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Deine Kinder sind niemals sicher! Lady, der Hund von Urs Gautier, wurde entführt, und der Schweizer beauftragt die Privatdetektive Jenny und Sven, das Tier zu finden. Doch schon einige Tage später werden Gautiers Frau und seine kleine Tochter von einem Spielplatz gekidnappt. Jenny versucht, die beiden zu retten, wird dabei niedergeschlagen und ebenfalls verschleppt. Während Inspektor Carlos Muñoz Díaz eine großangelegte Suchaktion startet, ermittelt Sven auf eigene Faust. Doch schon bald präsentiert sich alles in einem anderen Licht und lässt Sven zweifeln, seine Jenny jemals lebend wiederzusehen. Stück für Stück setzen sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen, das grausamer kaum sein könnte. Dieses Buch kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
Prolog
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Epilog
ANgefasst
Team Gran Canaria 2
von Drea Summer
1. Auflage, 2019
© Alle Rechte vorbehalten.
Drea Summer
Los Tenderetitos, L 134
35100 San Fernando
San Bartolomé de Tirajana
Las Palmas de Gran Canaria
Spanien
Lektorat/Korrektorat: Lektorat TextFlow by Sascha Rimpl Covergestaltung © Renee Rott – Dream Cover
Covermotiv © AdobeStock_62185421
In drei Tagen, abends – Antonia
Antonia schreckte zurück bei dem, was sie durch das Wohnzimmerfenster sah. Sie schnaufte wie nach einem Zweihundert-Meter-Lauf, und eine eiskalte Hand schien ihre Eingeweide zu zermalmen. Der Vorhang bewegte sich und könnte dem Fahrer des blauen Mercedes verraten, dass er entdeckt worden war. Wie von Sinnen starrte sie auf die Gardine, die in Zeitlupe wieder ihre Ruheposition einnahm, und betete zu Gott, dass niemand diese Bewegung gesehen hatte.
Er hat mich gefunden, schrie es in ihrem Kopf. Nach all der langen Zeit. Nach all den Wohnungswechseln. Nach all den Hürden, die ich auf mich genommen habe. Er hat mich gefunden.
Der Schwindel überkam sie. Die Bilder in ihrem Hirn, von längst vergangenen Zeiten, waren wieder präsent. Ihr Kopf prallte gegen die Wand, als sie sich zurücklehnte. Doch sie spürte den Schmerz nicht. Sie spürte nichts mehr, seitdem er sie das erste Mal berührt hatte. Seitdem er sie geschlagen und gedemütigt hatte.
Ihre Hüfte, die er mit seinem Schuh getroffen hatte, brannte wie Feuer. Vor ihren Augen flimmerten Sterne, und sie zog ihre Füße näher an ihren Körper heran.
Er hatte sich vor ihr aufgebaut, wie ein Ringer vor seinem Gegner. »Du hast mich betrogen, du undankbares Stück Dreck«, sagte er, packte sie an ihren Schultern und hob sie in die Luft, als ob sie nur ein paar Gramm wiegen würde. »Hat es dir gefallen, als du seinen Schwanz gelutscht hast?« Er donnerte ihren Körper an die Wand, sodass ihr Kopf mit voller Wucht aufschlug und es ihr für Sekunden den Atem raubte. Dann ließ er sie fallen, und sie sackte in sich zusammen.
Ihre Augen hatte sie nur für einen Moment geschlossen. Sie hätte schwören können, dass es nicht länger als drei Sekunden war. Doch dann hörte sie die Schreie. Melodia! So schnell sie konnte, raffte sie sich auf. Doch sie kam nicht auf die Beine. Mühevoll robbte sie auf dem Boden entlang in Richtung Kinderzimmer.
