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Kämpferinnen. Dämonen. Lieblingsmonster.
Ihr alle kennt und liebt sie, die Fellbündel aus der Hölle.
Aber so habt ihr eure Samtpfoten noch nie erlebt!
Boshaft, humorvoll, erschütternd.
13 Autorinnen und Autoren erzählen euch 13 höllische Katzengeschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Möge das diabolische Schnurren beginnen!
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Der Reinerlös dieser Anthologie kommt Katzenschutzprojekten zugute.
Mit einem Vorwort von Andreas Gruber.
INHALT
100 Seelen
Claudia Rapp
Hells Kitty
Anja Hansen
Tamra Maew
M.H. Steinmetz
Die sieben Leben eines Kriegers
Erik R. Andara
Totensand
Jenny Wood
Schwarze Katzen bringen Unglück
Torsten Scheib
Sachmet, mein Revier
Doris Gapp
Max und Moritz
M.M. Vogltanz
Zwei Monster ohne Wiederkehr
David Knospe
Flederblut und Tatzenzauber
Azrael ap Cwanderay
Bernie Beddens weiSSer Kater
Faye Hell
Das alte Herrenhaus
Jacqueline Mayerhofer
Füreinander einstehen
Simona Turini
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
13
LIVES
of
HELLCATS
FAYE HELL
&
M.H. STEINMETZ
(Hrsg.)
Vollständige Ausgabe 2022
Copyright © Hammer Boox, Bad Krozingen
Lektorat:
Hammer Boox, Bad Krozingen
Korrektorat: Doris Gapp
(Fehler sind völlig beabsichtigt und dürfen
ohne Aufpreis behalten werden)
Titelbild: Azrael ap Cwanderay
Satz und Layout: Hammer Boox
Copyright © der einzelnen Beiträge bei den Autoren
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Wie ihr vielleicht wisst, ist HAMMER BOOKS noch ein sehr junger Verlag.
Nicht nur deshalb freuen wir uns alle, wenn ihr uns wissen lasst, was ihr von diesem Roman haltet.
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»Hochmütig, frei, geheimnisvoll, sinnlich, babylonisch, unpersönlich, sie ist der ewige Begleiter von Erhabenheit und Kunst – Inkarnation vollkommener Schönheit und Gefährte der Poesie – die süße Katze, ernst, weise und nobel.«
– H. P. Lovecraft –
Typisch Lovecraft, dachte ich, als ich dieses Zitat das erste Mal an der Wand eines Kaffeehauses gesehen und sogleich abfotografiert habe. Es strotzt nur so von Adjektiven. Aber vor hundert Jahren wurde nun mal so geschrieben, vor allem, wenn es um düstere Phantastik ging. Aber dennoch hat dieser Aphorismus – wie jeder andere gute Gedanke – heute immer noch seine volle Gültigkeit. Die Katze ist der Gefährte der Poesie. Wie schön H. P. Lovecraft das ausgedrückt hat. Katzen und ihre Schriftsteller haben nämlich eine lange Tradition.
Krimiautor Raymond Chandler hatte eine schwarze Angorakatze namens Taki, die er seine »Sekretärin« nannte, weil sie ständig auf seinen Manuskripten saß, die er gerade bearbeiten wollte. Hunter S. Thompson nannte seinen Kater Mr. Screwjack und verfasste gar einen eigenen Roman über ihn. Rita Mae Brown hingegen schreibt ihre Krimis sogar gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Sneaky Pie, eine Tigerkatze.
Ebenso wenig konnte der argentinische Phantastikautor Jorge Luis Borges ohne Katzen leben und widmete ihnen das Gedicht »An eine Katze«.
Wolfgang Hohlbeins Katze Sammy bringt seinen Schreibtisch regelmäßig durcheinander, und wenn nicht, dann legt sie sich quer über sein Schreibpad – und das hat Hohlbein mit Krimiautorin Patricia Highsmith gemeinsam, denn ihr Kater hieß ebenfalls Sammy. Einfallsreicher war da schon T. C. Boyle, der seine Bengalkatze uncharmanter Weise Fat Belly nannte.
Aber einer schlägt sie alle, zumindest mengenmäßig, denn angeblich leben im Ernest Hemingway Museum auf Key West heute immer noch mehr als fünfzig Katzen, allesamt Nachfahren von Hemingways Kater – der offenbar genauso potent war wie sein Herrchen.
