viel von dir gehört! Schön dich endlich mal kennen zu lernen« freut er sich. Ich stehe auf, um sie zu begrüßen, sie nimmt die Gelegenheit und umarmt mich leicht. »War schon sehr sauer auf dich, letztes Mal« flüstert sie mir zu.

Ich bemühe mich, ein verschämtes Gesicht zu machen. »Ach Angie, meine Schöne…Fehler macht jeder, aber wird nie mehr vorkommen« lächle ich sie an. »Ahja, schon gut. Was isch, wo gehts hin?« Rainer drängt sich dazwischen: »Ja stellst du mich der Dame vielleicht mal vor? Das ging beim letzten Besuch vor ein paar Jahren hier schon unter. Ach geh weg! Ich bin der Rainer, bester Freund von dem da! Sehr angenehm, junges Fräulein!«

Angie sieht ihn belustigt an: »Der Rainer also…ihr seid so eng zammegsesse, damals hinten in der Loge, da kann man schon mal jemanden übersehen!« Rainer pfeift Luigi: »He, Lieblingscalabrese!« »Bin i scho da! Was wolle?«

Angie bestellt doch tatsächlich einen Cocktail Brandy Alexander, blickt mich verführerisch an und ich ordere mal lieber einen Espresso, zum Wachbleiben. Wir setzen uns an einen der großen, runden Tische, studieren die Karte und einigen uns auf Pizza mit Salat. Luigi plärrt seiner Mutter unsere Bestellung nach hinten. »Mamma! Fai quattro Pizze, Prosciutto e Funghi, Contadina, Capricciosa e una Napoli, e Insalata anche per quattro! Subito!!!«

Ich bin neugierig: »Bist du schon fertig mit dem Studium, Thomas…oder darf ich Tom sagen?« »Kannst freilich Tom sagen. Ja, ich bin Oberarzt in Heidelberg, aber habe mich nach USA beworben. Ich will unbedingt in die Fachrichtung Kardiologie gehen, sehe da ein großes Spektrum in der Zukunft und die Thematik Herz interessiert mich mehr als alles andere und die HKEs nehmen zu…«

Während Tom erzählt und wir dem immer heftiger werdenden Fachjargon fast nicht mehr folgen können, spüre ich eine Hand auf meinem Bein. Ich sehe Angie an und sie nippt an ihrem Cocktail: »Magst du probieren, Horsti? Schmeckt fantastisch und wirkt schon!«

Ich atme laut ein und muss mich zusammenreissen, sie erreicht auf meinem Schenkel eine empfindliche Stelle und scheint weiter wandern zu wollen. Ich stehe auf, entschuldige mich kurz und gehe in Richtung Eingang zu den Toiletten. Ich muss mich dringend abkühlen. Was fällt ihr bloß ein, in der Öffentlichkeit und noch dazu vor ihrem Bruder? Naja, wir haben 1969 und die sexuelle Revolution macht sicher nicht vor unserer Kleinstadt halt, denke ich mir, trockne meine Hände ab und spüre plötzlich, wie mich jemand in das Hinterteil kneift.

»Angie! Das ist das Herren Klo!« zische ich entsetzt und sehe mich um. Sie umarmt mich von hinten: »…und

wenn’s der Stuttgarter Hauptbahnhof isch, au recht…!« Ich drehe mich um, sie presst ihre rot geschminkten Lippen auf meine und ich spüre ihre Hände überall an mir. Ich kann nicht anders und berühre ihren Körper, ihre samtweiche Haut, greife durch die seitlichen Ausschnitte ihres zarten Sommerkleides. Sie wandert nach vorne und ich packe ihre Hand: »Stop, stop, stop, Schluss jetzt!« Sie lächelt mich wissend an und ich nehme ihre beiden Hände fest an meinen Brustkorb. »Du traust dich was! Soll ich hier raus und alle wissen, was wir hier treiben?« Sie grinst mich an: »Wollte nur Hallo sagen und mal sehen, wie es dir so geht…ohne mich!«

Entschlossen schiebe ich sie aus der Tür. Sie will wissen, wie es mir geht? Scheisse gehts mir! Mein Liebesleben existiert quasi nicht und eine nörgelnde Ehefrau wartete nur auf den richtigen Moment, mich noch fester anzuketten. Wie gerne würde ich mich endlich mal wieder verlieben, was fürs Herz tun. Eine zärtliche Umarmung genießen, mit einem Menschen, der einen versteht, der die gleichen Dinge liebt und ein harmonisches Zuhause zu schätzen weiß. Eine Frau, die Unterstützung und Verständnis zeigt, für lange Arbeitstage oder eine Leidenschaft, wie die Fliegerei. Rainer sieht mich an und grinst unverschämt, als wir zurück an den Tisch kommen. Tom redet immer noch über „Ärztekram“ und ist voll in seinem Element.