Und da stand er. Das Deckenlicht strahlte ihn an wie ein Scheinwerfer und offenbarte die grausame Wahrheit. Das kleine zarte Mädchen hing schlaff in seinen Armen. Der Babystrampler lag zusammengeknüllt auf dem Boden, überall beschmiert mit Blut, genauso wie Melodias Körper. Doch ihre Augen waren offen und starrten sie an. Und dann hörte sie die Musik aus dem Mobile über dem Gitterbett, die wie von Geisterhand zu spielen begann. Und das Lied spielte für Melodia, die nur durch ihre Schuld nie wieder lachen konnte.
»Mama! Du zitterst ja.« Es waren die Worte ihres elfjährigen Sohnes Miguel, die sie wieder zurück ins Hier und Jetzt brachten.
Sie zwang sich ein Lächeln ab und streichelte ihm über seinen Kopf. »Es ist alles gut, mein Liebling. Ich hab mich nur erschrocken, weil mir etwas runtergefallen ist. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Kommt er wieder, Mama?«
»Nein, mein Schatz. Er kommt nie mehr wieder. Dafür werde ich sorgen. Das hab ich dir doch versprochen. Er findet uns nicht.«
Ganz fest drückte sie ihn an ihre Brust und starrte aus dem Fenster. Sie schaute zu dem blauen Mercedes, der im Schutz der Bäume parkte. Eine kleine Rauchwolke stieg aus dem Fahrerfenster.
Er ist es!
Tag 1, nachmittags – Esteban
»Allein, wenn ich diese schwarzen langen Haare sehe, die ihr bis zu dem süßen, knackigen Po reichen …«, murmelte Esteban vor sich hin. Er beobachtete bereits minutenlang das kleine Mädchen mit dem blauen Jeansrock und dem quietschgelben T-Shirt, auf dem ein Delphin zu sehen war, auf dem Spielplatz in San Fernando. Ihre Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden, nur einzelne Strähnen hatten sich daraus gelöst und umrahmten ihr Gesicht. Jetzt war es endlich so weit. Seine Handflächen fingen an zu schwitzen, und er wischte sie an seiner Hose ab. Die Kleine stieg die Leiter zum Gerüst der Rutsche hoch, und gleich würde er vielleicht ihr Höschen zu Gesicht bekommen. Er strich sich gedankenverloren über seinen schwarzen Vollbart. Und seine Fantasie nahm freien Lauf.
Wie fühlt sich die Haut unter diesem Höschen an? Diese unberührte Zone, auf der noch lange keine Haare wachsen. Würde sie schreien, wenn ich sie dort anfasse, oder würde sie mich gewähren lassen? Würde sie es vielleicht sogar genießen?
Seine Hände zitterten, und seine Aufregung stieg mit jedem Schritt, den das kleine Mädchen die Sprossen weiter nach oben kletterte. Oben angekommen stand sie auf dem Podest und strahlte über das ganze Gesicht. Sie hob ihre Hand und winkte ihm zu. Er drehte sich um, nur um sich zu versichern, dass tatsächlich er gemeint war. Hinter ihm stand niemand. Zaghaft hob er seine Hand und winkte zurück. Endlich ging sie in die Hocke, und er konnte einen kurzen Blick auf ihren rosaroten Slip erhaschen. Sein Herz pochte vor Aufregung. Seine Gedanken kreisten nur noch um dieses kleine Mädchen. Er wollte sie anfassen. Musste sie anfassen. Auf keinen Fall würde er ihr wehtun. Jedenfalls nicht absichtlich. Nur kurz berühren, ihr über die Haare streichen, ihren Geruch, der fast noch wie der eines Babys sein würde, einatmen. Nur kurz. Wirklich nur ganz kurz.
Sie quietschte fröhlich, als sie hinunterrutschte. Ein lautes Kinderlachen. So unbesorgt, so frei. Ihr Röckchen wurde durch den Windstoß in die Höhe gehoben, und er konnte seinen Blick nicht von ihren Oberschenkeln nehmen. Er musste zu ihr. Er musste sie anfassen. Um ihren Duft in sich aufzunehmen wie eine Droge. Noch einmal vergewisserte er sich, dass kein Mensch in der Nähe war. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und auch sonst war sein ganzer Körper unter Hochspannung. Auch sein Penis zuckte schon unruhig in der Hose und würde sich bald in seiner ganzen Größe zeigen. Er schritt auf das Gerüst zu. Das kleine Mädchen war gerade im Begriff, die Sprossen der Leiter wieder nach oben zu klettern. Als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war, hörte er sie leise kichern. Er glaubte sogar, ihren Duft aus dieser Entfernung riechen zu können. Dieses unschuldige Aroma, das sich wie eine Parfümwolke um Kinder legte. Er stellte sich direkt vor das Ende der Rutsche, als das Mädchen oben auf dem Podest stand.
