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Nach einem Jahr Pause ist der Puppenkünstler wieder zurück. Wieder eine tote Frau, die hergerichtet wurde wie eine Puppe. Doch der inhaftierte Serienmörder hat sich schon vor Tagen im Gefängnis umgebracht.
»Ich habe sie getötet, weil sie nur mir gehört!«
Ein Jogger findet auf einer Friedhofsbank in Niebüll eine Frauenleiche. Die Tote ist geschminkt und angezogen wie eine Puppe. Sofort sehen die Ermittler Stefanie Teufel und Jan Graf ein ähnliches Tötungsmuster wie bei dem grausamen Serienmörder, der vor einem Jahr sein Unwesen trieb und erfolgreich hinter Schloss und Riegel gebracht werden konnte – dem Puppenkünstler!
War der Inhaftierte wirklich nicht der wahre Mörder, so wie er es behauptet hat? Oder treibt ein Nachahmungstäter sein Unwesen?
Noch während die beiden Ermittler Parallelen zu den alten Fällen ziehen, hat der Täter das nächste Opfer in seinen Fängen.
Im 3. Teil der Reihe »Teufel und Graf ermitteln« werden die Ermittler von Gewissensbissen geplagt. Haben sie einen Unschuldigen inhaftiert, der sich vor Verzweiflung das Leben genommen hat?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Drea Summer
Über die Autorin:
Drea Summer, gebürtige Österreicherin, lebte im schönen Südburgenland. Sie begann ihre Schreibkarriere mit der Auswanderung nach Gran Canaria vor mehr als vier Jahren. Die »Insel des ewigen Frühlings« inspiriert sie, schaurige und blutige Geschichten, die in ihrem Kopf herumspuken, niederzuschreiben.
Über das Buch:
Ich habe sie getötet, weil sie nur mir gehört!
Ein Jogger findet auf einer Friedhofsbank in Niebüll eine Frauenleiche. Die Tote ist geschminkt und angezogen wie eine Puppe. Sofort sehen die Ermittler Stefanie Teufel und Jan Graf ein ähnliches Tötungsmuster wie bei dem grausamen Serienmörder, der vor einem Jahr sein Unwesen trieb und erfolgreich hinter Schloss und Riegel gebracht werden konnte – dem Puppenkünstler!
Doch ein Anruf von Peeke stellt alles auf den Kopf: Der vermeintliche Täter hat sich bereits vor Tagen im Gefängnis umgebracht. War der Inhaftierte wirklich nicht der wahre Mörder, so wie er es behauptet hat? Oder treibt ein Nachahmungstäter sein Unwesen? Noch während die beiden Ermittler Parallelen zu den alten Fällen ziehen, hat der Täter das nächste Opfer in seinen Fängen.
Im 3. Teil der Reihe »Ein Teufel-Graf-Krimi« werden die Ermittler von Gewissensbissen geplagt. Haben sie einen Unschuldigen inhaftiert, der sich vor Verzweiflung das Leben genommen hat?
Drea Summer
Ein Teufel-Graf-Krimi
Band 3
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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März © 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
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Cover: Chris Gilcher
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1
Montag, kurz vor Sonnenuntergang
Niebüll, Friedhof »Zur letzten Ruhe«
»Perfekt«, sagte ich zu mir selbst und schaute auf das Ergebnis meiner Arbeit. »Genau so habe ich mir das vorgestellt!«
Stolz durchflutete mich, als ich sie betrachtete. Ihre blonden Haare hatte ich in den großmaschigen weißen Schal gesteckt, den ich ihr zum Abschluss über die Schultern gelegt hatte. Ja, sie sah wirklich aus wie eine Braut. Ihr praller Mund wurde durch den dunkelroten Lippenstift bestmöglich in Szene gesetzt. Tagelang hatte ich an mir selbst geübt, um die perfekte Linie zeichnen zu können.
Ich ließ den Schleier vom Hut über ihr Gesicht gleiten und trat einen Schritt zurück. Das weiße, fast durchsichtige Kleid mit den Puffärmeln saß wie angegossen. Ein letztes Mal strich ich die Spitze glatt, die mich an einen Vorhangstoff meiner Großmutter erinnerte, bevor ich sie für immer verlassen würde.
In wenigen Minuten schloss der Friedhof, und die Nacht würde hereinbrechen. Das Dunkel würde sie mitreißen und auf ewig verschlucken. Sie war eine der Auserkorenen und hatte verdient, was sie bekommen hatte. Kurz und schmerzlos. Na ja. Vielleicht nicht so kurz und schmerzlos für sie. Aber das war mir egal. Hauptsache, sie hinterließ keine Sauerei. Ich konnte es einfach nicht leiden, wenn die Frauen schrien oder sich wehrten. Lieber war es mir, wenn sie leise dahinsiechten und ihre Atmung von Mal zu Mal langsamer wurde, bis sie schlussendlich ganz versagte. Oder wenn sie schliefen, da waren sie besonders schön anzusehen.
