Der Ehemann - Drea Summer - E-Book

Der Ehemann E-Book

Drea Summer

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Beschreibung

Die vermisste Ehefrau.
Das blutgetränkte Bett.
Das Messer mit seinen Fingerabdrücken.
Doch ihm fehlt jegliche Erinnerung an die Tat.

»Außerdem sollen Sie ja gegenüber Ihrer Frau schon öfter gewalttätig geworden sein … Die Worte wollten nicht in Thores Hirn, nicht in seine Realität passen.«
»Ich liebe Lana mehr, als mein eigenes Leben.«

Thore Albertsen stellt sich seit seiner Festnahme in seinem Ferienhaus auf Flekkerøya immer wieder dieselben Fragen: »Wo ist meine Frau Lana?« und »Habe ich Lana wirklich getötet?«. Lana wird vermisst und etliche Indizien im Schlafzimmer sprechen für ein furchtbares Verbrechen und ihren Tod.
Aber Thore fehlt jegliche Erinnerung an die vermeintliche Tat. Schon seit Längerem plagen ihn starke Kopfschmerzen, die mit Erinnerungslücken einhergehen.
Doch immer öfter keimen in Thore selbst Zweifel an seiner Unschuld auf, und er bemerkt etwas Dunkles, das sich in seinen Erinnerungslücken verbirgt.

Ein nervenzerreißender Psychothriller aus Norwegen, der die Grenzen zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit verschwimmen lässt.

Dieses Buch ist zuvor bereits unter dem Titel Verschollene Erinnerung – Erkennst du die Wahrheit erschienen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Teil 1
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Teil 2
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Teil 3
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Teil 4
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Teil 5
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Teil 6
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Teil 7
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32
Rezept
Nachwort

Drea Summer

Der Ehemann

Über die Autorin:

 

 

Drea Summer, gebürtige Österreicherin, lebte im schönen Südburgenland. Sie begann ihre Schreibkarriere mit der Auswanderung nach Gran Canaria vor mehr als vier Jahren. Die »Insel des ewigen Frühlings« inspiriert sie, schaurige und blutige Geschichten, die in ihrem Kopf herumspuken, niederzuschreiben.

Über das Buch:

 

Die vermisste Ehefrau.

Das blutgetränkte Bett.

Das Messer mit seinen Fingerabdrücken.

Doch ihm fehlt jegliche Erinnerung an die Tat.

 

»Außerdem sollen Sie ja gegenüber Ihrer Frau schon öfter gewalttätig geworden sein … Die Worte wollten nicht in Thores Hirn, nicht in seine Realität passen.«

»Ich liebe Lana mehr, als mein eigenes Leben.«

 

Thore Albertsen stellt sich seit seiner Festnahme in seinem Ferienhaus auf Flekkerøya immer wieder dieselben Fragen: »Wo ist meine Frau Lana?« und »Habe ich Lana wirklich getötet?«. Lana wird vermisst und etliche Indizien im Schlafzimmer sprechen für ein furchtbares Verbrechen und ihren Tod.

Aber Thore fehlt jegliche Erinnerung an die vermeintliche Tat. Schon seit Längerem plagen ihn starke Kopfschmerzen, die mit Erinnerungslücken einhergehen.

Doch immer öfter keimen in Thore selbst Zweifel an seiner Unschuld auf, und er bemerkt etwas Dunkles, das sich in seinen Erinnerungslücken verbirgt.

 

Ein nervenzerreißender Psychothriller aus Norwegen, der die Grenzen zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit verschwimmen lässt.

 

Dieses Buch ist zuvor bereits unter dem Titel Verschollene Erinnerung – Erkennst du die Wahrheit erschienen.

 

 

Drea Summer

Der Ehemann

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Mai © 2024 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektor: Sascha Rimpl – https://www.lektorat-textflow.com/

Korrektorat: Rebekka Maria Peckary – www.federnote.at

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

 

 

 

 

 

 

Teil 1

 

Gegenwart – Bin ich schuldig?

1

 

Die Polizisten hatten Thore aus seinem Ferienhaus auf der norwegischen Insel Flekkerøya nahe Kristiansand hinausgezerrt wie einen Schwerverbrecher. Die Handschellen bissen in seine Haut. Sein Atem kondensierte zu kleinen Wölkchen, als die Beamten ihn in Richtung des Polizeiautos führten. Überall sah er Streifenwagen stehen. Das Blaulicht blitzte so hell, dass er seine Augen zusammenkneifen musste. Er hoffte, dass er jeden Moment aus seinem persönlichen Albtraum aufwachen würde. Hilfesuchend schaute er sich um und erkannte die Eheleute Berthelsen, die sich vor ihrem Haus mit einem Uniformierten unterhielten. Sie waren die Nachbarn von Lana und Thore Albertsen und teilten sich gemeinsam einen Bootssteg.