Nahezu ewig könnte man über dieses Thema reden, beispielsweise über Nadine Gordimer, Margaret Atwood, Doris Lessing, Anne Rivers Siddons, Ephraim Kishon, Françoise Sagan, P. D. James, Ruth Rendell oder Herbert Rosendorfer – sie alle schrieben neben ihren Katzen. Und nicht zuletzt war auch Erich Kästner für sein gemeinsames Leben mit gleichzeitig bis zu vier Katzen bekannt.
Aber nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Physik sind Katzen unmöglich wegzudenken. Die Katze des österreichischen Quantenphysikers Erwin Schrödinger ist wahrscheinlich die berühmteste Katze aller Zeiten. Allerdings wissen wir bis heute nicht, ob sie tatsächlich jemals existiert hat, und falls ja, ob sie tot oder lebendig ist – ein Leben lang gefangen in einem Karton, in den nie jemand hineingeschaut hat. Auf die Idee, den Karton zu schütteln, um zu hören, ob die Katze darin miaut, ist Schrödinger aber nie gekommen. Zum Glück, denn sonst gäbe es heute keine Quantenphysik.
Von der Physik ist es nicht weit zur Science Fiction. Auch dort spielen Katzen eine wichtige Rolle. Lieutenant Ellen Ripley und ihr roter Kater Jones – liebevoll von ihr Jonesy genannt – haben als einzige die Attacke des Alienmonsters auf dem Raumkreuzer Nostromo überlebt. Und hätte Neo in »Matrix« nicht die schwarze Katze zweimal hintereinander im Treppenhaus über den Weg laufen sehen und sie fälschlicher Weise für ein Déjà-vu gehalten, wäre der Eingriff in die Matrix unentdeckt geblieben, und wir alle würden jetzt vermutlich immer noch rücklings in Wassertanks schwimmen, an Schläuchen angehängt, über die man uns sämtliche Lebensenergien abzapft.
Eine noch viel größere und längere Tradition haben allerdings Katzen und Horrorfilme. Als Grundlage diente vermutlich Edgar Allan Poes Kurzgeschichte »The Black Cat«, die bereits mehrmals verfilmt wurde, unter anderem von den Horror-Ikonen Roger Corman (1962), Lucio Fulci (1981), Dario Argento (1990) und Stuart Gordon (2007).
Und wie kann es anders sein, auch der Horror-Papst schlechthin, Stephen King, hat sich natürlich dieses Themas angenommen. Der Episodenfilm »Katzenauge« basiert auf Kings Kurzgeschichten, und im Roman »Friedhof der Kuscheltiere« ist es eine überfahrene Katze, die das Grauen in Gang setzt und uns zwei Verfilmungen und ein Remake beschert hat.
Da ich selbst Autor bin, Science Fiction, Horror und Krimis schreibe und mich sogar ein wenig in die Quantenphysik eingelesen habe, müsste ich eigentlich ein großer Katzenliebhaber sein. Ja, bin ich tatsächlich. Aber das war nicht immer so. Um ehrlich zu sein, war ich in meiner Kindheit sogar ein großer Katzenhasser. Schuld daran war vermutlich mein Vater, der Jagd auf jene Katzen machte, die über den Zaun in seinen Garten gesprungen sind, um dort ihre Häufchen zu platzieren.
Ich habe zwar immer, wenn ich irgendwo mit meinen Eltern zu Besuch war, versucht, die dort ansässigen Hauskatzen zu streicheln, aber das ist mir nie gelungen. Die Katzen machten stets einen großen Bogen um mich, und wenn es mir mal tatsächlich gelungen ist, eine hochzunehmen, sträubte sie sich mit allen Vieren, kratze, pfauchte und sprang in hohem Bogen davon. Das führte mich schließlich – immer noch Kind – zu der Schlussfolgerung, Katzen seien selbstgefällige, hochnäsige und arrogante Tiere.
Viele Jahre später, nachdem ich geheiratet habe, übersiedelten meine Frau und unser Sohn von einer Wohnung in ein Haus mit Garten. Dummerweise hatte ich meinem Sohn zuvor versprochen, er dürfe eine Katze haben, wenn wir mal in ein Haus übersiedeln würden. Und von diesem Versprechen konnte ich keinen Rückzieher machen. Also musste eine Katze her: Ich, der Katzenhasser, mit einer Katze unter ein- und demselben Dach. Undenkbar!