Mich schauderte es, als ich an meine Erste dachte. Die Angst in ihren Augen zu sehen, als sie ihren letzten Atemzug getan hatte, war … war atemberaubend gewesen. Danach hatte ich noch öfter das Bedürfnis gehabt, dem Tod ins Auge zu sehen. Hautnah dabei zu sein, wenn der Sensenmann vor der Tür stand.
Die Entscheidung, kein Foto zu machen, kam mir in den Sinn. Doch ein Foto, besonders ein digitales, war für die Ewigkeit. Nicht wie die Bilder von Sofortbildkameras, bei denen das Motiv spätestens nach zwanzig Jahren so aussah, als wäre ein Spiegel zerbrochen. Ich zückte mein Telefon und schoss einige Fotos. Zu Hause würde ich mir das schönste aussuchen. Für meine Sammlung sogar ausdrucken.
Ich setzte mich in den mitgebrachten Rollstuhl, legte die Decke über meine Beine und fuhr los. Niemand würde eine Person in einem Rollstuhl beachten. Bei Menschen mit Behinderung wurde einfach weggesehen. So war die Gesellschaft heutzutage.
Der Puppenkünstler. Ich fand, der Name passte. Ich mochte Puppen, und wenn ich mein Exemplar aus der Ferne nochmals betrachtete, stellte ich fest, dass ich tatsächlich ein Künstler war.
Ich musste lachen, als mir der gestrige Bericht im Fernsehen wieder einfiel. Ich war vielleicht ein Serienmörder, doch ich war nicht der fleißigste in Deutschland. Es gab noch einen, der viel besessener war, als ich es je sein könnte.
Laut dem Statistischen Bundesamt verloren über vierzig Personen täglich ihr Leben, weil sie von der Leiter stürzten, beim Heimwerken im Hobbyraum das Werkzeug falsch benutzten oder auf der Treppe ausrutschten. Und die Tendenz war von Jahr zu Jahr steigend. Somit war der größte Serienmörder wohl das eigene Heim. Er ließ dagegen sogar Ted Bundy mickrig aussehen.
Ich prustete los und fuhr den asphaltierten Weg entlang. Schneller, immer schneller, drehte ich die Räder und freute mich jetzt schon auf den Artikel in der Presse. Auf das Raunen, das durch die Menge gehen würde, wenn sie merkten, dass der Puppenkünstler noch lange nicht fertig war. Nur weil er ein Jahr nichts getan hatte, war es nicht vorbei. Jede von ihnen kriegte, was ihr zustand.
Bis dass der Tod uns scheidet. Du bist mein!
2
Dienstag, Abend
Bredstedt, Haus von Steffis Großeltern
»Steffi?«, fragte Jan in den Raum hinein, in dem Steffis Oma, ihre Halbschwester Sophia und Steffi am Esstisch saßen. Er hielt sein Handy ans Ohr gepresst und deutete ihr mit einer Handbewegung an, zu ihm zu kommen. Steffi stand auf und folgte ihm vor die Haustür. Es war dunkel draußen, und die Straßenlaternen leuchteten.
»Was ist los?«
»Peeke ist dran. Allem Anschein nach hat der Puppenkünstler wieder zugeschlagen.«
»Aber wir haben den doch dingfest gemacht. Wurde er etwa entlassen?«, fragte Steffi.
Jan schaltete den Lautsprecher ein. »Peeke? Was ist mit dem, den wir hinter Gitter gebracht haben? Ist der wieder raus?«
»Tot.«
»Kann nicht sein«, sagte Steffi sofort. »Also ich meine, dass der neue Mord vom Puppenkünstler begangen wurde. Dann haben wir einen Nachahmungstäter.«
»Nein, nicht möglich.« Es war wieder einer dieser Momente, in denen Steffi Peeke an die Gurgel gehen wollte. Weil er die wichtigen Informationen einfach nicht gleich herausrückte, sondern eine sekundenlange Pause machte, bevor er weitersprach. »Die Initialen des Opfers wurden, wie auch bei den vorigen, in die Innenseite des Saumes gestickt. Das haben wir aber nie bekannt gegeben. Somit ist das reines Täterwissen.«
»Hör mal, Otto Seidel wurde eindeutig überführt. Er war der Puppenkünstler. Zweifel ausgeschlossen. Dann muss er jemandem davon erzählt haben, welches besondere Zeichen er bei seinen Opfern hinterlassen hat. Was ist mit Seidel passiert? Gab es eine Attacke im Gefängnis?« Alle Beweise, die Steffi und Jan vor einem Jahr gesammelt hatten, hatten zu Otto Seidel geführt. Auch wenn er es bis zum letzten Tag abgestritten und seine Unschuld beteuert hatte.
»Er hat sich vor einigen Tagen selbst umgebracht«, sagte Peeke. »Er war wegen eines Magen-Darm-Infektes auf der Krankenstation. Dort hat er sich Zugang zu Medikamenten verschafft.«
»Wird das nicht überwacht?«, fragte Steffi. »Wie kann so was passieren?«
»Es gab einen Alarm. Eine kleine Revolte im Speisesaal. Mehrere Beamte und auch Insassen wurden verletzt. In der Zwischenzeit war Otto Seidel allein auf der Krankenstation. Angeblich ging es ihm so schlecht, dass er nicht mal stehen konnte.«
»Moment«, sagte Steffi. »Das klingt für mich nach einem ausgeklügelten Plan. Es müssen alle befragt werden, die an dieser Revolte teilgenommen haben.«
»Schon längst erledigt. Alle Aussagen hab ich dir per Mail zugeschickt. Laut dem Direktor war wohl ein Streit zwischen zwei Gefangenen der Auslöser. Wollt ihr nun endlich wissen, wo die Leiche des neuen Opfers gefunden wurde?«
»Du kannst es uns auch einfach sagen.« Steffi verdrehte die Augen.
