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Als Tim seine Augen öffnet, befindet er sich in einem fremden Haus. Er sitzt auf einem Stuhl, seine Hände sind gefesselt, und eine Infusionsnadel steckt in seinem Handrücken. Wer sind die dunkelhaarige Frau und die beiden Teenager, die mit ihm am Tisch sitzen, gefesselt und geknebelt?
»Du bist hier, um Antworten zu geben!«, erklingt eine verzerrte Stimme. »Willkommen im Spiel, Tim, in dem es keine Gewinner geben kann.«
Stefanie Teufel und Jan Graf stehen vor einem Rätsel, als sie in das Haus der Familie Krauss in Bredstedt eintreten. Die Ehefrau und Mutter hängt leblos von der Wohnzimmerdecke. Die Kinder sitzen tot am gedeckten Esstisch. Der Ehemann und Vater ist verschwunden.
Bereits vor fünf Jahren gab es ähnliche Fälle. Zwei Familien sind einem skrupellosen Mörder zum Opfer gefallen. Die Familienväter gelten bis heute als vermisst.
Die Zeit rennt, denn wenn der Mörder seinen Zeitplan einhält, wird es in 48 Stunden wieder einen Mord an einer Familie geben, und der Täter könnte danach erneut für Jahre untertauchen.
Im 4. Teil der Reihe »Teufel und Graf ermitteln« sind die Ermittler einem gewieften Täter auf der Spur, der keinerlei Hinweise hinterlässt. Können Steffi und Jan den Mörder fangen und die Familie retten?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Drea Summer
Über die Autorin:
Drea Summer, gebürtige Österreicherin, lebte im schönen Südburgenland. Sie begann ihre Schreibkarriere mit der Auswanderung nach Gran Canaria vor mehr als vier Jahren. Die »Insel des ewigen Frühlings« inspiriert sie, schaurige und blutige Geschichten, die in ihrem Kopf herumspuken, niederzuschreiben.
Über das Buch:
Als Tim seine Augen öffnet, befindet er sich in einem fremden Haus. Er sitzt auf einem Stuhl, seine Hände sind gefesselt, und eine Infusionsnadel steckt in seinem Handrücken. Wer sind die dunkelhaarige Frau und die beiden Teenager, die mit ihm am Tisch sitzen, gefesselt und geknebelt?
»Du bist hier, um Antworten zu geben!«, erklingt eine verzerrte Stimme. »Willkommen im Spiel, Tim, in dem es keine Gewinner geben kann.«
Stefanie Teufel und Jan Graf stehen vor einem Rätsel, als sie in das Haus der Familie Krauss in Bredstedt eintreten. Die Ehefrau und Mutter hängt leblos von der Wohnzimmerdecke. Die Kinder sitzen tot am gedeckten Esstisch. Der Ehemann und Vater ist verschwunden.
Bereits vor fünf Jahren gab es ähnliche Fälle. Zwei Familien sind einem skrupellosen Mörder zum Opfer gefallen. Die Familienväter gelten bis heute als vermisst.
Die Zeit rennt, denn wenn der Mörder seinen Zeitplan einhält, wird es in 48 Stunden wieder einen Mord an einer Familie geben, und der Täter könnte danach erneut für Jahre untertauchen.
Im 4. Teil der Reihe »Teufel und Graf ermitteln« sind die Ermittler einem gewieften Täter auf der Spur, der keinerlei Hinweise hinterlässt. Können Steffi und Jan den Mörder fangen und die Familie retten?
Drea Summer
Ein Teufel-Graf-Krimi 4
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Oktober © 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Redaktion: Sascha Rimpl – https://www.lektorat-textflow.com/
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 311107441
Vor fünf Jahren
Nach jedem abgelaufenen Countdown kommt ein neuer Countdown, dachte ich, als ich das Haus der Beuschels betrachtete. Ein edles, stattliches Haus, das nach außen hin Reichtum widerspiegelte. Eine heile Welt. Die perfekte Familie. Doch sobald man genauer hinschaute, wurde diese Glitzerwelt von einem furchtbaren Sturm zerstört, der jedes kleine Fünkchen mit sich riss und nur die nackte Wahrheit übrig ließ. Und ich war dieser Hurrikan, der über die Familie hereinbrach und alles zerstörte. Dabei war ich nur hier gewesen, um zu helfen.
Ich dachte an unser Kennenlernen vor fast zwei Jahren. Mehr durch Zufall – oder vielleicht war es doch Schicksal gewesen – war ich beim Einkaufen über sie gestolpert. Es war kein besonderer Tag. Auch keiner, an dem die Sonne geschienen hatte, aber ich wusste von Anfang an, dass sie meine Hilfe brauchte. Völlig zerstört war sie am Supermarktregal hinabgerutscht, bis sie mit ihrem Hintern auf dem Boden saß. Schluchzend hatte sie die Hände vor ihr Gesicht gehalten, und dieses alte Biest hatte sie beschimpft. Leise, ganz leise hatte sie die Worte gezischt, und doch so weit hörbar, dass jedes davon sie traf wie ein Messerstich. Dann kam ihr Ehemann um die Ecke, zerrte sie in die Höhe, beschimpfte sie ebenfalls, was ihr einfiele, so ein Theater in der Öffentlichkeit zu machen. Ja, sie hatte mich damals schon dringend gebraucht.
