110 - Cid Jonas Gutenrath - E-Book

110 E-Book

Cid Jonas Gutenrath

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Beschreibung

Ein Freigänger erschlägt seine Frau mit einer Axt, eine verzweifelte Mutter sucht Rat in Erziehungsfragen, ein Yacht-Besitzer empört sich, weil er auf dem Landwehrkanal "geblitzt" wurde: Wenn Cid Jonas Gutenrath Notrufe entgegennimmt, kommt er den Menschen sehr nahe. Ob er eine Frau zum Weiterleben überredet oder einen kleinen Jungen tröstet – Gutenrath begegnet ihnen allen auf seine ganz persönliche, faszinierende Art. Beim Lesen seiner authentischen Geschichten lacht man Tränen oder es stockt einem der Atem. Dieses Buch lässt keinen Leser kalt.

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CID JONAS GUTENRATH

110

Ein Bulle hört zu

Aus der Notrufzentrale der Polizei

ullstein extra

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-extra.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

ullstein extra ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbHISBN 978-3-8437-0236-2© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012Alle Rechte vorbehaltenSatz und eBook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Was immer Sie gleich lesen oder denken werden:

Ich trage das Vereinstrikot der schwarzen Bärenund werde es verteidigen und ehren.

Ich bin ein Polizist.

Gewidmet meinen Karatelehrern

Günther Kogucik (Sensei)

und

Geert Lemmens (Shihan)

(ohne die ich mit Sicherheit im Gefängnis gelandet wäre)

Vorwort

Ein weiteres Buch aus der Reihe »Bücher, die die Welt nicht braucht«? Schon wieder ein Bulle, Marke »außen hart, innen weich«, der sich in Selbstbeweihräucherung und Selbstmitleid ergießt und an der Realität zu zerbrechen droht? Oder, noch schlimmer, einer, der alles richtig macht, uns mit seinen Moralvorstellungen nervt und zu allem Überfluss auch noch den Hemingway in sich entdeckt?

Falsch. Alles falsch.

Es geht nicht um mich. Es geht um uns. Um uns alle.

Es geht um die Art, wie wir miteinander umgehen, was wir uns gegenseitig antun oder auch nicht. Es geht darum, was wir bereit sind, von uns preiszugeben. Darum, wie weit wir gehen. Wie weit wir gehen, um zu helfen oder um zu schaden. Und genau darin liegt die Faszination, das eigentlich Unbeschreibliche.

Kurz: Es geht um die Wirklichkeit.

Dieses Buch hat vielen anderen etwas voraus: Es ist nicht frei erfunden. Die künstlerische Freiheit hält sich stark in Grenzen und setzt spätestens dort ein, wo der Datenschutz es notwendig macht. Die unterschiedlichsten Menschen werden darin finden, was sie finden wollen: Für den notorischen »Bullenhasser«, der sich darüber freuen wird, wie vortrefflich man die Idioten in Grün am Telefon verarschen kann, wird etwas dabei sein, genauso wie für die Trümmerfrau oder Polizistenwitwe, die in einsamen Nachtstunden anruft, um, wenn auch nur kurz, mit jemandem zu reden, der sie nicht auslacht oder an ihr Geld will. Ebenso für den Akademiker, der in juristisch unanfechtbaren Verbalattacken sein Mütchen kühlt an dem vermeintlich einfach gestrickten Vertreter der Exekutive am anderen Ende der Leitung. Aber auch für die alleinerziehende Mutter, die von ihrem fünfzehnjährigen Sohn geschlagen wird und dankbar ist für jeden Rat und einen Augenblick des Zuhörens. Selbst der Kreuzberger Deutschtürke, der sich sicher ist, dass die Grünen jeden Einsatz mit Migrationshintergrund aus rassistischer Motivation verzögern, hat am Ende vielleicht seinen Spaß daran, sein Klischee bestätigt zu sehen oder sich zu wundern, dass der Bulle am Telefon weiß, was »Freund« auf Türkisch heißt. Letztlich wird der Alt-68er, dem wir zu rechts sind, ebenso wie der Neonazi, dem wir zu links sind, genau das in diesen Zeilen entdecken, was er will. Oder eben auch nicht …

Wir werden all diesen Menschen auf den folgenden Seiten begegnen. Diesen und noch ganz anderen Zeitgenossen, deren Geschichten und Sichtweisen uns die Falten auf die Stirn treiben werden. Falten des Zornes und des Mitgefühls, ich bin sicher.