»Auf dem Friedhof ›Zur letzten Ruhe‹ in Niebüll. Gefunden von einem Jogger, noch keine zwei Stunden her. Spusi noch vor Ort.«
»Auf einem Friedhof? Wie passend«, entfuhr es Steffi. Sie räusperte sich. »Was wissen wir über die Tote? Ich nehme an, es ist eine Frau, ja?«
»Silke Arnold. Sechsundvierzig Jahre alt. Verheiratet mit einem Stefan Arnold. Wohnhaft im Gersteweg in Niebüll. Vor drei Tagen als vermisst gemeldet worden. Ehemalige Kundin von Otto Seidel. Sie war Hausfrau, und ihr Ehemann ist Handelsvertreter und oft Wochen nicht zu Hause.«
»Okay, wir fahren zum Friedhof und schauen uns alles an.«
Jan wollte gerade das Gespräch beenden, da sagte Peeke: »Die Twins sind auch dort. Ihr sollt mit ihnen zusammenarbeiten, lässt euch Rose ausrichten.« Dann legte Peeke auf, und Steffis Mund blieb offen stehen.
»Ne, das ist jetzt nicht sein Ernst!«, sagte sie.
»Ach komm, die zwei sind vielleicht etwas eigen, aber doch gute Ermittler.« Jan zuckte mit den Schultern.
»Klar, das haben sie bei unserem letzten gemeinsamen Fall ja ganz toll bewiesen. Wenn wir nicht gewesen wären …«
Sophia kam in diesem Moment aus dem Haus von Steffis Großeltern. »Ihr müsst los, oder?«
»Ja, müssen wir. Leider.« Steffi trat an Sophia heran und küsste sie links und rechts auf die Wange. »Hör zu, wir holen unseren gemütlichen Abend nach, ja? Kannst du das auch Omaopa ausrichten, bitte?«
»Darf ich fragen, was wichtiger ist als die Familie?« Die Frage hätte auch als Vorwurf gelten können, war aber anhand des Schmunzelns auf Sophias Lippen als Scherz gemeint.
»Du willst doch nur eine neue Story für deinen Chef, damit er wieder den Täter auf deine Spur locken kann.« Steffi schüttelte den Kopf. »Nichts da!«
Sophia hob ihre Hände vor den Brustkorb. »Oh nein. Bitte nicht. Nicht noch einen Psycho in meiner Nähe. Der letzte hat mir völlig gereicht. Ich werde lieber meinen Artikel über das Leben im Altersheim schreiben. Morgen habe ich dort einen Termin mit der Pflegeleitung. Bis dann, Schwesterchen. Passt auf euch auf.«
Steffi und Jan gingen zum Auto, und wie immer stieg Jan auf der Fahrerseite ein. Er startete den Wagen und fuhr los.
»Ich bin froh, dass du dich jetzt mit Sophia verstehst und sie in deinen Augen nicht mehr die Böse ist, die dir deinen Vater weggenommen hat.«
»Ich auch«, erwiderte Steffi. »Sie ist eigentlich ganz cool drauf. Obwohl sie dreizehn Jahre jünger ist als ich. Aber unseren Vater können wir beide nicht verleugnen. Allein schon dieses Straßenköterblond als Haarfarbe.«
»Und vergiss nicht den österreichischen Einschlag, den ihr beide habt. Sophia zwar mehr als du, aber auch du kannst deine Herkunft nicht verbergen.«
»Was meinst du?«
»Na ja. Charme nennt sich das. Zumindest sagt das meine Oma immer, wenn sie über dich spricht.«
Steffi lachte. »Und was sagt sie sonst so über mich?«
»Dass sie uns gerne öfter sehen möchte.« Jan zwinkerte ihr zu, und in Steffis Bauch stieg ein Kribbeln auf. Ungläubig sah sie ihn an.
»Möchtest du …« Sie unterbrach sich selbst. »Meinst du, dass wir den Falschen eingebuchtet haben?« Sie hatte gerade noch die Kurve gekratzt. Eigentlich hatte sie Jan fragen wollen, ob auch er mehr Zeit mit ihr verbringen mochte. Außerhalb der Arbeit. Seit knapp drei Jahren bildeten sie nun ein Team. Doch so wirklich privat hatten sie sich nie getroffen. Wollte Steffi das überhaupt? Oder Jan? Wäre es gut, Privates mit dem Job zu mischen?
»Darin warst du noch nie gut. Und die Antwort ist vielleicht.« Ein wissendes Lächeln lag auf seinen Lippen.