Die Polizei hatte den Tatort großräumig abgesperrt, und doch standen etliche Schaulustige hinter der mobilen Abtrennung, die einige Uniformierte in Windeseile auf die Straße gestellt hatten. Mitten in dieser Menschenansammlung waren etliche Pressefuzzis, die Fotos schossen, sobald sich auch nur irgendetwas auf dem Grundstück der Beuschels zu rühren schien. Oder sie palaverten irgendwelche Worte ins Mikrofon und strahlten in die Kamera.
»Der Familienvater hat wieder zugeschlagen. Wieder musste eine unbescholtene Familie sterben«, tönte es direkt neben mir.
Ich drehte meinen Kopf nach rechts und sah die Frau an, die ein Mikrofon in der Hand hielt und ihr perfektes Zweiunddreißig-Zähne-Lächeln präsentierte. Sie trug eine graue Stoffhose und eine cremefarbene schlichte Bluse, die ihren dunklen Teint unterstrich. Keine Frage, sie war eine schöne Frau.
Wieder sprach sie ins Mikro und erzählte von all den grausamen Dingen, die sich vermutlich in diesem Haus zugetragen hatten. Nicht alles, was sie sagte, entsprach der Wahrheit. Es war kein Drama. Es ging nicht um Geld. Obwohl es doch klar auf der Hand lag, wollte niemand genauer hinsehen, was die Familie tatsächlich gemacht hatte. Ich war nur dort gewesen, um zu helfen.
»Für Sie live vor Ort. Mein Name ist Delu Krauss. Herzlichen Dank fürs Zusehen!« Ihr Lächeln erlosch mit dem Verschwinden des roten Lichtes der Kamera. Hatte ich es doch gewusst, dass es nur aufgesetzt war. Meine Menschenkenntnis ließ mich nie im Stich. Ich beschloss, noch hier stehen zu bleiben. Die Reporterin zog meine Aufmerksamkeit auf sich, als hätte sie ein Lasso ausgeworfen, um mich einzufangen. Sie hatte vor der Kamera eine selbstsichere Ausstrahlung, aber was verbarg sich in ihrem Inneren? War sie wirklich diese starke Person oder … oder brauchte auch sie meine Hilfe?
Ich holte mein Telefon aus der hinteren Hosentasche und googelte ihren Namen. Verheiratet, zwei Kinder. Dann tippte ich nur ihren Vornamen ein und suchte nach dessen Bedeutung. Schließlich wusste ich, dass jeder Name eine Bedeutung für die Familie hatte, besonders in den Kulturen außerhalb von Europa.
Delu, das einzige Mädchen. Ich schaute von meinem Smartphone auf und musterte sie für einen Moment. Sie strich sich eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem makellosen Gesicht, und ein genervter Ausdruck folgte, als ihr Kollege die Kamera ein wenig umständlich in der mitgebrachten Tasche verstaute.
»Jetzt mach doch mal schneller«, sagte sie. »Ich muss heute ein Familienessen zaubern, und viel schlimmer noch: Meine Schwiegermutter kommt. Sie hasst mich. Deswegen muss ich mich noch mehr ins Zeug legen, damit sie nichts zum Mäkeln findet.«
»Schwiegermonster finden immer was zum Mäkeln«, murmelte ihr Kollege. »Egal, wie sehr du dich auch anstrengst, sie werden immer einen Fehler finden. Also, sei einfach, wie du bist, und gut ist. Schließlich bist du nicht mit dem Schwiegermonster verheiratet, sondern mit ihrem Sohn.«
Das Gespräch erinnerte mich an meine Schwiegermutter, die viel schlimmer als ein Monster war. Sie war die Königin des Schmerzes. Die Meisterin der Manipulation. Doch ich war mittlerweile um Längen besser als sie. Als ich mich endlich aus meiner Opferrolle befreit hatte, hatte ich gewusst, dass ich sie vernichten musste. Damit ich wieder frei atmen konnte.
Dienstag, Vormittag
Niebüll, Polizeidienststelle
Steffis Telefon klingelte, und sie nahm den Anruf von Peeke entgegen. Sie war froh, dem Gespräch mit ihrem Chef Rose entfliehen zu können. Er hatte ihr und Jan soeben verkündet, dass Hannah Kriegler die beiden in den nächsten Tagen in ihrer Funktion als Polizeipsychologin bei ihren Einsätzen begleiten würde.
»Steffi, Jan. Es gibt einen Mord in einem Einfamilienhaus. Die Mutter und zwei Kinder sind tot. Vom Vater fehlt jede Spur. Einsatzkräfte schon vor Ort.«
»Gibt es nähere Informationen?«, fragte Steffi nach.