Diesmal konnte er ihr Höschen aus der Nähe sehen – als sie wieder in die Hocke ging, um sich auf die Rutsche zu setzen. Sie strampelte mit ihren Beinen freudig herum, und ihr Röckchen schob sich wie von Geisterhand nach oben und präsentierte ihm mehr nackte Haut, die seine Fantasie noch weiter ankurbelte.
Berühren, streicheln, spüren.
Er streckte seine Hände nach ihr aus, um sie aufzufangen, sie endlich in seinen Armen halten zu können. Sie stieß sich oben ab, und er fieberte diesem Moment entgegen. Es dauerte nicht länger als einen Augenaufschlag, bis er sie endlich spüren konnte. Und tatsächlich fing er sie auf, und sie strahlte ihn an, als er sie hochhob und auf dem Boden absetzte. Er konnte seine Hände nicht von ihr lösen, sie waren wie festgeklebt. Ihre Pausbäckchen waren rot angelaufen, und die schwarzen Haarsträhnen flogen ihr ins Gesicht, bis sie sie mit ihren pummeligen Fingern wieder hinter das Ohr strich.
»Na, meine Kleine?«, sagte Esteban und lächelte sie an. »Kommst du mit mir mit? Ich bringe dich nach Hause. Deine Mama schickt mich. Ich habe auch Schokolade in meinem Auto. Das steht gleich da vorne.« Er zeigte auf das große verrostete Tor, hinter dem sich der Parkplatz befand. Er nahm einen tiefen Atemzug und sog ihren Duft nach Erdbeeren und Unberührtheit in seine Lungen und speicherte ihn in seinem Hirn.
Plötzlich unterbrach sie seine Fantasie mit Worten, die seine Welt wie ein Kartenhaus zusammenbrechen ließen.
»Wie ist das Passwort?« Die Kleine schaute ihn erwartungsvoll an.
Hat sie mich ernsthaft nach einem Passwort gefragt? Ein Passwort wofür?
»Wie heißt du denn?«, fragte er nach kurzem Zögern.
Das Mädchen versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, und schrie laut: »Wie ist das Passwort?«
Sie wand sich in seinen Armen hin und her. Er packte sie fester mit beiden Händen an ihren zierlichen Oberarmen. Ihr Lächeln war verschwunden. Ihre schwarzen Haarsträhnen flogen ihr ins Gesicht, und Tränen rannen in Strömen über ihre Wangen.
Er hob sie wenige Zentimeter hoch und ließ sie in der Luft zappeln.
Die Kleine schrie immer lauter und wurde hysterisch. »Passwort. Passwort. PASSWORT!«
Tag 1, nachmittags – Sven und Jenny
Jenny schaute zu Sven, der sein Handy am Ohr hatte und fleißig nickte. Sie schmunzelte bei dem Gedanken, dass derjenige, der am anderen Ende der Leitung war, sein Nicken ja gar nicht zu Gesicht bekam. Das war mal wieder so typisch für Sven. Jeder normale Mensch würde wenigstens ein Mhm oder ein Ah von sich geben. Aber Sven nickte nur fleißig.
»Vale, adiós.« Er steckte sein Telefon in die Hosentasche. Das machte er seit Neuestem immer. Niemals wieder würde er sein Handy auf den Tisch legen. Schließlich sollte jeder aus seinen eigenen Fehlern lernen.
»Und? Haben wir einen neuen Auftrag?«, sagte Jenny.
