Teufel-Graf-Krimi-Sammelband: Der Nordseeritzer, Der Tarotkartenmörder, Der Puppenkünstler, Der Familienvater - Drea Summer - E-Book

Teufel-Graf-Krimi-Sammelband: Der Nordseeritzer, Der Tarotkartenmörder, Der Puppenkünstler, Der Familienvater E-Book

Drea Summer

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Beschreibung

***BAND 1-4 DER HOCHSPANNENDEN TEUFEL-GRAF-KRIMI-REIHE IN EINEM SAMMELBAND***

Band 1: Der Nordseeritzer

Ein Mann springt vor den Augen von Kriminalkommissar Jan Graf von den Klippen des Roten Kliffs auf Sylt. Es war kein Selbstmord, so viel steht schnell fest.
Ein altes Foto im Haus des Opfers bringt die beiden Ermittler auf die Spuren längst vergessener Taten. Doch die Zeit drängt, denn während sie mit den Ermittlungen beschäftigt sind, ist schon das nächste Opfer in das Visier des Verbrechers geraten

Band 2: Der Tarotkartenmöder

Stefanie Teufels Halbschwester, die über die ermordeten Frauen für eine Tageszeitung berichtet, erreicht eine mysteriöse Nachricht, in der sie von dem Täter bedroht wird. In dem Schreiben werden weitere Opfer erwähnt, die bisher noch nicht gefunden wurden. Das Ermittlerduo Stefanie Teufel und Jan Graf nimmt die Drohung ernst und beginnt mit den Ermittlungen.
Doch der Täter ist der Polizei immer einen Schritt voraus. Als erneut eine Frau entführt wird, geraten die beiden Ermittler in einen tödlichen Strudel aus Fanatismus und Wahnsinn.
Band 3: Der Puppenkünstler

Ein Jogger findet auf einer Friedhofsbank in Niebüll eine Frauenleiche. Die Tote ist geschminkt und angezogen wie eine Puppe. Sofort sehen die Ermittler Stefanie Teufel und Jan Graf ein ähnliches Tötungsmuster wie bei dem grausamen Serienmörder, der vor einem Jahr sein Unwesen trieb und erfolgreich hinter Schloss und Riegel gebracht werden konnte – dem Puppenkünstler!
War der Inhaftierte wirklich nicht der wahre Mörder, so wie er es behauptet hat? Oder treibt ein Nachahmungstäter sein Unwesen?
Noch während die beiden Ermittler Parallelen zu den alten Fällen ziehen, hat der Täter das nächste Opfer in seinen Fängen

Band 4: Der Familienvater

Stefanie Teufel und Jan Graf stehen vor einem Rätsel, als sie in das Haus der Familie Krauss in Bredstedt eintreten. Die Ehefrau und Mutter hängt leblos von der Wohnzimmerdecke. Die Kinder sitzen tot am gedeckten Esstisch. Der Ehemann und Vater ist verschwunden.
Bereits vor fünf Jahren gab es ähnliche Fälle. Zwei Familien sind einem skrupellosen Mörder zum Opfer gefallen. Die Familienväter gelten bis heute als vermisst.
Die Zeit rennt, denn wenn der Mörder seinen Zeitplan einhält, wird es in 48 Stunden wieder einen Mord an einer Familie geben, und der Täter könnte danach erneut für Jahre untertauchen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Nordseeritzer
Vorwort
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Ich bin endlich frei!
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Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen
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Die gute alte Zeit
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Ich mache dort weiter, wo ich aufgehört habe
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Der Besuch
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Hier begann alles, und hier wird es enden, um neu zu beginnen!
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Der Tarotkartenmörder
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Der Puppenkünstler
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So wie du bist, will ich niemals werden
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So wie du endest, will ich niemals enden.
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So wie du warst, werde auch ich sein.
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So wie du gestorben bist, werde ich nicht sterben.
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Der Familienvater
Ich bin die Nacht
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und der Tag
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Drea Summer

Der Nordseeritzer, Der Tarotkartenmörder, Der Puppenkünstler & Der Familienvater

Über die Autorin:

 

 

Drea Summer, gebürtige Österreicherin, lebte im schönen Südburgenland. Sie begann ihre Schreibkarriere mit der Auswanderung nach Gran Canaria vor mehr als vier Jahren. Die »Insel des ewigen Frühlings« inspiriert sie, schaurige und blutige Geschichten, die in ihrem Kopf herumspuken, niederzuschreiben.

Über das Buch:

 

Der Nordseeritzer

 

Was würdest du tun, um dein Geheimnis zu bewahren?

 

Ein Mann springt vor den Augen von Kriminalkommissar Jan Graf von den Klippen des Roten Kliffs auf Sylt. Stefanie Teufel eilt ihrem Kollegen zu Hilfe. Es war kein Selbstmord, so viel steht schnell fest. Wer hat diesen Mann in den Tod getrieben und warum?

Ein altes Foto im Haus des Opfers bringt die Ermittler auf die Spuren längst vergessener Taten. Doch die Zeit drängt, denn während sie mit den Ermittlungen beschäftigt sind, ist schon das nächste Opfer in das Visier des Verbrechers geraten.

Der Nordseeritzer ist zurück, und alles deutet darauf hin, dass er genau dort weitermacht, wo er vor Jahrzehnten aufgehört hat.

 

Der Tarotkartenmörder

 

Drei getötete Frauen – alle nackt, mit Farbe besprüht und mit einer Tarotkarte versehen. Der Täter schickt seinen Opfern vorab Nachrichten in Form von Zahlen-Buchstabenkombination, die scheinbar wahllos auf einen Karton gekritzelt wurden. Der biblische Zusammenhang wird schnell klar.

»Bist du auch ein Sünder?«

Niebüll und die Ferieninsel Sylt:

Stefanie Teufels Halbschwester, die über die ermordeten Frauen für eine Tageszeitung berichtet, erreicht eine mysteriöse Nachricht, in der sie von dem Täter bedroht wird. In dem Schreiben werden weitere Opfer erwähnt, die bisher noch nicht gefunden wurden. Das Ermittlerduo Stefanie Teufel und Jan Graf nimmt die Drohung ernst und beginnt mit den Ermittlungen.

Doch der Täter ist der Polizei immer einen Schritt voraus. Als erneut eine Frau entführt wird, geraten die beiden Ermittler in einen tödlichen Strudel aus Fanatismus und Wahnsinn.

 

Der Puppenkünstler

 

Nach einem Jahr Pause ist der Puppenkünstler wieder zurück. Wieder eine tote Frau, die hergerichtet wurde wie eine Puppe. Doch der inhaftierte Serienmörder hat sich schon vor Tagen im Gefängnis umgebracht.

»Ich habe sie getötet, weil sie nur mir gehört!«

Ein Jogger findet auf einer Friedhofsbank in Niebüll eine Frauenleiche. Die Tote ist geschminkt und angezogen wie eine Puppe. Sofort sehen die Ermittler Stefanie Teufel und Jan Graf ein ähnliches Tötungsmuster wie bei dem grausamen Serienmörder, der vor einem Jahr sein Unwesen trieb und erfolgreich hinter Schloss und Riegel gebracht werden konnte – dem Puppenkünstler!

War der Inhaftierte wirklich nicht der wahre Mörder, so wie er es behauptet hat? Oder treibt ein Nachahmungstäter sein Unwesen?

Noch während die beiden Ermittler Parallelen zu den alten Fällen ziehen, hat der Täter das nächste Opfer in seinen Fängen.

 

Der Familienvater

 

Als Tim seine Augen öffnet, befindet er sich in einem fremden Haus. Er sitzt auf einem Stuhl, seine Hände sind gefesselt, und eine Infusionsnadel steckt in seinem Handrücken. Wer sind die dunkelhaarige Frau und die beiden Teenager, die mit ihm am Tisch sitzen, gefesselt und geknebelt?

»Du bist hier, um Antworten zu geben!«, erklingt eine verzerrte Stimme. »Willkommen im Spiel, Tim, in dem es keine Gewinner geben kann.«

 

Stefanie Teufel und Jan Graf stehen vor einem Rätsel, als sie in das Haus der Familie Krauss in Bredstedt eintreten. Die Ehefrau und Mutter hängt leblos von der Wohnzimmerdecke. Die Kinder sitzen tot am gedeckten Esstisch. Der Ehemann und Vater ist verschwunden.

Bereits vor fünf Jahren gab es ähnliche Fälle. Zwei Familien sind einem skrupellosen Mörder zum Opfer gefallen. Die Familienväter gelten bis heute als vermisst.

Die Zeit rennt, denn wenn der Mörder seinen Zeitplan einhält, wird es in 48 Stunden wieder einen Mord an einer Familie geben, und der Täter könnte danach erneut für Jahre untertauchen.

 

 

Drea Summer

Der Nordseeritzer, Der Tarotkartenmörder, Der Puppenkünstler & Der Familienvater

 

Ein Teufel-Graf-Krimi

Band 1-4

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Januar © 2025 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

[email protected]

Ansprechpartner: Thomas Seidl

 

Redaktion: Sascha Rimpl – https://www.lektorat-textflow.com/

Korrektur: Anika Holtkamp

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

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Drea Summer

 

Der Nordseeritzer

 

Krimi

Vorwort

Der Wind im Haar, die raue Meeresbrise im Gesicht, der Sand, der zwischen den Zehen kitzelt, und die kreischenden Möwen, die sich von der Luftströmung tragen lassen. Doch Sylt ist mehr als das. Sylt ist ein Lebensgefühl, eine Emotion, eine Passion. Aber auch der Schauplatz eines grausamen Verbrechens, das schon vor Jahrzehnten dort seinen Anfang nahm und sich in ganz Norddeutschland ausbreitete.