Was das Ganze bringen soll? Nun, im untersten Ansatz soll es einfach bereichern. Wenn der eine oder andere Leser unwillkürlich ein Lächeln aufsetzt – über wen oder was auch immer –, hat es sich schon fast gelohnt. Wenn darüber hinaus manch einer, und sei es auch nur für Minuten, zum Nachdenken verführt wird, würde mich das sehr freuen.

Eines steht jedoch fest: Ganz sicher bin ich kein Enthüllungs- Journalist à la Wallraff, der vorgibt zu sein, was er nicht ist, sich in Systeme schleicht und unter Menschen mischt, um diese dann medienwirksam bloßzustellen. Chorknabe oder gar Weltverbesserer bin ich aber leider auch nicht, sondern eigentlich nur jemand, dessen Alltag und Kopf angefüllt sind mit Geschichten, die er teilen möchte und irgendwie auch muss.

Machen Sie etwas daraus.

Tommy

Montagnacht, 23 : 44 Uhr. Zu spät für die »Normalos«, zu früh für die Nachtschwärmer.

Es ist ruhig. Ruhig heißt, es blinkt, weil es immer blinkt, aber eben im Moment auf geringer Frequenz. Ich lege meinen Finger auf eines der rot aufleuchtenden Felder im Touchscreen und bin in der Leitung.

»Notruf der Berliner Polizei, Gutenrath, guten Abend.«

Dünne Stimme: »Hallo.«

»Ja, Polizei Berlin, hallo.«

Leise, mit fragendem Klang: »Hallo?«

»Ja, hier ist die Polizei, bitte sprechen Sie.«

Schweigen.

Ich entschließe mich, das Wort »Polizei« wegzulassen, und frage mit ruhiger, freundlicher Stimme: »Wer ist denn da?«

Auf der anderen Seite holt jemand zittrig Luft, so als würde er all seinen Mut zusammennehmen, und sagt dann: »Tommy.«

»Hallo, Tommy.«

»Hallo«, antwortet er mir, irgendwie erleichtert.

In meinem Kopf entsteht ein Bild von einem kleinen Jungen, und ich sage aufmunternd: »Tommy, was los?«

Zögerlich und nachdenklich kommt: »Mama is weg.«

»Mama ist weg? Wo ist Mama, arbeiten?«

»Mama ist im Himmel – sagt Papa.«

Ich atme tief durch, stelle meine Stuhllehne zurück und frage: »Tommy, wie alt bist du?«

»Fünf.«

»Wo ist Papa?«

»Schläft.«

Gut, denke ich, er ist nicht allein in der Wohnung, obwohl mich ein wenig beunruhigt, dass er lieber mit mir spricht, statt seinen Papa zu wecken.

»Is Papa lieb?«, frage ich.

»Schon, aber immer müde«, klingt es etwas gelangweilt. Dann kommt ungefragt: »Hab Bauchweh.«

»Du hast Bauchweh? Schlimm?«

»Geht.«

Und dann sprudelt es plötzlich aus ihm raus: »Früher hat mir Mama dann immer den Bauch gestreichelt oder leise gesungen, bis ich eingeschlafen bin … Bis sie krank geworden ist.«

»Bis sie krank wurde?«, wiederhole ich und lasse ihn reden.