Er schaute sie verständnislos an. »Jein.«
Jenny lachte auf. »Jein? Was heißt das? Eigentlich schon, aber doch nicht, oder wie?«
»Wir sollen einen Hund finden, der gestern gestohlen wurde.« Sven runzelte die Stirn und fuhr sich mit seinen Fingern durch das hellbraune Haar, das wie Stacheln von seinem Kopf abstand.
»Das klingt doch schon sehr nach einem Auftrag. Wo ist nun der vermeintliche Haken, der dich stört?«
»Wir suchen einen Hund. Wie sollen wir einen Hund finden? Sollen wir andere Hunde befragen, die frei auf der Straße herumlaufen?«
Jenny lachte wieder, allerdings erkannte sie an Svens Gesichtsausdruck, dass ihn diese Frage wirklich beschäftigte und er sie durchaus ernst meinte.
»Schatz, ein Hund verschwindet nicht so einfach. Lass uns doch erst mal zu dem Kunden fahren. Er soll uns alles erzählen, was er weiß. Vielleicht hat er auch irgendwelche Feinde. Also der Besitzer, nicht der Hund.«
»Ja, oder der ist einfach davongelaufen. Dann viel Spaß und viel Glück«, sagte Sven und ließ sich in seinen Chefsessel fallen, der hinter dem Schreibtisch im Detektivbüro El Espía stand.
Jenny kam näher zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, als der Laptop, den Sven sich erst vor knapp zwei Wochen geleistet hatte, einen Ton von sich gab, der eine neue Mail ankündigte. Jenny griff zur Maus und öffnete die Mail. Sofort sprang der Virusscan an und überprüfte diese. Ein sündhaft teures Programm, das er sich auf Anraten von Carlos gekauft hatte. Das Fenster schloss sich wieder, und es öffnete sich ein neues. Sven zog Jenny auf seinen Schoß, und beide blickten gespannt auf den Inhalt der Mail.
»Das ist doch ein süßer Kerl. Findest du nicht?«, sagte Jenny und zeigte auf den kleinen Hund, der sein Stupsnäschen neugierig in die Kamera hielt. Das braune Fell am Kopf war mit einer rosaroten Schleife zu einem Zopf zusammengebunden, und einzelne schwarze Strähnen zogen sich über den restlichen Körper. »Das ist ein Shih Tzu. So einen Hund wollte ich schon immer mal haben.«
Sven neigte seinen Kopf leicht zur Seite und betrachtete das Foto, das Jenny nun als Vollbild auf den Bildschirm gelegt hatte.
»Und wer hat dich bloß entführt?« Jenny sprach mit dem Bildschirm, als ob er eine Antwort darauf geben könnte.
Sven legte seine Hände an ihre Hüften und schob sie von seinem Schoß herunter. »Steh auf. Sonst komm ich noch auf doofe Gedanken und kann mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren.« Sie stand auf, und Sven schlug das rechte Bein über das linke und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Also, wir müssen herausfinden, was mit Lady, so heißt die Hundedame, passiert ist. Und zwar schleunigst. Zumindest sagte mir das der Herr …« Sven schaute auf die wenigen Sätze, die in der Mail standen, und las den Namen ab. »Urs Gautier. Dem Dialekt nach würde ich auf einen Schweizer tippen. Lass uns einfach mal hinfahren. Und dann sehen wir weiter, ob wir diesen Auftrag überhaupt annehmen. Ehrlich gesagt, ich hab keine große Lust drauf, einen Hund zu suchen.« Er verzog seinen Mund zu einer Schnute.
»Hast du gesehen, wie viel er uns bezahlen will? Ich meine, he, das ist schon ein großer Batzen Geld, und es ist ja nicht so, dass uns die Leute hinterherlaufen, weil sie unsere Dienste brauchen. Komm jetzt. Es ist hier ganz in der Nähe. Und danach könnten wir doch noch im Abrasa etwas essen gehen. Sofern wir dort einen Tisch bekommen.«
»Oh ja, ich habe Lust auf ein gutes Steak.« Sven sprang von seinem Sessel auf und packte in Windeseile seine Sachen zusammen. Schnell druckte er noch die Mail mit dem Foto aus und steckte den Ausdruck in Jennys Handtasche, die sie ihm bereitwillig hinhielt. Gemeinsam verließen sie das Büro. Sven drängte nahezu, endlich hier fortzukommen, und zog sie mit sich zum Auto.
