ABgehackt - Drea Summer - E-Book

ABgehackt E-Book

Drea Summer

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Beschreibung

Gran Canaria wird zum Jagdrevier eines brutalen Serienmörders! Ein grausamer Mord erschüttert die Urlaubsinsel: Ein Obdachloser wird bestialisch zugerichtet aufgefunden. Kurz darauf entdeckt die Polizei die Leiche einer Fitnesstrainerin – ebenfalls grausam verstümmelt. Gibt es eine Verbindung zwischen den Opfern? Wer ist der Mörder, und wo schlägt er als Nächstes zu? Während die Polizei im Dunkeln tappt, nehmen die Privatdetektive Sven und Jenny die Ermittlungen auf. Doch ihre Spurensuche führt sie direkt ins Visier des Killers. Ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt … Ein fesselnder Thriller voller Spannung, Nervenkitzel und unerwarteter Wendungen! Perfekt für Fans von packenden Krimis, Ermittler-Duos und mörderischer Urlaubsstimmung. Jedes Buch dieser Serie kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Weitere Bücher dieser Serie: ANgefasst - Teil 2 ANvisiert - Teil 3 AUSweglos - Teil 4 AUSweglos -Teil 5 ABgelegt - Kurzthriller

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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ABgehackt

 

Team Gran Canaria Band 1

 

von Drea Summer

 

 

1. Auflage, 2019© Alle Rechte vorbehalten. 

Andrea y Michi S.L.

Los Tenderetitos L 134

35100 San Fernando

Las Palmas de Gran Canaria

 

 

Lektorat/Korrektorat: Lektorat TextFlow by Sascha RimplCovergestaltung © Dream Design – Cover and Art

Covermotiv © shutterstock_21698083,

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Abgehackt

Team Gran Canaria

 

Ein brutaler Serienmörder sucht die Urlaubsinsel Gran Canaria heim. Binnen kürzester Zeit werden die Leichen eines Obdachlosen und einer Fitnesstrainerin aufgefunden. Beide sind auf furchtbare Art und Weise verstümmelt worden. Die Ermittler der Polizei stehen vor einem Rätsel. Gibt es eine Verbindung zwischen den Opfern? Wo wird der Täter als Nächstes zuschlagen?

 

Unterdessen werden Sven und Jenny, seit Kurzem als Privatdetektive tätig, von einem nahen Verwandten eines der Opfer beauftragt, ebenfalls nach dem Mörder zu suchen. Doch je tiefer sie graben, umso mehr bringen sich die beiden selbst in tödliche Gefahr.

 

1

 

»Heute werde ich dich holen«, flüsterte ich. Endlich kehrte Finsternis ins Haus ein. Die notwendige Ruhe, die ich für meinen Besuch brauchte. Ich kauerte schon seit Sonnenuntergang hinter der großen Staude. Das Haus hatte ich keine Sekunde aus den Augen gelassen. Ich hatte alle notwendigen Utensilien mittags in den Rucksack gepackt, den ich nun auf meinen Schultern trug.

Ich musste es heute tun. Heute war die Nacht der Nächte, die Nacht der Abrechnung. Du hast es nicht anders verdient. Du wirst das bekommen, was dir zusteht.

Leise schlich ich hinter dem Gebüsch hervor. Wie auf Samtpfoten näherte ich mich dem Haus. Ich drehte mich in alle Richtungen, da ich keine Überraschungsgäste gebrauchen konnte.

Das Versteck des Notfallschlüssels war schnell gefunden. Erst vor Kurzem hatte ich im Fernsehen eine Reportage gesehen, dass dieser in den meisten Fällen im Umkreis von drei Metern von der Haustür versteckt war. Wie einfallslos das doch war – unter dem Blumentrog, der eine Armlänge neben dem Eingang hing. Wieso lässt man den Schlüssel nicht gleich von außen stecken?, fragte ich mich noch, als ich aufsperrte. Ich hielt den Atem an und hoffte, dass kein Knirschen oder Knarren mein Eintreten verraten würde. Lautlos öffnete sich die Tür. Erleichtert atmete ich aus und setzte einen Fuß ins Innere. Der Geruch von Orange und Zimt kroch in meine Nase.

