Abenteuer Zauberlöwe - Klaus Möckel - E-Book

Abenteuer Zauberlöwe E-Book

Klaus Möckel

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Beschreibung

Was für eine unglaubliche Geschichte! Nicht nur, dass Florian sich gegen zwei Rabauken zur Wehr setzen muss, die ihm sein Taschengeld abnehmen wollen, er wird plötzlich auch noch von einem Löwen verfolgt. In der Tat, der Schrecken könnte nicht größer sein. Erst nach und nach begreift der Junge, dass es sich bei dem Tier um einen Zauberlöwen handelt, der sprechen kann, aus einem Plastik-Ei stammt und auf Befehl wieder darin verschwindet. Dieses große Geheimnis kann Florian niemandem außer seiner Freundin Mareike anvertrauen. Schon bald werden die drei zu einer verschworenen Gemeinschaft. Doch dann bringt ein Gauner das Ei an sich, und spektakuläre Raubüberfälle finden statt. Dem gefährlichen Treiben kann nur ein Ende gesetzt werden, wenn es den Kindern gelingt, den Löwen zurückzuholen. Am Ufer eines Sees beobachten Florian und Mareike einen höchst verdächtigen Mann, der in einem Kahn von der gegenüberliegenden Insel heranrudernd, sein Boot im Schilf versteckt. Sie vermuten ein Geheimnis und setzen selbst über. Den Löwen nehmen sie natürlich mit. Doch mit dieser Tat begeben sie sich in große Gefahr. Auf dem Eiland halten Banditen einen Jungen gefangen, um Lösegeld zu erpressen. Sie entdecken die Kinder und machen Jagd auf sie. Als Florian dann noch das Zauberei verliert, mit dem ihr vierbeiniger Freund zu Hilfe gerufen werden kann, sieht es düster aus. Mareike und Florian brauchen all ihren Mut und ihre Schlauheit, um dagegenhalten zu können. Mareike bekommt zu ihrer Freude einen Zwanzig-Mark-Schein geschenkt, doch dann stellt sich heraus, dass er gefälscht ist. Da noch andere "Blüten" in der Stadt auftauchen, vermutet Florian eine Fälscherbande am Werk. Zunächst verdächtigen die Kinder einen Zahnarzt, dann die Bewohner einer ehemaligen Ritterburg. Der Löwe entdeckt einen unterirdischen Gang, der zum Burgturm führt, und beim Erforschen dieses Stollens befinden sich die Freunde plötzlich in großer Gefahr. Sie geraten in eine Falle, landen sogar im Turmverlies. Würde ihnen nicht ein Mädchen mit grünen Turnschuhen aus der Patsche helfen, stünde ihnen nicht der Löwe mit seinem Mut und seiner Klugheit zur Seite, könnte es schlimm für sie enden. Ein Buch, das voller Spannung ist und mit vielen lustigen Begebenheiten aufwartet.

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Impressum

Abenteuer Zauberlöwe

ISBN 978-3-96521-077-6 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2020 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Der Löwe aus dem Ei

Ein sonderbarer Vorfall

Florian verließ die Küche, wo er ein großes Glas Cola getrunken hatte. Er näherte sich seinem Zimmer und wollte gerade die Tür aufstoßen, als von drinnen ein lang gezogenes Gähnen ertönte. Das verblüffte und erschreckte ihn zugleich, denn er war an diesem Nachmittag allein zu Hause. Die Mutter war einkaufen, der Vater zur Arbeit und Geschwister hatte er nicht. Auch keinen Besuch - niemand war gekommen, seit er aus der Schule zurück war.

Doch das Gähnen wiederholte sich, wenngleich es nicht sehr laut war und irgendwie fremd klang. Ein Dieb, dachte Florian, der kurz vorher noch in dem Raum gewesen war, Schularbeiten gemacht und sich mit seinem Tamagotchi beschäftigt hatte. Er muss gerade erst übers Dach durchs Fenster eingestiegen sein. Er hielt den Atem an und überlegte, ob er ausreißen sollte. Raus aus der Wohnung und die Nachbarn um Hilfe bitten. Aber alles blieb ruhig und es war ja auch sehr ungewöhnlich, dass ein Dieb eingedrungen war, bloß um hier herumzugähnen.

Deshalb überwog Florians Neugier. Vorsichtig drückte er die Tür auf und riskierte einen Blick in das Zimmer. Was er sah, ließ ihn zurückfahren. Ihm genau gegenüber, auf seiner Liege mit dem verstellbaren Kopfteil, streckte sich ein Löwe aus.

Er war klein, dieser Löwe, kein Baby zwar, aber nur halb so groß wie die schönen gelben Raubkatzen, die Florian kürzlich im Zoo gesehen hatte. Hätte er sich nicht gereckt und die Pfoten mit den Krallen ausgestreckt, man hätte ihn für ein Plüschtier halten können.

Für eine mächtige, samtweiche Kuschelkatze.

Florian wollte schreien, doch kein Laut kam von seinen Lippen. Er wollte - nun schon zum zweiten Mal - davonrennen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Und dann geschah das nächste Wunder: Der Löwe löste sich in Luft auf. Er verschwand so geheimnisvoll aus dem Zimmer, wie er aufgetaucht war.

Eine ganze Weile stand Florian da und starrte auf die Stelle, wo soeben noch das Raubtier gelegen hatte. Er ließ seinen Blick durchs Zimmer gleiten, in alle Ecken, ob sich dort vielleicht etwas bewegte. Vergeblich! Schließlich trat er einen Schritt vor, wagte sich an die Liege heran. Ganz vorsichtig tastete er sie ab, bereit, aus dem Zimmer zu stürzen, wenn seine Finger etwas berühren sollten, was sich wie ein Fell anfühlte. Aber nichts dergleichen geschah. Es gab keinen Löwen mehr, auch keinen unsichtbaren.

Was war das, dachte Florian, ich hab ihn doch mit eigenen Augen gesehen. Die Mähne, die Schnauze, der ganze Körper, das kann einfach keine Täuschung gewesen sein. Und gegähnt hat er auch so herzhaft wie ein Raubtier.

Florian musste sein Erlebnis jemandem mitteilen. Aber abgesehen davon, dass er ja allein war, würden ihm die Erwachsenen diese Geschichte auch nicht glauben. Sie würden alles für Spinnerei halten, für einen Unfug, den er sich ausgedacht hatte, um sie zu veralbern. Und in diesem Fall konnte er es ihnen noch nicht einmal übel nehmen. Höchstens mit Mareike konnte er darüber reden ...

Mareike war wie Florian neun Jahre alt und ging in seine Klasse. Sie wusste viele praktische Dinge, war gewitzt und half ihm bei den Hausaufgaben. Aber sie hatten sich nicht aus diesem Grund miteinander angefreundet, sondern weil es ihn fast als Einzigen nicht störte, dass sie oft sonderbare Geschichten erfand. Zum Beispiel erzählte sie, die Stein- und Blechfiguren im Atelier ihrer Mutter wären verzaubert. Die Mutter war nämlich Künstlerin und Mareike wohnte mit ihr in einem Haus am Stadtgraben. Anfangs hatte Florian ziemliche Scheu vor der großen blonden Frau im weißen Arbeitskittel gehabt und lieber einen Bogen um ihre Gestalten gemacht. Aber sie hatte die Kinder beim Arbeiten zuschauen lassen und falls sie eine Zauberin war, dann bestimmt eine gute. Ihre Figuren hatten nichts Bedrohliches an sich. Sie wurden ganz normal aus mächtigen Steinen herausgemeißelt oder aus glänzenden Eisenstücken zusammengeschweißt. Wenn sie erst einmal fertig waren, veränderten sie sich nicht mehr.

Florian hatte gemerkt, dass sich Mareike eine Menge zusammenspann, sie aber trotzdem nicht ausgelacht. Sie würde nachts fliegen oder mit ihrer Mutter in einer weißen Gondel fahren, behauptete sie. Die anderen Kinder tippten sich an die Stirn und riefen:

„Die ist ja doof!"

Florian dagegen fragte:

„Und wo bist du hingeflogen?"

„Direkt in den Himmel", erwiderte Mareike und zeigte nach oben auf die Wolken.

Manchmal trug Mareike ihre Märchen so überzeugend vor, dass er den Eindruck hatte, sie würde selbst daran glauben. Und jetzt, wo ihm das mit dem Löwen passiert war, würde sie ihn bestimmt verstehen. Deshalb ging Florian ans Telefon und wählte die Nummer ihrer Mutter. Die war auch sofort dran.

„Mareike ist im Moment nicht da, Flori", sagte sie, „kann ich ihr was ausrichten?"

„Nein, das heißt, ja. Wenn sie nachher schnell mal bei mir vorbeigucken könnte?"

„Schnell? Wo brennt's denn?"

„Das kann ich am Telefon schlecht erklären", druckste Florian herum.