1

Mittwoch, Vormittag

Sylt, Wenningstedt, Friseursalon Anders

 

Steffis Handy spielte leise die Melodie Don’t worry, be happy von Bobby McFerrin in ihrer Handtasche. Sie saß auf einem pinken Friseurstuhl und betrachtete zufrieden ihre nassen, knallroten Haare im Spiegel. Ja, diese äußerliche Veränderung war dringend notwendig gewesen. Nach der Trennung von ihrem langjährigen Freund vor einem Monat hatte sie sich schon neue Kleidung gegönnt, ihre komplette Wohnung umgeräumt, und nun änderte sie auch ihre Haarfarbe. Von Straßenköterblond mit vereinzelten grauen Haaren zu stechendem Rot. Schon jetzt fühlte sie sich wie ein anderer Mensch. Das lag auch an ihrem neuen, olivgrünen Kleid mit den glitzernden Ornamenten, das sie heute trug. Anna, die Friseurin, die gleichzeitig ihre beste Freundin war, begann soeben, Steffis Haare zu föhnen.

»Warum muss er ausgerechnet jetzt anrufen?«, sagte Steffi. »Kann ich nicht mal ein paar Stunden meine Ruhe haben? Ich habe heute frei! Nach sechs anstrengenden Diensten muss ich mich auch mal um mich selbst kümmern dürfen. Anscheinend hat das auf dem Polizeirevier noch keiner verstanden. Und mein lieber Kollege Jan erst recht nicht.« Die Melodie verstummte.

»Ich verstehe nicht, warum du Jan ausgerechnet diesen Klingelton zugeordnet hast. Wäre nicht die Filmmusik von Miss Marple besser gewesen? Ich meine, er benimmt sich ja wie sie. Steckt überall seine Nase rein und misstraut ja wirklich jedem.« Annas grüne Haare wippten mit der Bewegung ihrer Hand. Schon immer hatte sie die außergewöhnlichsten Frisuren gehabt, von den Farben ganz zu schweigen. Die wechselte sie so oft wie andere ihre Unterwäsche. Derzeit trug sie ihre Haare auf der rechten Seite komplett abrasiert, und die Haare auf der linken reichten bis zur Schulter.

»Ich finde, ›be happy‹ passt sehr gut zu ihm und zu meiner momentanen Gefühlswelt. Seit der Trennung von Ralf fühle ich mich befreit. Ich meine, nicht falsch verstehen, er war ein toller Kerl, groß, sportlich, aber er hat mir immer vorgeworfen, ich sei zu chaotisch. Bei ihm musste immer alles Monate im Voraus geplant werden. Niemals war es möglich, etwas spontan zu entscheiden. Alles musste bis ins kleinste Detail besprochen werden, zermahlen zu einer feinen Substanz, damit er diese verdauen konnte. Und als er dann zu mir sagte, dass mit meinen einundvierzig Jahren die biologische Uhr schon sehr laut tickt … Boah, ich dachte wirklich, er will mich verarschen. Ich mag Babys, möchte auch selbst Mutter sein, aber muss das wirklich auch genau geplant werden? Darf das nicht einfach passieren? Und als er mir dann noch eröffnet hat, dass ich mit meinem vorlauten Mund und meinem Chaotentum niemals Mutter werden kann … da wusste ich: Ein Baby kommt mir keines ins Haus. Zumindest nicht von ihm. Aber ich hab Lucy. Sie ist mein Baby, und ich kann sehr gut für sie sorgen.«

»Du kannst doch eine Katze nicht mit einem menschlichen Baby vergleichen. Aber sei froh, dass du Ralf los bist. Ich mochte ihn noch nie so besonders.«

»Ach?«, meinte Steffi. »Ich hab Lucy mit der Flasche großgezogen, weil die Katzenmama sie verstoßen hat. Alle zwei Stunden, sogar mitten in der Nacht, habe ich ihr was zu essen gegeben. Ich hab also schon ein Baby großgezogen, demzufolge bin ich auch eine gute Mutter. Punkt. Ob Katze oder Mensch, ist da doch völlig egal. Und zum Thema Ralf: Dafür, dass du ihn nicht mochtest, hast du dich aber immer gern mit ihm unterhalten.«

»Du bist, wie du bist.« Anna strich mit der Bürste durch Steffis Haar.

»Wie meinst du das? Willst du behaupten, er hat recht mit seinen Unterstellungen? Ja, ich sag, was ich denke, die Wohnung sieht aus wie Sau, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht ändern kann, wenn ein Baby unterwegs ist. Aber das muss schon von mir ausgehen und nicht, weil es mein Partner von mir verlangt!«

»Damit hast du recht. Du sollst dich nicht für einen anderen verbiegen. Ich mag dich so, wie du bist. Auch wenn du nicht ganz einfach zu handeln bist.« Anna lachte.

Erneut ertönte Don’t worry, be happy aus Steffis Handtasche. »Warte mal.« Sie beugte sich hinunter und kramte ihr Handy heraus. »Was willst du, Jan? Ich bin bei Anna und lasse mir meine Haare machen. Und außerdem hab ich heute frei.«

»Super, du bist also auch auf Sylt. Du musst sofort zum Roten Kliff kommen. Dort steht ein Mann, der in die Tiefe springen will.« Jan klang aufgeregt, seine Worte überschlugen sich. Normalerweise brachte ihn nichts so schnell aus der Ruhe.

»Wir arbeiten bei der Mordkommission, schon vergessen?«, erwiderte Steffi. »Solange da nicht noch jemand bei ihm steht und ihn hinunterschubst, geht uns das nichts an. So schlimm das auch klingen mag, aber dafür sind eindeutig die Kollegen der Schutzpolizei zuständig. Natürlich kannst du nicht tatenlos zusehen und musst etwas unternehmen. Aber dafür brauchst du mich nicht.«

»Er hat ein Handy in der Hand und redet mit jemandem. Ich hab ihn mir mit meiner Kamera herangezoomt. Er sieht nicht so aus, als würde er das wirklich machen wollen. Ich glaube, er wird gezwungen.«

»Du siehst Gespenster.« Sie seufzte und bedachte Anna mit einem Blick in den Spiegel. »Ich komme. Wo genau bist du?«

»Auf der Höhe vom Parkplatz am Kampener Findling. Riperstieg heißt die Straße. Richtung Hundestrand an der Sturmhaube, Abschnitt N. Der Mann steht sehr weit vorne. Er wird jeden Moment springen.« Jan atmete laut ins Telefon, als würde er einen Marathon laufen. Steffi vermutete, dass er die Stufen nach oben lief, um näher an den Mann heranzukommen. »Die Kollegen vom Polizeirevier Westerland sind auf dem Weg.«

»Bin in wenigen Minuten da.« Sie beendete das Gespräch. Einen Augenaufschlag lang betrachtete sie sich im Spiegel. Sie sah wie ein gerupftes Suppenhuhn aus. Auf der einen Seite waren ihre roten Haare trocken geföhnt und hatten eine perfekte Welle oberhalb ihrer Schulter. Die linke Seite war noch feucht und hing strohig herunter.

»Aber wir sind noch nicht fertig«, protestierte Anna, als Steffi vom Stuhl aufsprang und sich ihre Handtasche unter den Arm klemmte. »Willst du so durch die Straßen laufen? Erzähl ja keinem, dass du aus meinem Friseursalon kommst.«

Steffi umarmte Anna rasch. »Es tut mir leid. Ich komm später wieder.«

Sie huschte durch die Tür nach draußen, an den pinken Stühlen, die vor dem Salon standen, vorbei und rannte zu ihrem Auto, das sie nur wenige Meter entfernt geparkt hatte. Trotz des böigen Windes war es ein warmer Augusttag. Sie schaute nach oben und sah die Wolken schnell vorbeiziehen. Schon jetzt wusste sie, dass es in wenigen Stunden Regen geben würde, der aber in den meisten Fällen nicht lange andauerte. Ihre Großmutter – Teddy Oma genannt – sagte immer: »Nirgends strahlt der Himmel so schön grau wie in Norddeutschland. Und solange es nicht regnet, ist das Wetter sehr gut.«

Ein Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Sie parkte aus, fuhr den Wenningstedter Weg Richtung Kampen entlang und würde schon wenige Minuten später am Parkplatz beim Kampener Findling ankommen. Den Rest musste sie wohl oder übel zu Fuß hinter sich bringen.

 

2

Mittwoch, Vormittag

Sylt, Wenningstedt, Rotes Kliff – Hundestrand

 

Jan rannte die Stufen hinauf und ließ den Mann, der wild gestikulierend am Rand der Klippe stand, nicht aus den Augen. Ronja hatte er auf seinem Arm. Die kleine Fellnase wäre seinem schnellen Tempo die Stufen hinauf mit Sicherheit nicht gewachsen. Davon abgesehen hatte er gelesen, dass diese Bewegung die Gelenke des Hundes zu sehr belastete.

