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Ein All-Inclusive-Urlaub auf der Ferieninsel Gran Canaria stellt den frischgebackenen Pensionär Heinz und seine Frau Uschi vor eine ganze Menge ungeahnter Herausforderungen: Braucht man im Süden lange Unterhosen? Haben Kinder einen integrierten Lautstärkeregler? Gibt es gesundes Essen, das auch schmeckt? Muss man im Urlaub wirklich längere Wege in Kauf nehmen als den zur Bar, zum Pool oder zum Strand? Neben detaillierten Schilderungen der alltäglichen Schlacht am Hotelbüfett (und natürlich der atemberaubenden Landschaft Gran Canarias) geht dieses Buch ebenso einer der essenziellsten Fragen des deutschsprachigen Profi-Tourismus auf den Grund: Darf man zu Sandalen Socken tragen?
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Komm, wir fliegen
nach Gran Canaria
von Drea Summer
1. Auflage, 2019
© Alle Rechte vorbehalten.
Drea Summer
Los Tenderetitos L134
35100 San Fernando
Las Palmas de Gran Canaria
ISBN: 9783750405387
Lektorat/Korrektorat: Lektorat TextFlow by Sascha Rimpl
Covergestaltung © Dream Design – Cover and Art
Covermotiv ©
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Komm, wir fliegen nach Gran Canaria
Ein All-Inclusive-Urlaub auf der Ferieninsel Gran Canaria stellt den frischgebackenen Pensionär Heinz und seine Frau Uschi vor eine ganze Menge ungeahnter Herausforderungen: Braucht man im Süden lange Unterhosen? Haben Kinder einen integrierten Lautstärkeregler? Gibt es gesundes Essen, das auch schmeckt? Muss man im Urlaub wirklich längere Wege in Kauf nehmen als den zur Bar, zum Pool oder zum Strand?
Neben detaillierten Schilderungen der alltäglichen Schlacht am Hotelbüfett (und natürlich der atemberaubenden Landschaft Gran Canarias) geht dieses Buch ebenso einer der essenziellsten Fragen des deutschsprachigen Profi-Tourismus auf den Grund: Darf man zu Sandalen Socken tragen?
Freitag, ein Tag vor Abflug
In Heinz’ Magen grummelte es verdächtig. »Schtt«, sagte er und fuhr sich über seinen Bauchansatz. »Es sind noch zwei Stunden und siebenunddreißig Minuten, bis du etwas zum Essen bekommst.« Er lehnte sich in seinem Wohnzimmersessel zurück und schlug die Beine übereinander. Seine Hände verschränkte er hinter dem Nacken. Genau so hatte er sich das vorgestellt. Die Pension. Lange war es nur ein Wunschtraum gewesen, aber seit knapp drei Monaten war es endlich so weit. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Und genau das tat er auch. Schon immer hatte er gerne im Garten gearbeitet, und auch jetzt, im Oktober, gab es viel zu tun. Heute Morgen war er schon um sieben Uhr mit seinem Rechen in den Garten gestapft und hatte das Laub auf dem Rasen zu einem Haufen zusammengeharkt. Natürlich hatte er die Blätter sofort in einen großen Müllsack gestopft. Ordnung musste schließlich sein.
Und jetzt genoss er die Ruhe bei einer guten Tasse Pfefferminztee. Doch plötzlich wurde er wieder gestört. In seinem Magen polterte es, und dieser meldete gehorsamst, dass er nun zur Nahrungsaufnahme bereit sei. Wieder schaute Heinz auf seine Armbanduhr. Es waren gerade erst zwei Minuten vergangen seit der letzten Meldung. Wenn das so weiterging, würde er sich nicht entspannen können.
