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Ein Kurs zur inneren Selbstfindung in vierzig Tagen Meditationstexte, Erläuterungen und Übungen Inspiriert von der Mystik des Sufismus Erweitert in die Sphäre globaler Weisheit
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Seitenzahl: 209
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Wilfried Ehrmann
Vierzig Tore der Weisheit
Ein Kurs zur inneren Selbstfindung in vierzig Tagen
Meditationstexte, Erläuterungen und Übungen
Inspiriert von der Mystik des Sufismus
Erweitert in die Sphäre globaler Weisheit
© tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld
1. Auflage 2015
Autor: Wilfried Ehrmann
Umschlaggestaltung: Wilfried Ehrmann
Umschlaggrafik:©rchicano/fotolia
Inhaltsgrafiken: ©bahadirozbey/fotolia, ©NH7/fotolia, ©Seamartini Graphics/fotolia
Printed in Germany
Verlag: tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld
www.tao.de, eMail: [email protected]
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-95802-465-6 (Paperback)
ISBN: 978-3-95802-466-3 (Hardcover)
ISBN: 978-3-95802-467-0 (e-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.
Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung,
Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Einleitung
1. Tag: Das Tor zur Öffnung Wähle eine neue Sichtweise
2. Tag: Das Tor zur Hingabe Geh den Weg des Herzens
3. Tag: Das Tor zur Suche Finde die Wahrheit in dir
4. Tag: Das Tor zum Innehalten Komm überall an
5. Tag: Das Tor zur Verbindung Erlebe den Einklang von Denken und Spüren
6. Tag: Das Tor zur Stille Betritt den Raum jenseits der Worte
7. Tag: Das Tor zur Einkehr Lerne das Alleine-Sein
8. Tag: Das Tor zur Dankbarkeit Finde das Geschenk in der Verzweiflung
9. Tag: Das Tor zur Geduld Erlerne die Langsamkeit
10. Tag: Das Tor zur Erkenntnis Erkenne den Verlauf der inneren Reise
11. Tag: Das Tor zur Annahme Lebe mit der Unvermeidlichkeit von Schmerzen
12. Tag: Das Tor zum Anderen Entdecke in allem die Liebe
13. Tag: Das Tor zum Unterscheiden Prüfe die Qualität jeder Lehre
14. Tag: Das Tor zum Spielen Erweiche jeden Widerstand
15. Tag: Das Tor zur Kreativität Sieh das Leben als Kunstwerk
16. Tag: Das Tor zur Liebe Verbinde Herzenskraft und Weite
17. Tag: Das Tor zur Reinigung Übe dich in innerer Sauberkeit
18. Tag: Das Tor zum Mut Stelle dich der Selbsterkenntnis
19. Tag: Das Tor zum Selbst Sei liebevoll zu dir selbst
20. Tag: Das Tor zum Vertrauen Sei der Fluss
21. Tag: Das Tor zur Vielfalt Feiere die Verschiedenartigkeit
22. Tag: Das Tor zum Frieden Sei ganz bei dem, was du gerade tust
23. Tag: Das Tor zum Abenteuer Schwinge zwischen Mitte und Rand
24. Tag: Das Tor zur Inspiration Verbinde dich mit dem Atem des Lebens
25. Tag: Das Tor zur Spannbreite Lerne mit Himmel und Hölle zu leben
26. Tag: Das Tor zur Einheit Spüre: Alles erzählt von allem
27. Tag: Das Tor zur Verbundenheit Beginne mit Wohlwollen
28. Tag: Das Tor zur Präsenz Lebe im gegenwärtigen Moment
29. Tag: Das Tor zur Aktivität Geh aktiv mit deinem Schicksal um
30. Tag: Das Tor zur Wertfreiheit Beende das Beschuldigen
31. Tag: Das Tor zur Sanftmut Übe die Weichheit des Herzens
32. Tag: Das Tor zum Lernen Finde die richtige Führung auf dem Weg nach innen
33. Tag: Das Tor zur Leere Lass dich auf das Nichts ein
34. Tag: Das Tor zur Demut Gib dich dem Leben hin
35. Tag: Das Tor zur Klarheit Überwinde das polare Denken
36. Tag: Das Tor zum Gleichgewicht Finde den inneren Ausgleich zwischen Geben und Nehmen
37. Tag: Das Tor zur Gelassenheit Lass alles zur rechten Zeit geschehen
38. Tag: Das Tor zum Wandel Ändere jeden Tag dein Leben
39. Tag: Das Tor zur Ganzheit Verbinde dich mit der Fülle
40. Tag: Das Tor zur Unendlichkeit Versinke in der unbegrenzten Liebe
Anerkennung
Ausblick
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Einleitung
Die Texte dieses Buches sind so geschrieben, dass Sie sie als Leser oder Leserin auch zu sich selber sprechen können, deshalb wird die vertrauliche Anrede mit „Du“ gewählt. Im weiteren Text verzichte ich zugunsten der Lesbarkeit auf die gendergerechten Doppelformulierungen; wann immer von Männern die Rede ist, sind die Frauen mit gemeint und umgekehrt.