„Na ja, ich weiß nicht, wann Mareike nach Hause kommt", antwortete die Frau, „aber ich werd's ihr sagen."

Kaum hatte Florian aufgelegt, bereute er es. Das war doch alles Unsinn, er hatte sich die Geschichte nur eingebildet. Nirgendwo in seinem Zimmer und in der Wohnung trieb sich ein Löwe herum, wo sollte er auch herkommen? Und als Mareike dann tatsächlich vor der Tür stand, gespannt wie ein Flitzbogen, traute er sich nicht, von seinem Erlebnis zu berichten. Er faselte etwas von einer Hausaufgabe, die er nicht lösen könne. Mareike war enttäuscht, blieb aber. Dabei hätte er ihre Hilfe bei dieser Aufgabe wirklich nicht gebraucht.

Florian in Nöten

Am nächsten Tag dachte Florian zunächst nicht an die Geschichte mit dem Löwen. Als jedoch im Erdkundeunterricht Frau Buchsbaum, eine junge Lehrerin, ausgerechnet etwas über Afrika erzählte, wurde er daran erinnert. Er hörte nicht mehr richtig zu, sondern überlegte, was er machen würde, wenn er in der Wüste wäre und wirklich so ein Raubtier vor sich hätte. Das wäre bestimmt nicht lustig.

Nach der Schule unterhielt er sich mit Mareike darüber. Er fragte sie, ob sie es für möglich halten würde, dass hier unvermutet ein Löwe auftauchte.

„Was denn, hier auf der Straße?", erkundigte sie sich.

„Auf der Straße oder im Haus, in eurer Wohnung."

„Möglich wäre es schon", erklärte Mareike ernsthaft. „Er könnte ja aus dem Zoo weggelaufen sein. Oder aus einem Zirkus."

„Und was würdest du dann tun?"

„Ich denke, er hätte Hunger und man müsste ihm was zu fressen geben", erwiderte sie.

„Vielleicht hast du Recht, aber erst mal was zu fressen haben", sagte Florian seufzend.

Nach diesem Gespräch trennten sich die beiden - sie mussten in verschiedene Richtungen weiter. Leider war Florian so in Gedanken, dass er nicht auf seine Umgebung achtete. Er lief Sven und Kevin in die Arme, zwei älteren Jungs, die kleinere Schüler gern schikanierten. Sie verprügelten sie und nahmen ihnen ihre Sachen weg. Wahrscheinlich hatten sie an diesem Torbogen auf ihn gelauert.

Es war zu spät, um die Kurve zu kratzen, Sven pflanzte sich vor ihm auf und sein Freund schnitt Florian seitlich den Weg ab. Zurück konnte er aber auch nicht, denn sie drängten ihn an eine Hauswand.

„Nanu, wen treffen wir denn da?", fragte Sven höhnisch.

„Was wollt ihr von mir, lasst mich durch", wehrte sich Florian.

„Er weiß nicht, was wir wollen? Hör dir bloß den an", sagte Sven.

„Soll ich's ihm beibringen?" Kevin gab Florian einen Schubs, so dass er gegen Sven prallte. Der stieß ihn heftig zurück.

„Hört auf, ich hab euch nichts getan", bat Florian.

Doch die beiden hatten ihren Spaß an diesem Spiel. Sie traktierten ihn mit Boxhieben, schubsten ihn hin und her. Schließlich sagte Sven:

„Wir haben eine Abmachung, hast du das vergessen?"

„Ich hab das Geld noch nicht." Florian wusste durchaus, worauf sie hinaus wollten. Kürzlich hatten sie von ihm verlangt, pro Woche zehn Mark zu bezahlen, dann stände er angeblich unter ihrem Schutz. Er hatte so getan, als ginge er darauf ein, was sollte er sonst machen. Dabei waren's ja gerade sie, vor denen er sich in Acht nehmen musste.

„Wenn du denkst, du kannst uns übers Ohr hauen, hast du dich geirrt", blaffte Sven. „Die Woche ist längst um. Los, leer deine Taschen aus."

Florian gehorchte. Zwei zerknitterte Papiertaschentücher kamen zum Vorschein, ein schwarzer Würfel aus Glas und eine leere Bonbontüte. An Geld lediglich drei Zehnpfennigstücke.

Sven nahm den Würfel und die drei Groschen an sich. Mit einem Ratsch zerriss er die Zellophantüte.

„So ist das also. Statt deine Schulden zu bezahlen, verfrisst du unser Geld."

„Die Bonbons hat mir meine Oma geschenkt", protestierte Florian schwach.

„Die Oma, na großartig. Und wann kriegen wir unsre Knete?", rief nun Kevin.

„Nächste Woche. Ich meine ... in drei Tagen", stotterte Florian. „Ich bekomme doch nicht so oft Taschengeld."

Sven packte ihn am Pullover.

„Mir kommt's so vor, als verstehst du uns nicht richtig", murmelte er böse. „Ich glaub, wir müssen dir erst eine Tracht Prügel verpassen." Er holte mit der freien Hand aus und gab Florian einen schmerzhaften Hieb in die Seite. Auch Kevin schlug zu. Zweimal, mit einer harten Faust.

Florian begann zu heulen. Eine Frau, die vorbeikam, sagte:

„Was macht ihr denn mit dem Kleinen?"

„Das ist unser Bruder, es geht um Familienangelegenheiten", erwiderte Sven frech.

„Ich bin nicht ihr Bruder, helfen Sie mir!", rief Florian.

Kevin gab ihm einen Tritt ans Bein, so dass er verstummte. Zu der Frau sagte er:

„Glauben Sie ihm bloß nicht, der lügt wie gedruckt."

Die Frau wusste nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie war klein und zierlich und hatte wohl keine Lust, sich stärker einzumischen. Sie wandte noch ein:

„Trotzdem, ihr zwei großen Bengel solltet den Kleinen nicht so schlagen." Dann meinte sie, ihre Pflicht getan zu haben und schickte sich an, weiterzugehen.

Immerhin hatte sie damit erreicht, dass Sven Florian losließ. Da auch sein Kumpel für einen Augenblick abgelenkt war, nutzte der seine Chance. Er schoss gewissermaßen aus dem Stand los, durch den Torbogen in einen engen Hof hinein. Sein Glück war, dass ihm zwei Männer entgegenkamen, die ihn zwar verblüfft vorbeiließen, jedoch seinen Verfolgern den Weg versperrten.

„He, das ist kein Spielplatz, was saust ihr hier herum?"

Svens Antwort kriegte Florian nicht mehr mit. Er sah eine Tür, rannte durch einen Hausflur und von dort auf die nächste Straße. Ein Bus kam. Er benutzte ihn sonst nie, weil es nur zwei oder drei Stationen bis nach Hause waren und seine Schülerkarte auf dieser Linie nicht galt. Jetzt aber stieg er hastig ein und es störte ihn überhaupt nicht, dass er schwarz fuhr. Hauptsache weg.

Inzwischen waren Sven und Kevin an der Haustür angelangt, durch die er gerade gekommen war. Sie entdeckten ihn, konnten aber nichts mehr ausrichten, denn der Bus fuhr schon ab. Sie drohten ihm nur noch mit den Fäusten.

Für heute war Florian gerettet, er atmete erleichtert auf. Dennoch war er keineswegs zu beneiden. Schon morgen konnten ihm die zwei wieder auflauern und nur wenn er ihnen das Geld gab, würden sie ihn für eine Weile in Ruhe lassen. Das bedeutete, er musste sein Sparschwein schlachten, ohne dass die Eltern etwas merkten. Ihnen den Grund zu nennen, traute er sich nämlich nicht, das würde seine Lage gegenüber den beiden nur verschlimmern. Wenn es hart auf hart ging, waren die Erwachsenen ja doch nicht dabei.

Ein feuchter Fleck

Am Nachmittag versuchte sich Florian mit seinem Tamagotchi abzulenken. Tante Anja hatte ihm das rote Plastik-Ei mit dem Fensterchen in der Mitte vor einiger Zeit geschenkt und er war anfangs alles andere als begeistert darüber gewesen. Nach seiner Meinung war so ein Spielzeug höchstens etwas für Mädchen und eigentlich schon gar nicht mehr in. Lieber als das winzige Tier auf dem Display hätte er einen richtigen, lebendigen Hund gehabt. Mit dem konnte man herumtollen und er würde einen beschützen. Das wäre was, wenn er Sven ins Bein beißen oder Kevin die Zähne in den Hintern schlagen würde. Dann müssten ihn die beiden endlich in Ruhe lassen.

Doch von einem Hund wollten die Eltern absolut nichts wissen. Vor allem der Vater war dagegen. Er behauptete, die Wohnung sei zu klein und es würden auch so schon genug Köter in der Gegend herumlaufen. Nachdem Florian eine Zeit lang vergeblich gebettelt und gedrängt hatte, gab er es auf. Die Tante aber, die von seinem Wunsch wusste, brachte ihm eines Tages das Tamagotchi mit. „Ein kleiner Ersatz", flüsterte sie ihm zu - sie hatte immer so komische Ideen.