»Also, du glaubst, dass wir doch einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht haben?«
»Nein, das andere«, entgegnete Jan. »Aber lassen wir das. Wir haben einen Fall, und darauf sollten wir uns konzentrieren. Wenn wir vor einem Jahr einen Unschuldigen geschnappt haben, dann sind wir an seinem Selbstmord schuld.«
»Ja«, antwortete Steffi. Daran wären wir schuld.
***
Sie kamen auf dem Friedhofsparkplatz an, und nach wenigen Minuten hatten sich die beiden durch das riesige Areal gekämpft und gingen den Scheinwerfern entgegen. Schon aus der Ferne hörte Steffi ihren Kollegen Kettel, der laut prahlte.
»Wir werden ihn fassen, nicht wahr, Vogt?«
»So ist es, Herr Kollege.«
Steffi konnte die Twins nicht leiden. Das lag an dem Umstand, dass sie ihre Selbstbeweihräucherung abstoßend fand und die beiden in ihren Augen keine so guten Ermittler waren, wie sie vorgaben.
»Wir wollen hier ermitteln und keinen Streit, ja?«, zischte ihr Jan zu. Er schien sie besser zu kennen, als sie dachte.
»Ah, die beiden Kollegen sind ja auch schon da! Steffi, Jan, darf ich euch gleich in den Fall einführen?«, fragte Kettel und kam ihnen mit einem strahlenden Lächeln entgegen, als wolle er ihnen ein neues Auto verkaufen. Wie immer trugen er und Kollege Vogt gestärkte weiße Hemden mit dunklen Krawatten. Fast wie in Men in Black, nur um einiges gruseliger und ohne Sonnenbrillen.
Die Leiche saß auf einer Parkbank. Hinter ihr war der Ginkgobaumbereich des Friedhofes. Um jeden Ginkgobaum waren Grabsteine in Form von Marmorwürfeln angereiht. Jeder Marmorwürfel besaß eine schwungvolle Inschrift. Ein weißer Hut mit einem Schleier verdeckte das Gesicht der Frau. In der rechten Hand hielt sie ein Buch, die linke hing teilnahmslos von ihrem Körper. Die Tote war nach links gebeugt, auf dem weißen Spitzenkleid waren Pfotenabdrücke zu sehen.
»Kurzfassung«, sagte Kettel und deutete auf einen Mann im Sportoutfit, der wenige Schritte entfernt stand. »Dieser Herr hat die Leiche gefunden. Hermann Marx, dreiunddreißig Jahre alt, wohnhaft ein paar Straßen weiter. Er ist mit seinem Hund heute Abend durch den Friedhof gejoggt. Das macht er einmal die Woche, weil es hier so schön und ruhig ist.«
»Okay«, sagte Steffi. »Wir wollen selbst mit ihm sprechen. Das wäre mir lieber.« Sie lächelte Kettel an.
»Gut. Wie ihr wollt. Also, die Tote sitzt hier laut Arzt schon seit vierundzwanzig Stunden. Videoüberwachung gibt es hier keine. Auch nicht am Parkplatz.« Kettel zuckte mit den Schultern.
»Da wir gemeinsam an diesem Fall arbeiten«, mischte sich Jan ein, »wäre es doch toll, wenn ihr beide herausfinden könntet, ob es Kameras in der näheren Umgebung gibt. Ich glaube, um die Ecke ist ein Bankautomat. Dort sind sicherlich Kameras angebracht zur Überwachung. Der Täter muss mit dem Auto hierhergefahren sein. Wir werden uns im Büro die Akten vom Puppenkünstler holen. Schließlich deutet die Vorgehensweise und die Art, wie die Leiche präsentiert wurde, darauf hin, dass er wieder zugeschlagen hat.«
Kettels Brustkorb blies sich auf wie ein Ballon. »Ihr habt vor einem Jahr den Falschen drangekriegt und eingebuchtet. Der wahre Täter läuft hier noch herum.«
Steffi biss sich auf die Zunge. Es brachte nichts, mit den Twins zu streiten.
»Es wird ein Trittbrettfahrer sein, der mit dem Puppenkünstler Kontakt hatte«, sagte Jan. »Ich würde nicht vorschnell urteilen. Wir werden jetzt mit Herrn Marx sprechen. Sehen wir uns dann im Büro?«
»Ja, morgen früh um acht«, meinte Kettel. »Heute sicher nicht mehr. Wir sind völlig kaputt.«
»Wie ihr meint«, sagte Jan. »Bis morgen dann.«
Kettel hob die Hand zum Gruß. »Herr Vogt, kommen Sie? Lassen Sie uns gehen. Das Feierabendbier ruft.« Warum sich die beiden auch nach jahrelanger Zusammenarbeit noch immer siezten, darauf konnte sich Steffi keinen Reim machen.
Vogt hatte die ganze Zeit neben der Toten gestanden und den Männern der Spurensicherung bei der Arbeit zugesehen. Jetzt wandte er sich vom Tatort ab. »Schönen guten Abend, Kollegen«, begrüßte er Steffi und Jan. »Ich bin so weit, wenn Sie es sind.«
Kurz darauf waren die Twins aus dem Scheinwerferlicht verschwunden, und Steffi und Jan wandten sich Herrn Marx zu.