Vierzig Tore und vierzig Tage
Der Zeitraum von vierzig Tagen hat in den Traditionen der großen Weltreligionen (Christentum, Judentum, Hinduismus, Islam) eine besondere Bedeutung für die innere Reinigung und Läuterung. Im Judentum gelten vierzig Tage von alters her als die Zeit für Trauer und Reinigung. Moses verbringt vierzig Tage auf dem Berg Sinai und Jesus bleibt ebenso lange in der Wüste. Muhammad wartet vierzig Tage, bis ihm die erste Sure des Korans geoffenbart wurde. Die Fastenzeit der Katholiken dauert vierzig Tage. Die starke Symbolkraft dieser Zeitspanne können wir auch in unserer Zeit für die innere Besinnung und die Vorbereitung auf einen Neuanfang nutzen.
Das Buch möchte als Hilfe dienen, die besondere Kraft dieses Zeitraums an die Lebensbedingungen im 21. Jahrhundert anzupassen. Wir müssen nicht mehr in die Wüste gehen oder auf einen einsamen Berg, um uns zu reinigen und zu läutern. Wir können unsere spirituelle Erweiterung und Vertiefung in die Alltagspraxis der modernen Zeit einbinden.
Und das ist gerade die Herausforderung für unsere Lebensweise. Wenn es uns gelingt, unser tagtägliches Tun mit Weisheit zu durchdringen, dann tragen wir den Schlüssel zum erfüllten und glücklichen Leben jederzeit bei uns und gehen achtsamer mit unseren Mitmenschen und unserer Mitwelt um.
Die Globalität der Weisheit
Meine innere Sinnfindung hat mich über den Bereich meiner angestammten Religion hinausgeführt. Mehr und mehr kann ich erkennen, dass sich alle Religionen um einen Kern bemühen, der allen gemeinsam ist, den alle Menschen verstehen können und der deshalb für eine weltverbindende Weisheit geeignet ist. Insbesondere die mystischen Strömungen der jeweiligen Traditionen zeigen starke Ähnlichkeiten in den Grundaussagen und Grunderfahrungen. Es scheint, dass darin die Gemeinsamkeit für eine globale Weisheit liegt, die alle Menschen verbindet.
Ich habe darum die Texte weitgehend von theologischen Vorannahmen einer bestimmten Richtung gelöst. Denn dieses Buch richtet sich an den Leser und die Leserin einer aufgeklärten modernen und postmodernen Welt, in der die Vielfalt der Glaubenstraditionen ebenso präsent ist wie die Orientierung an der menschlichen Vernunft und am wissenschaftlichen Denken.