Zuerst hatte Florian das Ding gar nicht angerührt, später jedoch war sein technisches Interesse erwacht. Er hatte die Knöpfe ausprobiert, die Funktionen wie Füttern, Schlafen legen und Duschen überprüft. Wenn der kleine Vierbeiner im Fenster Hunger hatte, machte er ein klägliches Gesicht; wenn er satt war, schaute er sehr vergnügt in die Welt. An sein Fiepen und Schwanzwedeln konnte man sich direkt gewöhnen.

Nachdem Florian alles getan hatte, um sein Spielzeugtier zufrieden zu stellen, holte er zögernd sein Sparschwein aus dem Schrank und einen Hammer aus dem Werkzeugkasten. Falls er das Schwein schlachten wollte, musste er es jetzt tun, solange der Vater noch zur Arbeit und die Mutter bei der Oma war. So bald würden sie nicht merken, dass es verschwunden war, und wenn, konnte er immer noch behaupten, es sei ihm heruntergefallen und zerbrochen. Er seufzte, schlug dann jedoch kräftig zu. Was sein musste, musste sein.

Achtundzwanzig Mark sechsunddreißig war nicht gerade viel, würde aber für zwei Wochen reichen. Florian zählte zehn Mark ab und steckte sie in die Tasche seiner Jeansjacke. Das übrige Geld verstaute er ganz hinten in seiner Schublade. Er kehrte die Scherben zusammen und brachte sie gleich noch mit dem Müll nach unten. Dass er den Abfalleimer geleert hatte, würde ihm von der Mutter zudem ein Lob einbringen.

Etwas beruhigt ging Florian an diesem Abend zu Bett. Trotzdem träumte er allerhand wirres Zeug, wurde von größeren Jungs verfolgt und rannte endlos lange vergeblich hinter einem Bus her. Mitten in der Nacht schreckte ihn dann ein ungewohntes Geräusch auf. Es war, als ob jemand auf weichen tapsenden Pfoten durchs Zimmer schlich. Florian tastete schlaftrunken nach dem Lichtschalter, schaffte es aber nicht mehr, die Nachttischlampe anzumachen, denn plötzlich legte sich eine Tatze auf seine Hand. Er stieß einen gellenden Schrei aus und war endgültig wach.

Da der Mond zum Fenster hereinschien, war es einigermaßen hell im Raum. Ein Schatten huschte vom Bett weg zum Regal und verschwand im Nichts. Gleichzeitig näherten sich draußen im Korridor schnelle Schritte. Die Mutter hatte seinen Schrei gehört und wollte wissen, was los sei.

„Ein Tier", murmelte Florian, „es hat mir seine Tatze auf die Hand gelegt."

„Was für ein Tier? Hier ist keins. Du hast schlecht geträumt", sagte die Mutter.

„Aber ich hab's gehört und auch seinen Schatten gesehen."

Die Mutter ging zum Fenster. Es stand einen Spalt offen und sie schaute nach draußen auf den Balkon. Doch auch dort war nichts Ungewöhnliches zu entdecken.

„Du hast bloß geträumt", wiederholte sie. „Vielleicht weil der Mond so hell scheint. Wir ziehen jetzt die Gardine vor und du versuchst weiterzuschlafen. Ich lass die Türen offen, dann kannst du mich rufen, wenn du noch was hörst."

Sie schloss das Fenster und zog die Gardine vor. Florian glaubte inzwischen selber, dass er nur geträumt hätte. Er lief schnell zur Toilette, danach legte er sich wieder hin. Eine Weile horchte er in die Dunkelheit hinein, die nun um ihn herum herrschte, dann schlief er ein. Bis zum Morgen träumte er nichts mehr.

Als der Wecker klingelte, war Florian gleich wach, hatte aber trotzdem keine Lust, aufzustehen. Zweimal musste die Mutter rufen, ehe er sich aus dem Bett schob. Er überlegte sogar, ob er sich krank stellen und die Schule schwänzen sollte. Doch er hatte kein Talent zum Schwindeln. Die Mutter würde es merken und sich weigern, ihm eine Entschuldigung zu schreiben.

Ihm fiel ein, dass er für Sven und Kevin die zehn Mark in der Tasche hatte, deshalb raffte er sich schließlich ins Bad auf. Doch sofort blieb er wieder stehen, denn ein unangenehm scharfer Geruch stieg ihm in die Nase. Gleich darauf bemerkte er den feuchten Fleck auf dem Bodenbelag. Nein, das gab es nicht, da hatte einer unter den Tisch gepinkelt!

Florian rannte in die Küche, wo die Mutter das Frühstück bereitete.

„Und ich hatte doch Recht", rief er, „heute Nacht war irgendein Vieh in meinem Zimmer."

„Wieso denn? Das ist ganz unmöglich. Ich hab ja selber nachgeguckt."

„Trotzdem. Es hat eine Pfütze unter den Tisch gemacht."

Die Mutter sah ihn an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank.

„Eine Pfütze? Bist du verrückt?"

„Ich bin nicht verrückt, schau es dir doch an", protestierte Florian.

Sie liefen in sein Zimmer zurück und die Mutter war für Sekunden sprachlos. Auch wenn der Bodenbelag nicht mehr ganz neu war, es blieb eine Schweinerei. Für einen Augenblick nahm sie sogar an, Florian selbst sei dafür verantwortlich.

„Ich kann's nicht glauben, aber vielleicht bist du mondsüchtig und dachtest, du wärst auf Toilette", vermutete sie.

Florian widersprach energisch.

„Was denn noch alles, ich verwechsle doch nicht mein Zimmer mit dem Klo!" Auch er konnte sich die Sache nicht erklären, aber mit ihm hatte das nichts zu tun. „Es muss passiert sein, als das Fenster auf war", fügte er etwas ruhiger hinzu, „wir haben's nur nicht gemerkt."

Inzwischen war es schon spät und er musste sich beeilen, wenn er rechtzeitig in der Schule sein wollte. Während die Mutter mit Eimer und Lappen hantierte, um den Fleck zu beseitigen, wusch er sich im Schnellverfahren, schlang eine Stulle hinunter und trank eine Tasse Malzkaffee. Dann schnappte er den Schulranzen und das Tamagotchi, denn er war natürlich nicht dazu gekommen, es zu versorgen. Er würde das in der ersten Pause tun.

Florian erreichte sein Klassenzimmer beim letzten Klingelzeichen, er hatte nicht einmal mehr Zeit, Mareike zu begrüßen. Die Geschichte mit dem feuchten Fleck unterm Tisch beschäftigte ihn noch und er sagte sich, dass es eine Katze gewesen sein musste. In Gedanken malte er mehrere Katzen in sein Rechenheft und wurde zweimal von der Lehrerin ermahnt. Er war froh, als die Stunde endlich vorbei war.

Sein Tamagotchi meldete sich. Er drückte die verschiedenen Knöpfe, um den Vierbeiner da drin zu füttern, zu duschen und ihm zu trinken zu geben. Bevor er es wieder in die Tasche steckte, schaute er sich das kleine Tier auf dem Display einige Augenblicke lang an und prüfte, ob es gewachsen war. Tatsächlich fiel ihm eine Veränderung auf. Bisher hatte er nicht daran gezweifelt, dass es sich bei dem Geschenk der Tante um ein Hündchen im Plastik-Ei handelte. Die runde Schnauze, die vier Pfötchen, der kurze Schwanz, das war eine lustige Promenadenmischung. Aber nun war der Schwanz länger geworden, der Körper hatte sich gestreckt, das Tier hatte auf einmal eine Mähne. Florian hielt sein Tamagotchi Mareike hin und fragte:

„Wofür würdest du das halten? Für einen Hund?"

„Nö", erwiderte Mareike. „Du hast zwar immer gesagt, du hättest ein Hundegotchi, aber das ist keins. Eher ein Tiger."

„Ein Tiger hat doch Streifen und keine Mähne."

„Stimmt. Dann ist's wohl ein Löwe."

Genau so war's, Florian hatte es sich nur nicht eingestehen wollen. Ihm wurde plötzlich ganz flau.

„Das kann es doch gar nicht geben", murmelte er.

„Warum denn nicht", sagte Mareike. „Es gibt Hühner, Enten und Katzen als Tamagotchi. Auch Drachen und Dinos. Weshalb dann keinen Löwen?"

„Das hab ich nicht gemeint", flüsterte Florian und blickte sich scheu um.