Obwohl Thore bei den eisigen Temperaturen nur mit einem Pullover und Jeans bekleidet auf der Straße stand und seine Haare noch feucht von der Dusche waren, bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Wie ein heißer Schauer durchfuhr es ihn. Schneeflocken schmolzen auf seinem Gesicht, und der aufkommende Wind hinterließ eine Gänsehaut. Er zitterte. Für einen kurzen Moment schloss er seine Augen, wünschte sich, dass er erwachte. Schreiend erwachte. Doch der Albtraum hielt an.

Mit festem Griff umfasste eine Hand seinen Oberarm, drängte Thore in das Polizeiauto. Augenblicke später saß er auf dem Rücksitz, und nur eine Frage manifestierte sich in seinem Hirn: Was ist hier bloß los?

Er starrte aus dem Fenster auf das Haus, das er gemeinsam mit seiner Ehefrau Lana vor nicht einmal einem halben Jahr gekauft hatte. Das weiße Holz der Außenfassade benötigte dringend einen Anstrich. Obwohl Lana sich bei ihm schon vor drei Monaten über seine Nachlässigkeit beschwert hatte, hatte er es geschafft, sie auf den Sommer zu vertrösten.

Seine Gedanken drifteten weit ab. An den Tag, als er dieses Schätzchen entdeckt hatte. Wobei es vermutlich Schicksal gewesen war, dass der ehemalige Besitzer Arne Olsen in Thores Maklerbüro kam. Obwohl Oslo gut und gerne vier Stunden vom Örtchen Skålevik auf Flekkerøya entfernt lag, war Olsen zu ihm gekommen. Er, Thore Albertsen, war der Beste in seiner Branche. Mit seinen einundfünfzig Jahren hatte er geschafft, wovon die meisten nur träumen konnten. Er hatte mehr Geld, als er auszugeben vermochte, einige Immobilien selbst gekauft und teuer vermietet und ein wenig Glück an der Börse gehabt. Zu ihm kamen nur die Kunden, die interessante Objekte im Angebot hatten. Denn er war wählerisch und nahm nur lukrative Immobilien in sein Portfolio auf. Ihm hatte der Atem gestockt, als Arne Olsen ihm die Fotos von seinem Haus gezeigt hatte. Thore wusste, dieses Ferienhaus war genau das, was er und Lana schon so lange gesucht hatten. Und so fackelte er nicht lange, sondern machte Olsen noch in derselben Stunde ein großzügiges Angebot. Zuerst war Olsen etwas irritiert, dass er ihm sein Haus abkaufen wollte, ohne es vorher besichtigt zu haben. Doch als Thore ihn darüber aufklärte, dass er und Lana in gut zwei Wochen ihren ersten Hochzeitstag hatten, war jeglicher Zweifel vom Tisch. Natürlich hatte das Ferienhaus ein paar norwegische Kronen mehr gekostet, als er ursprünglich hatte ausgeben wollen, und doch tat er es für Lana. Für die Liebe seines Lebens.

Plötzlich wurde die Autotür aufgerissen, und Thore war wieder im Hier und Jetzt angelangt. Ein schmächtiger Mann, vielleicht an die eins siebzig groß, bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick. »Ich bin Oberkommissar Håkon Larsen. Kripos.«

Scheiße, fuhr es wie ein Blitz durch Thores Hirn. Die Kripos, die Spezialeinheit der Kriminalpolizei, ist hier! Wieso?

»Was … was ist mit Lana?«, sprudelte es aus Thores Mund.

»Das sollten Sie wohl mir beantworten. Meinen Sie nicht?«

In diesem Moment stürmten vier Männer an dem Streifenwagen vorbei. Alle bekleidet mit Neoprenanzügen. Thore stockte der Atem. Die glauben doch nicht ernsthaft …

»Ich habe nichts getan!«, schrie Thore. »Lana ist verschwunden, und das ganze Blut … ich weiß nicht … ich kam doch vom Joggen … und gefunden …« Immer wieder verschluckte er Worte, da seine Kehle ausgetrocknet wie ein Flussbett im Hochsommer war.