»Kriminalpolizei. Mein Name ist Graf, und das ist meine Kollegin Teufel. Wir haben noch ein paar Fragen an Sie.«
»Wie gesagt, ich war hier nur mit Flocke joggen«, sagte der Mann. »Sie hat sich losgerissen und ist auf die Frau zugestürmt. Natürlich bin ich ihr sofort hinterher, aber ich konnte nicht verhindern, dass sie die Frau anspringt. Ich dachte schon, jetzt gibt es gleich ein Geschrei und ich darf die Reinigungskosten ihrer anscheinend teuren Kleidung übernehmen. Wobei es schon seltsam war, dass die Frau hier ein Buch in diesem Outfit zu lesen schien. Auf dem Friedhof. Aber als sich die Frau nicht rührte und auch sonst keine Anstalten machte, wurde mir mulmig. Da wusste ich, da stimmt was nicht, und habe die Polizei gerufen.«
»Das heißt, Sie haben die Frau nicht angefasst oder ihren Puls kontrolliert?«
»Ich habe Flocke von ihr heruntergezogen, da sah ich die dunklen Flecken auf ihrem Arm. Außerdem stinkt sie erbärmlich. Sorry, aber da fasse ich wirklich nichts mehr an. Da kommt doch jede Hilfe zu spät.«
»Haben Sie jemanden hier in der Nähe gesehen?«, fragte Steffi.
»Nein, hier war niemand. Was aber nicht ungewöhnlich ist. Schließlich jogge ich hier, kurz bevor die Tore geschlossen werden. Es hat doch keiner Lust, nachts auf einem Friedhof eingesperrt zu werden.«
»Soweit ich weiß, gilt auf einem Friedhof ein Hundeverbot, oder?«, warf Jan ein.
»Ja, das ist den blöden Hundehaltern zu verdanken, die hinter ihren Hunden nicht aufräumen. Ich räume immer hinter Flocke auf, und wir stören so spät am Abend auch niemanden.«
»Okay. Ihre Daten haben wir ja. Dann können Sie gehen. Wir melden uns, falls wir noch Fragen an Sie haben.« Jan verabschiedete Herrn Marx mit einem Nicken.
Steffi ging näher an den Leichnam heran. Der typische Verwesungsgeruch stieg ihr in die Nase und ließ sie würgen. Schnell schluckte sie und hielt den Atem an.
Den Schleier, der am Hut der Toten befestigt war, hatte vermutlich der Arzt in die Höhe geschoben. Steffi sah in ein Gesicht, das ein theatralisches Make-up zierte, mit tiefrotem Lippenstift, betonten Wangenknochen und dunkel geschminkten Augen, die weit geöffnet waren.
»Meinst du, er war es wirklich?«, fragte sie Jan.
»Keine Ahnung.«
Steffi trat einen Schritt zurück und betrachtete die Frau. Die Kleidung der Toten war detailreich gestaltet und wirkte wie maßgeschneidert. Der Stoff und das Schnittmuster des weißen Kleides stimmten mit Sicherheit wieder mit der Kleidung einer Barbiepuppe aus den Siebzigerjahren überein. Zumindest ließ der Vintage-Stil darauf schließen. Für die Frisur galt vermutlich dasselbe. Es schien fast so, als wäre der Puppenkünstler ein Meister seines Fachs, der den Tod und die Vergänglichkeit in eine morbide Kunstform verwandelte.
Steffi zog einen Einweghandschuh an und klappte den Saum des Kleides um. »S. A.« Die Initialen des Opfers. Wie bei den drei Opfern vor einem Jahr.
Der Puppenkünstler musste diese Tat verübt haben. Keinerlei andere Erklärung fiel ihr ein. Doch er war tot. Wie passte das alles zusammen?
»Lass uns fahren«, sagte Jan und tippte Steffi auf die Schulter.
Sie nickte.
3
Dienstag, Abend
Niebüll, Polizeidienststelle
»Diese Akten kenne ich gefühlt auswendig«, maulte Steffi, lehnte sich im Bürostuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Auf ihrem Schreibtisch herrschte das blanke Chaos. Die Bilder der drei toten Frauen, die vor einem Jahr ermordet worden waren, starrten sie anklagend an. Alle drei hatten die exakt identische Kleidung wie die Barbies aus den Siebzigern getragen. »Ich verstehe das nicht. Otto Seidel war der Puppenkünstler. Das haben wir doch eindeutig bewiesen. Die Fingerabdrücke, der DNA-Abgleich. Er hat nachweislich die Kleidung genäht, die die Opfer anhatten. Auch die Fotos der Leichen haben wir bei ihm gefunden. Und vergiss das Notizbuch nicht. Die Maße der Schnittmuster, die exakten Körpermaße der getöteten Frauen, die Auswahl der benötigten Kosmetika … Perfekt durchgeplant. Alles stimmte überein. Wir müssen es hier mit einem Nachahmungstäter zu tun haben.«
»Er hat die Morde aber niemals gestanden«, sagte Jan. »Bis zum Schluss hat er behauptet, dass er die Frauen nicht getötet hat. Er sagte, dass er alle Frauen gekannt hat, aber mit ihnen sonst keinen Kontakt pflegte. Ein Serienmörder wäre doch stolz auf seine Taten, oder nicht? Das hat mich auch schon vor einem Jahr irritiert, aber die Fakten, alle Beweise sprachen gegen ihn. Das konnten wir nicht ignorieren.«
»Was willst du damit sagen? Dass Seidel nicht der Täter war? Wieso hast du mir deine Gedanken nicht schon damals mitgeteilt? Wir hätten doch weiterermitteln können, auch wenn ich anderer Meinung war und noch immer bin.«
»Ich weiß nicht. Bei seiner Aussage … kannst du dich noch an seine Tränen erinnern, als er immer und immer wieder beschworen hat, unschuldig zu sein? Ich hatte das Gefühl, dass er die Wahrheit sagt. Aber das konnte auch nur eine Masche sein, um uns als Ermittler weichzuklopfen. Verstehst du?«
Steffi setzte sich mit einem Ruck auf. »Romeo und Julia!«
»Was?« Jan kräuselte seine Stirn.