Doch keinerlei Raubtier tauchte am Ende des Korridors auf und da die Pause zu Ende war, kehrten sie in den Klassenraum zurück, ohne weiter darüber zu sprechen. In Florians Kopf allerdings jagten sich wirre Gedanken. Der Löwe auf dem Display glich aufs Haar dem, der sich in seinem Zimmer gereckt und gestreckt hatte.

Der Löwe kehrt zurück

Zwei Tage lang betrachtete Florian immer wieder misstrauisch sein Tamagotchi, ohne dass sich seine Befürchtung bestätigte und der Löwe erneut leibhaftig Gestalt annahm. Er traute sich nicht, mit jemandem darüber zu sprechen, nicht einmal mit Mareike - die Sache war zu verrückt. Am dritten Tag gab er es auf. Er hatte sich getäuscht, es konnte nicht anders sein. Umso überraschter war er jedoch, als er am Nachmittag, auf dem Nachhauseweg von der Schule, plötzlich unverwechselbar eine Tierschnauze im Rücken spürte. Er drehte sich um und prallte zurück. Mit großen gelben Augen schaute ihn der Löwe von neulich an. Seit dem letzten Mal musste er mächtig gewachsen sein.

Es war in den Gärten hinter der Turnhalle, auf einem Weg, den Florian immer benutzte, wenn er abkürzen wollte. Kein Mensch war in der Nähe, der ihm helfen konnte, und so stand er zitternd da, rührte sich nicht von der Stelle. Erst als er merkte, dass die Raubkatze gleichfalls ruhig blieb, wich er langsam zurück. Vielleicht, wenn er es bis zur nächsten Einmündung schaffte ...

„Du hast mich doch gerufen, also lauf nicht weg", sagte der Löwe mit menschlicher Stimme.

„D-du kannst sprechen?", stotterte Florian.

„Warum denn nicht? Ich bin so programmiert", erwiderte der Löwe. Du kannst mich übrigens Rex-kun nennen."

„R-rex-kun?"

„Ja. Hast du meinen Namen auf der Gebrauchsanweisung nicht gelesen? Rex bedeutet 'König' im Lateinischen und 'kun' ist Japanisch. Es heißt so viel wie 'Herr'. Für Leute, die ich mag, bin ich aber kein 'Herr' sondern ein 'Freund'".

Die Gebrauchsanweisung und Rex-kun - das wies eindeutig auf das Tamagotchi hin. Florian hatte nur anfangs mal den Zettel studiert, der dabei lag. Der Knöpfe und Funktionen wegen.

„Rex heißen bei uns aber die Hunde," flüsterte er.

„Hunde? Was ist das?"

Florian war verblüfft. „Du weißt nicht, was Hunde sind?"

„Haben sie zwei Beine wie du?", fragte der Löwe.

„Nein, vier. Doch sie sind kleiner als du und nicht so stark", erwiderte Florian.

Den Löwen schien das zu befriedigen, er war aber auch verlegen.

„Ich muss offenbar noch einiges kennen lernen", entschuldigte er sich, „ich bin noch nicht lange genug auf der Welt."

Florian hatte nach wie vor den Eindruck, in einem Traum zu sein. Seine Angst war nicht mehr ganz so groß, aber er misstraute den eigenen Augen und Ohren.

„Wieso glaubst du, dass ich dich gerufen habe?", fragte er.

„Drei, eins, vier", erwiderte der Löwe, „der Code!" Was war das nun wieder? Auf dem Tamagotchi gab es keine Zahlen. Florian vergewisserte sich: „Drei, eins, vier?"

„Ja. Wenn du die entsprechenden Knöpfe drückst, komme ich und stehe zu deinen Diensten."

Florian wollte es nicht wahrhaben. Das war wie bei Aladin mit der Wunderlampe. Nur, dass hier statt eines dienstbaren Geistes ein Löwe erschien.

„Was denn, du erfüllst meine Wünsche?"

„Ich stehe dem zur Seite, der mich ruft, nicht mehr und nicht weniger", sagte der Löwe ausweichend. „Aber jetzt muss ich zurück, meine Kräfte lassen nach. Wir reden später weiter."

„Warte, du musst mir erst noch erklären", rief Florian, doch der Löwe verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Er wurde durchsichtig und zerfloss. An der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte, flimmerte nichts als Sommerluft.

Es war nicht zu fassen. Florian tappte den Weg durch die Gärten entlang, ohne zu begreifen, was geschehen war. Beinahe wäre er in ein Fahrrad gelaufen, das ihm entgegenkam.

„Kannst du denn nicht aufpassen!", schrie der Mann wütend.

An die Gärten schloss sich ein Park an und Florian setzte sich auf eine Bank. Er holte das Tamagotchi aus der Tasche und schaute sich den Löwen auf dem Display an. Ohne Zweifel, das war er!

„Drei, eins, vier", murmelte Florian und zählte von links nach rechts die Knöpfe ab. Er war ungeheuer gespannt, ob sich das Tier erneut zeigen würde. Doch auf diese Kombination hin geschah gar nichts. Nur die einzelnen Funktionen leuchteten auf und verloschen wieder, weil er sie nicht in Anspruch nahm.

Er versuchte es andersherum, von rechts nach links, aber der Erfolg war der gleiche. Erst als er links unten begann und dann im Uhrzeigersinn weiterzählte, tauchten für Sekunden die Umrisse des Löwen auf. Er gab allerdings keinen Laut von sich und nahm auch keine feste Gestalt an.

Stattdessen meldete sich das Tamagotchi mit einem Piepton, der fast einem Fauchen glich. Florian drückte den Knopf, der das Befinden des Tieres anzeigte, und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

„Ich Esel", sagte er. „Er muss erst essen und trinken, das ist es."

Tatsächlich waren auf dem Display sämtliche Teller und Becher leer. Florian zögerte nicht, er bot dem Löwen nacheinander alles an, was auf der Speisekarte stand: Fleisch am Knochen, Fisch, aber auch Gemüse, Suppe und sogar Hamburger. Gemüse und Suppe verschmähte Rex-kun, Fleisch, Fisch und Hamburger dagegen nahm er in ziemlichen Mengen zu sich. Dazu trank er Milch und Wasser. Zum Schluss verzehrte er noch vier Portionen Eis. Davon konnte er nicht genug kriegen. Er schien ein Süßmaul zu sein.

Nachdem Florian den Löwen abgefüttert hatte, drückte er die Knöpfe erneut, und zwar in der Reihenfolge, die er zuletzt gewählt hatte. Sofort stand Rex-kun in seiner ganzen Größe und Pracht vor ihm.

„Da bist du ja wieder, es hat geklappt!", rief Florian. Nun war er schon so mutig, dass er die Hand ausstreckte, um den Löwen an der Mähne zu fassen. Das Tier ließ es geschehen.

In seinem Eifer hatte Florian freilich nicht auf seine Umgebung geachtet. Er war nicht mehr allein im Park. In einiger Entfernung gingen zwei Männer vorbei und ganz in seiner Nähe hatte sich eine Frau mit einem Kind niedergelassen. Sie führten ihren Pudel aus und befreiten ihn gerade von der Leine.

Nicht der Hund - das kleine Mädchen entdeckte Rex als Erste.

„Seht mal, dort sitzt ein Junge mit einem Löwen!", rief sie.

Ihre Mutter, die in die entgegengesetzte Richtung geschaut hatte, wandte den Kopf.

„Ein Löwe, du hast vielleicht Einfälle", begann sie. Im nächsten Augenblick sprang sie aber von der Bank auf und stieß einen Schrei aus. „Um Himmels willen!"

Auch der kohlschwarze Pudel war aufmerksam geworden. Im Begriff, einen Baum zu bepinkeln, wurde er durch den Schrei der Frau abgelenkt. Er sah den Löwen und begann laut zu kläffen. Da er so einem Tier offenbar zum ersten Mal begegnete und seine Stärke nicht einschätzen konnte, stürzte er todesmutig auf Rex zu.

„Ist das ein Hund?", fragte der Löwe.

„Ja, ein kleiner", erwiderte Florian.

Die Frau packte ihre Tochter bei der Hand und rief mit schriller Stimme den Pudel. Der blieb fünf Meter vor Rex stehen und bellte noch wilder. Vor Eifer und Geifer schnappte seine Stimme über.

Die Männer waren nun auch näher gekommen, außerdem preschte, von dem Lärm angelockt, ein Junge mit seinem Fahrrad heran. Als er den Löwen sah, legte er eine Vollbremsung hin und landete zu Füßen der Frau.

„Dieser Hund scheint sehr aufgeregt zu sein. Was will er von mir?", fragte der Löwe.

„Er hat nie einen wie dich gesehen", erwiderte Florian. „Er spielt verrückt, aber er meint es nicht so."

„Warum ist der Junge hingefallen, warum schreit die Frau?"

„Sie haben Angst vor dir", sagte Florian. Der Löwe überlegte.

„Ich tu ihnen doch gar nichts", murmelte er. Dann stieß er unvermutet ein kurzes heftiges Gebrüll aus.