Er lief die mit Holz getäfelte Freifläche entlang, die auf einer Holzkonstruktion in der Luft zu schweben schien. Er hetzte dem Mann entgegen. Jan sah, dass sich kleine Steine von der Stelle lösten, an der der Mann stand, und in die Tiefe fielen. Mit Sicherheit fünfzehn Meter, wenn nicht noch mehr. Er versuchte, sich an seine Ausbildung zu erinnern, an die Handlungsabfolge in Situationen wie dieser. Deeskalieren!

Einige Besucher waren am sandigen Wegrand stehen geblieben und sahen mit großen Augen zu dem Mann. Doch keiner wagte es, sich ihm zu nähern.

Jan bremste vor einer jungen Frau ab, die ein hellgelbes Strandkleid trug. Ihre Hand hielt sie vor den offenen Mund, als wolle sie einen Schrei unterdrücken. Er hielt ihr Ronja mit ausgestreckten Armen entgegen. »Polizei. Halten Sie bitte meinen Hund. Ich kümmere mich um den Mann.«

Sie war sichtlich überrascht, doch reflexartig nahm sie Ronja entgegen. Jan drehte sich um und rannte zu dem Vorsprung, auf dem der Mann stand. Im Hintergrund hörte er Ronjas Bellen, das jedoch gleich verstummte.

Er blieb ungefähr zehn Meter vor dem Fremden stehen, der in sein Telefon heulte. Ihn anzusprechen war in diesem Fall nicht möglich. Wenn sich der potenzielle Selbstmörder erschrak, würde er in den sicheren Tod stürzen. Jan näherte sich von der rechten Seite. Die Gefahr, dass sich ein Teil der Klippe löste, war groß. Und doch war es sein Job. Er musste diesen Mann vor einer Dummheit bewahren. Schließlich konnte man alles, wirklich alles, mit einem Gespräch lösen. Nur musste er den Unbekannten erst einmal zum Reden bringen. Das schien der schwierigste Teil des Unterfangens zu sein.

Jans Herz pochte so stark gegen seinen Brustkorb, dass er dachte, es würde jeden Moment seine Rippen brechen. Bisher hatte er es in seiner Laufbahn als Kriminalbeamter mit Mord und Totschlag zu tun gehabt. In neunundneunzig Prozent der Fälle, die Steffi und er übernahmen, galt es, einen Täter zu überführen. Das Opfer war meist schon tot oder durch die hinzugerufene Schutzpolizei gut versorgt. Noch nie war er als Erstes an einem Tatort gewesen, und schon gar nicht ohne seine langjährige Kollegin und Chefin Steffi. Verdammt! Wie lange brauchst du denn noch, bis du endlich hier bist?, schimpfte er in Gedanken mit ihr.

Jan wagte sich noch einen Schritt näher an den Mann heran und betrachtete ihn. Unter seinen Augen hatten sich rote Flecken gebildet, und Tränen glänzten im Sonnenschein. Der Mann zitterte, und immer wieder fuhr er sich durch sein schwarzes, an den Koteletten bereits ergrautes Haar. Jan schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Mit Sicherheit überragte er Jan um gute zehn Zentimeter, der mit seinen eins fünfundachtzig auch schon eine stattliche Größe aufwies. Jan war immer noch nicht nahe genug, dass er ihn am Arm packen und von der Kante wegziehen konnte. Der Mann stammelte Worte, die nach einer Entschuldigung klangen, in sein Telefon. Jan konnte von seiner Position aus nicht sehen, wer sich auf dem Handydisplay befand. Doch die Worte, die aus dem Lautsprecher kamen, stellten ihm die Haare im Nacken auf.

»Du weißt, was auf dem Spiel steht!« Es hörte sich nach einer Computerstimme an, obwohl Jan sich dessen nicht sicher war. Der Klang könnte auch durch den Wind verfremdet worden sein. Er musste etwas unternehmen. Dringend! Hilfesuchend schaute er sich um und entdeckte die uniformierten Kollegen, die schon in Sichtweite waren. Jan machte eine Handbewegung, dass sich die Polizisten langsamer bewegen sollten, was diese auch sofort umsetzten. Wieder drehte er sich zu dem Mann, der in die Tiefe blickte, als wolle er die Höhe mit seinen Augen messen. In Jans Hirn herrschte ein Wirrwarr an Gefühlen, Gedanken und Befehlen. Was sollte er nur tun? Er war hin- und hergerissen und dachte daran, den Mann von hinten zu packen und ihn zurückzuziehen. Doch was, wenn das Gestein des Roten Kliffs unter ihnen nachgab und er mit dem Todessehnsüchtigen in den Abgrund stürzte?

»Ich mach es jetzt! Niemand darf es jemals erfahren«, sprach der Mann mit fester Stimme ins Telefon und hob seinen Fuß leicht in die Höhe, um den nächsten Schritt ins Nichts zu wagen.

Jan reagierte blitzschnell. Mit einem Satz nach vorne bekam er den Oberarm des Mannes zu fassen und zog ihn nach hinten. Der Mann drehte den Kopf zu ihm und sah ihn einen Moment lang mit aufgerissenen Augen an, bevor er panisch versuchte, seinen Griff abzuschütteln. Jan ließ sich nach hinten fallen. Er hörte die Laufschritte seiner Kollegen, die nur noch wenige Meter entfernt waren. Eine Woge der Erleichterung durchflutete ihn.

Doch plötzlich kam alles anders. Jan war wie in einer Zeitschleife gefangen, bei der man den Ausgang der Situation bereits kannte, bevor man ihn erlebte. Augenblicklich hielt er die Luft an.

3

Mittwoch, Vormittag

Sylt, Wenningstedt, Parkplatz Kampener Findling

 

Steffi rannte, so schnell sie konnte, den Weg entlang. Kurz vor dem Parkplatz hatte ein leerer Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht ihre Weiterfahrt blockiert, und sie hatte ihr Auto dort stehen lassen. Schon aus der Ferne hörte sie aufgeregte Rufe. Eine Menschentraube hatte sich vor dem Abgang zum Strand gebildet. Während sie lief, blickte sie in Richtung Klippenvorsprung. Bis auf zwei Uniformierte sah sie niemanden. Wo ist Jan?

Sie blieb abrupt stehen, zog ihre High Heels von den Füßen, die ebenso wie ihr Sommerkleid olivgrün waren, nahm sie in die Hand und lief weiter. Ohne Schuhe kam sie deutlich schneller voran, und schon drängte sie sich zwischen den Schaulustigen hindurch. Als sie über die große Holzplattform lief, sah sie weitere Uniformierte, die am Rande des Roten Kliffs standen. Einige unterhielten sich aufgeregt, andere standen nur stumm da.

Steffi beschleunigte. Die Sorge um ihren Kollegen wurde größer, je länger die Unsicherheit anhielt. Sie ließ sich Jans Worte nochmals durch den Kopf gehen. Ein Mann, der am Abgrund stand, um sich offensichtlich das Leben zu nehmen. Wie in einem Super-8-Film lief das Kopfkino ab und präsentierte ihr schreckliche Bilder, die Jan zeigten, dessen Kopf in tausend Stücke zerborsten war, die wie Puzzleteile verstreut lagen. Vielleicht hatte er in einer waghalsigen Aktion den Mann vom Klippenrand zurückziehen wollen und war von diesem mit in die Tiefe gezogen worden. Sie flog förmlich die restlichen Stufen hinunter zum Strand.

Unten angekommen sah sie Jan zwischen weiteren Beamten am Boden hocken. Ein Felsbrocken löste sich von ihrem Herzen. Niemals hätte sie es sich verziehen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Auch wenn er Steffi manchmal mit seinen obskuren Theorien und sarkastischen Sprüchen nervte, war er doch ein Teil ihres Lebens geworden.

»Moin.« Sie nickte den umstehenden Beamten zu.

Jan drehte sich augenblicklich zu ihr um. Seine Gesichtsfarbe hatte von der sonstigen leichten Bräune zu einem Kalkweiß gewechselt. Er kniete vor einem blutenden Haufen. Arme und Beine standen in alle Richtungen wie Antennen von dem Körper ab. Am schlimmsten hatte es den Kopf des Unbekannten getroffen. Ein faustgroßes Loch prangte darin. Zersplitterte Knochen und Gehirnmasse quollen gemeinsam mit dem Blut heraus. Die Felsen ringsherum waren mit Blutspritzern übersät. Steffi wandte ihren Blick ab. Sie hatte vorerst genug gesehen.

»Ich … ehrlich … ich …«, stammelte Jan.