»Vor gut fünf Jahren gab es schon mal einen Mord an zwei Familien in kurzem Abstand. Das gleiche Szenario. Alles wie im heutigen Fall. Die beiden Kinder saßen tot am Esstisch, der hergerichtet war, als würde es ein Festmahl geben. Die Mutter hat sich im Wohnzimmer erhängt.«
»Also erweiterter Suizid?«
»Nein, dafür gibt es keine Anhaltspunkte.«
»Und was macht uns so sicher, dass der Vater nicht der Täter ist? Immerhin hast du gesagt, dass er verschwunden ist.«
»Beide Väter aus den Fällen von vor fünf Jahren gelten immer noch als vermisst. Und der Täter hat auch diesmal eine Nachricht hinterlassen. ›Er hat verloren‹, stand darin. Das war bei den anderen beiden Morden auch so, und wir haben das nicht an die Presse weitergegeben. Die Journalisten gaben dem Mörder den Namen ›Der Familienvater‹.«
»Der Familienvater. Wie kommen die bloß immer auf diese irrwitzigen Täternamen? Schick mir bitte die Adresse und die Akten der anderen beiden Fälle. Wir fahren zum Tatort und schauen uns um.« Noch bevor Steffi sich verabschieden konnte, hatte Peeke schon aufgelegt. Da war er wieder, der gute alte Peeke. Steffi nahm den Hörer vom Ohr, und in diesem Moment kündigte der Klingelton eine eingehende Nachricht an. »Fahren wir?«
Jans Blick sprach Bände, als Steffi zu den Autoschlüsseln griff und sich ihre Jacke über den Arm hängte. Noch drei Wochen würde Jan seinen Arm beziehungsweise seine Schulter schonen müssen. Der letzte Täter, der seine Opfer als Puppen hergerichtet hatte, hatte ihn mit einem Messer verletzt, und die Wunde an der Schulter hatte mit mehreren Stichen genäht werden müssen. Zwar brauchte er die Stützschlaufe nicht mehr zu tragen, aber bestimmte Bewegungen konnte er noch nicht schmerzfrei ausführen. Widerwillig erhob er sich.
»Super«, sagte Hannah, wischte mit einer Handbewegung ihre roten Locken von der Schulter und strahlte Steffi und Jan an. Die Polizeipsychologin war einen Kopf kleiner als Jan und wirkte neben ihm püppchenhaft aufgrund ihrer sehr schlanken Figur und des zartrosafarbenen Lippenstiftes. »Dann komm ich gleich mit. Ermittler in Aktion zu sehen ist immer besser als ein aufgesetztes Gespräch. Da bekomme ich die Energie zwischen euch beiden viel besser zu spüren.«
Steffi wollte Widerworte ergreifen, holte tief Luft und sah, dass Jan den Kopf schüttelte. Es hatte keinen Zweck, sich gegen die Anwesenheit der Polizeipsychologin auszusprechen. Das würde vermutlich nur Hannahs Interesse an ihr und Jan verstärken, sie noch genauer unter die Lupe zu nehmen. Hannah hatte es geschafft, sogar Peeke – wenn auch nur kurzfristig – Manieren beizubringen. Obwohl Hannah keineswegs einen einschüchternden Eindruck auf sie machte. Es lag wohl eher an ihrer Funktion als an ihrem zierlichen Aussehen.
»Ihr haltet mich auf dem Laufenden, ja?«, fragte Rose, und hinter seinem perfekt getrimmten Vollbart erschien ein Lächeln. Steffi war der Meinung, dass er mit diesem silbergrauen Bart zehn Jahre älter aussah, als er tatsächlich war.
»Ja, Chef«, kam es fast gleichzeitig aus Steffis und Jans Mund, und sie verließen zu dritt das Büro.
Steffi verdrehte die Augen, als sie hinter sich ein begeistertes Klatschen hörte, gefolgt von den Worten: »Wow. Ihr beide seid ein klasse Team!«
»Steffi, atmen. Einfach nur atmen«, zischte Jan leise. Und das tat Steffi dann auch. Schon jetzt ging ihr diese Hannah auf die Nerven.
»Also, ihr beginnt die Ermittlungen ohne genauere Informationen über das Tatgeschehen, oder wie?«, fragte Hannah, als sie gerade die Treppe im Freien hinunter und in Richtung des Parkplatzes gingen. »Es gab doch schon zwei ähnliche Fälle. Wäre es nicht ratsam, dass ihr euch zumindest die Akten dazu vorher anschaut? Eure Vorgehensweise ist ungewöhnlich, oder?«
»Ja«, antwortete Steffi. Mehr wollte sie dazu nicht sagen. Es war Jans und ihre Sache, wie sie mit ihren Ermittlungen begannen.
Endlich am Wagen angelangt, stieg Steffi auf der Fahrerseite ein, und Jan ließ sich auf den Beifahrersitz nieder. Hannah nahm auf der Rückbank Platz und setzte sich sogleich in die Mitte.
»Also«, erklärte Jan, »wir wollen nicht voreingenommen an den Fall herangehen und lassen zuerst mal alles auf uns wirken. Wir haben einen frischen Mord, und vielleicht hat der Täter diesmal mehr Hinweise hinterlassen. Da wollen wir uns nicht von Berichten anderer irritieren und beeinflussen lassen. Derzeit suchen wir uns die Informationen zu den aktuellen Opfern heraus. Erst wenn wir diese haben und den Tatort oder eben den Fundort der Leichen besichtigt haben, werden wir die anderen Akten einsehen und daraus unsere Schlüsse ziehen.«
Steffi reichte ihm ihr Handy und startete das Auto. Jan tippte gleich darauf die Adresse ins Navi ein.
»Wir müssen nach Bredstedt«, sagte er. Zumindest musste Steffi nicht überlegen, in welche Richtung sie zu fahren hatte, und sich schon gar nicht von dem Navi wegen ihrer Links-Rechts-Schwäche bloßstellen lassen. Sie hatte lange Zeit mit Omaopa und ihrer Mutter in Bredstedt gewohnt, bevor sie nach Leck gezogen war.
Als hätte sie gespürt, dass Steffi an sie dachte, klingelte ihr Telefon.