Es hallte wie Donnergrollen durch den Park. Florian zuckte zusammen und hätte beinahe das Tamagotchi fallen lassen. Noch erschrockener waren allerdings die anderen Leute. Auch den Pudel hatte mit einem Mal aller Mut verlassen. Als sei der Teufel hinter ihm her, jagte er davon. Die Frau mit ihrer Tochter und der Junge nahmen ebenfalls die Beine in die Hand. Das Rad blieb am Boden liegen.

„Ein Löwe, da läuft ein Löwe frei herum!", schrie die Frau.

Die beiden Männer hielten noch stand. Vielleicht nahmen sie an, dass es sich um einen zahmen Zirkuslöwen handelte. Rex-kun aber schien langsam Spaß an dem Spiel zu finden. Er trabte auf die zwei zu.

Nun zögerten die Männer nicht mehr. Entsetzt hetzten sie der Frau und den Kindern hinterher.

„Bleib hier, Rex. Wo willst du hin?", rief Florian.

„Es ist lustig, wenn sie alle so rennen", gab der Löwe zur Antwort.

„Für dich vielleicht. Die Frau und die Männer sehen das bestimmt anders. Der Junge hat sogar sein Rad liegen lassen."

Florian ging zu dem Rad, hob es auf und begutachtete es fachmännisch.

In diesem Augenblick ertönte von der Straße her eine Sirene. Durch die Büsche hindurch sah man einen Polizeiwagen halten. Einer der Männer, die soeben davongelaufen waren, und die Frau diskutierten aufgeregt mit zwei Uniformierten. Die Polizisten schauten herüber. Schließlich lösten sie sich von den anderen und kamen auf Rex und Florian zu. Der eine hatte seine Pistole gezogen.

Florian bückte sich hinter einen Busch, so dass er erst einmal aus dem Blickfeld war. Er winkte den Löwen zu sich.

Rex war mit einem Sprung bei ihm. „Warum verkriechst du dich?", fragte er. „Es wäre besser, du würdest jetzt verschwinden",flüsterte Florian. „Sonst gibt es Ärger." „Weshalb?"

„Das ist Polizei. Sie wollen bestimmt wissen, wo du auf einmal her kommst."

„Was ist das, Polizei?", fragte der Löwe, der offensichtlich nichts begriff.

Florian merkte, dass er Rex noch eine Menge erklären musste. Doch dazu war im Moment keine Zeit.

„Ich sag's dir später", murmelte er, „jetzt musst du erst mal zurück." Er holte sein Tamagotchi hervor und wählte die entsprechenden Knöpfe: drei, eins, vier.

Doch nichts veränderte sich. Der Löwe saß da und schaute ihn an. Ein wenig missmutig, wie es schien.

„Verkehrt", murrte er, „so ruft man mich."

„Und wie schickt man dich zurück?"

„Das musst du schon selber herauskriegen", sagte Rex nicht gerade entgegenkommend.

Man hörte bereits die Schritte der Polizisten. Florian drückte blitzschnell die Knöpfe in umgekehrter Reihenfolge: vier, eins, drei.

Es flimmerte grünlich vor seinen Augen und Rex-kun war weg. Keinen Moment zu früh, denn die Polizisten bogen gerade vorsichtig die Zweige auseinander.

„Was machst du hier?", fragte der Polizist mit der Pistole. „In den Anlagen soll sich ein Löwe herumtreiben. Hast du ihn gesehen?"

„Ein Löwe? Hier im Park? Wo soll der her kommen?"

„Das fragen wir uns auch." Der Uniformierte steckte sein Schießeisen ein. „Er soll mit einem Jungen wie dir zusammen gewesen sein. Klingt alles sehr unwahrscheinlich, aber die Leute schwören übereinstimmend, dass es so war."

Florian gab keine Antwort. Seine Finger umschlossen fest das Tamagotchi.

„Warum versteckst du dich hinter diesem Busch?", fragte der andere Polizist.

Florian fiel zum Glück eine Ausrede ein.

„Da rannte ein großer Hund herum", erwiderte er schnell. „Einer mit Mähne. Vielleicht haben die Leute den für einen Löwen gehalten."

„Ein Chow-Chow? So riesig ist der eigentlich nicht, aber immerhin, das wäre die Erklärung!" Der erste Polizist schien erleichtert.

„Angeblich hat er laut gebrüllt. Ein Hund brüllt nicht", wandte sein Kollege ein.

„Ach was. Er wird irgendwie heiser gekläfft haben."

„Ja, er hat schrecklich heiser gebellt", stimmte Florian zu. „Deshalb sind die Leute weggerannt und ich habe mich hinter dem Busch versteckt."

„Da hörst du's", sagte der erste Polizist. „Und wir schleichen hier herum, als wären wir hinter Schwerverbrechern her. Hab mir doch gleich gedacht, dass alles Spinnerei ist."

Die beiden gingen zu ihrem Wagen zurück. Am Parkrand diskutierten sie noch eine Weile mit der Frau und den Männern, dann stiegen sie ein. Florian wartete nicht ab, bis das Auto davonfuhr. So schnell er konnte, lief er nach Hause.

Ein turbulenter Nachmittag

Kaum hatte Florian die Wohnungstür hinter sich ins Schloss gezogen, holte er das Tamagotchi aus der Tasche, um nach Rex-kun zu sehen. Hoffentlich war der Löwe nicht eingeschnappt, nachdem er im Park so schnell abgeschoben worden war. Ich werde ihm erst einmal ein Eis anbieten, dachte Florian und freute sich, als es aufgeschleckt wurde. Beruhigt wählte er die Zahlenkombination.

Sie waren noch im Flur und gingen nun in Florians Zimmer, wo sich der Junge sicherer fühlte. Der Löwe grollte in der Tat ein wenig.

„Es ist nicht schön, weggeschickt zu werden, wenn es interessant wird", sagte er.

„Ich glaube, das wird noch oft passieren", entschuldigte sich Florian. „Das geht einfach nicht anders. Der Polizist zum Beispiel hatte eine Pistole, er hätte dich erschießen können."

„Erschießen?"

„Ja, töten", erklärte Florian, „das heißt, du hättest sterben müssen. Das verstehst du doch."

„Das Ende", bestätigte der Löwe. „Es ist im Programm vorgesehen."

„Aber nicht so schnell."

„Nein ... Warum hätte der Polizist das getan?", fragte Rex.

„Sie halten dich für gefährlich. Sie meinen, du könntest jemanden anfallen. Auch meine Mutter würde so denken, wenn sie jetzt zur Tür hereinkäme. Ich könnte ihr nicht erklären, dass du aus dem Ei gekommen bist. Solche Sachen sind nämlich sehr ungewöhnlich. Ich möchte nicht wissen, wie sie erschrecken würde!"

Als hätte die Mutter nur auf diese Worte gewartet, klappte draußen die Wohnungstür. Überraschend kam sie heute sehr früh nach Hause.

Florian wollte nach dem Tamagotchi greifen, doch er hatte es nicht bei sich. Es lag auf dem Schränkchen im Flur. Nachdem er Rex herbeigerufen hatte, war es versehentlich dort geblieben.

Den Löwen schien das zu freuen, er wirkte belustigt. Gespannt schaute er zur Zimmertür, die einen Spalt offen stand. Er machte sogar einen Schritt auf sie zu.

„Nein, nicht!", brüllte Florian, der in Panik geriet. Freilich hätte er diesen Ausruf besser unterlassen sollen. Die Mutter hörte ihn und kam angestürzt.

„Bist du das, Flori, was ist denn los?"

Sie öffnete die Tür vollends und stand dem Löwen gegenüber. Ungläubig und entsetzt riss sie die Augen auf. Ihr Schrei hallte laut durch die Wohnung. Dann kippte sie nach hinten um. Sie war ohnmächtig geworden.

Florian hatte seine Mutter zwar schon schlafend, aber noch nie ohne Bewusstsein gesehen. Er rannte zu ihr und kniete sich neben sie.

„Mama", rief er, „wach doch wieder auf."

Der Löwe war gleichfalls nähergekommen. „Soll ich sie ein bisschen schütteln?", bot er an.

„Nein, nicht das noch. Geh lieber weg." Florian war ganz durcheinander.

„Es tut mir leid", sagte der Löwe, blieb aber stehen.

Die Mutter kam zu sich, sah Rex-kun und schloss die Augen ein zweites Mal. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.

"Wollen wir ihr nicht erklären, wie es wirklich ist?", fragte der Löwe.

Statt einer Antwort sprang Florian auf, rannte zu seinem Tamagotchi und drückte die drei Knöpfe. Rex-kun löste sich in Luft auf.

Die Mutter schlug die Augen erneut auf und stemmte sich mit den Ellbogen etwas vom Boden ab.