Somit stand er auf und schritt zum Kühlschrank. Er öffnete ihn und schaute sich in den fast leeren Fächern um. War er heute mit Einkaufen dran? Oder war Uschi an der Reihe? Er schaute auf den Kalender, der direkt neben dem Kühlschrank an der Wand hing. Groß und deutlich stand ein ›U‹ in dem Feld des heutigen Datums. Zufrieden mit dieser Erkenntnis ließ er seinen Blick wieder in den Innenraum des Kühlschranks schweifen. Allerdings musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass sich so gar nichts Essbares darin befand. Paprika, Tomaten, ein ganzer Blumenkohl, Salat und, fein säuberlich in einer Tupperdose verpackt, dieses komische Zeug, zu dem Uschi immer Kussmond oder so ähnlich sagte. Keine Wurst, keine Butter, nichts Vernünftiges eben. »Und vermutlich nicht mal Brot. Nur dieses eklige neumodische Zeug, das wie Brot aussieht, aber keines ist.« Schnell schloss er die Tür wieder und riss den Oberschrank auf. Direkt vor ihm machte sich das Brot, das kein Brot war, breit. Nur mit den Fingerspitzen berührte er es, als bestünde es aus reinem Gift mit einem warnenden Totenkopf auf der Verpackung, und schob es ein wenig zur Seite. Auf dem Etikett stand ›Nussbrot‹.
Vor zwei Tagen hatte Uschi es von ihrer Einkaufstour mit nach Hause gebracht und ihm voller Stolz beim Abendessen präsentiert. Der erste Bissen hatte seinen Speichel aufgesaugt wie ein Schwamm. Alle Poren zogen sich auf einmal zusammen und gaben ihm keine Möglichkeit zu schlucken, da dieser Brocken immer größer und fester wurde. Im ersten Moment hatte er Angst zu ersticken. Ausspucken war allerdings auch keine Alternative, denn Uschi sah ihn mit erwartungsvollen Augen an und wartete gespannt auf seine Meinung dazu. Mit dem immer größer werdenden Klumpen im Mund nickte er und versuchte sich an einem zwanghaften Lächeln. Der teigige Geschmack des Brotes breitete sich ungehindert aus.
»Wusste ich es doch, dass es dir schmeckt«, hörte er Uschi noch sagen, bevor sich auf seiner Stirn Schweißperlen bildeten und sein Brustkorb sich zusammenzog.
Das ist der Beginn eines Panikanfalles oder schlimmer noch – eines Herzinfarktes. Hilfe suchend hatte er sich umgeblickt. Das Glas Wasser war in greifbarer Nähe. Gerade als er es nehmen wollte, nahm Uschi es an sich.
»Es ist ungesund, zum Essen zu trinken«, sagte sie. »Du weißt doch, das verdünnt das Essen im Magen und es dauert viel länger, bis es verdaut ist.«
Meine letzte Hoffnung, dieses Ding mit seiner eigenartigen Konsistenz jemals wieder aus meinem Mund rauszubekommen, ist in diesem Fall, es zu schlucken. Doch wie um alles in der Welt sollte er vorgehen? Plötzlich kam ihm ein anderer Einfall. Natürlich, wieso bin ich da nicht schon eher draufgekommen?
Er hustete und prustete los. So heftig, dass seine Frau von ihrem Stuhl aufsprang und ihm mit der flachen Hand auf den Rücken klopfte. Mit beruhigenden Worten redete sie auf ihn ein und reichte ihm das rettende Taschentuch. Noch bevor er den Gedanken, dass dies eine geniale Idee gewesen war, zu Ende gedacht hatte, verhedderte sich ein Stück Nuss in seiner Luftröhre. Dies zog ein Kratzen und einen weiteren Hustenanfall nach sich, doch diesmal war er real und nicht gespielt.
»Hier, trink einen Schluck«, sagte Uschi und reichte ihm sein Glas.
Er schnappte es sich und trank hastig davon. Das Kratzen in seinem Hals wurde besser. Er räusperte sich, bevor er sprach: »Das ist ja gemeingefährlich. Es sollte verboten werden, so etwas zu verkaufen. Ich bin nur knapp dem Tod von der Schippe gesprungen. Kauf das bitte nie wieder, ja?« Er setzte seinen treuherzigsten Blick auf.
»Bleib auf dem Boden der Realitäten. Vom Sterben warst du weit entfernt. Du hast einfach nicht gut genug aufgepasst beim Essen. Du sollst nicht immer alles so runterschlingen, sondern auch kauen. Dann passiert so was nicht.«
Nun starrte er noch immer das Nussbrot im Küchenschrank an. Allein bei dem Gedanken daran, dieses noch einmal zu essen, stieg ihm die Magensäure in der Speiseröhre hoch. Wieder grummelte sein Bauch. Diesmal lauter als zuvor.