»Nichts sehen«, murmelte ich. Genau diese Worte werde ich dir ins Ohr flüstern. Sie werden sich tief in deine Synapsen einbrennen. Ganz leise und langsam werde ich es immer und immer wiederholen, bis du deinen letzten Atemzug gemacht hast. Und ich werde jede Sekunde genießen. Du wirst mich ansehen, als wäre ich ein Geist. Kein Flehen wird dich vor dem beschützen, was ich mit dir vorhabe. Du wirst genauso leiden, wie ich gelitten habe. Du bist schuld daran. Nur du. Du hast dich dazu entschieden.

Mein Herzschlag verlangsamte sich, als ich die Treppe hinaufschlich. All die Nervosität war schlagartig wie weggeblasen. Meine Gedanken kreisten nur noch um uns beide. Und darum, was gleich passieren würde. Schritt für Schritt näherte ich mich dem Schlafzimmer. Leise Atemgeräusche drangen in den Flur. Noch schläfst du tief und fest in deinem warmen, wohligen Bett. Träumst von dem unbeschwerten Leben, das du führst. Ich legte meine Hand auf den Türknauf.

Doch bevor ich die Tür öffnen konnte, überkam mich wieder der Zorn, der tief in mir loderte. Ich war enttäuscht. Diesen Moment der Ausführung hatte ich mir spannender vorgestellt. Als ich den Plan vor wenigen Wochen ausgeklügelt hatte, hatte mein ganzer Körper zu zittern angefangen, und das Flügelschlagen in meinem Bauch war deutlich zu spüren gewesen. Diese Last war endlich von mir abgefallen, und die Vorfreude hatte mich jauchzen lassen. Aber jetzt, kurz vor der Umsetzung, nichts, rein gar nichts. Ich hoffte darauf, dass wenigstens ein Anflug von Nervosität einsetzte, sobald ich die Tür öffnen würde.

2

 

Sven öffnete seine verschlafenen Augen. Seine rechte Seite fühlte sich an, als würde sie nicht zu seinem Körper gehören. Wahrscheinlich hatte er einfach zu lange darauf gelegen. Ein eigenartiges Klicken ganz in seiner Nähe hatte sein Hirn dazu gezwungen, die Tiefschlafphase zu beenden und nach dem Rechten zu sehen. Das fahle Mondlicht, das ins Schlafzimmer schien, zeichnete die Konturen des Eindringlings an die Wand. Sven traute seinen Augen kaum und hielt es im ersten Moment für einen Traum, doch der Schatten beugte sich vornüber. Da ertönte neben Sven schon ein schriller Schrei von Jenny. Ruckartig versuchte er, sich aufzusetzen und auf den Einbrecher loszustürmen, doch sein Körper lag da wie in Stein gemeißelt.

»Sven, hilf mir!«, schrie Jenny noch, bevor ihre Stimme brach. Er spürte ihre Hand, die sich auf seinem Rücken festkrallte, aber langsam die Kraft verlor, bis sie losließ. Kälte strömte auf seinen Körper ein, da die Bettdecke zur Seite geschlagen wurde.

Er wollte etwas auf ihre Worte erwidern, allerdings bekam er keinen Ton heraus. Was war bloß mit seinem Körper los? Wieso konnte er sich nicht bewegen und nichts sagen? Waren ihm Drogen verabreicht worden?

Aus dem einen Schatten an der Wand wurden zwei. Dieses Arschloch zerrt Jenny aus dem Bett. Der Geruch von Chloroform stieg ihm in die Nase und kroch hinauf in sein Gehirn. Das Schwein hatte Jenny betäubt.