»Ja, Mama?«, sagte Steffi, als sie das Gespräch über die Freisprecheinrichtung entgegennahm. »Ich bin im Einsatz und habe gerade keine Zeit, mit dir zu sprechen.«
»Hast du schon gehört, was passiert ist?« Keine Frage, Bentje Teufel ließ sich nicht so einfach den Mund verbieten. Das war schon immer so gewesen, dass sie einfach drauflos quasselte, ohne ihrem Gegenüber wirklich zuzuhören. »Das ist nur eine Querstraße entfernt von mir. Nur eine! Verstehst du?«
»Mama, bitte beruhige dich, ja? Jan und mir ist der Fall zugeteilt worden. Wir müssen uns dort erst einen Überblick verschaffen. Wir telefonieren später, okay? Ich ruf dich an.«
»Wer hat dieser Familie das angetan?« Ihre Mutter plapperte einfach weiter, als hätte sie Steffis Abweisungsversuche nicht gehört. »Weißt du, dass Delu fürs Fernsehen gearbeitet hat? Sie ist sicher wegen ihrem Job ermordet worden. Sie hat sich vor fünf Jahren in die Recherchen so richtig reingekniet und einiges über die beiden Fälle berichtet und aufgedeckt. Immerhin wurden die Morde an den Familien innerhalb von zwei Tagen verübt, und die Polizei hat nichts gemacht, um diesen Irren zu fassen. Das weiß ich, weil sie mit Martha in der Redaktion zusammengearbeitet hat. Du erinnerst dich daran nicht mehr, oder? Delu ist dem Täter sicher zu nahe gekommen. Deswegen ist sie jetzt tot.«
»Mama, es ist noch viel zu früh für Spekulationen. Wie gesagt, wir müssen uns erst mal ein Bild machen.«
»Du kommst danach eh vorbei, ja? Sagen wir, in zwei Stunden? Ich kann dir einiges über die Familie erzählen. Bis später, Schatz.« Sie legte auf, und Steffi blickte in den Rückspiegel. Hannah machte sich gerade Notizen. Vermutlich über sie und das Verhältnis zu ihrer Mutter.
»Also, es handelt sich bei den Opfern um Delu Krauss, ihren Sohn Bastian und die Tochter Maite. Der Ehemann Tim wurde nicht am Tatort angetroffen.« Jan sprach, sah aber nicht von seinem Smartphone hoch. »Der Sohn ist siebzehn Jahre und die Tochter fünfzehn. Und deine Mutter hat recht. Delu hat für den Online-Nachrichtensender Die Quelle gearbeitet. Zumindest steht das so bei Wikipedia. Ich hab davon noch nie was gehört. Du?«
»Nein, kenn ich auch nicht.«
»Wer ist diese Martha, von der deine Mutter gesprochen hat?«
»Martha ist Mamas beste Freundin seit Ewigkeiten. Sie war mal als Sekretärin bei irgendeiner Zeitung angestellt. Glaub ich. Was weiß denn ich? Das ist doch schon ewig her, und unser Opfer wird wohl kaum fünf Jahre diesen Fall recherchiert haben, wenn es keine neuen Hinweise mehr gab.« Steffi wischte ihre Aussage mit der Hand beiseite. »Ich glaube, Sophia wird unser Opfer kennen, und sie kann uns sicher aktuellere Informationen geben. Wir können sie später anrufen, wenn wir mehr wissen wollen.«
»Wer ist Sophia?«, kam es vom Rücksitz.
»Meine Schwester.«
»Und wieso willst du deine Schwester über eine laufende Ermittlung befragen?«
»Ich befrage sie als Zeugin, die unser Opfer gekannt haben könnte, um nähere Informationen über ihr berufliches Umfeld zu bekommen. Von einer Weitergabe von Informationen aus der Ermittlung kann überhaupt keine Rede sein.« Steffis Worte klangen übertrieben freundlich, und zum Schluss lächelte sie Hannah über den Rückspiegel an.
»Wäre es in diesem Fall nicht sinnvoller, sich zuerst die Akten anzusehen und auch den Rechercheexperten darauf anzusetzen, mehr Informationen über die Opfer zu bekommen?«
Steffis Finger krallten sich ums Lenkrad. Am liebsten hätte sie am Straßenrand angehalten, Hannah vom Rücksitz gezerrt und aus dem Wagen geworfen. »Ja.«
Steffi schwor sich, nichts mehr zu sagen, solange Hannah in ihrer Nähe war, und schaltete die Musik ein. Genau in diesem Moment hörte sie den Sänger von OneRepublic singen. »Runaway!«
Wie passend.
***
Steffi bog in die Hermannstraße in Bredstedt ab und brachte die erste polizeiliche Absperrung und einige Schaulustige, die davorstanden, hinter sich. Sie parkte das Auto direkt hinter dem schwarzen Kombi des Bestattungsunternehmens. Sie stiegen aus. Es war noch früh am Morgen, und die Sonne hatte noch nicht genügend Kraft, ihre Wärme zu entfalten. Steffi zog ihre Jacke an und schloss den Reißverschluss.
»Kripo Niebüll. Teufel, das ist mein Kollege Graf. Wer hat hier die Leitung?«, fragte sie einen Uniformierten, der vor der ungepflegten Einfahrt stand, in die gerade so ein Auto hineinpasste.