»Sagen Sie mir einfach, wo Ihre Ehefrau ist. Haben Sie ihre Leiche in den Fjord geworfen? Stehen Sie unter Drogeneinfluss? Haben Sie etwas eingenommen?«

»Ich … ich hab ihr nichts getan. Sie müssen mir glauben!«

2

 

Polizeioberkommissar Håkon Larsen knallte die hintere Wagentür zu und blies scharf die Luft aus seinen Lungen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Heute war nicht sein Tag. Zuerst seine Ehefrau, die ihn schon beim morgendlichen Kaffee wieder wegen eines Urlaubs im sonnigen Süden belabert hatte. Dann die Unterredung mit seinem Chef knapp zwei Stunden später, der ihn – wie schon so oft – belehrt hatte, dass er seine zugewiesenen Fälle auch in der vorgegebenen Zeit lösen und sich nur auf die Fakten fokussieren solle. Und doch war es für Håkon wichtig, auch in der Vergangenheit jedes Verdächtigen zu wühlen und unzählige Vernehmungen zu führen, wovon ungefähr achtzig Prozent ins Leere liefen. Aber es gab noch die restlichen zwanzig Prozent, die ihn auf die richtige Spur brachten. Er wollte die ganze Wahrheit erfahren und nicht nur Bruchstücke davon. Hätten die Polizisten damals auch so gehandelt, dann wären seine Eltern vielleicht noch am Leben. Er seufzte.

Und nun saß dieser Thore Albertsen im Streifenwagen und behauptete, nichts getan zu haben. Aber natürlich. Das behaupteten anfangs alle. Es kam nicht selten vor, dass Håkon einem Mörder gegenübersaß, der trotz zwei Meter Körpergröße und genauso viel Muskelmasse wie Hulk tränenüberströmt seine Tat beichtete. Oder auch damit triumphierend angab.

Aber schon seit Håkon das erste Mal die Polizeiuniform angezogen hatte, wollte er nur eines: der Spezialeinheit Delta angehören. Das bedeutete nicht nur, dass er mehr Kronen verdienen würde und endlich sein Scharfschützentraining absolvieren konnte, vielmehr ging es ihm darum, Terroranschläge zu verhindern und die Drahtzieher dahinter zu finden und dorthin zu bringen, wo sie hingehörten. Sicher verwahrt in eine Einzelzelle. Lebenslang. Doch nach der erschütternden Diagnose des Arztes vor zwei Monaten, als bei ihm Diabetes Typ zwei festgestellt worden war, war dieser Traum wie eine Seifenblase zerplatzt. Dabei war die Einzige, die diese Krankheit hatte, seine Urgroßmutter mütterlicherseits gewesen. Und nicht einmal das galt als bewiesen. Allein bei den Worten »genetische Veranlagung« bekam er das Kotzen. Warum traf es ausgerechnet ihn? Er, der auf seinen Körper achtete wie auf einen Schatz. Sich ausgewogen ernährte und sogar Entspannungsübungen machte, damit der Stress seiner Arbeit ihm nichts anhaben konnte. Håkon verstand es nicht, wieso das Schicksal es einfach nicht gut mit ihm meinte.

Und die Krönung des Ganzen war, was ihn wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht getroffen hatte, als sein Vorgesetzter ihm seine Dienstwaffe abgenommen hatte. Schließlich wäre er aufgrund einer möglichen Unterzuckerung eine Gefahr für sich selbst und auch für andere.

Er kam aus seinen Gedanken zurück, als seine Kollegin Olivia ihn zu sich winkte. Missmutig stapfte er auf sie zu und hielt vor dem Treppenabsatz zum Ferienhaus der Albertsens an.

»Håkon, was sagt unser Verdächtiger?«

»Dass er es nicht war. Wie immer halt.«

»Also, im Schlafzimmer deutet alles auf einen Kampf hin«, sagte Olivia. »Aber es gibt keinerlei Einbruchspuren. Weder an den Fenstern noch an den Türen. Unser Täter muss einen Schlüssel gehabt haben, oder Frau Albertsen hat ihn freiwillig ins Haus gelassen.«

»Wurde die Frau schon gefunden?«, fragte Håkon.