Doch außer dem Nussbrot fand er nur Knäckebrot. »Mit extra vielen Cerealien«, hatte seine Frau gesagt, bevor sie die Packung in den Schrank geräumt hatte. »Das tut dir gut. Du musst jetzt auf deine Gesundheit achten. Schließlich bist du in Pension. Und das ist gut für den Hunger zwischendurch.«
Heinz schüttelte seinen Kopf. Ne, ne. Ganz sicher esse ich das nicht. Da kann ich mir doch gleich ein Stück Pappe vom Karton abschneiden. Wovon mir im Endeffekt schlecht wird, ist dann wirklich egal.
Genervt ließ er die Schranktür wieder zufallen. Irgendetwas musste es hier doch zu essen geben? Das konnte es doch nicht sein.
Nächster Halt: Tiefkühlschrank. Praktischerweise stand dieser ebenso in der Küche, und endlich, in der zweiten Lade von oben sah er Essen, so wie er es sich vorgestellt hatte. Schon allein bei der Abbildung auf der Verpackung lief ihm das Wasser im Mund zusammen. ›Pizza Quattro Stagioni‹ stand in großen Buchstaben darüber geschrieben. Er drehte die Verpackung um und las die Anleitung: »Aha, Backofen auf hundertachtzig Grad Ober- und Unterhitze vorheizen, dann circa zehn bis dreizehn Minuten bis zum gewünschten Bräunungsgrad im Ofen lassen. Das sollte ja nicht so schwer sein.«
Wild entschlossen, seinem Hunger den Garaus zu machen, drehte er sich um und beäugte den Ofen, der ihm seine zwei Drehknöpfe und ein schwarzes Display entgegenstreckte.
»Hauptsache, Uschi hat so ein neumodisches Glumpert ins Haus geholt. Wo sind die guten alten Zeiten hin?«, murmelte er und drehte am ersten Knopf. Es passierte nichts. Er drehte weiter, doch weder das Display noch das Licht innen schaltete sich ein. Er versuchte den zweiten Knopf, und siehe da, das Licht ging an und der Lüfter arbeitete schon.
»Okay«, sagte er kaum hörbar. »Links ist also für die Grade.« Er stellte den Regler auf die gewünschte Temperatur ein, nahm die Pizza aus dem Karton und der Folie und legte sie auf das Blech. Extra Käse wäre natürlich noch toll gewesen. Aber man konnte nicht alles haben im Leben.
Mit sich selbst zufrieden schob er die Pizza in den Ofen. Er setzte sich an den Küchentisch und las die Zeitung. Schließlich durfte man nicht weglaufen, wenn ein elektrisches Gerät in der Küche an war. Doch nach wenigen Minuten des Wartens klingelte das Festnetztelefon in der Ladestation, die im Wohnzimmer stand. Er warf noch einen besorgten Blick in Richtung Backofen, bevor er aufstand und dem Klingeln entgegenschritt.
»Nussler«, sagte er in den Hörer.
»Papa?«
»Nein, Señor Nussler ist nicht hier«, quiekte er mit schriller Stimme.
»Hör auf damit, Papa. Ich weiß genau, dass du dran bist.«
»Warum fragst du dann nach, wenn du es eh weißt, Sibylle?«
»Ach, Papa«, sagte sie kichernd. »Ist Mama da?«
»Nein, heute ist Freitag, und du weißt, Mama arbeitet jeden Freitag bis sechzehn Uhr. Und kommt demnach erst um sechzehn Uhr einundzwanzig nach Hause. Warum rufst du sie nicht auf ihrem Wischdings an?«
»Das heißt Smartphone, Papa. Oder auch Handy. Und das hab ich versucht, doch sie geht nicht ran. Eine WhatsApp habe ich ihr auch geschrieben. Aber das ist schon fünf Minuten her und sie hat mir nicht geantwortet.«
Heinz runzelte die Stirn. »Aha. Fünf Minuten also.«
»Ja, und es ist voll dringend. Kannst du nicht versuchen, Mama anzurufen, dass sie mich anrufen soll?«
»Äh …«, sagte er und überlegte einen Moment. »Nein, kann ich nicht. Das kostet vom Festnetz zu viel. Sie wird sich sicher bei dir melden, sobald sie Zeit hat. Und jetzt entschuldige mich. Ich koche gerade Essen.«
»Wie, du kochst? Du hast doch noch nie gekocht. Oder machst du dir Frankfurter?« Sibylle lachte.