Aus diesem Grund wird in diesem Buch z.B. der Begriff „Gott“ fast nie verwendet, weil es nach meiner Auffassung für die weise und achtsame Lebensführung nicht ausschlaggebend ist, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, ob jemand diesen Begriff verwendet oder nicht. Nach meiner Erfahrung entwickelt jeder Mensch seine eigene Begrifflichkeit von den „letzten Dingen“, die hier geachtet und respektiert wird. Jede Leserin kann folglich die Worte und Begriffe, die ihr persönlich wichtig und bedeutungsvoll sind, bei der Lektüre des Buches mitdenken oder mitschwingen lassen.
Um dem Weg dieses Buches zu folgen, ist es weder ein Erfordernis noch ein Hindernis, einer bestimmten Religion anzugehören. Das Buch überlässt solche Fragen dem Leser. Das einzige, was du für das Abenteuer brauchst, das vor dir liegt, ist der Wunsch, innen zu wachsen und der Wahrheit näher zu kommen. Das ist der Weg der Mystik.
Geschichte und Hintergrund dieses Buches
Die Anregung zu diesem Buch erhielt ich bei der Lektüre des Romans „Vierzig Geheimnisse der Liebe“ (im englischen Original: „Forty Rules of Love)“ der türkisch-amerikanischen Schriftstellerin Elif Shafak. Der Roman handelt von Dschalal ad-Din Rumi, dem Dichter und Mystiker, und von seinem Lehrer Shams von Tabriz. Ihre tiefgreifende Begegnung soll vierzig Tage und Nächte gedauert haben. Nach dem Verschwinden von Shams soll Rumi nach wiederum vierzig Tagen begonnen haben, seine berühmten Gedichte zu schreiben, die eine der Grundquellen der mystischen Lehren des Sufismus bilden.
Zur Spiritualität
Dieses Buch ist ein spirituelles Lehr- und Übungsbuch. Es dient dazu, Einsichten und Wahrheiten so zu vermitteln, dass sie die eigene Innerlichkeit klären und bereichern und zu einer gelasseneren und achtsameren Lebenspraxis beitragen. Zwar von den Lehren des Sufismus beeinflusst und inspiriert, ist es kein Buch über den Sufismus, dem ich gleichwohl viel für meine Suche nach der Weisheit verdanke. Die Texte sind, wie schon erwähnt, an keine bestimmte Tradition gebunden, sie vertragen sich jedoch mit dem inneren Kern vieler mystischer Strömungen.
Anregungen zur Verwendung der Texte
Nimm die Texte zuerst so, als würde eine Lehrerin zu dir sprechen. Höre den Texten zu, auch wenn du sie dir vorliest, und lass sie wirken, bevor du deinem Verstand erlaubst, sich seine eigenen Meinungen auszudenken und eigene Gedankengänge zu bilden. Nachdem du deine innere und persönliche Resonanz wahrgenommen hast, kann es hilfreich sein, dass du deine Reflexionen notierst oder mit anderen austauschst.
Die Themen können in vierzig aufeinanderfolgenden Tagen behandelt werden oder auch in jeder anderen Form. Wenn du mit diesem Buch arbeiten willst, triff eine klare Entscheidung. Wenn du die vierzig Schritte in einem durchwandern willst, ist es gut. Die klare Struktur wird dir helfen. Wenn das Gefühl sagt, dass ein Thema mehr Zeit braucht, ist es auch gut. Wenn das praktische Leben erfordert, dass der Prozess für eine Zeit unterbrochen werden muss, ist es gut. Natürlich ist dein persönlicher Gewinn am höchsten, wenn du allen vierzig Themen eine ausreichende Zeit widmest.
Du kannst deine Entscheidung gut damit unterstützen, dass du dir einen Zeitplan erstellst und Zeiten in deinen Kalender einträgst, an denen du an den vierzig Schritten arbeiten möchtest. Die Empfehlung ist, dass du dir für vierzig hintereinanderliegende Tage Termine einträgst, an denen du dir für die Texte und Übungen Zeit nimmst, es kann aber auch sein, dass du siehst, dass es sich an einzelnen Tagen nicht gut ausgehen wird, sodass du den Prozess für kurze Zeit unterbrichst.