Allerdings hatte ich gehört, dass zwei Katzenbabys weniger Schaden im Haus anrichten würden und weniger Möbel zerkratzten, Couchbezüge zerfetzten und Vasen umwarfen als eines, da sie sich miteinander spielten und gemeinsam nicht auf so viele dumme Gedanken kamen. Also war es dann schließlich mein Vorschlag, gleich zwei Katzen zu nehmen. Und die beiden dreifärbigen Glückskatzengeschwister Willow und Isabel haben mich 2003 geläutert und mein Leben verändert. Seitdem sehe ich mich als Autor in der Tradition von Ernest Hemingway, Raymond Chandler, Jorge Luis Borges, Hunter S. Thompson, Ephraim Kishon, T. C. Boyle, Herbert Rosendorfer und Wolfgang Hohlbein. Es ist ein schönes Gefühl, dazu zu gehören.
Mittlerweile sind nach Willow und Isabel weitere Katzen dazugekommen. Die langhaarige schwarze Purzel und ihre Schwester, die dreifärbige Piper. Die graugetigerte Elli. Der rothaarige, etwas schielende Kater Charlie und seine schlimme Schwester Lily. Und unsere jüngsten Zugänge, der graugetigerte Nikki und seine Schwester, die schwarz-weiß gesprenkelte Bibbi.
Tierbesitzern braucht man das nicht zu sagen, aber allen anderen kann ich hiermit versichern: Jedes Tier hat seinen eigenen Charakter, der unterschiedlicher nicht sein könnte. Meines Erachtens sind Tiere einfach die besseren Menschen.
Nikki begleitet mich jedes Mal aufs Klo, lässt sich dort von mir hochheben und streicheln. Wenn Nikki nicht mitgeht, begleitet mich Charlie aufs Klo, um dann dort in meine heruntergelassene Hose zu springen und sich darin zusammenzurollen. Manchmal habe ich den Eindruck, wir drei Jungs wären eine richtige coole Männer-WG.
Bibbi quatscht immerzu. Sie haben richtig gelesen! Sie redet in einer Tour. Es beginnt schon, wenn sie durch die Katzenklappe ins Haus kommt. Sie maunzt und quiekt und knarrt, ziept, piepst, flötet, zwitschert und gluckst so lange, bis sie bei uns auf der Couch liegt, als wollte sie uns erzählen, was sie draußen alles erlebt hat. Und dann nuckelt sie an der Weste meiner Frau, bis diese ganz nass ist – die Weste, nicht meine Frau!
Piper hingegen liebt Blumen. Sie liegt ständig in irgendeinem Blumentopf oder Blumenbeet, kunstvoll zwischen die Pflanzen geschlängelt, wo sie stundenlang verharrt.
Purzel klopft mit der Pfote lautstark ans Fenster, wenn sie ins Haus will.
Aber Willow ist die cleverste von allen. Sie kann sich das TV-Gerät selbst einschalten. Klingt zwar lustig, ist aber echt gruselig, wenn meine Frau und ich nachts heimkommen, im Haus alles stockdunkel ist und nur das TV-Gerät läuft. Wenn wir dann vorsichtig ins Wohnzimmer schleichen, um zu sehen, ob eh keine Einbrecher im Haus sind, entdecken wir, dass die Katzen allesamt auf der Couch vor dem Fernsehgerät liegen und tief schlafen. Am liebsten schauen sie »Columbo«.
Elli ist die größte Jägerin, die wir je hatten. Tierschützer bitte jetzt weghören: Elli hat uns schon Vögel, Mäuse, Maulwürfe, Schlangen (keine Blindschleichen, sondern echte Schlangen), Kröten und sogar mal eine Ratte und eine Fledermaus ins Haus gebracht. Kunststück – wir leben am Waldrand. Ich versuche, diese Tiere dann immer zu retten, und meistens gelingt es mir auch.
Meine Frau und ich haben ein Code-Wort. Wenn ich im ersten Stock unseres Hauses in meinem Schreibbüro arbeite und ich sie unten rufen höre: »Mäusealarm! Code Gelb!«, ist die Maus bereits tot. Schreit sie: »Mäusealarm! Code Rot!«, ist die Maus quietschlebendig und läuft durchs Haus. Ich darf sie dann einfangen. Inzwischen habe ich eine eigene Technik entwickelt: Maus in die Ecke drängen und ein Geschirrtuch darüber werfen. Trotzdem hat mich einmal eine Springmaus bei dem Versuch, sie zu retten, in den Daumen gebissen.
Mittlerweile lebt unser Sohn schon lange in einer eigenen Wohnung, aber wir sorgen nach wie vor regelmäßig für Katzennachwuchs im Hause Gruber – und meistens bin ich es, der darauf drängt, ins Tierheim zu fahren, um weitere Katzenbabys bei uns aufzunehmen. Wäre ja sonst langweilig, so einsam am Waldrand.