»Ja, als sie krank wurde, konnte sie nicht mehr so gut. Da hab ich dann manchmal für sie gesungen oder mit ihr zusammen bunte Kopftücher ausgesucht …«

Scheiße, Krebs, denke ich und muss unwillkürlich an meine eigenen Zwerge denken. Und dann kommt sie, die Frage, vor der ich schon die ganze Zeit Bammel habe und trotzdem noch keine gute Antwort parat.

»Is Mama wirklich im Himmel?«

»Wenn Papa das sagt«, antworte ich und komme mir blöd dabei vor.

Mehr hast du nicht drauf, Großmaul?, denke ich und schäme mich ein wenig. Aber was sagst du so einem kleinen Kerl, der offensichtlich seine Mutter hat sterben sehen? Irgendwas vom »großen Weltgefüge« und dem »Masterplan vom lieben Gott«? Lieber Gott! Als damals mein kleiner Bruder vor meinen Augen überfahren wurde und nach drei Tagen Koma starb, hat meine Mutter vom Pfarrer auch nicht erfahren können, wieso. Ich war so zornig, dass ich mich jahrelang geweigert habe zu beten. Wenn ich als Großer, der Menschen hat sterben und auf die Welt kommen sehen, nicht viel kapiert habe, wie erkläre ich es dann Tommy?

Wir haben für kleine, traurige Menschen extra Teddys in Uniform, und ich überlege kurz, ob ich ihm einen bringen lasse. Aber dafür ist es zu spät. Außerdem, verdammt, will er kein Plüschtier, sondern seine Mama! Die kann ich ihm nicht wiedergeben, aber einen neuen Anlauf kann ich nehmen. Und ich entschließe mich, alle Register zu ziehen: »Ja, Tommy, ich glaube, dass deine Mama im Himmel ist. Aber beweisen kann ich’s dir nicht, auch wenn ich Polizist bin. Es ist nämlich, leider, noch nie jemand von dort zurückgekommen. Aber dass es diesen Ort dort oben nicht gibt, das kann auch keiner beweisen. Genauso spannend ist aber die Tatsache, dass deine Mama gar nicht wirklich weg ist.«

»Wieso?«, haut er erstaunt raus, und ich ärgere mich ein bisschen über meinen letzten Satz.

»Das werd ich dir sagen«, mache ich weiter. »Mama und Papa haben dich gemacht, richtig?«

»Glaub schon«, kommt leicht enttäuscht.

»Du bist also ein Teil von Papa und von Mama, und wenn du dich mal vor den Spiegel stellst, wirst du ganz sicher irgendetwas entdecken, was genauso aussieht wie bei Mama. Deine Nasenspitze, ein Muttermal oder vielleicht irgendetwas an deinen Händen.«

»Jaaaaaa«, poltert er los, »ich hab einen schiefen Zeigefinger, genau wie Mama!«

Er spricht von ihr nicht in der Vergangenheit, das finde ich gut und fahre fort: »Und das ist noch lange nicht alles. Du siehst die Dinge und deine Welt mit ihren Augen, und wenn du dich freust oder etwas Schönes siehst, fühlst du wie sie. Selbst deine Kinder, später einmal, werden noch etwas von ihr in sich tragen. Und genau das ist es, kleiner Mann, was uns Menschen tatsächlich unsterblich macht.«

Das muss er erst mal verdauen und schweigt. Ich höre es förmlich ticken, in seinem kleinen Köpfchen, und schiebe noch hinterher: »Sie ist nicht weg. Sie wird immer bei dir sein.«

Das war zu viel. Ich höre ihn schniefen und überlege angestrengt, wie ich den Kurzen wieder auf Spur kriege. Mir fallen die Kinder der im World Trade Center gebliebenen Polizisten und Feuerwehrmänner ein und die Luftballons. Also schwenke ich noch mal um und frage hastig: »Tommy, kennst du den großen Rummel, der gerade in Zehlendorf ist?«

»Ja«, antwortet er knapp und zieht ein bisschen Rotz hoch.