Unsere Pizzen sind serviert und duften köstlich, wir genießen und planen alle mal nach Italien zu fliegen, am besten gleich morgen!

»Rainer erzählte, du fliegst so kleine Sportflugzeuge und willst nach Amsterdam?«

Ich sehe meinen Freund streng an, er jedoch, ist ganz entspannt und winkt ab. »Horsti, alles gut! Sind hier quasi unter Freunden und ich habe Tom von meiner Sache erzählt.«

Tom spricht leise: »Eine große Anzahl von Laien und auch Kollegen von mir, erledigen diese Art von Eingriff. Schon in der Studentenzeit war das ein offenes Geheimnis, aber ich muss sagen, es kommt immer wieder zu Schwierigkeiten. Weit sicherer ist euer Unterfangen allemal. Ich weiß von einigen Küchentisch OPs, die mit einer heftigen Infektion einhergingen oder stümperhaft gemachte Eingriffe, bei denen die inneren Genitalien zerfetzt wurden. Nicht wenige dieser Frauen können heute keine Kinder mehr bekommen. Ein Restrisiko gibt es jedoch bei jeder OP.« »Ich verstehe sowieso nicht, warum nicht mehr Frauen die Pille nehmen« sagt Angie. »Das Thema ist immer noch zu umstritten. Sieh dir doch die Protestaktion der Kirche an. Vergangenes Jahr, verurteilte der Papst die Geburtenkontrolle als Aufweichung der sittlichen Zucht. Die Pille fördert den außerehelichen Verkehr. Was für ein Blödsinn! Der findet so oder so statt.« Tom nickt: »Auch eine große Anzahl Ärzte warnt vor der wachsenden Sexualisierung unseres öffentlichen Lebens. In den USA sind die einen großen Schritt weiter. Seit den klinischen Tests 1957 auf Haiti und Puerto Rico, weiß man, wie sich eine Verbesserung auf das soziale Leben auswirken kann. Frauen werden später Mütter, können sich qualifiziert ausbilden lassen, mehr Akademikerinnen, ergo mehr Wohlstand durch Bildung. Selbstverwirklichte und individuelle Autonomie trägt zur Stabilisierung einer gesund wachsenden Bevölkerung bei. Geburtenkontrolle wird auch zukünftig ein enorm wichtiges Thema werden, grad unter Berücksichtigung der Entwicklung in Afrika. Immer mehr Menschen bedeutet, immer weniger Ressourcen. Uns droht über kurz oder lang eine äußerst massive Überbevölkerung und weit mehr Armut, gerade in den uns allen bekannten Entwicklungsländern…und das kann, - nein, das wird zu Völkerwanderungen führen.« Angie stimmt dem zu: »In Deutschland lehnen viele Frauenärzte die Verschreibung immer noch ab, ich denke jedoch, das wird sich bald ändern. Du bekommst als Frau die Pille verschrieben, wenn du verheiratet bist und mehrere Kinder hast, drei, habe ich mal gelesen. Ist das nicht der Fall, bleiben nur die bisherigen Methoden. Du spielst russisches Roulette oder hast eben keinen Sex.«

Mit kurzem Blick auf mich flüstert sie: »Ich habe Glück, ich bekomme die Pille aus Frankreich. Habe da meine speziellen Kontakte« und sie sieht ihren Bruder an. »Noch Angie,…noch, man weiß ja nie!« Rainer ist begeistert ob der Information. »Wie sicher ist deine Quelle, Tom?«