»Ich kann sehr wohl kochen. Und wie gesagt, ich hab jetzt absolut keine Zeit für dich.«
»Mama hat immer Zeit für mich, wenn sie kocht.« Sibylles Stimme wurde leiser.
Alles klar, du versuchst, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Das konntest du als Kind bereits sehr gut.
»Sibylle, du bist über dreißig Jahre alt und wirst es schaffen, darauf zu warten, dass deine Mutter zurückruft.«
»Wenn sich Mama bei dir meldet, dann sag ihr, dass sie sich bei mir melden soll. Ja, Papa?«
Heinz schloss kurz seine Augen, und es folgte ein genervtes »Ja« als Antwort.
»Danke, Papa«, sagte sie noch, bevor sie das Gespräch beendete.
Er stellte das Telefon in die Ladestation und machte sich schnurstracks auf den Weg in die Küche. Im Gang schlug ihm der Duft nach Pizza entgegen, und ein Jauchzen entfuhr seiner Kehle, als er sie aus dem Ofen nahm. Der Käse darauf war leicht gebräunt und der Rand knusprig. Genau so wie er es gerne mochte. Er legte die Pizza auf einen Teller und setzte sich damit an den Küchentisch. Er schnitt sich ein Stückchen ab und genoss die Geschmacksexplosion im Mund.
Warum hab ich die nicht schon früher gegessen? Wie herrlich ist das denn? Das sollte ich öfter machen.
Doch es gab da noch diesen kleinen Engel, der auf seiner Schulter saß und ihm mit der Stimme seiner Frau ins Ohr flüsterte: »Aber, Heinz, das ist nicht gut für dich und dein Cholesterin. Dein Arzt hat doch gesagt, du sollst nicht so fett essen.«
Er hielt inne, denn da war noch eine zweite Stimme. Vermutlich das Teufelchen auf seiner anderen Schulter: »Iss nur. Wegen einer Pizza wird schon nichts passieren. Und es wird keiner merken. Also genieße jeden Bissen.«
Heinz war hin- und hergerissen. Klar kamen ihm auch die mahnenden Worte von seinem Arzt in den Sinn. »Essen Sie Gemüse, und machen Sie mehr Sport.« Doch da fiel ihm ein, dass er heute doch schon im Garten gearbeitet hatte, was doch mit Sport gleichzusetzen war. Und auf der Pizza befand sich Gemüse, also passierte Tomaten – das zählte doch auch. Somit stieß er einen zufriedenen Seufzer aus und stopfte sich das nächste Stück genussvoll in den Mund. Die folgenden Bissen schlang er hinunter, als ob es kein Morgen gäbe. Doch er wurde vom Telefonklingeln unterbrochen.
»Nicht schon wieder Sibylle«, murmelte er vor sich hin, als er sein Besteck zur Seite legte, ins Wohnzimmer schlurfte und den Hörer abnahm. »Nussler?«
Freitag, ein Tag vor Abflug
Uschi richtete gerade die letzten Haarsträhnen von Frau Müller. Noch ein wenig Schaum hier, ein bisschen Haarspray da, und ein perfektes Kunstwerk war entstanden. Zumindest empfand das Uschi so, und auch Frau Müller schien sehr zufrieden, denn sie nickte mit einem Lächeln in den Spiegel hinein und sprach: »Wundervoll, was Sie mit meinen Haaren angestellt haben, Frau Uschi. In drei Wochen komme ich wieder, ja? So wie immer am Freitag um dreizehn Uhr.«
»Natürlich, sehr gerne doch. Für Sie als Stammkundin habe ich doch immer Zeit.« Sie begleitete Frau Müller noch zur Kasse, und als diese bezahlt hatte, hielt sie Uschi zwei Euro hin, die Uschi sofort in ihre Jackentasche verschwinden ließ. »Danke Ihnen. Aber Sie müssen mir doch nicht jedes Mal Trinkgeld geben.«
»Natürlich muss ich das. Sie machen Ihre Arbeit so hingebungsvoll, also muss ich das belohnen. Bis in drei Wochen.« Zum Abschied winkte sie noch und verließ den Salon.