Ja, ich weiß, meine Frau und ich sind ein bisschen verrückt, aber unser Haus mit Wintergarten und zahlreichen Kratzbäumen ist groß genug. Meine Frau sagt immer spaßhalber: »Wenn ich nochmal auf die Welt komme, werde ich Katze in unserem Haus.« Gewässerte Katzenmilch zum Frühstück, Leckerlis am Nachmittag, dazwischen ein All-You-Can-Eat-Buffet aus Trocken- und Nassfutter, Bürsten- und Streicheleinheiten inklusive und abends ein abwechslungsreiches TV-Programm.
Und unsere Katzen lieben meine Frau ganz besonders. Wenn sie im oberen Stockwerk in ihrem Büro sitzt, wo sie in ihrer Freizeit meine Lesereisen plant und organisiert, liegt immer mindestens eine Katze auf ihrem Schreibtisch. Bibbi ist es schon mehrmals gelungen, ungewollt eine bestimmte Tastenkombination zu drücken, wenn sie über die Tastatur spaziert. Entweder ist der Bildschirm dann auf Hochformat umgestellt – eine Funktion, die ich zuvor gar nicht kannte – oder sie hat eine Anschlagverzögerung aktiviert, was ich auch noch nicht gekannt habe. Ich muss dann immer lange herumsuchen, um den Laptop meiner Frau wieder »geradezubiegen«.
Einmal hat meine Frau einer Buchhandlung eine Lesung per E-Mail angeboten. Als sie kurz davor war, die Nachricht abzuschicken, und ein Honorar von 350,- Euro anbieten wollte, ist Bibbi über die Tastatur gelaufen und hat die E-Mail verschickt. Entsetzt hat meine Frau festgestellt, dass sie die Lesung um 35,- Euro angeboten hatte. Ich deute das als eindeutige Mobbing-Aktion gegen mich und meinen Beruf als Schriftsteller. Wie gesagt, die Katze ist der Gefährte der Poesie. Vielleicht war das aber auch eine späte Rache für jene Zeit, als ich noch stolz darauf gewesen war, ein Katzenhasser zu sein.
Mein Vater hat sich übrigens ebenso wie ich zum Katzenfreund gewandelt. Bei seinen vielen Besuchen in unserem Haus hat sich seine Einstellung gegenüber den Fellnasen deutlich gewandelt. Mittlerweile hat er selbst einen roten Kater aus dem Tierheim namens Charlie II, weil dieser jünger als unser Charlie ist. Und ihre gegenseitige Liebe ist so groß, dass Charlie II wie ein Hund überallhin mitläuft, wohin mein mittlerweile achtzigjähriger Vater geht und Charlie II ihn liebevoll ableckt, sobald er gebürstet wird. Die beiden sind schon ein verrücktes Paar. Die Katzen haben somit auch sein Leben verändert – und das will was heißen!
Wenn Sie um die Weihnachtszeit Zeit und Lust haben und daran denken, dann schauen Sie doch auf meiner Facebook-Seite vorbei. Jedes Jahr veranstalte ich einige Wochen vor Weihnachten eine Versteigerung für einen guten Zweck. Der Höchstbieter erhält einen originellen Artikel von mir – jedes Jahr einen anderen – und ich verdopple den Höchstbetrag aus meiner Tasche und spende alles dem Tierschutzhaus Wiener Neustadt in Niederösterreich, jenes Heim, aus dem mein Vater und wir unsere Fellnasen haben.
Apropos guter Zweck: Auch mit dem Kauf dieser Anthologie, die Sie gerade lesen, unterstützten Sie Katzenschutzprojekte, an die der gesamte Erlös gespendet wird.
Hiermit ist die Mäusejagd eröffnet, die Krallen am Kratzbaum sind geschärft, wir sind zum Sprung bereit, und ich übergebe das Wort den Autoren und Autorinnen dieser Anthologie. Freuen Sie sich nun gemeinsam mit mir auf die folgenden Katzengeschichten direkt aus der Hölle von M. H. Steinmetz, Melanie Vogltanz, Jacqueline Mayerhofer, Erik R. Andara, Thorsten Azrael Perne, Torsten Scheib, Claudia Rapp, Simona Turini, Jenny Wood, Doris Gapp, David Knospe, Anja Hansen und Herausgeberin Faye Hell … möge Ihnen allen, genauso wie mir, das Fell zu Berge stehen.