Du kannst dir vor Beginn des Kurses ein paar Themen notieren, die dich immer wieder beschäftigen. Gib jedem von ihnen intuitiv einen Wert zwischen 1 (=sehr geringe Belastung) und 10 (=sehr hohe Belastung). Nach den vierzig Tagen kannst du dir die Liste wieder vornehmen und nachspüren, was sich für dich bei den einzelnen Themen verändert hat, ob du bestimmte Aspekte anders sehen kannst, ob sich der Grad der Belastung verändert hat oder ob einzelne Themen neue Bedeutungskontexte gefunden haben.
Die vierzig Schwerpunkte dieses Buches stehen miteinander in einem inneren Zusammenhang. Du kannst dich einem Tagesthema nach dem anderen widmen, wie den Perlen auf einer Gebetskette, und so mit Hilfe dieser Markierungen tiefer und tiefer deinem Weg folgen. Du kannst dir auch vorstellen, dass die Themen einen Kreis bilden, sodass jede Position einen eigenen Blick auf das Zentrum ermöglicht. Indem du eine Sichtweise nach der anderen einnimmst, kommst du wie in einer Spirale dem Mittelpunkt näher und näher.
Jedes Thema braucht eine Phase der Kontemplation, in der Thema und Text wirken können, angeleitet von der Frage: Was zeigen mir die Worte und was bedeuten sie für mich und mein Leben? Im Anschluss an jeden Abschnitt finden sich Übungsangebote, die der Vertiefung und Innenerfahrung des Themas dienen. Die einzelnen Übungen sind Vorschläge, du kannst sie auch nach deinen Eingebungen verändern oder erweitern.
Reserviere dir eine besondere Zeit für das Arbeiten und Einlassen auf die Texte sowie für die Übungen, am besten am Morgen, bevor der Alltag beginnt, oder am Abend, sei es nach dem Abschluss des Arbeitstages oder vor dem Schlafengehen. Du hast jedenfalls mehr vom Buch, wenn du es auf diese Weise als Übungsvorlage nimmst, als wenn du es von A bis Z durchliest.
Alles war immer schon da
Nichts ist neu in diesem Buch, alle seine Weisheiten wurden schon vor Hunderten und Tausenden von Jahren erkannt und verbreitet. Und doch müssen wir sie immer wieder neu hören, prüfen, reflektieren und kontemplieren. Dadurch brechen wir die Macht unserer beharrlichen Neigung zu Unbewusstheit und Unachtsamkeit, bis uns in Fleisch und Blut übergeht, was unser geistiges Fleisch und Blut ist.
Im Grunde weißt du schon alles, was in diesem Buch steht. Das Lesen erinnert dich darin, wie der Wecker ans Aufstehen, wenn du im tiefen Schlaf bist. Leicht geraten wir in einen schlafähnlichen Trancezustand, wenn wir in unseren täglichen Aktivitäten gefangen sind. Muster und Gewohnheiten,
Programme und Konditionierungen regeln unser Erleben und unser Tun. Da brauchen wir es, aufgeweckt zu werden, um zum vollen Bewusstsein und zur achtsamen Präsenz zurück zu gelangen. So gelingt es uns, wach durch den Tag zu gehen und tief in den Schlaf zu versinken.
„Das weiß ich schon, das habe ich schon oft gehört“, sagt der Verstand. Nimm dir ein Herz, und lass genau das, was diese Reaktion auslöst, noch einmal auf dich wirken. Da sind noch tiefere Schichten, die mit Einsichten wachgerufen werden können, obwohl diese auf einer oberflächlicheren Schicht banal oder abgegriffen wirken mögen. Lass dich also auf solche Wendungen, die dir schal und leer erscheinen, ganz besonders ein, damit sie ihren ganz besonderen Sinn für dich entfalten können.
Führe ein Vierzig-Tagebuch, um die eigenen Eindrücke und Gedanken festzuhalten. Das kann dir sehr helfen, noch weiter in die Themen einzudringen. Vor allem, wenn du gerne schreibend deine Erfahrungen verarbeitest, wirst du deine Einsichten auf diese Weise vertiefen können. Oft können Träume hilfreich sein, die Bedeutung der Texte für dich genauer zu verstehen.