„Was war das?", fragte sie leise. „Du hast geschrien und ich habe einen Löwen gesehen. Hier in der Wohnung. Zweimal. Wo ist er hin?"

„Ich ... er ... er gehört in mein Tamagotchi."

Die Mutter wurde ganz rot im Gesicht und streifte jäh ihre Erschöpfung ab. Sie war mit einem Satz auf den Beinen und packte Florian bei den Schultern.

„Ich mach keinen Spaß, Flori, da war ein ausgewachsenes Raubtier."

„Wenn ich einen Löwen hätte oder so was, Mama, dürfte ich ihn dann behalten?"

„Du verstehst mich nicht", rief die Mutter. „Vielleicht steckt er noch irgendwo. Er ist gefährlich."

„Es war ein großer Hund", wiederholte Florian seine Ausrede, die er schon im Park gebraucht hatte, „ein riesiger Chow-Chow. Er kam plötzlich zum Fenster herein, deshalb hab ich auch geschrien, jetzt ist er wieder weg, du brauchst keine Angst mehr zu haben."

Er hatte das Tamagotchi die ganze Zeit in der Hand gehalten, nun steckte er es in die Tasche. Die Mutter achtete nicht darauf. Sie rannte zum Fenster und spähte hinaus. Als sie nichts entdecken konnte, ging sie ins Wohnzimmer zurück und setzte sich in einen Sessel. Immer wieder schüttelte sie verständnislos den Kopf.

Florian blieb in seinem Zimmer. Ihm war eine Idee gekommen, die ihn sehr aufregte und über die er gründlich nachdenken musste. Zwar tat es ihm leid, dass er die Mutter nicht einweihen konnte - er hätte ihr ja an Ort und Stelle vorführen können, wie es sich mit Rex-kun verhielt -, doch die Sache für sich zu behalten, war auch nicht schlecht. Die Leute im Park waren zu Tode erschrocken gewesen, die Mutter war ohnmächtig geworden und er selbst hatte anfangs gleichfalls eine Riesenangst vor dem Löwen gehabt. Das bedeutete aber, dass sich auch andere in die Hosen machen würden. Sven und Kevin zum Beispiel, denn schon morgen sollte er ihnen wieder Geld geben. Die würden sich umgucken.

Nein, Florian würde nichts verraten, denn langsam dämmerte ihm, was er mit dem Löwen alles anfangen konnte. Wenn die Eltern oder andere Erwachsene Bescheid wüssten, würden sie ihm das Tamagotchi bloß wegnehmen. Dann stand er wieder so schutzlos da wie vorher.

Dennoch konnte er sein Geheimnis ganz unmöglich für sich behalten, er platzte vor Verlangen, es jemandem mitzuteilen. Und es war auch klar, dass dafür nur Mareike in Frage kam. Auf ihre Verschwiegenheit konnte er bauen.

Florian verließ sein Zimmer.

„Ich geh ein bisschen runter", rief er der Mutter zu, die sich etwas von dem Schrecken erholt hatte und in der Küche zu wirtschaften begann. Wie sehr sie allerdings noch durcheinander war, erkannte er an ihrem leisen „ist gut". Sie fragte nicht nach den Hausaufgaben, fügte auch nicht wie üblich hinzu, dass er pünktlich zum Abendbrot zurück sein sollte. In der Tasche das Tamagotchi, sauste Florian die Treppe hinab. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Das Haus, in dem Mareike wohnte, lag am Stadtgraben, der jedoch kein richtiger Graben war, sondern nur so hieß. Früher sollte hier mal Wasser geflossen sein, jetzt gab es bloß noch eine breite, halb mit Steinen gefüllte Mulde. An der einen Seite des Gartenzauns befand sich ein Stück uralte Mauer, zu der manchmal Touristen pilgerten. Mareike behauptete, das sei gut so, weil sie dann auch zu ihrer Mutter kämen und ihr was abkauften.

Wie stets, wenn die Beermanns zu Hause waren, stand das Gartentor offen. Am Schuppen parkte der blaue Lieferwagen, mit dem Mareikes Mutter ihre Werkstoffe transportierte. Manchmal fuhr sie auch eine ihrer Figuren damit zu einem Kunden. Florian klingelte vorn kurz, rannte aber sofort weiter. Er wusste, dass Frau Beermann ihn vom Fenster ihres Ateliers aus sehen konnte. Bestimmt würde sie Mareike gleich Bescheid geben.

Mareike selbst saß in einem großen Zimmer und fertigte ein Bild an. Sie malte es aber nicht, sondern klebte es aus Buntpapierschnipseln. Dabei fügte sie rote, gelbe, blaue und grüne Papierfetzen so geschickt aneinander, dass Menschen und Tiere entstanden. Sogar ganze Landschaften, mit Häusern, Bäumen, der Sonne und Wolken am Himmel. Sie hatte Florien schon solche Bilder geschenkt und er bewahrte sie sorgfältig in seinem Schrank auf. Selber brachte er mit dem Buntpapier allerdings nichts zustande, er hatte es ein paarmal versucht, aber stets schnell wieder aufgegeben.

„Ich kann jetzt hier nicht weg", sagte Mareike, genau wie ihre Mutter, wenn sie im Atelier etwas meißelte, „ich brauch mindestens noch eine Viertelstunde."

Das war wenig Zeit, doch Florian konnte heute nicht warten. Er interessierte sich auch nicht wie sonst für das Bild.

„Das kannst du nachher fertig machen", sagte er, „ich muss dir unbedingt etwas zeigen."

„Sofort?", fragte Mareike. „Ja, sofort."

Florian hatte so leise gesprochen, dass Mareike erstaunt von ihrer Beschäftigung abließ. „Ist es ein Geheimnis?", wollte sie wissen.

„Ein großes Geheimnis. Du wirst staunen."

„Na gut. Dann zeig es."

Am liebsten hätte Florian Rex-kun gleich herbeigezaubert, aber wer weiß, was dann wieder passiert wäre. Vielleicht würde Mareike so erschrecken, dass sie ihre Mutter rief. Oder Frau Beermann käme von sich aus nach oben und würde den Löwen entdecken.

„Das geht nicht" murmelte er. „Dazu müssen wir in den Garten."

„Dann klebe ich wenigstens noch den Teich hier fertig", sagte Mareike.

„Außerdem musst du schwören, dass du niemandem etwas verrätst, auch deiner Mutter nicht."

„Ist klar", erwiderte Mareike, die sich mit Geheimnissen auskannte.

Sie wandte sich wieder ihrem Bild zu, während sich Florian, vor Ungeduld zappelnd, auf einen Stuhl setzte. Zum Glück fiepte das Tamagotchi, der Löwe wollte gefüttert werden. Das war ja auch notwendig, wenn er nachher in voller Größe vor ihr erscheinen sollte. Mit Eifer machte sich Florian ans Werk, servierte, was es an Fleisch, Knochen und Nachtisch gab.

Mareike, die das Fiepen gehört hatte, sagte:

„Dein Hund ist aber hungrig."

„Rex ist kein Hund", erinnerte sie Florian.

„Stimmt, ich hab's ja gesehen, es ist ein Löwe. Ist er wieder gewachsen?"

„Und ob", sagte Florian mit Nachdruck.

Mareike hatte endlich ihren Teich fertig, sie hatte sogar eine weiße Ente mit gelbem Schnabel aufgeklebt. Zufrieden folgte sie Florian, der vor ihr her in den Garten rannte.

Der Garten war weit ausgedehnt und wunderbar verwildert. Neben hohem Gras, Gebüsch und Bäumen gab es auch Steine und Eisenstücke, die Frau Beermann für ihre Arbeit herangeschafft, aber dann nicht verwendet hatte. Sie waren zum Teil mit allerhand Gewächsen überwuchert.

Florian lief zu einer Stelle, wo sie vom Atelier aus nicht gesehen werden konnten.

„Hier wird's gehen", sagte er,

„Willst du einen Salto machen?", fragte Mareike.

„Quatsch, deswegen brauchen wir uns doch nicht so zu verstecken. Aber erst schwör noch mal richtig, dass du keinem was sagst."

„Mit Blut?"

„Bei dir genügt Spucke", erwiderte Florian großzügig.

Sie spuckten beide erst auf den Boden und dann in die linke Hand. Mareike murmelte:

„Bei dieser Spucke, die mir heilig ist, schwöre ich, nichts von dem Geheimnis zu verraten, das mir Florian gleich anvertrauen wird."

„Okay", sagte Florian, „das wäre geregelt. Und jetzt musst du mir versprechen, dass du nicht erschrickst, nicht schreist und nicht wegläufst. Er wird dir ganz bestimmt nichts tun."

Mareike wurde ungeduldig.

„Du machst es vielleicht spannend. Wer wird mir nichts tun?"

„Der da." Florian entschloss sich, die entsprechenden Knöpfe zu drücken.