»Nein. Du hast ja selbst gesehen, dass die Taucher einen Teil vom Fjord absuchen. Aber bei der Menge Blut glaub ich nicht, dass wir sie noch lebend finden.«

»Ich möchte mir das Schlafzimmer ansehen. Sind die von der Spurensicherung schon fertig?«

Olivia schüttelte den Kopf und reichte ihm Überzieher für seine Schuhe. Håkon nahm einen der weißen Overalls vom Stapel vor der Haustür, schlüpfte hinein, befestigte die Überzieher über seinen Schuhen und ging ins Haus.

Schon im engen Vorraum konnte er den metallischen Geruch riechen, gepaart mit einem Männerparfüm. In dem Häuschen wimmelte es nur so von weiß gekleideten Personen, die jedes noch so kleine Fitzelchen in eine durchsichtige Tüte steckten.

Gleich darauf hatte er das Schlafzimmer erreicht. Er blieb in der Tür stehen und ließ den Raum auf sich wirken. Anhand des Spritzmusters an der Wand hinter dem Bett musste der Täter auf Frau Albertsen von oben herab eingestochen haben. Mehrmals, wie die verschiedenen Richtungen der Blutspritzer zeigten. Er notierte sich das in seinem Kopf, um später den Kriminaltechniker danach zu fragen. Anhand der Höhe des Musters konnte ein Fachmann schon vieles herauslesen. Die Größe des Angreifers zum Beispiel.

Er schaute auf den Boden. »Hier sind keine Schleifspuren. Unser Täter muss die Leiche getragen haben. Wenn hier keine Blutströpfchen auf dem Boden sind, dann wurde sie vermutlich in etwas eingewickelt. Wobei – es sind beide Bettdecken vorhanden. Somit gehe ich von einem Teppich aus. Das sollten wir den Ehemann fragen, ob es im Haus Teppiche gegeben hat. Ansonsten hat der Täter vielleicht eine Art Plane mitgebracht. Das wäre dann auf jeden Fall vorsätzlicher Mord.« Håkon drehte sich zu einem Kollegen um und sagte: »Bitte diesen gesamten Bereich mit Luminol einsprühen. Dann sehen wir gleich, ob hier weitere Spuren sind, die weggewischt wurden. Ich muss wissen, ob unser mutmaßliches Opfer aus dem Zimmer geflüchtet ist oder rausgeschleift wurde. Wenn keine Spuren da sind, können wir davon ausgehen, dass sie nicht mehr gelebt hat, als sie das Zimmer verlassen hat.«

Der Mann in Weiß nickte, und Håkon verließ das Zimmer. Er sah sich in dem Ferienhäuschen weiter um. Olivia folgte ihm.

»Einbruchdiebstahl mit Todesfolge schließe ich vorerst aus. Im Rest des Hauses ist alles ordentlich«, sagte Håkon und trat in das nächste Zimmer ein. Allem Anschein nach war es das Lesezimmer des Ehepaares. Nur einen Atemzug später zeigte er auf die rechte Seite des Raumes. »Vielleicht hat da ja jemand Fachliteratur gelesen und kam auf die Idee, es selbst mal zu probieren. Der Raum scheint in zwei Bereiche geteilt zu sein. Und diese Seite ist mit Sicherheit die von Herrn Albertsen.«

»Ach, komm«, sagte Olivia. »Das ist schon ein wenig weit hergeholt, findest du nicht? Nur weil der Ehemann Krimis und Thriller liest, heißt das nicht, dass er seiner Ehefrau etwas angetan hat.«

»Es beweist auch nicht das Gegenteil. Er wäre nicht der Erste, der nach Buchvorlage tötet. Erinnere dich an den Fall des Niederländers, der als Autor sogar selbst das Buch über den Mord an seiner Frau geschrieben hat. Diese Leute sind einfach krank im Kopf.«

»Aber unser Verdächtiger ist kein Autor, sondern Immobilienmakler.«

»Das schließt diese These trotzdem nicht aus. Wir brauchen einen schnellen DNA-Abgleich vom Blut im Bett mit der DNA der Ehefrau. Erst dann können wir Herrn Albertsen befragen.«

»Das dauert mindestens acht Stunden. Vor morgen früh haben wir da kein Ergebnis.« Olivia legte ihre Stirn in Falten.