Verschwinde, lass sie in Ruhe, befahl sein Hirn hinauszuschreien, doch es kamen keinerlei Worte über seine Lippen. Nichts an Svens Körper bewegte sich, außer seinen Augen, die an der Wand mitverfolgen konnten, was sich hinter seinem Rücken für grausame Taten abspielten. Er hörte ein dumpfes Geräusch. Etwas war zu Boden gefallen. Der Unbekannte hatte Jenny aus dem Bett geworfen und zog sie an den Oberarmen über den Boden. Gleich würde Sven die beiden sehen. Er richtete seinen Blick auf die Schlafzimmertür. Sein Geist war bereit. Dann würde er angreifen wie ein wilder Tiger, der Hunger hatte.

Er sah die dunkle Gestalt, die vornübergebeugt seine Freundin hinter sich herschleifte. Der Mond schien heller als zuvor, und er konnte direkt in das Gesicht des Einbrechers blicken. Die Haut war komplett weiß, und auf der Nase prangte ein roter Ball. Der Mund war in stechendem Rot zu einem Lachen aufgemalt. Ein Clown, durchfuhr es ihn. Gerade ein Clown wollte sie entführen. Sie hasste Clowns. Als Kind, so hatte sie ihm erzählt, hatte sie schreckliche Angst vor diesen schaurigen Gestalten gehabt. Nun sah Sven auch das Bündel, das sich regungslos von dem Täter aus dem Zimmer zerren ließ. Jennys Kopf war nach vorne geneigt und wippte von rechts nach links.

Was Sven dann erblickte, holte ihn endlich aus seiner Schockstarre, und ihm entfuhr ein gellender Schrei, der jedes Glas zum Zerbersten bringen würde. Das Adrenalin schoss durch seine Adern, und endlich schaffte er es, sich im Bett aufzurichten. Da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Sofort aktivierten sich die Verteidigungsmechanismen in seinem Körper. Der Kampf um Jenny konnte beginnen. Niemals würde er sie aufgeben und diesem Kerl überlassen.

3

 

Cecilia Sanchez Pérez wunderte sich heute Morgen über das abrupte Aufbrechen ihres Mannes. Normalerweise nahmen die beiden ihr Frühstück immer gemeinsam ein. Pünktlich um halb acht standen die dampfenden Kaffeetassen auf dem Tisch. Er war eben ein echter Deutscher, der auf Recht und Ordnung bestand. Alles musste immer genau nach Plan laufen und seinen geordneten Gang nehmen. Schon seit dem ersten Kennenlernen, vor mehr als zwanzig Jahren, wusste Cecilia, dass sie es mit Horst nicht leicht haben würde. Er war eben ein spießiger Langweiler, ganz das Gegenteil zu ihrer spanischen Mentalität. Doch heute hatte er sich seltsam benommen. Sie seufzte, als sie allein am Küchentisch saß und ihren Kaffee trank. Sie schaute durch die Glasfront nach draußen und hatte einen wundervollen Blick über das gesamte San Agustín, das sich unter ihrem Haus in seiner vollen Schönheit präsentierte. Gerade eben war die Sonne aufgegangen, und das Licht spiegelte sich orangefarben im Meer wider. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es kurz vor acht war. Sie hatte noch massig Zeit, bis der erste Klient des Tages ihre Praxis betreten würde.

Da hörte sie bereits den Schlüssel im Schloss und war froh, als Maria Momente später zu ihr in die Küche trat. Seit mehr als fünf Jahren kam sie jeden Tag pünktlich zur Arbeit, kochte, putzte und pflegte Cecilias Vater, der nach einem Schlaganfall mehr oder minder in seinem Bett dahinvegetierte und darauf wartete, dass Gott ihn endlich zu sich holte.