Herzlichst,
Ihr Andreas Gruber
Grillenberg, im Jänner 2022
INHALT
100 Seelen
Claudia Rapp
Hells Kitty
Anja Hansen
Tamra Maew
M.H. Steinmetz
Die sieben Leben eines Kriegers
Erik R. Andara
Totensand
Jenny Wood
Schwarze Katzen bringen Unglück
Torsten Scheib
Sachmet, mein Revier
Doris Gapp
Max und Moritz
M. M. Vogltanz
Zwei Monster ohne Wiederkehr
David Knospe
Flederblut und Tatzenzauber
Azrael ap Cwanderay
Bernie Beddens weiSSer Kater
Faye Hell
DAS ALTE HERRENHAUS
Jacqueline Mayerhofer
Füreinander einstehen
Simona Turini
Dreiundneunzig.
Sie hatte sich eine Ruhepause verdient. Sie rollte sich zufrieden zusammen und gähnte mit aufgerissenem Maul. Eigentlich war es nur ein Mäulchen, und ein furchtbar niedliches noch dazu. Überhaupt war die kleine, getigerte Katze mit den schwarzen Ohren allerliebst und zuckersüß. Deswegen lief es ja auch so gut mit ihrem höllischen Auftrag, dem Teufel 100 Seelen zu liefern. Dem Tod 100 Opfer zuzuführen. Wie auch immer.
Sie erinnerte sich dunstig an ein früheres Leben als Mensch. An die Überdosis Kokain, ein Versehen. Der Druck der Öffentlichkeit, nachdem die halblegalen Geschäfte aufgeflogen waren. Die Verstrickungen zwischen Politik und Lobbyverbänden, all die Lügen und Betrügereien …
Und nun war sie eine Höllenkatze. Tigerfell wie tausend andere, aber die Ohren und der obere Teil des Köpfchens schwarz wie Obsidian. Wenn sie aufmerksam lauschte, sah es aus, als trüge sie eine Kappe mit Hörnern. Ein kleiner Mephisto. So sahen sie alle aus, die Verfluchten. Verstorbene, die erst frei waren, wenn sie 100 andere Menschen in den Tod gelockt hatten. Die flüsternde Stimme aus dem Dunkel hatte es ihr erklärt, nachdem Infarkt und Psychose gleichzeitig über sie hinweggeflutet waren und sie mitgerissen hatten. 100 Seelen, dann wäre ihre eigene frei und dürfe hinaufschweben in die Ewigkeit.
Sie hatte schnell begriffen, wie es ging. Manchmal reichte es, sich allerliebst und zuckersüß zu putzen, um die Menschen abzulenken. Sie suchte sich einen Ort voller Gefahren, eine Großbaustelle etwa, eine mehrspurige Schnellstraße, eine unübersichtliche Kreuzung, ein Fassadengerüst mit mindestens sechs Etagen. Dann visierte sie ihr nächstes Opfer an, platzierte sich an strategisch günstiger Stelle und begann ihre Show. Zunge träge übers Pfötchen ziehen, damit mehrfach übers Ohr wischen, und wieder von vorn. Die Leute sahen sie, waren entzückt und achteten nicht auf den heranrasenden LKW, den unsicheren Stand der Leiter, die offene Grube …
Zwölf hatte sie auf diese Weise erledigt. Neunundsiebzig hatten etwas mehr Zeit und Aufwand erfordert. Und dann waren da noch die beiden Schwestern gewesen, die schreckliche Angst vor Katzen an den Tag legten, praktisch Todesangst. Denen hatte sie immer wieder aufgelauert, war im Dämmerlicht auf ihr Fensterbrett gesprungen, hatte sie vor der Haustür angefaucht. Schlussendlich war es ihr gelungen, die Damen im richtigen Moment in solche Panik zu versetzen, dass sie das Öl in der Pfanne auf dem Gasherd völlig vergaßen. Das Haus der beiden brannte beinahe vollständig aus.
Neunundsiebzig hatten etwas mehr Zeit und Aufwand erfordert. So kann das klingen, wenn in einem Satz die Wahrheit verkürzt und verschleiert wird. Erinnerte sie beinahe an ihre Zeit in der Politik. Seit fünf ganzen Jahren machte sie das jetzt. Was für einen Menschen noch nach einer überschaubaren, womöglich sogar akzeptablen Zeitspanne klingt, rechnet sich in Katzenjahren weniger gnädig: Die ersten beiden Jahre im Leben einer Katze entsprechen, was die körperliche Entwicklung und Alterung angeht, zusammen etwa 25 Menschenjahren. Danach zählt jedes Katzenjahr ungefähr vier Menschenjahre. Verbringen Sie mal 37 Jahre damit, den vierbeinigen Todesengel zu spielen. Irgendwann ist es kein Spiel mehr, und dann erscheinen Zeit und Aufwand wie unüberwindliche Gebirgszüge.