»Du hast recht«, erwiderte Håkon. »Finde du bitte heraus, wer der Hausarzt von Frau Albertsen ist und welche Blutgruppe sie hat. Wenn diese übereinstimmt, dann haben wir schon mal einen konkreteren Anhaltspunkt, mit dem wir arbeiten können.«

Olivia deutete auf einen Bereich am Boden. »Hier könnte ein Teppich gelegen haben, meinst du nicht? Der mittlere Bereich ist heller als der Boden im restlichen Zimmer. Auch hiervon werden wir Fotos brauchen.«

Håkon nickte und kaute auf seiner Unterlippe. »Hier könnte er gelegen haben, das stimmt. Aber würde ein Täter, wenn er den Teppich unter den Sesseln hervorzieht, diese auch wieder ordentlich hinstellen? Hier deutet nichts darauf hin, dass etwas in diesem Raum bewegt wurde. Das ist sehr merkwürdig, oder?«

»Also, wenn ich etwas vertuschen möchte, dann stell ich alles wieder zurück, wie es war. Schließlich soll doch alles normal aussehen.«

Håkon nickte zustimmend.

 

 

3

 

Thore saß schon seit gefühlten Stunden in der Polizeistation in Kristiansand. Ein modernes Gebäude, mehr als zehn Stockwerke hoch. Alles in Weiß und Grau. Außen wie innen. Gänge, die elendslang durchs Gebäude gingen. Unzählige Türen.

Thore trank den letzten Schluck von seinem Wasser. Er hoffte inständig, dass bald jemand kam, der sich bei ihm für dieses … Missverständnis entschuldigte. Es konnte sich alles nur um einen Irrtum handeln, um einen verdammt schlechten Scherz. Er soll seiner Ehefrau etwas angetan haben! Ausgerechnet er, der nicht einmal eine Spinne töten konnte, die sich ins Haus verirrt hatte.

Der Raum, in den man ihn gebracht hatte, war vielleicht drei mal drei Meter groß. Ein Tisch, an dem seine Handschellen in eine Vorrichtung, die auf der Tischplatte befestigt war, eingeklickt worden waren. Drei Stühle. Ein Spiegel, vermutlich ein venezianischer Spiegel – zumindest dachte sich Thore das, wenn er hineinschaute. Wer da wohl auf der anderen Seite stand und ihn intensiv beobachtete? Wartete, bis er einen Fehler machte …

Er sah sich selbst und erschrak über sein desolates Erscheinungsbild. Seine schwarzen Haare standen strubbelig von seinem Kopf ab. Heute hatte er vergessen, sich direkt nach der Dusche das Haar zu gelen und es streng nach hinten zu kämmen. Unter seinen braunen Augen hatten sich tiefe Schatten gebildet, kein Wunder bei den Kopfschmerzen, die ihn schon seit Wochen immer wieder heimsuchten. Sein kantiges Gesicht wies mehr Falten auf als sonst. Er sah genau so aus, wie er sich fühlte. Ausgelutscht wie eine Zitrone zum Tequila. Er sollte sich dringend von einem Arzt untersuchen lassen. Lana hatte auf eine Mangelerscheinung wichtiger Vitamine oder Mineralstoffe getippt, die aufgrund seines Alters seinen Körper wohl ausgeprägter auslaugte.

Lana! Es war wie eine Welle, die ihn mit einem Mal überrollte und mit sich in die Tiefe riss, als er an sie dachte. Wo bist du? Was ist passiert?

»Kommt denn bald jemand?«, zischte er der unbekannten Person hinter dem Spiegel entgegen. »Verdammt noch mal! Wo ist meine Ehefrau? Was ist hier los? Warum werde ich festgehalten?« Er schrie die letzten Worte heraus und zuckte zusammen. Er fühlte sich müde. Die Kopfschmerzen, die sich anfangs nur mit einem leisen Pochen hinter den Schläfen angekündigt hatten, verwandelten sich zu einem stechenden Schmerz, der die gesamte Stirn vereinnahmte.

Und tatsächlich erschien nur wenige Minuten später Oberkommissar Larsen im Türrahmen. Gefolgt von einer Kollegin in Uniform, die Thore schon vor seinem Ferienhaus gesehen hatte. Larsen räusperte sich, dann zog er den Stuhl unter dem Tisch hervor. Ein quietschendes Geräusch erklang, und es war wie Schnitte mit einem Messer, die sich mitten in sein Hirn bohrten. Thore schloss seine Augen und versuchte, den Schmerz zu ignorieren.