»Möller. Der ist drin«, war die knappe Antwort. Der Mann zog wieder an seiner Zigarette und formte beim Ausatmen Ringe.
Steffi wandte sich von ihm ab und ging auf das Haus mit der verklinkerten Fassade und dem Erker zu. Das Erste, was ihr auffiel, war, dass es auf der linken Seite des kleinen Grundstücks hohe Bäume gab und der Eingang des Hauses sich am hinteren linken Seitenteil befand. Bunte Blätter von den Laubbäumen bedeckten den Boden der Einfahrt. Kein Wunder, immerhin war es Anfang Oktober, und der goldene Herbst hatte eingesetzt. Wobei es meist mehr regnete, als dass die Sonne schien. Auf der Vorderseite standen mehrere hohe Thujen, die die Sicht von der Straße aus behinderten. Rechts gab es ein weiteres Einfamilienhaus, ohne einen Zaun, der die Grundstücke voneinander trennte. Vielleicht bestand die Möglichkeit, dass die Nachbarn etwas von dem Verbrechen mitbekommen hatten? Steffi ging nochmals einige Schritte zurück, und ihre Hoffnung wurde zerstört, als sie sah, dass der angrenzende Garten verwildert war und einige Fensterscheiben zur Gänze fehlten. Dort wohnte schon lange niemand mehr.
»Was machst du?«, fragte Jan, der beim Eingang des Hauses der Familie Krauss angekommen war und sich zu ihr umdrehte. Natürlich starrte auch Hannah zu ihr, die wie eine Klette an Jans Bein hing.
»Nichts. Ich hab nur was nachgesehen.« Sie beeilte sich und folgte Jan ins Haus. Der Vorraum war klein und nur spärlich mit modernen Möbeln ausgestattet. Es wirkte gemütlich durch die hellen Farben an den Wänden. Steffi trat als Erste durch den Türrahmen, der vom Flur abging. Zwei in Weiß gekleidete Personen befanden sich im Wohnzimmer, die ihnen keinerlei Beachtung schenkten.
Ein Seil baumelte von dem alten Deckenbalken herab. Am Boden lag ein großer schwarzer Sack, dessen Inhalt vermutlich Delu Krauss war. Jan kniete sich hin. Mit seinen behandschuhten Händen öffnete er den Leichensack. Delus Gesicht war gräulich trotz ihrer dunklen Hautfarbe, und eine dicke violette Linie zog sich von links nach rechts über ihren Hals. Steffi löste den Blick von der Toten und sah wieder zu dem Seil, dann sah sie sich weiter im Raum um. Keine Leiter, kein Stuhl, nichts, worauf Delu hätte steigen können, um sich das Leben zu nehmen. Gedanklich notierte sie sich, die Tatortfotos später genau in Augenschein zu nehmen. Wie ist Delus Kopf in die Schlinge gekommen?
»Steffi?«, fragte Jan. »Was denkst du?«
»Später«, murmelte sie und schritt quer durch das offene Wohnzimmer in den angrenzenden Essbereich. Ein ovaler Tisch und sechs Stühle, die sich paarweise gegenüberstanden, waren die einzigen Möbel in diesem Raum. Einige Familienfotos hingen an den Wänden. Zwei Personen lagen mit dem Oberkörper auf dem Tisch und waren mit weißen Tüchern abgedeckt worden. Steffi sah drei Teller auf dem Tisch stehen. Das Essen darin – vielleicht ein Erbseneintopf, zumindest der Farbe nach zu urteilen – war unberührt. Sie hob eines der Tücher an und erschauderte bei dem Anblick. Ein männlicher Teenager lag mit dem Oberkörper auf der Tischplatte. Der Kopf des Jungen war mit dem Gesicht in die Suppe getaucht.
»Ihr seid von der Kripo, stimmt’s?«, fragte ein dünner Mann, sicher zwei Meter groß, der plötzlich an Steffis Seite stand. »Ich bin Niklas.« Er reichte ihr seine behandschuhte Hand und lächelte. Er trug eine Uniform, und auf seinen Schultern prangten zwei Sterne.
»Hallo«, begrüßte Steffi ihn und deutete hinter sich. »Jan, Hannah, und ich bin Steffi. Kripo Niebüll. Wir wurden gerufen. Ich suche nach demjenigen, der hier die Leitung hat.« Steffi hatte den Namen schon wieder vergessen, den ihr der Uniformierte draußen genannt hatte.
»Du stehst direkt vor ihm. Niklas Möller. Ich bin der leitende Beamte hier. Also bis jetzt. Nun seid ihr da. Worüber ich ganz froh bin.« Wieder folgte ein einnehmendes Lächeln, und seine braunen Augen strahlten förmlich. Steffi merkte den heißen Schwall, der sie durchfuhr. Niklas war ein äußerst attraktiver Mann, und seine lockere Art gefiel ihr. »Folgendes. Als wir heute Morgen …«
»Okay«, unterbrach Steffi ihn. »Gleich mal eine Frage, die mich brennend interessiert: Wo ist der Stuhl, auf den Frau Krauss gestiegen ist, um sich zu erhängen? Habt ihr den zur Seite gestellt, um die Leiche runterzubekommen?«
»Normalerweise beginnen wir mit den Fakten, die wir schon zusammengetragen haben, aber ihr habt anscheinend eure eigenen Methoden. Also, um es kurz zu machen: Es gab keinen.«
»Das kann nicht sein. Wie ist sie da raufgekommen?«
»Vielleicht darf ich jetzt doch von vorne beginnen?«, meinte Niklas. »Und dann kannst du noch immer Fragen stellen, ja?«
Steffi nickte. Was Jan und Hannah taten, konnte sie nicht sehen, da diese hinter ihr standen.