»Atme tief durch, und dann probiere es mit einem ganzen Satz. Subjekt, Verb, und dann lass den Satz einfach laufen, wie er aus deinem Mund kommen will.« Sie hielt Jan die Hand hin, die er dankend ergriff, und zog ihn ein paar Schritte von der Leiche weg. »Also, erzähl mir: Was hast du gesehen? Was ist passiert? Du weißt, ich muss alles genau wissen.«

»Ich hatte ihn fest am Arm gepackt. Wirklich! Du musst mir glauben«, stotterte Jan und hatte sichtlich Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Er schluckte schwer, sein Adamsapfel hüpfte. »Ich weiß nicht, wieso er … ich meine, er hat sich von mir losgerissen und ist dann in den Abgrund gesprungen. Wie bei einem Kopfsprung vom Zehnmeterbrett.«

»Hör zu. Du konntest nichts dafür. Du hast dein Möglichstes getan, okay? Ich bin ja froh, dass dir nichts passiert ist. Stell dir vor, er hätte dich …« Sie ließ das Ende des Satzes unausgesprochen. Schließlich wollte sie ihn beruhigen und nicht noch mehr aufregen. »Du bist nicht schuld. Er wollte springen. Es war seine Entscheidung.«

»Nein!« Es kam so selbstsicher aus Jans Mund, dass sie zurückwich. »Ich bin mir sicher, er wurde gezwungen. Du hast ihn da oben nicht erlebt. Er musste es tun für irgendeine Gegenleistung. Verstehst du? Er hat telefoniert, und die Stimme aus dem Lautsprecher war wie die von einem Computer.«

»Hat schon jemand überprüft, ob das Opfer Ausweispapiere bei sich trägt? Wo ist das Handy abgeblieben?« Steffi schaute die anwesenden Beamten an, doch keiner rührte sich. Klar hatte sie Verständnis dafür, dass niemand den Toten anfassen wollte, und doch würde sich einer dazu durchringen müssen. »Bitte, meine Herren. Einer von Ihnen schaut in den Hosentaschen nach. Aber versuchen Sie, den Toten so wenig wie möglich zu bewegen.«

Fröhliches Hundebellen ertönte in der Ferne, und Steffi drehte sich um. Die Hunde tollten am Hundestrand umher, doch ihre Besitzer blickten fassungslos in ihre Richtung. Das wird noch richtig viel Arbeit, alle zu befragen! Sie musste auf jeden Fall noch mehr Einsatzkräfte hierher beordern. Das schafften sie nicht mit der momentanen Besetzung.

Auf einmal kam Bewegung in Jan und er lief los. Er rannte so schnell, dass der Sand, den er aufwirbelte, kleine staubige Wölkchen hinterließ. Sofort nahm Steffi die Verfolgung auf. In seinem momentanen seelischen Zustand konnte sie ihn nicht allein lassen. Sie quälte sich noch die Stufen empor, als er bereits die Holzveranda erreicht hatte und mit einer gefühlten Leichtigkeit Meter für Meter hinter sich brachte.

»Jan! Jetzt warte doch!«, japste sie, doch es kam ihr vor, als ob er noch schneller lief als zuvor. Ein Blick nach oben verriet ihr, dass die beiden Beamten noch am Klippenrand standen. Die würden ihn zur Not auch aufhalten. Hoffte sie zumindest. Der Abstand zwischen ihr und Jan vergrößerte sich zusehends, und dann war er aus ihrem Blickfeld in der Menschenmenge verschwunden. Da! Jetzt sah sie ihn wieder, wie er mit einer Frau in einem quietschgelben Kleid sprach. In ihrer linken Hand hielt sie die Leine eines kleinen weiß-braunen Hundes, dessen Schwänzchen am Ende wie schwarz angemalt wirkte. Was hat diese Frau bloß gesehen, dass er wie ein Irrer einfach losgelaufen ist, um sie zu befragen?

Atemlos kam sie bei den beiden an. Die Frau überreichte Jan die Leine.

»Nochmals danke für Ihre Hilfe«, hörte sie Jan sagen.

»Wer … ist … das?«, brachte Steffi stockend hervor. Zwischen ihren Worten musste sie immer wieder Luft holen.

»Sie hat Ronja beaufsichtigt, als ich zu dem Mann gegangen bin.«

»Ronja … ach, den Hund meinst du. Das ist deiner?«

»Ja. Seit ein paar Tagen. Sie ist süß, nicht wahr?« Er hob Ronja auf seinen Arm, und sofort schleckte sie ihm seine Wange ab. Er verzog das Gesicht. »Außer das. Diese Angewohnheit muss ich ihr dringend abtrainieren.«

»Ich wusste gar nicht, dass du einen Hund hast. Du hast mir nichts davon erzählt.«

»Doch, ich hab dir erzählt, dass ich sie bei der Autoverladung Niebüll gefunden habe. Angekettet an eine Ampel, weit und breit niemand zu sehen. Ausgesetzt, weil ihre einstigen Besitzer anscheinend Urlaub ohne Hund machen wollten. Wenn ich mal einen erwische, der so einem süßen Wesen das antut, dem gnade Gott.« Während er sprach, strich er zärtlich über Ronjas Fell.

»Aha, aber der Besitzer muss doch registriert sein. Oder nicht?«

»Ronja ist zwar gechippt, aber der Besitzer hat sich nicht online eingetragen. Somit ist sie jetzt mein Hund. Oma war anfangs nicht begeistert, aber als ich ihr die Geschichte erzählt hab, wie ich sie gefunden habe, war das kein Thema mehr. Und nun wird sie genauso verwöhnt wie ich.«

»Find ich super, dass du sie nicht ins Tierheim abschiebst. Und jetzt sollten wir uns ausführlich unterhalten, was gerade mit diesem Mann geschehen ist. Du gehst also davon aus, dass es sich hierbei um einen erzwungenen Sprung in die Tiefe handelt? Hast du dich schon ein wenig von dem Schock erholt, oder brauchst du ärztliche Betreuung?«

Jan schüttelte den Kopf. »Mir geht es gut. Ich brauch keinen Arzt. Wir sollten auf der Dienststelle Niebüll anrufen und Bescheid geben, was hier passiert ist.«

»Ja, aber zuerst erzählst du mir jedes Detail. Du weißt, alles könnte wichtig sein.«

4

Mittwoch, Vormittag

Sylt, Wenningstedt, Rotes Kliff – Hundestrand

 

»Ich dachte wirklich, dass ich ihn mit festem Griff gepackt habe, als ich mich nach hinten fallen ließ. Es war meine einzige Chance, ihn vom Abgrund wegzubekommen. Die Kollegen waren noch außer Reichweite. Der Mann war wie in Trance, und als er mich anblickte, erkannte ich die Angst in seinen Augen, aber auch seine Entschlossenheit. So was hab ich noch nie zuvor gesehen. Er kam ins Straucheln durch meinen Zug an seinem Arm. Aber ich habe nicht mit seiner Standfestigkeit gerechnet. Er schüttelte meinen Griff einfach so ab. Ich wollte nochmals nachgreifen, doch erwischte ihn nicht mehr. Er sagte: ›Ich muss es tun.‹ Und dann sprang er in die Tiefe. Ich war wie angewurzelt. Als sein Körper Sekunden später mit einem lauten Klatschen auf dem Boden aufkam, konnte ich noch immer nicht fassen, was soeben passiert war. Es war gruselig, wirklich gruselig. Ich rappelte mich auf und rannte sofort nach unten. Ich hatte wirklich den Gedankengang, dass ich dem Mann noch helfen konnte. Erst als ich bei dem blutigen Knäuel ankam, konnte ich begreifen, dass es vorbei war. Wie verzweifelt muss er gewesen sein, dass er diesen Schritt gegangen ist? Was hat für ihn auf dem Spiel gestanden, dass er sich dafür das Leben nimmt? Das will mir einfach nicht in den Kopf.« Jan setzte Ronja auf dem Boden ab. Dann blickte er Steffi an, die die ganze Zeit über kein Wort gesagt hatte. Sie griff zu ihrem Telefon.

»Ja, Teufel hier. Ich brauche bitte Kriminalhauptkommissar Herzog.« Sie schwieg einen Moment, dann sprach sie weiter. »Hallo, Peeke. Steffi hier. Ich hab hier eine Leiche am Hundestrand von Kampen und brauch dringend Unterstützung. Ich schick dir meinen Standort.« Wieder schwieg sie. »Ich weiß, dass ich heute frei habe … hätte. Aber die Leiche ist nun mal hier. Jan ist bei mir, und wir werden uns diesem Fall annehmen. Allem Anschein nach ist der derzeit noch Unbekannte nicht freiwillig gesprungen. Sobald wir sein Handy gefunden haben, kommen wir zu dir. Dann hast du was zu tun.« Sie legte auf und sah Jan an. »Und wir zwei müssen nochmals runtergehen, um das besagte Telefon zu suchen. Hoffentlich haben die Kollegen schon einen Ausweis gefunden, ansonsten wird es schwierig werden, den Mann zu identifizieren.«

Noch während sie sprach, gingen sie den Sandweg entlang, der an der Holzterrasse endete. Schon von Weitem winkte ein Uniformierter und rannte ihnen entgegen. Jan und Steffi beschleunigten ihren Schritt. Sie trafen sich am letzten Stufenabsatz. Nur noch wenige Meter trennten sie vom Sandstrand.

»Ich hab das Handy gefunden.« Der Beamte übergab Steffi einen Plastikbeutel. Zwischen sandigen Einzelteilen, die mit einer klebrigen roten Masse überzogen waren, sah man das Display, in dem ein riesiges Loch war. »Und auch die Geldbörse. Darin befindet sich der Ausweis. Der Mann, der gesprungen ist, heißt allem Anschein nach Theodor Kröner. Zweiundfünfzig Jahre alt. Wohnhaft in Klanxbüll. Ich habe die Daten schon weitergegeben und erwarte jeden Moment Informationen von der Leitstelle.«

»Super. Danke Ihnen«, sagte Steffi und gab das Beweisstück an Jan weiter.

Im selben Moment knackste es im Funkgerät des Uniformierten. »Es gibt einen Zeugen, der das Ganze gefilmt hat«, drang eine dunkle männliche Stimme aus dem Lautsprecher.

»Wo ist der Kollege? Wir kommen zu ihm.« Steffi blickte sich suchend um.