Diesmal war das Flimmern kaum wahrnehmbar. Der Löwe stand da, wie aus Stein gehauen. Dann reckte und streckte er sich.

Mareike schrie nicht und lief auch nicht weg. Sie wurde nur blass und trat einen Schritt zurück.

Der Löwe schaute sie aufmerksam an.

„Fällt sie jetzt um?", fragte er.

„Umfa-fallen, wieso?", stotterte Mareike.

„Weil meine Mutter ohnmächtig geworden ist, als er plötzlich auftauchte", erklärte Florian.

„Deine Mutter hat ihn auch gesehen?", fragte Mareike.

„Ja. Aber ich hab ihr eingeredet, es wäre ein Hund gewesen."

„Ist das ein echter oder ein Zauberlöwe?"

„Ich weiß nicht. Irgendeine besondere Konstruktion. Er lebt sonst in meinem Tamagotchi. Aber man kann ihn richtig anfassen."

„Du gefällst mir, du kannst mich streicheln", erlaubte Rex.

Mareike, obgleich mehr als verblüfft, hatte immer gewusst, dass es solche Wunder gab. Sie streichelte den Löwen vorsichtig und ließ sich dann das leere Display des Tamagotchis zeigen.

„Das ist wirklich großartig", sagte sie. „Wie lange weißt du es schon?"

„Genau erst seit heute. Vorher ist er bloß ein paarmal kurz aufgetaucht. Ich muss unabsichtlich die entsprechenden Knöpfe gewählt haben. Einmal hat er sogar in meinem Zimmer unter den Tisch gepinkelt."

Dem Löwen war dieser Ausrutscher offenbar peinlich. Er verteidigte sich:

„Ich war noch klein und du hattest mich abends nicht Gassi geführt."

Das war richtig. Florian hatte damals vergessen, die entsprechende Funktion zu bedienen.

Bei diesem Gespräch hatten sie überhaupt nicht gemerkt, dass jemand in den Garten gekommen war. Ein Mann steckte den Kopf um die Hausecke und rief:

„Hallo, Mareike! Ich hab euch reden hören. Ist deine Mutter da?"

Die Kinder drehten sich erschrocken um. Florian griff nach dem Tamagotchi, fand aber in der Eile nicht gleich die richtigen Knöpfe. Mareike sagte:

„Mama ist in ihrem Atelier, Herr Gaffron."

Rex-kun, der aus seinen vorherigen Begegnungen mit den Menschen gelernt hatte und nicht gleich wieder ins Ei zurück wollte, rührte sich nicht. So stumm und starr, glich er einer Steinfigur.

Herr Gaffron, ein Nachbar der Beermanns, trat näher.

„Nanu, da ist ja ein neues Kunstwerk deiner Mama", rief er. „Ich wusste gar nicht, dass sie Tiergestalten macht. Man könnte denken, der Löwe sei echt."

Florian traute sich nun nicht mehr, Rex wegzuzaubern. Mareike murmelte:

„Nein, nein, ganz echt ist er nicht."

„Das wäre ja auch noch schöner." Der Nachbar lachte, kam aber zum Glück nicht auf den Gedanken, näher heranzutreten. Vielmehr fügte er hinzu: „Na, dann geh ich jetzt mal ins Haus."

Er wandte sich schon ab, doch genau in diesem Augenblick begann eine dicke Fliege um den Kopf des Löwen zu schwirren. Rex konnte sich nicht beherrschen und schlug mit der Tatze nach ihr. Dabei stieß er ein leises Fauchen aus.

Herr Gaffron drehte sich wieder um.

„Was war denn das für ein Geräusch?", fragte er.

Der Löwe hatte erneut seine starre Haltung eingenommen. Allerdings war er ein Stück zur Seite gerückt. Die Fliege hatte er nicht erwischt. Sie saß jetzt auf seiner Nase.

„Ein Geräusch? Ich hab keins gehört. Du, Mareike?" Florian tat unschuldig.

„Die Birke dort drüben hat geknarrt. Das macht sie oft, wenn Wind geht", sagte Mareike.

„Aber es geht kaum Wind und der Löwe sitzt auch anders da als vorher." Herr Gaffron schien etwas verwirrt.

„Nein, nein! Der Löwe ist viel zu schwer. Den kann keiner bewegen", rief Florian.

Der Nachbar schaute die Kinder erstaunt an.

„Davon, dass ihn einer bewegt, redet ja niemand."

Er ging endgültig. Kaum war er weg, musste Rex so laut niesen, dass es wie eine kleine Explosion durch den Garten hallte. Florian hatte Angst, Herr Gaffron könnte zurückkommen und hielt sich die Hand ans Gesicht. Er wollte so tun, als hätte er geniest. Doch der Nachbar tauchte nicht wieder auf.

„Entschuldigung", sagte der Löwe, „dieses kleine Tier hat mich an der Nase gekitzelt."

„Das war eine Fliege", erklärte Mareike. Dann brach sie in lautes Lachen aus und Florian stimmte ein. Die Sache war aber auch zu komisch gewesen.

Rex als Beschützer

Der Löwe gewöhnte sich daran, immer wieder und oft ganz plötzlich ins Tamagotchi zurück zu müssen. Dort bekam er auch nach wie vor sein Futter - wie hätte ihn Florian sonst ernähren sollen? Sie nutzten übrigens jede freie Minute, um sich zu unterhalten, denn Rex-kun war sehr wissbegierig. Er stellte viele Fragen und schätzte besonders Mareike, die alles gut erklären konnte. Schon bald hing er an ihr. Er begrüßte sie stets mit Schwanzklopfen und indem er freudig die Pfote gab. Wenn sie mit von der Partie war, lernte er schneller.

Das Geheimnis zu hüten, war nicht einfach. Sowohl Florian als auch Mareike mussten darauf achten, dass niemand unverhofft ihr Zimmer betrat, wenn Rex anwesend war. Schon die Sache mit Herrn Gaffron war nicht leicht zu erklären gewesen. Natürlich hatte der Nachbar Frau Beermann für ihre Arbeit an dem wunderschönen Löwen gelobt und Mareike musste sich mit der alten List von dem angeblichen Chow-Chow herausreden. Seither hielt die Mutter den Mann für ein wenig verdreht, er selbst aber guckte die Kinder scheel an. Als wollte er sagen: Was verheimlicht ihr da vor mir?

Noch schwieriger war es außerhalb der Wohnung. Sie mieden belebte Straßen und Plätze, ließen Rex nach Möglichkeit auch nicht im Park herumlaufen. Aber er tollte gern und wo sollte er das tun? Mareikes Garten blieb ihnen, ein Stück vom Stadtgraben und eine große Wiese hinter der Stadt. Doch vom Garten einmal abgesehen - einen erschreckten sie immer. Hier war es ein verträumter Spaziergänger, dort ein keuchender Jogger, an anderer Stelle ein Kind, das seinen Hund ausführte. Auf den Grundstücken nahe der Wiese löste der Löwe einen Aufruhr aus, als er beim Spielen über zwei Zäune setzte und plötzlich einer Frau im Bikini gegenüberstand. Am Stadtgraben begegneten sie unvermutet einem Bus mit Touristen, der um die Ecke bog. Der Chauffeur stoppte vor Überraschung so jäh, dass alle Leute samt ihren Fotoausrüstungen wild durcheinander purzelten.

Bei einer anderen Gelegenheit wiederum setzten sie den Löwen mit voller Absicht ein. Das war, als Sven und Kevin das übliche Schutzgeld eintreiben wollten. Einmal hatte Florian bereits gezahlt, außerdem hatten sie ihm seine grüne Wasserpistole weggenommen. Doch nun brauchte er sich nicht mehr vor ihnen zu fürchten. Diesmal sah er sie auch schon von weitem kommen, er stand mit Mareike in der Nähe der Schule bei den Abrisshäusern.

Sven hielt sich nicht lange mit Vorreden auf.

„Gestern war unsere Knete fällig, warum hast du nicht auf uns gewartet?", blaffte er.

„Ich hatte keine Zeit", erwiderte Florian kurz angebunden, obwohl er ein Zittern in den Knien verspürte.

„Keine Zeit? Für uns?" Kevins Stimme klang drohend.

Mareike sagte:

„Ihr kriegt kein Geld mehr. Wofür denn?"

„Ja, wofür?", schloss Florian sich tapfer an.

Kevin schnappte nach Luft und auch Sven sperrte vor Verblüffung das Maul auf. So viel Widerspruch, noch dazu von diesen Hosenscheißern, waren sie nicht gewohnt.

„Ihr habt überhaupt kein Recht, Geld von Florian zu verlangen", fügte Mareike trotzig hinzu.

„Ob wir ein Recht haben, wirst du gleich sehen." Sven hatte seine Sprache wiedergefunden und fasste Mareike beim Arm. „Was mischst du Popel dich überhaupt ein? Willst wohl zusammen mit ihm Dresche beziehn?" Er schüttelte sie.