Wenn du die Übungen zusammen mit einer Partnerin oder mit einer Gruppe machen willst, verleiht das der Arbeit eine zusätzliche Kraft und gibt auch anderen den Ansporn, dran zu bleiben. Und gönne dir eine besondere Zeit nach dem Abschluss des Kurses, in der du in deiner Form feierst.
Herausforderungen beim Lesen und Üben
Da du dieses Buch in Händen hältst, bist du ein Sucher auf dem Weg nach innen. Dieser Weg beinhaltet Herausforderungen, die auch durch die Auseinandersetzungen mit den Themen dieses Buches auftauchen können. Du kannst an Punkte kommen, wo du diese Herausforderungen, tiefe Gefühle, alte Erinnerungen, heftige Zustände, nicht alleine auflösen kannst. Sorge vor, dass du eine kompetente Unterstützung hast und in Anspruch nehmen kannst, wenn du merkst, dass du dich zu sehr belastest und die Bewältigung des Alltags darunter leidet. Du musst es nicht alleine schaffen. Deshalb ist es gut, wenn du mit anderen zusammen den Kurs dieses Buches verfolgst, die dir Unterstützung geben können, wenn du in eine Engstelle geraten bist.
Absolute und relative Wahrheiten
Die Texte in diesem Buch sind keine absoluten Wahrheiten, sondern relative Versuche, das Absolute zum Durchscheinen zu bringen, sodass wir es erahnen können. Im Grunde wissen wir alle um dieses Absolute, denn ihm gilt unser Suchen, und wir wissen auch, dass Worte und Erklärungen nicht an seine Größe und Tiefe heranreichen können.
Doch braucht es immer wieder Worte, um diese Suche zu beflügeln und auszurichten, und darum geht es auf den folgenden Seiten. Mit diesem Vorverständnis ist sichergestellt, dass du genau deine Wahrheit und deine Form der Weisheit durch das Lesen und Einwirkenlassen der Texte finden kannst, und nicht die Wahrheit des Autors oder irgendeines anderen Lehrers. Denn diese sind für dich letztlich bedeutungslos.
Es liegt an dir, die Worte mit deinem Leben und deiner Herzenskraft zu füllen. Dazu brauchst du dich nur dem Weg dieses Buches zu überlassen. Es wird dich genau dahin führen, wo du finden kannst, was du im Tiefsten deines Wesens suchst. Vergiss dabei nicht auf eine Eigenschaft der absoluten Wahrheit: Sie ist nie fertig.
Deshalb bleibt der Weise immer bescheiden. Jeden Tag breitet er seinen Gebetsteppich aus, setzt sich hin und schließt die Augen. Geduldig wartet er, bis sich die Stimme meldet, die ihm ein Zipfelchen der Wahrheit offenbart. Und so geht er durch das Leben, mit offenen Sinnen und mit offenem Geist. Jedes Wachsen der Wahrheit nimmt er als Geschenk und bemüht sich, es anderen zugutekommen zu lassen, ohne je etwas aufzudrängen.
Zum Geleit
Während ich all diese Erfahrungen machte, begann ich eine Liste zusammenzustellen, die in kein Buch eingeschrieben wurde, sondern nur in meine Seele. Diese meine Liste nannte ich „Die Grundprinzipien der islamischen Wandermystiker“. Diese Prinzipien waren für mich so universell, so fest und unabänderlich wie die Naturgesetze. In ihrer Gesamtheit bildeten sie „Die vierzig Regeln der Religion der Liebe“, die durch Liebe und nur durch Liebe angenommen werden kann. Erst nach Jahren war die Arbeit an diesen Regeln, allen vierzig, abgeschlossen. Und als ich fertig war, wusste ich, dass ich mich der letzten Stufe meines weltlichen Daseins näherte.