»Ich brauch kurz eine Pause, ja?«, sagte Uschi zu ihrer jungen Kollegin, die am Tresen stand und ihre Fingernägel lackierte. Meine Güte, das hätte ich mir nie erlauben dürfen in meiner Lehrzeit. Aber die jungen Dinger von heute, die haben vor nichts Respekt.
Ihre Kollegin schaute nur einen Augenaufschlag auf, bevor sie den nächsten Pinselstrich auf ihren Nägeln zog und sie keines Blickes mehr würdigte.
»Du könntest in der Zwischenzeit zusammenkehren. Wäre sehr nett von dir«, versuchte Uschi, sie zum Arbeiten zu bewegen. Doch die Auszubildende rührte sich nicht vom Fleck. »Verstehe. Du kannst hier nicht fort. Der Tresen und der Stuhl haben dich in ihrem Rudel aufgenommen. Und du zeigst dich den beiden gegenüber loyal und bleibst in der Nähe, weil du fürchtest, dass sie dich wieder aus ihrer Gang werfen.«
Die junge Kollegin schaute zu ihr auf und zog eine ihrer gemalten Augenbrauen hoch. »Hä?«, kam als Antwort.
Doch Uschi hatte bereits eine Kehrtwendung gemacht und war hinter dem Vorhang in der kleinen Teeküche verschwunden. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und warf einen Blick auf die Uhr: 14:05 Uhr. Noch knappe zwei Stunden hatte sie heute vor sich, dann würde endlich der Urlaub beginnen. Innerlich stieg die Vorfreude, und sie malte sich bereits alles in den schönsten Farben aus. Gran Canaria, so weit hatte sie es noch nie in den Urlaub geschafft. Hier in Wien war es Oktober, die Nächte wurden kühler, und auch die regnerischen Tage häuften sich. Doch auf der Insel des ewigen Frühlings war das Wetter sehr beständig. Zumindest im Süden der Insel war es so. Und so freute sie sich auf zwei Wochen Sonne, Strand, Meer und viele Ausflüge.
Die schwarze Brühe war in der Tasse gelandet. Sie stellte sie auf dem kleinen Beistelltisch ab und kramte in ihrer Handtasche. Vier Anrufe in Abwesenheit von ihrer Tochter Sibylle. Dabei wusste sie doch, dass sie freitags immer länger im Salon war. Das war seit Jahrzehnten schon so. Seufzend rief Uschi zurück. Es kam ihr vor, als hätte Sibylle auf ihren Rückruf gewartet, denn so schnell wie diese abhob, musste sie das Handy in ihrer Hand gehalten haben.
»Was gibt es denn, Liebes? Ich habe gerade gesehen, dass du mich angerufen hast.«
»Mama, ich wollte dich fragen, wann ich dich und Papa am Samstag zum Flughafen bringen soll.«
»Schatz, unser Flieger geht um zwölf Uhr mittags. Also kannst du uns so gegen neun abholen? Du kennst doch Papa. Er steht schon eine Stunde vor der Abfahrt mit den Koffern bereit und nervt mich, weil er der Meinung ist, zu spät zu kommen. Deswegen hab ich ihm erzählt, dass du erst um zehn Uhr kommst.«
»Ja, ich kenne Papa«, sagte Sibylle und lachte. »Findest du nicht, dass er immer sonderbarer wird? Ich habe heute schon mit ihm gesprochen. Er meinte, er kocht gerade etwas.«
»Wie? Papa kocht? Liebes, da hast du dich verhört. Wir sind schon seit Jahrzehnten ein Paar, und ehrlich, dein Papa hat noch nie etwas gekocht.«
»Doch, er hat tatsächlich gesagt, dass er etwas zu essen macht. Soll ich bei euch vorbeifahren und nach dem Rechten sehen?«
»Nein, nein. Er hat das sicher nicht ernst gemeint. Er wollte dich nur auf den Arm nehmen.«
»Wie du meinst. Also, ich bin morgen um neun Uhr bei euch, ja?«
»Bis dann«, sagte Uschi und beendete das Gespräch. Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Doch noch während dieser ihre Kehle hinunterrann, bekam sie ein schlechtes Bauchgefühl.