Jenny schmunzelte. Klar, mit gutem Essen krieg ich dich immer.
Tag 1, nachmittags – Luis
Luis überlegte und fuhr sich mit seinen Fingern am Kinn entlang. Seit Stunden starrte er auf den Zettel, der vor ihm lag, und kam zu keinem vernünftigen Ergebnis. Zuerst hatte er angefangen, mit dem Zeichnen von Kreisen eine Ordnung in seine Gedanken zu bringen. In jeden Kreis setzte er einen Namen und verband diese mit Strichen untereinander. Doch wie sollte er das bloß bewerkstelligen? Wie nur konnte er sie entführen? Mitten in der Nacht wäre keine Option. Da war die Alarmanlage scharf. Die Polizei wird mich sofort erwischen, wenn ich das so mache. Ich muss meinen Job am Tag erledigen.
»Das ist kein Plan. Das ist alles blöd«, schrie er das Blatt an, und im nächsten Moment zerknüllte er es und schmiss es in die Zimmerecke. Es landete auf dem Zettelhaufen, der sich im Laufe der letzten Tage dort gebildet hatte.
Sein Gesicht sank in seine Hände, und er ließ seinen Gedanken freien Lauf. Den leichtesten Teil des Auftrages hatte er bereits hinter sich gebracht. Er schaute zufrieden auf den schlummernden braun-schwarzen Hund, der vor seinen Füßen lag. Das hatte ihm schon einen kleinen Teil der Belohnung eingebracht. Aber wie sollte er es anstellen, sie zu entführen? Da erinnerte er sich an den Fall mit den zwei Mädchen, die vor einigen Jahren hier auf der Insel entführt wurden. Die wurden doch mit Chloroform betäubt, oder nicht? Hatte er da nicht einmal etwas in der Zeitung gelesen? Und die beiden wurden doch auch in aller Öffentlichkeit am helllichten Tag entführt. Warum sollte er es nicht wagen?
Sofort griff er zu seinem Handy und holte sich im Internet alle Informationen, die er darüber finden konnte.
»Wenigstens frei verkäuflich in jeder Farmacía«, murmelte er vor sich hin.
Tag 1, nachmittags – Esteban
»¡Policía! «, hörte Esteban hinter sich das Geschrei einer Frau, und gleich darauf packte ihn eine kräftige Hand an seiner Schulter, und er musste die Kleine loslassen. Er wunderte sich, wo die beiden auf einmal herkamen, hatte er sich doch vergewissert, dass niemand in der Nähe war. Wild gestikulierend redete die hysterische Frau auf Esteban ein, die sich vor ihm aufplusterte wie eine Henne. Ihre langen schwarzen Haare wirbelten genauso wild herum wie ihre Hände. Der Mann hielt Esteban an seinen Unterarmen fest. Das kleine Mädchen hatte sich verschüchtert hinter der Frau – vermutlich war es die Mutter der Kleinen – versteckt und lugte seitlich am Bein der Frau hervor. Dabei hatte er sie doch nur spüren wollen. Ihre zarte Haut anfassen. Nichts weiter. Esteban verstand die Aufregung nicht. Er hatte doch nichts falsch gemacht.