Neunundsiebzig. Immer wieder gefunden, mitgenommen, aufgepäppelt werden, immer wieder gefüttert, gestreichelt, geliebt werden. Gut, einmal auch getreten und verjagt, aber in diesem Fall hatte es sich als nützlich erwiesen, dass sie so klein und schmal war. Durch ein gekipptes Fenster war sie nachts zurück in die Wohnung des Mannes geglitten, hatte mit einem Stupser die Flüssigseife vom Waschbeckenrand auf den Boden befördert und dann mit den Zähnen ein großes Loch in den Boden des Plastikbehälters genagt. Der Geschmack war widerlich gewesen, aber als der Mann am Morgen schlaftrunken auf der ausgelaufenen Seife ausgerutscht und mit dem Kopf auf den Badewannenrand aufgeschlagen war, wusste sie, dass sie ihrer Freiheit erneut eine Seele nähergekommen war.
Bei all jenen, die sie liebten und sich aufrichtig um sie kümmerten, war die Sache komplizierter gewesen. Oft musste sie erst herausfinden, wo deren blinde Flecken, Schwachstellen, Unvorsichtigkeiten lagen. Und wie leicht war es, sich in einem Katzenkorb einzurollen, der vor dem mollig warmen Kachelofen stand, sich dem wohligen Gefühl hinzugeben und die Mission, die Aufgabe wochenlang zu vergessen. Wie leicht war es, ach, sich zwischen Fressen und Schlafen und Schnurren und Streicheleinheiten zu verlieren!
Vielleicht lag es am Katzenwesen: verschlagen und hinterhältig, aber auch faul und lasziv. Ein steter Kampf zwischen Liegenbleiben und satanischer Lockung.
Nur noch sieben Leben. Aber wenn sie ehrlich war, war sie der ganzen Seelenfängerei überdrüssig. Und wenn sie noch ein wenig ehrlicher war, tiefer in ihre eigene Seele blickte, dann war sie es leid, immer nur Leid und Tod zu bringen. Allein, es half nichts, sieben Leben war sie der Hölle noch schuldig.
Also Dehnen und Strecken, Katzenbuckel, Krallen wetzen und los, auf leisen Pfoten den Pfad durch den Park entlang auf der Suche nach dem nächsten Unachtsamen, Schmiegsamen, Einsamen. Denn machen wir uns nichts vor, einsame Menschen und Katzen finden einander am Leichtesten. Es mag beinahe so erscheinen, als gehörten sie zusammen.
Aber diesmal war es wie verhext. Menschen gingen ihr aus dem Weg, Ältere bekreuzigten sich sogar, Jüngere rissen die Augen wie erschrocken auf, zeigten mit den Fingern, zückten ihre Smartphones, um sie zu fotografieren oder zu filmen.
Irgendetwas stimmte so gar nicht. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie noch nie erlebt, dass jemand auf ihren Anblick mit Erkennen reagierte. Hatte ihr letztes Opfer ein Tagebuch hinterlassen? War sie von Überwachungskameras gefilmt worden? Nein, unmöglich, dass jemand die dreiundneunzig Toten mit ihr in Verbindung brachte - oder auch nur einen davon.
Zunehmend verwirrt streifte sie mehrere Tage und Nächte durch die Stadt, bis sie selbst schon unachtsam wurde und beinahe von einem viel zu schnellen Auto überfahren worden wäre. Die Flüsterstimme hatte sie damals gewarnt: Sollte sie im Katzenkörper sterben, bevor die Aufgabe erfüllt war, würde sie in einem neuen Körper von vorn beginnen müssen. Das durfte nicht passieren. Ihr fehlten nur noch sieben Leben; sie wollte nicht morgen mit 100 neuen auf der To-do-Liste aufwachen.
Und als sie schon ganz geschwächt war von der immer dringenderen Jagd nach einem Opfer, einem vertrauensseligen Menschen, den sie von der Liste abhaken konnte, als sich die Verzweiflung in ihrem allerliebsten, zuckersüßen Gesichtchen abzuzeichnen begann, spürte sie unvermittelt diesen prüfenden Blick auf sich ruhen. Sie erstarrte, wandte dann ganz langsam den Kopf. Starrte die Frau in Schwarz an, die am Teich auf der Bank saß und sie musterte. Wartete auf das Erkennen, den Schrecken, die Ablehnung der letzten Wochen.
Aber die Frau mit den dunkelrot gefärbten Haaren, die eine schmale Hose und eine schwarze, weit fallende Tunika mit eingewebten Glitzerfäden trug, verzog keine Miene. Sie schien vielmehr zu warten, beobachtete die Höllenkatze gelassen und entspannt.