Freitag, ein Tag vor Abflug
»Hallo Schnuckiputzi«, hörte Heinz die Stimme seiner Frau in sein Ohr schallen.
»Hallo Mausi«, brachte er gerade so heraus und schluckte den Bissen, den er noch in seinem Mund hatte, hinunter. Wusste sie etwa von der Pizza, die er gerade aß? Waren neuerdings Kameras in der Wohnung versteckt, um ihn zu überwachen? Kritisch blickte er sich um, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken.
»Du, ich habe soeben mit Sibylle telefoniert. Sie meinte, du kochst für uns heute etwas. Ist das richtig?«
Und genau in diesem Moment hätte er sich am liebsten mit der flachen Hand auf seine Stirn geschlagen und sich selbst gratuliert zum Titel: Idiot des Jahres. Wie hatte er nur glauben können, dass seine Tochter es Uschi nicht erzählte? In seinem Hirn ratterte es, und die Gedanken und Ideen schwirrten wirr umher.
»Ja«, sagte er nach einigem Zögern. »Ich koche uns etwas. Ich dachte mir, ich überrasche dich damit. Aber das hat ja nun Sibylle gründlich versaut.«
»Oh, das ist aber wirklich lieb von dir. Auf deine alten Tage wirst du ja noch richtig zutraulich.«
Zutraulich! Dieses Wort schallte in seinem Kopf wie ein Echo. Bin ich etwa eine Katze?
»Hast du jetzt echt ›zutraulich‹ gesagt?«, fragte er nach.
»Ja, ein alter Schmusekater eben. Ich dachte, du magst keine Romantik?«
Just in diesem Moment musste er scharf darüber nachdenken, wie wohl das Kochen und die Romantik zusammenhingen.
»Mausi-Mausi. Ich muss weitermachen. Sonst … sonst brennt mir das Essen an.«
»Natürlich. Was kochst du denn Leckeres?«
»Überraschung.«
»Okay, in circa zwei Stunden bin ich zu Hause«, sagte sie und hauchte ein »Ich freu mich auf dich« hinterher. Das Gespräch war beendet, und er stand wie angewurzelt da, noch immer mit dem Schnurlostelefon in der Hand.
Verdammt. Wie konnte ich nur so blöd sein? Es muss doch ein Gericht geben, das ich auf die Schnelle kochen kann. Nur nichts Aufwendiges.
Da fiel ihm der – zumindest in seinen Augen – leere Kühlschrank wieder ein. Schnell ging er zurück in die Küche. Wehmütig betrachtete er die Pizza, die noch auf dem Teller lag und ihn förmlich anbettelte, auch noch die andere Hälfte zu essen. Allein der Gedanke daran, dieses wunderbare Essen in den Müll zu schmeißen, ließ sein Herz sich zusammenkrampfen. Die Pizza in den Kühlschrank zu stellen und später zu essen, war allerdings auch keine Option. Uschi würde sicherlich mit ihm schimpfen. Also musste er das Corpus Delicti aus dem Haus schaffen, noch bevor sie über die Schwelle trat.
Doch das würde nicht seine einzige Sorge sein, denn zuallererst musste er ein Gericht finden, das er auch kochen konnte. Er zog eines der Kochbücher, die zu gefühlten Tausenden in jeder Ecke der Küche standen, hervor. ›Hundert Gerichte aus der asiatischen Küche‹ stand darauf geschrieben. Er schlug das Buch in der Mitte auf, und bereits dort wurde er erschlagen von verschiedenen eigenartig klingenden Zutaten: Currypaste, Limetten, Kokosmilch und Süßkartoffeln. Obwohl ihm das Bild neben dem Text schon das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. ›Rotes Thai-Curry‹ stand als Überschrift. Er las die Zutatenliste weiter und stellte fest, dass das Rezept für seinen Geschmack doch etwas zu viel Gemüse beinhaltete. Er stellte das Kochbuch wieder zurück ins Regal und sah sich suchend um.