»Also, Herr Albertsen. Wollen Sie mir nun erzählen, was passiert ist?«

Thore öffnete seine Augen und schaute in das fragende Gesicht, das ihn anstierte. »Ich habe nichts gemacht. Vielleicht wurde sie entführt, und der Täter erreicht mich nicht, weil Sie mein Handy haben. Das wiederhole ich schon zum mindestens hundertsten Mal. Wie oft wollen Sie mich noch fragen, was passiert ist?«

»So lange, bis Sie mir die Wahrheit sagen. Also, Sie sind heute gegen dreizehn Uhr mit Ihrer Ehefrau im Ferienhaus angekommen. Was ist danach passiert?«

Thore schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. Wie oft musste er die Geschichte noch erzählen? »Ich hab das alles bereits Ihrer Kollegin gesagt. Aber gut, ich erzähle es Ihnen noch einmal. Dann will ich endlich wissen, wo meine Frau ist! Oder zumindest, ob ein Anruf auf meinem Handy eingegangen ist. Schließlich wird der Entführer meiner Frau Lösegeld wollen. Also …«

 

Es war mittags gewesen, als er mit Lana am Ferienhaus angekommen war. So wie jeden zweiten Freitag fuhren sie nach Skålevik bis einschließlich Montag. Als er Lanas schweren Koffer aus dem Kofferraum seines BMWs holte, fragte er sich – wie schon etliche Male zuvor –, wieso sie so viel frische Kleidung einpackte, wenn sie doch hier komplett eingerichtet waren. Lana schlang ihren roten Mantel fester um ihren schlanken Körper, als auch sie aus dem Auto ausstieg. Ihre langen blonden Haare verschwanden fast vollständig unter der ebenfalls roten Mütze, die sie soeben aufsetzte. Für Lana war es einfach wichtig, immer top gekleidet zu sein, ebenso verließ sie niemals ungeschminkt das Haus. Thore bewunderte den natürlichen Touch, der ihre großen Augen in Szene setzte. So wie heute auch. Trotz der Sonne, die vom Himmel strahlte, war es bitterkalt, und ein eisiger Wind blies ihr ins Gesicht, sodass sich ihre Wangen sofort rot färbten.

»Ach, was freue ich mich heute auf unseren Whirlpool! Kümmerst du dich darum, dass es ordentlich heiß ist? Vielleicht gehen wir dann auch in die Sauna. Was meinst du?« Lana zwinkerte ihm zu und griff nach dem Beutel, in dem die Lebensmittel verstaut waren.

»Natürlich, mein Schatz«, sagte Thore. »Ich kontrolliere das gleich, wobei Jo Magnus sich mit Sicherheit darum gekümmert hat. Er bereitet doch immer alles fürs Wochenende vor. Ich werde dann direkt im Anschluss eine Runde am Fjord entlangjoggen. Ja?«

Gemeinsam gingen sie zum Häuschen, und Lana schloss die Eingangstür auf.

»Okay. In der Zwischenzeit bereite ich uns Fiskekaker zu«, sagte sie. »Dazu gibt es Kartoffeln.«

Thore lief das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken daran, dass er direkt nach dem Joggen eine Fischfrikadelle auf den Tisch bekam. Eine seiner Lieblingsspeisen, gekocht von seiner Lieblingsköchin. Sie war in seinen Augen die perfekte Ehefrau und Liebhaberin in einer Person. Seelenverwandt.

Er stellte den Koffer im Eingangsbereich des Ferienhauses ab und hängte seine Jacke am Garderobenständer des kleinen Vorzimmers auf. Sofort schlug ihm die wohlige Wärme ins Gesicht, und er hörte das Knistern der Holzscheite im offenen Kamin, der im Wohn- und Esszimmer stand. Lana verschwand in der Küche.

Thore lächelte, als er daran dachte, wie sie sich vor ihrem Einzug vehement gegen eine weiße Küche gewehrt hatte. Somit hatte er ihr allein die Planung der Küche überlassen. Das helle Holz mit den Asteinschlüssen passte perfekt zu dem weißen Raum, das musste Thore zugeben. Lanas Händchen für Ästhetik war beeindruckend. Und doch hatte er sich bei seinem Side-by-side-Kühlschrank aus Edelstahl durchgesetzt. Jeder bekam, was ihm wichtig war. Nur so funktionierte eine perfekte Beziehung.

Er schritt durch das Wohnzimmer, das ebenso wie die Außenfassade mit einer weißen Holzvertäfelung an den Wänden ausgestattet war. Ging vorbei an dem Ledersofa, das genau gegenüber dem riesigen Fernseher stand, auf dem Lana und er gemeinsam Sport sahen. Natürlich verfolgten sie den Skilanglauf-Weltcup. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn es möglich war, lief Sport. Er schob die blau-weiß geblümten Vorhänge zur Seite.