Mit dem Ellenbogen stoße ich ihn an: »Sag mal, spinnst du?« Rainer wehrt ab: »Was denn? Das ist doch die Idee! Im großen Stil das Zeug hier her fliegen! Ich weiß gar nicht, was du hast, du Pfeife? Gerade du würdest doch auch profitieren. Aber ich sehe schon, dir ist nicht zu helfen…weiß man ja inzwischen.« Ich halte den Mund und hoffe, der Satz wurde nicht so verstanden, wie er gemeint war. Tom überlegt und redet leise: »Bisher war immer die Logistik das Problem. Ich habe zukünftig nicht mehr die Gelegenheit, wenn ich in die Staaten gehe. Der Postweg ist nicht möglich, mein Kontakt übergibt nur persönlich. Er ist ein vertrauter und langjähriger Studienfreund, ein Pharmazeut. Also musste ich bisher nach Frankreich fahren. Wenn du mich fliegen kannst, Horsti, organisiere ich den Deal, stelle dich ihm vor und ihr braucht mich nicht mehr.« Tom sieht mich herausfordernd an. »Klar kann ich fliegen! Wo in Frankreich soll das sein?« »Nanterre bei Paris.« Ich denke kurz über die Idee nach. »Okay! Alles klar, bin dabei! Kläre ab, wann du mich brauchst und ich prüfe, wo ein kleiner Flugplatz in der Nähe ist. Auf dem Flughafen Orly möchte ich nicht landen, der ist mir etwas zu überdimensioniert und auch die Sache mit dem Zoll ist nicht ohne…« »Kommt, wir begießen unsere Idee!« Rainer schnappt sich Tom und beide gehen an die Bar. »So, Herr Doktor, jetzt erkläre mir mal die Funktion…« höre ich noch. »Und meine Schöne, was hast du denn heute Abend noch so vor?« Ich sehe Angie an und wir beide wissen sofort, was wir heute unternehmen werden. Sie nimmt meine Hand und sieht mir tief in die Augen: »Weißt du, ich denke oft an dich. Nicht einmal hast du angerufen, seit damals…kein Brief, nichts. Aber du bist heute hier und ich kann dir aus dem Stegreif heraus alles verzeihen. Wie machst du das nur?« Ihre grünen Augen leuchten, das glänzende, braunrote Haar berührt ihre nackten, zart gebräunten Schultern und ich wünschte, ich hätte sie früher kennen gelernt. »Luigi zahlen!« Luigi steht hinter seinem Tresen und ruft: »Alles erledigt! Hat der Rainer schon gemacht!« »Mein Bruder wird heute bei mir übernachten im Wohnzimmer auf der Couch.« flüstert sie mir zu. »Bin ganz leise, schnarche nicht und tue nichts, was du nicht willst.«

Sie lächelt mich an und steht auf: »Tom, was isch? Magst noch bleiben?« Tom nickt: »Du brauchst mich nicht, oder? Ich trinke noch einen, mit dem Kollegen hier!«

»Servus Rainer, danke dir. Ich rufe dich morgen an, aber ganz früh!« Rainer grinst über das ganze Gesicht. »Alles klar!«

An diesem warmen Abend schlendern Angie und ich die Ludwigstraße entlang, unsere Hände finden sich immer wieder und ich genieße das. Es fühlt sich so richtig an, so zärtlich und liebevoll. An der Eisdiele bleibe ich stehen: »Ein Eis geht noch!« Angie lacht: »Ein Eis geht immer!«

Herrlich! Ich liebe Himbeereiscreme und halte ihr meine Waffeltüte vor die Nase. Angie nähert sich mit großen Augen, will zubeissen und ich stupse ihr ein wenig an die Nasenspitze: »Na, na, nicht alles, junge Frau!« Ich fasse sie an der Taille, ziehe sie zu mir und küsse ihr das Eis weg. Ganz langsam nähere ich mich ihren vollen Lippen, küsse sie ganz zart. Sie erwidert leidenschaftlich fordernd und ich sehe das als verbindliches Versprechen, was mich heute noch erwartet. Entspannt und bestens gelaunt schlendern wir an den Schaufenstern vorbei und entdecken unser Spiegelbild.

»Wir sind ein schönes Paar! Schau mal!« bemerkt sie. Völlig ausgelassen rennen wir die Straße entlang. An ihrer Haustür nehme ich ihr den Schlüssel aus der Hand, schließe auf und sehe die Briefkästen. »Ich hätte dir nicht mal schreiben können! Ich weiß deinen Nachnamen nicht, Telefonnummer fand ich auch keine…irgendwie verlegt« versuche ich eine ehrliche Entschuldigung.