»Wir wurden heute früh von einem Anrufer informiert, dass es hier drei Leichen gibt«, erzählte Niklas. »Es war kurz nach Schichtbeginn, also bin ich mit meinem Kollegen Daniel hierhergefahren. Die Eingangstür stand sperrangelweit offen, und wir sind ins Haus. Zuerst habe ich die Frau im Wohnzimmer gefunden, die von der Decke hing, gleich danach die beiden Kinder, die mit den Gesichtern in den Tellern liegen. Es befand sich sonst niemand im Haus. Anfangs dachte ich an einen erweiterten Suizid, allerdings fehlte auch mir ein Stuhl oder dergleichen. Es stand alles genau so, wie ihr es jetzt seht. Auf den ersten Blick konnten wir keinerlei Einbruchspuren feststellen. Anscheinend hat die Familie den Täter oder vielleicht sogar die Täter freiwillig ins Haus gelassen.«
»Ein Täter«, warf Steffi ein. »Es sind fünf Teller auf dem Tisch. In zwei sind die Köpfe der Kinder getaucht. Die Familie bestand aus vier Personen. Also war der fünfte Teller für den Gast.«
»Ähm … ja«, meinte Niklas. »Der Todeszeitpunkt der Frau war zwischen zwei und vier Uhr morgens. Die Kinder starben zwischen zehn Uhr abends und Mitternacht, anscheinend vergiftet. Zumindest sagte das der Arzt aufgrund der Totenstarre und der Schleimhautveränderung bei den Teenagern. Bei der Mutter war die Totenstarre noch nicht vollständig ausgeprägt. Aber ein exaktes Ergebnis gibt es erst nach der Obduktion und dem toxikologischen Bericht.«
»Okay, also musste die Mutter den Tod ihrer Kinder mit ansehen«, warf Jan ein. »Vielleicht um sie zu quälen? Sie konnte von ihrem Platz im Wohnzimmer direkt zum Esstisch sehen. Wer war der Anrufer? Ein Nachbar?«
Niklas zuckte mit den Schultern. »Das kann ich im Moment nicht sagen. Aber die Telefonnummer ist auf den Namen Tim Krauss registriert.«
»Wart ihr schon bei den Nachbarn und habt euch ein wenig umgehört?«, fragte Jan. »Hatte die Familie Feinde?«
»Die Familie links ist für zwei Wochen verreist. Das rechte Haus steht seit Ewigkeiten leer. Direkt gegenüber befindet sich eine Kfz-Werkstatt, die aber um achtzehn Uhr schließt. Weiter vorne gibt es eine Tankstelle mit Überwachungssystem, allerdings sind die Kameras nur auf die Zapfsäulen ausgerichtet. Das habe ich schon kontrollieren lassen. Wir sind gerade dran, alle Anwohner im näheren Umkreis zu befragen. Zu Feinden der Familie konnte bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas sagen.«
»Nochmals zurück zu dem Anrufer«, sagte Steffi. »Wann genau kam dieser Notruf? Ich nehme mal an, ihr wurdet über die 112 kontaktiert.«
»Nein, wir bekamen heute um sieben Uhr dreißig den Anruf direkt auf das Dienststellentelefon in der Wache.«
»Der Anrufer war ein Mann, richtig? Vielleicht war es Tim Krauss selbst. Konnte der Anruf geortet werden?«
»Die Stimme war verzerrt, somit können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob Herr Krauss der Anrufer war. Den Aufenthaltsort des Handys während des Anrufs konnten wir nicht eindeutig verifizieren. Also schon, aber es ergab, dass der Anrufer von China aus angerufen hat.«
»Alles klar«, sagte Steffi. »Wir haben es hier eindeutig mit einem Profi zu tun. Es gibt sicher eine Aufzeichnung des Gesprächs. Bitte lass das an Peeke Herzog in Niebüll schicken. Ich bin mir sicher, wenn es jemand schafft, die Stimme zu entzerren, dann er.«
»Es hieß, dass der Täter eine Nachricht hinterlassen hat. Können wir die mal sehen?«, fragte Jan.
»Natürlich«, antwortete Niklas, schritt zu einem der geöffneten Koffer der Spurensicherung und holte eine durchsichtige Tüte heraus. Darin befand sich ein Papier, das vermutlich aus einem Block herausgerissen worden war. In krakeliger Schrift stand dort: »Er hat verloren.«
»Und wo lag das?«, fragte Steffi nach.
»Hier.« Niklas zeigte auf die Mitte des Esszimmertisches. »Hier haben wir den Zettel gefunden.«
In Steffis Hosentasche vibrierte ihr Handy. Sie holte es heraus und drückte den Anruf weg. Sie hatte nicht vor, auf ein Pläuschchen zu ihrer Mutter zu fahren. Zwar hatte diese am Telefon behauptet, dass sie Informationen über die Familie Krauss besaß, aber Steffi kannte ihre Mutter nur zu gut. Der übliche Dorftratsch hinter vorgehaltener Hand und eine Menge Spekulationen. Sie würde später bei Sophia anrufen und sie über Delu Krauss und ihre Familie befragen. Vielleicht bekam sie von ihr Informationen aus dem Journalistenkreis.