»Zu dem gehst du am Wochenende mit Papa hin. Und vorher, vorher schreibst du an Mama einen Brief. Papa hilft dir bestimmt dabei.«

»An Mama?«, unterbricht er mich.

»Ja, an Mama! Schreib rein, was du ihr gerne sagen möchtest. Und schreib auch was Lustiges mit rein, damit sie etwas zu lachen hat.«

»Und dann?«, hakt er nach.

»Dann geht ihr zu dem Rummel und kauft einen schönen, großen Luftballon. Einen, von dem du glaubst, dass er Mama auch gefällt. An den bindet ihr dann ganz fest den Brief, sucht euch eine große Wiese und lasst ihn aufsteigen. Mitten in den Himmel!«

»Und das kommt an?«, fragt der kleine Skeptiker.

»Da bin ich ganz sicher«, lüge ich so ehrlich, wie ich nur kann.

»Und schreib einen Gruß an Tim Bär mit rein«, bitte ich ihn. »Das ist mein Bruder. Ich glaube, er ist auch da oben. Vielleicht kennt sie ihn ja.«

»Okay«, murmelt er nachdenklich, und ich spüre, ich hab ihn.

Nachdem ich ihn einen Augenblick den Gedanken habe durchkauen lassen, sage ich: »So, und jetzt gehst du ins Bett, okay?«

»Okay«, antwortet er.

Und während ich kurz darüber sinniere, dass er es schon irgendwie schaffen wird, seine Mutter bei sich zu behalten, ob nun über Religion oder Biologie, reißt er mich aus meiner rosaroten Wolke: »Du bist kein Arschloch.«

Gleich einem Schlüsselreiz folgend, entweicht es mir sofort: »Wie war das?«

»Mein großer Bruder sagt, ihr seid alles Arschlöcher. Du bist kein Arschloch!«

Allerspätestens jetzt hat er mich, und ich merke, es ist Zeit, das Gespräch zu beenden.

»Du gehst jetzt ins Bett, und weißt du was, Tommy?«

»Was denn?«, fragt er artig.

»Danke, dass du mich angerufen hast. Gute Nacht.«

»Gute Nacht«, höre ich ihn sagen und gehe mit meinem Finger auf das graue Touchscreenfeld, auf dem in großen schwarzen Buchstaben ein Wort steht: TRENNEN.

Das Bernsteinzimmer

Habe Kopfschmerzen und Fransen an den Ohren. Den letzten drei Anrufern heute ist es gelungen, ihre Bagatelle zum Problem hochzustilisieren – und das ließen sie mich sehr deutlich miterleben. Trotzdem wurde, wie immer, im Rahmen des Machbaren schnellstmögliche Abhilfe zugesagt und veranlasst. Es war aber, wie immer, nicht genug. Wobei – »wie immer« ist nicht fair. Es gibt durchaus Menschen, die nach einfühlsamer Erklärung verstehen, dass die Polizei nicht bei jedem Fall in zwei Minuten vor Ort sein kann, und dieses Schicksal mit Würde oder gar Humor ertragen. Manchmal.

Bin also leicht angefressen. In Erwartung des nächsten gutsituierten Jaguarfahrers, dem irgendeine Proletenkutsche zu dicht auf das Blechkleid gerückt ist, steche ich mit meinem Zeigefinger zu und höre: »Ich weiß, wo das Bernsteinzimmer ist.«

»Na, dann sind wir ja schon zwei«, haue ich raus und hab damit den erwarteten Erfolg: RUHE.