Oben vor ihrer Wohnungstür suche ich den richtigen Schlüssel, sie nimmt mir den Bund aus der Hand, sperrt auf, schubst mich in die Wohnung. Ihre Küsse schmecken herrlich süß nach Pistazie, sie schiebt mich ins Schlafzimmer und ich fühle mich seit langem mal wieder geliebt, frei und glücklich. In der Nacht wache ich auf, da war ein Geräusch. Ich lausche in die dunkle Stille, …da wieder. Vorsichtig stehe ich auf und halte mein Ohr an die Tür. Langsam öffne ich und luge durch den Spalt. Im spärlichen Lichtschein der Diele sehe ich Tom, den Couchgast. Er bemerkt mich nicht, er scheint nicht im Ansatz nüchtern zu sein. Klar, er war mit Rainer unterwegs. Ich schließe die Tür und taste mich zurück zum Bett. Angie ist wach und läßt ihre Hand über meinen Körper wandern. Mit einer schnellen Bewegung sitzt sie auf mir und hält mit beiden Händen mein Gesicht, ihre Zunge berührt erst ganz sanft meine Oberlippe, sucht sich ihren Weg und fordert ein, was ich nun auch unbedingt haben möchte. Ich fahre mit den Händen Angies heiße Kurven bis zu den Schultern hoch, über ihren Busen zu ihrem Bauchnabel und sie küsst mich immer heftiger. Ich fühle ihre Hüftknochen und wandere zu ihren Beinen. Sie atmet laut und stöhnt. Ihr Körper ist wie gemacht für die Liebe und sie zittert leicht, ich halte ihr den Zeigefinger vor den Mund. »Schschsch, dein Bruder ist drüben« flüstere ich. »Tom ist erwachsen und Mediziner, der weiß, was zwei Menschen in einem Schlafzimmer tun…« Ich ziehe sie sanft an ihren Haaren zu mir herunter. »Zeig’ mir nochmal, was man in einem Schlafzimmer tun kann!« Sie fühlt unter sich an mir entlang. »Ja, das müßte klappen« flüstert sie.

„Release Me“ tönt aus einem Lautsprecher. Das ist Engelbert Humperdinck! Ist Angie ein Fan von dem Schnulzenheini? Vermutlich ja, wie viele Frauen, aber bitte nicht so laut und nicht so früh! Wie spät ist es? Ich sehe auf meine Uhr. Was? 10 Uhr vorbei? Himmel, ich wollte Rainer heute morgen anrufen und mit ihm alles klären wegen Amsterdam! Schnell suche ich meine Kleidung zusammen. Meine Socken sind weg! Ich sehe unter das Bett und entdecke einen Schuh. Immerhin! Barfuß öffne ich die Tür, auf dem Sofa liegt Tom, selig schlummernd, der Mund offen, linkes Bein, linker Arm, beides hängt nach unten. Die gestrige Exkursion muss wirklich anstrengend gewesen sein. Dann wird mein Freund Rainer vermutlich in einer ähnlichen Situation sein und ich muss mir keinen Stress machen, ich kann später immer noch mit ihm telefonieren. In der Küche finde ich Angie. Splitterfasernackt, wie beim letzten Mal, deckt sie den Tisch für uns drei und singt lauthals den Song mit.

»Meine Güte, was ein kitschiger Schieber!« flüstere ich ihr ins Ohr, sie greift nach meiner Hand und eng umschlungen tanzen wir von der Küche bis ins Wohnzimmer, mitsamt dem Schnulzenheini Engelbert. Ihr Bruder Tom zeigt keinerlei Lebenszeichen, er schläft immer noch.