In sechsunddreißig Stunden
Mittwoch, Nacht
Tim Krauss blinzelte. Es fiel ihm schwer, seine Lider offen zu halten, denn das einfallende Licht blendete ihn. In seinem Schädel dröhnte es wie nach einem AC/DC-Konzert. Er griff mit der rechten Hand an seinen Kopf, als könnte er damit dieses Wummern gegen seine Schädeldecke abstellen. Sein Mund schien wie mit Styropor gefüllt zu sein. Das T-Shirt kratzte auf seiner Haut, als wäre es nass geworden und dann wieder getrocknet. Erneut blinzelte er und sah durch die schmalen Schlitze. Hinter dem grellen Licht, das ihn direkt anstrahlte, war alles schwarz. Nein, das stimmte nicht. Er konnte dunkle Gestalten erkennen, die hinter dem Lichtstrahl saßen. War es vielleicht Delu, deren Schluchzen er gerade hörte? Mit Sicherheit konnte er es nicht sagen, aber die Hoffnung, dass es ihr und den Kindern gut ging, war noch nicht gänzlich gestorben.
Ein bekannter Geruch stieg ihm in die Nase. Es roch nach Fisch, Zwiebeln und Bratkartoffeln. Und nach Senf. Tim schluckte seinen Speichel hinunter. Sein Magen gab knurrende Geräusche von sich. Ganz plötzlich kam ihm in den Sinn, dass heute kein Pannfisch auf dem Essensplan gestanden hatte, sondern Erbseneintopf. Er hatte Delu doch heute bei der Zubereitung zugeschaut, oder nicht? Waren es die unerträglichen Kopfschmerzen, die ihm einen Streich spielten?
Und wieso war es hier drin so finster? Er strengte erneut seine Augen an und fixierte eine der drei schattenhaften Personen hinter dem Lichtschein. Doch er erkannte nichts außer einer dunklen Umrandung, die sich immer wieder bewegte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Delu? Was ist hier los?«, fragte Tim.
Als Antwort bekam er einige Laute, die er nicht als Sprache identifizieren konnte. Es klang gedämpft, wie gesprochene Worte hinter einer Glasscheibe. Tim wollte sich erheben, doch er konnte nicht. Er schien auf seinem Stuhl festgebunden zu sein. Genau wie seine Hände, die mit Klebeband auf seinen Oberschenkeln fixiert waren.
»Was soll das alles?«, rief er nun lauter. Es musste hierfür eine Erklärung geben. Eine verdammt gute, wenn es sich um einen Spaß handeln sollte. Denn witzig war das alles nicht.
Für einen kurzen Moment flammten die Erinnerungen an den heutigen Abend wieder auf. Er war – wie immer – spät von der Arbeit nach Hause gekommen. Delu stand in der Küche und hatte ihn – auch wie immer – keines Blickes gewürdigt. Die Kinder waren vermutlich … ja, sie waren in der ersten Etage gewesen, denn das Streitgespräch der beiden hatte durchs ganze Haus gehallt. Alles normal.
Tim hatte das kleine Häuschen erst vor Kurzem gekauft. Für sich und seine fast perfekte Familie. Damit er neu starten könnte. In ein neues Leben mit weniger Geld, aber vielleicht mit mehr Glück. Doch allem Anschein nach hatte sich nichts verändert. Es schien noch viel schlimmer als vorher zu sein.
»Jetzt sagt mir endlich jemand, was hier los ist! Wieso bin ich gefesselt?«, rief er in den Raum.
Doch eine Antwort auf seine Frage bekam er nicht. Außer dem Schluchzen seiner Frau und vermutlich seiner Kinder.
Sind wir etwa überfallen worden?
Wieder kramte er in seinen Erinnerungen. Doch er fand nichts. Da war absolut nichts. Delu in der Küche, die Kinder, die sich im ersten Stock stritten. Zack, aus, Filmriss.
»Hört endlich auf damit! Das ist wirklich nicht mehr lustig!«
Tim zerrte an seinen Fesseln. Dabei registrierte er den Luftzug einer Person hinter sich. Wer war noch im Raum? Noch bevor er etwas sagen konnte, hörte er das Klicken.
Dienstag, Mittag
Niebüll, Polizeidienststelle
»Also«, sagte Steffi und stand von ihrem Stuhl auf. Sie konnte im Stehen einfach besser denken, somit schritt sie im Büro auf und ab, nachdem sie sich die Akte über die Morde an der Familie Müller durchgelesen hatte. Jan hatte die Akte der Familie Beuschel unter die Lupe genommen. Nun war es an der Zeit, Parallelen zu ziehen. Zwischen den beiden ersten Verbrechen und dem heutigen. »Heute: Mutter, Vater, Tochter, Sohn. Perfekte Vorzeigefamilie. Vor fünf Jahren ziemlich ähnlicher Tatort. Die Familie Müller war die erste in dieser Mordserie. Mutter erhängt, Kinder – zwei Jungs im Teenageralter – am Esstisch vergiftet. In beiden Fällen war es Tollkirsche, die den Kindern in Pulverform verabreicht wurde. Das Gift befand sich im Essen. Vater verschwunden. Im Blut der Mutter und der beiden Teenager wurde ein Beruhigungsmittel festgestellt.«
Noch bevor Jan etwas dazu sagen konnte, mischte sich Hannah ein, die neben den beiden zusammengeschobenen Schreibtischen Platz genommen hatte. Vor über einer Stunde waren die drei ins Büro zurückgekommen, und seitdem hatte sie nichts mehr gesagt. »Das sind sehr wenig Informationen. Meinst du nicht, Steffi?« Hannah taxierte sie mit einem Blick.