»Kriminaloberkommissarin Teufel und ihr Kollege kommen zu dir. Gib deinen Standort durch.«

Noch bevor die Antwort kam, schaute Steffi nach oben und sah einen Polizisten winken, der sogleich in sein Funkgerät sprach.

»Ich bin auf dem Sandweg, der auf die Holzterrasse führt.«

 

5

Mittwoch, Vormittag

Sylt, Wenningstedt, Rotes Kliff – Hundestrand

 

Steffi und Jan drehten sich fast zeitgleich um und schritten dem Uniformierten entgegen, dem ein Mann folgte, der mit Sicherheit die Zwei-Meter-Marke knackte. Je näher Steffi den beiden kam, desto genauer musterte sie den großen Mann. Er war vielleicht Mitte oder Ende vierzig, aber mit Sicherheit noch keine fünfzig. Zumindest hatte er nur wenige Falten, die sich ausschließlich auf seine Augenregion beschränkten. Seinen drahtigen Armen zufolge betrieb der Mann Kraftsport.

»Kriminalpolizei. Teufel mein Name, und das ist mein Kollege Graf«, sagte Steffi und streckte ihm die Hand entgegen. Ein kräftiger Händedruck folgte.

»Stefan Wieber. Ich hab alles gefilmt. Schreckliche Geschichte. Ich hab da oben gestanden, gleich in der ersten Reihe.« Er zeigte auf einen Punkt am Wegrand und schaute ihr gleich danach direkt in die Augen. Steffi fiel seine blasse Gesichtsfarbe auf.

»Können wir das Video mal sehen?«, fragte sie.

»Natürlich«, sagte der Zeuge und holte sein Smartphone aus der Hosentasche.

Augenblicke später sahen sich Steffi und Jan das Video an. Der Ton war sehr schlecht. Es rauschte durch den Wind, der ins Mikrofon geblasen hatte, und es waren nur einige Wortfetzen zu verstehen. Steffi war sich nicht einmal sicher, ob diese Worte nicht von den umstehenden Schaulustigen stammten. Aber das würde Peeke herausfinden, schließlich war er der Profi auf diesem Gebiet. Das Bild ruckelte ein wenig, aber sie sah Jan, der sich langsam an den Mann am Abgrund heranschlich. Zuerst war das Video noch in Breitbild aufgenommen worden, doch als Jan den Mann am Arm packte und sich nach hinten fallen ließ, hatte der Augenzeuge den Zoom betätigt, und das Gesicht des Mannes war klar erkennbar. Seine Wangen glänzten, vermutlich durch Tränen, doch sein Blick war steinhart. Entschlossen. Tiefe Kerben durchzogen seine Stirn. Seine Lippen bewegten sich. Doch sie verstand nicht, was er sagte. Es war genauso abgelaufen, wie Jan es ihr erzählt hatte. Der Mann riss sich von Jan los und sprang in den Abgrund. Steffi sog scharf die Luft ein. Dann endete das Video.

»Wir müssen Ihr Telefon sicherstellen«, sagte sie. »Sie bekommen es so schnell wie möglich wieder. Aber wir brauchen diese Aufnahmen.«

»Natürlich!«, sagte Herr Wieber und reichte ihr sein Handy bereitwillig. »Meine Daten hat der Kollege ja bereits notiert. Melden Sie sich, wenn ich es wieder abholen kann, ja? Ich muss jetzt los.«

In Steffis Kopf ratterten die Zahnräder. »Moment mal!«, sagte sie, und Herr Wieber, der sich bereits einige Schritte von ihr entfernt hatte, drehte sich um. »Wieso fragen Sie nicht, wann Sie Ihr Telefon wieder zurückbekommen? Ich hab bisher noch niemanden erlebt, der eine Sicherstellung so anstandslos hinnimmt wie Sie.«

Mit gespreizten Fingern fuhr er durch sein dunkelbraunes Haar. »Ich versuche, mir mein Handy abzugewöhnen. Wir hängen doch alle zu viel in den sozialen Medien herum und vernachlässigen Familie und Freunde. Mein Handy ist seit zwei Wochen immer auf lautlos gestellt, damit ich nicht davon abgelenkt werde. Nur wenn ich allein aus dem Haus gehe, nehm ich es mit. Schließlich weiß man ja nie, ob man es nicht doch benötigt für einen Notfall.«

Trotz der schlüssigen Erklärung blieb ein seltsames Gefühl zurück. Könnte es möglich sein, dass er etwas mit dem Mann, der in den Tod sprang, zu tun hat? Manche Täter kehren gerne an den Tatort zurück oder helfen sogar der Polizei bei den Ermittlungen. Ist er so ein Typ Mensch? Ist er ein Mittäter? Oder sagt er die Wahrheit?

Vielleicht taxierte Steffi ihn eine Sekunde zu lang mit ihrem Blick, vielleicht war auch eine fehlende Antwort von ihr der Anlass, dass Herr Wieber die Frage stellte: »Bin ich nun verdächtig, weil ich Ihnen das Video gegeben habe und nicht nach einem Zeitpunkt gefragt habe, an dem ich mein Handy wiederkriege?«

Steffi verdrängte ihr Misstrauen für einen Moment. Schließlich wollte sie ihn nicht verunsichern oder im schlimmsten Fall dazu bringen unterzutauchen. »Nein, nein. Schon gut. Sie sind eben eine Ausnahme. Normalerweise jammert jeder sofort, wenn er das Handy abgeben muss. Wir melden uns bei Ihnen, ja?«

Herr Wieber hob die Hand zum Gruß, legte ein charmantes Lächeln auf seine Lippen und schritt durch die Menschenmenge davon. Trotz der vielen Leute sah Steffi seinen Kopf aus der Menge ragen. Weitere Einsatzkräfte kamen zu Hilfe und drängten die Schaulustigen zurück.

»Denkst du dasselbe wie ich?« Sie drehte sich zu Jan.

»Dass wir ins Büro fahren sollten, meinst du?«, sagte Jan.

»Das auch. Aber dass dieser … wie hieß er noch mal? … Na ja, egal … dass er komisch drauf ist? Ich meine, er hat nicht mal gefragt …« Sie ließ den restlichen Satz in der Luft hängen.

»Stefan Wieber hieß er. Du hast ein scheußliches Namensgedächtnis. Hab ich dir das schon mal gesagt?« Jan lachte. Aber es stimmte. Namen waren für sie Schall und Rauch. Auch wenn Steffi zwei Sekunden vorher den Namen der Person gehört hatte, wurde dieser nicht im Kurzzeitgedächtnis gespeichert. Nur in seltenen Fällen gelang es ihr, sich einen Namen zu merken. Doch mit der Zeit hatte sie gelernt, damit umzugehen und, so gut es eben ging, die Person gegenüber nicht mit Namen anzusprechen. Auch wenn dies manchmal unhöflich wirkte.

»Ja, du kennst mich doch. Ich weiß ja auch nicht, warum ich mir das nicht merken kann. Dafür weiß ich deinen Namen. Franziska, stimmt’s?« Steffi zwinkerte ihm zu.

»Du bist echt doof«, sagte Jan, räusperte sich und sprach dann weiter. »Aber ja, dieser Wieber war mir auch ein wenig suspekt. Aber vielleicht ist der einfach ein Freak.«

Steffi nickte, kramte in der Handtasche nach ihren Autoschlüsseln, da fiel ihr Blick auf Ronja.

Jan hatte allem Anschein nach ihre Gedanken gelesen. »Wir müssen vorher noch Ronja bei meinen Großeltern abgeben. Heute, an meinem freien Tag, gehen sie ins Restaurant essen und machen hinterher einen Spaziergang über die Promenade in Westerland, das ist so Tradition bei den beiden, aber es hilft halt jetzt nichts. Ich kann Ronja nicht ins Büro mitnehmen, und allein zu Hause lassen will ich sie auch nicht.«

»Sie hat dir ja wirklich den Kopf verdreht.« Steffi lachte, und Jan stimmte ein. Ronja hielt ihr Köpfchen schief, als wolle sie den Grund wissen, wieso sich die beiden so köstlich amüsierten.

»Ja, das hat sie, und ich wäre todtraurig, wenn sich die Besitzer doch noch melden würden.«

Sie waren schon kurz vor dem Wagen, als Steffi ihm ihre Autoschlüssel übergab. Jan nahm sie wie selbstverständlich entgegen, stieg auf der Fahrerseite ein, und schon einige Minuten später fuhren sie die Norderstraße entlang.

»Sag mal«, begann Steffi, »willst du nicht bei deinen Großeltern anrufen und fragen, wo genau sie sind?«

»Die beiden gehen immer, und damit meine ich wirklich immer, ins Strandrestaurant Badezeit. Und immer um dieselbe Zeit. Es ist jetzt kurz vor halb eins. Somit sind sie vor gut einer halben Stunde angekommen und sitzen dort bis eins.«

Er bog rechts ab. »Aha.« Steffi fiel nichts ein, was sie sonst darauf erwidern konnte, und sie fragte sich, ob Jan unter diesem strengen Regiment, das seine Großeltern führten, in irgendeiner Weise gelitten haben könnte. Doch wischte sie diesen Gedanken beiseite, da Jan nicht den Anschein machte, keine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Der Verlust der Eltern, besonders in jungen Jahren, war ein einschneidendes Ereignis, das einen für immer prägte. Aber seine Oma Dortje war ihm mit ihrer fürsorglichen Art ein guter Mutterersatz gewesen. Sofern man für eine fehlende Mutter einen Ersatz finden konnte.