»Das war schon früher so, da kann eine Bombe einschlagen, neben Tom, der pennt einfach weiter!« Wir sitzen am Tisch, halten unsere Tassen in der Hand, sehen uns in die Augen und ich kann nicht umhin, an die vergangenen Stunden zu denken. »Was ist das zwischen uns?« will Angie wissen. »Die pure Lust oder sogar Liebe?« frage ich sie. Sie lächelt und beißt in ihre Semmel. »Ich bin ein modernes Mädchen, Horsti. Ich liebe, was wir tun und wie wir es tun. Aber ich bin mir bei dir nicht sicher, was du verbirgst? Irgendwas ist da! Was ist eigentlich mit dem Parfum geschehen, nach dem du mich damals fragtest? Gibt es da die eine Frau, die es von dir bekam zu Weihnachten und heute Nacht alleine im Bett lag und sehnsuchtsvoll an dich denkt?« »Ich bin damals gleich in die Parfümerie gegangen und habe es gekauft. Es liegt heute noch original verschlossen in einer Schublade.« Ich bin so froh, nicht lügen zu müssen. Angie hat so eine besondere Art Fragen zu stellen. Es fühlt sich an, als ob sie immer auf der Lauer liegt, auf der Jagd nach der Wahrheit ist. »Das ist ja schade, aber ich denke, du findest irgendwann die Richtige.«

»Was soll das denn heißen? Meinst du, du bist nicht die Richtige für mich?« frage ich sie. Angie kaut und schweigt, sieht mich mit ihren grünen Augen an und zuckt die Schultern. Ich gieße uns Kaffee nach und sehe kurz nach Tom, er rührte sich nicht und schnarcht jetzt leise.

»Horsti, du kommst mir vor, wie eine alte Seele. Du bist zwar noch jung, wirkst aber reifer als andere und besitzt eine gute Intuition. Im richtigen Moment ist das wichtig und ich habe beobachtet, welche Wirkung du auf Frauen hast und ich glaube, wenn du es darauf anlegst, kannst du jede haben. Das macht mir Angst! Ich bin auf dem besten Weg, mich in dich zu verlieben, weiß aber genau, du lebst weit entfernt von hier, also ist es sinnlos.«

»Angie, bitte! Lass’ uns den Moment genießen, keiner von uns weiß, was die Zukunft bringt.« Sie senkt den Blick. »Aha, eine Beziehung auf Distanz möchtest du also nicht. Wenn man sich wirklich liebt, kann man die Wochenenden miteinander verbringen, mal bei mir, mal bei dir und Urlaub miteinander planen. Das funktioniert gut, jeder von uns wäre bei der Arbeit nicht abgelenkt, im Gegenteil, voll konzentriert und man freut sich aufeinander.«

Ich fühle mich gerade in die Ecke gedrängt von ihr. Ich brauche dringend ein Argument, nehme ihre Hand und küsse sie: »Angie, für mich bist du ein wahr gewordener Traum…wunderschön, klug und elegant. Ich würde dich jeden Tag, jede Stunde an meiner Seite haben wollen und keine Minute ohne dich sein können. Würden wir so eine Beziehung auf Distanz führen, denke ich an nichts anderes, als an dich, - würde dich andauernd anrufen und Tag für Tag so unglücklich sein, weil du so weit entfernt von mir bist. So einen klammernden Nervsack hast du nicht verdient! Wenn wir wirklich zusammen kommen, wenn es so sein soll, dann bekommst du vielleicht sogar in Kürze ein Angebot von einer Galerie in München. Bis dahin, lass’ uns das Jetzt genießen und nicht über morgen nachdenken, das verhagelt uns nur die wunderbare Stimmung.« Sie streichelt meine Wange, lächelt zärtlich und steht auf. »Ich hole meinen Morgenmantel« flüstert sie und schwebt aus dem Raum und ich sehe ihr hinterher und hoffe, meine Botschaft kam an. Es war grundehrlich gemeint.

Tom erscheint plötzlich völlig derangiert im Türrahmen. »Kaffee?!« Angie gießt heißes Wasser in den Filter. »Setz’ dich, Bruderherz. Siehst schlimm aus, wie durchgesoffen, die ganze Nacht!« Tom läßt sich auf den Stuhl fallen und überblickt den Tisch. »Bäh! Eier, Schinken und auch noch Käse…mag ich nichts davon, nur Kaffee und Wasser bitte!« Angie stellt ihm ein großes Glas Wasser vor die Nase. Er greift danach: »Erstmal entgiften! Der Körper braucht nun dringend Flüssigkeit. Dein Kumpel Rainer ist ganz schön trinkfest…du lieber Herrgott, schluckt der was weg!« Ich schiebe ihm die Tasse hin und Angie schenkt ein.