»Na, bei Romeo und Julia hat Julia doch von einem Mönch einen Kräutertrunk bekommen, der sie stundenlang bewusstlos machte, und sie ist erst zu sich gekommen, als Romeo schon tot war. Seidel könnte doch auch …«
Jan lachte laut los. »Und? Wir reden hier aber nicht von einer Liebesgeschichte von anno dazumal. Davon abgesehen war kein Mönch bei Seidel, soweit ich weiß.«
»Seidel hat sich im Gefängnis mit Tabletten umgebracht. Wir wissen doch, dass er akribische Aufzeichnungen über die Wirkung der verschiedenen Benzodiazepine geführt hat. Kannst du dich nicht erinnern?« Steffi sprang von ihrem Stuhl auf und kramte in einem Karton, in dem sich die Beweismittel befanden, die sie in Otto Seidels Schneiderei gefunden hatten. Wie eine Trophäe hielt sie gleich darauf das rote Buch in ihren Händen und setzte sich wieder. »Vielleicht wusste er, wie er bestimmte Medikamente einnehmen muss, damit er für tot gehalten wird.«
»Steffi! Du glaubst doch wohl nicht, dass Seidel sich mit Tabletten in eine Art Koma versetzt hat. Und seinen Herzschlag für Stunden aussetzen konnte, sodass jeder Arzt ihn für tot erklärt. Nicht dein Ernst? Außerdem hat er alles mit Reinigungsalkohol hinuntergespült. Isopropanol ist giftig.« Jan war neben Steffi getreten und sah nun ebenso in die Aufzeichnungen des Serienmörders.
»Das ist doch der einzige Weg, wie er aus dem Gefängnis kommen konnte, um weiterzumorden«, sagte Steffi. »Warum willst du das nicht verstehen?«
»Wie soll er das denn angestellt haben? Laut Autopsiebericht hat er einen Medikamentencocktail geschluckt. In übertherapeutischer, toxischer und hochtoxischer Konzentration. So ist der genaue Wortlaut.« Jan tippte auf die dementsprechende Stelle in dem Bericht, den Steffi vorhin achtlos zur Seite geschoben hatte. »Es ist unmöglich, dass er noch lebt. Er hat sich selbst vergiftet. In Verbindung mit dem Reinigungsalkohol tödlich tödlich, da dieser sehr schnell in den Blutkreislauf eindringt. Also, schlag dir diese Theorie aus dem Kopf. Sieh es einfach ein. Wir haben einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht.«
»Können wir eine Exhumierung beantragen?« Steffi sah Jan fragend an.
»Steffi, bitte! Er kann nicht mehr leben. ›Hochtoxisch‹ steht da.« Wieder tippte Jan mit seinem Zeigefinger auf das Wort im Bericht. »Er muss tot sein. Verstehst du? Tobias wird uns mit Sicherheit keine Befugnis erteilen, dass wir die Leiche exhum…« Er sprach nicht weiter, sondern ging zu seinem Schreibtisch und sah in den Unterlagen nach.
»Was? Sag es mir! Was denkst du? Hast du doch eine Idee?«
»Seidel wurde gestern eingeäschert. Auch wenn wir die Urne öffnen dürften, bringt uns das nichts, weil alle DNA-Spuren mit großer Wahrscheinlichkeit durch das Feuer zerstört worden sind.«
Steffi stieß einen Seufzer aus und hörte auf zu lesen. »Ich glaube weiterhin, dass er noch leben kann. Wer weiß, vielleicht hat ihm jemand geholfen, das Ganze zu planen. Im Gefängnis landen Verbrecher mit verschiedenen Fähigkeiten, die sich untereinander den einen oder anderen Gefallen tun.«
»Das lassen wir mal alles außen vor und konzentrieren uns auf die Menschen, bei denen wir genau wissen, dass sie leben, okay? Zuerst sollten wir klären, wer Seidel diese Taten in die Schuhe geschoben haben könnte, dass wir als Ermittler keinen anderen Täter als ihn ins Visier nehmen konnten.«
»Aber …«, begann Steffi erneut, wurde aber von Jan unterbrochen.