Sie dachte an Teddy Omaopa. An ihre Großeltern, die sie schon als kleines Kind immer in einem Atemzug genannt und denen sie den Zusatz Teddy verpasst hatte. Sie waren immer gut zu ihr gewesen, und Steffi erinnerte sich an viele schöne Momente, in denen sie mit Teddy, dem Schäferhundmischling ihrer Großeltern, gespielt hatte. Plötzlich fühlte sie sich, als wäre sie wieder zehn Jahre alt, und musste insgeheim schmunzeln über die Wattwanderung, bei der sie einmal alle knietief im Schlamm versunken waren, weil die Flut zu überraschend gekommen war. Teddy sah danach aus wie ein sich im Dreck gesuhltes Schweinchen, und Teddy Oma hatte fast zwei Stunden damit verbracht, sein Fell zu reinigen. Da war sie noch ein glückliches Kind gewesen, bevor ihr Vater knapp zwei Jahre später seine neue Frau kennengelernt hatte und aus ihrem Elternhaus in Salzburg ausgezogen war. Bevor er ihr eine Halbschwester angedreht hatte. Bevor ihre Mutter den ganzen Hausrat verkauft hatte und Hals über Kopf mit ihr nach Norddeutschland zu Teddy Omaopa gefahren war. Bevor …

Steffi sah aus dem Beifahrerfenster, und ein Wohnblock nach dem nächsten zog an ihr vorbei. In der Ferne sah sie schon das Meer, das sich hinter den bewachsenen Dünen abhob. Jan verringerte die Geschwindigkeit, und so schlichen sie im Schneckentempo den asphaltierten Fußweg entlang. Kurz vor dem Anfang der Promenade parkte Jan das Auto auf der linken Seite vor einem Holzverschlag. Dadurch, dass es heute so warm und sonnig war, war die Terrasse des Restaurants brechend voll mit Gästen.

Jan stieg aus und schlenderte mit Ronja unter dem Arm davon.

Steffi schaute ihm nach, machte aber keine Anstalten auszusteigen. Wozu auch? Sie ließ ihre Gedanken schweifen und schaute auf das glitzernde Meer. Schon als kleines Mädchen war sie in die Insel Sylt verliebt gewesen und hatte jeden beneidet, der hier wohnte. Oft war sie mit ihren Eltern hier im Urlaub gewesen, trotz der langen Anreise von Salzburg.

Der neue Fall drängte sich in ihren Gedanken in den Vordergrund. Wieso war der Mann gesprungen? Und wer war am anderen Ende der Leitung gewesen? Sie drehte ihren Kopf und starrte die beiden Telefone – das von dem vermeintlichen Selbstmörder und das von dem Augenzeugen – an, die Jan in die Kiste gelegt hatte, als ob sie ihr die Antwort entgegenschreien würden. Ihre Gedankengänge wurden jäh unterbrochen, als die Beifahrertür aufgerissen wurde und Jan sie mit einem genervten Blick anschaute.

»Sie wollen dich auch sehen«, sagte er, und der Unterton in seiner Stimme war eine Mischung aus peinlich berührt und gereizt.

Steffi nickte. Großeltern sind wie Eltern, nur eben älter, dachte sie und folgte Jan auf die Terrasse des Restaurants. Schon sprang in der hintersten Ecke Jans Großmutter von ihrem Stuhl auf, kam auf sie zu und umarmte Steffi wie eine alte Freundin. Die rundliche Frau presste Steffis Körper an ihren.

»Schön, dass ich dich wieder mal sehe. Wie lange ist das her, dass wir uns das letzte Mal getroffen haben? Sicher schon zwei Monate. Jante sollte dich viel öfter einladen. Ihr beide wärt so ein tolles Paar.« Mittlerweile hatte sie Steffi aus ihren Fängen gelassen, zog sie die wenigen Schritte zum Tisch mit sich und hielt sie an der Schulter fest. Das freudige, ehrliche Strahlen in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. Ebenso wenig das Funkeln in ihren kristallblauen Augen.

Steffi fühlte sich unwohl, hatte aber keine Idee, wie sie sich aus dieser Situation befreien könnte. Schon gar nicht, was sie ihr antworten sollte. Sie dachte an das gemeinsame Abendessen, zu dem Jan sie eingeladen hatte. Jan hatte sich darüber lustig gemacht, dass seine Oma vermutlich eine romantische Stimmung erzeugen wollte, was gründlich danebengegangen war. Von Romantik war keine Rede gewesen. Es glich eher einer Bestattung, weil fast auf jedem Zentimeter eine Kerze flackerte. Dabei wollten die beiden nur einen aktuellen Fall besprechen, doch Jans Oma hatte allem Anschein nach etwas falsch verstanden.

»Dortje! Jetzt lass doch mal das Mädchen in Ruhe«, sagte ihr Ehemann, der von seinem Stuhl aufstand und Steffi die Hand reichte. »Hallo, Steffi. Wollt ihr euch zu uns setzen?« Er deutete auf die beiden freien Stühle.

»Wir … äh … sind im Dienst«, stotterte Steffi, und Dortje löste ihren Griff von ihr.

»Oma, Opa. Wir müssen jetzt wirklich los. Es tut mir leid, dass ihr euch heute um Ronja kümmern müsst. Ich mach das wieder gut, ja?« Hilflos schaute Jan zwischen Steffi und seinen Großeltern hin und her.

»Ist doch schon gut. Wir nehmen das Schätzchen gern. Das weißt du doch, mein Kleiner.« Steffi musste schmunzeln, denn Jans Großmutter tätschelte ihm liebevoll die Wange, wie einem Buben, der soeben etwas ganz Tolles gemacht hatte. Und der Ausdruck »Kleiner« wollte so gar nicht passen, denn Dortje war mit Sicherheit einen Kopf kleiner als Jan.

»Okay«, sagte Jan und wechselte die Gesichtsfarbe. Hastig drückte er seiner Oma einen Kuss auf die Wange, und gleich darauf schob er Steffi aus dem Restaurant.

»Na, Kleiner? Wieso bringst du mich nicht öfter mit nach Hause?«, prustete Steffi los, als sie am Auto angekommen waren.

»Hör auf! Du brauchst gar nicht zu lachen. Deiner heutigen Frisur nach zu urteilen, bist du in einen Orkan geraten. Also, schön still sein, ja?«

»Danke für das Kompliment. Aber ich hab ja einen netten Kollegen, der mich direkt vom Friseurstuhl runterholt. Was ist deine Ausrede, Kleiner?«

Steffis Telefon klingelte, und sie nahm das Gespräch auf der Freisprechanlage entgegen.

»Sag mal, Steffi …« Die dunkle Stimme ihres Chefs tönte aus dem Lautsprecher. »Ich nehme an, Jan ist auch bei dir. Könnt ihr bitte diesen Fall gleich heute übernehmen? Das andere Team ist noch mit dem Brand in dem Wohnhaus, in dem mehrere verkohlte Leichen aufgefunden wurden, beschäftigt. Die kann ich dort nicht abziehen. Und es muss jemand zur Adresse des Opfers fahren. Ein Streifenwagen ist zwar schon auf dem Weg, aber ihr müsst nach Hinweisen für die Tat suchen. Bitte bringt zuerst die Telefone zu Peeke. Und ja, ich weiß, dass dies ein Umweg ist, aber ihr solltet zumindest mit dem Dienstwagen in den Einsatz fahren.«

Eigentlich hatte Steffi heute noch an den Strand fahren wollen, um ein wenig die Seele baumeln zu lassen. Doch Pläne waren doch dazu da, umgeworfen zu werden. Steffi verdrehte genervt ihre Augen. Sie war froh, dass Rose dies nicht sehen konnte. Rose, eigentlich Karl-Heinz Rosin, hatte seinen Vornamen schon immer gehasst. Als Steffi das erste Mal mit der ganzen Truppe ihrer Abteilung abends noch auf ein Bierchen ausgegangen war – in ihrem Fall auf ein stilles Wasser –, hatte ihr der Kriminalhauptkommissar sofort das Du angeboten und ihr gesagt, dass sie ihn fortan mit Rose ansprechen solle. Karl-Heinz wurde schon sein Vater, der Großvater und sein Urgroßvater angesprochen. Das müsse einfach reichen, sagte er damals und lachte, als Tausende von kleinen Fältchen Besitz von seinem Gesicht ergriffen.

»Ja, machen wir, Rose. Alles klar.«

 

6

Mittwoch, Mittag

Sylt, Westerland, Ferienwohnung Friedrichstraße

 

Das mehrfache Klacken, das in meinen Gehörgang drang, legte sich wie eine mollig warme Decke über meinen Körper. Es war fast so wie das Abfeuern des M3M. Nein, es war um einiges geiler, wenn die Projektile im sandigen Boden einschlugen und der Staub aufgewirbelt wurde. Dreihundert Schuss. Zwölf Komma sieben Millimeter. Alles auf der Laderampe eines Sikorsky CH-53 GS. Knappe zehn Meter über dem Boden raste der Hubschrauber mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahin, um es den Angreifern unmöglich zu machen, einen Treffer zu erzielen. Ich hatte das Gefühl, den eiskalten Wind auf meiner Haut spüren zu können, und augenblicklich fuhr eine warme Welle der Erregung durch meinen Körper.