»Der Rainer übt das seit Jahren. Wo seid ihr gewesen?« will ich wissen.

»Frag’ mich nicht! Überall! Aber am Schluss da, wo alles begann, bei diesem Italiener. Im Grunde habe ich nicht viel getrunken, erst diese Cocktails gaben mir den Rest! Und wieso hat der Typ keine Sperrstunde? Ich glaube, ich bin erst gegen 3 Uhr aus der Kneipe gestolpert?« brummt Tom.

»Der Luigi nimmt das nicht so genau, die Hiesigen wissen das. Wenn nach Mitternacht noch Betrieb ist, schmeißt er niemanden raus« erzähle ich ihm. »Angie, darf ich kurz telefonieren?« Sie nickt: »Im Flur links auf dem schmalen Sideboard, steht das Telefon.« Ich wähle Rainers Nummer. »Ja bitte, Papst hier!« »Du bist ja hellwach und schon klar in der Birne!« Rainer räuspert sich: »Hi Horsti! Was denkst du denn? Der kleine Medizinmann verträgt nix. Dachte immer, die Studenten üben den Umgang mit Alkohol, während sie in die Uni gehen! Falsch gedacht! Ein Lutscher vor dem Herrn, sag’ ich dir!«

»Holst du mich ab, gehen wir die Amsterdam Mission durch?«

»Du bist schon noch bei der sexy Rothaarigen? Ich habe die Adresse, musste ja den Tom da abgeben und in den Hausflur schieben!«

»Ja, bin ich! Aber bitte fahre vorsichtig mit deinem Raketengeschoss!«

Zurück in der Küche trinke ich meinen letzen Schluck Kaffee und küsse Angie auf die Stirn. »Ich muss meinen anderen Schuh und meine Socken suchen…irgendwie sind die verloren gegangen. Weißt du, wo?« frage ich sie hilfesuchend. Angie steht auf. »Ja, da kann ich helfen!« Sie geht voraus und deutet im Schlafzimmer auf den Bilderrahmen. »Schau mal, keine Ahnung, wie die da hinkommen?«

Auch mir ist das ein Rätsel! Ich steige aufs Bett und befreie den Rahmen von den Socken. Meinen zweiten Schuh finde ich auf ihrer Frisier Kommode. Angie kichert während ich mich komplett anziehe und ich zupfe provozierend an ihrem Morgenmantel, bis er herunterfällt. Ein paar Minuten habe ich doch noch, denke ich mir und meine Finger tasten ihre nackte Haut, suchen Stellen, die ich noch nicht kenne. Wird nicht viel geben. Unser Abschiedskuss ist lang und leidenschaftlich, viel zu leidenschaftlich. »Angie, ich muss gehen, bitte! Hände weg, hör auf! Was soll denn dein Bruder denken?« Sie lächelt mich an. »Bis bald! Vielleicht besuche ich dich mal in Endorf. Ich habe da einen Maler am Chiemsee, den sollte ich schon lange mal aufsuchen… eventuell sehen wir uns?«

Kurz wird mir heiß und kalt zugleich. »Bitte rufe mich vorher an, ich bin so oft unterwegs und nicht immer zuhause…aber ich lasse dir meine Nummer da.« Ich notiere Angie die Telefonnummer vom Büro auf den Schreibblock neben dem Telefon und gebe ihr einen letzten sehnsüchtigen Kuss. Mist! Ich bin gerade voll in der Stimmung zu bleiben, unser Wiedersehen noch ein wenig mehr zu feiern und muss mich nun losreissen von ihr.

»Hey Tom, gute Genesung! Wir hören uns wegen Frankreich! Servus!« rufe ich in die Küche. Angie öffnet mir die Tür und wirft mir eine Kusshand zu. Ich renne durchs Treppenhaus und warte auf dem Gehsteig auf Rainer. Geschäftiges Treiben auf den Straßen, es ist Samstag und ein jeder kauft ein und hat es eilig. Was soll ich nur machen, wenn Angie wirklich nach Oberbayern reist? Findet sie mich in Endorf, eskaliert die Situation, garantiert! Marga rastet aus und es kann peinlich und laut werden. Ich mag es mir nicht ausmalen. Es darf nicht so weit kommen! Ganz einfach! Plötzlich bremst ein Auto mit quietschenden Reifen neben mir.