Steffi sah zu ihr hinüber, ignorierte sie aber. Was wusste die Psychotante schon von Ermittlungsarbeit? Das waren nur Fakten, die ohnehin schon bekannt waren. »Zweifamilienhaus in Klanxbüll. War wohl das Elternhaus von Herrn Müller.«
»Ja, ist bei mir auch so«, sagte Jan. »Die Familie wohnte in einem großen Einfamilienhaus in Klockries. Herr Beuschel wohnte dort schon ewig. Vermutlich ebenfalls sein Elternhaus.«
»Dann haben wir schon unsere erste Abweichung zum heutigen Fall. Familie Krauss ist erst vor wenigen Wochen in das Haus gezogen. Sie wohnten vorher in Bosbüll. Ich brauch mal was zum Schreiben, ansonsten kommen wir durcheinander.« Steffi ging zu ihrem Schreibtisch, schob die Papiere, die lose auf der Tischplatte lagen, achtlos zur Seite und griff sich ein leeres Blatt Papier. Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl und schrieb in die erste Zeile: Müller, Beuschel, Krauss. Jeweils darunter: Klanxbüll, Klockries. Und bei der Spalte der Familie Krauss: Bosbüll und Bredstedt. »Gut, fangen wir an zu sortieren. Also, Frau Müller hatte einen kleinen Tante-Emma-Laden in Klockries.« Sie notierte sich das.
»Frau Beuschel hat als Köchin in Niebüll gearbeitet«, sagte Jan.
»Und Frau Krauss als Reporterin. Ich sehe noch keinerlei Überschneidungen, außer wenn die anderen beiden in Klockries zum Einkaufen waren. Was ich mir aber nicht vorstellen kann. Weiter im Text. Was machte Herr Beuschel beruflich?«
»Kraftfahrer. Im Angestelltenverhältnis.«
Steffi schrieb es in die entsprechende Spalte. »Herr Müller war selbstständiger Steuerberater, und Herr Krauss war Lehrer an der Grundschule in Klixbüll.«
»Wo sind die Kinder zur Schule gegangen?«, warf Hannah ein.
»Guter Einwand«, sagte Jan und vertiefte sich in seine Unterlagen, von denen er gleich wieder aufschaute. »Die Kinder der Familie Beuschel besuchten die Gemeinschaftsschule in Niebüll.«
»Die Kinder von Familie Krauss auch«, stellte Steffi fest und suchte nach der Akte der Familie Müller. Es dauerte, bis sie die Informationen gefunden hatte.
»Steffi?« Jans Tonfall klang genervt. »Wenn du so weitermachst mit deinem Chaos, werden wir wohl noch morgen dasitzen und auf Infos warten. Wieso lässt du das nicht so geordnet, wie es war?«
»Warum müssen wir das überhaupt ausdrucken?«, fragte Steffi. »Am PC habe ich nie so ein Chaos.«
Jan sagte nichts mehr, und zu Steffis Erstaunen Hannah auch nicht. Die Psychologin kritzelte etwas auf ihren Notizblock.
»Ha«, sagte Steffi und zog an einem Blatt Papier ziemlich weit unten. Doch die Ernüchterung folgte sogleich. »Die Kinder der Familie Müller gingen auf die Emil-Nolde-Schule in Neukirchen.«
»Gut, wieder eine Sackgasse«, meinte Jan. »Was könnten diese drei Familien gemeinsam haben?«
»Sind sie vielleicht vorbestraft?«, fragte Hannah. »Ich meine, es könnte sein …«
»Nein«, unterbrach Steffi sie. »Kein Mitglied der drei Familien ist polizeilich in Erscheinung getreten. Allerdings sind die Kinder der Familien in etwa gleich alt. Zwischen vierzehn und siebzehn Jahre. Wobei die Kinder der Familie Krauss vor fünf Jahren erst zwölf und zehn waren. Also das kann auch nicht zusammenpassen.«
»Aber die Morde an sich passen«, sagte Hannah. »Die Mutter musste den Tod ihrer Kinder mit ansehen. Sie wurde erhängt, die Kinder vergiftet, der Vater ist verschwunden. Das ist doch ein Muster.«
»Ja, aber nichts, was uns hilft, den Täter zu fangen«, gab Steffi zurück.
»Die Aussagen der Nachbarn helfen uns auch nicht weiter«, sagte Jan. »Zumindest bei der Familie Müller gab es nichts Auffälliges. Außer einigen haarsträubenden Versionen und Verdächtigungen, die sich im Nachhinein als heiße Luft herausgestellt haben. Was war bei den Beuschels?«
»Auch nichts Hilfreiches. Alle von den Kollegen Befragten haben nichts gesehen, wussten von nichts oder gaben sinnbefreite Theorien von sich.«
»Gab es jedes Mal einen Anruf vom Handy des Familienvaters an die nächstgelegene Polizeidienststelle, dass drei Leichen im Haus sind?«, fragte Hannah.
»Ja, gab es«, sagte Jan. »Und jedes Mal wurde die Stimme verzerrt.