Gerne dachte ich an diese Momente zurück, tausendmal geprobt und nur ein einziges Mal in Wirklichkeit durchgeführt. Und nur, weil ich mich gewehrt hatte … Das war mir zum Verhängnis geworden. Dabei hatte ich alles, wirklich alles, was einen guten Doorgunner ausmachte. Schnelligkeit, Belastbarkeit, Wahrnehmung und Konzentration. Weit über seine eigenen Grenzen gehen und sich immer wieder die Frage stellen: Wie ist es, wie fühlt es sich an, wenn der Körper »Ende« schreit?

»Das Einzige, was du in deinem Leben aufgeben wirst, ist ein Brief beim Postamt«, hatte mein Vater immer zu mir gesagt. Und diesen Ratschlag beherzigte ich auch, so gut es eben ging, biss die Zähne zusammen und ignorierte die körperlichen Schmerzen während der Ausbildung. Zugegeben, das mit der Teamfähigkeit war nicht so mein Ding, doch auch das hatte ich gut überspielt. Zumindest bis zu diesem einen Moment …

Mit einem lauten Knacks endete die Aufzeichnung. Endete sein Leben. Er hatte frei wählen können. Es lag alles in seinen eigenen Händen.

Mehrmals hintereinander hatte ich mir dieses Video angesehen, war es doch Kundenwunsch gewesen, das Ganze aufzuzeichnen. Ich überlegte, ob ich dies bei jedem Auftrag machen sollte. Es war schon toll, sein Werk auf Video zu sehen. Immer und immer wieder suhlte ich mich in der Genugtuung.

Dabei wäre es fast schiefgegangen. Mir war der Atem gestockt, als ich diesen Mann gesehen hatte, der ihn nach hinten zog. Ich war schon drauf und dran gewesen, die Verbindung zu kappen, doch der Drecksack konnte sich befreien und sprang tatsächlich. Es war nicht die beste Idee vom Kunden gewesen, dies in aller Öffentlichkeit zu tun. Ihn sich selbst umbringen zu lassen. Das musste ich zugeben, obwohl der Nervenkitzel dadurch um einiges erhöht wurde.

Ich saß auf dem Sofa, den Laptop auf meinem Schoß, lehnte mich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. So starrte ich minutenlang an die weiße Decke des kleinen, aber schnuckeligen Domizils, das ich für die nächsten zwei Tage gebucht hatte. Ich ließ den Film nochmals vor meinem geistigen Auge ablaufen, bis ich durch ein »Ping« schlagartig wieder in der Realität ankam. Derzeit war wirklich viel los, was gut für mein Bitcoinkonto war. Noch während ich mich aufsetzte und den Bildschirmschoner wegklickte, dachte ich an meine Wünsche. Mein nächster Job sollte mit dem Scharfschützengewehr sein. Es gab nichts Prickelnderes, als die Kugel mitten in die Stirn zu schießen und noch durchs Zielfernrohr zu sehen, wie das Blut – das rote Gold – aus dem Loch schoss. Sofortiger Tod garantiert. Lächelnd erinnerte ich mich an den Verkäufer, der die Büchse in der dunklen Gasse aus seinem Kofferraum geholt hatte. Er strahlte mich an, als würde er mir ein Geschenk überreichen. »Für die Jagd besonders gut geeignet.« Wie recht er damit hatte.

Ich schaute auf das Foto, das an die Mail angehängt war. Ein Mädchen mit einem unglaublich schönen Lächeln, das mich anstrahlte. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Schlanke Figur, sportlich. Kurz und knapp war die Anforderung des Kunden: »Ich will sie lebend.« Ich war tatsächlich geneigt, den Job abzulehnen. Lebend! Verächtlich stieß ich den Atem aus. Das war ein Wort, das ich tatsächlich hasste. Warum engagierte man einen Auftragskiller für jemanden, den man lebend wollte? Doch die Summe, die als Honorar angesetzt war, würde mich entschädigen für den entgangenen Spaß. Ein kleines Fünkchen Gerechtigkeit wallte in mir auf, als ich sah, von wem dieser Auftrag stammte. Ich dachte an damals zurück. An den Tag, an dem alles angefangen hatte. An Silke. »Auftrag angenommen«, schrieb ich als Antwort, und im nächsten Augenblick tippte ich schon ihren Namen bei Google ein.

»Leyla, ich werde dich finden und zurückbringen!«

7

Mittwoch, Mittag

Sylt, Westerland, Kleingartenanlage Hoyerweg

 

Der Schweiß tropfte von Leylas Stirn, und ihr Herz pochte gegen ihren Brustkorb. Sie rannte, als wäre Satan höchstpersönlich hinter ihr her. Was im weitesten Sinne auch stimmte. Sie bog in den Hoyerweg ein und beschleunigte abermals ihre Schritte. Trotz der Uhrzeit war keine Menschenseele auf der Straße zu sehen. Es war fast so, als hätte man hier schon die Bürgersteige nach oben geklappt. Doch wer hätte ihr auch helfen können? An wen hätte sie sich wenden können? Sie konnte niemandem ihre Geschichte erzählen, denn schlimmstenfalls – und meist passierte das Schlimmste in solchen Situationen – hätte man sie wieder zurückgebracht. Und das wäre ihr …

Sie hörte ihre Verfolger hinter sich. Sie fluchten laut und schrien ihr wüste Beschimpfungen nach. Die Lebensmittel hatte sie an der Ecke zuvor fallen lassen, als die beiden Männer ihren kleinen Vorsprung verringert hatten. Sie hatte bereits den Atem des einen Mannes in ihrem Nacken gespürt. Wobei dies vermutlich Einbildung gewesen war, trotzdem stellte sich jetzt noch eine Gänsehaut auf, als sie daran dachte. Sie drehte ihren Kopf nach hinten und sah, dass sie die Entfernung wieder vergrößert hatte. Einer der beiden türkischstämmigen Männer war stehen geblieben, beugte seinen Oberkörper nach vorne, stützte die Arme auf den Oberschenkeln ab und rang nach Luft. Das Gesicht des anderen Mannes, der sie weiterhin verfolgte, hatte die Farbe einer reifen Tomate angenommen, und sein Atem rasselte. Auch er würde bald aufgeben.

Mit gleichbleibender Geschwindigkeit lief sie in die Kleingartensiedlung hinein. Welch ein Glück, dass das Tor weit offen stand. Sie hoffte, sie würde den Mann hier drin abschütteln können. Mit vierzehn Jahren war sie damals, als sie noch die Schule besuchen durfte, eine der besten Läuferinnen ihrer Stufe gewesen. Doch je älter sie wurde, desto weniger hatte ihr Vater erlaubt und desto mehr Vorschriften galt es zu beachten. Dies galt auch für Schulbesuche, der Sportunterricht wurde als Erstes von ihrem Stundenplan gestrichen. Das hatte bis zu ihrem siebzehnten Geburtstag angehalten. Als es das große Geschenk gab, das ihr Leben zerstört und ihrem Vater ein seltsames, zufriedenes Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte.

Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu verdrängen. Schließlich musste sie ein anderes Problem lösen, das hinter ihr laut keuchte. Unter ihren Turnschuhen knirschten die kleinen Kieselsteine des Gartenwegs. Rings um sie herum rankten grüne Hecken in die Höhe, die zwischendrin von schmalen Gartentüren unterbrochen waren. Sie hörte die Schritte des Mannes hinter sich. Verdammt! Wie werd ich den bloß los?, fragte sie sich und blickte sich suchend um, ohne stehen zu bleiben. Den neuen Fluchtplan hatte sie sich noch nicht ganz zurechtgelegt, da kletterte sie schon über die nächste Gartentür und stand inmitten einer kleinen Blumenoase, die das ganze Grundstück in Regenbogenfarben tauchte. Im Zentrum des Grundstückes thronte ein kleines Häuschen, das sie im ersten Moment an das Hexenhaus aus dem Märchen Hänsel und Gretel erinnerte. Nur der Lebkuchen an den Außenwänden fehlte.

»Bleib endlich stehen, du Biest!«, erklang die dunkle Männerstimme hinter ihr.

Leyla dachte aber nicht im Traum daran, diesem Befehl Folge zu leisten, und sprang im selben Atemzug durch die Hecke, in der Hoffnung, dass kein Zaun dazwischen war, der ihren Sprung und somit auch ihre Flucht beenden würde. Sie hatte Glück und kam unversehrt im nächsten Garten an und verschwand sofort wieder durch die Hecke auf der anderen Seite in den nächsten. Sie versteckte sich rasch hinter der kleinen Holzhütte. Das Adrenalin sauste durch ihre Adern, und es rauschte in ihren Ohren. Sie lugte vorsichtig um die Ecke zu der Stelle, durch die sie Sekunden zuvor hindurchgeschlüpft war. Dort war keine Regung zu sehen, kein Ast bewegte sich, und auch sonst hörte sie nichts.

Was ist schlimmer? Wenn du eine Spinne im Zimmer siehst, oder wenn du sie plötzlich nicht mehr siehst? Fast hätte sie laut aufgelacht, als sie an Roberts Worte dachte. Das hatte er ihr gesagt, als sie sich wieder einmal heimlich getroffen hatten und in der oberen Ecke der Putzkammer eine Spinne fröhlich ihr Netz weiterspann.