Okay, dachte er sich und schaute auf die Uhr, die ihre Zeiger immer näher zur Ankunftszeit seiner Ehefrau schob – noch eine Stunde und siebenundvierzig Minuten. Ich werde jetzt in den Supermarkt fahren und mich dort inspirieren lassen. Dort arbeiten genug Frauen, die ich zur Not fragen kann.
Gesagt, getan. Er schnappte sich den Pizzakarton, wickelte die halbe Pizza in die Folie ein, verließ das Haus und legte den Karton in den Kofferraum seines Autos.
Keine zehn Minuten später parkte er auf dem Supermarktparkplatz. Wie auf der Flucht hetzte er in das Gebäude und suchte sich eine Verkäuferin, die ihm doch mit Rat und Tat zur Seite stehen sollte. Irgendwo in den Tiefen des Marktes fand er auch eine Dame. Okay, Dame war etwas zu hoch gegriffen für das, was er da am Ende des Ganges erblickte. Die Angestellte befüllte gerade die Regale, ihm den Rücken zugewandt. Ihre grün-blau gefärbten Haare passten so gar nicht zu dem wohlgeformten Bild, das Heinz von einer Verkäuferin hatte. Er schaute sich Hilfe suchend um, entdeckte aber keine weitere Person. Fast schien es ihm, als ob die Verkäuferin und er ganz allein im Geschäft wären. Er näherte sich ihr.
»Entschuldigung«, sagte er und bekam einen Schreck, als sich das kaugummikauende Monster zu ihm umdrehte. Ein Nasenpiercing, das aussah wie von einem Stier, prangte mitten in ihrem Gesicht. Die zentimeterbreite Schminke um ihre Augen herum hatte die gleiche Farbe wie ihre Fingernägel: Nachtschwarz. Aber das Schlimmste an ihr war das daumengroße Loch in ihrem Ohrläppchen, durch das man hindurchsehen konnte.
»Ja?«, sagte sie und ähnelte dabei einem wiederkäuenden Huftier.
Er war vor Schreck erstarrt und fragte sich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, um Hilfe zu bitten. Schließlich war er doch ein Mann, und er könnte sich doch alles selbst zusammensuchen. Doch da fiel ihm ein, dass er nicht genügend Zeit hatte für so eine Schnitzeljagd durch den Supermarkt.
»Ich brauche ein Gericht, das ich schnell kochen kann. Was können Sie mir da empfehlen?«
»Gang eins. Da stehen die Dosen und so ein Zeug.« Eine kleine weiße Blase erschien zwischen ihren Lippen, dann drehte sie sich wieder um und riss den nächsten Karton auf, dessen Inhalt sie im Regal verstaute.
Heinz suchte den genannten Gang, und ein Seufzer entfuhr ihm, als er ihn endlich gefunden hatte. Die Dosen mit den verschiedensten Gerichten entdeckte er als Erstes. Gefüllte Paprika, Chili con Carne und eine Leberknödelsuppe fielen ihm ins Auge. Und ehrlich gesagt, schon bei den Fotos klatschten seine Magenwände Beifall.
Aber kann ich meiner Frau wirklich ein Gericht vorsetzen, das aus einer Dose stammt? Ich meine, schließlich erwartet sie doch, dass ich koche.
Somit ging er ein wenig weiter, und die Päckchen mit den Basisprodukten schienen für sein Vorhaben richtig zu sein. Gefühlte Tage brauchte er, um einen Überblick über das Sortiment zu erlangen, und schlussendlich griff er zu einer Packung ›Pasta Asciutta‹. Er las die Rückseite. Schnell kaufte er noch eine Packung Nudeln und ein halbes Kilo Hackfleisch. Natürlich gemischtes, und nicht so wie seine Frau, die ihm nur Rind vorsetzte, weil Schwein doch zu fettig war. Sie würde den Unterschied schon nicht merken, und günstiger war es auch noch. Also sogar Geld gespart.