Als der Anrufer sich etwas gesammelt hat, stammelt er: »Wie … was?«

»Is ’ne Disco in Tempelhof«, stelle ich nüchtern fest. »Ü 30 und so. Ich fürchte, wir zwei haben sogar noch ein paar Mitwisser.«

»Disco Ü 30?«

Der alte Mann ist überfordert. Leicht brüskiert beginnt er erneut: »Ich habe das Bernsteinzimmer gefunden. Interessiert das irgendjemanden?«

Im Prinzip noch in derselben Laune, halte ich die Spur: »Ja, mich! Sagen Sie mir, wo. Wir machen das Zeug zu Geld und brennen durch nach Südamerika. Die liefern nicht aus.«

»Ich weiß«, kommt es leise und nachdenklich, »ich habe lange Zeit in Argentinien gelebt.«

Irgendetwas klickt in meinem Kopf. Führt aber leider zu nichts, wie so oft. Während ich das unangenehme, undefinierbare Gefühl abschüttele, das seine letzte Bemerkung hinterließ, denke ich über die Optionen nach. Will er mich verscheißern? Ist er einer der vielen Verrückten, die hier anrufen, oder – hat er das Bernsteinzimmer gefunden? Ich krame in meinem Hirn nach dem, was ich so über dieses Thema weiß. Das ist nicht viel. Trotzdem beschließe ich, ihn mit meinem soliden Halbwissen zu beeindrucken, und sage: »Sie waren im Urlaub in Sankt Petersburg, stimmt’s?«

Sehr aufgeräumt und mit kräftiger Stimme kommt daraufhin: »Ich rede doch nicht von dieser billigen Kopie. Ich rede vom Original!«

Langsam geht mir der Opa auf den Keks, was ich ihn spüren lasse: »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben. Dies ist der Notruf der Polizei. Wir brauchen unsere Leitungen!«

»Sie sind unhöflich, junger Mann«, weist er mich zurecht.

»Ich bin nicht unhöflich, ich bin zielorientiert«, labere ich seicht, wie ein Politiker.

»Sie sind unhöflich! Und das, wo Sie für Ihren Berufsstand einmal einen Schwur geleistet haben«, beschwert er sich.

Was will er denn nun, denke ich genervt und überlege, ob ich mir eine Kopfschmerztablette reinpfeife.

»Ich habe auch einmal die Hand gehoben«, fährt er fort, und dann sagt er langsam und stolz: »Meine Ehre heißt Treue!«

»SS«, schießt es mir durch den Kopf, und sofort bin ich hellwach.

»Diesen Vergleich verbitte ich mir!«, entgegne ich scharf.

»Sohn, Sie waren niemals Soldat«, spricht er belehrend in väterlichem Ton, und bevor er fortfahren kann, rede ich dazwischen: »O doch, ich war Soldat! Sogar Elitesoldat, doch schon in der Grundausbildung habe ich gelernt, keinen Befehlen zu folgen, die ein Verbrechen sind. Und Ihr Sohn bin ich ganz sicher nicht! Ich hatte mich zu Beginn des Gespräches vorgestellt. Mein Name ist Gutenrath. Jonas Gutenrath!«

Stille.

Als ich nach einer Weile schon denke, dass er aufgelegt hat, kommt für mich völlig unerwartet: »Welche Waffengattung?«

Weil ich die Frage nicht sofort kapiere, frage ich gereizt: »Wie, welche Waffengattung?«

»Bei welcher Waffengattung waren Sie Angehöriger?«, wiederholt er ruhig.

»Marinetaucher«, sage ich knapp, »und das war ich nicht nur, sondern das werde ich in meinem Herzen ewig bleiben!«

Diese Antwort war ein schwerer taktischer Fehler. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich hörte den alten Mann beim Zuhören lächeln. Er glaubt, bei mir einen Fuß in der Tür zu haben: »Kamerad, du weißt, was es heißt, jemandem bedingungslos zu vertrauen. Stolz zu sein, dazuzugehören. Außergewöhnliches zu leisten.«

Ich unterbreche ihn erneut. Klar weiß ich, wovon er redet, aber mir passt der Vergleich oder besser: das Ziel seiner Ausführungen nicht.