Was würde sie bloß ohne Maria machen? Dieses freundliche Wesen mit dem Aussehen einer echten spanischen Mutter und immer mit einem Lächeln im Gesicht. Cecilia wollte sich auf keinen Fall um ihren Vater kümmern, vermutlich hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt. Doch angesichts der Tatsache, dass ihr Mann Horst nichts von dieser Geschichte in ihrer Jugend wusste, hatte sie den Vorschlag von ihm nicht ablehnen können, nach dem Tod ihrer Mutter vor knapp sechs Jahren wieder nach Gran Canaria zu ziehen. Zu groß war ihre Furcht vor dem, was passierte, wenn Horst die Wahrheit erfahren würde.

So waren sie mit Sack und Pack hierhergezogen. »Familie geht über alles. Blut ist dicker als Wasser«, hatte Horst damals gesagt, als er die Entscheidung, auf der Insel zu wohnen und ihren Vater zu sich zu holen, wie selbstverständlich getroffen hatte.

Maria war bereits durch die Balkontür verschwunden und stieg die Außentreppe hinunter in den Keller, den Horst für ihren Vater hatte umbauen lassen. Zwar hatte er nicht verstanden, warum er nicht bei ihnen oben im Haus wohnen konnte – Platz wäre doch genug gewesen –, ließ sich aber dann doch zu einem Umbau der Kellerwohnung überreden.

Durch einen Luftzug schwang die Balkontür wieder auf, und Meeresluft strömte in das Innere des Hauses. Cecilia strich ihre kinnlangen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Wie gebannt starrte sie durch die Glasfront und war in Gedanken versunken. Zurück in ihrer Studienzeit, in der sie weit weg von dieser Insel war: in Leipzig auf dem Sofa ihrer Psychiaterin. Sie war die Einzige, die die Wahrheit kannte. Die ganze grausame Geschichte, wie es sich zugetragen hatte. Die Worte der Psychiaterin hallten heute noch in Cecilias Kopf. »Erst der Tod des Peinigers wird dir auch deinen Schmerz nehmen. Und du wirst endlich loslassen können.« Warum will ich bloß an diese Worte glauben, wenn sie doch nicht wahr sind?

In diesem Moment klingelte ihr Telefon und riss sie aus ihren Erinnerungen. Eine Benachrichtigung von Facebook wurde angezeigt. Um sich von ihren düsteren Gedanken abzulenken, tippte sie auf das Display und öffnete die App. Die Seite ›Info Gran Canaria‹ erschien sogleich auf ihrem Bildschirm, und sie las den Artikel:

 

›Heute in den frühen Morgenstunden wurde von Spaziergängern eine weibliche Leiche am Strand von Playa del Inglés gefunden. Wie auch bei dem Leichenfund vor drei Tagen wurden der Frau die Füße und Hände sowie der Kopf abgetrennt. Inspektor Carlos Muñoz Díaz war heute zu einer kurzen Stellungnahme bereit. Wie er uns berichtete, handelt es sich bei dieser Frau vermutlich um Victoria Garcia Ruíz. Die rechtsmedizinische Identifizierung wird in den kommenden Stunden für Klarheit sorgen. Victoria Garcia Ruíz wurde vor drei Tagen aus ihrem Haus entführt. Wir haben bereits darüber berichtet. Inspektor Muñoz Díaz geht mittlerweile von einem Serienverbrecher aus, der auf der Kanareninsel sein Unwesen treibt. Die neuesten Ermittlungen zu dem toten Mann, der vor drei Tagen an den Strand von Maspalomas gespült wurde und dort für Aufsehen gesorgt hatte, haben ergeben, dass es sich hierbei um den siebenundsechzigjährigen Obdachlosen Helge Larsen, einen gebürtigen Norweger, handelt. Über die Hintergründe der Taten wollte der Inspektor noch nichts Näheres bekannt geben. Allerdings bittet er die Bevölkerung um Mithilfe. Sollte Ihnen in Ihrer Nachbarschaft etwas Merkwürdiges auffallen oder aufgefallen sein, verständigen Sie bitte sofort die Polizei unter dem Notruf 112.‹

 

Jetzt war Cecilia klar, warum ihr Mann heute früh so schnell das Haus verlassen hatte. Dieser Artikel war von Horst verfasst worden. Schließlich war er einer der beiden Redakteure dieser Informationsseite. Ein Serienkiller auf Gran Canaria, der anscheinend nur eine kurze Abkühlphase hatte. Was für ein Albtraum!