»Hörst du schlecht, Bürschchen? Lass’ mal deine Ohren untersuchen!« ruft mein Kumpel mir zu. »Ja, schon gut! Bleib’ entspannt. Habe dich gehört, den Sound kann man nicht überhören! Wo gehen wir hin zur Besprechung?«

»Naja, ich dachte Kreuzstein wäre gut. So seriös, langweilig und verschwiegen.« Wir parken vor der Wirtschaft, ich nehme meine Tasche aus dem Kofferraum und wir suchen uns einen Tisch etwas abseits der Theke. Ich falte meine ICAO Karte auf und finde einen Flugplatz nahe Amsterdam. »Also, was haben wir denn da? Von EDQM nach Schiphol EHAM über Coburg frei der Zonengrenze, Fritzlar, Paderborn, Kontrollzone Dortmund, Grenzpunkt Bocholt, Arnhem, Amsterdam. Das sind 293 nautische Meilen. Ich schätze mal zwischen drei bis dreieinhalb Stunden Flugzeit mit der Cessna 172 Skyhawk. Nicht wenig, mein Lieber!«

Rainer bestellt uns zwei Kaffee und fragt »machbar oder nicht machbar?«

»Freilich machbar, aber halt lange in der Luft. Für mich kein Problem. Aber was ist mit deiner Freundin? Ist die schon mal geflogen? Schwangeren ist doch oft übel.« »Weiß ich doch nicht! Habe nicht so viel geredet mit ihr, zumindest nicht über sowas.«

»Für alle Fälle habe ich Tüten im Flieger, sollte jemanden schlecht werden, ist ja auch abhängig von der jeweiligen Thermik.« Rainer fragt neugierig »was ist Thermik?«

»Das ist aufsteigende Luft, die wärmer ist, als die Umgebungsluft. Cumuluswolken! Sie dir mal eine Wolke an, die hat einen Zyklus, den kannst du ganz leicht verstehen. Wenn sie aussieht wie Blumenkohl, dann steigt die Luft unter ihr auf und formt runde Grenzen und sie wird immer größer. Manchmal wird es in der Luft etwas bockig, das verträgt nicht jeder gut.« Rainer staunt: »Aha, bockige Luft gibt es also auch? Nicht nur bockige Frauen!«

»Hast du einen Termin?« Mein Freund nickt: »Mittwoch um 11Uhr. Würde das klappen bei dir?«

»Ich kläre es ab, muss ja auch die Maschine reservieren. Was kam denn da raus mit dem Tom und dir wegen Frankreich?«

»Super Sache!« freut er sich.

»Werdet ihr jetzt die Antibabypille im großen Stil nach Deutschland bringen und den Markt überschwemmen, oder was?«

»So ähnlich! Wir fliegen hin. Also du, - dann nimmst du die Ware in Empfang, übergibst das Geld und wir verticken das Zeug an die Damen. Bis unsere Ärzte hier ihre ethischen Probleme geregelt bekommen, sorgen wir dafür, dass jede Frau die Möglichkeit hat, die Geburtenkontrolle selbst zu übernehmen. Sie allein entscheidet, schwanger zu werden, wenn sie das wirklich will. Ich übernehme vorab den kompletten Kostenfaktor, trage deine Kosten, zahle die Lieferung, du bist der Logistiker sozusagen und Tom telefoniert mit jeder und klärt die medizinische Seite vorab. Übergabe an die Kundschaft erfolgt persönlich durch mich, Ware gegen Bargeld. Perfekt oder?« »Nun, ich kann es mir vorstellen. Aber was ist mit der Rechtslage? Was, wenn eine der Damen das Medikament nicht verträgt, krank wird, vielleicht sogar stirbt?«

»Tom ist da guter Dinge. Es gibt ein Voruntersuchung, wie üblich, die sollen die Frauen bei ihren Ärzten hier erledigen. Dann telefoniert Tom mit jeder, klärt das ab und entscheidet. Ganz einfach.« »Lass’ mich mal sehen. Wo müssen wir hin? EDQM nach Nanterre, 730 Meter Bahn, hier ja, der Flugplatz Enghien Moisselles ist in der Nähe, das ist eine Graspiste und kein Zollflughafen, das heißt, ich muss auf dem Platz bleiben, fliege nach Westen, Coburg, Hammelburg, über Frankfurt und Trier, Grenzpunkt Luxemburg, Mont Médy, Reims, dann nördlich den großen Airport Orly umfliegen und landen auf Enghien Moisselles. Das sind 377 nautische Meilen, ich schätze mal 4 Stunden. Ihr sagt mir wann und ich plane das ein.«