»Jetzt hören Sie doch mal auf«, sagte Esteban. »Ihre Tochter sieht meiner verstorbenen Tochter so ähnlich. Ich konnte nicht anders. Ich war wie in Trance. Ich dachte, sie wäre mein kleiner Engel.« Er wandte seinen Blick von der Frau ab und richtete die nächsten Worte an den Mann, der ihn festhielt. »Und Sie, Sie lassen mich auf der Stelle los. Sonst werde ich Sie anzeigen.«
Wieder drangen die Worte der Frau in seinen Gehörgang: »Policía, Policía!«
»Dann rufen Sie doch die Polizei. Das ist gut. Dann können die Beamten auch gleich die Anzeige gegen Sie beide aufnehmen. ¡Tienen mala uva! Die sollen auch jemanden mitbringen, der das Mädchen in seine Obhut nehmen kann. Das ist anscheinend nötig, wenn ich mir Sie beide so ansehe, wie hysterisch Sie sind.« Esteban schrie die Worte aus sich heraus, und plötzlich kehrte Ruhe ein. Die Frau starrte ihn an, ihr Mund blieb ein Stück weit offen. Auch der Mann lockerte seinen Griff, und Esteban machte sofort einen Schritt zur Seite.
»Habe ich richtig verstanden? Sie dachten, es wäre Ihre Tochter?«, fragte der Mann und blickte ihn durchdringend an. So ganz hatte er die Story, die Esteban ihm auftischen wollte, anscheinend noch nicht geschluckt. Somit musste er noch ein Schäufelchen nachlegen, damit die Geschichte so richtig unter die Haut ging.
»Ja, Sie haben richtig verstanden. Ich hatte eine Tochter in ihrem Alter«, sagte Esteban und zeigte auf das Mädchen. »Sie wurde von einem Irren entführt, und drei Tage später fand man ihre Leiche. Sie haben keine Ahnung, wie sich das anfühlt, sein eigen Fleisch und Blut zu verlieren. Ich fühlte mich um Jahre zurückversetzt, als ich Ihre Tochter sah. Ich sah meinen Engel. Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Aber … aber …« Die letzten Worte stammelte er nur noch, damit der Effekt der Geschichte nicht verloren ging. Er war schon immer ein Meister der Worte gewesen. Storys einfach so aus dem Ärmel schütteln, das konnte er. Das war der Hauptgrund, warum er seit einigen Jahren als Autor tätig war. Zwar nur mittelmäßig erfolgreich, aber es reichte zum Überleben.
Der Frau rannen die Tränen über die Wangen. Esteban hatte sie bereits vollständig in seine Geschichte gezogen. Aber auch den Mann schien er nun endgültig auf seiner Seite zu haben, denn dieser sprach: »Oh, Entschuldigung. Ich … wir dachten, Sie sind ein Pädophiler oder so. Weil Sie allein hier auf einem Kinderspielplatz sind und mit unserer Tochter spielen wollten. Wir wussten nicht … Es muss schrecklich sein, ja. Ich will mir das gar nicht vorstellen.«
»Mein größter Wunsch ist es, mein Engelchen noch einmal in den Armen zu halten. Nur ein einziges Mal. Verstehen Sie? Das ist alles, was ich auf dem Herzen habe.«
Plötzlich löste sich das Mädchen von ihrer Mutter und trat einen Schritt auf Esteban zu. Er konnte die Augen kaum von ihr lassen und musste aufpassen, dass er nicht vor Aufregung sabberte.
Einen Augenaufschlag später umarmte die Kleine seine Beine. Sie war groß genug, dass sie ihm bis zu seinem Schwanz reichte, der unter der Hose gefährlich pochte. Esteban stieß einen Seufzer aus, den der Mann und die Frau vermutlich als Schmerzensschrei der Seele empfanden. Dabei war es ein gedämpfter Lustschrei. Er strich dem Mädchen über die Haare. Sie fühlten sich so samtweich an. Genauso wie zuvor ihre Haut. Alles so zart und anschmiegsam.