Shams von Tabriz im Roman von Elif Shafak
Ein Neumond lehrt das Allmähliche und die Abwägung, und wie jemand langsam sich selbst gebiert. Geduld mit kleinen Einzelheiten macht eine große Arbeit vollkommen, wie das Universum.
Was neun Monate der Aufmerksamkeit einem Embryo gibt, werden vierzig frühe Morgen im Alleinsein deiner langsam wachsenden Ganzheit geben.
Rumi
1. Tag: Das Tor zur Öffnung Wähle eine neue Sichtweise
Du fragst nach einer Rose – lauf vor den Dornen nicht davon. Du fragst nach dem Geliebten – lauf vor dir selbst nicht davon.
Rumi
Es gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichtiger ist als ein Stück Brot.
Rainer Maria Rilke
Wie wir andere sehen, zeigt uns direkt, wie wir uns selbst sehen. Wenn wir bei anderen hauptsächlich ihre Feindseligkeit wahrnehmen, bedeutet das, dass wir selbst vor allem von Feindseligkeit gelenkt werden. Wenn wir in anderen ihre Verletztheit, aber auch ihre Liebe und ihr Mitgefühl sehen, wirkt das auch in uns.
Menschen sind keine Objekte, die wir eindeutig beschreiben könnten. Wir nehmen sie nie so wahr, „wie sie sind“. Wir filtern immer, wenn wir anderen Menschen begegnen, und dieser Filter ändert sich. Deshalb nehmen wir andere Menschen so wahr, wie es unserer inneren Gestimmtheit entspricht. Wir können lernen, mehr über unser Inneres zu erfahren, wenn wir die Art und Weise, wie wir andere erleben, als Spiegel für unser Selbst nehmen.
Da wir die Gewohnheit haben, zuerst das Außen wahrzunehmen, meinen wir, dass Dinge der Außenwelt so sind, wie sie uns erscheinen. Doch erscheinen sie uns so, weil wir sie so wahrnehmen. Besonders trifft das auf andere Personen zu. Denn abgesehen von den Filterbrillen, die wir tragen, sind Menschen so komplex, dass wir immer verkürzen und verzerren, wenn wir uns ein Bild von einem unserer Mitmenschen machen.
Sobald wir beginnen, unser Selbst zu erforschen, stoßen wir auf unser Selbstbild. Es kennt zwei Ebenen: Wie wir uns selber sehen, und was wir sehen, wenn wir uns sehen. Die Art, wie wir uns betrachten, entscheidet darüber, was wir sehen. Sehen wir uns streng und verurteilend, so erkennen wir unsere Fehler und Unzukömmlichkeiten und geben uns selbst ein schlechtes Zeugnis. Sehen wir uns verständnisvoll und mitfühlend, so erscheinen unsere Makel in einem weichen Licht. Sehen wir uns freundlich und optimistisch, so beleuchten wir unsere guten und gelungenen Seiten. Sehen wir uns schließlich aus der Perspektive der Selbstüberschätzung, so streichen wir unsere Vorzüge besonders heraus und übertreiben sie noch.
Wie wir uns selbst betrachten, hängt davon ab, in welcher Stimmung wir sind. Stimmungen wiederum speisen sich aus den aktuellen Umständen, die oft alte Erinnerungen wachrufen. So kann ein Missgeschick, das uns widerfährt, zu einer Missstimmung führen, die dem Anlass gar nicht angemessen erscheint, weil eine frühere ähnliche unangenehme Erfahrung zum Schwingen kommt. Dabei ändert sich unser Selbstbild.
Wie wir uns sehen, bestimmt auch unseren Blick auf die anderen Menschen. Sind wir geneigt, unsere eigenen Fehler zu übertreiben, so trösten wir uns entweder damit, die Fehlerhaftigkeit der anderen herauszustreichen oder uns minderwertig zu fühlen. Beides schneidet uns von unseren Mitmenschen ab: Entweder stellen wir uns über oder unter sie.