Der Name der Frau ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Konnte es sich wirklich um …? Aber das war doch nicht möglich. Wer hätte sie denn ermorden sollen? Und dann noch auf so eine bestialische Art und Weise? Cecilia starrte noch immer auf den Bildschirm ihres Handys, der in der Zwischenzeit schwarz geworden war. Sie musste heute ihre Praxis früher verlassen, um Horst über weitere Einzelheiten auszufragen. Dieser Fall interessierte sie persönlich sowie auch als Psychologin brennend. Schon einige Male war sie bereits in Deutschland wegen ihrer fundierten Kenntnisse für die Erstellung von Täterprofilen hinzugezogen worden. Somit könnte sie vielleicht auch hier helfen.

4

 

»Du solltest wirklich zu einem Arzt gehen. So kann das nicht weitergehen. Jede Nacht schreist du wegen diesem Albtraum.« Jennys Hand lag auf Svens schweißnasser Schulter. Er keuchte und rang nach Luft. Sie spürte, wie sich seine Muskeln anspannten, und redete beruhigend auf ihn ein. »Schatz, es ist alles gut. Ich bin bei dir. Du hast nur schlecht geträumt. Bitte versprich mir, dass du dir Hilfe suchst.« Noch während sie sprach, schaltete sie die Nachttischlampe ein.

Sven starrte sie an, als würde er gerade einen Geist sehen. »Verdammte Scheiße«, murmelte er. »Ich habe dich gesehen. Deine Haare waren klitschnass. Von deinen Augen waren nur mehr die schwarzen Höhlen da. Und dieser Betonblock an deinen Füßen, so wie … Ich dachte wirklich …«

Sie legte ihren Zeigefinger auf seinen Mund und brachte ihn so zum Schweigen. »Hör auf zu fluchen. Wir haben das doch schon besprochen. Statt zu fluchen, sagst du zukünftig Schmetterling. Also verdammter Schmetterling.« Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, das auch sie zum Schmunzeln brachte.

Er zog ihren Kopf zu sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ja, ich weiß. Ich werde mich bessern. Ich hab es dir versprochen. Und morgen in der Früh werde ich mir gleich einen Termin bei einem Arzt besorgen.«

Nach einem kurzen Zögern sagte Jenny: »Ich habe mit Sarah über dein … Problem gesprochen. Ich weiß, du wolltest das nicht, aber ehrlich, mich überfordert das. Und wen sollte ich sonst um Hilfe bitten? Sie hat mir die Telefonnummer von einer Psychologin, Doktor Sanchez Pérez, gegeben. Die soll eine Koryphäe sein auf diesem Gebiet.«

Sven schaute sie böse an, sodass Jenny den Blick von ihm nahm und an ihm vorbeisah. Eigentlich wollte sie ihm das nicht gerade um drei Uhr morgens beichten, aber was raus musste, musste eben raus.

Sie hörte Sven schnaufen und machte sich schon auf eine Standpauke gefasst. Er strich mit seiner Hand eine braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht und schaute ihr in die rehbraunen Augen. »Ich weiß. Du machst dir nur Sorgen. Du hast es nicht böse gemeint. Lass uns jetzt schlafen, ja? Schließlich müssen wir bald wieder aufstehen und zur Arbeit.«

 

***

 

Jenny hatte Sven bereits aussteigen lassen, bevor sie in die Tiefgarage des Centro Comercial Botanico in San Fernando einfuhr. Sie parkte das Auto auf dem Platz mit der Nummer dreiundzwanzig, holte ihre Handtasche von der Rückbank, und kurze Zeit später stand sie bereits vor dem Detektivbüro, das die beiden seit zwei Wochen ihr Eigen nannten. Auf der großen Scheibe stand »El Espía« in großen blauen Buchstaben. Den Namen hatten sie sich gemeinsam ausgesucht. Sven fand ihn passend, da es so viel wie »Spion« auf Spanisch bedeutete. Unterhalb stand auf Deutsch »Detektivbüro S & J«.