Mareike versuchte sich loszureißen und Florian, der in der Hosentasche krampfhaft sein Tamagotchi umklammert hielt, trat einen Schritt zurück.

„Lass sie los", rief er.

„Was ist denn in den gefahren?" Sven ließ Mareike vor Erstaunen tatsächlich los.

Kevin aber hatte plötzlich ein aufgeklapptes Messer in der Hand. Ein hinterhältiges Grinsen überzog sein Gesicht.

„Der ist übergeschnappt", höhnte er. „Ich glaube, den müssen wir ein bisschen kitzeln." Er sprang blitzschnell auf Florian zu, um ihn zu packen. Doch Florian hatte den Angriff vorausgesehen und wich aus. Er holte das Plastik-Ei aus der Tasche und bediente die Kombination: drei, eins, vier.

Kevin spürte eine Tatze auf seiner Schulter. Er fuhr herum und sah einem Löwen ins Antlitz. Sven, zwei Schritte entfernt, stieß einen Schrei aus.

Das Klappmesser fiel zu Boden, Kevin, leichenblass, wagte nicht, sich zu rühren. Sven stotterte:

„D-d-das ..."

„Das ist mein Löwe", sagte Florian. „Komm her, Rex."

Rex-kun nahm ruhig die Tatze von Kevins Schulter und setzte sich gelassen neben Florian. Mareike trat zu ihnen.

„Wagt es ja nicht, uns noch mal anzugreifen", sagte sie. „Ein Wort und er macht Hackfleisch aus euch."

„Er vernascht euch zum Frühstück", fügte Florian hinzu.

„Er rupft euch Arme und Beine einzeln heraus", erklärte Mareike.

„Zuerst beißt er euch Nase und Ohren ab, danach alles andere", ergänzte Florian.

Sven brachte noch immer kein Wort heraus. Kevin stand zitternd da und flüsterte:

„Ein L-löwe." Vorn an seiner Hose bildete sich ein feuchter Fleck.

„He, du bepinkelst dich", rief Mareike. „Willst du nicht lieber nach Hause laufen und dir von deiner Mama eine Windel holen?"

Florian musste lachen. Ein ganz ungewohntes Gefühl der Stärke überkam ihn.

„Haut schon ab, ihr Schisser", sagte er, „sonst wird Rex euch Beine machen."

Der Löwe fauchte leise, doch das wäre gar nicht mehr nötig gewesen. Vor Angst totenblass, sauste Sven los und Kevin folgte ihm. Sie liefen auf die Schule zu, der sie sonst nur zu gern aus dem Weg gingen und wo sie bei anderer Gelegenheit um keinen Preis der Welt Zuflucht gesucht hätten. Beinahe wären sie noch in ein Auto gerannt. Als sie das Hoftor erreichten, wo ein Lehrer stand, gestikulierten sie wild und zeigten herüber zu den Abrisshäusern.

Passanten waren bereits aufmerksam geworden - die drei verschwanden schnell hinter einer Haustür.

„Das sind vielleicht Angsthasen", sagte Florian. „Habt ihr gesehen, wie die gewetzt sind? Hätte ich das früher gewusst, ich hätte keinen Groschen rausgerückt."

„Es stimmt, die beiden sind Feiglinge", erwiderte Mareike. „Trotzdem hätten wir ohne Rex nichts gegen sie machen können." Sie streichelte ihn.

„Wenn ich euch damit geholfen habe, ist es gut", gab Rex zufrieden zur Antwort.

„Die beiden sind gemein", erklärte Mareike. „Sie wollen Geld von Florian und lauern ihm auf. Sie schikanieren ihn, wo sie ihm begegnen."

„Das nächste Mal kann ich sie ja ins Bein beißen", schlug der Löwe vor.

„Das nächste Mal? Die traun sich bestimmt nicht mehr an uns ran", sagte Florian, mutig geworden. „Wir können sie uns höchstens selber vorknöpfen. Eigentlich müssten sie die Knete wieder hergeben, die sie mir bisher weggenommen haben. Was meinst du, Mareike?"

Mareike kam nicht mehr zum Antworten, weil an die Haustür geklopft wurde. Eine ernste Stimme fragte:

„Beermann und Bohnert, seid ihr da drin?"

„Das ist Herr Braun", flüsterte Mareike. „Er stand am Schultor, als Sven und Kevin gerannt kamen. Bestimmt will er wissen, was mit dem Löwen ist." Laut sagte sie: „Ja, wir sind hier."

Herr Braun war der Turnlehrer. Florian wollte Rex-kun nicht gleich wieder zurückschicken, nachdem er ihnen so geholfen hatte, und bat ihn, sich im Treppenaufgang zu verstecken.

„Was macht ihr da drin?", wollte der Lehrer wissen. „Es ist verboten, in solchen Häusern herumzustöbern, die Wände können einstürzen. Kommt heraus."

Die Kinder öffneten die Tür und traten ins Freie.

„Wir sind bloß wegen Sven und Kevin hier", beteuerte Florian, „sie wollten uns verprügeln."

„Deswegen komme ich ja. Was sind das für Geschichten mit einem Löwen? Die beiden sind völlig verstört."

„Was denn für ein Löwe? Die laufen doch nicht frei auf der Straße herum", erwiderte Mareike.

„Ist schon richtig. Aber irgendetwas habt ihr mit den beiden angestellt", beharrte der Lehrer.

„Wir? Die sind doch viel größer", verteidigte sich Florian.

Sven hatte sich wieder genähert und spähte hinter einem Baum hervor. Florian zog ihm eine lange Nase. Kevin dagegen war nicht zu sehen. Wahrscheinlich war er ins Schulklo gerannt, um sich zu säubern.

In diesem Moment knackte es laut im Haus, offenbar war Rex auf ein loses Brett getreten.

„Da ist doch noch jemand drin", rief der Lehrer. „Was geht hier eigentlich vor?" Er trat zur Tür und stieß sie auf.

Der Löwe hatte sich zwar seitlich im Treppenaufgang verkrochen, aber nicht weit genug. Sein Hinterteil mit dem Schwanz zeichnete sich im Halbdunkel deutlich ab. Nun drehte er sich sogar um und blinzelte neugierig um die Ecke.

Bevor Florian noch die richtigen Knöpfe bedienen konnte, hatte der Lehrer ihn und Mareike an den Händen gepackt. Er rannte los und schrie:

„Weg hier, da drin ist wirklich ein Löwe. Lauft, so schnell ihr könnt."

Er zog die beiden mit. Florian verlor sein Plastik-Ei, es fiel auf die Erde.

„Mein Tamagotchi", rief er und versuchte sich loszumachen.

„Lass das blöde Ding." Der Lehrer zerrte umso mehr. Immerhin musste man es ihm hoch anrechnen, dass er nicht allein das Weite suchte.

Rex konnte nicht einfach mit ansehen, dass seine Freunde weggeschleppt wurden. Er vermutete einen Angriff und war mit drei Sätzen bei ihnen. Ein Tatzenhieb warf Herrn Braun zu Boden. Im Fallen ließ er die Kinder los.

Mareike schlug gleichfalls hin, rappelte sich aber wieder auf. Florian stolperte bloß.

„Ist euch was passiert?", fragte der Löwe besorgt.

Florian schüttelte den Kopf, er konnte Rex jetzt nicht über seinen Irrtum aufklären. Er rannte zu seinem Tamagotchi und hob es auf. Im nächsten Augenblick war der Löwe weg, spurlos verschwunden.

„Wo ist er hin?" Der Turnlehrer erhob sich verwirrt. Dann fügte er tonlos hinzu: „Er hat gesprochen."

Mareike ging nicht auf ihn ein, sondern fragte:

„Was ist mit Ihnen, Herr Braun? Ist Ihnen nicht gut?"

„Er hat gesprochen", wiederholte der Lehrer, „und er hat mir einen Tatzenhieb versetzt. Wo ist der Löwe hin?"

„Hier war kein Löwe", schwindelte Florian. „Sie haben einen Schatten gesehen oder so was Ähnliches, sind erschrocken und hingefallen."

Der Lehrer ließ sich nicht ablenken. Er rannte zurück zur Haustür und öffnete sie, stürmte in den Flur und die Treppe hinauf. Guckte in alle Räume. Feige war er nicht.

Als er zurückkam, sagte er kein Wort mehr. Er beachtete Florian und Mareike nicht, ging kopfschüttelnd und wie betäubt an ihnen vorbei zur Schule.

Florian wird übermütig

Sven und Kevin gingen Florian von diesem Tag an aus dem Weg und der Turnlehrer Braun bedachte ihn wie Mareike mit dem gleichen scheelen Blick, den auch Herr Gaffron für sie hatte. Diese beiden sonst so braven und unauffälligen Schüler waren dem Lehrer einfach nicht geheuer.