Es sind dabei immer unsere eigenen, oft ungeprüften Maßstäbe, die wir an uns und an unsere Mitmenschen anlegen. Wir gehen von Idealen aus, die uns meistens gar nicht bewusst sind. Wenn wir oder die anderen es nicht schaffen, diesen Idealen zu entsprechen, leiden wir darunter, indem wir uns über uns selber oder über die anderen ärgern.
Wenn wir den Mut zur Veränderung aufbringen, können wir wachsen: In Bezug auf uns selber wachsen wir, indem wir uns mit dem unversehrten Kern in uns verbinden und uns selbst damit mehr und mehr annehmen (samt all der Schatten und Unvollkommenheiten). So lernen wir, mehr und mehr mit uns in Einklang zu kommen. In Bezug auf andere Menschen wachsen wir, indem wir uns mit deren heilem Inneren verbinden. Darüber hinaus kommen wir in Kontakt mit der ganzen Schöpfung (samt deren Unzukömmlichkeiten und Unfertigkeiten). Dabei können wir uns bewusst machen, dass das, was wir als mangelhaft erleben, von unseren inneren Maßstäben geprägt ist, die wir auch, wenn wir wollen, verändern können.
Da wir dabei erkennen, wie mangelhaft wir selber, unsere Mitmenschen und die Schöpfung als ganze sind, lösen wir uns von Idealen, die aus unserem Perfektionismus stammen. Dann erkennen wir, dass das ganze Universum von Liebe durchwoben ist. Diese Liebe macht uns darauf aufmerksam, wie wir uns dem und den Unvollkommenen mitfühlend zuwenden können.
Bevor der Groll über eine Verletzung und Kränkung überhandnimmt und unsere Bewusstheit trübt, kann es schon helfen, die eigene Sichtweise zu ändern: Wir brauchen uns nur ein Stückchen innerlich aufmachen und erweitern, und schon findet die andere Person dort in ihrer Unvollkommenheit Platz. Mit dieser Öffnung können auch wir wieder entspannen und mit uns selbst in eine gute innere Verbindung kommen.
Wenn es uns gelingt, mit dem tiefen Sein in uns in der Liebe und im Mitgefühl in Kontakt zu sein, wachsen wir über unsere eigene Ängstlichkeit und Schuldhaftigkeit hinaus und sehen dann unsere Mitmenschen im klaren und freundlichen Licht von Liebe und Mitgefühl.
Übung für den Tag:
Schließe deine Augen und spüre dein Inneres. Begegne dir selbst in einer Haltung des Wohlwollens, mit der du alles in dir umfasst: Diejenigen Anteile, mit denen du zufrieden bist und diejenigen, die du gerne anders hättest. Schließe alle deine Anteile in einen sanften und weiten Atemzug ein. Besinne dich jetzt auf Menschen in deinem Leben: Welche von ihnen könntest du freundlicher und liebevoller sehen? Entspanne den inneren Blick auf sie und schicke diesen Menschen ein besonders weiches Licht. Gibt es Menschen, denen du keinesfalls mehr Freundlichkeit entgegenbringen willst? Wie könntest du dennoch deine Haltung ihnen gegenüber ändern?
Wenn du durch diesen Tag gehst: Nimm bewusst Begegnungen wahr: Was passiert, wenn du deine ersten Assoziationen loslässt und die Person, der du begegnest, tiefer von innen wahrnimmst, so, als würdest du hinter eine Maske schauen und ihr eigentliches Wesen erkennen? Wie fühlst du dich dann selber in dir und in dieser Begegnung?
2. Tag: Das Tor zur Hingabe Geh den Weg des Herzens
Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen.
Joseph Joubert
Der einzige Tyrann, den ich in dieser Welt anerkenne, ist die leise innere Stimme.
Mahatma Gandhi
Der Weg zu dir selbst ist vor allem eine Anstrengung des Herzens und weniger des Kopfes. Achte auf dein Herz und mache es zu deinem wichtigsten inneren Führer. Dabei wirst du deinen Prägungen begegnen, die dein Herz verschlossen und eng halten. Du kannst dich ihnen stellen und sie schließlich überwinden – mit der Kraft deines Herzens.