»Wir sind keine Kameraden!«, haue ich die Axt dazwischen. »Und Sie scheinen meinen Namen nicht verstanden zu haben. Ich will mal ein wenig ausholen: Wie allen hier, hat man mir schon als Kind Filme gezeigt mit gequälten und ausgehungerten Menschen. In einem dieser Filme sah ich, wie einer Ihrer ›Kameraden‹ nach einem kleinen Jungen trat. Ein stolzer SS-Mann trat einen kleinen Jungen! Seltsamerweise habe ich ausgerechnet diese Szene niemals vergessen. Nun, ich habe einen kleinen Jungen, und ihr hättet ihn getreten, nur weil er den falschen Namen trägt. Schande über euch! Wir sind keine Kameraden, alter Mann. Ganz sicher nicht!«

»Ich habe keine Kinder getreten«, antwortet er gebrochen und doch kalt. »Und ich habe auch nicht …«

»Will ich nicht hören«, fahre ich dazwischen. »Ich will keine Erklärungen, Ausflüchte oder Entschuldigungen hören«, sage ich, wohl wissend, ihm damit jeden Weg zu einem versöhnlichen Wort abgeschnitten zu haben. Folgerichtig und von mir in dieser Form auch erwartet, richtet er sich auf und sagt: »Ich bitte für gar nichts um Entschuldigung. Außer vielleicht dafür, versagt zu haben.«

Wie die Floskeln sich ähneln … Ohne genau zu wissen, warum, lasse ich ihm einen Rest Würde und höre mich selbst sagen: »Genau das habe ich auch oft so oder so ähnlich gebrüllt. Meistens in der Version ›Ich bitte nicht um Entschuldigung, sondern um eine gerechte Strafe‹. – Also, alter Mann, ich weiß nicht, was Sie getan haben, und schon gar nicht, warum. Und ich bin auch nicht Ihr Richter. Aber wenn Sie vor Ihren Richter treten, wann und wo auch immer, bitten Sie nicht um Entschuldigung, sondern um eine gerechte Strafe.«

Ein Geräusch wie ein leises Knurren ist zu hören. Dann sagt er: »Leb wohl, Kamerad«, und legt schnell auf, noch ehe ich etwas erwidern kann.

Ich muss an meinen Adoptivvater denken, der mir seinen Namen gab und inzwischen als Letzter seiner oder besser »unserer« Familie starb …

Ach ja, sorry … Wir werden wohl nie erfahren, wo das Bernsteinzimmer geblieben ist.

Mein Freund, der Baum

Zum Thema Nachbarschaftsstreit ließen sich ganze Bücher füllen. Es ist schier unglaublich, mit welcher Gemeinheit, ja Boshaftigkeit und zum Teil krimineller Energie die Menschen manchmal gegeneinander vorgehen, sobald es um das eigene Territorium geht. Da mutiert so manch biederer Beamter oder Rentner zum trickreichen Fallensteller und autodidaktischen Elektronikspezialisten. Es muss uns Menschen etwas Fundamentales, Naturgegebenes innewohnen, das Kultur und Bildung verblassen lässt, sobald es um die Feuerstelle, Höhle oder eigene Rasenkante geht. Wer weiß, vielleicht hätten wir es anders auch nicht zur vermeintlichen Spitze der Evolution geschafft.

Wie Sie inzwischen bemerkt haben dürften, ist für mich nicht nur Anlass, sondern vor allem auch Wirkung ein wichtiges Kriterium für einen mutmaßlichen Notfall. In unserer Zeit und meiner Firma ist diese Sichtweise der Dinge jedoch nicht allzu populär. Lassen sich doch die Ergebnisse solcher Notruf-»Bearbeitungen« nicht immer in wettbewerbstaugliche Kosten-Nutzen-Statistiken pressen und öffentlichkeitswirksam auflisten. Trotzdem leiste ich mir diesen Luxus. Nicht nur, weil ich ein sentimentaler Querulant bin. Sondern weil ich exakt darin die große Chance sehe, in den Herzen und letztlich auch irgendwann in den Köpfen der Menschen zu landen: ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir besser sind als unser Ruf. Also -Arbeit im besten Sinn. Außerdem macht’s Spaß…

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