»Das halte ich für einen weitaus sinnvolleren Ermittlungsansatz. Beginnen wir mit den Fakten, die wir auch belegen können. Er war Schneider und hatte seine eigene Schneiderei. Außerdem wurden die Stoffe, die für die Herstellung der Kleidung der Opfer benötigt wurden, im Lager seiner Schneiderei gefunden. Des Weiteren hat er zugegeben, dass er die Kleidung, die die Toten anhatten, genäht hat. War angeblich ein Auftrag, wobei wir dazu nichts Schriftliches gefunden haben. Bei keinem der drei Opfer.«
»Zugang zu der Schneiderei hatten auch …«, sagte Steffi, kramte in den Unterlagen und zog ein Blatt Papier heraus, »seine Ehefrau, ebenfalls Schneiderin von Beruf und Angestellte in seinem Betrieb. Dann gab es da noch die Putzfrau, seinen Bruder und seine Schwägerin, die einen eigenen Schlüssel hatten. Den Betrieb hatte Otto Seidel von seiner Mutter übernommen, soweit ich mich erinnern kann.«
Jan notierte sich alles. »So, mal langsam. Also seine Ehefrau war an zwei von drei Abenden, an denen die Frauen entführt wurden, bei ihrer Schwägerin. Die beiden sind beste Freundinnen gewesen, ja?«
Steffi nickte zustimmend. »Seidels Bruder war an allen Abenden der Entführungen auf der Arbeit. Konnten wir nachweisen anhand seines Fahrtenschreibers im Lkw. Die Putzfrau war auch auf der Arbeit. Also in der Schneiderei. Auch das konnten wir nachvollziehen anhand der Aufzeichnungen des Überwachungssystems am Eingang.«
»Hatte eine oder einer von den vieren ein Motiv, Seidel als Mörder hinzustellen?«
»Seine Ehefrau kam mir eher wie ein liebevolles Mütterchen vor, trotz ihrer recht jungen Jahre. Die Brüder hatten ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Und seine Schwägerin mochte Otto Seidel auch. Die beiden waren sogar mal ein Paar, wenn ich mich recht erinnere, oder?«
»Hätte die Schwägerin ein Motiv, Otto Seidel solch einer Straftat zu bezichtigen? Ich meine, der Tipp, den wir bekommen haben, der uns erst auf die Spur von Seidel gebracht hat, war anonym. Bis jetzt haben wir nicht herausgefunden, wer dahintersteckte.«
»Haben wir das nicht vor einem Jahr schon alles durchgekaut?«, fragte Steffi und rollte mit den Augen.
»Wenn du nicht aufpasst, dann kriegst du vom Augenrollen einen Muskelkater.« Jan zwinkerte ihr zu. »Ernsthaft, Steffi. Hatte seine Schwägerin ein Motiv?«
Steffi taxierte ihn mit ihrem Blick. »Jan, sie hatte ein Alibi. Schon vergessen?«
»Ja, von ihrer besten Freundin. Die gleichzeitig auch die Ehefrau von Seidel ist. Was ist, wenn die beiden Frauen gemeinsame Sache gemacht haben? Wenn die Ehefrau ihren Mann loswerden wollte? Sie hatten doch die Möglichkeit, DNA und Fingerabdrücke von Otto Seidel auf der Kleidung der Opfer zu hinterlassen.«
»Aber er hat doch zugegeben, dass er die Kleidung genäht hat. Warum hätten die beiden ihn hinter Gittern sehen wollen? Bei deiner Theorie fehlt das Motiv völlig. Wenn ich jemanden loswerden wollte, dann wäre es besser, wenn derjenige drei Meter unter der Erde ist als nur hinter Gittern, oder?«
»Wir haben es hier mit einem Nachahmungstäter zu tun. Da bin ich mir sicher. Vielleicht ein Fan, der seinem Idol nacheifert.«
»Ich ruf mal bei Peeke an«, sagte Steffi. Sie schob einige Papiere auf ihrem Schreibtisch zur Seite und griff zum Telefon.
»Ich habe nur noch eine halbe Packung«, hörte sie gleich darauf Peekes Stimme.
»Wovon redest du?«
»Von den sauren Skittles, die du mir mitgebracht hast.«
Steffi lachte und dachte daran, dass sie Peeke erneut mit veganen Leckereien versorgen musste, bevor er wieder unerträglich wurde. Gut, die dunkle Schokolade mit Marzipan war nicht sein Geschmack gewesen, dafür hatten es ihm die sauren Skittles und die Salzheringe angetan. Von den Kakaokeksen mit der Cremefüllung mal ganz abgesehen.
»Ich brauche wieder Nachschub«, sagte er.
»Stell dir vor, du kannst sogar selbst ins Geschäft gehen und dir welche besorgen. Die kriegst du überall. Peeke, ich brauche Informationen von dir.«
»Das ist ja mal ganz was Neues«, witzelte er, und Steffi schaute zu Jan, der eine Augenbraue hob. Normalerweise war Peeke wortkarg, und etwas wirklich Witziges hatte Steffi von ihm noch nie gehört. Sie war irritiert.