»Jetzt aber schnell nach Hause«, murmelte er, als er das Auto aufschloss und seine Einkäufe auf den Beifahrersitz legte.
Freitag, ein Tag vor Abflug
Pünktlich wie ein Maurer ließ Uschi ihre Schere fallen und verließ den Salon, nachdem sie sich von allen verabschiedet hatte. Eigentlich wollte sie noch etwas einkaufen, doch da Heinz am Telefon so geheimnisvoll getan und ihr ein romantisches Abendessen bei Kerzenschein – so hoffte sie zumindest – versprochen hatte, fuhr sie schnurstracks nach Hause. Sie freute sich auf den Abend und darüber, dass Heinz ihr das Einkaufengehen abgenommen hatte.
Als sie die Haustür öffnete, kam ihr ein seltsamer Geruch entgegen. Doch im ersten Moment konnte sie nicht genau sagen, was sie da eigentlich roch.
»Hallo? Heinz? Ich bin zu Hause.« Sie stellte ihre Handtasche auf die Flurkommode und ging geradewegs in die Küche, aus der ungewohnte Geräusche drangen. Wasserrauschen und ein Schlagen, das wie Holz auf Metall klang. Als sie im Türrahmen stand und ihren Ehemann vor der Küchenspüle stehen sah, traute sie ihren Augen kaum. »Heinz? Was machst du?«, fragte sie und trat näher.
Heinz drehte sich zu ihr um und grinste über das ganze Gesicht. »Ich koche.«
»Du hast die Nudeln in die Spüle reingemacht? Ohne Sieb?« Fassungslos blickte sie auf die Teigwaren, die gerade dabei waren, in jeder Menge Wasser zu ertrinken. Kleine schwarze Teilchen schwammen an der Oberfläche.
»Klar, ich brauch doch kein Sieb. Wir können gleich essen. Die Soße ist auch schon fertig.«
Uschi starrte weiterhin auf den aufgedrehten Wasserhahn, der noch mehr kaltes Wasser in die Spüle laufen ließ. Schlussendlich fasste sie sich ein Herz und drehte diesen ab.
»He? Was machst du?«, fragte Heinz und schüttelte den Kopf. »Setz dich einfach hin. Ich habe den Tisch schon gedeckt. Ich mach das schon. Heute wirst du mal von mir verwöhnt.«
»Aber, Schnuckiputzi …«, sagte sie, doch er unterbrach sie mit einer Handbewegung, die ihr anzeigte, dass sie die Küche verlassen sollte. Ehrlich gesagt fühlte sie sich in diesem Moment mehr als überfordert und hoffte, dass das Essen, oder wie man das auch immer nennen mochte, was da gerade im Hexenkessel geköchelt wurde, halbwegs genießbar war.
Sie setzte sich an den Tisch, wo bereits Löffel und Gabel bereitlagen. Leider hatte sie einen hervorragenden Blick auf das Unheil, das sich in der Küche zusammenbraute, und überlegte, ob es nicht besser wäre, überhaupt die Augen zu schließen.
Sie sah, wie Heinz mit einer Nudelzange die Teigwaren aus dem eiskalten Wasser direkt auf die Teller klatschte.
»Schnuckiputzi?«, unternahm sie einen erneuten Versuch, zumindest Schadensbegrenzung zu betreiben.
»Hmm?«, kam es retour. Heinz fischte die nächste Fuhre Nudeln heraus, und ein Schwall Wasser kam auch mit auf den Teller.
»Die Nudeln solltest du ein wenig abtropfen lassen.«
»Ach, papperlapapp. Ich kenn mich aus. Ich mach das schon.«
Uschi seufzte. Das war die einzige Reaktion, die ihr noch geblieben war. Die rote Soße schüttete er über die Nudeln und stellte den Teller vor ihr auf den Tisch. Mittlerweile hafteten nur noch feine rote Fäden an den Teigwaren. Der Rest der Tunke war untergetaucht und vermischte sich mit dem Wasser, das sich am Tellergrund gebildet hatte.