Einen Moment blieb er stehen und genoss die Aussicht durch die Fensterfront. Ein Ferienhaus direkt am Fjord mit Bootsanlegestelle. Schon sein ganzes Leben hatte er davon geträumt. Stolz floss durch seine Adern bei der wundervollen Umgebung. Schade, dass Lana und er diesen Ausblick nicht immer genießen konnten. Doch ihre berufliche Situation ließ das im Moment einfach nicht zu. Noch nicht.

Der Blick auf die kahlen Felsen, die mit Schnee angezuckert waren, hatte auf ihn schon immer eine starke Faszination ausgeübt. Bereits als Kind war er mit seinem Vater und seinem zwei Jahre jüngeren Bruder zum Angeln hierhergefahren, obwohl das Boot damals eher einer Nussschale ähnlich sah als einem Fischerboot. Vermutlich hätte er heute keinen Fuß mehr dort hineingesetzt. Und doch war es damals immer aufregend gewesen, im Sommer in die Fjorde zu fahren, auf den Felsen zu spielen, die links und rechts die Bucht abgrenzten, und im Wasser zu baden. Das Angeln war für ihn tatsächlich Nebensache gewesen. Von ihrem Vater hatten er und sein Bruder alles beigebracht bekommen, was man über die Lieblingsbeschäftigung der Norweger wissen musste. Jeden Trick, jeden Kniff. Vater wäre vor einem Jahr so stolz auf ihn gewesen, als er einen elf Kilo schweren Wildlachs aus der Flåm gezogen hatte.

Thore öffnete die Terrassentür und ging auf den Whirlpool zu, der auf einem kleinen Podest auf der linken Seite stand. Das Thermometer zeigte ihm warme achtunddreißig Grad an.

Sehr gut. Danke, Jo Magnus. Du bist jede Krone wert, dachte er.

Ein prüfender Blick auf die rechte Seite der Terrasse zeigte ihm, dass Jo Magnus auch an einen Stapel Handtücher gedacht hatte. Zufrieden ging er ins Haus und zog sich fürs Joggen um. Seine Kleidung lag, wie immer, frisch gewaschen auf der hellen Vollholzbank im Esszimmer. Lana war eben ein Goldschatz!

Bevor er das Haus verließ, lugte er in die Küche. Lana hatte ihm den Rücken zugedreht und seine Anwesenheit noch nicht bemerkt. Leise summte sie ein Lied und schnitt den Fisch in kleine Stückchen. Ein wunderbares Aroma breitete sich in seiner Nase aus und ließ seinen Magen knurren. Er räusperte sich, damit Lana ihn bemerkte und nicht erschrak, wenn er sogleich seine Arme um ihre schmalen Hüften schlang und sie am Hals küsste. Sie lächelte, und ein kleines Grübchen bildete sich an ihrer Wange. Wie sehr er es liebte! Wie sehr er sie liebte! Mit Worten kaum zu beschreiben.

»Lass das, Thore. Das kitzelt.« Sie wand sich aus seiner Umarmung.

»Ich lauf dann mal los. Bin in einer Stunde wieder da.«

Lana gab die Fischstückchen in die Schüssel zu dem darin befindlichen Ei und dem Paniermehl. »Viel Spaß. Ich liebe dich.« Sie drehte sich zu ihm um und küsste ihn innig. Dabei hielt sie ihre Hände weit weg von seinem Körper, um nicht seine Kleidung mit ihren fischigen Fingern zu berühren. Sie dachte eben immer an alles.

»Ich liebe dich auch«, hauchte er und löste seine Arme von ihr. Er freute sich jetzt schon auf den gemeinsamen Abend, an dem sie eng aneinandergekuschelt auf dem Sofa liegen und fernsehen würden.