Plötzlich hörte sie eine fremde Stimme: »Wer sind Sie, und was wollen Sie in meinem Garten?«

Sie kauerte sich noch dichter an die Außenwand und wandte ihren Blick der Stimme zu. Da sah sie ihren Verfolger, der auf dem schmalen Weg, der zu der Hütte führte, stand und seine Hände hilflos nach oben hielt.

»Noch mal: Wer sind Sie?«, donnerte die männliche Stimme.

Noch immer konnte Leyla den Sprechenden nicht sehen.

»Ich bin Malek Özugur. Ich suche eine kleine Diebin, die im Lebensmittelgeschäft am Bahnweg Obst gestohlen hat. Haben Sie ein Mädchen gesehen? Ich denke mal, sie ist unter achtzehn Jahre alt, mit dunkelbraunen, langen Haaren. Sehr schlank. Sie trägt eine hellblaue Jeans und ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck: ›Gute Mädchen kommen in den Himmel. Böse Mädchen kommen überall hin, denn sie haben Fantasie.‹«

»Diebin also«, sagte der Mann, von dem Leyla nur die Stimme hörte. »Ich hab niemanden hier gesehen. Weder ein Mädchen noch sonst wen. Außer Sie, der unbefugt meinen Garten betritt.«

»Dürfte ich mich hier mal umschauen? Ich meine, sie könnte sich hier irgendwo verstecken. Es ist nicht das erste Mal, dass ich sie im Geschäft über die Kameras beobachtet habe. Doch bisher hat sie anscheinend nie was mitgehen …«

»Nein! Es ist mein Garten, und ich will nicht, dass Sie wie eine wild gewordene Sau durch meine Beete trampeln. Raus jetzt! Hier ist niemand! Verschwinden Sie endlich!«

Jetzt sah Leyla den weißhaarigen Mann. Er trug eine Strickweste, die schon die besten Jahre hinter sich hatte, so viele Löcher wies der Stoff auf. Auch die grüne Cordhose war übersät mit Flecken. In seiner Hand hielt er eine Kleinhacke, die er immer wieder in Richtung des türkischen Mannes schwang.

Der Mann wich einen Schritt zurück, die Hände halb in der Höhe. »Gut, ich geh ja schon. Aber ich werde mich hier weiter umsehen. Das Mädchen kann nicht weit sein.«

»Sie verschwinden jetzt! Das hier ist eine private Kleingartensiedlung, und Sie haben hier überhaupt nichts verloren! Ich ruf die Polizei, wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden.« Der weißhaarige Mann machte einen Schritt nach vorne, und der türkische Mann verschwand leise fluchend durch die Gartentür.

Leyla beugte sich vor und beobachtete den alten Mann, der mitten auf dem Weg vor seinem Grundstück stand und ihrem Verfolger hinterhersah.

Puh, da hab ich wohl noch mal Glück gehabt, dachte sie und überlegte, wie sie sich von ihrem derzeitigen Versteck ungesehen davonschleichen konnte. Soeben wog sie ab, ob sie es wagen sollte, durch die Hecke zu gehen, um aufs nächste Grundstück zu kommen, da hörte sie die schlurfenden Schritte des alten Mannes. Leyla duckte sich und schlich hinter ein Gebüsch, das unmittelbar an die Hütte anschloss. Wieder schaute sie zu dem weißhaarigen Mann, der sich auf die Knie niederließ. Scharrende Geräusche erklangen, als er mit seiner Kleinhacke die Erde aufwühlte. Gerade als sie den nächsten Schritt wagen wollte, hörte sie seine Stimme: »Wo willst du hin, Mädchen?«

Sie erstarrte und hatte urplötzlich das Gefühl, sie würde sich nie wieder bewegen können. Was tun? Was tun? WAS TUN?, schrie es in ihrem Hirn.

»Mädchen?«, sagte der Mann und schaute in ihre Richtung. »Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken. Dein Verfolger ist schon gegangen, und du kommst jetzt her und erzählst mir, was passiert ist.«

Leyla stand auf und blickte ihm direkt in die dunkelbraunen Augen, die sie mit so einer Güte ansahen, dass es ihr schwer ums Herz wurde. Er war so ein netter und freundlicher Mann, drang in ihr Hirn, als sie an die Aussage der Nachbarin in der Reportage über den Serienmörder dachte, der sieben Frauen kaltblütig abgeschlachtet hatte. Ein Schauer überzog ihren Körper, der sogleich wieder abebbte, doch das Zittern ihrer Hände blieb.

»Ich … Entschuldigung, dass ich einfach so in Ihren Garten gekommen … ich bin sofort wieder weg«, stammelte sie und hob ihre Hände in die Luft, als sich der alte Mann aufrichtete und mit der Kleinhacke in ihre Richtung kam. Er zog sein rechtes Bein leicht hinter sich her. Wenn sie schnell genug an ihm vorbeilief, würde er sie niemals einholen können. Mit jedem Schritt, den der Mann näher an sie herankam, verstärkten sich die Fluchtgedanken.

Kurz vor ihr bog er nach rechts ab und betrat die Terrasse der Hütte. Das Holz knarrte unter seinem Gewicht. »Mädchen! Hör auf zu stottern und komm endlich her. Dann kannst du mir erzählen, was los ist und wieso du gestohlen hast.«

Ein Rascheln erklang und gleich darauf ein Klirren. Leyla umrundete das Gebüsch und sah durch das kleine Fenster in die Hütte hinein. Der alte Mann stand vor einer Art Miniküche. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Links von ihm stand ein Teller mit Keksen darauf. Nun griff er zu einer Wasserflasche. Es gluckerte, und anschließend ertönte ein Klicken. Er drehte sich zu ihr um und beäugte sie mit seinen buschigen Augenbrauen.

»Trinkst du Kaffee?«, fragte er. »Ich hab auch Pfefferminztee hier, wenn du willst. Allerdings vermutlich schon abgelaufen. Den hat immer meine Elsa getrunken, als sie noch mit mir hier draußen war. Sie war schon lang nicht mehr hier, musst du wissen.« Er nahm den Teller in die Hand, kam damit aus der Hütte und stellte ihn auf dem kleinen Tisch ab, der auf der Terrasse stand. Daneben standen zwei Klappstühle. Über einen war eine Decke gelegt. Sah aus wie von Hand gestrickt. Mit viel Liebe gemacht.

»Ich … ich geh jetzt. Danke … muss los.« Leyla zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und ging zwei Schritte dem rettenden Gartentor entgegen.

»Du setzt dich genau hierhin!« Es war keine Bitte. Es war ein Befehl, und irgendetwas zwang Leyla dazu, stehen zu bleiben und sich umzudrehen. Der alte Mann deutete auf den Stuhl, auf dem keine Decke lag. »Hierhin. Da hat auch Elsa immer gesessen, und wir haben stundenlang geplaudert. Ich konnte immer alle ihre Probleme lösen. Jetzt hat sie keine mehr, somit hab ich Zeit für deine. Also? Was ist jetzt?«

Der Wasserkessel gab ein pfeifendes Geräusch von sich, und der alte Mann drehte Leyla den Rücken zu. Die Gelegenheit wäre günstig. Er würde ihr niemals hinterherkommen mit seinem kaputten Bein. Doch die Aussicht auf ein warmes Getränk und ein paar Kekse war zu verführerisch. Wie auf Befehl knurrte ihr Magen. Seit gestern hatte sie nichts mehr gegessen, und der heutige »Einkauf« lag irgendwo auf der Straße verteilt. Was hatte sie schon großartig zu verlieren? Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte sie sich auf den zugewiesenen Stuhl und wartete auf den alten Mann mit den gütigen Augen.

Gleich darauf stand eine Tasse mit dampfendem Kaffee vor ihr, und der Mann ließ sich ächzend auf den Stuhl gleiten. Es war eine bedrückende Stille zwischen den beiden, die ihr trotz der frischen Luft den Atem raubte. Krampfhaft überlegte sie, was sie sagen sollte, und vor allem, was nicht! Tausende Gedanken schossen wie Pfeile durch ihren Kopf. Sie erschrak, als sie wie aus dem Nichts kommend seine Stimme hörte.

»Ich bin Lüder. Und wer bist du?«

»Leyla.«

»Also, Leyla«, sagte Lüder und schaute ihr tief in die Augen. »Was ist los bei dir?«

8

Mittwoch, Mittag

Niebüll, Polizeidienststelle

 

Knapp zwei Stunden später kamen sie auf dem Revier in Niebüll an. Sie hatten Glück gehabt und einen Platz auf dem Autozug ergattert, der im stündlichen Abstand über den Hindenburgdamm bretterte. Jan parkte Steffis Auto vor dem vierstöckigen, dunkelrot verklinkerten Gebäude. Ein blaues Schild mit dem weißen Wort »Polizei« prangte auf dem kleinen Vordach. Steffi stieg aus dem Auto aus und holte die beiden Telefone von der Rückbank. Die Hitze war hier in der Stadt noch unerträglicher als auf Sylt, und ihr Kleid klebte wie eine zweite Haut an ihr. Steffi sehnte sich nach einer Abkühlung im Meer.

»Wir werden die beiden Telefone gleich mal Peeke geben«, sagte sie. »Er soll herausfinden, mit wem unser Opfer telefoniert hat, bevor es gesprungen ist, und auch das Video von diesem … Typen genauer unter die Lupe nehmen.«