Er musste sich von der Kleinen trennen. Ob er nun wollte oder nicht. Ansonsten würde er für nichts garantieren können. Er schaute zu den Eltern der Kleinen. Die Träne, die seine Wange hinunterlief, unterstrich seine Geschichte glaubhaft. Esteban flüsterte: »Danke.«
Tag 1, nachmittags– Sven und Jenny
»Hier ist ein Parkplatz«, sagte Jenny und deutete auf die freie Parklücke gegenüber der Tierarztpraxis. Sven stellte das Auto ab und stieg aus. Jenny nahm noch ihre Tasche und folgte ihm, als ihr Blick auf die rostigen Metallplatten fiel, die den Parque multifuncional einzäunten, einen Spiel- und Freizeitpark, der groß genug war, um viele Freizeitaktivitäten und auch Geburtstagsfeiern abzuhalten. Sie war bereits mit Sarah und Raúl ein paarmal hier gewesen, da Carlos und Sarah in der Nähe wohnten und der Park wirklich ein Spielparadies für Kinder war.
Vor dem großen Eingangstor spielten sich merkwürdige Szenen ab. Eine Frau schrie ständig nach der Polizei. Ein Mann hielt einen anderen Mann fest, und ein kleines Mädchen versteckte sich hinter der Mutter.
Sven war bereits einige Schritte vorausgegangen, zu dem neuen Kunden, dessen Haus in der entgegengesetzten Richtung lag.
»Sven, schau mal.«
Er drehte sich zu ihr um, und sie zeigte auf den Parkeingang. »Da drüben scheint es Probleme zu geben. Wollen wir nicht mal nachsehen, was da los ist?«, sagte sie zu ihm, und er runzelte die Stirn. Klar, gedanklich saß er bereits im Restaurant und hatte den Teller mit dem leckeren Steak vor sich.
»Du meinst, die Psychobarbie und ihr Stecher haben Probleme?«, sagte er nach wenigen Momenten, die er brauchte, um die Situation einzuordnen.
»Sven, jetzt red nicht so. Die Frau schreit nach der Polizei. Hast du das nicht gehört?«
»Doch, aber jetzt hat der eine Mann den anderen losgelassen. Willst du dich dazustellen?« Sven lachte.
»Keine Ahnung, was da grad los war. Aber anscheinend hat sich doch alles beruhigt. War wohl nur ein Missverständnis.« Jenny nahm ihren Blick von der Gruppe und wies Sven mit ihrer Hand die Richtung, in die sie gehen mussten. »Gehen wir. Und bitte benimm dich, ja?«
Sven blieb abrupt stehen und stemmte seine Hände in die Hüften. Seine Augen formten sich zu schmalen Schlitzen. »Was soll das nun wieder bedeuten? Ich soll mich benehmen?«
»Ach, Schatzi. Ich weiß doch, wie du drauf bist, wenn du Hunger hast. Dann wirst du doch glatt zur Zicke. Davon abgesehen hast du mir mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass du auf diesen Auftrag keinen Bock hast.« Sie kam ganz dicht an ihn heran. Sofort änderte sich Svens Mimik, und er legte seine Hände auf ihre schmalen Hüften. Dann zog er sie ganz nah an seinen Körper, sodass sie seinen Herzschlag spüren konnte.
»Ich hab auch noch einen Vorschlag für das Dessert. Etwas sehr Süßes, wenn du willst sogar mit Schlagsahne.« Sven grinste.
Bei dem Gedanken an die klebrige Masse, die er ihr vielleicht wirklich auf den Körper spritzen wollte, überkam sie ein kalter Schauer, und sie kicherte. »Wage es ja nicht, mich damit zu beschmieren.«
Während sie noch sprach, strich er ihre langen braunen Haare von der Schulter und bedeckte ihren Hals mit Küssen.
Sie wand sich in seinen Armen hin und her und lachte lauter als zuvor. »Hör auf jetzt. Ich dachte, du hast Hunger. Also komm. Wir gehen schnell zu unserem Termin, und dann kannst du deinen Heißhunger mit einem saftigen Stück Fleisch unter Kontrolle bringen.«
Er ließ sie los, und sie ging voran und hörte noch seine Worte hinter sich, die sie wieder zum Schmunzeln brachten, bevor er ihr einen Klaps auf den Hintern gab: »Oh ja, ein saftiges Stück Fleisch mag ich auf dem Teller und im Bett.