Gerade zog er seine Sportschuhe an, die auf der Terrasse standen, da sah er seinen Nachbarn Ragnar Berthelsen, der wie immer um diese Zeit auf seiner Veranda stand und eine Zigarre rauchte. Grüßend hob Thore seine Hand in die Höhe, Ragnar erwiderte den Gruß und zog wieder genussvoll an seiner Zigarre. Seine Frau Hilde hasste diesen penetranten Geruch im Haus. Ragnar und Hilde waren schon des Öfteren zu Gast bei ihnen gewesen. Sie waren ein nettes Ehepaar, beide an die sechzig, auch wenn sie ein wenig altmodisch eingestellt waren. Sie hatten ihn und Lana anfangs aufgrund des Altersunterschiedes von zwanzig Jahren schief angesehen. Es schickte sich einfach nicht, dass ein Mann über fünfzig mit einer viel jüngeren Frau zusammen war. Doch nach einer gemeinsamen Flasche des besten Rotweins, den Thore sündhaft teuer erstanden hatte, tauten die beiden schlussendlich doch auf, und seitdem trafen sie sich immer einmal abends, wenn Lana und Thore im Ferienhaus waren.

Es war schneidend kalt, und doch war er froh, dass es zumindest derzeit nicht schneite. Soeben joggte er durch den kleinen Wald, der sich direkt im Anschluss an sein Grundstück erstreckte. Er folgte dem schmalen Pfad, der sich vom felsigen Untergrund abzeichnete, lief einige Minuten die Küste entlang bis zu der Brücke, die die Insel Flekkerøya mit der Insel Paulens Geiderøy verband. Er lief dort gerne seine Strecke, denn diese Insel war nicht bewohnt, und somit war er mit seinen Gedanken völlig allein und konnte die Natur genießen. Bis auf wenige Bäume und Gebüsch gab es dort nichts.

Unter seinen Sportschuhen knirschten die losen Steine. Er dachte über den bevorstehenden Besichtigungstermin am Dienstag nach. Der Kunde war schwerreich und wünschte sich alle möglichen Annehmlichkeiten in seiner neuen Wohnung direkt in Oslo. Er war eine harte Nuss, doch auch die würde Thore knacken. Er überlegte, welche Firma er wohl mit der Sanierung beauftragen sollte, und so machte er sich in seinem Kopf schon Notizen. Der Schweiß rann ihm die Stirn hinunter, und ganz kurz dachte er, er müsste sich übergeben. Vermutlich lag es an der Unterzuckerung, da er am heutigen Tag noch nicht die Zeit gefunden hatte, etwas zu essen.

Noch völlig außer Atem betrat er die Veranda des Ferienhauses. Es hatte gutgetan, sich auszupowern. Leider fand er unter der Woche selten Zeit dafür. Er zog seine Schuhe vor der Terrassentür aus und betrat das Ess-Wohnzimmer. Der Tisch war bereits gedeckt, eine lilafarbene Kerze, die in einem weißen Kerzenständer steckte, stand in der Mitte. Sein Wasserglas befand sich noch auf dem Esstisch, und mit einem Schluck trank er es leer.

Es war ungewöhnlich still hier. Keine Geräusche erklangen aus der Küche. Kein Klappern der Teller, kein Rühren in den Töpfen, kein Brutzeln in der Pfanne. Verwundert blickte er in den Raum. Es fehlte der Essensgeruch, und auch Lana war nicht da.

»Lana?«, rief er.

Aber sie antwortete ihm nicht. Vermutlich war sie im Lesezimmer und wartete dort auf ihn. Vielleicht hatte er auch länger gebraucht, als er gedacht hatte. Sein Magen grummelte wieder. Er musste dringend etwas zu sich nehmen und konnte nicht warten, bis das Essen fertig gekocht wurde. Somit holte er sich die Zutaten für einen grünen Smoothie aus dem Kühlschrank. Dann nahm er sich aus der Obstschale auf der Arbeitsplatte eine Banane und einen Apfel. Die Banane schälte er und gab sie in den Standmixer. Er viertelte den Apfel, entkernte ihn und gab ihn zusammen mit einer halben Avocado, die er sich aus dem Kühlschrank geholt hatte, ebenfalls in den Mixer. Schnell presste er eine Orange direkt hinein, und darauf kam noch eine Handvoll Spinat. Er wollte gerade den Deckel schließen, aber im letzten Moment fiel ihm ein, dass er noch Wasser dazugeben musste. Ein lautes Summen ertönte, als er die Maschine einschaltete.

Noch während er ins Badezimmer ging, zog er sich sein Sportshirt über den Kopf, das er gleich darauf in den Wäschekorb fallen ließ. Keine Minute später trommelte das warme Wasser auf seine Haut, und es fühlte sich an wie eine kleine Massage, die wohltuende Energie zurückbrachte.

---ENDE DER LESEPROBE---