Als die beiden sich vor knapp sechs Monaten kennengelernt hatten, konnte man wahrlich nicht von Liebe auf den ersten Blick sprechen. Schließlich hatte Sven Jenny anfangs als seine Geisel genommen. Doch Stunde für Stunde hatten sich die beiden angenähert, und als Jenny sich sicher gewesen war, dass Sven nicht der Gewalttäter war, für den sie ihn anfangs gehalten hatte, half sie ihm. Erst als sie glaubte, sie hätte ihn für immer verloren, merkte sie, dass sie mehr für ihn empfand, obwohl sie sich doch gerade erst wenige Tage kannten.

Als sie ins Büro trat, hörte sie noch die letzten Worte, die Sven ins Telefon sprach. Wie immer ging er beim Telefonieren im Zimmer auf und ab und strich sich mit den Fingern durch die hellbraunen Haare.

»Ja, ich bin in drei Stunden bei Ihnen.«

Fragend schaute sie ihn an. »Ehrlich? Du hast dir einen Termin mit der Psychologin ausgemacht? Oder war das ein neuer Kunde?«

Sven kam auf sie zu und küsste sie auf die Stirn. »Ja, ich habe einen Termin bei Dr. Sanchez. Und zwar heute noch. Diese Träume müssen einfach aufhören. Ich kann das weder dir noch mir länger antun.«

Jenny hörte das Klopfen an der Tür und drehte sich um. Ein großer, schlanker Mann Ende vierzig stand im Türrahmen. Jenny fiel auf, dass er zwar adrett gekleidet war – mit langarmigem Hemd und dunkler Jeanshose –, aber durch seinen Dreitagebart ungepflegt wirkte. Ohne ein Wort der Begrüßung trat er ein und hielt den beiden mit zittrigen Händen einen Zettel hin, auf dem in Großbuchstaben geschrieben stand ›¡TÚ ERES EL PRÒXIMO!‹.

Sven reagierte als Erstes und nahm ihm den Zettel ab. Er legte ihm seine Hand auf den Oberarm und schob ihn in Richtung Tisch. »Buenos días. Bitte setzen Sie sich erst mal. Jenny, bringst du dem Herrn bitte ein Glas Wasser?«

Jenny holte ein Glas aus dem Schrank und schenkte Wasser ein. Momente später stellte sie es auf den Tisch und setzte sich ebenfalls dazu.

Nachdem der Mann immer noch schwieg und beide nur mit großen Augen anstarrte, suchte Sven erneut das Gespräch mit ihm. »Mein Name ist Sven Wagner. Ich bin Privatermittler. Und das ist meine Partnerin Jenny Huwer. Wer sind Sie, und wie können wir Ihnen helfen?«

Der Mann zeigte keinerlei Reaktion. Auch das Glas Wasser rührte er nicht an. Jenny kam es so vor, als ob er nicht einmal atmete. Sie schaute zu Sven, der leicht mit den Schultern zuckte.

»Sie müssen mit uns sprechen«, sagte Sven. »Ansonsten können wir Ihnen nicht helfen. Wo haben Sie diesen Zettel her? Wer könnte Ihnen diesen geschickt haben? Was bedeutet die Botschaft: Du bist der Nächste? ¿Usted puede entenderme? «

Der Mann stieß einen lauten Seufzer aus und fand schließlich seine Stimme. »Ja, ich verstehe Sie. Ich heiße Roberto. Sie müssen mir helfen.« Er sprach Deutsch mit starkem Akzent. Er knöpfte seine Hemdärmel auf und schob sie ein wenig nach oben. Auf seiner Stirn hatten sich kleine Schweißperlen gebildet.