Wenn die Katze grinsen könnte, hätte sie es sicher in diesem Moment getan, denn sie war sicher, dass sich das Blatt endlich wieder gewendet und sie ihr vierundneunzigstes Opfer gefunden hatte. Stattdessen zuckte ihre Schwanzspitze und verriet auf diese Weise, wie aufgeregt sie innerlich war.
Schritt für sachte gesetzten Schritt näherte sie sich der jungen Frau. Die blickte ihr weiterhin regungslos entgegen. Als sich die Katze mit einer flüssigen Bewegung gegen ihre Füße sinken ließ, erlaubte sich die Frau ein halbes Lächeln.
»Gut«, sagte sie mit rauchiger Stimme, »das war ja zu erwarten.«
Wie ein Hexenhaus aus dem Märchen schmiegte sich die Datscha am Rand der Waldlichtung in die Baumgruppe. Die Höllenkatze war sicher, dass sie hier in diesem windschiefen Altbau einen Weg finden würde, eine Art Unfall zu provozieren.
Vierundneunzig, rechnete sie sich immer wieder vor. Die Frau hatte sie mitgenommen. Am Seitenstreifen nahe des Parks stand ihr altersschwaches Auto, mit dem sie die Stadt verlassen und ins Hinterland getuckert war, die Katze erleichtert auf der Rückbank schlummernd. Nach ein paar Wochen verkehrter Welt hatte sie es geschafft; sie war wieder im Spiel. Nun galt es, das neue Domizil zu erkunden und ihren Plan zu schmieden. Das Jagdfieber hatte sie erneut gepackt, vergessen war der Überdruss.
Die Frau hatte ihr in der kleinen Küche Futter und Wasser hingestellt, und im überraschend heimeligen Wohnzimmer, wo sich zwei Sofas und mehrere Bodenkissen um einen niedrigen Tisch drängelten, der voller Kerzenwachsflecken und Glasringe war, wartete eine zusammengefaltete Decke vor dem Kachelofen. Gefährlich.
Vorsichtig erkundete sie jetzt ihr neues Reich, die Frau in Schwarz dabei immer misstrauisch im Blick. Die war allerdings ganz mit Kochen beschäftigt, nachdem sie mehrere kurze Telefonanrufe gemacht hatte. Die Katze musste zugeben, dass der Hunger zu Beginn kurz stärker gewesen war als die Neugier; sie hatte sich über das saftige Dosenfutter hergemacht und nicht darauf geachtet, was die Frau am Telefon sagte.
Als es zum ersten Mal an der Tür klopfte, verschwand die Katze unter dem Sofa, machte sich dort ganz flach und lauschte aufmerksam. Die Frau begrüßte ihren Gast mit sanfter, immer noch leicht heiserer Stimme. Es war ein älterer Mann, der sich schlurfend und schwerfällig bewegte. Wenige Minuten später das nächste Klopfen. Ein Teenagermädchen, von dem eine solche Traurigkeit ausging, dass die Katze sich unwillkürlich noch ein Stück weiter unter das Sofa zurückzog.
Aber natürlich war die Neugier größer, und als es weitere Male klopfte und weitere Gäste hinzukamen, schlich sie sich flach am Boden wieder etwas näher zur Kante heran. Was ging hier vor?
»Wir sind vollzählig, und die Suppe ist auch fertig. Fehlt nur noch ein Schuss Sahne.« Die junge Frau in Schwarz räusperte sich kurz und sprach dann direkt weiter, ging über das »Aber …« einer anderen Frau in der Runde hinweg: »Über die Sahne brauchst du dir nun auch keine Sorgen mehr zu machen, denn es ist endlich soweit. Wir werden dieses Jammertal verlassen, da es spielt keine Rolle mehr, ob dir dein Arzt Fette verboten hat.«
Kraftloses Lachen von dem alten Mann.
»Ich erkläre es euch kurz, dann essen wir gemeinsam, und ihr denkt darüber nach. Ihr entscheidet, ob ihr wirklich bereit seid.«
Zustimmendes Gemurmel aus der Runde. Die Katze unter dem Sofa zog das Näschen kraus. Die Frage blieb: Was ging hier bloß vor?
»Magst du nicht herauskommen, damit wir dich alle sehen können, kleine Höllenkatze?«
Wieder erstarrte sie, blieb an Ort und Stelle, aber die erwartungsvolle Stille, die sich im Raum ausbreitete, trieb sie dann doch aus der Deckung. Als sie sich die versammelten Menschen um den Tisch herum betrachtete, breitete sich augenblicklich die erregte Wärme des nahen Triumphs in ihrem schmalen Körper aus. Es waren sieben Menschen, sieben! Und wenn sie die ersten Sätze der Frau richtig verstanden hatte, waren diese sieben Menschen des Lebens müde und wollten sterben.
Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Freiheit, schnurrte es in ihr. Endlich, schnurrte sie selbst voller Inbrunst.
Sie war mit einem Satz auf dem Sofa und schmiegte sich an die Frau in Schwarz, als diese erneut das Wort ergriff:
»Das ist sie also, die Höllenkatze. Seit wir im Internet auf die ersten Berichte gestoßen sind, haben wir gehofft, einmal eines dieser Tiere zu finden, und nun ist sie mir einfach im Park zugelaufen. In der Stadt.«
Die Katze blickte zu der Frau auf, die ihr sachte über das Köpfchen strich.
»Überall steht, dass der Tod nahe ist, wenn dir die Höllenkatze begegnet. Getigertes Fell, schwarzes Käppchen. Sie war auch ganz ausgehungert. Ich nehme an, ihr Geschäft geht nicht mehr so gut, seit im Internet vor ihresgleichen gewarnt wird. Die meisten Leute sind vorsichtiger geworden.«
Die Katze streckte sich jetzt ausgiebig, während sie diese Information verarbeitete. Umso größer war der Glückstreffer, den sie offenbar hier gelandet hatte. Sieben Seelen, sieben Leben. Sie begutachtete die Mitglieder der Runde, während die Frau weitersprach. Über rätselhafte Todesfälle, virale Tigerkatzen mit schwarzen Ohren, moderne Legenden und Verschwörungstheorien zum Phänomen. Und über den Todeswunsch, den Lebensüberdruss der versammelten Menschen.
Das Teenagermädchen mit den Narben auf den Unterarmen. Sommersprossen, grüne Augen, und ein bildhübsches, aber müdes, fahles Gesicht. Mobbing in der Schule, keine Freundin, kein Verständnis im Elternhaus.
Der alte Mann mit dem schwerfälligen Gang. Graues Haar, große Ohren, liebevolle Augen. Krebs mit schlechter Prognose, Altersarmut.
Die abgespannt wirkende Frau mittleren Alters, deren magere Hände die ganze Zeit leicht zitterten. Ein gewalttätiger Ex-Mann, der ihre Schwangerschaft mit einem gezielten Stoß die Treppe hinunter beendet hatte, vor zwanzig Jahren. Seither Einsamkeit und schlecht bezahlte Jobs, die ihr das letzte bisschen Kraft raubten.
Der blasse Kerl, dessen Alter schwer zu schätzen war, weil er schrecklich abgemagert war und halb gekrümmt dasaß. Morbus Crohn und ganz allein, hilf- und hoffnungslos. Dabei zeugten die Lachfältchen um seine Augen von einer glücklicheren Zeit, die längst verloren war.
Die dicke Frau mit den herrlich rosigen Wangen und faszinierenden tiefbraunen Augen. Ein Teufelskreis, der schon in der Kindheit begann. Gewichtszunahme aufgrund von Bluthochdruck-Medikamenten, Mobbing, Depression, Nebenwirkungen der Antidepressiva, Studienabbruch, Rückkehr der Bluthochdruckproblematik, und alles von vorn. Ihre wunderschönen Augen interessierten niemanden.
Die junge Frau im Blumenkleid, über deren Trauma die anderen respektvoll schwiegen. Sie blickte die ganze Zeit auf ihre im Schoß verschränkten Hände hinab, als läge dort die Lösung für das Leid, das auf ihre Schultern drückte. Ihr schwarzes Haar bauschte sich wie ein dunkler Heiligenschein um ihren Kopf.
Und zuletzt die Frau in Schwarz, die sie im Park von der Bank aus beobachtet und einfach mit nach Hause in ihre windschiefe Datscha in der Einöde mitgenommen hatte. Multiple Sklerose. Noch konnte sie die meiste Zeit ohne Stock gehen, aber die Schmerzen machten ihr zunehmend unmissverständlicher klar, wohin die Reise ging. Und wofür würde es sich lohnen zu kämpfen?
Schweigen hatte sich über die Runde gesenkt. Die Frau in Schwarz hatte den großen Topf Kürbissuppe – mit einem großzügigen Schuss Sahne – auf den Tisch gestellt und ihren Gästen jeweils den Teller vollgeschöpft. Und alle aßen jetzt, löffelten und lächelten, denn kochen konnte die Frau in Schwarz.