Kapitel 3

„Allein und doch zu zweit?“

Zurück in Endorf sitze ich im Büro. Mein Arbeitspensum für die Woche kann ich organisieren, damit die zwei Tage rausspringen. Die Maschine ist reserviert, von meiner Seite aus ist alles geregelt. Ich sehe mir die Karte nochmals an und notiere mir wichtige Höhen und Sperrzonen. Plötzlich klingelt das Telefon, Rainer ist dran, er muss den Termin verschieben und ich plane um. Auch gut, hab ich mehr Vorlauf. Marga fühlt sich vernachlässigt und will mit Tina ihre Mutter besuchen. Ich bringe beide zum Zug und meine kleine Tochter weint, als wir uns verabschieden. »Papi, kommst du nicht mit?« schluchzt sie. »Nein, mein Schatz, ich muss arbeiten. Wenn du wieder da bist, gehen wir miteinander Fische fangen. Magst du das?«

Sie schenkt mir ein strahlendes Lachen, letzte Tränen laufen über ihr süßes Gesicht und sie drückt mich ganz fest an sich.

»Wir müssen jetzt einsteigen! Ich will mir keinen Platz suchen müssen, wenn der Zug schon fährt!« zischt Marga und ich helfe ihr mit dem Koffer. Der Abschied fällt mir schwer, ich bleibe am Bahnhof stehen und winke Tina zu, Marga ist vermutlich bereits mit Lektüre beschäftigt, sie sieht nicht mehr aus dem Fenster.

Die Wochen vergehen, ich telefoniere jeden Abend mit meiner Tochter bevor sie zu Bett geht. Marga erzählt hin und wieder, was sie so tut und ich habe das Gefühl, die räumliche Trennung bekommt ihr gut, sie wirkt ausgeglichener und entspannter am Telefon. Vielleicht vermisste sie ihre Mutter.

Ich aber habe den Auftrag mich um einen Hundewelpen zu kümmern und werde mich umhören, wo ein Züchter zu finden ist, sehe ins Telefonbuch und komme nicht weiter. Mir fällt ein Bauernhof in der Nähe ein, Bettina erzählte doch von einem Hundebaby, als sie zum See spazierten. Das Wetter ist passend, ich werde nach der Arbeit ein wenig schwimmen gehen. Der Sommer in Oberbayern erscheint mir wesentlich beständiger und länger; es ist von April bis weit in den September angenehm warm und man kann lange Zeit im Freien verbringen. Im Nordosten von Bayern habe ich schon erlebt, dass der Mai noch Schnee bringen kann.

Ich erreiche den Bauernhof und sehe mich um. Im Stall ist niemand und ich denke, man wird wohl am Feld arbeiten. Vierbeiner sehe ich auch keinen. Alles klar, auf ein andermal dann und ich radle weiter zum Simssee. Das Schild neben dem Kiosk gibt Auskunft über die Wassertemperatur und bei 21 Grad freue ich mich ein paar Runden zu schwimmen. Fröhliches Lachen dringt zu mir durch und ich entdecke ein paar halbstarke Jungs, die die Mädchen necken und im Wasser plantschen.

Sobald meine Tochter wieder hier ist, gehen wir zusammen schwimmen. Ich lernte es ihr frühzeitig, und sie geht ganz entspannt mit dem Element Wasser um. Ich muss unbedingt eine Luftmatratze besorgen… Plötzlich schrecke ich auf, habe Wasser auf dem Bauch und blinzle gegen die tiefer stehende Sonne. Ich bin wohl kurz eingenickt. Eine zarte Gestalt steht vor mir, eine Flasche in der Hand. Das ist Anni! »Servus Horst! Kennst mich noch?«

»Ja Anni! Servus! Hast du Feierabend? Jetzt schon?« Sie setzt sich zu mir: »Es ist gleich 7 Uhr!« »Oh, dann muss ich wohl eingeschlafen sein…bin um kurz vor 5 Uhr gekommen.«