»Also …«, sagte sie. »Wir brauchen vom Gefängnis, in dem Otto Seidel eingesessen hat, eine Liste mit allen Gefangenen, die mit ihm Kontakt hatten. Am besten alle aus seinem Zellenblock … oder einfach alle, die in derselben Zeit mit ihm dort einsaßen. Auch die Besucherlisten wollen wir sehen und jeglichen Schriftverkehr, den er geführt hat.«
Peeke legte auf, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Da war er wieder. Der gute alte Peeke.
Jan lachte laut auf. »Er wird immer sonderbarer, was? Wir bringen ihm vielleicht doch besser Obst vorbei. Das süße Zeug scheint ihm nicht zu bekommen.«
»Ach, lieber so als zickig. Auch wenn es mir auf die Nerven geht, dass er einfach auflegt.«
»Is eben so. Was steht als Nächstes auf dem Plan?«, fragte Jan und streckte sich. »Wenn wir es hier wirklich mit dem Puppenkünstler zu tun haben, dann dürfen wir keine Zeit verlieren.«
»Du hast recht. Noch dazu kommt, dass wir den Fall lösen wollen und nicht die Twins. Also, wir müssen nochmals von ganz vorne beginnen.«
»So mag ich das, ja!« Jan grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Also, Seidel hat beim Verhör zugegeben, dass alle drei Frauen, die ermordet worden sind, bei ihm Kundinnen waren. Allerdings wusste er angeblich nichts von den Fotos der Opfer, die wir bei ihm sichergestellt haben. Die Frauen wurden gestalkt, und er ist sogar nachts in die Wohnungen der Frauen eingebrochen und hat seine späteren Opfer im Schlaf fotografiert. Außerdem haben wir sein Notizbuch gefunden, in dem er die Morde akribisch beschrieben hat. Sogar die Farbe des Lippenstiftes stimmte überein.«
»Aber das hat er nicht zugegeben, und in den Wohnungen wurden keinerlei Spuren eines Einbruchs gefunden. Und nach möglichen Duplikaten der Schlüssel haben wir gesucht, aber nichts gefunden. Weder in der Schneiderei noch bei ihm zu Hause. Bezüglich des Notizbuches hat er gesagt, dass es nur Fantasien waren, die er aufgeschrieben hat. Er hat die Frauen nicht umgebracht.«
»Auf jeden Fall sollten wir mit der Ehefrau sprechen«, sagte Steffi. »Und auch den Bruder möchte ich mir zur Brust nehmen. Mal sehen, ob sie alle auch dieses Mal ein Alibi haben.«
»Es kann gut sein, dass jemand aus der Familie versucht, Otto Seidels Ruf reinzuwaschen. Wobei es dafür ein bisschen zu spät wäre. Was bringt ihm das nach dem Tod noch?«
»Es ist jetzt kurz vor neun. Meinst du, wir können noch bei der Ehefrau anrufen und mit ihr einen Termin ausmachen?«
»Ich probiere es mal«, sagte Jan und tippte die Nummer in sein Telefon ein. Er schwieg einige Momente und legte dann auf. »Okay, vielleicht sollten wir das Gespräch doch besser auf morgen verschieben.«
»Weißt du, was merkwürdig ist?«, fragte Steffi. »Dass die heutige Leiche auf einem Friedhof abgelegt wurde.«
»Find ich nicht merkwürdig. Ein Friedhof ist eben auch öffentlich. Aber ja, die Letzte, die am Strand auf Sylt abgelegt wurde, haben wir binnen weniger Stunden auf dem Schirm gehabt. Vielleicht will der Täter einfach nur nicht, dass wir seine Kunst schnell entdecken. Vielleicht möchte er sie besuchen und sich an ihrem Anblick ergötzen?«
»Du meinst, dass der Täter mehrmals dorthin zurückgekehrt ist? Um zu sehen, ob sich in der Zwischenzeit schon was getan hat?«
»Genau. Ich meine, Opfer eins war elf Stunden tot, bevor wir informiert worden sind. Opfer zwei sieben Stunden und Opfer drei eben nur drei Stunden. Was ist, wenn ihm das einfach zu schnell gegangen ist? Und deswegen hat er sich einen Friedhof, einen Ort der Stille und Ruhe, ausgesucht?«
»Wobei uns das auch nicht weiterhilft. Unser Täter weiß genau, wie er sich zu verhalten hat, dass niemandem etwas auffällt. Bei Opfer drei, die Frau, die in Westerland auf der Höhe vom Sylter Aquarium am Strand gelegen hat. Es haben sich hinterher drei Zeugen gemeldet, die gesehen haben wollen, wie ein Mann einen Rollstuhl mit einer Frau geschoben hat. Er hat eine Decke im Sand ausgebreitet, sie hochgehoben und daraufgelegt. Alle drei Zeugen hatten diese Szene vor Augen, wie ein liebender Ehemann seiner gehbehinderten Frau einen schönen Strandtag bereitet. Er hat einen Schirm aufgespannt und soll sogar noch neben ihr gesessen und mit ihr gesprochen haben.