»Das kann ich nur, wenn Sie mir erzählen, was passiert ist«, entgegnete Sven.

»Das sehen Sie hier doch. Ich werde bedroht«, sagte Roberto und tippte mit dem Zeigefinger auf das Blatt Papier. »Die Polizei will mir nicht helfen. Die meinen, es handelt sich nur um einen Scherz. Aber ich habe erfahren, dass meine Schwester heute früh tot am Strand aufgefunden wurde. Ich bin sicher der Nächste, dem das passiert.«

»Wie kommen Sie darauf, dass dieser Zettel etwas mit dem Mord zu tun hat?«, fragte Jenny und nahm den Notizblock, der auf dem Tisch lag.

»Sie war meine Schwester. Das ist doch klar, dass es mich als Nächstes trifft. Die ganze Familie soll ausgelöscht werden.«

»Aber warum ist Ihre ganze Familie in Gefahr?«, fragte Jenny. »Gibt es einen triftigen Grund? Wurde Ihre Schwester auch bedroht? Von wem könnte diese Nachricht stammen?«

Nur ein Schulterzucken kam als Antwort, gefolgt von einem leisen Schluchzen.

Jenny legte ihre Hand auf Robertos Unterarm. »Keine Sorge. Es ist unsere Aufgabe, das herauszufinden.«

5

 

Heute werde ich ein Kunstwerk vollenden. Und dies wird erst der Anfang sein. Diese Missgeburt hat es nicht anders verdient.

Ich holte die Hände aus dem Kühlschrank und drapierte sie neben dem Kopf. Die Augen starrten mich still und glasig an. Fast anklagend durchdrangen mich die Blicke. Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken aus meinem Hirn zu bekommen. Schließlich hatte ich einen Vorteil im Vergleich zu meinem Gegenüber. Ich hatte ein Hirn, das dachte. Ihres war schon Matsch. Ich nahm die Hand in meine. Ein kalter Schauer durchzuckte mich. Acht Grad kalte Haut fühlte sich an wie Leder. Falten über Falten hatten sich gebildet. Eine Berg- und Talfahrt. Unter der Oberfläche zeichneten sich die schwarzen Adern wie fette, tote Würmer ab. Still und steif streckten sich die Finger nach mir aus, so als ob sie mich ergreifen wollten.

»Nein, das lasse ich nicht zu. Fass mich ja nicht an!«, schrie ich ihr entgegen und wuchtete sie mit aller Kraft auf den Tisch. Ein Knacksen war zu hören. Der Kopf wackelte ein wenig hin und her. Er stimmte mir zu. Auch er wollte nicht, dass die Hand mich anfasste. Mein Schmerz saß tiefer als Fett und Muskelschichten. Er brannte in meiner Seele. »Niemals werde ich dir vergeben. Niemals.«

Vor einem Monat hatte das Feuer gelodert, manchmal spürte ich das erneute Aufflammen in mir, wenn ich daran dachte. Meistens allerdings nur die Glut, die langsam vor sich hin flackerte, aber niemals ganz erlosch.

Während ich mir einen Faden und eine Nadel zurechtlegte, schweiften meine Gedanken wieder ab. Was war das Schlimmste? Dass du nichts gehört hast, dass du nichts sehen wolltest oder doch, dass du nichts gesagt hast? Ich legte die Hand auf die toten Augen. Zuerst versuchte ich, nur die Finger in die richtige Position zu bringen, dann drehte ich die komplette Hand erst nach links, dann nach rechts. Aber es wollte nicht so recht passen. Ich nahm sie wieder herunter und klopfte mit dem Fleischhammer mit voller Wucht auf die Fingerknochen. Ein dumpfer Klang ertönte, und das Fleisch zerbarst unter der immensen Kraft.

---ENDE DER LESEPROBE---